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Full text of "Zeitschrift für französische Sprache und Literatur"

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Zeitschrift 


für 


französisclie  Spractie  uni  litteratur 


begründet  von 


Dr.  G.  Koerting        und       Dr.  E.  Koschwitz 

Professor  a.  d.  ÜDiversität  z.  Kiel  weil.  Professor  a.  d.  Univers.  z.  Königsberg  i.  Pr. 


herausgegeben 


von 


Dr.  D.  Behrens, 

Professor  an  der  Universität  zu  Giessen. 


Band  XXXVn.  L 

tz-o  \\\ 


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Chemnitz  und  Leipzig. 

Verlag   von    Wilhelm    Gronau. 


Alle    Rechte    vorbehalten. 


Zeitschrift 


für 


französisclie  Sprache  unil  Litteratur 


begründet  von 


Dr.  G.  Koerting        und       Dr.  E.  Koschwitz 

Professor  ».  d.  Unirersität  z.  Kiel  weil.  Professor  a.  d.  UniTers.  z.  Königsberg  i,  Pt. 


herausgegeben 
von 

Dr.  D.  Behrens, 

Professor  an  der  Universität  zu  Giessen. 


Band  XXXVH. 

Abhandlungen. 


Chemnitz  und  Leipzig. 

Verlag   von    Wilhelm    Gronau. 


INHALT. 


Abhandlungen.  g^.^^ 

Geiger  L.  Rousseaus  Bekenntnisse  in  ihrer  ersten  Fassung  .  225 
Herzog,  E.  Aus  dem  Atlas  Linguistique  (Fortsetzung)  ...  125 
Kalepky,  Th.     Vom    Infinitiv   mit   de   und   d   nach    commencer 

und  in  verwandten  Fällen        252 

Küchler,   W.      Martin    Fumee's    Roman    „Du    vray    et    parfait 

amour".     (Ein  Renaissanceroman) 139 

Rösler,  M.     Sur  les  sources  de  la  Legende  des  Siecles :  ,,Le  Ro- 

mancero  du  Cid",  ,.Bivar",  „Le  Cid  exile" .240 

Salvioni,  C.    Wortgeschichtliches :  1.  apostume.    2.  Ancora  opi-    ^^ 

niätre.     3.  avachir       t  '  ttV    '     '     '     ^o2 

Tavernier.  W.     Beiträge  zur  Rolandsforschung.     IL  III.  .     .     .       8J 

Zu  Roland  3995:  terre  d'Ebire •     •     272 

Urschlechter,  H.     Die   vornehme  französische  Frau  des  XVIII. 

Jahrhunderts  nach  den  „Proverbes  dramatiques"  Carmon- 

telle's      . •     •        ^ 


Die  vornehme  französische  Frau 

des  XVIII.  Jahrhunderts  nach  den 

,,Proverbes    dramatiques^*    Carmontelle's. 

Vorbemerkung. 
Ursprimg  und  Wesen  der  Proverbes  dramatiques. 

Der  Name  Proverhe  dramatique  ist  wohl  jedem  bekannt,  der 
sich  auch  nur  einigermaßen  mit  der  französischen  Literatur  be- 
schäftigt hat;  man  denkt  dabei  unwillkürhch  an  die  reizenden 
Einakter  Alfred  de  Musset's,  der  diese  Dichtungsgattung  weit 
über  die  Grenzen  Frankreichs  hinaus  bekannt  und  berühmt 
gemacht  hat.  In  den  Jahren  1830  bis  1851  ließ  er  in  der  Revue 
des  Delix  Mondes  die  besten  seiner  Proverbes  dramatiques  er- 
scheinen und  manche  dieser  kleinen  Konversationsstücke  sind 
vollendete  Muster  französischer  Salonunterhaltung.  In  Musset 
hat  diese  Literaturgattung  ihren  bedeutendsten,  aber  auch  letzten 
großen  Vertreter  gefunden;  was  manche  seiner  Schöpfungen  so 
wertvoll  macht,  fehlt  bei  manchen  seiner  Vorgänger  fast  voll- 
ständig und  die  ersten  Erzeugnisse  dieser  Art  haben  mit  den 
Werken  des  Meisters  nicht  viel  mehr  gemeinsam  als  den  Namen. 

Über  die  Entstehung  der  Proverbes  dramatiques  ist 
man  bis  heute  zu  keinem  abschließenden  Urteil  gelangt.  Der 
erste  in  Deutschland,  der  diese  Frage  wissenschaftlich  erörterte, 
ist  meines  Wissens  Richard  Werner  in  Berlin.  Die  Ergebnisse 
seiner  Untersuchung  habe  ich,  soweit  es  mir  tunlich  schien,  im 
folgenden  benützt. 

Was  zunächst  die  E  n  t  s  t  e  h  u  n  g  s  z  e  i  t  der  dramatischen 
Sprichwörter  anlangt,  so  läßt  der  Artikel  im  ^,Nouveau  Larousse" 
diese  Dichtungsart  bis  in  die  Zeit  Ludwigs  XIII.  hinaufgehen 
und  erwähnt  auch  die  Stücke,  welche  Frau  von  Maintenon  für 
die  Damen  von  Saint-Cyr  schrieb,  als  hierher  gehörig.  Für  die 
letztere  Annahme  konnte  Werner  keine  Belege  finden  und  er 
glaubt,  daß  es  sich  dabei  um  eine  Verwechslung  mit  den  ^,Loisirs" 
der  genannten  Dame  handle,  die  ebenfalls  in  dialogischer  Form 
abgefaßt  sind.i) 

^)  Werner  p.  5,  Anm.   1. 
Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  1 


2  Hans    Urschlechter. 

In  der  Vorrede  zur  Ausgabe  der  ^^Proverhes  et  Comedies 
posthumes"  vom  Jahre  1825  sagt  die  Gräfin  Genlis,  daß  schon 
,,tres  longtemps  avant  Carmontelle"  eine  gewisse  Frau  Durand 
eine  kleine  Sammlung  von  Proverhes  dramatiques  habe  drucken 
lassen,  die  aber  bald  wieder  in  Vergessenheit  kamen,  da  sie  sehr 
abgeschmackt  waren.-)  Werner  führt  diese  Stelle  auch  an;  für 
ihn  ist  das  ^^tres  longtemps"  ebenso  unklar  wie  belanglos.  Allein 
mit  Hilfe  der  ^.^Bibliographie  Universelle"  können  wir  diesen 
Zeitpunkt  genau  feststellen;  es  heißt  dort  nämhch,  daß  die  Werke 
der  Madame  Durand  im  Jahre  1737  in  Paris  in  6  Bänden  ver- 
öffentlicht worden  seien;  das  ebendort  aufgeführte  Verzeichnis 
gibt  unter  No.  7  an:  „Melanges  de  poesies  et  onze  comedies  pro- 
verhes."  Diese  letzteren  elf  comedies  proverbes  dürfte  wohl  Frau 
von  Genlis  im  Auge  gehabt  haben.  Auf  dem  Britischen  Museum 
in  London  sind  die  ,Peuvres  de  Madame  Durand"  in  6  Bänden 
(Paris  1737)  unter  der  Signatur  ,,12238  e"  vorhanden.  Es  wäre 
mir  interessant  gewesen,  den  Inhalt  dieser  Stücke  kennen  zu 
lernen,  um  zu  sehen,  ob  sie  nicht  doch  irgend  welche  Ähnlich- 
keit mit  den  Proverbes  Carmontelle's  hätten;  allein  trotz  der 
eifrigsten  Nachforschungen  konnte  ich  das  Werk  auf  keiner  der 
deutschen  Bibliotheken  finden.  Einen  Auszug  davon,  betitelt 
,ßeuvres  melees  de  Madame  Durand"  (Paris  1737),  der  sich  auf 
der  Kgl.  öffentlichen  Bibliothek  in  Dresden  befindet,  hatte  ich 
in  Händen;  allein  derselbe  enthält  nicht  eines  von  den  elf  Pro- 
verbes und  so  mußte  ich  es  aufgeben,  dieser  Frage  näher  zu  treten. 

Gleich  diesen  Stücken  der  Frau  Durand  rechnet  Werner 
auch  alle  anderen  Erscheinungen  gleichen  Namens  vor  Carmontelle 
nicht  unter  die  eigentlichen  Proverbes  dramatiques.  Der  Name 
Proverbe  dramatique  war  schon  vorher  sehr  verbreitet;  es  gab 
schon  früher  Stücke,  deren  Titel  ein  Sprichwort  bildete,  aber  das 
waren  nach  Werner  nur  zufällige  Erscheinungen,  die  mit 
den  eigentlichen  dramatischen  Sprichwörtern  nichts  gemeinsam 
hatten.^)  Er  weist  dies  nach  an  den  ,^Oeuvres  dramatiques"  eines 
M.  de  Moissy,  die  1773  in  Berlin  erschienen.  Dieser  Dichter 
gehört  nicht  unter  die  dramatischen,  sondern  unter  die  didak- 
tischen Schriftsteller,  denn  der  Hauptzweck  seiner  Stücke  ist 
die  Moral.  Dasselbe  gilt  von  einer  anderen  Sammlung  „Nouveaux 
proverbes  dramatiques  par  Monsieur  G..."  (Paris  1784),  wo  der 
Verfasser  selbst  von  seinem  Werke  sagt,  es  sei  ,,u}i  ouvrage  dont 
le  principal  but  est  de  porter  la  jeunesse  ä  la  vertu  et  de  l'instruire 
en  l' amüsant"  .^) 

Aus  diesen  Beispielen  mag  man  ersehen,  was  damals  alles 
unter  dem  Namen  Proverbe  dramatique  ging  und  wie  schwierig 


Prov.  et  Com.     tome  I,   p.   III,  note. 

^\^ornop      r\      A.       Anm       1 


-)   Jfrov.  et  vom.     tome 
^)  Werner,  p.  4,  Anm.  1 
*]  Werner,  p.  6  und  7. 


Die  i'ornchmc   französisr/ie   Frau    des  XV III.   Jahrhunderts.        3 

es  ist,  die  Entstehungszeit  dieser  interessanten  Literaturgattung 
genau  festzustellen  Dies  ist  auch  gar  nicht  so  wichtig;  sicher 
ist,  daß  Carmontelle  der  erste  war,  der  als  Verfasser  von  dra- 
matischen Sprichwörtern  einen  grof3en  Ruf  erlangte  und  dieselben 
so  in  die  Mode  brachte,  daß  es  bald  kaum  mehr  eine  Salonbühne 
gab,  auf  der  man  nicht  das  eine  oder  andere  seiner  Stücke  auf- 
führte. Sainte-Beuve  nennt  ihn  ,,/e  grand  ereateur  du  genre"^) 
und  in  dem  Artikel  über  Carmontelle  im  ^,Noui>eau  Larousse" 
heißt  es:  ^^Carmontelle  fut,  d  propremenf  parier^  le  ereateur  de  ce 
genre."  An  einer  Stelle  seiner  ,,Correspondance  liüeraire" ,  wo  er 
sich  mit  den  Werken  Carmontelle's  befaßt,  sagt  Baron  Grimm: 
,,//  etait  le  premier  qui  publiät  des  Proverbes  dramatiqaes."^) 
Lindau  erwähnt  in  seiner  Biographie  Alfred  de  Musset's  Car- 
montelle als  dessen  einzigen  Vorläufer,'^)  was  allerdings  nicht 
ganz  richtig  ist.^) 

Auch  bezüglich  der  Herkunft  der  dramatischen  Sprich- 
wörter gehen  die  Ansichten  auseinander.  Früher  war  man  ge- 
neigt, ihre  Vorbilder  in  den  Adagia  der  Römer  zu  erblicken 
und  so  bringt  auch  der  Herausgeber  der  zweiten  Auflage  der 
Proverbes  dramatiques  Carmontelle's,  in  einem  Anhang  eine 
Abhandlung  „Table  explicative  de  l'origine  et  du  sens  des  Pro- 
verbes contenus  dans  l'ouvrage,  de  leur  concordance  avec  les  adages 
latins,  espagnols  et  italiens,  qui  presentent  le  meme  sens  tnoral", 
in  welchem  er  den  erwähnten  Zusammenhang  herzustellen  ver- 
sucht. Da  aber  der  Hauptzweck  dieser  Adagia,  wie  schon  das 
Wort  sagt,  ein  moralischer  ist,  so  müßten  auch  die  Proverbes 
dramatiques  in  erster  Linie  eine  didaktische  Tendenz  haben. 
Dies  ist  aber,  soweit  wenigstens  die  Stücke  Carmontelle's  in 
Betracht  kommen,  nicht  der  Fall.  Die  gleichfalls  versuchte 
Zurückführung  dieser  Dichtungsart  auf  die  stSuXXca  der  Griechen 
und  die  Atellanen  der  Römer  glaubt  Werner  mit  dem  früher  so 
großen  Bestreben  der  Franzosen,  sich  als  die  echten  und  alleinigen 
Nachkommen  der  klassischen  Nationen  zu  betrachten,  erklären 
zu  können.^) 

Wir  dürfen  also  wohl  annehmen,  daß  Frankreich  die  Heimat 
dieser  Literaturgattung  ist,  wie  diese  ja  auch  fast  ausschließlich 
hier  ihre  Pflege  fand.  Ob  und  inwieweit  ein  Zusammenhang 
zwischen  den  dramatischen  Sprichwörtern  und  der  italienischen 
Comrnedia  deU'arte  besteht,  werde  ich  später  zu  untersuchen 
haben.  Im  folgenden  seien  zwei  Zeugnisse  angeführt,  die  sich 
speziell  auf  die  Dichtungen  Carmontelle's  beziehen  und  Frankreich 

^)   Caus.  du  Lundi,   III,  536. 
^)  Werner,  p.  8. 
^)  ibid. 

^)  Zum  mindesten  müßte  noch  Theodore  Leclecrq  (1777 — 1851) 
erwähnt  werden. 

^)  Werner,  p.  4. 

1* 


4  Hans    Urschlechler. 

als  Entstehungsort  der  Proverbes  dramatiques  angeben;  wir  er- 
fahren aus  ihnen  zugleich  die  Gründe  für  deren  Entstehen. 

In  der  Vorrede  zu  den  ,,Proverbes  et  Comedies  postfiumes" 
sagt  Frau  von  Genlis,  daß  der  Herzog  von  Orleans,  bei  welchem 
Carmontelle  die  Stelle  eines  Vorlesers  bekleidete,  diesen  eines 
Tages  aufgefordert  habe,  eine  Rolle  in  einem  Stücke  zu  über- 
nehmen, das  man  demnächst  aufführen  wollte.  Carmontelle 
lehnte  dies  ab  mit  der  Begründung,  daß  er  eine  auswendig  ge- 
lernte Rolle  nicht  mit  der  notwendigen  Natürlichkeit  spielen 
könnte;  dagegen  erbot  er  sich,  kleine  improvisierte  Stücke  zu 
schreiben,  bei  denen  nur  der  Gang  der  Handlung  skizziert  und 
der  Erfindungsgabe  der  darstellenden  Personen  der  größte  Spiel- 
raum gelassen  war.  Carmontelle  trat  selbst  häufig  in  diesen 
kleinen  Stücken  auf  und  spielte  gewisse  Rollen  sehr  gut,  ,,was 
um  so  schwieriger  war,  als  das  französische  Theater  dafür  keine 
Vorbilder  bot".  ,,Auf  diese  Weise,  fügt  sie  hinzu,  brachte  er 
die  ProQerbes  dramatiques  in  die  Modo  und  schließlich  ließ  er  die 
seinigen  drucken."''^) 

Dem  französischen  Theater  waren  derartige  improvisierte 
Stücke  fremd,  nicht  aber  dem  französischen  Publikum.  Hein- 
rich III.  hatte  die  Truppe  der  Gelosi  nach  Frankreich  kommen 
lassen  und  schon  zur  Zeit,  da  Moliere  noch  ein  Knabe  war,  er- 
freuten sich  die  Vorstellungen  der  italienischen  Commedia  a 
soggetto  einer  großen  Beliebtheit.  Die  Stücke,  welche  die  Italiener 
in  Paris  aufführten,  waren  lustige  Harlekinaden,  in  denen  nur 
der  Gang  der  Handlung  fixiert  war.  Die  Schauspieler  erfanden 
den  Dialog.  ,,Es  war  dies,  sagt  Schneegans,  nicht  so  schwer, 
wie  es  auf  den  ersten  Blick  erscheint,  denn  die  in  jeder  Komödie 
auftretenden  Personen  waren  stehende  Typen.  Jede  Provinz, 
jede  Stadt  Italiens  hatte  ihren  Typus  geliefert.  So  stammte 
aus  dem  gelehrten  Bologna  der  pedantische,  eitle,  in  lateinischen 
Phrasen  sich  ergehende  Dottore,  das  handeltreibende  Venedig 
lieferte  den  alten,  großartig  tuenden,  bald  knauserig  sparsamen, 
bald  galanten,  aber  stets  hintergangenen  Pantalone.  Spanien 
lieferte  den  Capitano  usw.  Doch  diese  Schauspieler  waren  nicht 
bloß  Improvisatoren  von  Witz;  sie  waren  auch  Mimen  und 
Gymnasten  ersten  Ranges.  Sprünge,  Purzelbäume,  Pirouetten 
aller  Art,  Schläge,  Prügel,  Ohrfeigen,  Fußtritte  machten  bei 
diesen  Aufführungen  häufig  den  Hauptspaß  aus".^^)  Diese 
improvisierten  Possen,  —  Gaspary  nennt  sie  Commedia  dell'arte,^-) 
—  mögen  ja,  was  die  Improvisation  anlangt,  Carmontelle  als 
Vorbilder   gedient   haben,    allein   bezüglich    des    Inhalts   dürften 


!•*)   Prov.  et  Com.,  torn?  I,  p.   III  .-l  IV. 
")  H.   Schneegans,  Moliere  S.  29. 

*-)   Gasparv,    Geschichte    der    italienischen    Literatur.     Band     II, 
S.   633  IT. 


Die  vornehme  französische   Fron   des  XVIII.  Jahrhunderts.       5 

die    Proverhes  Garmontelle's   hoch   über   jenen    Schöpfungen   des 
itahenischen    Theaters    gestanden    haben. 

Die  beste  und  jedenfalls  auch  zutreffendste  Erklärung 
für  die  Entstehung  der  dramatischen  Sprichwörter  gibt  das 
Vorwort  des  unbekannten^^)  Herausgebers  der  ,,Noiii'eaux  Pro- 
verbes  dratnaticjues"  vom  Jahre  1811.  Bei  der  Wiedergabe  dieser 
Stelle  muß  ich  etwas  weiter  ausholen  und  einiges  über  das  Gesell- 
schaftsthoater  selbst  sagen;  um  aber  einen  Vergleich  mit  den 
folgenden  Ausführungen  zu  ermöglichen,  lasse  ich  den  Wortlaut 
des    Originals    unten    folgen. ^■^) 

^^')  Jn  dem  Avertissement  zur  Ausgabe  der  „Noiweaux  Pro^'erbes 
dramatiques''  vom  Jahre  1811  heißt  es  u.  a. : 

,,L  e  j  0  n  d  de  c  e  s  p  e  t  i  t  e  s  p  i  e  c  e  s  est  e  n  g  e  n  e  r  a  l 
tres  leger:  tantot  c'est  une  anecdofe,  une  historiette  plaisante,  mise 
en  action;  tantot  c'est  une  Situation  imaginee  qui  met  en  jeu  quelque 
innocent  ridicule  de  caractere,  et  plus  souvent  de  maniere,  de  langage, 
de  projession  ou  de  circonstance.  II  n'y  f  a  u  t  p  o  i  n  t  chercher 
u  n  n  o  e  u  d  b  i  e  n  forme,  n  i  e  n  eonsequence  u  n  d  e  n  o  ü  - 
rn  e  n  t  d'e  f  f  e  t.  C  e  ne  s  t  p  n  i  n  t  u  n  e  c  o  m  b  i  n  a  i  s  o  n  d  r  a  - 
m  a  t  i  q  u  e  ,  q  u  e  C  a  r  m  o  n  t  e  l  l  e  e  t  a  l  e  s  o  u  s  i>  o  s  y  e  u  x  , 
c'e  st  u  n  c  o  i  n  de  l  a  s  o  c  i  e  t  <•  q  ui  l  v  o  u  s  f  a  i  t  r  e  m  a  r  - 
quer,  c^e  s  t  une  a  v  e  n  1  u  r  e  ,  une  conversation  de 
s  a  l  o  n  ,  de  b  o  u  d  o  i  r  ,  de  b  o  u  t  i  q  u  e  ,  de  spectacle,  de 
p  r  0  m  e  n  a  d  e  n  u  de  taut  a  u  t  r  e  l  i  e  u  public,  ä  laquelle 
i  l  V  0  u  s  f  a  i  t  a  s  s  i  s  t  e  r.  C  e  q  u'il  a  v  u  et  e  n  t  e  n  d  u  ,  il 
l  e   r  e  p  «■  t  e   a  v  e  c   I  a   f  i  d  e  l  i  t  e   d^u  n    m  i  r  o  i  r   et  d'u  n   eck  o." 

Die  gesperrt  gedruckten  Partien  der  angeführten  Stelle  finden 
sich  wörtlich  auch  in  dem  Artikel  über  Carmontelle  in  der  Bibliographie 
Universelle,  und  es  heißt  hier,  daß  diese  Worte  von  Auger  herrühren. 
Unter  den  verschiedenen  Trägern  dieses  Namens  kann  hier  nur  Louis- 
Simon  Auger  in  Betracht  kommen,  über  den  es  im  Larousse  heißt: 

Auger  (Louis- Simon),  critique  et  litterateur,  ne  ä  Paris  en  1772, 
mort  en  1829.  II  collabora  ä  un  grand  nombre  de  recueils  et  de  journaux, 
et  publia  divers  ecrits,  dnnt  les  principaux  ont  paru  sous  le  titre  de  ,,Me- 
langes  philosophiques  et  litter aires''  (1828).  Sous  la  Restauration,  il 
entra  ä  V Academie  frangaise  par  ordonnance  royale,  et  en  devint  secre- 
taire  perpetuel.  Atteint  d'une  maladie  nerveuse,  il  disparut  un  jour  de 
oon  domicile  et  se  noya  dans  la  Seine. 

Es  sind  nun  zwei  Möglichkeiten  vorhanden:  entweder  ist  Auger 
selbst  der  Herausgeber  der  ,,Nouveaux  Proverbes  dratnatiques" ,  oder 
der  uns  unbekannte  Herausgeber  hat  diese  Kritik  von  Auger  in  seiner 
Vorrede  verwertet.  Wölcher  dieser  beiden  Fälle  hier  vorliegt,  vermag 
ich  nicht  zu  sagen. 

^*)  ,,Les  Premiers  Proverbes  de  Carmontelle  parurent,  il  y  a  plus 
de  quarante  ans,  ä  une  epoque  oü  la  comedie  etait,  comme  aujourd'hui, 
le  plaisir  ä  la  mode,  et  oü  les  theätres  de  societe  s^ elevaient  de  taute  pari. 
On  n'avait  pas  ete  longtemps  ä  s^apercevoir  que  ces  petits  theätres  ne 
pouvaient  s^accommoder  des  pieces  de  la  Comedie  frangaise;  que,  pour 
bien  jouer  ces  grands  ouvrages,  il  ne  suffisait  pas  d'avoir  reienu  quelques 
inflexions  et  quelques  gestes  des  acteurs  en  reputation,  et  qu'aux  yeux 
d'un  parterre,  plus  poli  que  Vautre,  mais  plus  malin  et  plus  dispose 
encore  ä  punir  les  pretentions  ridicules,  on  etait  necessairement  ecrase 
par  le  souvenir  sans  cesse  renouvele  du  jeu  des  comediens  de  projession. 
Pour  echapper  ä  ces  comparaisons  mortifiantes,  il  ii'y  avait  qu^un  seul 
moyen,  c'etait  de  se  composer  un  repertoire  particulier  de  petites  pieces 


6  Hans  Urschlechter. 

Es  kann  hier  nicht  meine  Aufgabe  sein  eine  Geschichte 
des  Gesellschaftstheaters  in  Frankreich  zu  geben;  ich  verweise 
hierfür  auf  das  Werk  von  Du  Bled  ,,La  Comedie  de  Societe  au 
XVIir  siede",  dem  ich  auch  einige  Angaben  entnehme. 

Die  Anfänge  des  Gesellschaftstheaters  reichen  zurück  bis 
in  die  Zeit  Ludwigs  XIII.,  wo  der  Kardinal  Richelieu  und  die 
Marquise  von  Rambouillet  sich  schon  schauspielerisch  betätigten. i^) 
Als  dem  Adel  durch  Richelieu  jeglicher  Einfluß  auf  die  Regierung 
entzogen  wurde,  blieben  ihm  doch  alle  hohen  und  einträglichen 
Stellen  in  Staat  und  Kirche  vorbehalten.  Die  vornehme  Gesell- 
schaft des  18.  Jahrhunderts  bestand  in  ihrem  überwiegenden 
Teile  aus  einem  glänzenden  Schwärm  von  Männern  und  Frauen, 
die  kein  anderes  Interesse  als  das  Vergnügen  kannten  und  die 
von  Genuß  zu  Genuß  taumelten.  Diese  Gesellschaft,  in  der 
die  Kunst  des  ,,savoir-viv7'e"  höchstes  Lebensprinzip  war,  suchte 
sich  gegenseitig  an  Prunk  und  Luxus  zu  überbieten,  und  Lotheissen 
sagt  von  dem  Leben  dieser  Aristokraten,  daß  es  ,,eine  einzige 
große   Komödie''   gewesen  sei.^*^) 

In  einer  derartigen  Gesellschaft  erfreute  sich  begreiflicher- 
weise das  Theater  einer  ganz  besonderen  Beliebtheit;  neben 
den  großen  Pariser  Theatern  kam  das  Gesellschaftstheater  immer 
mehr  in  Blüte.  Die  heißen  Sommermonate  verbrachte  die  vor- 
nehme Gesellschaft  auf  ihren  Landsitzen;  neben  anderen  Ent- 
behrungen, die  der  verwöhnte  Pariser  auf  dem  Lande  schmerzlich 
empfand,  machte  sich  vor  allem  der  Mangel  einer  Bühne  geltend. 
Was  lag  da  näher  als  sich  für  diesen  Mangel  dadurch  zu  ent- 
schädigen, daß  man  selbst  zum  Schauspieler  wurde  und  die 
Stücke,  die  man  so  oft  auf  den  Bühnen  der  Hauptstadt  hatte 
darstellen  sehen,  mit  seinen  Freunden  und  Bekannten  aufführte  ? 
Verschiedene  Prinzen  und  hohe  Herren,  wie  die  Herzöge  von 
Clermont  und  von  Orleans,  welche  das  ganze  Jahr  über  auf  ihren 
Schlössern  lebten,  hatten  ihre  ständige  Bühne.  Saint- Simon 
erzählt  in  seinen  Memoiren  (annee  170-5  chap.  17),  daß  die  Herzogin 
von  Maine  eine  wahre  Leidenschaft  für  das  Theater  gehabt 
habe.  In  Chatenay,  Glagny  und  Sceaux  sei  sie  aufgetreten 
und  habe  großen  Beifall  geerntet.     Voltaire  schreibt  1752  von 

jaciles  ä  apprendre  et  ä  jouer,  oü  le  ialenl  naliirel  des  acieurs  de  societe 
pul  se  developper  lihrement;  oü  les  iorts  de  la  memoire,  les  fautes  de 
rinexperience,  Vinegalite  des  moyens,  et  le  defaut  d'ensemhle  nuisissent 
moins  ä  Vagrement  de  la  representation;  enfin  oü  il  füt  pernus,  sans 
trop  s'exposer  au  ridicule,  de  montrer  autant  et  aussi  peu  de  disposilions 
naturelles  et  acquises  quon  pourrait  avoir.  Comme  ces  picces  de  peu 
d'etendue  nr  devaient  pas  comporter  un  puissant  interet  dramatique,  il 
fallait  encore  qiCelles  fussent  en  assez  grand  nomhre  pour  que  chacune 
d'elles  ne  reparüt  pas  avant  d^avoir  ete  presque  oubliee." 
(Averlissement  zu  ,,\ouveaux'  Proverbes  dramatiques",  p.  V  et  VI.) 

>&)  Du  Bled,  Soc.  franf.  p.  32. 

^"j  Lotheissen,  Zur  Sittengeschichte  Frankreichs. 


Die  vornehme  französische  Frau  des   XVIII.  Jahrhunderts.        7 

der  damals  76jährigen  Herzogin:  ,,Wenn  sie  einmal  krank  ist, 
80  soll  man,  anstatt  ihr  die  letzte  Ölung  zu  geben,  ein  schönes 
Theaterstück  vor  ihr  aufführen". i'') 

Auch  am  Hofe  in  Versailles  spielte  man  Theater:  ,,Il  y  a 
aussi  ä  Versailles,  les  lundis,  la  comedie  du  Roi,  ou  le  rot  joue, 
Mesdames  de  France,  des  dames  de  la  Cour,  les  princes  et  des  seig- 
neurs,  et  madame  la  marquise  de  Pompadour  pour  qui  eile  se  fait, 
parce  qu'elle  joue  et  declame  parjaitement  bien''.^^)  An  einer  anderen 
Stelle  sagt  Barbier:  ,,Die  Marquise  Pompadour  spielt  sehr  gut; 
deshalb  führen  auch  zu  Versailles  der  König,  die  Prinzessinnen, 
Frau  von  Pompadour,  Damen  und  Herren  des  Hofstaates  Lust- 
spiele auf."  ,, Dieses  Vergnügen,  fügt  er  hinzu,  ist  auch  sonst 
in  Paris  sehr  in  der  Mode."^^)  Bekannt  sind  auch  wegen  ihrer 
Pracht  die  „fetes  de  costume",  welche  Marie  Antoinette,  die  Ge- 
mahlin  Ludwigs   XVL,  in  Trianon   veranstaltete. 

Wie  schon  die  obige  Bemerkung  Barbiers  ersehen  läßt, 
blieb  das  Gesellschaftstheater  nicht  lange  auf  die  höchsten  Kreise 
beschränkt.  Bald  gab  es  keinen  Salon  mehr,  in  dem  man  nicht 
schauspielerte  und  zu  einer  Zeit  zählte  man  in  Paris  160  „theätres 
particuliers.'"'^^)  Lenient  sagt:  ,,//  etait  alors  de  la  fureur  des 
comedies  ce  qu'il  en  etait  de  celle  des  portraits  au  temps  de  Made- 
moiselle  de  Montpensier  ou  de  Mademoiselle  de  Scudery."^^)  „C'est 
une  fureur,  une  folie  que  le  theätre  de  societe  dans  la  seconde  moitie 
du  XV IIP  siede.  Le  goüt  de  jouer  la  comedie  gagne  toutes  les 
classes."^-)  Auch  Du  Bled  bestätigt  diese  rasche  \'^erbreitung 
des  Gesellschaftstheaters:  ,,Le  goüt  de  la  comedie  de  salon  devint 
insensiblement  une  passion,  une  fureur  universelle,  penetrant 
tous  les  ordres  de  la  nation,  ä  tel  point  que  ce  talent  fait  en  quelque 
Sorte  partie  integrante  de  l'education  "-^)  Man  war  damals  Nvirklich 
so  weit  gekommen  im  Gesellschaftstheater  ein  Bildungsmittel 
für  die  Jugend  zu  erblicken;  so  schrieb  auch  die  Gräfin  von 
Genhs  eine  Anzahl  Stücke  für  Kinder.  Wie  allgemein  verbreitet 
die  Sucht  des  Theaterspielens  damals  war,  mag  folgende  Tat- 
sache zeigen:  ein  Mönch  schreibt  dem  Dichter  Colle,  daß  er  und 
einige  seiner  Mitbrüder  die  Absicht  hätten,  die  „Partie  de  chasse 
de  Henri  IV"  aufzuführen,  ,,ohne  Vorwissen  der  Heuchler  und 
beschränkten    Köpfe. "-^) 

Was  nun  die  ^Stücke  betrifft,  die  auf  den  Gesellschaftsbühnen 
aufgeführt  wurden,  so  ist  es  natürlich,  daß  man  zuerst  Stücke 

*')  Caus.  du  Lundi,   III,  219. 

'8)  Barbier,  lY,  231. 

19)  Barbier,  IV,  279. 

-0)  Du  Bled,  Cotn.  Soc.  p.  2. 

21)  Lenient,  Band  II,   S.  2. 

-2)  Gonc,  p.   13. 

23)  Du  Bled,  Com.  Soc.  p.   1   und  2. 

-^)  Lotheissen,  p.  2. 


8  Haus   Urschlechter. 

hernahm,  die  in  der  Comedie  und  den  sonstigen  großen  Theatern 
gegeben  wurden.  Dabei  hatte  man  ja  den  großen  Vorteil,  daß 
man  Schauspieler  von  Beruf  zu  Vorbildern  hatte.  Diese  möglichst 
getreu  nachzuahmen  war  das  Bestreben  der  adligen  Dilettanten 
und  manche  Dame,  die  ihren  Ehrgeiz  darein  setzte  auf  der  Bühne 
wirklich  etwas  Gutes  zu  leisten,  studierte  ihre  Rollen  mit  Berufs- 
schauspielerinnen ein.  Es  läßt  sich  wohl  denken,  daß  man  bei  der 
vielen  Mühe,  die  man  sich  oft  gab,  einer  guten  Theateraufführung 
bisweilen  ziemlich  nahe  kam;  allein  in  der  Regel  mußte  der 
Vergleich  zwischen  einer  Vorstellung  im  Theater  und  einer  solchen 
im  Salon  naturgemäß  zum  Nachteile  der  letzteren  ausfallen, 
denn  nur  selten  dürften  sich  diese  Dilettanten  so  in  ihre  Rollen 
hineingelebt  haben  wie  ein  Schauspieler  auch  nur  zweiter  oder 
dritter  Güte.  Das  Publikum  dieser  Salonaufführungen  war 
zwar  weniger  zahlreich  als  in  einem  öffentlichen  Theater,  dafür 
aber  gewählter  und  viel  mehr  zur  Kritik  geneigt.  Dazu  mochten 
persönliche  Momente  kommen,  die  an  der  einen  oder  andern 
der  auftretenden  Personen  kleine  Fehler  und  Lächerlichkeiten 
um  so  stärker  hervortreten  ließen.  Der  Vergleich  mit  dem 
Theater  lag  jeden  Augenblick  nahe  und  es  mußte  komisch  wirken, 
wenn  ein  Darsteller  diese  oder  jene  Geste  eines  gefeierten  Schau- 
spielers vortrefflich  nachahmte,  im  übrigen  aber  seiner  Rolle 
nicht  gew^achsen  war. 

Noch  ein  weiterer  wichtiger  Faktor  kam  hinzu  um  die  Auf- 
führung größerer  Stücke  im  Salon  zu  erschweren.  Ohne  ein 
gutes  Auswendiglernen  war  eine  auch  nur  leidliche  Wiedergabe 
der  oft  sehr  umfangreichen  Rollen  schlechterdings  unmöglich. 
Nun  war  aber,  wie  wir  später  sehen  werden,  der  Tag  der  vor- 
nehmen Damen  und  Herren  mit  gesellschafthchen  VerpfUchtungen 
so  ausgefüllt,  daß  ihnen  nicht  die  Zeit  zu  einer  täglichen  mehr- 
stündigen Geistesarbeit  verblieb,  \\ie  sie  das  Auswendiglernen 
der  Rollen  erheischt  hätte. 

Diese  verschiedenen  Umstände  verleideten  der  Gesellschaft 
nach  und  nach  den  Geschmack  an  der  Aufführung  umfangreicher 
Stücke  und  legten  den  Gedanken  nahe,  sich  ein  eigenes  Repertoir 
für  die  Salonbühnen  zu  schaffen.  Diese  neuen  Theaterstücke 
mußten  verschiedene  Eigenschaften  haben:  sie  mußten  kurz 
und  infolgedessen  leicht  zu  lernen  sein,  ihre  Aufführung  durfte 
keine  großen  Anforderungen  an  die  Bühnentechnik  stellen; 
sie  mußten  so  angelegt  sein,  daß  kleinere  Mängel  und  Ungenauig- 
keiten,  wie  sie  sich  aus  der  Ungeübtheit  der  Darsteller  vielfach 
ergaben,  den  Gesamteindruck  nicht  allzu  sehr  gefährden 
konnten;  dazu  war  vor  allem  nötig,  daß  man  sich  nicht 
sklavisch  an  den  Text  zu  halten  brauchte,  daß  vielmehr 
dem  Talent  der  einzelnen  Darsteller  ein  ziemlicher  Spielraum 
gelassen  war. 


Die  vornehitie   französischi'   Frau    des   Will.  Jaltrhunderts.        9 

~^  Soweit  es  nun  möglich  war,  all  diesen  Anforderungen  zu- 
gleich gerecht  zu  werden,  geschah  diesindenProverbesdramatiques. 
Betrachten  wir  zunächst  die  Definition,  welche  Sainte-Beuve 
von  dieser  Dichtungsart  gibt: 

,,Le  Proverbe  dramatique  ä  l'origine  et  dans  le  veritable  esprit 
du  gejire,  cetait  une  scene  ou  plusieurs  scenes  qu'on  ecrivaii  ou 
que  souvent  on  improvisait  entre  soi  et  sur  un  simple  canevas,  et 
qui  renferinait  un  petit  secret.  Ce  secret  etait  le  mot  meme  du  Proverbe., 
mot  qui  etait  enveloppe  dans  l'action  et  qu'il  s'agissait  de  deviner."^^) 

Verschiedene  für  das  Wesen  der  dramatischen  Sprichwörter 
charakteristische  Ausdrücke  dieser  Definition  erfordern  eine 
nähere  Betrachtung.  Der  Umfang  der  Stücke  ist  nicht  bedeutend : 
einige,  oft  nur  eine  einzige  Szene.  Bei  dieser  Kürze  ist  es  möglich, 
daß  z.  B.  die  vier  Bände  der  Proverbes  dramatiques  nicht  weniger 
als   103   Stücke  enthalten. 

Sodann  ist  das  ,,improviser"  wichtig;  der  Darsteller  ist  nicht 
an  den  Text  seiner  Vorlage  gebunden  —  oft  ist  ein  solcher 
gar  nicht  vorhanden  — ,  sondern  er  kann  nach  Belieben  hinzu- 
fügen oder  weglassen,  hier  ein  geistreiches  Wort  einflechten 
und  dort  durch  einen  witzigen  Einfall  glänzen.  Wie  Carmontelle 
die  Improvisation  auffaßt,  sagt  er  selbst  in  einer  ,, Lettre  de  l'Auteur 
ä  Madame  de  *  ^  *",  welche  in  der  Ausgabe  der  ,,Proverbes  dra- 
matiques" enthalten  ist;  es  heißt  dort:  „Quand  le  proverbe  est 
compose  d'un  certain  nombre  de  scenes,  il  n'y  a  pas  de  mal  de  faire 
un  canevas  dans  sa  tete  ou  par  ecrit;  c'est  ce  que  les  Italiens  appellent 
,,scennario" .  On  le  divise  par  scenes,  et  Von  y  explique  ce  qui 
fait  le  fond  de  chaque  seine.  Cetait  de  ces  especes  de  canevas, 
madame,  que  j'avais  projete  de  vous  envoyer,  j'en  avais  ramasse 
beaucoup,  et  je  me  promettais  d'en  faire  aussi  d'apres  plusieurs 
idees  qui  me  sont  ve.nues.  Apres  avoir  fait  un  certain  nombre  de 
ces  canevas,  je  les  ai  trouves  froids  et  peu  propres  ä  vous  amuser. 
J'ai  essaye  de  les  dialoguer,  pour  vous  donner  des  idees  plus  com- 
pletes  de  la  maniere  dont  il  faut  jouer  les  proverbes." 

Dafür,  wie  aus  einem  und  demselben  Grundgedanken  zwei 
verschiedene  Stücke  werden,  bieten  uns  die  Proverbes  Carmontelle 's 
ein  Beispiel.  ,,La  marchande  de  cerises"-^)  und  „La  foire  Saint- 
Germain^'^'^)  behandeln  beide  den  nämlichen  Stoff:  ein  Offizier 
sucht  einem  Bürgersmädchen  einen  Liebesbrief  zuzustecken 
und  lenkt  mit  Hilfe  einer  Kirschenverkäuferin  die  Aufmerksam- 
keit der  Mutter  von  seinem  heimlichen  Tun  ab.  Während  nun 
das  erste  Stück  diesen  Vorgang  ziemlich  kurz  darstellt,  ist  in 
das  zweite  eine  sehr  anschauliche  Schilderung  eines  Jahrmarktes 
verflochten,    wodurch   sich    der   Umfang   mehr   als   verdoppelt. 

^^)  Caus.  du  Lundi,   III,  536. 

26)   Prov.  No.  73. 

2^)  Nouv.  Prov.     tome  I,  No.  12. 


10  Hans   Urschlechter. 

Die  Unterhaltung  —  von  einer  Handlung  kann  man  in  vielen 
Fällen  nicht  reden,  —  dreht  sich  meist  um  etwas  recht  Unbe- 
deutendes; irgend  eine  Lächerhchkeit  in  dem  Charakter  einer 
Person,  Gespräche  im  Theater  oder  im  Salon,  ein  harmloses 
Abenteuer  oder  irgend  eine  Tagesneuigkeit  geben  den  Stoff  zu 
diesen  kleinen  Konversationsstücken. 

Was  endlich  das  proverbe  oder,  wie  Saint-Beuve  es  nennt, 
das  secret  anlangt,  das  dem  Stück  zugrunde  liegt,  so  sagt  Gar- 
inontelle  hierüber  in  der  schon  erwähnten  ^^Lettre  de  VAuteiir": 
,,Z/e  mot  du  proverbe  doil  etre  enveloppe  dans  Vaclion^  de  maiiiere 
que  si  les  spectateurs  ne  le  devinent  pas,  ü  faut,  lorsqu'on  le  leiir 
du,  qu'ils  s'ecrient :  ah !  c'est  vrai :  comme  lorsqu'on  dit  le  mot 
d'une  enigme  que  Von  n'a  pu  irouver."  Das  in  dem  Stücke  ver- 
borgene Spi'ichwort  hatte  wohl  hauptsächlich  den  Zweck,  das 
Interesse  zu  erhöhen;  später  bekam  davon  die  ganze  Dichtungs- 
gattung ihren  Namen. 

Dies  sind  in  Kürze  die  wesentlichen  Eigenschaften  der 
Proverbes  dramatiques;  bei  dem  Mangel  an  passenden  Stücken 
mußte  sich  diese  Dichtungsart  bald  großer  Beliebtheit  erfreuen. 
Dies  war  bei  dem  Werke  Carmontelle's  auch  tatsächlich  der 
Fall  und  die  Beurteilung,  welche  dasselbe  bei  der  Mit-  und  Nach- 
welt fand,  ist  für  den  Verfasser  ungemein  schmeichelhaft.  Baron 
Grimm  urteilt  darüber  in  seiner  ,,Correspondance  litteraire" :  „IIa 
de  la  verite  dans  ses  caracteres  et  du  naturel  dans  son  dialogue; 
ü  saisit  bien  les  ridicules  et  ü  a  assez  de  causticite  dans  l'espril 
pour  les  bien  rendre."  Das  „Dictionnaire  biographique"  von 
Chaudon  und  Delandine  ist  voll  des  Lobes:  ,,Ce  sont  de  petits 
drames  remplis  d'interet,  de  finesse,  d'esprü  d'observation  et  d'apergus 
rnoraux."  Robert  Falk  sagt  in  seinem  Buche  ,,Zur  Geschichte 
des  Liebhaber theaters"  in  bezug  auf  Carmontelle:  ,,Mehr  als  hundert 
kleine  Stücke  hat  er  uns  hinterlassen,  alle  voller  Esprit  und  Witz. 2^) 

Werner  bedauert,  diesem  allgemeinen  Lobe  nicht  beipflichten 
zu  können.  Er  glaubt,  daß  Carmontelle's  dramatische  Sprich- 
wörter auch  recht  mäßigen  Anforderungen  nicht  gerecht  zu  werden 
vermögen;  besonders  die  Hauptsammlung  ,,  Prouerbes  dramatiques" 
bezeichnet  er  als  ganz  wertlos:  ,,Die  meisten  der  gewöhnlich  nur 
wenige  Seiten  umfassenden  Stücke  sind  bis  zur  Albernheit  trivial ; 
das  Sprichwort  ist  oft  in  seiner  wörtlichen  Bedeutung  genommen, 
und  eine  ganz  kurze  ,, Handlung"  dient  zur  Erläuterung;  der 
Dialog  ist  uninteressant,  eine  Charakteristik  meist  kaum  ver- 
sucht."29) 

Auf  alle  Einzelheiten  einzugehen,  durch  welche  Werner  sein 
abfälliges  Urteil  zu  begründen  sucht,  würde  zu  weit  führen.     Es 

-**)  Alle  diese  Angaben  sind  Werner's  Abhandlung  (S.  8)  ent- 
nommen. 

29)  Werner,   S.  9. 


Die  vornelnne.  französische  Frau  des    XVIII.  Jahrhunderts.      11 

ist  dies  auch  gar  nicht  nötig,  denn  wie  er  dazu  kommt,  dem  Werke 
Carmontelle's  jeden  Wert  abzusprechen,  wird  uns  klar,  wenn  wir 
gegen  den  Schluß  seiner  Abhandlung  die  Worte  lesen:  ,,Car- 
montello  schildert  die  Situationen,  wie  er  sie  gesehen,  er  weiß 
die  Wahrheit  nicht  gefällig,  noch  viel  weniger  schön  zu  gestalten 
—  er  ist  kein  Künstler. "^^) 

Für  Werner  kommt  also  —  das  geht  aus  seinen  Worten 
klai-  hervor,  —  einzig  und  allein  der  literarische  W^ert  der  dra- 
matischen Sprichwörter  in  Betracht  und  von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  läßt  sich  sein  hartes  Urteil  begreifen.  Gewiß,  ein 
Künstler  ist  Carmontelle  nicht;  aber  wollte  er  denn  überhaupt 
einer  sein  ?  Die  folgenden  Worte  der  ,, Lettre  de  l'Auteur"  sprechen 
für  das  Gegenteil:  ,,Dans  ces  dialogues,  je  n'ai  cherche  ä  mettre 
que  le  ton  de  la  conversation,  et  je  ne  me  suis  point  applique  ä  faire 
de  belies  phrases,  parce  qu'il  n'en  faut  point  faire  en  jouant  les 
proverbes  :  ce  qu'il  y  a  d'essentiel,  c'est  que  chaque  acteur  parle 
suivant  le  genre  de  son  röle\  ainsi  ce  n'est  pas  du  style  que  vous 
trouverez  ici,  mais  un  grand  desir  d'avoir  le  ton  de  la  verite." 

Carmontelle  kommt  es  also  weniger  darauf  an,  wie  er  das 
oder  jenes  möghchst  gefälhg  darstellen  könnte,  als  vielmehr 
darauf,  daß  das  Dargestellte  naturwahr  sei.  Was  somit  seine 
Werke  an  literarischem  Wert  verlieren,  gewinnen  sie  an  kultur- 
historischer Bedeutung.  Je  weniger  in  ihnen  die  schöpferische 
Kraft  des  Dichters  zutage  tritt,  je  getreuer  sie  Gesehenes  und 
Gehörtes  darstellen,  desto  größer  wird  ihr  Wert  für  denjenigen, 
der  in  ihnen  Zeugnisse  für  die  Sitten  und  Gebräuche  der  damaligen 
Zeit  erblickt.  Daraus,  daß  zuweilen  Trivialitäten  mit  unterlaufen, 
w^ollen  wir  ihm  keinen  besonderen  Vorwurf  machen;  für  uns 
handelt  es  sich  in  erster  Linie  darum,  w  a  s  dargestellt  wird ; 
w  i  e    es  dargestellt  wird,  tritt  dabei  in  den  Hintergrund. 

Carmontelle^^)  hatte  als  Vorleser  und  Festordner  des  Herzogs 
von  Orleans  überreiche  Gelegenheit,  das  Leben  und  Treiben  der 
vornehmen  Kreise  zu  beobachten.  Da  sein  Herr  ihn  mehr  als 
Freund  denn  als  Untergebenen  behandelte,  durfte  er  regelmäßig 
an  den  Abendgesellschaften  teilnehmen  und  sich  an  der  Unter- 
haltung beteiligen.  Man  unterhielt  sich  gerne  mit  ihm  und 
fragte  ihn  nicht  selten  um  sein  Urteil  über  dies  oder  jenes. ^^) 
Außerdem  w^ar  er  ein  vortrefflicher  Zeichner:  er  verfertigte 
Transparente,  die  vielfach  Szenen  aus  seinen  Proverbes  dar- 
stellten, und  führte  sie  mit  Hilfe  einer  Laterna  magica  den  Gästen 
des  Herzogs  vor.^S)  Als  Porträtmaler  zeichnete  er  sich  besonders 
aus:  von  allen  bedeutenden  Persönlichkeiten  seiner  Zeit  hat  er 

30)  Werner,  p.  24. 

3')  Carmontelle  (Louis  Carrogis  dit)  wurde  am  25.  August  1717 
in  Paris  geboren  und  starb  dort  am  26.  November  1806. 
32)   Prov.  et  Com.   I,  p.  V. 
^3)   Prov.  et  Com.   I,  p.  VI. 


12  Hans  Urschlechter. 

Porträts  gemalt  und  nach  diesen  wnirden  die  Bilder  gestochen, 
welche  die  ,,Correspondances"  der  Madame  du  Deffand  und  des 
Barons  Grimm  zieren.-^*) 

Als  Schriftsteller  war  Garmontelle  äußerst  fruchtbar.  Außer 
den  Werken,  die  er  drucken  ließ  (acht  an  der  Zahl),  schrieb  er 
noch  eine  Unmenge  von  Skizzen  und  Entwürfen,  aus  denen 
manche  der  späteren  Schriftsteller  die  Stoffe  zu  ihren  Stücken 
entlehnten.  Seine  Manuskripte,  so  wird  versichert,  hätten 
hundert  Bände  füllen  können.-^^) 

Die  letzten  Lebensjahre  Carmontelle's  waren  unglücklich; 
er  geriet  in  die  größte  Not  und  er  sah  sich  gezwungen,  wollte  er 
nicht  Hungers  sterben,  seine  Werke  im  Mont-de-Pitie  zu  ver- 
setzen.3^) 

Daß  ein  so  vielseitiger  Mann  durchaus  geeignet  war,  das 
Leben  der  vornehmen  Kreise  wahrheitsgetreu  darzustellen, 
unterliegt  keinem  Zweifel.  Eine  eingehende  Beschäftigung  mit 
seinen  Werken  führt  zu  der  Überzeugung,  daß  ihm  dies  vor- 
züglich gelungen  ist,  und  das  Urteil,  das  Sainte-Beuve  über  die 
Proverhes  dramatiques  Theodore  Leclercq's  fällt:  ,,....  surtout  ils 
seront  un  commentaire  vwant  et  iine  explication  animee  des  pre- 
tentions  et  des  travers  d'iine  epoque  :  c'est  lä  ce  qiie  j'appelle  les 
vignetles  amüsantes  et  vraies  de  lliistoire""^"^)  läßt  sich  auch  auf 
die  dramatischen  Sprichwörter  Carmontelle's  anwenden.  All  die 
scheinbar  großen  Nachteile,  die  Werner  ihm  vorwirft,  erscheinen 
unter  diesem  Gesichtspunkte  gar  nicht  so  groß;  ja  man  kann 
sogar  mit  der  Gräfin  Genlis  der  Ansicht  sein,  daß  eine  gesuchtere 
Ausdrucksweise  den   Stücken  hätte  schaden  können. 

Was  endlich  den  Charakter  Carmontelle's  anlangt,  so  spendet 
ihm  Frau  von  Genlis,  die  fünfzehn  Jahre  hindurch  fast  täglich 

mit  ihm  verkehrte,  das  schönste  Lob:*,, peindre  son  carac- 

täre,  parier  de  sa  conduite,  de  son  esprit^  de  ses  talents,  ce  sera  le 
Iniier."^^) 

Zum  Schlüsse  noch  eine  kurze  Bemerkung  über  die  Wahl 
des  Themas. 

Man  hat  das  18.  Jahrhundert  nach  seinen  charakteristischen 
Merkmalen  das  Jahrhundert  der  Aufklärung  genannt;  man  könnte 
es  fast  ebenso  richtig  das  Jahrhundert  der  Frauen  nennen.  In 
Frankreich  stieg  um  diese  Zeit  die  Macht  der  Frauen,  nicht  allein 
in  der  Gesellschaft,  sondern  auch  auf  geistigem  Gebiete,  ja  selbst  im 
Staatsleben  zu  einer  Höhe,  wie  sie  weder  vorher  noch  nachher 
je  wieder  erreicht  wurde.     Julia  Kavanagh  schildert  den  unge- 

^*)  Bibliographie  universelle. 

=*ö)  ibid. 

^"j  Bibliographie  universelle. 

3')  Caus.  du  Lundi,  III,  526. 

38)  Prov.  et  Com.   I,  p.   I. 


Die  vornehme   französische   Frau  des  XVI JI.   Jahrhunderts.      13 

heuren  Einfluß  der  Frauen  des  18.  Jahrhunderts  sehr  treffend: 
„They  ruled  society,  as  women  of  the  world\  the  empire  of  letters, 
as  patronesses  of  the  fine  arts;  the  State  as  favourites  and  advisers 
of  kings.  They  gave  the  tone  to  feeling,  phUosophy,  and  thought. 
Their  caprice  made  wars  and  signed  treaties  of  peace.  They  hastened 
the  fall  of  a  Monarchy  and  the  outbreak  of  the  greatest  revolution 
of  modern  times"^^) 

Diesen  tatsächlichen  Verhältnissen  entsprechend  nimmt 
auch  in  dem  ungemein  abwechslungsreichen  Bilde,  das  Carmon- 
telle  von  der  Gesellschaft  seiner  Zeit  ent\\'irft,  die  Schilderung 
der  Frau  den  breitesten  Raum  ein.  In  einer  schier  endlosen 
Fülle  von  Gestalten  tritt  sie  uns  entgegen  und  weiß  immer  wieder 
unser  Interesse  zu  erwecken.  Die  charakteristischen  Züge  all 
dieser  mannigfaltigen  Erscheinungsweisen  zu  einem  Bilde  zu 
vereinigen,  ist  der  Zweck  der  nachfolgenden  .\bhandlung. 


I.  Das  Mädchen. 

Das  junge  Mädchen  wird  in  den  Proverbes  dramatiques  nur 
nebenbei  erwähnt  und  aus  den  gelegentlichen  Äußerungen  der 
Mütter  gewinnen  wir  fast  immer  den  Eindruck,  als  ob  diese  in 
ihren  Kindern  eine  mehr  oder  minder  große  Last  erblickten, 
durch  welche  sie  sich  in  ihrer  Bewegungsfreiheit  behindert  fühlen. 

Im  allgemeinen  kümmert  sich  die  vornehme  Frau  nicht 
allzu  viel  um  die  Erziehung  ihres  Töchterchens.  Gleich  nach  der 
Geburt  wird  dieses  einer  Amme  übergeben,  der  auch  die  ganze 
Sorge  für  das  kleine  Wesen  obliegt.  Daß  die  vornehme  Mutter 
ihr  Kind  selbst  stillt,  ist  eine  Seltenheit  und  wird,  wenn  es  einmal 
vorkommt,  als  etwas  Ungewöhnliches,  fast  Unerhörtes  ange- 
staunt.^*^) Der  Beweggrund  dazu  ist  wohl  weniger  in  dem  edlen 
Verlangen  zu  suchen,  dem  Kinde  die  Segnungen  der  Muttermilch 
angedeihen  zu  lassen,  als  vielmehr  in  der  Anwandlung  einer  bloßen 
Laune;  das  geht  schon  daraus  hervor,  daß  sie  sich  dadurch  nicht 
abhalten  läßt,  an  allen  Vergnügungen  teilzunehmen.  Obwohl 
ihre  Milch  schlecht  ist,  widersteht  sie  hartnäckig  dem  Drängen 
ihrer  Verwandten,  eine  Amme  zu  nehmen;  dagegen  hält  sie  für 
die  Kleine  zwei  Wiegefrauen. •*^) 

Später  erhält  das  Mädchen  eine  Gouvernante  und  dieser 
fällt  die  Aufgabe  zu,  aus  ihrer  Pflegebefohlenen  eine  kleine  Dame 
zu  machen.  Bis  zum  neunten  oder  zehnten  Jahre  hat  sie  die 
Erziehung  und  Ausbildung  des  Mädchens  zu  leiten.     Auch  über 

^^)   Kavanagh,  I,  p.   1. 
■**^)   Pro(^.  et  Com.   II,  206. 
■")   Prov.  et  Com.  II,  206,07. 


14  Hans   Ur schlechter. 

diese  Zeit  erfahren  wir  bei  Carmontelle  recht  wenig.  Daß  der 
Unterricht  im  Tanzen  schon  ziemüch  früh  begann,  zeigt  die 
Erwähnung,  daß  die  erst  zehnjährige  Nichte  eines  Abbe  schon 
verschiedene  Bälle  mitgemacht  habe.  Damit  sie  auch  noch  zu 
anderen  eingeladen  werde,  will  ihre  Mutter  nun  ebenfalls  einen 
Ball  geben.42) 

Seine  Mutter  sieht  das  junge  Mädchen  nur  selten.  Die 
Frau,  die  den  Tag  über  unzählige  Besuche  empfängt,  die  zu 
ihrer  Unterhaltung  Papageien  und  Schoßhündchen  hält,  hat  kaum 
einige  Minuten  für  ihre  Tochter  übrig.  Befaßt  sie  sich  ja  einmal 
mehr  mit  der  Erziehung  ihres  Kindes,  so  geschieht  dies  einzig 
zu  dem  Zwecke,  ihm  ihre  eigenen  Grundsätze  einzupflanzen.  Ist 
die  Frau  eine  ^,sacante",  so  will  sie  auch  aus  ihrer  Tochter  eine 
Gelehrte  machen.  Wenn  nun  die  Fortschritte  des  Mädchens  den 
Wünschen  der  Mutter  nicht  entsprechen,  so  wird  diese  ungeduldig 
und  ruft  ärgerlich  aus:  ,,Wie  albern  du  heute  wieder  bist!  Gehe 
auf  dein  Zimmer  und  mache  Verse!"  Die  schnippische  Antwort 
der  Kleinen:  ,,Foi7d  bien  de  qiioi  tJi  inspirer !"  wirft  ein  eigen- 
tümliches Licht  auf  das  Verhältnis  zwischen  Mutter  und  Tochter .^"^) 

Mit  dem  zehnten  Jahre  ist  die  häusliche  Erziehung  des 
adeligen  Mädchens  in  der  Regel  beendet  und  nur  selten  finden 
wir,  daß  es  auch  nach  diesem  Zeitpunkte  seine  weitere  Aus- 
bildung im  Elternhause  erhält.  Die  zahlreichen  Lehrer,  die  man 
halten  muß,  kosten  viel  Geld  und  nicht  jede  Familie  will  sich  so 
große  Ausgaben  für  diesen  Zweck  aufbürden."*'')  Auch  ist  die 
Meinung,  die  man  damals  vielfach  von  den  Lehrern  hatte,  für 
die  letzteren  nicht  gerade  schmeichelhaft:  ,,Nur  eine  Sorge  be- 
schäftigt sie,  nämlich  wie  sie  die  Stunde  herumbringen  sollen; 
ihr  Unterricht  ist  trocken,  ohne  Zusammenhang  und  eher  lang- 
weilig als  nutzbringend."*^) 

Da  ist  es  doch  viel  bequemer  und  sicherer,  das  junge  Mädchen 
in  eines  der  zahlreichen  Klöster  zu  schicken,  die  sich  mit  der 
Erziehung  der  vornehmen  weiblichen  Jugend  befassen.  Wer 
etwa  die  Erziehungshäuser,  in  welche  der  französische  Adel  des 
18.  Jahrhunderts  seine  Töchter  gab,  mit  den  klösterlichen  Insti- 
tuten unserer  Tage  vergleichen  wollte,  würde  ein  ganz  falsches 
Bild  bekommen.  Hier  strenge  Regeln,  die  den  Verkehr  mit  der 
Außenwelt  so  weit  als  möglich  ausschließen,  dort  eine  Vorschule 
für  das  Leben  in  der  Gesellschaft,  ein  Zwischending  zwischen 
Weltleben  und  klösterlicher  Zurückgezogenheit.  In  den  besuch- 
testen Straßen  von  Paris  gelegen,  hallen  sie  beständig  wieder  vom 
Lärm  der  Großstadt  und  stehen  in  lebhafter  Verbindung  mit  der 

*^)  Prov.  et  Coiu.   II,   152. 

^'^)  Prov.  et  Com.   II,   124. 

^*)  Nouv.   Prov.   I,  206. 

*"•>)  Nouv.   Prov.   I.  267. 


Die  vornehme  französische  Frau    des  XVJII.   Jahrlninderts.      15 

Außenwelt.  Die  Ausbildung,  welche  die  jungen  Mädchen  hier 
erhalten,  entspricht  vollkommen  dem  Charakter  dieser  Häuser; 
sie  ist  halb  weltlich  und  halb  religiös.  Bei  Goncourt  findet  sich 
eine  sehr  treffende  Schilderung  dieser  Üoppelerziehung:  ,, Partout 
c'est  une  education  flottant  entre  la  mondanite  et  le  renoncement, 
entre  la  retraite  et  les  talents  da  siede,  une  education  qui  va  de 
Dieu  d  un  maitre  d'agrement.  de  la  meditation  ä  une  lecon  de  reve- 
rence.''**') 

In  dem  Proverl)  ..Le  malentendu"  führt  uns  Carmontelle  in 
eines  dieser  Erziehungshäuser.  Die  Klosterfrauen  sind  zwar  ein 
wenig  plauderhaft  und  selbstgefällig  —  so  fühlt  sich  z.  B.  eine 
von  ihnen  sehr  geschmeichelt  durch  das  Lob  des  Doktors  Februgin, 
daß  sie  den  besten  cafe  ä  la  creme  zu  machen  verstehe,  —  aber 
sie  sind  nachsichtig  und  liebevoll  gegen  ihre  Schutzbefohlenen. 
Die  Äbtissin  ist  eine  gute  alte  Dame,  welche  die  ihrer  Fürsorge 
anvertrauten  Mädchen  wie  eine  Mutter  liebt  und  ihnen  Kose- 
namen gibt.  Die  Zöglinge  haben  ihrerseits  hohe  Achtung  vor 
ihr  und  benehmen  sich  in  ihrer  Gegenwart  sehr  artig.  Eine  kleine 
Schülerin,  namens  Julia,  hat  eine  schwere  Krankheit  durch- 
gemacht und  wird  in  ein  Zimmer  gerufen,  wo  die  Äbtissin  und 
der  Hausarzt  sie  erwarten.  Die  Anwesenheit  der  ersteren  macht 
sie  fast  furchtsam;  kaum  aber  hat  sie  das  Zimmer  verlassen,  so 
kehrt  ihr  jugendlicher  Mutwille  wieder,  zu  dessen  Zielscheibe  sie 
den  Arzt  macht.  Die  Schwestern  lächeln  über  den  kindhchen 
Scherz  und  die  ganze  Strafe,  die  man  ihr  auferlegt,  besteht  darin, 
daß  sie  dem  Doktor  Abbitte  leisten  muß.^") 

Für  viele  Mädchen  hat  dieses  Leben  im  Kloster  etwas  unge- 
mein Anziehendes  und  bleibt  für  sie  oft  bestimmend  für  ihr 
späteres  Leben.  Hier  sind  sie  der  Tadelsucht  einer  launischen 
Mutter  entrückt  und  erkennen  die  kleinen  Vergnügimgen  dankbar 
an,  die  wohlwollende  Lehrerinnen  ihnen  gewähren.  Häufige 
Spaziergänge  und  Erholungen  wechseln  mit  ernsten  Unterrichts- 
stunden ab ;  die  Veilchen  und  Reseden  des  Klostergartens  wecken 
in  den  Mädchen  den  Sinn  für  die  Natur  ;-^'^)  es  bereitet  ihnen 
großes  Vergnügen,  wenn  sie  den  Hühnern  Brot  vorwerfen  dürfen.'*^) 
Noch  in  späteren  Jahren  denkt  die  Frau  gerne  an  die  im  Kloster 
verbrachten  Jahre  zurück  und  diese  Zeit  muß  für  sie  viel  des 
Angenehmen  gehabt  haben,  da  sie  dieselbe  ,,die  Morgenröte  des 
Lebens'"  nennt,  die  Zeit.  ,,in  der  man  sich  seines  Daseins  be- 
wußt wird. '"50) 

Wie  wenig  die  Mädchen  vom  \'erkehr  mit  der  Außenwelt 
abgeschlossen  sind,  beweist  der  L'Uistand,  daß  sie  zuweilen  von 

*^)  Goncourt.  p.   19. 

*')  Proi'.  I,  No.  95. 

*^)  Prov.  et  Com.   I,  284. 

^^)  Prov.  et  Com.   III,   100. 

^"l  Prov.  et  Com.   I,  284. 


1 6  Hans   Urschlechier. 

jungen  Männern  besucht  werden,  die  ihnen  Veilchen  und  andere 
Blumen  bringen.''^) 

Die  Früchte  dieser  klösterlichen  Erziehung  sind  oft  sehr 
gute.  So  manches  Mädchen  lernt  hier  wahre  Herzensgüte  kennen, 
Teilnahme  für  die  Notleidenden  aus  den  unteren  Volksschichten, 
Dankbarkeit  gegen  seine  Lehrer,  mit  denen  es  sich  ohne  Rück- 
sicht auf  die  in  der  Gesellschaft  geltenden  Gesetze,  die  einen 
solchen  Verkehr  als  nicht  standesgemäß  verbieten,  gern  unter- 
hält. Auch  sein  Wissen  ist  ein  umfassendes  und  gründliches 
und  das  Mädchen  benutzt  jede  Gelegenheit,  um  dasselbe  im 
Verkehr  mit  gebildeten  Männern  zu  erweitern.^^)  Wenn  dann 
ein  solches  Mädchen  das  Kloster  verlassen  soll,  kommt  es  ihm 
schwer  an  und  tagelang  verraten  seine  vom  Weinen  geröteten 
Augen,  wie  schwer  es  ihm  wird,  von  dem  bisherigen  Leben  zu 
scheiden. ^^) 

Nicht  alle  freilich  verlassen  das  Kloster  so  ungern.  Viele 
bringen  keinen  besonders  großen  Lerneifer  mit;  sie  w^ollen  in 
nichts  gründhch  eindringen,  sondern  es  genügt  ihnen,  von  allem 
nur  eine  oberflächliche  Kenntnis  zu  haben.  Das  Bildungsideal 
mancher  vornehmen  Dame  ist  ausgedrückt  in  den  Worten: 
,,//  füllt  toiit  ejfleurer."^'^)  Für  so  veranlagte  Mädchen  sind  die 
Unterrichtsstunden  langweilig  und  die  Zeit,  die  sie  zum  Lernen 
verwenden  sollten,  füllen  sie  mit  Romanlesen  aus.^^)  Da  sie  die 
hier  geschilderten  Begebenheiten  für  reine  Wahrheit  nehmen,^**) 
haben  sie  bald  den  Kopf  voll  romantischer  Ideen  und  so  kommt 
es,  daß  ihnen  trotz  der  großen  Freiheiten,  die  man  ihnen  gewährt, 
die  Klostermauern  zu  eng  werden  und  sie  sich  nach  ihrer  vollen 
Freiheit,  nach  einem  Leben  sehnen,  das  sie  in  den  Büchern  so 
rosig  dargestellt  finden.^'')  Ein  solches  Mädchen  betrachtet 
natürlich  den  Austritt  aus  dem  Kloster  als  eine  Erlösung  und  hat 
auf  die  Lobeserhebungen,  welche  eine  Freundin  der  im  Kloster 
verlebten  Zeit  spendet,  nur  die  verwunderte  Antwort:  ^,Ah !  ce 
temps-lä  peiil-il  se  regretter  ?" ^^) 

Noch  härter  klingt  das  Urteil  einer  Dame  über  das  Kloster: 
,,C'est  un  terrible  inconvenient  que  le  coiivent,  et  je  vous  assure 
qu'il  nuit  beaiicoup  mix  progres  de  l'education."''^)  Allein  die 
Gründe,  auf  welche  sich  diese  Behauptung  stützt,  sind  eher  ein 
Beweis  für  die  Blasiertheit  dieser  Dame  als  für  die  SchädUchkeit 

•^')   Prov.  et  Com.  I,  304. 

52)  Prov.  et  Com.  II,   160—164. 

53)  Prov.  et  Com.  II,  63. 

54)  Prov.  et  Com.  11,   163. 

55)  Prov.  et  Com.  I,  284|85. 

56)  Proi'.  et  Com.  I,  284/85. 

57)  Prov.  et  Com.  I,  285.  • 

58)  Prov.  et  Com.  I,  284. 

59)  Prov.  III,  342. 


Die   vonu'liine   französische  Frau   des    Will.   Jahrlmiiderts.      17 

der  Klöster:  ihre  Tochter  ist  aus  dem  Kloster  zurückgekehrt, 
veredelt  an  Herz  und  Geist,  empfänglich  für  alles  Gute  und 
Schöne;  was  ihr  fehlt,  ist  ^,riisage  du  monde",  die  feine  Lebensart, 
und  diesen  Mangel  können  in  den  Augen  der  Mutter  alle  Vor- 
züge des  Mädchens  nicht  auf  wiegen. ^*^) 

Fast  unmittelbar  auf  den  Austritt  aus  dem  Kloster  folgt  die 
Verlobung  und  nicht  lange  nachher  die  Heirat  des  Mädchens. 
Dies  mag  uns  vielleicht  sonderbar  erscheinen;  wo  hat  denn  das 
Mädchen  Gelegenheit  gehabt,  die  Bekanntschaft  junger  Männer 
zu  machen  ?  Wie  ist  es  in  so  kurzer  Zeit  möglich,  daß  ein  Mann 
seine  Zuneigung  gewinnen  und  in  seinem  Herzen  tiefere  Gefühle 
wachrufen  kann  ?  Wie  kann  es  so  rasch  erkennen,  ob  derjenige, 
dem  es  seine  Neigung  geschenkt  hat,  auch  wirklich  imstande  ist, 
es  glücklich  zu  machen  ? 

All  diese  Fragen,  die  uns  so  natürlicli  erscheinen,  kommen 
für  das  vornehme  Mädchen  des  18.  Jahrhunderts  gar  nicht  in 
Betracht.  Ihm  steht  es  nicht  zu,  sich  einen  Gatten  zu  wählen; 
dies  besorgen  seine  Eltern  und  es  hat  sich  dieser  Entscheidung 
einfach  zu  fügen.  Worauf  es  bei  dieser  Wahl  vor  allem  ankommt, 
sagt  uns  Goncourt:  ,,Le  mariage  etait  avant  tout  iine  af faire  de 
famille,  im  arrangement  au  gre  des  parents,  que  decidaient  des 
considerations  de  position  et  d'argent^  des  convenances  de  rang  et 
de  fortune"^'^)  und  bei  Carmontelle  sagt  so  ein  Muster jüngling 
der  damaligen  Zeit:  ,,Die  Heirat  ist  weiter  nichts  als  eine  Geld- 
angelegenheit."^-) 

Man  könnte  vielleicht  denken,  daß  unter  solchen  Umständen 
die  Ehe  für  das  Mädchen  etwas  Abschreckendes  habe.  Das  ist 
durchaus  nicht  immer  der  Fall.  Die  Ehe  bedeutet  für  das  junge 
Mädchen  den  Eintritt  in  die  Welt;  die  Türen  der  Salons  öffnen 
sich  ihm,  ein  großer  Name,  Reichtum  und  Ansehen,  womöglich 
sogar  die  Ehre,  am  Hofe  vorgestellt  zu  werden,  warten  seiner. 
Besonders  das  letztere,  die  preseniation  d  la  cour^^)  ist  für  die 
vornehme  Dame  die  höchste  Auszeichnung. 

öO)   Prov.    III,   433. 

•51)   Goncourt,  p.  22. 

*'2)    Proi'.  et  Com.   II,  72. 

®^)  Die  nachstehende  Schilderung  der  ,,preseiitation  ä  la  cour"' 
entnehme  ich  dem  Werke  von  du  BIed  ,,La  comedie  de  societe  au  XVI 11« 
siecle'\  p.  202—204: 

Voici  la  grande  solennite,  fepreuve  d' initiation,  la  presentation 
ä  la  cour.  Redoutable  et  desiree  ceremonie  qui  achevera  de  tirer  des  limbes 
Madame  de  Genlis,  en  la  distinguant  des  femmes  qui  nont  point  en  ce 
rayon  de  Versailles  ....  Les  femmes  sont  presentees  en  ceremonie,  le 
dimanche,  en  grand  habit  de  cour,  par  une  femme  dejä  presentee  :  elles 
ont  un  enorme  panier,  une  queue  demesurement  longue,  et  il  faul  vingt 
ä  vingt-deux  aunes  pour  faire  un  grand  habit  sans  garniture. 

Premiere  reverence  ä  la  porte;  quelques  pas  et  seconde  reverence; 
troisieme  reverence  en  face  de  la  reine;  alors  la  presentee  ötait  le  gant 
Ztschr.  f.  n-z.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  2 


18  Hans   Ur schlechter. 

Ist  es  deshalb  verwunderlicli,  wenn  das  Mädchen  einenn 
Manne,  der  ihm  das  alles  zu  bieten  vermag,  ohne  Zögern  seine 
Hand  reicht,  auch  wenn  es  ihn  vorher  gar  nicht  gekannt  hat  ? 
Dieser  Gedankengang  des  jungen  Mädchens  von  damals  spiegelt 
sich  wieder  in  dem  offenherzigen  Bekenntnisse,  das  eine  Frau 
von  Houdetot  Diderot  gegenüber  ausspricht:  ,,/e  me  mariai 
poiir  aller  dans  le  nionde,  et  voir  le  bal,  la  promenade,  l'opera  et 
la  comedie  . .  ."^*)  Einige  Freundinnen  halten  einem  Fräulein 
von  Bourbonne  vor,  daß  der  ihr  zugedachte  Bräutigam  sehr 
häßlich  sei  und  daß  sie  ihn  nicht  zum  Manne  möchten.  ,,Ach 
was,  erwidert  das  Mädchen,  ich  werde  ihn  heiraten,  denn  mein 
Vater  will  es;  aber  ich  werde  ihn  nicht  lieben."^^)  Dies  ist  bei 
vielen  Ehen  der  damaligen  Zeit  der  Fall:  man  heiratet  sich,  ob- 
wohl man  im  voraus  weiß,  daß  man  sich  nicht  lieben  wird.  Mit 
Recht  sagt  Goncourt  von  den  Mädchen  des  18  Jahrhunderts: 
,,C'est  le  mariage,  et  non  le  mari,  qui  fait  leur  desir  et  leur 
reve  '"^^) 

Nicht  immer  ist  es  der  ehrliche  Wille,  ihre  Tochter  gut  zu 
versorgen,  der  für  die  Eltern  bei  der  Wahl  eines  Schwiegersohnes 
ausschlaggebend  ist.  Zuweilen  wird  die  Mutter,  die  selbst  noch 
jung  erscheinen  möchte  und  jedem,  der  es  hören  will,  versichert, 
daß  sie  noch  nicht  dreißig  Jahre  alt  sei,^")  durch  ihre  erwachsene 
Tochter  daran  erinnert,  daß  ihre  Jugend  doch  schon  etwas  ver- 
blüht ist.  Manchmal  ist  sie  auch  eifersüchtig  auf  die  Huldi- 
gungen, die  man  ihrer  hübschen  Tochter  darbringt.^^)  Welcher 
Gedanke  liegt  da  näher,  als  sich  einer  so  gefährlichen  Rivalin 
zu  entledigen,  und  wie  könnte  dies  auf  bequemere  Weise  ge- 
schehen, als  dadurch,  daß  man  sie  verheiratet  ?  Carmontelle 
sagt  von  diesem  Bestreben  der  Eltern,  ihre  Töchter  los  zu  werden: 
,,0n  marie  ses  enjants,  comme  on  vend  son  cheval;  on  dit  toujours 

de  la  main  droi.te,  s'inclinant  projondemenl  et  saisissant  le  bas  de  jupe 
de  la  reine  pour  le  baiser :  la  reine  Ven  empechait  en  retirant  sa  jupe,  disait 
quelques  mots  ainiables,  faisait  une  reverence,  signal  de  la  retraite  qu^on 
operait  ä  reculons,  malgre  la  grande  queue  qu''on  manoeuvrait  odroilenient, 
tout  en  executant  les  trois  reverences  d'adieu. 

La  presentation  donnait  aux  femmes  le  droit  de  monter  dans 
les  carrosses  du  roi  et  de  la  reine,  de  souper  dans  les  petits  appartements. 
Si  la  presentee  est  duchesse  ou  si  eile  a  le  tabouret,  Veliquette  la  dispense 
du  baisement  du  bas  de  robe,  alors  eile  est  ,,saluee'''  par  la  reine  ei  les 
princesses  :  on  appelait  ainsi  Vhonneur  de  presenter  sa  joue  droite  ä  la 
reine,  qui  sur  cette  joue  appliquait  legerement  la  sienne.  Le  roi,  ses 
freres,  accordaient  cet  honneur  ä  toutes  les  presentees,  titrees,  duchesses 
ou  non.  La  veille  et  le  lendemain  de  la  presentation,  la  presentee  allait 
faire  des  visites  ,,aux  honneurs":  dames  d^honneur,  dames  d^atour  de 
la  reine,  de  Mesdames  et  des  princesses  ses  belies- soeurs. 

"4)  Goncourt,  p.  26,  note  1. 

^^)  Du  Bled,  Les  femmes  au  XVII I«  siecle. 

*■'«)   Goncourt,  p.  26. 

")   Prov.  et  Com.   II,    177. 

«8)  Prov.  II,  487. 


Die  vornehme   fraiizösisehe    Frau   des   Will.   Jahrhunderts.      19 

qae  c'est  la  meilleure  partie  qaou  pnisse  proposer  et  Von  ne  eherche 
qu'ä  s'en  defaire  et  ä  se  tromper  l'un  l'autre  "^^) 

Gewöhnlich  ist  es  das  Urteil  der  Mutter,  das  bei  der  Wahl 
eines  Schwiegersohnes  bestimmend  ist.  Der  Einwand  ihres 
Gatten,  der  betroffende  junge  Mann  sei  ein  unfähiger  Mensch 
und  ein  Verschwende]',  der  seine  Frau  unglücklicli  machen  werde, 
kann  die  Dame  nicht  von  ihrem  Plane  abbringen.  Für  sie  kommen 
andere  Gesichtspunkte  in  Betracht:  der  Betreffende  ist  der  Sohn 
einer  Marquise,  die  ihm  durcli  ihren  Einfluß  am  Hofe  die  höchsten 
Stellen  verschaffen  kann;  ihre  Tochter  wird  durch  diese  Heirat 
hoffähig,  was  für  ihre  Kinder  s}3äter  von  großem  Nutzen  sein 
kann,  und  erlangt  Beziehungen  zu  den  höchsten  Kreisen.  Mehr 
Vorteile,  meint  sie,  kann  eine  Heirat  doch  wohl  überhaupt  nicht 
bieten.  Ob  die  Partie  ihrer  Tochter  auch  paßt,  darum  kümmert 
sich  die  Mutter  gar  nicht.  Sie  teilt  ihr  kurz  mit,  daß  sie  heute 
abend  ihren  Bräutigam  kennen  lernen  werde.  ,,Aber  ich  werde 
ihm  nicht  ins  Gesicht  zu  sehen  wagen."  .,Du  brauchst  ja  gar 
nichts  mit  ihm  zu  reden  und  kannst  ihn  heimlich  beobachten." 
,,Und  ich  werde  ihn  heiraten  müssen?"  ,, Gewiß. "^*')  Die  Heirat 
ist  zwischen  den  beiden  Müttern  abgekartet;  ihrem  Gatten,  der 
sich  für  seine  Tochter  einen  honnete  homme  wünschte,  entgegnet 
die  Dame:  ,,Eh!  qui  ne  Fest  pas,  honnete  homme ?"'^^)  Der  Um- 
stand, daß  der  junge  Mann  eine  Tänzerin  an  der  Oper  aushält, 
ist  in  ihren  Augen  kein  großer  Fehler.'^)  Im  übrigen  bedeutet 
sie  ihrem  Gatten  ganz  kurz,  daß  er  in  dieser  Angelegenheit  gar 
nicht  mitzureden  habe;'^^)  sie  hat  schon  den  Notar  bestellt  und 
am  Abend  wird  der  Ehevertrag  unterzeichnet  werden. 

Ein  anderes  Mädchen  soll  einen  Marquis  heiraten.  Zwar  ist 
dieser  leichtsinnig,  verschwenderisch,  und  steckt  bis  über  die 
Ohren  in  Schulden;  aber  er  steht  bei  Hofe  nicht  schlecht  und  die 
Eltern  des  Mädchens  setzen  unbegrenzte  Hoffnungen  auf  ihn. 
Ihre  Tochter  ,,a  de  Vesprit,  des  talents,  et  le  plus  grand  desir  de 
plaire;"'^*)  da  sie  außer  diesen  persönlichen  Vorzügen  noch  30000 
Franken  Rente  hat,  besteht  für  die  Eltern  kein  Zweifel,  daß  ihre 
Tochter  eine  sehr  gute  Partie  machen  wird.'^^) 

Der  Bräutigam,  den  ein  glücklicher  Vater  für  seine  Tochter 
gefunden  hat,  hat  zwar  noch  kein  Regiment,  aber  ,,?'/  eti  a  la 
promesse"  \  er  ist  nicht  reich,  aber  er  ,,hat  die  besten  Aussichten". 
Wenn  seine  Tochter  ihn  heiratet,  wird  sie  am  Hofe  vorgestellt 


«»)  Prov.  I,  34. 

'0)  Prov.  et  Com.   II,  64|65. 

'1)  Prov.  et  Com.   II,  90. 

'2)  Prov.  et  Com.   II,  85. 

'3)  Prov.  et  Com.  II,  90. 

'*)  Prov.  et  Com.  II,  102. 

'5)  Prov.  et  Com.   II,  101102. 


20  Hans   Unrhlerhler. 

werden,  und  falls  einige  ihrer  Verwandten  sterben,  so  ist  es  sogar 
möglich,  daß  sie  das  ,,taboiiret"'^^)  bekommt.'^) 

Das  Zustandebringen  von  Heiraten  nimmt  die  vornehme 
Frau  des  18.  Jahrhunderts  sehr  in  Anspruch. '^^)  Dabei  ist  sie 
oft  recht  wählerisch;  mit  ihrer  eigenen  Tochter  will  sie  sehr  hoch 
hinaus,  während  sie  für  ihren  Neffen  aus  der  Provinz  in  der 
Nichte  eines  Abbe  eine  genügend  gute  Partie  findet.'^^) 

,,Mit  zwanzig  Jahren  muß  ein  Mädchen  verheiratet  sein 
oder  es  wird  nie  dazu  kommen. "^^)  Deshalb  hat  es  auch  eine 
Mutter  sehr  eilig,  für  ihre  beiden  heiratsfähigen  Töchter  Männer 
zu  finden.  Das  macht  ihr  keine  großen  Schwierigkeiten;  zwei 
junge  Herren  verkehren  öfters  in  der  Familie  und  diese  beiden 
hat  sie  zu  Schwiegersöhnen  ausersehen.  Sie  glaubt  bemerkt  zu 
haben,  daß  einer  derselben  ihrer  Tochter  Honorine  Aufmerksam- 
keiten erweise,  und  das  veranlaßt  sie,  ohne  Vorwissen  des  jungen 
Mannes,  dessen  Onkel  ihre  Wahrnehmung  mitzuteilen  und  ihm 
zu  bedeuten,  daß  ihr  diese  Heirat  angenehm  sein  würde.  Als 
ihr  Gatte  sich  bei  seiner  Tochter  über  diese  Eigenmächtigkeit 
ihrer  Mutter  beklagt  und  diese  beschuldigt,  daß  sie  ihre  Kinder 
verheirate,  ohne  sie  nur  zu  befragen,  nimmt  das  Mädchen  seine 
Mutter  in  Schutz:  ,,Sind  die  Kinder  nicht  zu  glücklich,  wenn 
die  Eltern  für  ihr  Glück  Sorge  tragen  ?"8i) 

Etwas  bedenklicher  Art  sind  die  Beweggründe  eines  Grafen, 
der  seine  Tochter  durchaus  einem  verschuldeten  Herzog  geben 
will.  Der  Chevalier,  den  das  Mädchen  liebt  und  der  auch  der 
Gräfin  als  Schwiegersohn  recht  wäre,  ist  ein  offener,  liebens- 
würdiger Charakter;  der  Graf  zieht  ihm  den  homme  titre  vor, 
an  dessen  Seite  seine  Tochter  eine  große  Dame  wird  und  das 
höchste  Ansehen  genießt.  Er  wirft  seiner  Gemahlin  sogar  vor, 
daß  sie  ihre  Tochter  nicht  liebe,  da  sie  nicht  bestrebt  sei,  dieselbe 
gut  zu  verheiraten.  Allein  auch  bei  ihm  ist  weniger  die  Liebe 
zu  seinem  Kinde  maßgebend,  als  vielmehr  das  Versprechen  des 
Herzogs,  ihm  seine  Maitresse,  eine  Tänzerin  an  der  Oper,  ab- 
zutreten.^2) 

Ein  Edelmann  wünscht  sehnlichst,  einen  reichen  venetiani- 
schen  Bankier  mit  50000  Franken  Rente  zum  Schwiegersohn  zu 
bekommen.  Seine  Tochter,  ein  ebenso  folgsames  wie  praktisch 
veranlagtes  Mädchen,  findet  die  50000  Franken  sehr  begehrens- 
wert   und    ist    mit    Freuden    zu    dieser    Heirat   bereit,    voraus- 

''*^)  ,,Ai'oir  le  tabouret'  ist  der  Ausdruck  für  das  Recht,  sich  in 
Gegenwart  des  Königs  oder  der  Königin  auf  einen  Schemel  zu  setzen. 
")   Prov.  I,  225/26. 
"«)    Prov.  et  Com.   II,   143. 
'»)    Prov.  et  Com.   II,    160—164. 
''")   Prov.  et  Com.   I,  209. 
^')   Prov.  et  Com.    1,  233. 
^-]  Nouv.   Prov.   I,   114. 


Die  vorfie/ime   französische   Frau    des   XVIII.   Jahrhunderts.     21 

gosotzl  natürlich,  dal.'i  ihr  Zukünftiger  wirklich  oino  so  hoho 
R(Mito  hatP) 

Nicht  immer  jedoch  rimh'ii  die  Eltern  ihn^  Tochter  so  ge- 
liorsain  und  gefügig  wie  in  den  angeführten  Beispielen.  Trotz 
der  kurzen  Zeit,  die  in  der  Hegel  zwischen  dem  Austritt  aus  dem 
Kloster  und  der  Verlobung  der  jungen  Mädchen  liegt,  ist  doch 
das  Herz  so  mancher  nicht  mehr  frei.  ,,In  unserem  Alter,  sagt 
bei  Carmontelle  ein  Mädchen,  ist  es  ganz  natürlich,  daß  man 
ans  Heiraten  denkt;  man  beschäftigt  sich  unwillkürlich  damit 
und  ist  nur  über  den  Gegenstand  seiner  Wahl  im  Zweifel;  oft 
wird  uns  auch  diese  Wahl  nicht  schwer:  wir  folgen  der  Neigung 
unseres  Herzens  und  lieben."'^'*)  Auf  einem  Spaziergange  oder 
bei  einem  Ball  hat  das  Mädchen  einen  Herrn  kennen  gelernt, 
zu  dem  es  sich  hingezogen  fühlt.  Seinen  Eltern  sagt  es  wohl- 
weislich nichts;  eine  verschwiegene  Zofe  ist  ihre  vertraute  Beraterin 
und  vermittelt  den  Verkehr  der  Liebenden.  Zuweilen  macht  sie 
auch  eine  heimliche  Zusammenkunft  der  Beiden  möglich,  die  sich 
bei  dieser  Gelegenheit  ihrer  unwandelbaren  Liebe  versichern. 
Diese  Heimlichkeiten  üben  auf  das  empfängliche  Gemüt  des 
Mädchens  einen  eigenartigen  Reiz  aus,  und  was  anfangs  vielleicht 
nur  eine  flüchtige  Neigung  war,  wird  mit  der  Zeit  eine  starke, 
leidenschaftliche  Liebe. 

Was  wird  ein  solches  Mädchen  tun,  wenn  man  von  ilim 
verlangt,  einen  Mann  zu  heiraten,  für  den  es  nicht  das  Geringste 
fühlt  ?  Wird  es  den  Mut  haben  zu  gestehen,  daß  sein  Herz  schon 
gewählt  habe  und  daß  nichts  auf  der  Welt  es  bestimmen  könne, 
den  Geliebten  zu  verlassen  ?  Oft  versucht  es  gar  nicht,  dem 
Verlangen  der  Eltern  sich  zu  widersetzen.  Wenn  der  Vater 
seiner  Tochter  eine  Verbindung  vorschlägt,  die  sie  auf  ewig  von 
ihrem  Geliebten  trennen  muß,  so  erscln-ickt  sie  und  weiß  zunächst 
gar  nicht,  was  sie  tun  soll.  Es  drängt  sie,  dem  Vater  zu  gestehen, 
daß  sie  einen  andern  liebt;  aber  wie  wird  ihr  Vater  dieses  Ge- 
ständnis aufnehmen  ?  Hat  er  nicht  die  Macht,  seinen  Willen 
trotzdem  durchzusetzen  ?  Ist  es  da  nicht  besser,  einem  heftigen 
und  aussichtslosen  Streit  aus  dem  Wege  zu  gehen  ?  Die  Furcht 
vor  dem  Zorn  des  Vaters  ist  in  den  meisten  Fällen  stärker  als 
die  Liebe  zu  ihrem  Verehrer  und  so  erklärt  sie  sich  mit  der  vor- 
geschlagenen Partie  einverstanden. 

Ein  Mädchen  liebt  einen  Chevalier  und  wird  von  ihm  wieder 
geliebt.  Der  Vater  will,  daß  es  den  Sohn  eines  seiner  Freunde 
heirate;  diese  Zumutung  setzt  es  in  Verwirrung,  aber  es  wagt 
seine  Liebe  nicht  zu  gestehen.  Als  eine  Dienerin  ihm  meldet, 
daß  der  Chevalier  gekommen  sei  und  es  zu  sprechen  wünsche, 
erschrickt  es   heftig  und   ruft   ans:   ,,Ah,   qn'il  s'en  garde  bien ! 

•^3)  Prov.  II,  160. 

^^)   Prov.  et  Com.  I,   234. 


22  Hans   Ur schlechter. 

mon  pere  va  rentrer !"  Der  Geliebte  verlangt,  daß  es  den  Vor- 
schlag seines  Vaters  entschieden  zurückweise;  „aber,  erwidert  es, 
wenn  er  mich  durchaus  zwingen  will  .  .  .  !"^^) 

Daß  die  Fälle,  wo  das  Mädchen  ohne  Widerspruch  dem 
Willen  seiner  Eltern  gehorcht,  ziemlich  häufig  sind,  beweisen  die 
Worte  eines  Chevalier:  ,,J'ai  vii  tant  de  fois  des  demoiselles  avec 
heaucoup  d'amonr  ne  poiwoir  pas  resister  d  leiirs  parents,  et  prendre 
le  parti  d'eloigner  d'elles,  soiis  quelqiie  pretexte,  leiir  amant^  poiir 
eviter  Jeiirs  reproches  et  se  rendre  plus  capahles  d'oheir  d  ce  qii'on 
exigeait  d'elles. .  .  ."^^) 

Manchmal  ist  das  Mädchen  so  von  seiner  Liebe  durch- 
drungen, daß  es  dieselbe  offen  zu  gestehen  wagt.  Welches  ist 
der  Erfolg  dieses  freimütigen  Bekenntnisses  ?  Carmontelle  gibt 
die  Antwort  auf  diese  Frage  in  dem  Stücke  ,,L'hahit  nenf".  Ein 
Chevalier  erfährt  durch  die  Kammerfrau  seiner  Geliebten,  daß 
auch  deren  Vormund  Absichten  auf  sie  habe.  ,,Nun,  entgegnet 
er,  sie  braucht  ja  nur  ihre  Einwilligung  nicht  zu  geben."  Die 
Frau  kennt  aber  das  Mädchenherz  ihrer  Zeit  besser  und  gibt 
ihm  zur  Antwort:  ,,Ich  zweifle  gar  nicht  daran,  daß  sie  einwilligen 
wird;  zuerst  wird  sie  verzweifelt  tun;  aber  er  wird  immer  wieder 
in  sie  dringen  und  Sie  wissen  ja  selbst,  wie  die  jungen  Mädchen 
sind:  zuerst  weinen  sie  und  schließlich  willigen  sie  in  die  Heirat 
«pour  avoir  la  liberte»."^"') 

Der  Umstand,  daß  ihre  Tochter  schon  eine  Neigung  gefaßt 
hat,  ist  für  die  Eltern  kein  Grund,  von  ihrem  Plan  abzustehen. 
Der  Vater  macht  ihr  begreiflich,  daß  es  gar  nicht  nötig  sei,  daß 
man  sich  vor  der  Heirat  kennt;  ja  es  sei  sogar  besser,  fügt  er 
hinzu,  wenn  dies  nicht  der  Fall  ist,  denn  sonst ,, findet  man  tausend 
Fehler  aneinander. "^^)  Da  das  Mädchen  trotzdem  keine  Vernunft 
annehmen  will,  erklärt  er:  ,,Ich  tue  alles,  was  du  willst  —  und 
diese  Heirat  findet  in  acht  Tagen  statt."^^)  Die  Mutter  weist 
ihre  Tochter,  die  es  für  schrecklich  hält  einen  Mann  zu  heiraten, 
den  sie  nicht  liebt,  auf  ihr  eigenes  Beispiel  hin.  Als  sie  heiratete, 
liebte  sie  auch  einen  andern.  Ihr  jetziger  Gatte  wußte  dies  und 
nahm  daran  keinen  Anstoß.  ,,Ein  Mädchen  liebt;  an  Stelle  des 
Geliebten  gibt  man  ihm  einen  Gatten  und  dieser  hat  es  bald 
über  den  Verlust  des  Geliebten  getröstet. "^•^)  Auch  die  Kammer- 
frauen unterstützen  ihre  Herrschaft  in  dem  Bestreben,  die  Sinnes- 
art des  Mädchens  zu  ändern;  sie  sind  viel  um  dasselbe  herum, 
lachen  und  weinen  in  demselben  Augenblick  und  versichern 
immer  wieder,   daß   der  ihm   zugedachte   Bräutigam  es  herzlich 

■^^')    Prnv.    1.   34. 

'*«)   Prov.   H,  489. 

«■'j   Prov.   III,  429. 

■^s)  Noiw.   Proc.   I,  294. 

*^»)  Noin:    Prov.   I,  295. 

■«')   Prov.  et  Com.   I.  245. 


Die  vonic/iiHc   französische   Frau  des   Will.   Jahr/mnderls.     23 

lieben  werde.'-*^)  So  kommt  es,  daß  das  junge  Mädchen  schließlich 
nachgibt  und  sich  einen  Gatten  aufnötigen  läßt.  Im  Grunde 
genommen  ist  das  ja  immer  noch  das  kleinere  Übel,  denn  ,,toute 
rejlexion  faite,  on  atme  inienx  le  mariage  qiie  son  amanl"ß^) 

Bei  Carmontelle  überwiegen  die  Fälle,  wo  der  Widerstand 
des  Mädchens  gegen  den  Willen  eines  despotischen  Vaters  von 
Rrfolg  begleitet  ist.  Dies  erklärt  sich  aus  der  Tendenz  der  Pro- 
verbes;  ein  Unterliegen  des  Mädchens  in  diesem  Kampfe  würde 
immer  einen  unangenehmen  Eindruck  hervorbringen.  In  der 
Wirklichkeit  mag  es  wohl  umgekehjt  gewesen  sein.  Wenn  auch 
Dejob  Recht  haben  mag  mit  seiner  Behauptung,  daß  der  Miß- 
brauch der  väterlichen  Gewalt  im  18.  Jahrhundert  nicht  größer 
gewesen  sei  als  zur  Zeit  Moliere's,^*^)  so  dürfen  wir  doch  nicht 
glauben,  daß  dieser  Mißbrauch  im  18.  Jahrhundert  zu  den  Selten- 
heiten gehört.  Manche  Eltern  sind  ja  so  vernünftig,  daß  sie 
ihren  Plan  aufgeben,  wenn  sie  sehen,  daß  ihre  Tochter  eine  wirk- 
liche Herzensneigung  gefaßt  hat.  Die  Liebe  zu  ihrem  Kinde  ist 
doch  noch  größer  als  die  Überzeugung  von  den  großen  Vorteilen, 
welche  die  von  ihnen  vorgeschlagene  Verbindung  bringen  würde. 
Wenn  sie  die  Tränen  des  Mädchens  sehen,  wenn  dieses  erklärt, 
daß  es  gar  nicht  heiraten  wolle^^)  und  die  Rückkehr  ins  Kloster 
dem  Leben  mit  einem  ungeliebten  Manne  vorziehe, ^^)  so  kommen 
sie  wohl  zu  der  Einsicht,  daß  die  Ehe  denn  doch  kein  bloßer 
Kaufvertrag  ist  und  lassen  dem  Mädchen  seinen  freien  Willen. 

\'erschiedene  andere  Erscheinimgen  der  Liebe,  die  sich  bei 
Carmontelle  finden,  mögen  hier  kurz  erwähnt  werden.  Das  seit 
Moliere's  „Ecole  des  Femmes"  im  französischen  Lustspiel  sehr 
beliebte  Motiv  des  Vormunds,  der  sein  Mündel  liebt,  hat  auch 
Carmontelle  in  zweien  seiner  Stücke  verwertet.  In  beiden  Fällen 
muß  der  Vormund  trotz  aller  angewandten  Schlauheit  einem 
jüngeren,  glückhcheren  Nebenbuhler  den  Platz  räumen  und,  so 
schwer  es  ihm  auch  fällt,  in  die  Heirat  des  jungen  Paares 
willigen.^6) 

Die  kühl  berechnende,  verstandesmäßige  Liebe  findet  bei 
Carmontelle  ihre  Vertreterin  in  einem  Mädchen,  das  seinem  Lieb- 
haber die  folgende  Standrede  hält:  ,, Denke  darüber  nach,  wie 
du  deine  Mutter  dazu  bewegen  vvillst,  daß  sie  mit  meinem  Vater 
spricht;  denn  ich  wiederhole  dir,  ich  bin  überzeugt,  daß  er  ernst- 
lich daran  denkt,  mich  zu  verheiraten.  Gegenwärtig  wird  er 
nichts  dagegen  haben,  mich  dir  zu  geben.  Vor  acht  Tagen  wäre 
das   anders   gewesen;   damals   war  dein    Prozeß   noch   nicht  ge- 

^')  Proi'.  et  Com.   II,   72. 

'■*2)  Nouv.   Prov.    II,   34. 

'■♦•'')  Dejob,  p.  91. 

'^^)  Nouv.    Prov.   I,  294.  —   Prov.  et  Com.   I,  209. 

••^)  Prov.   III,  456.  —  Nouv.   Prov.   I,  294. 

'•'•■')  Prov.   II,  206—217.  —   Prov.   III,  219  ff. 


24  Hans  Urschlechter. 

Wonnen  und  dein  Vermögen  noch  nicht  so  sicher  gestellt  wie 
heute. "^^) 

Recht  anspruchsvoll  in  der  Liebe  ist  ein  Mädchen,  daß  seine 
ganze  Menschenkenntnis  aus  Romanen  geschöpft  hat  und  keinen 
Mann  finden  kann,  der  seiner  Liebe  würdig  wäre.  Endlich  scheint 
es  das  so  lange  vergebens  Gesuchte  finden  zu  sollen.  Ein  Herr 
ist  von  der  Dame  seines  Herzens  schnöde  verlassen  worden  und 
ist  über  den  Verlust  untrösthch.  Trübsinnig  und  in  sich  gekehrt 
geht  er  umher  und  seine  Umgebung  fürchtet,  daß  er  sich  ein 
Leid  antun  werde.  Das  Mädchen  sieht  in  dieser  übermäßigen 
Trauer  die  schöne  Verwirklichung  seiner  romantischen  Ansichten 
über  die  Liebe  und  sucht  sich  den  Besitz  dieses  seltenen  Mannes 
zu  sichern.  Inzwischen  hat  der  Trübsinn  des  verschmähten  Lieb- 
habers immer  mehr  zugenommen;  er  glaubt  die  Geliebte  tot 
und  will  auch  sterben.  Ein  teilnehmender  Freund  will  ihm  dabei 
scheinbar  behilflich  sein ;  er  schüttet  ein  Pulver  in  ein  Glas  Wasser 
und  versichert  ihm,  daß  das  Gift  in  Kürze  seine  Wirkung  tun 
werde.   , 

Als  das  Fräulein  von  dieser  heroischen  Tat  ihres  Ideals 
Kenntnis  erhält,  eilt  sie  sofort  zu  ihm,  um  ihn  womöglich  noch 
zu  retten.  Das  leere  Glas,  das  neben  ihm  steht,  versetzt  sie  in 
ungeheure  Angst.  Sie  vergißt  jede  Zurückhaltung  und  bietet 
ilim  ihre  Liebe  direkt  an:  ....  ,,/a  purete  de  vos  sentime?its,  votre 
constonce,  votre  fidelüe,  tont  en  vous  semble  jait  poiir  in  annoncer 
IUI  bonheur  clont  /'ose  me  flauer  d'etre  digne.  .  .  /'^^)  Sie  reicht 
ihm  ein  Elixier,  das  der  Wirkung  des  Giftes  Einhalt  tun  soll. 
Allein  ihre  Sorge  ist  unnötig:  die  Furcht  vor  dem  Tode  war  in 
dem  Unglücklichen  doch  größer  gewesen  als  seine  Verzweiflung, 
und  er  hatte  das  harmlose  Zuckerwasser  weggeschüttet.  Dieses 
Geständnis  versetzt  das  verzückte  Mädchen  wieder  in  die  pro- 
saische Wirklichkeit.  Voll  Verachtung  wendet  es  sich  von  dem 
,, Feigling"  ab;  „oui,  äme  faible!  je  vous  crois  un  komme  comme 
nn  autre  et  je  suis  trop  heureuse  d'etre  desabiisee,  puisqiie  j'aurais 
ete  trompee  en  liant  mon  sort  au  vötre."^^) 

Aus  dem  Gesagten  können  wir  uns  ein  Urteil  über  die  Liebe 
des  damaligen  vornehmen  Mädchens  bilden.  Manchmal  ist  eine 
wirkliche  Neigung  vorhanden,  aber  dieses  Gefühl  ist  nicht  stark 
genug,  um  das  Mädchen  zum  Ankämpfen  gegen  die  V^orurteile 
der  Zeit  zu  befähigen.  Wenn  der  Verehrer  des  Mädchens  ver- 
langt, daß  es  seinem  Vater  seine  wahren  Gefühle  kund  tun  solle, 
ist  es  über  diese  Zumutung  betroffen:  ,,Comment!  que  je  n'epou- 
serai  que  vous?    Vous  plaisantez ?"^^)    Wii-  gehen  wohl  nicht  zu 

»')  Proi'.  III,  84. 

^^)  Noui>.   Prov.  II,  56. 

'■>^)  Nom<.   Prov.   II,  57. 

»f*«)  Prov.   IV,   114. 


hie  vornehme   franzö.sische    Frau  des   XVIII.   Jahrhunderts.     25 

weit,  wenn  wir  diese  Worte  als  rliarakteristisch  für  das  MädclKMi 
des  18.  Jalirhunderts  bezeichnen.  Eine  solche  Liebe  gleicht 
einem  scliwanken  Rohre,  das  jedem  Windliauch  nachgibt  nnrl, 
wenn  der  Drnck  zu  «froB  wird,  briclit. 

Und  (h)cli  liat  auch  dieses  vielgeschmähte  18.  .Jahrhundert 
die  walire  Liebe  gekannt.  Dieser  nämliche  Zeitraum  hat  auch 
die  ,,Nouvelle  Ileloise"  und  ,^Paul  et  Virginie"  liervorgebracht. 
Dürfen  wir  annehmen,  daß  die  unschuldsvolle  Liebe  dieser  beiden 
Kinder  eine  bloBe  poetische  Erfindung  sei  und  daß  die  leiden- 
schaftliche Liebe  Julia's  und  Saint-Preux's  nur  ein  Hirngespinst 
Rousseau's  war?  Mit  dieser  Annahme  würden  wir  dem  18.  .Jahr- 
hundert sicherlich  unrecht  tun.  Es  ist  ja  wahr,  daß  die  Liebe, 
wie  sie  Rousseau  predigte,  in  jener  Zeit  wenig  gekannt  und  viel- 
fach noch  weniger  geschätzt  war;  für  viele  seiner  Zeitgenossen 
mag  sein  Mahnruf:  ,,OhI  komme,  resserre  ton  existence  en  dedans 
toi!"  wie  eine  Offenbarung  aus  einer  höheren  Welt  geklungen 
haben,  aber  deswegen  war  Julia  noch  lange  nicht  das  einzige 
Mädchen,  das  den  Mann  seiner  Wahl  mit  völliger  Hingebung 
liebte.  Ihr  liebliches  Bild  begegnet  uns  da  und  dort  im  18.  Jahr- 
hundert, so  auch  bei  Carmontelle.  Ein  Mädchen  weist  alle  Ein- 
wände gegen  die  Treue  seines  Gehebten  zurück:  ,,Wenn  es  auch 
Treulose  gibt,  so  möchte  ich  doch  darauf  schwören,  daß  der 
Chevalier  nicht  zu  ilmen  gehört.  Ich  möchte  lieber  sterben,  als 
einen  solchen  Verdacht  über  seine  Liebe  zu  mir  hegen. "i^^) 

Eine  so  zarte  Liebe  fühlt  sich  auch  durch  Kleinigkeiten  schon 
beunruhigt.  Da  sein  Verehrer  fortgeht,  ohne  ihm  lange  Er- 
klärungen zu  geben,  wähnt  das  Mädchen  gleich,  daß  es  von  ihm 
nicht  mehr  geliebt  werde  und  sagt  ihm  traurig  auf  immer  Lebe- 
wohl.^•^2)  Aber  die  Zofe  hat  keine  große  Mühe,  um  ihre  Herrin 
wieder  aufzuheitern.  Sie  braucht  nur  von  ihrem  Geliebten  zu 
reden  und  seine  vortrefflichen  Eigenschaften  zu  rühmen,  so  hat 
das  Mädchen  seinen  Kummer  vergessen  und  stimmt  begeistert 
in  die  Lobeserhebungen  der  Dienerin  ein.  Es  hält  seinen  Gehebten 
für  unvergleichlich  und  alle  anderen  Männer  verschwinden  neben 
ihm;  er  ist  in  den  Augen  seiner  Geliebten  vollkommen. i'^^)  Wenn 
man  das  Mädchen  so  sprechen  hört,  denkt  man  unwillkürlich  an 
die  Worte  des  Verfassers  der  ,, Neuen  Heloise":  ,,Quand  la  passion 
est  ä  son  comble,  eile  voit  son  ohjet  parfait;  eile  en  fait  son  idole, 
eile  le  place  dans  le  ciel." 

Bevor  ich  dieses  Kapitel  schließe,  will  icli  noch  einen  Be- 
weis dafür  anführen,  daß  die  Liebe  im  18.  Jahrhundert  nicht 
unbekannt  war;  ich  lasse  deshalb  einen  jungen  Infanteriehaupt- 
mann seine  Liebesgeschichte  selbst  erzählen: 


loi)   Proi>.   I,  266. 
'02)   Proi>.  III,  342. 
103)   Prob.  III,  433. 


26  Hans  Urschlechier. 

.,En  arrivant  ä  Arras  oü  noiis  sommes  en  garnison,  j'y  devins 
unioiireux  d'iine  demoiselle  qiii  est  reellement  charmante;  n'ayant 
point  de  bien,  je  ne  pouvais  esperer  de  l'obtenir;  mais  cela  ne  put 
diminiier  notre  amoiir.  Des  moyens  qiie  noiis  avions  pris  poiir 
nous  i>oir,  nous  ont  plonges  dans  lui  abime  affreux.  Elle  est  devenue 
grosse;  la  crainte  d'etre  exposee  ä  la  jureiir  de  ses  parenis,  et  son 
desespoir  si  je  ne  <^oulais  l'en  sauver  en  Venlevant,  ni'ont  determine 
ä  m'enjiiir  avec  eile  ä  Paris,  oü  nous  sommes  depuis  huit  jours 
et  taut  prets  ä  mourir  de  misere" }^^) 

Wer  erkennt  nicht  in  der  hingebenden  Liebe  dieses  reichen, 
vornehmen  Mädchens,  das  dem  vermögenslosen  Gehebten  alles, 
selbst  seine  Ehre  hingibt,  ein  Seitenstück  zu  der  innigen  Liebe, 
welche  die  adelige  Heldin  Rousseau's  zu  dem  armen  bürgerlichen 
Saint-Preux  beseelte  ? 


II.  Das  Leben  in  der  Ehe. 

,,L'amour  ....  Tanioui'  .  .  .  .!  Ce  mot  ne  signifie 
plus  rien.  Apprends  donc  les  usages  de  ce  pays-ci: 
on  epouse  une  femme.  on  vit  avfC  iine  autre,  et 
l'on  n'aime  que  soi." 

(Saurin,  Les  tnceurs  du  tenips.     Sc.  VIII.) 

Das  Familienle])en  der  höheren  Stände  bietet  im  allgemeinen 
einen  recht  traurigen  Anblick.  Man  betrachtet  die  Ehe  nicht 
mehr  als  eine  göttliche  Einrichtung,  als  ein  heiliges  Band,  das 
zwei  Herzen  unauflöslich  vereinigen  soll;  man  erblickt  in  ihr 
vielmehr  einen  bloßen  \'ertrag,  geschlossen  zu  dem  Zwecke  der 
Fortpflanzung  und  der  Vererbung  eines  großen  Namens.  Da- 
durch wird  die  Ehe  zu  einer  bloßen  Interessengemeinschaft 
herabgewürdigt;  die  Grundbedingungen  für  ein  glückhches 
Familienleben,  wahre  Herzensneigung  und  gegenseitige  Achtung, 
fehlen  in  derartigen  Verbindungen  gänzlich  und  die  natürliche 
Folge  davon  ist,  daß  in  solchen  Familien  trotz  alles  äußeren 
Glanzes  das  Glück  unbekannt  ist.  Carmontelle  schildert  uns 
das  Schicksal  vieler  dieser  Modeehen:  ,,Souvent  on  se  marie 
Sans  se  connaitre  ä  present,  et  le  cccur  n'a  point  de  part  ä  ces 
unions.  H  y  a  des  femmes  qui  n'ont  meme  connu  l'amour  que 
trois  ou  quatre  ans  apres  avoir  ete  mariees.  Nuls  soins,  nuls 
egards;  on  ne  s'est  jamais  desire;  on  finit  par  s'eviter."^"^) 

Nachdem  die  Zeremonien  der  Trauung  vorüber  sind,  begibt 
sich  das  junge  Paar  aufs  Land  um  hier  die  Flitterwochen  zu 
verleben.  Entwickelt  sich  hier  ja  eine  etwas  tiefere  Neigung 
zwischen  den  Neuvei-mählten,  so  muß  diese  nach  der  Rückkehr 
nach    Paris  bald   wiefler  einer  kalten   Höflichkeit  weichen.      Der 

'«>*)   Prov.   III,  301|'02. 
105)  Prov.    III.  2G2. 


Die   vornclnur  franzönscke   Fr<tii   des   XVIII.   JahrJauiderts.      27 

gute  Ton  gostattot  den  beiden  Gatten  nicht,  zusammen  zu  leben 
und  fortwährend  miteinander  zu  veri<eliren.  „Um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts,"  sagt  Taine,^*'®)  ,, wohnen  Mann  und  Frau 
in  dem  nämüchen  Hause;  das  ist  aber  auch  alles."  Die  Ehe- 
gatten leben  ganz  unabhängig  nebeneinander;  jedes  hat  seine 
eigene  Dienerschaft,  seine  eigenen  Pferde  und  Wagen.  Wenn 
der  Mann  seine  Frau  sprechen  will,  läßt  er  sich  anmelden  wie 
jeder  andere  Besucher;  er  redet  sie  als  ,, Madame"  an,  sie  ihn 
als  ,, Monsieur". ^<''')  So  selten  diese  Besuche  sind,  so  sind  sie  der 
Frau  doch  nicht  immer  angenehm;  ist  sie  schlechter  Laune,  so 
muß  sich  ihr  Gatte  schon  gefallen  lassen,  daß  sie  sich  über  den 
„furchtbaren  Lärm"  beklagt,  den  er  beim  Betreten  des  Zimmers 
mache.  Nun  er  aber  einmal  da  ist,  will  die  Frau  die  Gelegenheit 
benutzen,  um  von  ihrem  Gatten  das  Geld  zu  vier  neuen  Früli- 
jahrskleidern  zu  erhalten  und  bittet  ihn  um  50  Louisdor.  Allein 
—  ist  es  die  Verstimmung  über  den  schlechten  Empfang  oder 
erscheint  ihm  die  geforderte  Summe  etwas  hoch  —  er  bleibt 
taub  gegen  ihre  Bitten  und  gibt  ihr  nichts. ^"^) 

Wenn  umgekehrt  die  Frau  ihren  Gatten  in  seinen  Zimmern 
aufsucht,  so  weiß  der  letztere  in  der  Regel  schon  den  Grund 
ihres  Kommens:  wenn  sie  nicht  für  das  oder  jenes  Geld  nötig 
hätte,  so  würde  ihm  diese  Ehre  wohl  kaum  widerfahren.  Und 
er  täuscht  sich  selten.  Die  Bedürfnisse  der  vornehmen  Dame 
sind  groß  und  die  Summen,  die  ihr  Gatte  ihr  bewilligt,  reichen 
zu  deren  Befriedigung  lange  nicht  aus.  Auch  kleine  Kunstgriffe 
helfen  nicht  viel:  um  den  Kassierer  ihres  Mannes  zu  veranlassen, 
ihr  die  Raten  ihres  Nadelgeldes  vorauszubezahlen,  hat  sie  ihm 
ihre  Loge  in  der  Comedie  überlassen. ^'^^)  Trotzdem  ist  ihre  Kasse 
gegenwärtig  wieder  leer  und  das  gerade  in  einem  Augenblicke, 
wo  sie  ein  kostbares  Schmuckstück  ,,fast  geschenkt"'  bekommen 
könnte.  Ein  Juwelenhändler  hat  ihr  einen  prachtvollen  Dia- 
manten um  6000  Franken  angeboten;  diese  schöne  Gelegenheit, 
um  biUiges  Geld  ein  solches  Kleinod  zu  erwerben,  kann  sie  sich 
unmöglich  entgehen  lassen.  Ihr  Gatte  will  die  Notwendigkeit 
dieses  Ankaufs  nicht  einsehen  und  verweigert  ilir  die  gewünschte 
Summe,  ^^'as  tun?  Ihre  Kammerfrau  weiß  einen  Ausweg: 
sie  braucht  ihre  Verlegenheit  nur  dem  reichen  Grafen  zu  gestehen, 
der  sich  schon  lange  um  ihre  Gunst  bemüht;  dieser  wird  ihr  mit 
Freuden  das  benötigte  Geld  zur  Verfügung  stellen.  Die  Frau 
kann  ihn  zwar  nicht  recht  leiden,  aber  da  sie  zurzeit  keinen 
anderen  Verehrer  hat,  den  sie  , .lieber  hätte  als  ihn",  entschließt 
sie  sich,  seine  Hilfe  in  Anspruch  zu  nehmen. ^^•') 

^"^j  Taine,  L'ancien  regime. 

10")  ibid. 

108)  Prnv.   I,   fiOff. 

1Ö9)  Prnv.    I,  220. 

"0)  Pmv.    I.  229  t f. 


28  Hans   Urschlechter. 

Manchmal  hält  der  Mann  die  Hand  so  fest  auf  seine  Tasche, 
daß  er  seiner  Frau  auch  für  notwendige  Ausgaben  kein  Geld 
gibt:  sie  und  ihre  Töchter  brauchen  Kleider,  die  Lehrer  des 
Mädchens  müssen  bezahlt  werden,  aber  er  erklärt  ihr,  daß  er 
kein  Geld  habe.^^^)  Sie  hat  sicherlich  Grund  dazu,  wenn  sie  seufzt: 
,,J'ai  peu  de  credit  aupres  de  mon  mari."^^^)  w^g  ^gt  vielfach 
die  Folge  dieser  übertriebenen  Sparsamkeit  der  Männer  ?  Die 
Frau  läßt  sich  vor  ihren  Besuchern,  besonders  von  den  galanten 
Abbes  das  nötige  Geld  ,, leihen"  ;113)  wie  es  mit  dem  Zurückgeben 
bestellt  sein  mag,  läßt  sich  bei  der  fortwährenden  Ebbe,  die  in 
ihrer  Kasse  herrscht,  leicht  denken. ^^*) 

So  schwer  der  Mann  seiner  Frau  gegenüber  mit  Geld  heraus- 
rückt, so  bereitwillig  stellt  er  seine  Kasse  Hofdamen  zur  Verfügung, 
die  Geld  brauchen,  um  mit  ihrer  Herrin  zu  spielen.  Natürlich 
denken  sie  gar  nicht  daran,  es  ihm  zurückzugeben  und  machen 
sich  obendrein  über  seine  Gutmütigkeit  lustig. i^^)  Auch  seiner 
Gehebten  gegenüber  ist  er  sehr  freigebig:  während  er  seiner  Frau 
eine  kleine  Summe  versagt,  scheinen  ihm  tausend  Franken  nicht 
zu  viel,  um  sich  die  Liebe  einer  Tänzerin  zu  sichern. ^^®) 

Daß  unter  solchen  Umständen  die  Frau  von  dem  Benehmen 
ihres  Gatten  nicht  sehr  erbaut  ist,  leuchtet  ein;  sobald  die  Rede 
auf  die  Männer  kommt,  gibt  sie  ihrem  Unmut  Ausdruck:  ,,Surtout 
les  maris  m'impatientent;  ils  se  croient  en  droit  de  vous  con- 
trarier  sans  cesse  et  sur  tout.  Si  du  moins  ils  cherchaient  ä 
nous  amuser."^^')  ,,Si  les  hommes,  surtout  les  maris,  nous  parlent 
ä  nous, ce  n'est  que pour  critiquer  nos  modes et  nos  ajustements."^^^) 
,,Die  Männer  achten  und  lieben  nur  sich  selbst"^^^)  klagt  die  eine, 
und  eine  andere  ruft  entrüstet  aus:  ,,Es  ist  doch  schrecklich, 
wie  wir  immer  von  den  Männern  behandelt  werden!  In  allem 
sind  wir  ihre  Sklaven  I"^^^) 

Aber  sie  rächt  sich  auch  bei  Gelegenheit  für  diese  unwürdige 
Behandlung,  indem  sie  sich  um  die  Anordnungen  ihres  Mannes 
nicht  kümmert.  Sie  bestellt  den  Architekten  und  bespricht  mit 
ihm  die  Einrichtung  eines  Hauses,  das  sie  in  der  Vorstadt  Saint- 
Honore  erbauen  lassen  will.^^i)  gig  beklagt  sich  über  ihren  Mann, 
der  fortwährend  ,,in  fürchterlicher  Laune"  sei;  aber  auf  dem 
Lande  wird  i  h  r  Wille  maßgebend  sein  und  er  soll  dann  alles 

1")  Nouv.  Prov.   1.  207. 

112)  Nouv.  Prov.   I,  212. 

113)  Prov.  et  Com.  II,  247. 

114)  Nouv.  Prov.   I,  252. 

115)  ibid. 

116)  Nouv.  Prov.   I,  205. 
11^)  Prov.   IV,   181. 

118)  Prov.  et  Com.   II,   199. 

119)  Nouv.  Prov.   I,  213. 

120)  Ppov.  pt  Com.   II,  3:^9. 

121)  Prov.  et  Com.  II,  208/09. 


Die  wnichmr  französische  Frau  des  XV 1 1 1 .   Jahrhunderts.      29 

ausführen,  was  ihr  in  den  Sinn  kommt. ^22j  jr^  ist  ja  gar  nicht 
so  schwer,  bei  den  Männern  seinen  Willen  durchzusetzen;  sie 
sind  ja  so  spaßig:  sie  wollen  immer  ihre  Frauen  leiten  und  dabei 
tun  sie  nie  etwas  anderes  als  was  diese  wollen. "^2^) 

So  bildet  sich  zwischen  den  Ehegatten  ein  Verhältnis  heraus, 
in  dem  die  eheliche  Liebe  eine  recht  bescheidene  Rolle  spielt; 
an  die  Stelle  des  Vertrauens  und  Entgegenkommens  treten  Zu- 
rückhaltung und  kühle  Höfliclikeitsformeln.  Diese  gegenseitige 
Kälte  ist  übrigens  noch  lange  nicht  das  größte  der  Übel,  die  das 
Famihenglück  untergraben.  Das  18.  Jahrhundert  hebt  in  dieser 
Hinsicht  keine  Halbheiten;  es  zieht  vielmehr  die  Konsequenzen 
und  stellt  bezüglich  des  Verkehrs  zwischen  den  Gatten  den  Satz 
auf:  ,,n  n'est  pas  de  bon  ton  d'aimer  sa  femme."^^^)  Bei  Car- 
montelle  sagt  ein  Bedienter:  ,,Die  vornehmen  Herren  braueheu 
ihre  Frauen  nicht  zu  lieben ;"^25j  ^yjj,  können  für  das  \\'ort 
,, brauchen"  ruhig  ,, dürfen"  setzen,  denn  Taine  sagt:  ,,Un  senti- 
ment  profond  eüt  semble  bizarre  et  meme  ridicule,  en  tout  cas 
inconvenient."^^^) 

Daß  bei  dieser  großen  Freiheit,  die  man  sich  gegenseitig 
gewährt,  besonders  an  die  Frau  zahlreiche  Versuchungen  heran- 
treten, liegt  auf  der  Hand.  Zu  jeder  Tageszeit  sieht  sie  sich 
von  einer  Schar  von  Verehrern  umgeben,  die  ihr  alle  möghchen 
Aufmerksamkeiten  erweisen  und  um  ihre  Gunst  buhlen.  Die 
Repräsentationspflichten,  welche  ihr  als  Hausfrau  obliegen, 
zwingen  sie,  Soupers  und  Bälle  zu  geben,  und  hier  ist  sie  der 
Mittelpunkt  der  Höflichkeiten  und  Zudringlichkeiten  einer  Menge 
Schmeichler. ^2'^)  Darf  es  uns  Wunder  nehmen,  daß  sie  sich  vor 
einer  so  glänzenden  Gesellschaft  ihres  Gatten  schämt  ?  Vielen 
ihrer  Besucher  ist  ja  gänzlich  unbekannt,  daß  der  bescheidene 
Mann  in  einem  Winkel  des  Salons,  der  sich  nur  selten  an  der 
Unterhaltung  beteihgt,  der  Herr  des  Hauses  ist.  Wie  wenig  der 
Gatte  bei  den  festUchen  Veranstaltungen,  welche  die  vornehme 
Frau  gibt,  in  Betracht  kommt,  zeigen  die  Worte  eines  deutschen 
Bankiers:  ,,J'ai  ete  plus  que  trois  semaines  que  je  croyais  qu'il 
n'y  avait  ä  I^aris  que  de  veuves.  .  .  .  Parce  qu'on  soupe  toujours 
chez  la  dame,  et  le  mari  il  n'est  point  de  parole  pour  lui  dans 
le  prie  ä  souper."^28j  [)jg  Prau  fühlt  sich  durch  die  Anwesenheit 
ihres  Gatten  belästigt  und  bedeutet  ihm  mit  den  Augen,  daß 
er  den  Salon  verlassen  möge.  Aber  er  will  sie  nicht  verstehen 
und  bleibt.     Als  man  sich  zu  Tische  setzt,  weiß  sie  es  so  ein- 


122)  Prov.  et  Com.   II,  317—319. 

123)  Prov.  et  Com.   II.  351. 

124)  Bader,  p.   112. 

125)  Prov.  et  Com.  I,  83. 

126)  Taine,  L'ancien  regime. 

127)  Nouv.  Prov.   I,  252. 

128)  Prov.   III,  399. 


30  Hans    Urschlechter. 

zurichten,  dal.i  für  ilin  kein  Platz  bleibt;  sie  sagt  zu  ihm,  er  solle 
mit  dem  Erzieher  seiner  Kinder  speisen. ^2^) 

Der  Verkehr  mit  weltgewandten  Männern  läßt  die  Frau  die 
Schwächen  ihres  Gatten  noch  mehr  herausfinden.  Dieser  hat  ihr 
zu  wenig  esprit;  er  besucht  sie  wohl  zwanzigmal  im  Tage,  ohne 
ihr  etwas  zu  sagen;  ja,  er  gibt  sich  sogar  mit  tapisserie  ab.^^^) 
Ein  Vergleich  zwischen  einem  solchen  Manne  und  dem  eleganten 
Marquis  fällt  natürlich  zum  Vorteil  des  letzteren  aus.  Um  nun 
ungestört  mit  ihrem  Liebhaber  leben  zu  können  und  ihren  Mann 
los  zu  werden,  will  sie  aus  dessen  Leidenschaft  für  die  Pferde 
Nutzen  ziehen.  Sie  heuchelt  große  Lust,  das  Reiten  zu  lernen. 
Ihr  Gatte  ist  entzückt  und  überhäuft  sie  mit  Aufmerksamkeiten; 
er  schenkt  ihr  ein  hochmodernes  Reitkleid  und  kann  vor  Freude 
kaum  den  Tag  erwarten,  an  dem  sie  mit  ihm  ins  Bois  de  Boulogne 
reiten  wird.  Allein  sein  Entzücken  dauert  nicht  lange:  die  Dame 
gibt  dem  Pferde  die  Sporen  und  saust  in  rasendem  Galopp  davon. 
Als  sie  endlich  zurückkommt  und  lächelnd  das  schweißtriefende 
Tier  vor  ihm  anhält,  ist  ihr  Mann  vor  Zorn  über  eine  solche  Tier- 
quälerei außer  sich.  Er  macht  ihr  bittere  Vorwürfe,  aber  sie  hat 
ihren  Zweck  voll  und  ganz  erreicht:  seit  dieser  Zeit  kommt  er 
nur  noch  zu  ihr,  wenn  sie  Gesellschaft  bei  sich  hat.  Eine  Baronin, 
welcher  diese  Geschichte  erzählt  wird,  findet,  daß  die  Frau 
es  sehr  geistreich  angestellt  hat,  um  ihren  Gatten  los  zu 
werden.  "*^^) 

Infolge  der  vielen  Verpflichtungen,  welche  das  Hofleben  in 
Versailles  mit  sich  bringt,  muß  der  Mann  sich  oft  lange  von 
seiner  Frau  trennen  und  diese  lebt  ganz  nach  ihrem  Belieben. 
Wenn  er  als  Gesandter  an  einen  fremden  Hof  gehen  muß,  so 
denkt  sie  gar  nicht  daran,  ihn  zu  begleiten.  ,,Das  fehlte  mir 
gerade  noch!"  sagt  eine  Frau  auf  die  Bemerkung  ihrer  Kammer- 
frau, daß  ihr  Gatte  sie  vielleicht  auffordern  könne,  zu  ihm  nach 
Straßburg  zu  kommen.  Da  bleibt  sie  schon  lieber  in  Paris  und 
läßt  sich  von  einem  Chevalier  den  Hof  machen.  Der  letzte  Brief 
ihres  Mannes  enthielt  viele  Liebenswürdigkeiten;  ,,er  ist  vielleicht 
gar  in  Sie  verliebt"  meint  ihr  Verehrer  und  sie  erwidert,  sie 
glaube  es  fast  selbst.  Doch  die  Treue  ihres  Mannes  hindert  sie 
in  keiner  Weise,  Beziehungen  zu  dem  Clievalier  zu  unterhalten. 
Leider  wird  das  schöne  Verhältnis  bald  gestört.  Man  meldet 
der  Dame  plötzUch,  daß  ihr  Mann  zurückgekehrt  sei;  sie  will 
ihren  Liebhaber  sogleich  davon  benachrichtigen,  aber  noch 
während  sie  an  dem  Briefchen  schreibt,  kommt  dieser  zurück 
und  trifft  mit  dem  Gatten  seiner  Angebeteten  zusammen.  Da  er 
diesen  nicht  kennt,  wittert  er  in  ihm  einen  Nebenbuhler  und  fordert 

129)  Prov.  III,  401. 

130)  Prov.  et  Com.   I,  325. 
i''!)  Prov.  et  Com.   II,  47/48. 


Dir   K'onichnic  /ranzösisr/ie    Frau   des   AT///.    Jahihmulcrls.       :H 

ihn  auf,  das  Haus  zu  vtM'lassen.  Die  trouloso  Frau  «M-scheint  auf 
der  Schwelle  und  sieht  sich  verraten.  Was  tut  der  betrogene 
Gatte  ?  Er  erklärt  seiner  Frau,  daß  er  aus  der  Sache  nichts 
machen  werde,  daß  sie  aber  den  anderen  nicht  wiedersehen  solle. 
,,Wie,  mein  Herr,  Sie  denken  vielleicht....'"  erwidert  sie  im 
Tone  der  gekränkten  Unschuld.  Aber  ihr  Mann  weiß,  woran  ci- 
ist  und  verläßt  stillschweigend  das  Zimmer. ^^^j 

Es  ist  klug  von  dem  Manne,  wenn  er  wegen  der  Untreue 
seiner  Frau  keinen  Lärm  schlägt,  sondern  sich  mit  der  vollendeten 
Tatsache  abfindet.  Der  Grundsatz,  daß  die  Ehre  des  Mannes 
zum  großen  Teil  von  der  Treue  seiner  Frau  abhänge,  hat  damals 
schon  keine  Gültigkeit  mehr.^^^)  Im  18.  Jahrhundert  ist  die 
Eifersucht  ,,de  mauvais  ton"^^'^)  und  wenn  die  Gesellschaft  er- 
fährt, daß  ein  Herr  seiner  Frau  den  \'erkelir  mit  einem  anderen 
verboten,  so  ist  er  ob  seiner  Eifersucht  dem  allgemeinen  Gespötte 
ausgesetzt. ^^^)  ,,Wenn  im  18.  Jahrhundert  ein  Mann  seine  Frau 
allein  besitzen  wollte,  so  würde  er  als  ein  ,,perturbateur  de  la 
joie  publique"  betrachtet  werden,  als  ein  \'errückter,  «der  die 
Segnungen  des   Sonnenhchtes  allein  genießen  wollte. »"■'^^) 

Und  doch  gibt  es  auch  im  18.  Jahrhundert  noch  Überbleibsel 
aus  der  Zeit,  wo  man  es  mit  den  ehelichen  Pflichten  noch  ge- 
nauer nahm.  Ein  Herr  überrascht  eines  Tages  seine  Frau,  wie 
sie  ein  Briefchen  schreibt;  er  wünscht  es  sehen  zu  dürfen,  sie 
verweigert  es.  Das  bestärkt  seinen  Verdacht,  daß  sie  Beziehungen 
zu  einem  Chevalier  habe,  der  sie  häufig  besucht.  Er  verlangt 
von  ihr,  daß  sie  den  Verkehr  mit  dem  Herrn  abbreche.  Kaum 
ist  er  fort,  so  kommt  der  Liebhaber  der  Dame;  sie  teilt  ihm  das 
Ansinnen  ihres  Gatten  mit  und  knüpft  daran  die  Betrachtung: 
.,Voilä  ä  quoi  nous  exposent  nos  maris  avec  leurs  facons!"  Plötz- 
lich kommt  der  Herr  zurück;  der  Chevalier  flüchtet  sich  in  ein 
anstoßendes  Zimmer,  vergißt  aber  in  der  Eile,  seinen  Hut  mit- 
zunehmen. Die  Unterhaltung  der  beiden  Gatten  ist  sehr  ge- 
zwungen und  die  Frau  versucht  alles,  um  ihren  Mann  zum  Fort- 
gehen zu  bewegen.  Endlich  gelingt  ihr  dies;  aber  schon  nacli 
einigen  Sekunden  kommt  er  zurück,  denn  er  hat  gemerkt,  daß 
er  einen  falschen  Hut  hat.  Er  fragt  seine  Frau,  ob  der  Chevalier 
nicht  dagewesen  sei;  sie  verneint  es.  Da  er  dies  nicht  glauben 
will,  wird  sie  zornig:  ,,Si  vous  allez  vous  mettre  ä  me  tourmenter 
comme  cela,  je  n'y  tiendrai  pas;  je  vous  en  avertis."  Da  hält 
er  ihr  den  Hut  des  Chevalier  hin;  sie  nimmt  ihn,  betrachtet  ihn 
und  sagt  kaltblütig:  ,,Nun  ja,  wenn  er  besser  ist,  als  der  Ihrige, 
so  liaben  Sie  bei  dem  Tausch  ja  nur  gewonnen."    Aber  der  Gatte 

i^--^)  Prov.  I,  108  ff. 

133)  Dejob. 

134)  Bader,  p.   118. 

135)  Prov.   1,  249. 

136)  Bader,  p.   118. 


32  Hans    Urschlechler. 

nimmt  die  Sache  nicht  so  leicht.  Entrüstet  über  diese  Unver- 
frorenheit entgegnet  er:  „Ich  werde  Ihren  Eltern  über  Ihr  Be- 
tragen berichten  und  wir  werden  uns  scheiden  lassen. "^^^) 

Passen  zwei  Ehegatten  gar  nicht  zueinander,  so  nimmt  der 
eine  oder  der  andere  Teil  seine  Zuflucht  zur  Scheidung.  Wenn 
die  Eltern  sehen,  daß  ihr  Schwiegersohn  das  Vermögen  seiner 
Frau  verschwendet,  so  klagen  sie  auf  ,, Separation  des  biens;"^^^) 
dadurch  wird  wenigstens  verhindert,  daß  er  auch  seine  Kinder 
zu  Bettlern  macht. i^^)  Der  Prozeß  wird  am  Chätelet  anhängig 
gemacht;  ist  ein  Teil  mit  der  Entscheidung  dieses  Gerichtshofes 
nicht  zufrieden,  so  kann  er  an  das  Parlement  appellieren;  ist 
auch  das  Urteil  des  letzteren  nicht  nach  seinem  Wunsche,  so 
steht  ihm  noch  die  Berufung  an  den  Conseil  offen. ^^°)  Der  Aus- 
gang der  Scheidungsklage  ist  für  die  Frau  in  den  meisten  Fällen 
nicht  sehr  verlockend:  auf  Grund  des  Ehevertrags  werden  ihr 
2000  Taler  Pension  zugesprochen  und  sie  muß  sich  in  ein  Kloster 
zurückziehen. ^"^i)  Die  letztere  Bestimmung  wird  gegen  Ende  des 
Jahrhunderts  nicht  mehr  so  streng  gehandhabt.  Eine  Frau  hat 
es  sehr  arg  getrieben,  so  daß  sich  ihr  Gatte  von  ihr  scheiden  ließ; 
auch  die  Gesellschaft  steht  auf  der  Seite  des  Mannes  und  tadelt 
das  Benehmen  der  Frau.  Das  hindert  diese  nicht,  ins  Theater 
zu  gehen  und  sich  noch  mehr  in  der  ÖffentUchkeit  zu  zeigen 
als  vorher. i'*^)  Manchmal  ist  es  dem  Manne  auch  nur  darum  zu 
tun,  seine  Frau  los  zu  werden  und  er  gibt  ihr  ihr  ganzes  ein- 
gebrachtes Vermögen  zurück.  Eine  so  vornehme  Handlungs- 
weise findet  den  Beifall  der  Gesellschaft:  ,,C'est  se  conduire  on 
ne  peut  pas  plus  noblement."^*^)  Barbier  sagt  bezüglich  der 
Scheidung  in  seinem  ,, Journal":  ,,C'est  tout  commun  ä  present 
que  ces  separations  de  mari  ä  femme  par  transaction."^^*) 

Daneben  gibt  es  auch  Männer,  denen  es  gar  nicht  einfällt, 
sich  scheiden  zu  lassen,  die  vielmehr  aus  dem  Vorkehr  ihrer  Frau 
mit  hochstehenden  Personen  Nutzen  zu  ziehen  wissen.  Sie  sind 
so  nobel,  gar  keine  Eifersucht  zu  zeigen,  aber  sie  lassen  sich 
für  diese  Noblesse  durch  hohe  Ämter  und  einträgliche  Stellen 
entschädigen:  ,,Mademoiselle  votre  fille  est  fort  jolie,  eile  sera 
une  femme  charmante;  c'est  par  les  femmes  qu'on  fait  fortune: 
tous  les  gens  de  la  cour  viendront  chez  eux;  son  mari  ne  sera 
pas  jaloux,  il  sait  comment  il  faut  se  conduire  avec  ces  gens- 
lä,  et  que  les  femmes  ä  Paris  ont  toute  liberte."^'^'^) 

13')  Prov.   I,  258  fr. 

138)  Nouv.  Prov.   I,  249. 

13»)  Prov.  et  Com.  III,   10. 

140)  Prov.  et  Com.  II,  341. 

141)  Prov.  et  Com.  II,  339. 
1*2)  Prov.  et  Com.  II,  362. 

143)  ibid. 

144)  Barbier,  IV,  328. 

145)  Prov.   III,  468. 


Die  vornehme  französische  Frau  des  XV1I1.   Jahrhunderts.      33 

Freilich  hat  doi'  \'oi  rCihrcr  nicht  immer  so  leichtes  Spiel 
wie  bei  den  oben  geschiJdiM-ten  Frauen.  Gar  manciie  empfinden 
für  ihren  Gatten,  wenn  auoli  nicht  Liebe,  so  docli  Achtung  und 
Dankbarkeit,  und  schrecken  deshalb  vor  der  ehelichen  Untreue 
zurück.  Die  Frau  hat  sich  in  keiner  Weise  über  ihren  Gatten 
zu  beklagen,^*'')  er  ist  aufmerksam  gegen  sie^^^)  und  läßt  ihr  in 
allem  vollkommene  Freiheit  ;^'*^)  wie  sollte  sie  es  über  das  Herz 
bringen,  einen  solchen  Mann  zu  betrügen  ?  Und  doch  kann  auch 
diese  Frau  dem  Zeitgeiste,  der  die  häusHchen  Freuden  nicht  zu 
kennen  scheint  und  das  Glück  unter  fremdem  Dache  sucht,  auf 
die  Dauer  meist  nicht  widerstehen  und  unterliegt  schließhch  den 
süßen  Lockungen  des  \'erführere.  Das  18.  Jahrimndert  hat  in 
allem  recht  weitherzige  Ansichten;  so  erlaubt  es  auch  der  Frau, 
die  in  der  Ehe  nicht  das  gefunden  hat,  was  sie  zu  finden  hoffte, 
,,de  se  recrier  sur  le  choix  qu'elle  a  fait."'^^^)  Anfangs  erschaudert 
die  Frau  vor  einer  solch  leichtfertigen  Moral;  wohl  kennt  sie  die 
Anschauungen  der  Gesellschaft  über  die  eheliche  Liebe,  aber  die 
Achtung  vor  ihrem  Gatten  und  das  PfHchtbewußtsein  sind  in 
ihr  doch  noch  stärker,  als  die  Neigung  zu  dem  jungen  Manne, 
der  sie  fort  und  fort  seiner  Liebe  versichert.  \'or  diesem  Worte 
Liebe  erschrickt  sie;  sie  verbietet  ihm  je  wieder  von  seiner  Liebe 
zu  sprechen,  denn  was  sie  für  ihn  fühle,  sei  eine  bloße  Freund- 
schaft.^^^)  Sie  kämpft  lange  mit  sich,  aber  sie  findet  nicht  die 
moraUsche  Kraft,  den  Verehrer  abzuweisen.  ,,Er  liebt  mich  ja 
aufrichtig,'"  meint  sie,  ,,und  ^^^rd  mir  treu  sein."^^^)  So  übt  das 
süße  Gift  mehr  und  mehr  seine  Wirkung  aus,  aber  ihre  Gewissens- 
bisse vermag  es  nicht  zu  betäuben:  immer  kehrt  ihr  der  Gedanke 
wieder,  ihr  Liebhaber  könne  sie  betrügen  und  sie  habe  für  einen 
Undankbaren  all  diese  schweren  inneren  Kämpfe  ausgestanden.^^-) 

Wenn  wir  sehen,  wie  viele  Frauen  ihre  Männer  hintergehen, 
die  einen  kaltlächelnd  und  ohne  das  geringste  Schuldbewußtsein, 
die  anderen  nach  langen  seelischen  Kämpfen,  könnten  wir  viel- 
leicht geneigt  sein,  die  Frau  allein  für  die  Zerrüttung  des  Familien- 
lebens verantwortlich  zu  machen.  Damit  würden  wir  ihr  bitter 
unrecht  tun  und  gleichzeitig  iliren  Gatten  in  ein  unverdient 
günstiges  Licht  setzen.  Der  junge  Mann  des  18.  .Jahrhunderts 
ist,  ebenso  wie  das  junge  Mädchen,  infolge  seiner  ganzen  Er- 
ziehung zum  Mustergatten  wenig  geeignet.  Er  hat  selten  etwas 
Ordentliches  gelernt,  ist  aber  fast  immer  ein  guter  Spieler  und 
ein  gewiegter  Sportsmann;  frühmorgens  reitet  er  aus  oder  ver- 

146)  prov.   J,  352;   II,  276;  Prov.  et  Com.   I,  343. 
"■^)  Prov.  et  Com.  I,  373. 
"8)  Prov.  et  Com.  I,  22. 
"9)  Prov.  II,  479. 

150)  Prov    et  Com.  I,  330. 

151)  Prov.  11,  475. 

152)  Prov.  II,  476. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII*.  3 


34  Hans    Urschlechler. 

bringt  seinen  Vormittag  im  Boudoir  einer  Tänzerin  i^^-"^)  am  iVbend 
geht  er  ins  Theater,  besucht  die  Salons  und  schneidet  den  Damen, 
jungen  wie  alten,  die  Cour. 

Tritt  nun  ein  solcher  junger  Herr  in  die  Ehe,  so  müßte  er 
eigentlich  auf  manche  der  gewohnten  Vergnügen  verzichten.  Im 
Anfang  geht  dies  ja  auch  leidlich,  aber  bald  wird  ihm  das  ewige 
Einerlei  des  Familienlebens  langweilig;  er  sehnt  sich  nach  Ab- 
wechslung und  kommt  so  nach  und  nach  zu  seinen  früheren 
Lebensgewohnheiten  zurück.  Er  besucht  wieder  die  Salons  und 
sagt  anderen  Frauen  Liebenswürdigkeiten,  während  er  die  seinige 
stillen  Betrachtungen  über  die  Vergänglichkeit  der  Liebe  über- 
läßt. ,,Ach!"'  ruft  eine  junge  Frau  aus,  ,, warum  kann  man  sich 
doch  nicliL  immer  lieben  wie  vor  der  Heirat!  Ist  es  denn  eine 
Schande,  seine  eigene  Frau  ebenso  gut  zu  behandeln  wie  die 
eines  andern  ?"i54j  Djg  Gesellschaft  findet  dieses  Benehmen  des 
Mannes  ganz  selbstverständUch:  ,,L'opinion  n'imposait  pas  la 
vertu  aux  femmes,  mais  pas  davantage  l'amour  ä  leurs  maris; 
eile  stipulait  seulement,  pour  elles  comme  pour  eux,  une  com- 
plete  liberte."^^^) 

Der  Mann  macht  vun  dieser  Freiheit  zuweilen  einen  recht 
ausgiebigen  Gebrauch.  Daß  er  die  Frauen  seiner  Bekannten  den 
Hof  macht,  wäre  am  Ende  noch  nicht  so  schlimm;  aber  in  den 
Liebesaffären  mit  Damen  der  Gesellschaft  findet  er  nur  eine 
Zeitlang  seine  Befriedigung.  Bald  können  ihn  derartige  Ver- 
hältnisse nicht  mehr  fesseln  und  er  nimmt  seine  Zuflucht  zum 
letzten  Mittel,  um  seine  abgestumpften  Sinne  zu  erregen,  zur 
Dirne^^®):  ,,Je  suis  plus  d'äge  a  rechercher  les  femmes  de  la  societö 
et  je  veux  avoir  une  fille  de  l'Opera."^^'^)  Die  Tänzerinnen  und 
Figurantinnen  der  Oper  werden  von  alten  und  jungen  Theater- 
habitues viel  begehrt;  ,,die  Oper,  d.  h.  die  Tänzerinnen,  vordreht 
allen  Männern  den  Kopf."*^®) 

Diese  für  das  18.  Jahrhundert  charakteristische  Talsache 
mag  uns,  die  wir  unsere  modernen  Theaterverhältnisse  gewöhnt 
sind,  auf  den  ersten  Blick  befremden,  allein  wir  werden  sie  vollauf 
begreifen,  wenn  wir  uns  die  Herkunft  und  die  Zusammensetzung 
des  Bühnenpersonals  genauer  betrachten.  Die  Dirne,  die  an 
den  Straßenecken  und  in  den  Gassen  der  Vorstädte  ihre  Opfer 
an  sich  zu  locken  suchte,  wurde  von  der  Polizei  scharf  verfolgt: 
sie  wurde  ins  Hopitfd  geschickt  und,  wenn  sie  rückfällig  wurde, 
mit  schweren  körperUchen  Strafen  belegt.  Auf  die  Mitglieder 
der   Pariser   Bühnen   jedoch   wurden  diese  strengen   gesetzlichen 

153)  Nouv.  Prov.  II,  lOUff.;   148;  266.  —  Prov.  et  Com.   H.   148. 

154)  Prov.  III,  203/04. 

155)  Dejob,  p.  90. 

156)  Nouv.  Prov.   I,  253. 
15")  Nouv.  Prov.   II,   103. 
158)  Prov.  et  Com.   II,   147. 


Die   vonii'linii'  französische  Frau   des   Will.   Jalirlniii<lerls.      35 

Bestimmungen  fast  gar  nicht  angewaiult.  WVnn  ein  Mädchen 
in  die  Mitgliederlisten  der  Oper,  der  Comedie  Frangaise  oder  eines 
der  übrigen  großen  Pariser  Theater  eijigetragen  war,  so  war  es 
damit  der  Polizeigewalt  entrückt  und  genoß  gewissermaßen  eine 
Art  Unverletzlichkeit.  Ja  sogar  die  Eltern  des  Mädchens,  die 
mit  dessen  Beti'agen  unzufrieden  waren,  hatten  v^on  nun  an  keine 
Macht  mehr  über  ihre  Tochter.  Wie  begehrenswert  mußte  also 
eine  solche  Stelle  an  einem  Theater,  wo  die  letzte  der  Figuran- 
tinnen  eine  vollkommene  Freiheit  genoß,  für  so  manches  leicht- 
fertige junge  Mädchen  sein!  Und  wie  drängten  sie  sich  dazu, 
unter  das  Bühnenpersonal  aufgenommen  zu  werden!  Baudouin 
führt  uns  in  einem  Bilde,  das  den  bezeichnenden  Titel  ,,Le  chemin 
ä  la  fortune  ?■'  trägt,  in  eines  dieser  Theaterbureaus;  daß  es  bei 
der  Aufnahme  weniger  auf  wirkliches  Können  als  auf  körperliche 
Reize  ankommt,  ist  leicht  erklärlich. ^^^) 

Nach  dem  Gesagten  wird  es  uns  nicht  mehr  wundern,  daß 
im  18.  Jahrhundert  das  Theater  ein  so  großes  Kontingent  zur 
r^rostitution  stellt.  Das  Bekanntwerden  mit  den  Tänzerinnen  bietet 
dem  Manne  keine  großen  Schwierigkeiten.  Die  Proben  ermöglichen 
ihm  eine  leichte  Annäherung;  in  den  Zwischenpausen  der  Vor- 
stellung unterhält  er  sich  mit  ihr  hinter  den  Kulissen  oder  er  läßt  sie, 
wie  ein  Gemälde  Moreaus^^^)  ersehen  läßt,  in  seine  Loge  kommen. 
Am  Morgen  besucht  er  sie  in  ihrer  Wohnung  und  verbringt  den 
ganzen  Vormittag  bei  ihr.^^^)  Natürlich  glaubt  er  bald,  daß  das 
Mädchen  ihn  wirklich  liebe;  da  er  weiß,  daß  er  bei  der  Schönen 
noch  Nebenbuhler  hat,  macht  er  ihr  wertvolle  Geschenke  und 
sucht  sich  ihre  Liebe  durch  das  Versprechen  einer  Jaliresrente 
zu  sichern. 1^2)  Das  Mädchen  geht  recht  schlau  zu  Werke  imd 
weiß  aus  seinem  Liebhaber  hohe  Summen  herauszupressen. 
Selbst  aus  ihrer  Treulosigkeit  weiß  die  Dirne  Kapital  zu  schlagen; 
wenn  ihr  Verehrer  sich  darüber  beklagt,  daß  sie  ihm  einen  reichen 
Engländer  vorziehe,  so  beteuert  sie  ihm,  daß  sie  diesen  fortjagen 
werde^^3)  ^^d  ihn  allein  liebe;  die  vielversprechenden  Worte  ihres 
Briefes:  ,, Adieu,  mon  eher  Marquis,  je  te  souhaite  le  bonsoir. 
Quand  nous  reveillerons-nous  ensemble  dans  les  bras  Tun  de 
Tautre,  pour  nous  donner  le  bonjour  ?"^ö*)  verscheuchen  in  ihm 
den  letzten  Zweifel  an  ihrer  Liebe  und  gerne  macht  er  ihr  das 
gewünschte  Geschenk. 

Die  Bildung  dieser  Mädchen  ist  oft  nicht  groß;^^^)  darauf 
kommt  es  aber  auch  gar  nicht  an;  wenn  sie  nur  immer  lustig 

159)  Vgl.  auch  Augustin  de  Saint-Aubin,  .,La  Promenade  des 
remparts  de  Paris"  und  Debucourt,  ,,La  Promenade  au  Palais-Royal." 

160)  Ygj    Moreau,  La  petita  löge. 
i«i)  Prov.  et  Com.  II,   148. 

162)  Nouv.  Prov.   II,   110. 

163)  Prov.  et  Com.   III,  10. 

164)  Prov.  et  Com.   III,   11/12. 

165)  Nouv.  Prov.   II,   108/09. 

3* 


36  Hans    Urschlechter. 

sind,  so  isl  das  schon  genug,  um  zu  gefallen:  ,,Amelie  est  bete 
ä  manger  du  foin;  eile  dit  des  choses  impayables!  olle  ne  sait 
ni  la  valeur  des  mots  ni  la  valeur  des  choses;  mais  olle  rit  tou- 
jours;  je  la  trouve  tres  amüsante. "i^^)  Auch  mit  der  Schönheit 
ist  es  bei  vielen  nicht  weit  her:  ,,Elle  n'est  pas  trop  jolie;  olle 
est  un  peu  brune,  mais  eile  est  fort  piquante;"^^'^)  eine  andere  hat 
,,une  boucho  pincee"  und  ist  geradezu  häßlich  •,^^^)  eine  dritte  ist 
durchaus  nicht  hübsch,  aber  sie  hat  ,,de  cos  physionomios  que 
los  hommos  aiment  toujours  beaucoup".^^^)  Ein  Marquis  hat  eine 
Tänzerin  zur  Geliebten,  die  er  schon  als  Nähmädchon  kannte, 
und  die  damals  viel  frischer  und  schöner  war.^'*') 

Eine  besondere  Genugtuung  bereitet  es  dem  Manne,  wenn 
er  einem  Bekannten  seine  Geliebte  wegschnappen  kann;^'^^)  auch 
der  Onkel  ist  vor  der  Rivalität  seines  Neffen  nicht  sicher  und 
vielfach  hat  der  letztere  mehr  Glück. ^'^'')  Die  Dirne  wird  als  eine 
Art  ,,bien  public"  angesehen,  auf  das  jedermann  ein  Anrocht 
liat:  ,,....  et  puis  tout  le  monde  l'a  eue,  il  faut  que  j'aio  mon 
tour."-'^^)  Viele  Ehemänner  vernachlässigen  ihre  Frau  vollständig 
und  laufen  nur  den  Dirnen  nach;^^*)  sie  unterhalten  eine  ,,potite 
maison",  wo  sie  regelmäßig  mit  ihrer  Geliebten  zusammen- 
kommen.^'^^) Wenn  die  Beiden  sich  auf  der  Straße  begegnen, 
verrät  das  Mädchen  mit  keinem  Bück,  daß  es  den  Herrn  kennt. i'^^) 

Barbier  bezeugt  uns  die  weite  Verbreitung  des  Dirnen- 
wesens in  der  damaligen  Zeit:  ,,....  si  c'ost  parco  quo  le  Roi  a 
une  maitresse,  mais  qui  n'en  a  pas  ?  Hors  M.  le  duc  d'Orleans, 
qui  est  retire  ä  Sainte  Genovievo  et  qui  est  tres  meprise  avec 
raison." ^'''^)  Wir  können  unser  Urteil  über  den  Ehemann  des 
18.  Jahrhunderts  in  den  Satz  zusammenfassen:  ,,Pour  faire  un  bon 
mari,  le  jeune  homme  du  dix-huitieme  siecle  aime  trop  les  femmes." 

Dieser  Verkehr  ihres  Gatten  mit  Dirnen  kann  der  Frau 
auf  die  Dauer  nicht  verborgen  bleiben.  Wenn  sie  ilnn  nun  des- 
halb Vorhalt  macht,  so  weiß  er  die  Sache  als  ,,onfance"  oder 
als  harmlosen  Spaß  hinzustellen.^'^)  Allein  die  Frau  weiß,  daß 
hinter  einem  solchen  Verhältnis  mehr  steckt:  ,,Los  goüts  pour 
los  filles  sont  ce  qu'il  y  a  de  plus  i'edoutabl<>  pour  nous";!''^)  sie 

166)  Ppov.  et  Com.   II,  74. 

1«')  Prov.  et  Com.   II,  75. 

168)  Prov.   I,   126. 

169)  Prov.  et  Com.   II.   121. 
"ö)  Prov.  et  Com.  I,  80. 
i'i)  Nouv.  Prov.   I,  202. 
"2)  Prov.  et  Com.   II,   121. 
"3)  Prov.  et  Com.  II,  75. 
"*)  Prov.  et  Com.   I.  30. 
1'*)  Nouv.  Prov.   II,  97. 
i"6)  Prov.  et  Com.   II,  378'. 
1")  Barbier,  IV,  496. 

i'8)  Prov.  et  Com.   I,  286. 
1'«)  ibid. 


Die  vornehnic  französische   Frau   des    XVIII.  Jahrluiiulerls.      37 

sieht  nur  7X\  gut  voraus,  wohin  ihr  Mann  kommt  mit  diesen 
,,goüts  passagers  qu'il  faut  renouveler  sans  cesse".^^^)  Liebt  sie 
ihren  Gatten,  so  muB  sein  Benehmen  sie  tief  betrüben.  Ein 
Baron  macht  seine  Gemahlin  unglücklich  ,,par  uno  conduite 
epouvantable".^^^)  Eine  Dame,  die  schon  lange  in  der  Gesell- 
schaft ist,  findet  es  ganz  begreiflich,  daß  viele  junge  Frauen 
ihre  Männer  nicht  dauernd  an  sicii  fesseln  können,  ,,comme  elles 
n'ont  pas  le  ton  des  danseuses."^^-) 

Wie  findet  sich  die  so  vernachlässigte  Frau  mit  der  Untreue 
ihres  Gatten  ab  ?  Manchmal  sieht  sie  es  sogar  ganz  gerne,  wenn 
ihr  Mann  anderen  Frauen  den  Hof  macht;  das  gibt  auch  ihr  das 
Recht,  ihre  eigenen  Wege  zu  gehen:  ,,Les  maris  ont  des  amuse- 
ments  particuliers;  et  pour  que  nous  ne  les  leur  reprochions  pas, 
ils  nous  laissent  decider  de  ce  qui  nous  plait."^^^)  Nun  ihr  Gatte 
fast  völlig  taub  geworden  ist  und  seine  Rolle  in  den  Salons  aus- 
gespielt hat,  klagt  sie:  ,,Eh  bien,  tout  cela  est  fini,  et  il  m'est 
retombe  sur  les  bras."^^*)  Eine  andere  nimmt  ein  Dienstmädchen, 
das  ihr  Gatte  ,,aimc  beaucoup"  und  von  dem  er  immer  behauptet, 
daß  es  noch  eine  Tänzerin  werden  könne. ^^^) 

Zuweilen  ist  die  Frau  edelmütig  genug,  um  dem  Treulosen 
nicht  mit  Gleichem  zu  vergelten.  Sie  hat  ihren  Gatten  aus 
Liebe  geheiratet  und  fest  darauf  gebaut,  daß  er  ihr  treu  bleiben 
werde.  Nun  sieht  sie  ihr  Vertrauen  getäuscht:  soll  sie  bei  anderen 
Männern  suchen,  was  sie  bei  dem  einen  nicht  fand?  Wenn  er 
ihr  die  Treue  nicht  zu  halten  vermochte,  was  hat  sie  da  von 
den  anderen  zu  erwarten  ?  Diese  Erwägungen  geben  ihr  die 
Kraft,  ihr  Unglück  standhaft  und  ohne  Murren  zu  ertragen. ^^*^) 

Aber  nicht  jede  Frau  ist  so  willensstark,  daß  sie  ihre  ge- 
täuschten Hoffnungen  still  und  ohne  Klage  zu  Grabe  tragen 
kann:  sieht  sie  sich  von  ihrem  Gatten  betrogen,  so  besteht  auch 
für  sie  kein  Anlaß  mehr,  die  eheliche  Treue  zu  bewahren.  Lange 
kann  sie  an  die  Schuld  ihres  Mannes  nicht  glauben  und  weist  die 
Liebes  Werbungen  eines  Chevalier  ab.  ,,Si  mon  mari  me  trom- 
pait!  ...  Mais  cela  n'est  pas  possible."^^'^)  Der  Chevalier  erbietet 
sich,  den  Beweis  für  seine  Behauptung  zu  erbringen,  falls  sie 
ihn  dann  erhören  will.  Nach  langem  Zögern  willigt  sie  ein.  In 
einem  Domino,  welcher  dem  einer  Frau  von  Orville  aufs  Haar 
gleicht,  begibt  sie  sich  auf  einen  Maskenball,  den  diese  Dame 
gibt.  Bald  hat  ihr  Gatte  sie  erspäht  und  in  der  Meinung,  seine 
Angebetete  vor  sich  zu  haben,  beteuert  er  ihr  seine  leidenschaft- 


180)  prov.  et  Com.  III,  8. 

181)  Prov.  et  Com.  III,   14. 

182)  Prov    et  Com.   II,   148. 

183)  Ppov    et  Com.  II,   146. 

184)  Prov.  et  Com.   II.   175. 

185)  Prov.  et  Com.  II,   121. 

186)  Prov.  et  Com.   II,  286/87. 
IS'?)  Prov.   I,  352. 


38  Hans    Urschlechter. 

liehe  Liebe.  Da  sie  als  Beweis  für  die  Aufrichtigkeit  seiner  Worte 
das  Porträt  seiner  Frau  verlangt,  gibt  er  es  ihr  mit  den  Worten: 
,,Ah,  qua  ne  me  demandez-vous  quelque  chose  de  plus  difficile  ?"188) 
Die  Frau  ist  nun  von  der  Untreue  ihres  Gatten  überzeugt  und 
hält  das  Versprechen,  das  sie  dem  Chevalier  gegeben  hat. 

So  mögen  es  wohl  die  meisten  der  betrogenen  Frauen  ge- 
macht haben  und  sie  haben  dabei  die  öffentliche  Meinung  auf 
ihrer  Seite:  ,,Une  femme  que  son  mari  abandonne,  est  un  effet 
qui  doit  rentrer  dans  la  societe".^^^) 

Carmontelle  durfte  natürlich  die  betrogene  Gattin,  die  nun 
ihrerseits  ihren  Gatten  hintergeht,  nicht  in  ihrer  ganzen  Ver- 
worfenheit auf  die  Bühne  bringen.  Vieles  deutet  er  nur  leise 
an  und  in  den  betreffenden  Stücken  ist  viel  zwischen  den  Zeilen 
zu  lesen.  Wenn  einmal  die  Gesellschaft  des  18.  Jahrhunderts 
einer  Frau  nachsagt,  sie  sei  ,,un  peu  legere", ^^^)  so  läßt  dieses 
Wort  eine  recht  weite  Auffassung  zu.  Ein  Herr  erzählt  von 
seiner  Gattin,  daß  sie  es  mit  einem  Chevalier  sehr  gut  könne; 
der  letztere  erfährt  diese  Äußerung  von  einem  Freunde  und 
ruft  entrüstet  aus:  ,,I1  pense  aussi  mal  de  sa  femme!"  Der  andere 
erwidert  ihm  gelassen:  ,, Aussi  mal,  aussi  mal:  voilä  de  grands 
mots."^^^)  Er  findet  es  also  ganz  in  der  Ordnung,  daß  die  Frau 
dem  Beispiele  ihres  Gatten  folgend,  außerhalb  der  Ehe  Genüsse 
sucht. 

Die  rein  platonische  Liebe  bildet  wohl  nui*  in  den  seltensten 
Fällen  den  Gegenstand  dieser  Liebschaften.  Aus  einer  Stelle 
bei  Carmontelle  geht  dies  klar  hervor:  Eine  Frau  möchte  aufs 
Land  gehen,  fürchtet  aber,  daß  ihr  Gatte  ihr  Schwierigkeiten 
machen  könnte.  Sie  will  sich  deshalb  von  ihrem  Hausarzt  einen 
längeren  Landaufenthalt,  verbunden  mit  einer  Milchkur  verordnen 
lassen;  dagegen  wird  ihr  Gatte  nichts  sagen  können.  Der  Arzt 
kommt;  er  fragt  die  Dame  nicht  erst  lange  was  ihr  fehle;  er 
weiß  es  ja  schon  im  voraus :  ,,C'est  votre  mari  qui  vous  embarrasse  ?" 

Madame    de    Breville:    ,,Oui,    comment    savez-vous    cela  ?" 

Le  docteui':  ,,Parce  qu'il  n'y  a  rien  de  si  commun;  mais  il 
est  encore  temps  de  vous  tirer  d'affaire  vis-ä-vis  de  lui.  Vous 
n'etes  pas  brouilles  ensemble  ?" 

Madame  de  B.:  ,,Non;  pourquoi  ?" 

Le  docteur:  ,,Tant  mieux,  parce  que  les  rapprocliements 
scront  plus  faciles". 

Madame  de  B.:  ,,Les  rapprochements  ?" 

Le  docteur:  ,,Oui,  pour  ce  que  vous  desiriez:  vous  l'amenerez 
lä  aisement;  quand  unc  feiiinx'  est  jolie,  cela  lui  est  facile." 

188)  Prov.    1,  359. 

189)  Piuv.   1,   355. 

190)  prov.  oi  Com.   II,   17L 

191)  Nouv.  Prov.   I,  224. 


Die   vornehme  jraiizösiselie    Frau   des   XVIII.   Johrlmiulerls.      39 

Madame  de  B.:  ,,Je  ne  vous  comprends  pas". 

Le  docteur:  ,,I1  n'a  pu  se  douter  de  rien  encore  ?" 

Madame  de   B.:   ,,De  ce  qua  j'ai  a  vous  dire  ?" 

Le  docteur:  ,,Oui;  vous  n'avez  jias  ou  de  maux  de  coeur 
devant  liii  ?" 

Madame  de  B.:  ,,Quoi!  imagineriez-vous  que  je  suis  grosse  ?' 

Le   docteur:    ,,Sürement.      Est-ce    que   cc   n'est   pas   cela  ?" 

Madame  de  B.:  ,,Vous  pourriez  penser ?    En  verite, 

docteur,  il  est  bien  vilain  ä  vous  de  croire  cela  de  moi!" 

Le   docteur:    ,,C'est   de   votre   mari   dont  je   pensais   mal/' 

Madame  de  B.:  ,,r)e  mon  mari?" 

Le  docteur:  ,,Oui;  quand  les  maris  negligent  leurs  femmes, 
il   n'est   pas   surprenant  .  .   .  ."'^^^) 

Der  gute  Doktor  scheint  auf  diesem  Gebiete  eine  reiche 
Erfahrung  zu  besitzen  und  wir  dürfen  wohl  annehmen,  daß 
seine  Diagnose  nicht  immer  so  falsch  war  wie  in  dem  obigen  Falle. 

Wir  wollen  unsere  Untersuchung  in  dieser  Richtung  nicht 
weiter  fortsetzen.  Daß  eine  Frau,  die  sich  einmal  auf  die  schlüpf- 
rige Bahn  des  Ehebruchs  begeben  hat,  immer  tiefer  fallen  muß, 
sagt   Boileau   in   den   bekannten   Versen   seiner   zehnten    Satire: 

,,Dans  le  crime  il  suffit  qu'une  fois  on  debute; 

Une  chute  toujours  attire  une  autre  chute. 

L'honneur  est  comme  une  ile  escarpee  et  sans  bords: 

On  n'y  peut  plus  rentrer  des  qu'on  en  est  dehors," 
und  um  zu  erkennen,  um  wie  viel  das  Laster  bei  der  Frau  häß- 
licher ist  als  beim  Manne,  lassen  wir  eine  Frau  selbst  reden: 
,,When  women  fall,  they  fall  deeper  than  men,  because  the  only 
sense  of  honour  allowed  them  by  society  departs,  if  once  the 
purity  of  their  lives  is   tainted".^^^) 

,,La  nature  mele  dans  ses  creations,  sans  pourtant  les  con- 
fondre,  l'ombre  ä  la  lumiere,  le  grotesque  au  sublime. "^^^)  Diese 
Worte  Mctor  Hugos  gelten  auch  vom  18.  Jahrhundert;  wenn 
hier  auch  die  Schatten  überwiegen,  so  fehlt  doch  auch  das  Licht 
keineswegs.  Inmitten  so  vieler  pflichtvergessener  Frauen  gibt 
es  auch  manche  tugendhafte  Gattin,  die  in  der  innigen  Liebe 
zu  ihrem  Manne  und  ihren  Kindern  ihre  volle  Befriedigung  findet; 
je  allgemeiner  die  Zersetzung  des  Familienlebens  ist,  desto  er- 
habener  erscheinen    diese    Beispiele    eheUchen    Glückes. 

Auch  Carmontelle  zeigt  uns  in  einigen  Stücken  ein  schönes, 
harmonisches  Familienleben.  Welche  Zufriedenheit  spricht  nicht 
aus  den  Worten  einer  Frau:  ,,Wie  sollte  ich  nicht  bestrebt  sein, 
einem  Manne  zu  gefallen,  den  ich  liebe  und  achte  ?  Unser  Glück 
hängt  von   uns  seihst   ab;   mein    Gatte   flieht   den   Umgang  mit 

192)   p,,ov.  et  Com.    II,  331/32. 

1^^)   Kavanagh,  vol.   I,  p.   12. 

1^*)  Victor  Hugo,  Preface  de  Cromwell. 


40  Hans   Urschlechter. 

frivolen,  leichtsinnigen  und  hinterlistigen  Menschen;  wie  sollte 
nicht  auch  ich  sie  hassen  und  wie  könnte  ich  sie  fürchten  ?  Liebe 
und  Achtung  sind  nicht  immer  beisammen,  aber  wo  sie  es  sind, 
kann  nichts  in  der  Welt  ein  solches  Verhältnis  stören. "^^^) 

Die  wollustgetränkte  Luft  von  Paris,  ,,oü  Ion  ne  connait  les 
gens  avec  qui  l'on  vit  le  plus,  et  sa  femme  encore  moins  que  les 
autres",^^^)  ist  einem  guten  Familienleben  nicht  zuträglich.  Des 
halb  flüchtet  sich  das  liebende  Herz,  das  inmitten  der  glänzenden 
Gesellschaft  zu  erstarren  droht,  auf  das  Land  und  findet  hier 
in  dem  friedlichen  Rauschen  der  Bäume  und  in  dem  Anblick 
des  ,, Grünen",  dessen  ganze  poetische  Kraft  Rousseau  seinen 
Zeitgenossen  enthüllt  hat,  seine  Ruhe  und  seinen  Frieden  wieder. 
Hier  geht  der  Frau  das  Herz  auf  für  die  Annehmlichkeiten  des 
Familienlebens  und  für  die  Freuden  des  häuslichen  Herdes. 
Sie,  die  bis  vor  kurzem  ,,ne  voyait  que  Paris  dans  lo  monde",^^^) 
fühlt  sich  unsagbar  wohl  in  der  ländlichen  Stille;  hier  ist  sie 
geschützt  vor  den  Wogen  des  gesellschaftlichen  Lebens  und  kann 
sich  gajiz  ihrer  Familie  widmen.  Eine  liebevolle  Gattin  zu  sein 
und  sich  der  Liebe  ihres  Gatten  wert  zu  zeigen,  das  soll  von  nun 
an  ilu'  ganzes   Restreben  sein.^^^) 

Die  wahre  Liebe  zeigt  sich  im  Unglück.  Da  finden  sich 
Herzen,  welche  das  Schw^elgen  in  Glück  und  Wohlstand  gleich- 
gültig gemacht  hat,  wieder  zusammen;  da  zeigt  sich  auch  am 
schönsten  die  große,  unbegrenzte  Liebe,  deren  das  Frauenherz 
fähig  ist.  Weit  davon  entfernt  ihrem  Gatten,  der  durch  seine 
edelmütige  Hilfsbereitschaft  sein  ganzes  Vermögen  verloren 
hat,  Vorwürfe  zu  machon,  sucht  die  Frau  ihn  über  seinen  schweren 
Verlust  zu  trösten.  Alle  Entbehrungen  will  sie  redlich  mit  ihm 
teilen  und  der  Verlust  ihres  Ansehens  in  der  Gesellschaft  hat 
nichts  Schreckliches  für  sie.  ,,Sachons  nous  restreindre  au  seul 
necessaire;  dans  cette  solitude,  nous  no  craindrons  pas  les  regards 
de  ceux  qui  veulent  qu'on  rougisse  de  n'avoir  plus  que  la  vertu. "^^^) 
Solange  sie  ihren  Gatten  hat,  ist  sie  nicht  unglücklich:  ,,Bist  du 
denn  nicht  mein  ganzes  Glück  ?  Was  brauche  ich  denn  mehr  ?"2W)) 
Um  die  verzweifelte  Lage  ihres  Mannes  zu  bessern,  läßt  sie  sogar 
die  demütigenden  Äußerungen  einer  vermeintlichen  Freundin 
über  sich  ergehen.  Als  das  letzte  Mittel,  eine  Bes.serung  ihrer 
Lage  herbeizuführen,  fehlschlägt,  ruft  sie:  ,,Nun,  dann  laß  uns 
sterben,  nichts  soll  uns  trennen,  selbst  nicht  der  Tod."^^^)  Als 
endlich  Rettung  kommt,  denkt  sie  in  ihrer  Freude  zuerst  an  ihren 

i»5)  Prov.  in,  27. 

19«)  Prov.  III,  450. 

19')  Prov.  111,  449. 

198)  Prov.  111,  448  ff. 

199)  Prov.  II,  328. 

200)  Prov.  II,  332. 

201)  Prov.  II,  340. 


Die  i'onic/iftif  fraiizösisrhc    Fidti  des   XVIII.  .hihrhanderls.      41 

Gatten:  ,,11  m'ost  bion  doiix  cl(>  n'avoir  plus  licii  ;"i  naindio  |)()ur 
vous.   ^^-) 

Dies«'  Beispiele  wahrer  laiche  werden  unser  Urteil  id)er  das 
Familienleben  des  18.  Jaluhunderts  sicherlich  etwas  mildern 
und  uns  zeigen,  daß  Du  BIed  recht  hat  mit  seiner  Behauptung: 
,,Le  dix-huitieme  siecle  a  eu,  lui  aussi,  ses  parfaits  exemples 
de  tendresse  conjugale;  en  ce  temps  aussi  on  mourait  d'amour, 
on  etait  fidele."203) 

Dürfen  wir  von  einer  Frau,  die  es  mit  ihren  ehelichen  Pflichten 
so  leicht  nimmt,  erwarten,  daß  sie  eine  gute  Mutter  sei  ?  Gewiß 
nicht.  Von  der  Sorge,  die  sie  für  die  Erziehung  ihrer  Töchter 
trägt,  war  schon  die  Rede.  Die  wSöhne  kommen  in  der  Regel 
etwas  besser  weg  und  scheinen  ihrem  Herzen  durchweg  näher 
zu  stehen.  So  hat  eine  Frau  mit  ihrem  Sohne,  der  in  der  Leib- 
garde dient  und  bei  jedem  Wetter  ausrücken  und  exerzieren 
muß,  großes  Bedauern. ^^*)  Wenn  es  nicht  schon  zu  spät  wäre, 
würde  sie  ihm  raten,  sich  der  Jurisprudenz  zu  widmen;  da  sie 
unter  den  Angehörigen  dieses  Standes  viele  Bekannte  hat,  wäre 
ihr  Sohn  sicherlich  emporgekommen  und  eine  Stelle  im  Staats- 
rate wäre  ihm  sicher  gewesen. ^^^)  Aber  bei  seiner  ausgesprochenen 
Leidenschaft  für  die  Pferde,  wagte  sie  ihm  diesen  Vorschlag 
gar  nicht  zu  machen.  ,,Man  ist  sehr  unglücklich",  seufzt  sie, 
,,wenn  man  Mutter  ist  und  seine  Kinder  lieb  hat."-^'') 

Dem  Vater  gegenüber,  der  an  dem  Benehmen  seines  Sohnes 
viel  zu  tadeln  findet,  spielt  sie  die  Rolle  der  \'ermittlerin.  Sie 
nimmt  ihren  Sohn  stets  in  Schutz  und  weiß  auf  alle  Vorwürfe 
ihres  Gatten  eine  Entschuldigung.  Sein  vieles  Fernsein  von 
zu  Hause  erklärt  sie  damit,  daß  man  überall  von  ihm  entzückt 
sei  und  daß  alle  Welt  ihn  haben  wolle.  Er  ist  sehr  wißbegierig 
und  nimmt  an  allen  möglichen  Vorlesungen  in  verschiedenen 
Teilen  von  Paris  teil;  da  er  auf  Wunsch  seines  Vaters  seinen 
Wagen  und  seine  Pferde  verkauft  hat,  muß  er  den  ganzen  Weg 
zu  Fuß  machen,  und  da  ist  es  doch  gar  nicht  zu  verwundern, 
daß  er  mittags  zu  spät  heimkommt.  Gegen  seine  Braut  zeigt 
er  seit  einiger  Zeit  eine  auffallende  Zurückhaltung;  sein  Vater 
schließt  daraus,  daß  er  irgendwo  ein  Verhältnis  habe,  das  ihn  die 
Verlobte  vergessen  lasse.  Aber  die  Mutter  erblickt  darin  nur 
ein  gewisses  Zartgefühl,  von  dem  die  Männer  nichts  verstehen; 
sie  liebt  ihren  Sohn  leidenschaftlich  und  ist  überzeugt,  daß  er 
nichts  Unehrenhaftes  tut:  ,,Si  les  garcons  n'avaient  pas  le  coeur 
d'une    mere    pour   se    refugier,    pour    se    mettre    quelquefois    ä 

202)  prov.  II,  341. 

203)  Du  Bled,  Com.  Soc.  p.   194. 

204)  Prov.  et  Com.  II,   145. 

205)  pi-ov.  et  Com.  II,   146. 

206)  il)id. 


42  Hans    Urschlechler. 

l'abri    do    la    severite    de   leur   pere,    ils    seraient    aussi    trop    a 
plaindre."207) 

In  ihrer  Affenliebe  geht  die  Mutter  so  weit,  daß  sie  auch  in 
den  Schwächen  und  Lastern  ihres  Sohnes  noch  Anlaß  zur  Eitel- 
keit findet.  Sie  weiß,  daß  ihr  Sohn  seine  Frau  auf  jede  Weise 
vernachlässigt  und  seine  Zeit  bei  Tänzerinnen  verbringt;  anstatt 
ihm  wegen  seines  ungeziemenden  Benehmens  Vorhalt  zu  machen, 
bildet  sie  sich  noch  etwas  darauf  ein,  daß  diese  Geschöpfe  für 
ihren  Sohn  schwärmen  und  an  seiner  Unterhaltung  Gefallen 
finden. 2^^)  Sie  findet  es  ganz  begreiflich,  daß  eine  Frau,  die 
nicht  das  Gebahren  der  Dirnen  hat,  ihrem  Manne  nicht  lange 
gefallen  kann.  Aber  sie  ist  sich  ihrer  Mutterpfhchten  bewußt: 
den  lockeren  Vogel  behindert  sie  in  seinem  Tun  und  Treiben 
in  keiner  Weise;  dafür  schleppt  sie  ihre  Schwiegertochter,  die  über 
das  Verhalten  ihres  Gatten  tief  unglücklich  ist,  auf  alle  Bälle  und 
sonstigen  Vei'gnügen.  Da  die  junge  Frau,  statt  an  dem  abweclis- 
lungsreichen  Leben  Gefallen  zu  finden,  immer  trauriger  und  teil- 
nahmsloser wird,  wird  sie  der  Dame  eine  Last  und  diese  ist  froh, 
als  sie  sich  endlich  an  einige  andere  junge  Frauen  anschließt. ^09) 

Die  Liebe  der  vornehmen  Frau  zu  ihrer  Tochter  äußert  sich 
vor  allem  darin,  daß  sie  dieselbe  von  fridier  Jugend  an  auf  die 
Bälle  führt. ^^^)  Die  jungen  Mädchen  lernen  —  ob  zu  ihrem 
Vorteil  ist  eine  andere  Frage  —  frühzeitig  den  Ton  der  Gesell- 
schaft kennen  und  legen  oft  ein  recht  freies  Benehmen  an  den 
Tag;  in  ihren  Ausdrücken  ahmen  sie  die  jungen  Herren  so  ge- 
schickt nach,  daß  sie  von  diesen  wie  ihresgleichen  behandelt  und 
von  ihnen  betrachtet  werden,  ,,comme  de  jeunes  polissons  regar- 
dent  ]purs  camarades."2ii)  Den  Gi'und  für  diese  bedenkliche  Er- 
scheinung erblickt  Carmontelle  in  der  verkehrten  Erziehung  der 
Mädchen  durch  ihre  Mütter:  ,,....  elles  ne  leur  prescrivent  pas 
une  conduite  assez  reservee.  Dans  les  bals  elles  les  abandonnent 
aux  libertes  des  jeunes  gens,  que  leur  presence  ne  reticnt  pas, 
puisqu'elles  applaudissent  ä  tout  celä."2i2) 

Die  Sehnsucht  der  verheirateten  Frau  nach  dem  W'itwen- 
stande  ist  ziemlich  verbreitet^^^)  und  manchmal  spricht  sie 
diesen  W'unsch  ganz  unumwunden  aus.-^^)  Oft  war  ihre  Ehe  eine 
recht  trübe:  ihre  Eltern  hatten  sie  an  einen  Mann  verheiratet, 
den  sie  nicht  liebte;  er  war  ein  ,,libertin",2^^)  dei'  seine  Frau  in 

20")  Noiiv.  Prov.   II,   lOL 

208)  Prov.  et  Com.   II,   148. 

209)  Pn.v.  et  Com.   II,   148/49. 

210)  Prov.  et  Com.   II,   152. 

211)  Nouv.  Prov.   I,  247. 

212)  Nouv.  Prov.   I,  247. 

213)  Prov.    III,  401. 
21-«)  Prov.   I,  61. 

215)  Prov.  et  Com.   I,  30. 


Die   voniehnw  jraiizösischf   Frau   des   Will.   Jahrhunderts.      4.'i 

jed(>r  \^Vis('  vernachlässigte;  nun  er  gestorben  ist,  kann  sie  ihrer 
Neigung  l'olgfMi  und  ilucn  früheren  Geliebten  heiraten. ^^^)  Manche 
Witwe  kann  gar  nicht  begreifen,  wie  eine  Frau  ein  zweites  Mal 
heiraten  kann;^^')  wenn  man  reich  ist,  gibt  es  gar  niclits  Schöneres, 
als  Witwe  zu  sein,  denn  man  kann  da  tun  und  lassen  was  man 
will. 218)  W^enn  freilich  die  Frau  durch  ihren  Gatten  in  ihrer 
Freiheit  nicht  im  gei'ingsten  behindert  wurde,  hat  sie  durch  dessen 
Tod  niclits  gewonnen  und  auch  nichts  verloren;  sie  ist  immer 
,,au  meme  point".-'^)  Eine  andere  aber  hatte  viel  unter  der  Eifer- 
sucht ihres  Mannes  zu  leiden  und  ist  froh,  ihre  Freiheit  wieder 
erlangt  zu  haben. 2'^^)  Sie  will  nicht  wieder  hinraten,  denn  ,,elle 
aime  sa  liberte".  Das  ist  jedocii  in  den  Augen  ihres  Onkels 
kein  Grund:  ,,Les  femmes  sont-elles  genees  ä  Paris  ?  Au  conti-aire, 
elles  y  regnent  en  souveraines."'-^^)  Es  wäre  auch  wirklich  schade, 
wenn  sie  mit  ihren  zwanzig  Jahren  sich  nicht  wieder  verheiraten 
wollte,  denn  sie  hat  ,,tous  les  caprices,  toutes  les  fantaisies,  et 
meme  les  nerfs  des  femmes  de  Paris". ^^2) 


in.  Das  Leben  in  der  Gesellschaft. 

,,Ce  n'est  guore  eonnaitre  la  vie  des  femmes  du 
monde  que  de  la  croire    aisee;    eile  est  plus  austere 
que  la  vie  retiree." 
(,,La  Mode",  Comedie  de  ^Inie  de  Staal-Delaunay). 

Die  Sorge  für  ihre  Familie  spielt  in  dem  Leben  der  vor- 
nehmen Frau  nur  eine  untergeordnete  Rolle;  sie  muß  zuiiick- 
treten  vor  den  weitaus  wichtigeren  und  ungleich  mannigfaltigeren 
Verpflichtungen,  die  sie  der  Gesellschaft  gegenüber  hat.  Für  die 
Gesellschaft  ist  sie  erzogen  und  für  die  Gesellschaft  lebt  sie. 
Ihr  Hauptaugenmerk  ist  darauf  gerichtet,  wie  sie  den  Platz,  den 
die  Welt  ihr  eingeräumt  hat,  behaupten  und  ihren  Machtbereich 
womöglich  noch  erweitern  kann.  Wir  müssen  deshalb  auch  die 
vornehme  Frau  in  ihrem  gesellschaftlichen  Leben  studieren,  wenn 
wir  ein  vollständiges  und  lebenswahres  Bild  von  ihr  gewinnen 
wollen. 

Eine  Frühaufsteherin  ist  die  Dame  in  der  Regel  nicht:  Eine 
Frau  möchte  gerne  einmal  das  interessante  Treibhaus  des  Abbe 
besichtigen,  gibt  dieses  Vorhaben  aber  auf.  da  sie  hört,  daß  der 

216)  Prov.  et  Com.   L  31  (>  if. 

-1')  Prov.  et  Com.   1,  22. 

-18)  Prov.  et  Com.   II,  261. 

219)  Prov.  et  Com.   I,  22. 

220)  Nouv.  Prov.   II.  35. 

221)  Nouv.  Prov.   II,  255. 

222)  Nouv.  Prov.    II,  253. 


44  Hans    Ur schlechter. 

Abbe  täglich  schon  um  7  Uhr  hingelit.223)  Der  Gärtner  eines 
Kommandeurs  soll  am  nächsten  Morgen  in  die  Blumenbeete 
frische  Topfblumen  einsetzen  und  damit  fertig  sein,  bis  die  Damen 
in  den  Garten  kommen.  ,,Da  brauche  ich  mich  nicht  sehr  zu  be- 
eilen," meint  er,  ,,danscetemps-lä.j'auronsdejämangelasoupe."'^^*) 
Wenn  die  Dame  ja  einmal  sich  früher  erhebt,  so  geschieht  dies, 
weil  sie  ,, tausend  Sachen  zu  besorgen  hat,"225)  ^der  weil  sie  mit 
einigen  Freundinnen  einen  Spazierritt  verabredet  hat.^^^) 

Für  gewöhnlich  beginnt  der  Tag  der  vornehmen  Dame  erst 
gegen  elf  Uhr.  Der  ,,petit  jour"  einer  Dame,  sagt  Mercier,  be- 
ginnt um  elf  Uhr;^^'^)  Besucher,  die  vor  dieser  Zeit  kommen, 
werden  abgewiesen,  ,,parce  qu'il  n'est  pas  encore  jour."228)  j)j(i 
erste  Toilette  macht  die  Dame  in  der  Abgeschlossenheit;  auch  ihr 
bevorzugtester  Liebhaber  dürfte  es  nicht  wagen,  sie  dabei  zu 
überraschen. ^^^)  Im  Bette  sitzend,  trinkt  sie  die  ihr  von  einer 
Zofe  dargebotene  Schokolade ;  dann  läßt  sie  sich  von  ihrer  Kammer- 
frau einen  Bock  überwerfen  und  die  eleganten  Pantoffeln  an- 
ziehen. Sodann  nimmt  sie  in  einem  bequemen  Fauteuil  vor 
ihrem  Toilettentisch  Platz,  über  dem  ein  großer,  von  Spitzen  und 
Musselin  umrahmter  Spiegel  angebracht  ist.  Nun  legt  ihr  eine 
Zofe  das  Korsett  an,  das  hinten  zugeschnürt  wird.  Ist  dies  ge- 
schehen, so  ist  die  Zeit  des  grand  lever  gekommen  und  die  Be- 
sucher haben  Zutritt.  In  einem  feinen,  durchscheinenden  Peignoir 
empfängt  sie  die  ersten  Besucher. ^^^) 

Wir  haben  zwei  Stiche,  die  uns  die  Dame  bei  der  zweiten 
Toilette  zeigen.  In  dem  ersten  gewährt  uns  Baudouin,  der 
.Seh wiege rso Im  Bouchers,  einen  Einblick  in  das  Toilettenzimmer 
einer  Dame,  die  sich  in  Gegenwart  ihres  Anbeters  ankleiden 
läßt. 2^^)  Das  Zimmer  erinnert  noch  an  die  Rokokozeit,  verrät 
aber  bereits  die  Anfänge  der  Antike.  Im  Kostüm,  in  der  Frisur 
und  der  Körperhaltung  zeigt  sich  das  gleiche  Streben  zum  Schlan- 
ken und  "Niedlichen.  Das  Haar  ist  ganz  aus  dem  Nacken  nach 
oben  gekämmt,  damit  der  Hals  desto  schlanker  erscheint.  Die 
Taille  wird  durch  ein  hohes  Leibchen  zusammengepreßt,  mit 
dessen  Sclmürung  die  Zofe  beschäftigt  ist.  Bei  dieser  Arbeit 
hat  sich  der  Saum  des  kurzen  Unterrocks  in  das  Band  verwickelt 
und  wird  kokett  in  die  Höhe  gezogen,  damit  das  schlanke,  mit 
einem    weißen    Strumpf    bekleidete    Bein    noch    besser    sichtbar 

2")  Prov.  et  Com.  II,  155. 
^ä"!)  Prov.  et  Com.  II,  278. 
2-5)  Prov.  et  Com.   I,  .333. 

226)  Prov.  et  Com.   II,  49/50. 

227)  Mercier  I,  62. 

228)  Goncourt  p.    Kiß. 

229)  Mercier  III,  5. 

230)  Goncourt  p.   108. 

231)  Vergl.  die  Re|iro(hiUtion  l)'ei  Rarinet,  Rand  IV,  ,,Ein  Toiletten- 
zimmer von   1760." 


hie  i^'oriic/ifiic  fraiizösisc/ie    Frau   des   XVI/f.   Ja/ir/iuitdc/Ls-.      -45 

wird.  Zu  (lor  sclilankcn  Taillf  hildel  dov  korbartig  aul'gebausclito 
Rock  einen  seltsamen  Kontrast.  Aul'  dem  Sessel  liegt  ein  Kleid, 
welches  jenen  Neglige-artigen  Charakter  liat,  der  mit  den  ersten 
Jahren  der  Regierung  Ludwigs  XV.  beliebt  wurde. 

Während  bei  diesem  Bilde  verschiedene  Umstände  darauf 
schiicüen  lassen,  daß  die  Dame  vielleicht  eher  der  Halbwelt  als 
den  vornehmen  Ständen  angehört,  fiihrt  uns  ein  zweites,  von 
Lawrence  gezeichnetes  und  von  Delaunay  gestochenes  Bild  in 
ein  Toilettenzimmer,  das  für  die  achtziger  Jahre  des  18.  Jahr- 
hunderts typisch  ist.  Das  Bild  ist  unter  dem  Namen  ,,Qu'en 
dit  l'abbe  ?"  bekannt  und  ist  auch  bei  Racinet  (Band  IV)  unter 
dem  Abschnitt  ,, Zweite  Toilette  einer  Dame  von  Stand,  1788  bis 
1789"  reproduziert;  es  liegt  der  Schilderung  zugrunde,  die  Gon- 
court  von  der  Toilette  der  Dame  gibt.^^^) 

Die  Dame  sitzt  seitwärts  an  ihrem  Toilettentisch;  sie  hat 
bereits  Korsett  und  Unterrock  angelegt  und  trägt  noch  das 
Peignoir.  Sie  hält  den  Blick  gegen  die  Mitte  des  Zimmers  ge- 
richtet, wo  auf  einem  Sessel  eine  Modistin  einen  neuen  Stoff 
vorlegt.  Das  Haar  ist  leicht  gepudert,  und  es  bedarf  nur  noch 
eines  leichten  Durchkämmens,  um  die  Frisur  zu  vollenden. 
Links,  etwas  hinter  ihr,  sitzt  der  Arzt  und  untersucht  ihren  Puls; 
seine  Aufmerksamkeit  scheint  aber  weniger  dem  Pulsschlag  als 
vielmehr  den  schönen  Schultern  der  Dame  zu  gelten.  Ihm  gegen- 
id^er  spielt  ein  Herr  Guitarre.  Der  Abbe  scheint  schon  länger 
da  zu  sein  und  der  Dame  seine  Aufwartung  schon  gemacht  zu 
haben,  denn  er  steht  jetzt  im  Hintergrunde  des  Zimmers  und 
unterhält  sich  mit  einer  Zofe.  Der  Abbe  ist,  wie  Goncourt  sagt, 2^^) 
,,de  fondation  ä  la  toilette"  und  genießt  das  besondere  Vertrauen 
der  Dame.23i)  Er  hält  sie  über  alles,  was  sich  in  Paris  ereignet, 
auf  dem  Laufenden-^^)  und  weiß  ihr  stets  die  neuesten  Skandal- 
geschichten zu  erzählen,  denn  er  ist  ,,repandu  egalement  dans 
la  bonne  compagnie  et  dans  la  mauvaise".-^^) 

Ist  die  Toilette  so  weit  beendet  and  sind  die  Besucher  wieder 
fort,  so  greift  die  Dame  zu  einem  Roman^^'^)  oder  einer  sonstigen 
leichten  Lektüre.  Für  Romane,  besonders  wenn  sie  recht  rühr- 
selig sind,  hat  sie  eine  besondere  Vorliebe.  Die  ,,touching  novels" 
von  Richardson, ,, Pamela"  und  ,,ClarissaHarlowe",wurden,  wie  wir 
später  sehen  werden,  um  diese  Zeit  ins  Französische  übersetztest) 
und  1760  war  auch  Rousseaus  ,,Neue  Heloise"  erschienen.  Die 
vornehme  Dame  bringt  den  Leiden  der  Liebenden  die  regste  Teil- 


232)  Goncourt,  p.   108—110. 

233)  Goncourt,  p.   109. 

234)  Prov.  et  Com.  I,   15;   II,  370. 

235)  Prov.  et  Com.   II,  7. 

236)  Nouv.  Prov.   I,  201. 

237)  Prov.  et  Com.   I,  285,  324;   III,  58  etc. 

238)  Heiss,  p.  65. 


'46  tlan.s    Urschlechter. 

nähme  entgegen  und  möchte  den  jungen  Leuten  gerne  helfen; 
zum  wenigsten  möchte  sie  imstande  sein,  ihre  Leiden  zu  teilen. 
Diese  Rührung  über  fremden  Schmerz  ist  ihr  ein  Herzensbedürfnis, 
,,ein  hoher  Genuß. "^39)  Auch  ihre  Zofe,  welcher  sie  die  Romane 
zum  Aufschneiden  gibt,  soll  dieselben  lesen,  kommt  diesem 
Wunsche  aber  nur  selten  nach. 2'*'') 

Hernach  kommt  die  eigentliche  Toilette,  der  wichtigste  Teil  der 
täglichen  Beschäftigung  der  vornehmen  Dame.  Zahlreiche  Hände 
sind  Stunden  hindurch  tätig,  um  ihr  ein  möglichst  vorteilhaftes 
Aussehen  zu  geben.  Ihren  Teint  schont  die  Frau  auf  jede  Weise 
und  legt  sich  deshalb  die  größten  Opfer  auf :  sie  geht  im  Sommer 
nicht  spazieren  und  schließt  in  ihrer  Wohnung  die  Jalousien, 
so  daß  weder  Licht  noch  Luft  eindringen  können. ^^i)  Wenn  sie 
bei  einer  Freundin  Besuch  macht,  setzt  sie  sich  so,  daß  ihre 
Augen  weder  vom  Tageslicht  noch  vom  Feuer  des  Kamins  ge- 
troffen werden. 242)  sje  ist  sehr  stolz  auf  ihre  schlanke  Taille 
und  erzählt  mit  der  größten  Genugtuung,  daß  sie  in  der  letzten 
Zeit  ,,zusehejids  abgenommen  habe".^*^) 

Der  Toilettentisch  der  Dame  enthält  eine  reiche  Sammlung 
von  Schminken,  Puder,  Odeurs,  Essenzen  und  wie  die  tausend 
Mittel  und  Mittelchen  der  Kosmetik  alle  heißen  mögen.  Es  ist 
nicht  nötig,  daß  die  Dame  Sommersprossen  oder  einen  anderen 
kleinen  Schönheitsfehler  vor  den  Augen  guter  Freundinnen  zu 
verbergen  hat;^^^)  ungeschminkt  würde  die  vornehme  Frau  des 
18.  Jahrhunderts  nie  und  nimmer  unter  die  Leute  gehen. 2*5)  Sie 
hat  stets  die  verschiedensten  Arten  von  rouge  vorrätig  und  ihr 
parfumeur  bringt  ihr  fast  jede  Woche  eine  neue;  zwar  kostet 
davon  der  Topf  drei  Louisdor,  aber  was  ist  das  für  ein  so  un- 
entbehrliches und  wirksames  Schönheitsmittel  ?2*6)  Um  die  Farbe 
ihres  Haares  nach  Belieben  zu  ändern,  stehen  der  Frau  zahlreiche 
Mittel  zur  Verfügung,  und  so  ist  es  gar  nichts  besonderes,  wenn 
sie  eines  Tages  als  Blondine  erscheint,  während  sie  tags  zuvor 
noch  brünett  war. 2*7)  Für  die  verschiedenen  Arten  von  Eaux 
und  Essenzen  hat  sie  eine  große  Vorliebe  und  zieht  deren  Ge- 
rüche dem  Dufte  natürlicher  Blumen  vor. 2*®) 

Und  nun  beginnt  der  Aufbau  jener  wunderlichen  Haar- 
gebilde, die  unserem  modernen  Geschmack  geradezu  unverständ- 

••^39)  Prov.  III,  25. 

2^0)  Prov.  et  Com.   II,   15. 

241)  Prov.  et  Com.  II,  181. 

242)  Prov.  et  Com.  II,   173. 

243)  Prov.  et  Com.  II,   174. 

244)  Prov.  et  Com.   I.   13. 

245)  Prov.  et  Com.   II,   14. 

246)  Nouv.  Prov.   II,  274. 

247)  Nouv.  Prov.   II,  265. 

248)  Prov.  et  Com.   I,  284. 


Dil'   vornehme  französische   Frau   des    Will .   Jahrhanderls.      47 

lieh  erscheinen,  die  aber  der  Stolz  und  die;  Zier(ie  (Um-  voi-neiimen 
Fyaxx  d(^s  18.  Jahrhunderts  waren.  W'älirend  die  Dame,  vor  dem 
Spiegel  sitzend,  sich  mit  einem  ihrer  Verehrer  unterhält  oder  sich 
von  einem  Abbe  eine  interessante  Geschichte  erzählen  läßt, 
kämmt  ihr  eine  Kammerfrau  die  Haare  zunächst  gleichmäßig 
über  den  Kopf  herab,  legt  ihr  dann  ein  mit  Federn  gefülltes 
Kissen,  den  Pouf,  auf  den  Scheitel,  kämmt  die  Haare  darüber 
wieder  empor  und  befestigt  sie.  Daran  werden  dann  im  Nacken 
der  Chignon  und  an  den  beiden  Seiten  je  zwei  bis  vier  falsche 
Locken  angeheftet.  Es  läßt  sich  wohl  begreifen,  daß  durch  diese 
Prozedur  eine  Coiffüre  entsteht,  w^elche  die  Höhe  des  Kopfes 
manchmal  um  das  Dreifache  übersteigt  und  oben  der  Schulter- 
breite gleichkommt.''^*^)  Wenn  also  bei  Carmontelle  der  Erfinder 
eines  solchen  Kunstwerkes  behauptet,  dasselbe  sei  22  Zoll  hoch,^^^) 
so  brauchen  wir  diese  Coiffüre  noch  lange  nicht  zu  den  höchsten 
zu  rechnen. 

Mit  der  Herstellung  dieser  Frisur,  die  wegen  ihrer  Ähnlich- 
keit mit  einem  Igel  den  Namen  Herisson^^^)  trägt,  ist  jedoch 
erst  die  Grundlage  geschaffen  für  die  mancherlei  Zutaten  und 
Verzierungen,  die  daran  noch  anzubringen  sind;  es  ist  noch  eine 
Menge  Florettseide,  Gaze,  Linon,  Bänder  und  Perlenschnüre  in 
<len  Herisson  zu  verarbeiten,  bis  daraus  eine  ,, geschmackvolle" 
Coiffüre  entsteht.  Dies  geht  über  das  Können  einer  Kammerfrau 
hinaus  und  es  gehört  dazu  ein  Haarkünstler  von  Beruf.  Paris 
zählt  deren  eine  Menge,  aber  unter  ihnen  allen  ist  bei  weitem  der 
erste  der  berühmte  Leonard,  der  Günstling  Marie- Antoinettens. 
Wie  ein  Arzt  fährt  er  bei  seiner  Kundschaft  vor  und  wird  überall 
schon  sehnsüchtig  erwartet.  Noch  hat  sich  nicht  die  Türe  hinter 
ihm  geschlossen,  so  fragt  ihn  die  Dame  schon,  ob  er  nichts  neues 
erfunden  habe. 2^^)  Und  nur  selten  muß  er  auf  diese  Frage  mit 
Nein  anworten,  denn  der  geniale  Haarkünstler  hat  fast  stets 
etwas  neues  ausgedacht.  Wer  kennt  nicht  aus  den  Bildern  eines 
Moreau  1.  J.,253)  Saint- Aubin,254)  Debucourt^sS)  und  Fragonard^öß) 
diese  eigenartigen  Wunderkinder  der  Phantasie  Leonards  und 
seiner  Kollegen,  wie  Legros  und  Depain  ?25'^)  Unzählig  sind  die 
Namen,  die  für  die  einzelnen  Coiffüren  erfunden  werden.     Fast 

249)  proy    et  Com.  II,  28.  —  Veroj.  aucli  von  Heydpii,  Blatt  218 
Fig.  1—4  und  Blatt  235  Fig.  1,  2  und  4. 
-50)  Nouv.  Prov.   II,  265. 

251)  Vergl.  Racinet  D  No.  43  etc. 

252)  Nouv.  Prov.   II,  265. 

253)  Ygi  Moreau,  Decoration  du  Öacre  de  Louis  X\'I  ä  P»eiin.s.  — 
Les  Adieux.  —  La  Dame  du  Palais  de  la  Pveine.  —  Le  Festin  Royal 
ä  r Hotel  de  Ville  etc. 

25*)  Vgl.   Augustin   de    Saint-Aubin,    Portraits   ä  la   mode. 

255)  Ygi   Debucourt,  La  Promenade  de  la  Galerie  du  Palais-Royal. 

256)  Ygi    Fragonard,  La  Lecture. 
2")  Vgl.   Racinet  A  No.  5. 


48  Hans    UrscJdcchler. 

jeder  Tag  bringt  neue  Namen,  die  von  politischen  Ereignissen, 
aus  der  Mythologie,  von  Begebenheiten  des  täglichen  Lebens  oder 
von  sonstigen,  oft  reclit  unbedeutenden  Geschehnissen  herge- 
nommen werden.  Ich  will  aus  der  endlosen  Reihe  nur  die  am 
häufigsten  vorkommenden  anführen:  die  grandes  coiffures  en 
plumes,-^^)  die  coiffures  ä  laMontgoJfier,^^^)  ä  la Ceres, ^^O)  ä  l'Asia- 
tique,^^^)  die  casque  anglaise  ornee  de  perles,-^-)  die  caleclie,-^^) 
der  pouf  ä  sentiment,^^*)  au  Colisee,^^^)  coiffure  ä  la  candeur,^^^) 
ä  la  zodiacale.^^'')  Bei  der  Frisur  ä  la  Flore^^^)  trägt  man  auf  dem 
Haar  einen  Blumenkorb,  bei  der  Coiffure  ä  la  Pomone^^^)  einen 
Korb  mit  aus  Linon  gebildeten  Früchten  Da  es  immer  schwieriger 
wird,  neue  Namen  zu  erfinden,  greift  man  schließlich  zu  dem 
einfachsten  Mittel  und  bezeichnet,  wie  es  ja  auch  heute  noch  ge- 
schieht, die  neue  Erfindung  als  ,, neueste  Mode"-270)  Selbstver- 
ständlich glaubt  jede  Dame,  daß  ihre  eigene  Coiffure  die  modernste 
sei;  auf  die  Äußerung  einer  Freundin,  sie  habe  noch  niemand  mit 
einer  solchen  Frisur  gesehen,  erwidert  die  Dame:  ,,Das  glaube 
ich  gerne,  denn  das  ist  ,,une  coiffure  nouvelle  d'aujourd'hui".^''^) 

Ein  solcher  Luxus  kostet  natürlich  sehr  viel  Geld  und  bei 
Carmontelle  gibt  eine  Modedame  zu,  ,,qu'on  ferait  le  bonheur  de 
bien  des  hommes,  si  on  leur  donnait  une  partie  de  l'argent  qu'on 
emploie  ä  sc  coiffer."^^^)  W'ii.  begreifen  dies,  wenn  wir  ihre 
Rechnung  vom  Friseur  betrachten,  die  als  ersten  Posten  aufweist: 
,,Quatre  nouvelles  coiffures  avec  des  plumes  ....  50  Louis. "^'^) 

Nächst  den  hohen  Coiffüren  ist  für  die  Modetorheiten  des 
18.  Jahrhunderts  wohl  nichts  bezeichnender  als  der  Reifrock  oder 
Panier.  Wir  können  in  den  französischen  Moden  während  der 
Regierung  Ludwigs  XVL  drei  Perioden  unterscheiden.  Die  erste 
derselben  wird  l)eherrscht  von  den  hohen  Coiffüren  und  dem 
Reifrock.  Um  1760  etwa  kam  der  letztere  wieder  in  Blüte  und 
sollte  bald  alle  seine  Vorgänger  an  Größe  übertreffen.-''*)  Er 
schwoll  über  den  Hüften  dergestalt  an,  daß  man  hier  die  Arme 

258)  Vgl.  Hefner-Alteneck,  Blatt  714,   niiltloiv   Fi<>ur. 

259)  Vgl.  Racinet  B  No.  8;  C  No,  2. 

260)  Vgl.  von  Hevden,  Band  IV,  S.  3. 

261)  Vgl.  von  Hevden.  Blatt  218,  Fig.  2. 

262)  Vgl  von  Heyden,   Blatt  218,  Fig.  3. 

263)  Ygi  Gabriel  de  Saint-Aubin,  La  Fete  du  Colisee. 
26'»)  Vgl.  Racinet  B,  Text. 

265)  Vgl.  Racinet  C  Xo.  21. 

266)  Vgl.  Racinet  C  Xo.  5. 

267)  Vgl.  Racinet  C  Xo.  6. 

268)  Vgl    von  Heyden,  Blatt  218,  Fig.   1. 

269)  Vgl.  von  Heyden,  Band   IV,  S.  3. 
2'0)  Vgl.  Racinet  C  No.   18. 

2"i)  Prov.  et  Com.   II,  41. 
272)  Pi-ov.  et  Com.   III,  86. 
2")  Xouv.  Prov.   II,  207. 

274)  Vgl.  Ilottenroth,  Band  IL  TalVl  1 1(>  Xo.  12;  Tafel  117  Xo.  2. 
Racinel    B  Xo.   0  und  9. 


Die  vornehme  französische  Frau  des  XVJIJ.  Jahrhunderls.      49 

darauf  logen  konnte.  Nicht  mehr  kreisrund,  sondern  oval,  dreht 
er  seine  Breitseiten  nach  vorne  und  hinten,275)  so  daß  seine 
Trägerin  sich  auf  die  Seite  drehen  mußte,  wenn  sie  durch  eine 
Türe  gehen  wollte.  Der  Umfang  dieser  Paniers  stieg  bis  zu 
5  Meter.  Neben  diesem  Reifrock  kam  später  auch  noch  ein 
Sattelrock  oder  ,,Cul  de  Paris"  in  die  Mode,  der  nur  das  Gesäß 
vergrößerte  und  das  Kleid  hinten  emporhob.^'^)  Wir  begegnen 
diesen  beiden  Arten  von  Röcken  auf  den  Bildern  Moreaus^^T) 
und  anderer  zeitgenössischer  Maler,  wo  immer  sie  Damen  in 
großer  Toilette  darstellen. 

Um  1780  machte  sich  bereits  eine  Reaktion  gegen  die  hohen 
Frisuren  und  den  Reif  rock  geltend.  Marie-Antoinette  hatte  einen 
großen  Teil  ihres  Haares  verloren  und  trug  deshalb  eine  niedrige 
Frisur.  Der  Aufenthalt  in  ihrem  geliebten  Trianon  hatte  ihr 
den  Gedanken  nahegelegt,  die  Toilette  mehr  in  Einklang  mit  der 
umgebenden  Natur  zu  bringen  und  zur  Einfachheit  zurück- 
zukehren. Der  Reifrock  wurde  beseitigt,  aber  dafür  polsterte 
man  die  Hüften,  trug  den  Postiche,  und  von  wirklicher  Einfach- 
heit waren  diese  eleganten  Deshabilles  noch  himmelweit  entfernt. 
Unter  Deshabille  verstand  man  zu  jener  Zeit  das  Straßenkostüm, 
d.  h.  alles,  w^as  nicht  zur  Gesellschafts-  oder  Hoftoilette  gehörte. 
Es  war  dies  die  Zeit  des  Caraco,  der  Polonaise,  der  Circassienne 
und  der  Levite. 

Im  November  1785  erschien  in  Paris,  von  Esnault  und  Rapilly 
herausgegeben,  als  erste  in  regelmäßigen  Zeiträumen  veröffent- 
lichte Modezeitung,  das  ,,Cabinet  des  modes  ou  les  Modes  nou- 
velles".  Leclerc,  Moreau  d.  J.,  Saint-Aubin,  Watteau  d.  J.  u.  a. 
lieferten  dazu  Beiträge.  Es  ist  unmöglich,  alle  diese  Darstellungen 
der  damaligen,  äußerst  mannigfachen  Moden  hier  zu  berück- 
sichtigen; ich  will  mich  darauf  beschränken,  ein  Bild  Watteaus, 
das  bei  von  Heyden  reproduziert  ist,^'^^)  anzuführen. 

Das  Wetter  muß  etwas  kühl  sein,  denn  die  Dame  trägt  eine 
mit  Wolle  gefütterte  und  mit  Pelz  verbrämte  Redingote  von 
rotem  Atlas,  die,  ohne  Taille,  nur  die  Höhe  des  Knies  erreicht; 
sie  hat  einen  breiten  Überschlagkragen,  über  welchen  sich  die 
Krausen  des  Fichu  legen.  Das  Kleid,  die  rohe  ronde,  von  hell- 
blauem Seidenstoff,  ist  in  Falten  gelegt  und  ä  la  levite  mit  einer 
Schleppe  versehen.  Die  Taille,  reichlich  mit  Fischbein  gesteift, 
hat  eine  Schnebbe,  ist  vorne  geschnürt  und  an  ihrem  unteren 
Ende   mit    Plisses   versehen.      Eine    Schürze    von   weißer    Gaze, 

275)  Yg]    Babeau,  Fig.  104:  Interieur  de  Notre-Dame. 
27«)  Vgl.    Hottenroth,    Band   II,    Tafel    117   No.    12.   —   Hefner- 
Alteneck,  Blatt  713,  Fig.  E. 

277)  Yg}  Moreau,  La  Sortie  de  l'Opera.  —  Les  Adieux.  —  Deco- 
ration du  Sacre  de  Louis  XVI.  —  La  Revue  du  Roi  ä  la  plaine  de 
Sablon.  —  Le  Festin  Royal  etc. 

278)  Watteau,  Französische  Modedame  um  1786.  Vgl.  von  Heyden, 
Band   III,  Blatt  191. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  4 


50  Hans    Urschlechter. 

unten  mit  einer  gefältelten  Rüsche  versehen,  deckt  den  vorderen 
Teil  des  Kleides.  Der  Schuh,  der  mit  Bandstreifen  geschmückt 
ist,  hat  noch,  genau  wie  in  der  vorigen  Periode,  sehr  hohe  Hacken^'^^) 
und  läuft  vorne  spitz  zu. 

Ein  anderer  kolorierter  Kupferstich,  der  eine  Üame  in  ähn- 
licher Tracht  zeigt,  ist  bei  Hefner-Alteneck-^^)  wiedergegeben. 
Auf  anderen  Modebildern  ist  die  Polonaise  vorherrscliend;  dies 
ist  ein  kurzer  Überrock  mit  weitausgeschnittenem  Leibchen, 
welcher  ringsum  so  gerafft  ist,  daß  er  drei  Flügel,  die  Volants, 
bildet. ^^^)  Das  Korsott  hat  meistens  dem  bequemeren  Mieder^^ä) 
weichen  müssen,  das  den  Hals  und  vielfach  auch  die  Schultern 
entblößt;  dies  ist  hauptsächlich  l)ei  dem  Kostüm  ä  la  Circassienno 
der  Fall.283)  Darüber  trägt  man  meist  ein  Fichu  aus  Musselin 
oder  Gaze.''^^^)  In  der  wärmeren  Jahreszeit  tritt  an  die  Stelle 
der  Redingotc  der  Caraco,^^^)  der  aus  Seide  oder  Taffct  gefertigt 
ist.  Sehr  wertvoll  sind  auch  die  Schuhe;  meist  sind  sie  von 
weißem,  gelbem  oder  rosa  Satin, ^^6)  zuweilen  auch  aus  rosa 
Saffian^^'^)  oder  fleischrotem  Maroquin. ^88)  Der  Absatz  ist  bei 
allen  diesen  Arten  sehr  hoch  und  manchmal  fast  bis  in  die  Mitte 
des  Fußes  gerückt.  Verziert  sind  die  Schuhe  teils  mit  bunten 
Schleifen  oder  auch  mit  großen  silbernen  Schnallen. 

In  diese  zweite  Periode  gehören  auch  noch  die  Negliges, 
hemdartige  Röcke,  die  man  Pierrot^^^)  nannte,  sowie  die  Toiletten, 
die  dem  reizenden  Kostüm  nachgebildet  waren,  welches  die  Contat 
bei  der  Aufführung  von  Beaumarchais'  ,,Mariage  de  Figaro"  als 
Kammermädchen  Susanne  getragen  hatte. 2^")  Außer  in  der 
Zeichnung  ,,La  belle  Suzon"  hat  Watteau  d.  J.  dieses  Kostüm 
auch  seinem  Bilde  ,,F^ariserin  um  1785""^^)  zugrunde  gelegt.  Das 
WesentHchste  daran  ist  das  justaucorps  ä  la  Suzanne,  eigentlicli 
ein  Garaco  von  blauem  .Seidenstoff  mit  doppeltem  Faltenschoß. 
Der  Hals  ist  in  kleidsamer  Weise  entblößt.  Der  faltige  Rock  ist 
von  lichtblauem  Stoff  und  mit  einem  Falbala  von  weißem 
Musselin  garniert;  von  demselben  Stoff  ist  auch  die  Schürze, 
die  zum   Susannenkostüm  untrennbar  gehört.     Die   Haartracht 


279)  Vgl.  Hefner-Alteneck,  Blatt  713,  Fig.  A. 

280)  Vgl.   Hefner-Alteneck,  Blatt  713,  Fig.  E. 

281)  Vgl.  Hefner-Alteneck,  Blatt  714,  rechte  Figur,  sowie  Racinet 
B  No.  3  und  4.    Vgl.  Moreau,  Le  Rendez-vous  pour  Marly. 

282)  Vgl.  Racinet  C  No.   11. 

283)  Vgl.  Racinet  B  No.  6. 

284)  Vgl.  Racinet  B  No.  4;  D  No.  21  und  43. 

285)  Vgl.  Racinet  D  No.  35  und  40. 

286)  Vgl.  Racinet  D  No.   19,  22,  25,  41,  43  und  49. 

287)  Vgl    Yon  Heyden,  Band  III,  Blatt  192. 

288)  Vgl.  von  Heyden,  Band  III,  Blatt  185. 

289)  Vgl.  Racinet  D  No.  35. 

290)  Vgl.    Racinet   A   No.    3:,  La    belle    Suzon,    gezeichnet    von 
Watteau  d.  .1. 

291)  Vgl.  von  Heyden,  Band  IV,  Blatt  236. 


Die  vornehme  französische  fniu   des   XVIII.   Jahrhunderts.      51 

besteht  in  einer  niederen  Loekenfrisur,  mit  einem  (lliignon  im 
Nacken,  wie  sie  von  Mario-Antoinette  einocfülirt  wurde  unter 
dem  Namen  ,,a  l'enfant". 

Während  der  dritten  Periode  ist  l'üi'  die  Mode  last  aus- 
schließlich der  englische  Geschmack  maßgebend.  Das  Charakte- 
ristische an  dieser  Mode  ist  die  wirkhche  Einfachheit,  die  alles 
Überladene  haßt  und  sich  mehr  den  Körperformen  anzupassen 
sucht.  Watteau  liat  uns  auch  von  diesem  Kostüm  ein  Bild  hinter- 
lassen, an  dem  wir  die  robe  anglaise  studieren  wollen. -^2)  Charak- 
teristisch für  diese  Toilette  ist  ein  schwarzer  Spitzenüberwurf, 
—  dem  Schnitte  nach  eine  Art  Caraco  —  das  die  ganze  Brust 
verdeckt  und  vorne  geschlossen  ist.  Das  Kleid  ist  schleppend 
und  mit  einem  w^eißen  Devant  von  durchsichtigem  Leinenstoff 
auf  rosa  Unterlage  versehen,  der  mit  Volants  und  schmalen 
Faltenrüschen  besetzt  ist  —  ebenfalls  ein  charakteristisches  Kenn- 
zeichen der  robe  anglaise.  Das  durch  einen  Taillengürtel  gehaltene, 
durch  eine  Tournüre  (cul  postiche  genannt)  stark  gebauschte 
Kleid  zeigt  hinten  eine  große  Schleife  von  gelber  Seide  mit  langen 
Enden  und  weißen  Quasten.  Ein  großes  Fichu  mit  krausem 
Besatz  legt  sich  wulstig  über  den  Busen  und  deckt  auf  den 
Schultern  den  Spitzenschal.  Das  Fichu  auf  diesem  Bilde  bauscht 
schon  ziemlich  stark  und  nähert  sich  schon  sehr  dem  später  aus 
England  herübergenommenen  Fichu  menteur,^^^)  welches  durch 
ein  Drahtgeflecht  über  dem  Busen  gebauscht  wurde. -^'^)  Die 
Haarfrisur  nähert  sich  mehr  der  männlichen;  man  trägt  das 
Haar  en  catogan,  ä  la  conseillere^^^)  oder  ä  l'ingenue.-^^)  Auch 
auf  die  Schuhe  erstreckt  sich  das  Streben  nach  Einfachheit:  sie 
erhalten  eine  mehr  dem  Fuße  angepaßte  Form  und  verlieren  die 
hohen  Absätze,  wie  wir  dies  z.  B.  bpim  souher  ä  la  Jeannette^^'^) 
sehen. 

Im  Winter  kommt  zu  all  diesen  Toiletten  noch  ein  Pelz^^^) 
und  ein  mächtiger  Muff  aus  Angorakatzenfell, 2^^)  aus  Marder- 
fplisoo)  oder  auch  aus  weißem  Schwanenflaum,  mit  weißen  Band- 
schleifen besetzt. ^^^) 

2^'^)  Watteau  d.  J.,  Pariserin  um  1786;  vgl.  bei  von  Heyden, 
Band  III,  Blatt  192. 

293j  Ygi  Racinet  D  No.  7  und  Debucourt,  La  Promenade  de  la 
Galerie  du  Palais-Royal.  —  Vgl.   auch  Babeau,  S.  159  Fig.  2  und  4. 

29^)  Über  die  robe  anglaise  vgl.  noch:  Hefner-Alteneck,  Blatt 
716  Fig.  B  und  Racinet  B  No.  9;  D  No.  41  etc. 

295)  Vgl.  Racinet  D  No.  7,  21,  41  und  52. 

296)  Vgl.  Racinet  D  No.   4. 
29")  Vgl.  Racinet  D  No.  35. 

298)  Prov.  et  Com.  II,  17.  —  Vgl.  auch  Debucourt,  La  Promenade 
de  la  Galerie  du  Palais-Royal  und  Racinet  C  No.  4. 

Vgl.    Racinet    D'^No.    19   und    21,    sowie    Babeau,    Fig.    67 


299  \ 


S.  157. 

300 


Vgl.  Racinet  C  No.  4. 
301)  Vgl.  von  Heyden,  Blatt  192. 


52  Hans   Urschlechter. 

Die  Stoffe,  aus  denen  diese  Roben  angefertigt  werden,  sind, 
wie  wir  gesehen  haben,  vor  allem  Seide,  Taffet,^^^)  Musselin  und 
Gaze.  Die  besten  und  teuersten  Stoffe  sind  der  Dame  gerade 
gut  genug.^^^)  Leinene  Kleider  ,, halten  nicht  aus",-"^^*)  —  als  ob 
für  sie  die  Haltbarkeit  in  Betracht  käme.  Hat  sie  ein  Kleid  ein 
paarmal  getragen,  so  legt  sie  es  für  immer  ab,  denn  sie  kann  sich 
doch  unmöglich  mehr  mit  diesen  ,, alten  Sachen'"  sehen  lassen. ^'^^) 
Ihre  Garderobe  repräsentiert  ein  Vermögen  und  die  Instand- 
haltung derselben  erfordert  große  Summen.  In  ihren  Ansprüchen 
an  die  Kasse  ihres  Mannes  ist  die  Dame  gar  nicht  sehr  bescheiden; 
so  verlangt  eine  Frau  das  Geld  gleich  zu  vier  neuen  Kleidern 
mit  der  einfachen  Begründung,  daß  sie  nur  ,,vieilleries"  habe.^^^) 
Eine  andere  meint,  nachdem  ihr  Gatte  eine  Kleiderrechnung  mit 
50  Louisdor  für  sie  bezahlt  hat,  das  sei  gar  nicht  viel;  ihr  Mann 
scheint  aber  anderer  Ansicht  zu  sein,  denn  er  erwidert  ärgerlich: 
,,Non,  ce  n'est  rien;  et  pour  des  chiffons  encore!"^^'^) 

Um  ihre  natürliche  Anmut  noch  zu  erhöhen,  nimmt  die 
Dame  zu  den  verschiedenartigsten  Schmuckgegenständen  ihre 
Zuflucht.  Der  Herisson  ist  mit  Perlenschnüren  durchflochten 
und  mit  Diamanten^^^)  besät.  Außerdem  trägt  sie  Diamanten- 
kolliers,^^^)  Diamantringe,  mit  Edelsteinen  besetzte  Armbänder, 
Ohrringe  und  eine  Menge  der  eigenartigsten  Breloques.^^*^)  Ihre 
Vorliebe  für  Juwelen  ist  ungemein  groß;  sie  ist  in  Schmuck- 
sachen Kennerin  und  ruft  beim  Anblick  eines  Paares  Ohrringe 
entzückt  aus:  ,,Ah!  c'est  la  plus  belle  eau  du  monde."^^^)  Der 
enorme  Preis  von  12  000  Franken  ist  ihr  nicht  ^w  hoch  für  solche 
Prachtstücke;  auf  die  Bemerkung  eines  Herrn,  sie  habe  doch 
schon  genug  Diamanten,  entgegnet  sie:  ,, Davon  verstehen  Sie 
nichts;  Diamanten  kann  man  gar  nicht  genug  haben. "^^2) 

Hier  wäre  auch  der  Platz,  einiges  über  die  Hüte  zu  sagen. 
Ich  will  es  nicht  versuchen,  unter  den  unzähligen  Arten  und 
Namen  eine  Klassifizierung  zu  treffen,  sondern  will  nur  die  am 
meisten  vorkommenden  anführen.  Was  die  Größe  der  Hüte 
anlangt,  so  hat  das  18.  Jahrhundert  hierin  Erstaunhches  geleistet. 
Wenn  bei  Carmontelle  eine  Dame  ausruft:  ,,Elle  avait  un  chapeau 
cet  ete,  oh!  un  chapeau  1"^^^)  so  muß  es  sich  hier  schon  um  ein 


302 
303 
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30T 
308 
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310 
311 
312 
313 


Prov.   I,  61  etc. 

Nouv.  Prov.   II,  263. 

Prov.  I,  61. 

ibid. 

ibid. 

Prov.  et  Com.   II,  336. 

Vgl.  Moreau,  Le  Festin  Royal  ä  l'Hötel  de  villi 

Vgl.  Moreau,  La  Dame  du  Palais  de  la  Reine. 

Vgl.  Hefner-Alteneck,  Blatt  714,  rechte  Figur. 

Nouv.  Prov.   II,  283.  ■ 

Nouv.  Prov.  II,  284. 

Prov.  et  Com.  II,  29. 


Die  vornehme  französische  Frau  des   XVIII.   Jahrluinderts.      53 

walires  Ungetüm  handeln,  denn  sonst  würde  eine  Frau  der  da- 
maligen Zeit  daran  nichts  Besonderes  finden.  Denjenigen,  die 
aus  dem  Staunen  über  den  stets  wachsenden  Umfang  unserer 
modernen  Damenhüte  nicht  herauskommen,  wäre  eine  nur 
einigermaßen  gründliche  Beschäftigung  mit  den  Hutmoden  des 
18.  Jahrhunderts  zu  empfohlen;  sie  würden  dann  zu  der  Über- 
zeugung gelangen,  daß  auch  von  dem  heutigen  Glockenhut, 
wenigstens  was  seine  Größe  anlangt,  das  Nil  novi  sub  sole  gilt. 
Wenn  im  18.  Jahrhundert  eine  Frau  sich  ihrer  Nichte  nur  sehr 
vorsichtig  nähert,  aus  Furcht,  diese  könnte  ihr  mit  ihrem  Hute 
die  Augen  ausstoßen,  und  wenn  das  Mädchen  meint:  ,,I1  n'est 
pourtant  pas  bien  grand,"^^'*)  so  geht  daraus  hervor,  daß 
damals  schon  die  Ansichten  in  diesem  Punkte  auseinander- 
gingen. 

Die  Hüte  zeigen  in  den  drei  Perioden,  die  wir  oben  unter- 
schieden haben,  die  gleichen  übertriebenen  Dimensionen.  Ver- 
hältnismäßig geringen  Umfang  haben  noch  die  Strohhüte, ^^^) 
obwohl  wir  auch  hier,  wie  z.  B.  beim  Hute  ä  la  Derozier,^^^)  schon 
ganz  ungeheuren  Formen  begegnen.  Einen  viel  bedeutenderen 
Umfang  zeigen  dagegen  die  Filzhüte,^^')  die  Hüte  aus  Taffet,^^^) 
Satin^*^)  oder  Gaze.^^Oj  Hierher  gehören  die  Hüte  ä  la  Henri  IV,^^^) 
au  Palais-Royal,^-^)  k  la  Duchesse,^23)  ^  l'Espagnole,^-*)  ä  la  Tar- 
tare,^^^)  ä  l'Anglomane^-'')  usw.  Garniert  sind  diese  Hüte  mit 
Federn, ^^^)  Blumen, ^^^)  Rosengirlanden,  italienischer  Gaze,  Krepp- 
und  Bandschleifen.  Später  trug  man  vielfach  auch  Bonnets,  so 
besonders  die  Haube  ä  la  Figaro, ^2^)  die  Baigneuse^^^)  oder  auch 
die  Chapeau-bonnette.^^^)  Die  größte  Auswahl  in  den  modernsten 
Fassons  hat  man  bei  der  Mademoiselle  Bertin,^^^)  die  geradezu 
den  Namen  ,,ministre  des  modes"^^^)  trägt. 

314)  Ppov.  et  Com.  II,  3G. 

315)  Vgl.  Racinet  D  No.   1,  2,  4,  40  und  43. 

316)  Vgl.  von  Heyden,  Band  IV,  Blatt  236. 

31")  Vgl    Debucourt,   La   Promenade    de   la    Galerie    du    Palais- 
Roval. 

318)  ibid.  und  Racinet  C  No.   19. 

319)  Vgl.  Racinet  C  No.  4. 

320)  Vgl.  Racinet  D  No.  49. 

321)  Vgl.  Moreau,  Le  Rendez-vous  pour  Marlv. 

322)  Vgl.  Racinet  C  No.  15. 

323)  Vgl.    Racinet   C    No.    19. 

324)  Vgl.  Babeau  S.  159  Fig.  2. 

325)  Vgl.  Babeau  S.  159  Fig.  1  und  Racinet  C  No.  8  und  10. 

326)  Vgl.  Babeau  S.   159  Fig.  4. 

327)  proY    et  Com.   III,   192. 

328)  Prov.  et  Com.  II,  28. 

329)  Vgl.  Racinet  D  No.   19.  und  51. 

330)  Vgl.  Racinet  D  No.  3  und  5. 

331)  Vgl.  Babeau  S.   159  Fig.  3  und  Racinet  D  No.  52  und  53. 

332)  Prov.  et  Com.  II,  28. 

333)  Goncourt  \^.  346. 


54  Hans    UrscMcchl.or\ 

Nach  Beendigung  ihrer  Toilette  bleiben  der  Dame  bis  zum 
Mittagessen,  das  gewöhnlich  um  3  Uhr  eingenommen  wird,  noch 
immer  einige  Stunden,  die  sie  in  den  meisten  Fällen  zu  Hause 
verbringt.  Hat  sie  Anlagen  für  Gesang  und  Musik,  so  singt  sie 
eine  der  neuesten  Arien  und  begleitet  sich  selbst  auf  dem  Kla 
vier,^^^)  oder  sie  greift  zur  Harfe,  dem  Lieblingsinstrument  der 
damaligen  Zeit;^^^)  manchmal  nimmt  sie  auch  bei  einem  Abbe 
Unterricht  im  Harfenspiel. ^^^) 

Auch  die  literarischen  Neuerscheinungen  interessieren  sie. 
Manuskripte  neuer  Theaterstücke,  englische  und  deutsche  Über- 
setzungen, Broschüren  aller  Art  bedecken  den  Tisch  in  ihrem 
Boudoir.  Wir  haben  schon  bei  der  Besprechung  der  Moden 
gesehen,  daß  England  um  diese  Zeit  einen  großen  Einfluß  auf 
Frankreich  ausübt.  Dieser  erstreckt  sich  nicht  nur  auf  die 
Kleidung,  sondern  liauptsächlich  auch  auf  die  Literatur.  Nach 
dem  Tode  Richardson's,  1761,  dessen  rührselige  Romane  Pamela 
und  Clarissa  Harlowe  alsbald  ins  Französische  übersetzt  wurden, 
erreicht  die  Anglomanie  ihren  Höhepunkt.  Paris  hat  den  ersten 
Schritt  zum  Kosmopolitismus  getan  und  bald  wird  es  von 
Übersetzungen  aus  den  alten  Sprachen  und  aucli  aus  dem  Deut- 
schen überschwemmt.^^')  Zwischen  1750  und  1760  werden 
Haller  und  Geliert  ins  Französische  übertragen,  1760  auch 
Geßuer.^^**)  Die  großen  Zeitschriften  befassen  sicli  mit  den 
Literaturen  von  ganz  Europa;  in  der  Gesellschaft  spricht  man 
von  den  englischen  und  deutschen  Neuerscheinungen  ebensogut 
wie  von  den  französischen.  Die  Dame,  die  auf  ihren  Ruf  als 
gebildete  Frau  etwas  hält,  muß  alle  diese  Sachen  lesen,  denn 
man  fragt  sie  nach  ihrer  Ansicht,  verlangt  ihr  Urteil  über  dieses 
oder  jenes,  und  es  wäre  für  sie  eine  große  Demütigung,  wenn  sie 
gestehen  müßte,  daß  sie  das  betreffende  Werk  nicht  kenne. 
Um  der  Gefahr  einer  solchen  Demütigung  zu  entgehen, 
sucht  sie  sich  immer  auf  dem  Laufenden  zu  erhalten  und 
liest  deshalb,  oft  ohne  wii'kliches  Interesse,  all  die  Sachen, 
die  ihr  Buchhändler  ihr  zuschickt  oder  die  ein  gefälliger  Abbe 
ihr  bringt. 33«) 

Freilich  wird  ilir  aucli  diese  Beschäftigung  oft  reclit  lästig. 
Wie  wir  bald  sehen  werden,  sind  diese  wenigen  Stunden  vor  dem 
Mittagessen  die  einzigen  während  des  ganzen  Tages,  über  die  sie 
frei  verfügen  kann.  Wenn  sie  nun  einen  großen  Bekanntenkreis 
oder  gar  eine  vertraute  Freundin  hat,  der  sie,  obwohl  diese  nur 
ein  paar  Straßen  entfernt  wohnt,  täglich  wenigstens  einige  Briefe 

334)  Prov.  et  Com.   II,   107. 

335 j  Yg]    Moreaii,  L'Accord  parfait. 

336)  Nouv.  Prov.  I,  201. 

337)  Heiss,  S.  65. 

338)  Heiss,  S.  52. 

339)  Prov.  III,  29  ff. 


Die  vornehme  französische  Fraa  des  XVI II,  Jahrhunderts.      55 

schreiben  muß,^''")    so   begreifen   wir   I('i<lit,   daß   ihr  nur  wenig 
Zeit  zum  Lesen  übrigbleibt. 

Hin  und  wieder  geht  die  Dame  auch  sclion  am  Vormittag 
aus,  um  an  einem  der  beliebten  dejeuners  anglais  teilzunehmen^*^) 
oder  um  mit  einer  Freundin  einen  Spazierritt  ins  Bois  de  Bou- 
logne^*'^)  zu  machen,  wobei  sie  ihr  elegantes  Reitkostüm^*^)  be- 
wundern lassen  kann. 

Den  Nachmittag  verbringt  die  Dame  außer  dem  Hause; 
lieber  würde  sie  zu  Fuß  ausgehen  als  daß  sie  den  ganzen  Tag 
daheim  verbringen  würde. ^**)  Nur  wenn  sie  Besuchstag  hat, 
bleibt  sie  zuhause.  An  den  übrigen  Tagen  macht  sie  sich  gleich 
nach  dem  Mittagessen  zum  Ausgehen  fertig,  steigt  in  die  elegante 
Kutsche,  und  nun  beginnt  eine  Rundfahrt  von  einem  Moden- 
geschäft zum  andern.  Eine  Freundin  hat  ihr  gesagt,  daß  in 
diesem  Geschäfte  schöne  neue  Muster  in  Seidenstoffen  einge- 
troffen seien.  Diese  will  sie  sich  zuerst  ansehen  und  so  erhält 
der  Kutscher  die  Weisung  nach  diesem  Geschäftshause  zu  fahren. 
Sie  läßt  sich  eine  Anzahl  Stoffe  vorlegen,  findet  aber  nicht  einen 
tnnzigen  wirklich  schönen  darunter ;^'*^)  sie  sind  heuer  ,,toutes 
affreuses."^'*®)  Unbefriedigt  verläßt  sie  das  Geschäft  um  ein 
anderes  aufzusuchen.  Hier  zeigt  man  ihr  neue  Winterstoffe 
und  sie  ist  von  deren  Schönheit  entzückt;  sie  sind  von  denen 
des  vorigen  Jahres  sehr  verschieden  und  haben  Namen,  die  sie 
noch  nie  gehört  hat.^*')  Da  sie  gar  nicht  teuer  sind,  sucht  sie 
sich  auch  gleich  einige  von  den  schönsten  aus;  man  braucht  ja 
nicht  sofort  zu  bezahlen,  die  Kaufleute  ,,sont  tres  raisonnables 
la-dessus.''^*^)  Von  da  fährt  sie  zum  Juwelier,  wo  sie  sich  über 
die  Pracht  eines  diamantenbesetzten  Armbandes  nicht  genug 
wundern  kann.  Ihr  Friseur  hat  ihr  heute  Morgen  von  einer 
neuen  Coiffüre  gesagt,  von  der  er  sich  einen  großen  Erfolg  ver- 
spricht; sie  fährt  hin  um  sich  dieses  Wunderwerk  anzusehen. ^*^) 
Wieder  im  Wagen  ruft  sie  dem  Kutscher  die  Adresse  eines  Hut- 
geschäfts zu,  wo  nun  die  neuesten  Muster  von  Winterhüten 
eingetroffen  sein  müssen. ^^°)  Doch  unterwegs  fällt  ihr  ein,  daß 
sie  einem  Porträtmaler  schon  lange  eine  Sitzung  versprochen 
hat;  die  vielen  Besorgungen  ließen  iiir  immer  keine  Zeit;  heute 

340)  Prov.  III,  29  ff. 

3«)  Prov.  et  Com.   II,  210. 

.342J  Ygi    Moreau,  La  Rencontre  au  Bois  de  Boulogne. 

343)  ibid. 

344)  Prov.  et  Com.   11,   13i. 

345)  Pi-ov.  et  Com.  11,  39. 

346)  Prov.  L  86. 

347)  Prov.  et  Com.   III,  ^07. 

348)  ibid. 

349)  Nouv.  Prov.  IL  267. 

350)  Prov.  et  Com.   11,  328. 


56  .      Hans    Ur schlechter. 

könnte  sie  wohl  zu  dem  Maler  gehen,  zumal  an  dem  Bilde  nur 
noch  einige  Kleinigkeiten  fehlen.  Zwar  muß  sie  dann  die  Be- 
sichtigung der  neuen  Hüte  sowie  anderer  Neuheiten,  die  sie  sehr 
interessieren,^^^)  verschieben,  aber  vielleicht  kann  sie  dies  morgen 
schon  nachholen.  Ein  Zuruf  an  den  Kutscher,  der  Wagen  wendet 
und  hält  bald  darauf  vor  der  Wohnung  des  Malers. 

Hier  wird  die  Dame  schon  vom  Abbe,  einem  begeisterten 
Verehrer  ihrer  Schönheit,  erwartet.  Sie  setzt  sich  auf  den  Sessel, 
den  der  Maler  ihr  zurechtrückt,  und  dieser  beginnt  seine  Arbeit. 
Es  dauert  nicht  lange,  so  kommt  auch  der  Chevalier,  der  glückliche 
Rivale  des  Abbe;  natürlich  wendet  sie  sofort  den  Kopf  nach 
der  Türe,  um  den  Eintretenden  zu  begrüßen.  Bald  unterhält 
sie  sich  sehr  lebhaft  mit  dem  Chevalier;  der  Abbe,  wohl  ein  wenig 
eifersüchtig  auf  die  offenkundige  Bevorzugung  des  andern, 
macht  sie  darauf  aufmerksam,  daß  bei  der  Haltung,  die  sie  gegen- 
wärtig einnehme,  der  Maler  nicht  arbeiten  könne.  Nun  sucht 
sie  sich  gerade  zu  halten  und  damit  sie  keine  Langweile  hat, 
erzählt  ihr  der  Abbe  eine  pikante  Geschichte;  es  gelingt  ihr  aber 
auch  jetzt  nur  schlecht,  still  zu  sitzen  und  der  Maler  hat  seine 
liebe  Not,  mit  seiner  Arbeit  vorwärts  zu  kommen.  Endlich  ist 
der  letzte  Pinselstrich  getan  und  die  Dame  darf  ihren  Platz  ver- 
lassen.^^2) 

Es  wäre  interessant,  etwas  über  die  Stellung  der  Frau  zur 
Kirche  zu  erfahren.  Leider  findet  sich  bei  Carmontelle  nur  eine 
einzige  Stelle,  die  auf  dieses  Verhältnis  schließen  läßt.  Eine 
Frau  hat  sich  vorgenommen,  in  die  Predigt  zu  gehen;  dies  ge- 
schieht nicht  etwa  aus  Frömmigkeit,  —  diese  Unterstellung  weist 
sie  entrüstet  zurück  —  sondern  weil  der  betreffende  Prediger 
,,fort  ä  la  mode"  ist.  Seinen  Namen  weiß  sie  nicht  mehr,  aber 
er  hat  viel  esprit  und  ,,tout  le  monde  y  sera".^^^)  Es  kostet 
jedoch  wenig  Mühe,  sie  von  ihrem  Vorhaben  abzubringen.  Sie 
findet  es  schließlich  doch  viel  unterhaltender,  mit  ein  paar  Freun- 
dinnen auf  eine  der  Foires  zu  gehen. 

Diese  Foires  mit  ihren  menschlichen  Abnormitäten,^^)  ihren 
seltsamen  Tieren,  ihren  Maschinen  und  sonstigen  Sehenswürdig- 
keiten besucht  die  vornehme  Frau  sehr  gerne. ^^)  An  den  hals- 
brecherischen Künsten  der  Seiltänzer  findet  sie  besonderen  Ge- 
fallen ;^^^)  auch  die  ausgestellten  Tiere,  vor  allem  dressierte  Hunde, 
erregen  ihr  Interesse  in  hohem  Grade.  Sie  geht  in  eine  Bude, 
um  die  Kunststücke  eines  solchen  Tieres  zu  sehen;  im  Innern 
ist  es  schon  ziemlich  dunkel  und  der  Geruch,  der  ihr  entgegen- 


351)  Prov.  et  Com.   II,  0;  39. 

352)  Prov.  I,  85  ff. 

353)  Prov.  et  Com.   II,  210. 

354)  Ygi    Gabriel  de  Saint-Aübin,  Le  Nain  de  la  Foire. 

355)  Prov.  et  Com.    IL  211. 

356)  Prov.   II,  83. 


Die   vornrinnc  jraiizösisehe   Fn/ii  des   XVIII.   Jahrhiinderts.      57 

dringt,  ist  nicht  besonders  einladend.  iVJxT  in  l^rwartnng-  des 
bevorstehenden  Genusses  nimmt  die  sonst  so  anspruchsvolle 
Dame  diese  kleinen  Unannehmlichkeiten  gerne  mit  in  Kauf. 
Doch  ihre  hohen  Erwartungen  erfüllen  sich  nicht:  der  Hund, 
ein  häßliches  altes  Tier,  macht  alles  falsch,  und  ärgerlich  verläßt 
die  Dame  die  Bude  wieder.^'^") 

Aber  auch  ernstere  Beschäftigungen  nehmen  die  Frau  am 
Nachmittag  in  Anspruch.  Hätte  Moliere  hundert  Jalire  später 
gelebt,  so  hätte  er  noch  mehr  Vorbilder  für  seine  ,,Femmes  sa- 
vantes"  gefunden  als  zu  seiner  Zeit.  Die  Sucht,  für  hochgebildet 
zu  gelten,  ist  bei  den  vornehmen  Frauen  des  18.  Jahrhunderts 
allgemein.  Sie  verstehen  sich  nicht  nur  auf  die  Beurteilung  von 
Gemälden  und  Skulpturen, ^^^)  sondern  befassen  sich  mit  allen 
Zweigen  der  Wissenschaft.  ,,Une  manie  des  sciences  s'est  emparee 
depuis  quelque  temps  de  la  plupart  des  femmes.  Elles  savent 
tout  actuellement,  excepte  le  quantieme  du  mois,  le  joui-  de  la 
semaine  et  Theure  qu'il  est."^^^) 

Die  Dame  besucht  Vorlesungen  über  Physik  und  Chemie,^®'') 
liest  die  Histoire  romaine  und  begeistert  sich  für  die  großen 
Männer  aus  der  Glanzperiode  des  römischen  Reiches. ^^^)  Sie 
bedauert  lebhaft,  nicht  Griechisch  zu  können  ;^*'2)  dafür  treibt  sie 
aber  Italienisch  und  ist  darin  schon  so  w^eit,  daß  sie  zur  Not  den 
Ariost  lesen  kann  und  in  den  operas  bouffons  jedes  Wort  ver- 
steht.^^2)  Auch  der  Sternenhimmel  erregt  ihr  Interesse;  sie 
kennt  die  Namen  der  Planeten  und  ,, aller  Sterne" ^^^)  und  be- 
dauert, daß  es  keine  Kurse  für  Astrologie  gibt.  Da  könnte  man 
aus  den  Sternen  die  Tage  lesen,  an  denen  man  Unglück  im  Spiel 
hat,  und  sich  so  vor  manchem  empfindlichen  Verlust  bewahren. ^^^) 
Für  die  Naturwissenschaften  hat  sie  ein  besonders  reges  Interesse; 
nicht  nur,  daß  sie  Kurse  darüber  besucht;  wo  sie  etwas  Ab- 
sonderliches findet,  kauft  sie  es,  um  es  ihrer  Sammlung  ein- 
zuverleiben. Stolz  zeigt  sie  dann  ihren  Gästen  die  Schätze,  die 
sie  erw^orben  hat:  einen  Seeigel,  eine  Mumie  oder  eine  ,,scalata".^^^) 

Nach  dem  Gesagten  könnten  wir  vielleicht  meinen,  die  Frau 
besitze  infolge  dieser  vielseitigen  Beschäftigung  mit  der  Wissen- 
schaft ein  ziemliches  Maß  von  Kenntnissen.  Allein  bei  vielen 
Damen  ist  dies  nicht  der  Fall;  sie  betreiben  die  Studien  nach  dem 

357)  prov.  II,  82  ff. 

358)  Prov.  I,  298. 

359)  Prov.  et  Com.  II.   103. 

360)  Prov.  et  Com.  II,  28;   103. 

361)  Prov.  et  Com.  II,  36. 

362)  ibid. 

363)  Prov.  et  Com.  C.  II,  37. 

364)  Prov.  et  Com.  III,  205. 

365)  Prov.  et  Com.  II,   132. 

366)  Prov.   I,  301. 


58  Hans    IJr schlechter. 

bereits  früher  angel'ührten  Grundsatz:  ,,11  laut  tout  efl'leurer."^^') 
JNIit  dem  Besuche  der  Kurse  nehmen  sie  es  nicht  sehr  genau; 
die  eine  ist  schon  vierzehn  Tage  der  Naturgeschichte  fern  ge- 
hlieben und  eine  andere  hat  überhaupt  erst  drei  l^hysikstunden 
besucht. ^^^)  Man  hat  aber  auch  zu  viele  Abhaltungsgründe: 
das  eine  Mal  muß  man  zu  einem  englischen  Friihstück  gehen, 
das  andere  Mal  hat  man  mit  einer  Freundin  einen  Spazierritt 
verabredet  oder  man  muß  der  Aufnahme  eines  neuen  Akademie- 
mitgliedes anwohnen. ^^^)  Das  letztere  tut  die  vornehme  Frau 
jedoch  nur  dann,  wenn  der  Aufzunehmende  ein  ,,homme  de  la 
eour"^^*')  ist;  mit  den  Gelehrten  aus  dem  Volke  will  sie  nichts 
zu  schaffen  haben,  denn  diese  sind  gefährlich:  ,,sie  haben  bereits 
eine  Abhandlung  über  die  Gleichlieit  aller  Stände  geschrieben 
und  sie  wünschen  diese  Gleichstellung  nur  deshalb,  weil  sie  dann 
den  Adeligen  bald  über  sein  werden. "^"^) 

Die  Bildung  der  Dame  würde  unvollständig  sein,  wenn  sie 
nicht  auch  von  der  Dichtkunst  etwas  verstünde;  deshalb  bemüht 
sie  sich,  selbst  Verse  zu  machen  und  lädt  auch  ,, Dichter"  ein, 
ihre  neuesten  Schöpfungen  vorzulesen. ^'■^)  Wie  lästig  sie  ihren 
Besuchern  dadurch  zuweilen  werden  kann,  lassen  folgende  Worte 
eines  Marquis  ersehen: ,,  Je  ne  puis  souffrir  Madame  de  Plantemere ; 
eile  a  envio  d'etre  savante.  II  faudrait  lire  avi^^  eile  tous  les 
ouvrages  nouveaux."-^'^) 

Die  meiste  Zeit  der  vornehmen  Frau  beanspruchen  die  vielen 
Besuche,  die  sie  zu  machen  hat.  Wir  können  diese  Besuche 
in  zwei  Gruppen  teilen:  in  solche,  die  einen  bestimmten  Zweck 
verfolgen,  und  in  solche,  die  bloße  Höflichkeitsbezeugungen  sind. 

Der  ersteren  Art  liegt  meist  der  Gedanke  zugrunde  ,,La 
protection  et  l'intrigue  fönt  toujours  plus  que  le  merite."'^'^) 
Um  für  ihren  kaum  23jährigen  Sohn  ein  Oberstenpatent  zu 
erlangen,  geht  die  Frau  nicht  zum  Minister,  denn  bei  diesem 
hätte  sie  mit  ihrer  Bitte  wenig  Aussicht  auf  Erfolg;  sie  sucht 
ihren  Zweck  vielmehr  durch  eine  Marquise  zu  erreichen,  die  bei 
d(mi  Minister  persona  grata  ist  und  der  er  keinen  Wunsch  ab- 
zuschlagen wagt. 3'^^)  Diese  versteht  es  auch  vorzüglich,  ihre 
Wünschi^  durchzusetzen:  ,,11  faut  toujours  demander,  obtenir 
et  se  plainch-e;  il  n'y  a  que  ceux  qui  savent  se  plaindre  qui  ob- 

3«^)  Prov.  et  Com.   II,   163. 
368j  p,.ov    et  Com.   11,  44. 

369)    il)id. 

3™)  Prov.  et  Com.   II,   162. 

3^1)  ibid. 

3'2)  Prov.  et  Com.   II,  216;  .385. 

373)  Prov.  III,  510. 

3'4)  Prov.  et  Com.   II,  56. 

3"5)  Prov.  et  Com.   II,  26. 


Die  vonieJtnic  französische  Frau  des   XVIII.   Jiil/rhanderts.      59 

ticnnent;  (iiiand  t)ii  inncrcic,  il  faiit  sc  l'aire  promettre  encorc."^"^) 
Ihr  Salon  ist  auch  i'ortwährond  von  Damen  besucht,  welche  durch 
sie  das  oder  jenes  zu  erlangen  lioffen.  Wünscht  eine  Frau  einem 
Abbe  eine  einträgliche  Pfründe  zu  verschaffen,  so  sucht  sie  dies 
durch  die  N'ermittelung  einer  Freundin  zu  erreichen,  die  bei 
dem    zuständigen    Bischof   großen    Einfluß    hat.^'') 

Doch  geht  sie  oft  auch  selbst  zu  dem  betreffenden  Beamten, 
und  wenn  dieser  ihrer  Bitte,  einem  jungen  Manne,  für  den  sie 
sich  interessiert,  diese  oder  jene  freie  Stelle  zu  geben,  nicht  will- 
fahren zu  können  erklärt,  droht  sie,  ihm  ihre  Freundschaft  zu 
entziehen  und  iiat  damit  in  den  meisten  Fällen  den  gewünschten 
Ei'foJg.3"8)  Aber  nicht  immer  läßt  sie  sich  die  Fürsprache  fiii- 
ihren  Schützling  so  sehr  angelegen  sein.  Da  sie  gerade  an  der 
Wohnung  eines  Staatsrates  vorüberfährt,  spricht  eine  Dame 
bei  diesem  vor,  um  ihm  die  Bitte  ihres  Schutzbefohlenen  zu 
unterbreiten.  Die  Art  und  Weise,  wie  sie  das  tut,  läßt  ersehen, 
wie  wenig  ihr  an  der  ganzen  Sache  eigentlich  gelegen  ist.  Sie 
belästigt  den  Beamten  ja  nur,  weil  ihr  Onkel  großes  Interesse 
an  dem  Fortkommen  des  jungen  Mannes  hat.  Die  Bittschrift 
des  letzteren  hat  sie  zuhause  liegen  lassen.  Doch  das  macht 
nichts;  es  wird  ja  genügen,  wenn  sie  ihm  sagen  kann,  daß  sie 
mit  dem  Staatsrate  über  die  Angelegenheit  gesprochen  habe, 
daß  aber  die  Erfüllung  seiner  Bitte  nicht  möglich  sei.^'*^) 

Natürlich  spielen  bei  derartigen  Besuchen  auch  Heirats- 
angelegenheiten eine  große  Rolle;  wenn  die  Frau  für  ihren  Sohn 
eine  passende  Partie  gefunden  hat,  die  Eltern  des  betreffenden 
Mädchens  aber  nicht  näher  kennt,  so  sucht  sie  deren  Einwilligung 
durch  die  \'ermittlung  einer  Bekannten  der  Familie  zu  erhalten; 
wenn  nötig,  soll  diese  die  Eltern  des  Mädchens  daran  hindern, 
ihre  Tochter  einem  andern  zu  geben. ^^'') 

Bei  der  anderen  Art  von  Besuchen  ist  die  Hauptsache  die 
Unterhaltung,  das  Bedürfnis,  Neuigkeiten  zu  hören  und  zu  be- 
richten. ,,Les  visites  ne  sont  qu'une  forme  de  politesse,  ou 
plutöt  d'usage;  ce  ne  sont  pas  lä  des  preuves  d'amitie."^^)  W^nn 
auch  die  Dame  des  Hauses  ihre  Besucherin  mit  den  freundlich- 
sten Ausdrücken  begrüßt  und  ihr  den  Vorwurf  macht,  sie  habe 
sich  ,,mille  ans"  nicht  mehr  sehen  lassen,^')  so  dürfen  wir  doch  in 
diesen  Worten  nichts  weiter  als  eine  Höflichkeitsformel  erblicken. 

Hire  eigenen  Verwandten  besucht  die  Dame  nur  ungern;  sie 
ist  schon  vierzehn  Tage  nicht  mehr  bei  ihrer  Großmutter  gewesen 


376)  prov.  et  Com.   II,  81. 

3^')  Prov.  et  Com.   III,  97. 

378)  Prov.,  Les  bons. 

3'»)  Prov.  III,  30/31. 

380)  pro^-  pt  (^orn.   II,  160—164. 

381)  Prov.  et  Com.  II,  223. 

382)  Prov.  et  Com.  II,  27. 


60  Hans    Urschlechter. 

und  um  von  ihr  nicht  gescholten  zu  werden,  bittet  sie  eine  Freun- 
din, mit  ihr  hinzugehen;  aber  diese  geht  nicht  mit,  denn  ,,chacun 
a  ses  grands-parents,  c'est  bien  assez."^^^)  Eine  Dame  lädt  ihre 
Nichten  ein,  sie  am  nächsten  Tag  zu  besuchen;  sie  versprechen 
dies  hoch  und  teuer  und  wenn  sie  ja  am  Kommen  verhindert 
sein  sollton,  wollen  sie  ihr  ein  Briefchen  schreiben.  ,,  Jawohl", 
erwidert  die  Dame,  ,,ihr  werdet  keines  von  beiden  tun/'^^'*) 

Bei  diesen  Besuchen  treten  die  kleinlichen,  oft  recht  un- 
schönen Eigenschaften  der  Frau  so  recht  zutage.  Plauderhaftig- 
keit  und  unersättliche  Neugierde  haften  ihnen  allen  an.  Die 
nichtssagendsten  Vorkommnisse  sowie  die  Skandalgeschichten 
schlimmster  Sorte  finden  an  ihnen  aufmerksame  Zuhörerinnen. 
Ein  von  ungefähr  dazukommender  Herr  braucht  nur  eine  etwas 
geheimnisvolle  Miene  zu  machen  und  er  darf  sicher  sein,  daß 
sofort  alle  anwesenden  Frauen  ihn  mit  Fragen  bestürmen  und 
daß  er  nicht  eher  Ruhe  hat,  als  bis  er  die  neueste  Begebenheit 
haarklein  erzählt  hat.^^^) 

Den  Hauptgesprächsstoff  bilden  die  üble  Nachrede  und 
abfälhge  Bemerkungen  über  andere  Damen.  Besonders  unge- 
halten ist  man  über  jene  adeligen  Frauen,  welche  den  Vergnügun- 
gen der  Gesellschaft  die  stillen,  bescheidenen  Freuden  eines 
glücklichen  Familienlebens  vorziehen.  Nur  im  wegwerfendsten 
Tone  spricht  die  Weltdame  von  diesen  ,,especes"2^^)  oder  ,,especes 
de  prüdes". ^^'^)  Auch  die  Bezeichnung  ,,vertu"^^^)  hat  sie  für 
diese  Frauen ;  sie  will  mit  ihnen  nicht  das  geringste  zu  tun  haben : 
„C'est  donc  une  vertu  ?  Cette  femme-lä  me  deplait  ä  mourir."^^^) 
Doch  der  Umstand,  nicht  zu  diesen  verächtlichen  ,,especes" 
zu  gehören,  bietet  noch  lange  keine  Gewähr,  gegen  jede  Art  von 
Verleumdungen  und  Verdächtigungen.  Selbst  ihre  Bekannten, 
mit  denen  sie  täglich  verkehrt,  ja  sogar  ihre  Jugendfreundinnen, 
sind  nicht  sicher  vor  dem  abfälligen  Urteil  der  vornehmen  Dame. 
Meistens  beziehen  sich  diese  lieblosen  Reden  auf  die  äußere  Er- 
scheinung der  Frau.  Vielleicht  fühlt  sich  die  Dame  dadurch 
verletzt,  daß  man  in  ihrer  Gegenwart  andere  Frauen  rühmt, 
vielleicht  auch  sieht  sie  in  dem  Lobe  der  Schönheit  anderer 
Damen  eine  Geringschätzung  ihrer  eigenen  Reize.  Welcher  Art 
ihre  Beweggründe  auch  sein  mögen,  sie  läßt  keine  der  Lobes- 
erliebungen  gelten,  welche  ihr  Gast  der  Schönheit  einer  Frau 
spendet.  Lobt  man  deren  schöne  Augen,  so  entgegnet  sie,  die- 
selben seien  ausdruckslos.     Die  Gräfin,  für  deren  Schönheit  ein 

383)  Prov.  et  Com.   II,   1G9— 170. 

384)  Prov.  et  Com.  II,   125. 

385)  Prov.   I,  340  ff. 

386)  Prov.   III,  389;  Prov.  et  Com.   II,  352. 

387)  Prov.  III,  400. 

388)  Prov.  et  Com.   II,   143. 

389)  Prov.   I,  90. 


Die  i'onu'linw  französische   Frau  des  XVIII.   Jahrhunderts.      61 

.\l)be  so  sehr  schwärmt,  ist  ,,une  petito  sotto  qui  a  des  dents 
qiii  ne  finissent  pas".^^")  Die  Begeisterung  der  Herren  für  eine 
andere  erklärt  sie  folgendermaßen:  ,,Oui,  c'est  une  petite  horreur 
qui  ne  sait  pas  danser,  et  Ton  trouve  cela  charmant. "^^^)  Eine 
andere  Frau  nennt  sie  „une  sötte  creature".^^^)  Als  man  einer 
Dame  die  Schönheit  einer  Frau  von  Rouviere  rühmt,  erwidert 
sie:  ,,Sie  hat  eine  furchtbar  dunkle  Haut;  zudem  ist  sie  schlecht 
gebaut. "^^^)  Da  die  beiden  zusammen  im  Kloster  waren,  ist  an 
der  Wahrheit  ihrer  Worte  nicht  zu  zweifeln.  Wenn  die  Rede  auf 
eine  Dame  kommt,  die  allgemein  als  die  erste  Pariser  Schönheit 
gilt,  hat  man  trotzdem  noch  einige  ,,aber"  und  findet  an  ihr 
noch  manches  auszusetzen,  so  vor  allem,  daß  sie  keine  Physio- 
gnomie habe.^^^) 

Bietet  aber  die  Schönheit  einer  Frau  allen  Verdächtigungen 
keinen  Angriffspunkt,  so  entdeckt  man  wenigstens  in  ihrem 
Charakter  den  einen  oder  andern  Fehler:  der  einen  fehlt  es  an 
esprit  und  Charakterfestigkeit,^^^)  die  andere  ist  ein  ,, verzogenes 
Kind",^^^)  wieder  eine  andere  nennt  man  eine  ,,femmelette"^^') 
oder  eine  ,,imbecille".^^^)  Diese  weiß  nicht,  wie  einfältig  sie 
ist,'''^^)  jene  hat  eine  allzu  große  Vorliebe  für  festliche  Veranstal- 
tungen^''*')  und  in  dem  Benehmen  einer  Dritten  sieht  man  ein 
„etwas  dirnenmäßiges  Gebahren".^*^^)  Und  doch  ist  das  Benehmen 
der  Frauen,  die  über  andere  so  hart  urteilen,  um  kein  Haar  besser; 
man  tadelt  eben  an  anderen,  was  man  selbst  täglich  tut.^''^)  Hoch- 
mütig sieht  man  herab  auf  die  Fehler  des  Nebenmenschen  und 
spricht  selbstgefällig:  ,,Je  serais  bien  fächee  d'etre  comme  teile 
ou  teile  personne. "*°^) 

So  abfällig  die  Weltdame  über  ihr  nicht  genehme  Frauen 
urteilt,  so  sehr  ist  sie  auf  der  anderen  Seite  bemüht,  die  Vorzüge 
ihrer  Freundinnen  in  ein  möglichst  günstiges  Licht  zu  stellen. 
Die  nämliche  Dame,  die  an  allen  Frauen  etwas  auszusetzen  findet, 
sagt  von  einer  Freundin:  ,,Frau  von  Mirevault  ist  liebenswürdig! 
Das  nenne  ich  eine  Frau."^"^)  Dabei  ist  diese  schon  über  vierzig 
Jahre  alt  und,  wenigstens  nach  dem  Urteil  des  Abbe,  gar  nicht 

390)  Prov.   I,  65. 

391)  Prov.   I,  68. 

392)  Prov.   III,  401. 

393)  Prov.   I,  64. 

394)  Prov.  et  Com.   II,  358. 

395)  Prov.  et  Com.   II,  247. 

396)  Prov.  et  Com.   II,  214. 

397)  Nouv.  Prov.   I,   104. 

398)  Nouv.  Prov.   I,   105. 

399)  Prov.  et  Com.   II,   116. 

400)  Prov.   III,  394. 
■»Ol)  Prov.   I,  68. 

402)  Prov.  et  Com.   III,  213. 

403)  Prov.  et  Com.   III,  214. 
^^^)   Prov.   I,   65. 


62  Hans    Urschlechler. 

schön.  Ja  selbst  die  kleinen  Schwächen  der  Freundin  weiß  sie 
in  vorteilhafte  Eigenschaften  umzuwandeln:  die  üble  Angewohn- 
heit einer  Frau,  bei  jedem  Wort,  das  sie  spricht,  zu  lachen,  schreibt 
sie  deren  heiterem,  lebensfrohem  Wesen  zu.'*"^) 

Die  üble  Nachrede  erstreckt  sich  nicht  nur  auf  abwesende 
Personen;  auch  die  Anwesenden,  ja  die  Frau  des  Hauses  selbst, 
sind  zuweilen  die  Zielscheibe  versteckter  BöswilUgkeiten.  Eine 
Frau  meint  einer  Bekannten  gegenüber,  es  gebe  Mittel,  Sommer-  • 
sprossen  zu  beseitigen,  ,, natürlich,"  fügt  sie  mit  einem  Blick  in 
das  Gesicht  ihrer  Besuclierin  hinzu,  ,,wenn  man  welche  hat."^"^) 
Da  einige  Damen  wissen,  daß  ein  Herr  von  Mondoux  eine  reine 
Null  in  seinem  Hause  ist,  suchen  sie  ihn  auf  jede  Weise  ins  Ge- 
spräch zu  ziehen,  fragen  ihn  nach  seiner  Ansicht  über  ein  neues 
Trauerspiel  und  freuen  sich  höchlich,  da  sie  sehen,  wie  sehr  sich 
Frau  von  Mondoux  über  diese  Auszeichnung  ihres  Gatten  ärgert. '*"") 
Noch  unhöflicher,  zuweilen  sogar  verletzend,  wird  das  Benehmen 
der  vornehmen  Dame  gegen  die  Frau,  deren  Vermögensverhält- 
nisse —  ob  durch  eigenes  Verschulden  oder  nicht,  ist  gleich- 
gültig —  in  Unordnung  geraten  sind.  Mit  jedem  Worte,  mit 
jeder  Miene,  läßt  sie  dieselbe  den  Unterschied  merken,  der  nach 
ihrer  Meinung  nunmehr  zwischen  ihnen  besteht.  Hinter  ge- 
heucheltem Mitgefühl  zeigt  sich  verhaltene  Schadenfreude.  Hire 
Besuche  werden  immer  kürzer  und  seltener,  um  endlich  ganz 
aufzuhören.*"^) 

Bedauernswert  ist  die  Frau,  die  unverschuldet  ins  Unglück 
geraten  ist  und  nun  bei  ihren  vermeintlichen  Freundinnen  Hilfe 
sucht.  Wo  sie  ein  mitfühlendes  Herz  und  eine  hilfreiche  Hand 
zu  finden  hoffte,  empfängt  man  sie  kalt  und  teilnahmslos.  Man 
lädt  sie  kaum  zum  Setzen  ein;  gleichgültig  hört  man  ihre  Er- 
zählung an,  ein  Achselzucken  ist  die  einzige  Antwort.  Entrüstet 
über  eine  solche  Undankbarkeit  erhebt  sich  die  Unglückliche; 
die  einstige  Freundin  hält  ihr,  wie  einer  Bettlerin,  einige 
Geldstücke  hin,  welche  die  Hilfesuchende  empört  zurück- 
weist.4»9) 

Diese  letzteren  Beispiele  mögen  zeigen,  wie  es  manchmal  mit 
der  Freundschaft  und  dem  Edelmut  in  diesen  Kreisen  bestellt  ist: 
Freundlichkeit  und  Zuvorkommenheit  im  Glück,  Rücksichtslosig- 
keit und  Verachtung  im  Unglück.  Das  sind  die  Schattenseiten 
dieser  vornehmen  Gesellschaft,  von  der  Carmontelle  sagt,  daß  sie 
sich  zusammensetze  aus  ,,gens  contraires  au  bonheur  de  ceux  qui 
les  connaissent".'*^'') 

'*"5)   Prov.  IV,  325. 

406)  Ppov  et  Com.   I,   13. 

^^')  Prov.  III,  394  fr. 

-»OS)  Prov.  III,  451. 

409)  Prov.  II,  327/28. 

410)  Prov.  III,  451. 


l)io   wnir/uNc  französische   Frau   des  XVI U.   Jahrliuiiderts.      63 

Die  B(?suohszt>it  lallt,  nacli  einigen  »Stellen  bei  vinserom 
Dichter  zu  schließen,  zwischen  den  SchluB  des  Theaters  und  das 

Souper;*^^)  so  heißt  es  einmal:  les  visites  depuis  quelque 

temps  ne  commencent  qu'apres  le  spectacle."^^"^)  Doch  dürfen 
wir  wohl  annehmen,  daß  dies  erst  für  die  spätere  Zeit  zutrifft, 
daß  man  dagegen  früluM-  meist  schon  vor  Beginn  des  Theaters 
seine  Besuche  macht;  zahlreiche  Belegstellen  sprechen  für  diese 
Annahme.  Jedenfalls  ist  man  während  des  Theaters  sicher, 
niemand  zu  Hause  anzutreffen;  diese  Zeit  wählt  man  haupt- 
sächlich dann  zu  Besuchen,  wenn  einem  daran  gelegen  ist,  die 
betreffenden  Personen  nicht  zu  treffen.  Diese  bequeme  Art, 
seinen  gesellschaftlichen  Verpflichtungen  nachzukommen,  scheint 
damals  sehr  beliebt  gewesen  zu  sein.'*^-'') 

Wenn  die  Dame  endlich  gegen  Abend  ihre  vielen  Besuche 
beendet  hat,  fährt  sie  nach  dem  Palais-Boyal  oder  nach  den 
Tuilerien.  Diese  Promenade  im  Palais-Royal  sehen  wir  in  zwei 
Bildern  Debucourts;*^^)  bei  Carmontelle  spielen  die  Tuilerien  eine 
größere  Rolle.  Gegen  Abend  findet  sich  hier  die  ganze  vornehme 
Welt  ein.  In  der  großen  Allee  flutet  ein  Strom  von  fröhlichen 
Menschen;  die  Damen  zeigen  sich  in  ihren  prächtigsten  Toiletten 
und  tragen  ihre  wertvollsten  Diamanten.  Dieser  Abendspazier- 
gang bildet  ein  Haupt  vergnügen  der  Weltdame. *^^)  Deshalb  ist 
sie  auch  sehr  ärgerlich,  wenn  sie  infolge  schlechten  Wetters  auf 
dieses  Vergnügen  verzichten  muß:  ,,Je  suis  bien  fächee;  car  il 
ne  peut  pas  y  avoir  de  Tuileries  aujourd'hui,  et  je  les  aime  beau- 
coup,"*^'')  oder  wenn  ein  plötzlich  einsetzender  Regenschauer  in 
einem  Augenblick  das  farbenprächtige  Bild  zerstört  und  sie  sich 
gezwungen  sieht,  in  Eile  in  ihren  W'agen  zu  f lochten. ^^') 

In  der  späteren  Zeit  zieht  man  dieser  Promenade  in  den 
Tuilerien  eine  Spazierfahrt  auf  den  Boulevards  vor.'*^^)  Langsam 
folgt  ein  Wagen  dem  andern;  elegante  junge  Herren  kommen  an 
den  Wagensclilag  der  ihnen  bekannten  Damen,  um  ihnen  Schmei- 
cheleien zu  sagen;  Blumenverkäuferinnen  steigen  auf  das  Tritt- 
brett und  bieten  den  Damen  frische  Blumen  an."^) 

Werfen  wir  hier  einen  kurzen  Rückblick  auf  das  Gesagte, 
so  sehen  wir,  daß  der  Nachmittag  der  vornehmen  Frau  ganz  den 

411)  Prov.  et  Com.   II,   ISO;  230;  389. 

412)  Prov.  et  Com.  II,   106. 

413)  Prov.  et  Com.  I,  299;  II,  115;  207. 

414)  Vgl.  Debucourt,  La  Promenade  publique  au  Palais-Royal 
und  Debucourt,  La  Promenade  de  la  Galerie  du  Palais-Royal. 

415)  Prov.  et  Com.  II,  262;  359  ff. 

416)  Prov.  II,  116. 

417)  Prov.  II,  7. 

418)  proy    et  coni    11^  361;  395. 

419)  Prov.  III,  508.  Vgl.  auch  Augustin  de  Saint-Pierre,  La 
Promenade  des  remparts  de  Paris. 


64  Hans    Urschlechler. 

gesellschaftlichen  \'erpflichtungen  und  dem  Vergnügen  gewidmet 
ist.  Immer  ist  sie  in  Bewegung,  keinen  Augenblick  hat  sie  Ruhe. 
Wäre  übrigens  der  Frau  eine  Stunde  Alleinsein,  eine  Stunde,  in 
der  sie  sich  mit  sich  selbst  beschäftigen  könnte,  erwünscht  ? 
Wir  dürfen  dies  kaum  annehmen,  denn  wir  sehen,  daß  sie  fast 
eine  gewisse  Angst  davor  hat,  allein  zu  sein. 

Und  doch  gibt  es  auch  im  Leben  der  Weltdame  Stunden, 
wo  sie  keine  Gesellschaft  hat,  wo  sie  nicht  ausgehen  mag  oder 
wegen  einer  kleinen  Unpäßlichkeit  nicht  ausgehen  kann.  Diese 
langen  Stunden  sind  ihr  eine  Qual;  die  Mittel,  auf  die  sie  verfällt, 
um  die  Langeweile  fernzuhalten,  sind  recht  bezeichnend.  Die 
Stille  des  Zimmers  ist  ihr  unheimlich;  sie  muß  etwas  Lobendes 
um  sich  haben  und  hält  deshalb  kleine  Hunde,  Angorakatzen  und 
Papageien. *2oj  Auch  weniger  schöne  Tiere,  wie  Affen  (magots), 
gehören  zu  ihren  Liebhngen.''^i)  Dagegen  kann  sie  größere  Hunde, 
besonders  Jagdhunde,  nicht  ausstehen:  ,, Getto  vilaine  bole-lä 
venait  toujours  s'etendre  devant  lo  feu  et  eile  nous  infectait.'"*'^-) 

Auch  Handarbeiten  fertigt  sie  in  solch  einsamen  Stunden. 
Sie  macht  Liebesknoten,^23)  beschäftigt  sich  mit  parfilage*'^)  oder 
stickt  für  einen  Verehrer  eine  Weste, *2^)  Einen  etwas  eigentüm- 
lichen Geschmack  verrät  es,  wenn  eine  Dame  einen  Lehnstuhl 
anfertigt,  in  dessen  Sitz  Musikinstrumente,  umgeben  von  Mohn- 
blüten und  Lilien,  eingestickt  slnd.^^e^ 

Am  Abend  stehen  der  Frau  die  verschiedenartigsten  Ver- 
gnügungen zu  Gebote.  Da  sind  vor  allem  die  zahlreichen  Theater; 
an  den  Spieltagen  der  Oper  darf  sie  natürlich  hier  nicht  fehlen; 
„ganz  Paris  ist  dort,"'*-")  denn  die  Oper  ist  ,,le  spectacle  des 
gens  de  goüt".'*-^)  An  den  übrigen  Tagen  geht  sie  in  die  Comedie 
frangaise  oder  ins  Theätrc  des  Italiens.  Auch  kleinere  Theater 
besucht  sie  hin  und  wieder,  so  die  petits  spectacles  du  boulovard*^^) 
oder  die  Varietes  amüsantes.*^") 

Wenigstens  in  einem  der  drei  großen  Theater,  manchmal 
sogar  in  allen  drei,"*^^)  hat  die  Dame  ihre  eigene  Loge.  Die  grandes 
loges  der  früheren  Zeit^^^)  haben  den  viel  angenehmeren  petites 

^20)  Prov.  et  Com.   II,  318. 

■121)  Prov.  I,  298. 

«2)  Prov.  IV.   183. 

423)  Prov.  II,   144;  Prov.  et  Com.   I,  345. 

424)  Prov.  et  Com.   II,  6. 

425)  Prov.  II,   10;  Prov.  et  Com.   II,   190. 

426)  Prov.  III,  29  fr. 

427)  Prov.  et  Com.   III,  208. 

428)  Prov.  et  Com.   II,  93. 

429)  Prov.  et  Com.  II,  203. 

430)  Prov.  et  Com.   I,  4. 

431)  Nouv.  Prov.   II,  257. 

432)  Prov.  et  Com.   II,   135. 


Die  vornehme  französische  Frau  des  XVI 11.  Jahrhunderts.      65 

loges^^^)  weichen  müssen.  Betrachten  wir  die  Schilderung  der 
letzteren  bei  Goncourt,  so  werden  wir  deren  Beliebtheit  leiclit 
begreifen:  „C'est  une  löge  masquee  de  Stores.  On  y  arrive  en 
deshabille,  on  y  apporto  son  epagnenl,  son  coussin  et  sa  chauffe- 
rette.  On  y  recoit  le  monde  qu'on  veut,  et  on  y  tient  tout  haut 
une  conversation  dont  on  n'interrompt  le  babil  et  les  eclats  qmi 
pour  regarder  par  le  morceau  de  verre  de  son  eventail  les  entrants 
et  les  sortants  sans  qu'ils  vous  voient."^^*)  Überall  in  der  Gesell- 
schaft ist  das  Bestreben  bemerkbar,  sich  in  der  Öffentlichkeit  zu 
verbergen ;*^^)  deshalb  nimmt  man  eine  petite  löge  „pour  y 
arriver  ä  l'heure  qu'on  veut,  pour  y  recevoir  ses  amis,  ses  con- 
naissances,  et  pour  n'etre  pas  en  representation".*^^) 

Es  gehört  zum  guten  Ton,  nicht  gleich  bei  Beginn  der  Auf- 
führung anwesend  zu  sein;  deshalb  erscheint  die  vornehme  Dame 
erst  im  Verlauf  des  ersten  Aktes  oder  nachdem  schon  der  zweite 
begonnen  hat.  Dabei  macht  sie  möghchst  viel  Geräusch,  um 
die  Augen  der  Zuschauer  auf  sich  zu  lenken;  wie  sollte  man  denn 
sonst  auf  ihr  Kommen  aufmerksam  werden  ?^^")  Die  Frau  geht 
ins  Theater,  um  sich  zu  unterhalten;*^^)  wenn  sie  keine  Bekannten 
um  sich  hat,  mit  denen  sie  plaudern  kann,  langweilt  sie  sich.*^") 
Deshalb  lädt  sie  Herren  in  ihre  Loge,  um  sich  mit  ihnen  zu  unter- 
halten;^*") Herren,  die  ihr  gerade  einen  Besuch  abstatten  wollen, 
nimmt  sie  mit  ins  Theater  ,,pour  completer  sa  loge".**^)  Die 
Gesellschaft,  die  sie  hier  findet,  ist  nicht  so  langweilig,  wie  die- 
jenige, welche  ihr  zu  Hause  ihre  Aufwartung  macht. **^)  In  der 
Oper  erfährt  man  nicht  nur  die  Tagesneuigkeiten,  sondern  auch 
die  Skandalgeschichten  der  Gesellschaft:  ,,0ü  voulez-vous  qu'on 
puisse  mieux  s'instruire  des  nouvelles  liaisons,  des  ruptures,  et 
de  tout  ce  qu'il  est  important  de  savoir  quand  on  vit  dans  la 
bonne  compagnie,  pour  ne  pas  faire,  ä  chaque  pas,  des  bevues 
ä  renverser  ?**^)  Sowie  man  jemand  kommen  sieht,  erfährt  man 
auch  schon  seine  Geschichte  ,,dans  les  foyers,  dans  les  corridors, 
comme  dans  les  loges".^**) 

Natürlich  unterhält  man  sich  ganz  laut,  denn  in  den  petites 
loges  kann  jeder  tun  was  ihm  beliebt. ^*^)  Theaterbesucher,  die 
den  Vorgängen  auf  der  Bühne  folgen  und  von  dem  Gesprochenen 

433^  Vgl.  Moreau  1.  j.,  La  petite  löge. 

*^*)  Goncourt,  p.   130. 

*35)  Prov.  et  Com.  II,   135. 

«6)  ibid. 

*3-)  Prov.  et  Com.   II,  351/52. 

*38)  Prov.  et  Com.   III,  207. 

*39)  Nouv.  Prov.   I,   100. 

**0)  Prov.   I,   69. 

**i)  Prov.  et  Com.   II,   167. 

«2)  Prov.  et  Com.   II,   134/35. 

**3)  Prov.  et  Com.   III,  209. 

***)  ibid. 

W5j  Prov    et  Com.  II,  135. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  5 


6(5  Hans   Urschlechter. 

auch  etwas  verstehen  möchten,  kommen  infolge  dieser  laut  ge- 
führten Gespräche  zumeist  nicht  auf  ihre  Rechnung;  es  hilft 
ihnen  auch  nicht  viel,  wenn  sie  eine  andere  Loge  nehmen,  denn 
sie  kommen  dabei  oft  vom  Regen  in  die  Traufe. '*^^) 

Wozu  ist  es  denn  auch  nötig,  daß  man,  besonders  bei  Schau- 
spielen, immer  nach  der  Bühne  blickt  ?  Man  sieht  die  Stücke 
ja  oft  genug,  da  man  jeden  Tag  ins  Theater  geht.  Es  ist  auch 
leicht,  ein  Urteil  über  die  .Stücke  abzugeben,  denn  diejenigen, 
die  man  an  der  Oper  gibt,  sind  alle  gut.**'')  Etwas  anderes  ist  es 
freilich,  wenn  die  Guimard  tanzt.  Da  richten  sich  die  Blicke 
aller  Damen  nach  der  Bühne,  um  die  Kunst  dieser  unvergleich- 
lichen Tänzerin  zu  bewundern  und  ihre  geschmackvolle  Toilette 
einer  eingehenden  Prüfung  zu  unterziehen;**^)  da  entringen  sich 
manchem  schönen  Munde  die  entzückten  Worte:  ,,Ah!  comme 
olle  est  mise,  comme  eile  dansel"**®)  Alle  anderen  Tänzerinnen 
verschwinden  neben  dieser  gefeierten  Schönheit,  von  der  es  in 
oinem  Polizeibericht  heißt,  sie  habe  ,,la  plus  belle  gorge  du 
monde",*^")  und  der  zu  Ehren  man  ,,robes  ä  la  Guimard" 
trägt. *5i) 

Bezüglich  der  Musik  gehen  die  Ansichten  der  Gesellschaft 
auseinander;  es  bestehen  zwei  Parteien,  von  denen  die  eine  für 
die  französische  Musik  eintritt,  während  die  andere  der  italieni- 
schen den  Vorzug  gibt.*^^)  Die  letztere  Partei  ist  die  stärkere; 
die  große  Mehrzahl  der  Damen  kennt  nichts  Schöneres  als  die 
neue,  d.  h.  italienische  Musik. *^^)  Gluck  erfreut  sich  noch  großer 
Beliebtheit,  aber  man  zieht  ihm  vielfach  die  Italiener  Sacchini 
und  Piccini  vor.*^*)  Eine  Dame  kann  nicht  verstehen,  wie  man 
demnächst  Glucks  ,,Iphigenie  in  AuHs"*^^)  geben  kann,  während 
man  doch  so  viele  reizende  Sachen  von  Piccini  hat.*^^)  Ein  Abbe 
geht  in  der  abfälligen  Beurteilung  der  Anhänger  der  französischen 
Musik  so  weit,  daß  er  hofft,  daß  diese  ,,generation  barbare  tire 
a  sa  fin".*^^) 

Hier  dürfte  der  Platz  sein,  einiges  über  das  Gesellschafts- 
theater zu  sagen.  In  den  Sommermonaten,  sowie  während  der 
Quinzaine   de   Päques  sind   die   Pariser  Theater  geschlossen;*^^) 

**6)  ibid. 

**')  Prov.  et  Com.  II,  136. 
**«)  Prov.  et  Com.  II,  203. 
**9)  Prov.  et  Com.  II,  137. 
45oj  Fragonard,  p.  171. 

451)  Fragonard,  p.  176. 

452)  Prov.  et  Com.  I,  295. 
*53)  Prov.  et  Com.  II,  107. 
454)  Prov.  et  Com.  I,  295. 

*55)  Erstaufführung  an  der  Oper  1774. 

*56)  Prov.  et  Com.  II,  205. 

*")  Prov.  et  Com.  II,  38. 

*58)  Prov.  et  Com.  II,  192. 


Die  vornehme  französisehe   Frau   des   XVIII.   Jahrhuiuirrts.      (57 

man  nimmt  deshalb  zum  Gesellschaftsthoater  seine  Zuflucht. 
Den  Sommer  verbringt  man  auf  dem  Lande,  weniger,  weil  man 
die  Annehmlichkeiten  des  Landlebens  genießen  will,  sondern 
weil  es  zum  guten  Ton  gehört.  Der  Sinn  für  die  Natur  ist  bei 
vielen  Damen  nicht  sehr  stark  entwickelt;  der  Geruch  des  Veil- 
chens ist  ihr  zu  gemein, ^^^)  und  sie  findet,  daß  die  natürlichen 
Blumen  ,,fast  ebenso  gut  riechen"  wie  die  künstlichen,  die  man 
gegenwärtig  maclit.^^")  Es  muß  schon  gar  niemand  mehr  in 
Paris  sein,  wenn  die  Dame  sich  entschließt,  aufs  Land  zu  gehen. *®^) 
Man  lädt  sich  gegenseitig  ein  und  vertreibt  sich  die  Zeit  mit 
Theaterspielen,  denn  ,,ohne  Theater  und  Bälle  wäre  das  Leben 
in  der  Provinz  unerträglich".^®-)  Das  Einstudieren  der  Rollen 
und  die  liäufigen  Proben  bilden  den  Damen  eine  willkommene 
Abwechslung,  und  manchmal  sind  sie  mit  ihren  Gedanken  so 
ganz  bei  der  bevorstehenden  Aufführung,  daß  sie  beim  Lotto 
oder  Triktrak  ganz  unbegreifliche  Fehler  machen.*®^) 

Die  Bühne  wird  in  der  Orangerie  oder  einem  größeren  Saale 
errichtet."*®*)  Das  Bestreben  der  vornehmen  Dilettantin  geht  vor 
allem  dahin,  sich  als  möglichst  gute  Schauspielerin  zu  zeigen.*®^) 
Daß  man  einer  Präsidentin  nachrühmt,  sie  spiele  sehr  natürlich,*®®) 
kann  ihr  gar  nicht  imponieren;  ,,zum  natürlich  spielen  gehört 
nichts,"  meint  sie,  ,,das  kann  die  Tochter  meines  Gärtners  auch. 
II  faut  savoir  toutes  les  positions  dans  les  differentes  scenes, 
combiner  tous  ses  mouvements,  avoir  des  oppositions  dans  ses 
gestes,  et  savoir  dire,  surtout,  ses  ,,ä  parte"  de  maniere  que 
tout  le  monde  les  entende."*®'')  Wo  sollte  die  Präsidentin  denn 
das  alles  gelernt  haben  ?  Sie  ist  ja  noch  gar  nicht  lange  in  der 
Gesellschaft  und  hat  noch  nicht  oft  genug  ins  Theater  gehen 
können,  um  sich  das  alles  anzueignen.  Von  sich  selbst  dagegen 
erklärt  die  Dame  mit  Stolz,  daß  sie  ,,contrefait  toutes  les  actrices 
a  s'y  meprendre".*®^)  Sie  begnügt  sich  auch  gar  nicht  damit, 
den  Schauspielerinnen  im  Theater  ihre  Künste  abzusehen,  sondern 
sie  übt  auch,  so  sehr  sie  dies  auch  in  Abrede  stellt,  ihre  Rolle 
mit  der  Mademoiselle  Contat  ein;*®^)  trotzdem  behauptet  ein 
Herr,  er  habe  sie  einmal  ,,ä  contresens"  spielen  sehen.*^")  Zu- 
weilen treibt  die  Frau  die  Nachahmung  bekannter  Schauspiele- 

*59)  Prov.  et  Com.  I,  284. 

460)  Prov.  et  Com.   II,   150. 

*®i)  Prov.  et  Com.  I,  21. 

*62)  Prov.  et  Com.  II,   109. 

463)  Prov.  et  Com.  III,  41. 

4®4)  Prov.  et  Com.  III,  45. 

*®5)  Prov.  et  Com.  III,  51. 

*®®)  ibid. 

4®')  ibid. 

468)  Prov.  et  Com.   III,  50. 

46«)  Prov.  et  Com.  II,  204. 

4^0)  Prov.  et  Com.  II,  205. 

5* 


68  Hans    Urschlpchter. 

rinnen  so  weit,  daß  sie  unausstehlicli  wird:  ,,elle  est  ridiculo 
avec  ses  pretentions."'*'^) 

Bei  der  Verteilung  der  Rollen  ist  die  Dame  natürlich 
darauf  bedacht,  für  sich  die  dankbarste  Rolle  zu  erhalten.  In 
,L'Oracle"  spielt  sie  die  Lucinde,'*''^)  in  ,,Le  Philosophe  marie'" 
die  Geliante;*^^)  die  Titelrolle  in  „Nanine"*'*)  und  die  Rolle  der 
Marquise  in  ,,La  Surprise  de  l'Amour"^'^^)  gehören  zu  ihren 
besten  Leistungen.  Einer  Frau,  deren  Rivalität  sie  besonders 
fürchten  zu  müssen  glaubt,  weist  sie  möglichst  kurze  und  un- 
dankbare Rollen  zu.*'^) 

Die  Salonbühne  bietet  der  Dame  die  beste  Gelegenheit,  ihre 
Schönheit  sowie  ihre  geistigen  Vorzüge  zur  Geltung  zu  bringen: 
,,Sa  figure  est  charmante!  Sa  taille,  son  maintien,  tout  en  eile 
a  de  la  gräce,  de  la  noblesse;  eile  a  de  la  sensibilite  dans  la  voix, 
de  l'esprit,  et  un  ton  excellent."*")  Kleine  körperliche  Mängel 
weiß  sie  geschickt  zu  verdecken:  ,,elle  grossit  sa  taille  par  des 
fleurs,  des  gazes."'*''^)  Die  Toilettenfrage  spielt  bei  dergleichen 
Veranstaltungen  selbstverständlich  eine  bedeutende  Rolle.  Man 
braucht  ,,de  belles  etoffes",  Taffet  ist  zu  den  hier  benötigten 
Kostümen  zu  gering.^^^)  Nicht  immer  ist  bei  der  Wahl  der  Toilette 
der  gute  Geschmack  ausschlaggebend.  Obwohl  die  in  einem 
Stücke  vorgeschriebene  Tracht  die  französische  ist,  will  eine 
Dame  einen  hohen  spanischen  Kragen  anlegen;  da  der  Diamanten- 
schmuck ihrer  Freundin  schöner  ist  als  der  ihrige,  bittet  sie  diese, 
ihr  denselben  zu  leihen.*^")  Die  Wahl  eines  möghchst  eleganten 
Kleides  nimmt  viel  Zeit  in  Anspruch;  schließlich  entscheidet  sich 
die  Frau  für  ein  grüngestreiftes,  das  ,,im  Lichte  rosa  und  grün 
schillert".  *8i) 

Wenn  die  Dame  am  Schlüsse  der  Vorstellung  das  Theater 
verläßt,^^2)  schickt  sie  einen  der  sie  begleitenden  Herren  fort, 
um  nach  ihrem  Bedienten  zu  suchen;  er  muß  am  Ausgang  des 
Theaters  warten,  bis  ihr  Wagen  vorgefahren  ist  und  sie  dann 
benachrichtigen.*^^)  Hierauf  fälirt  sie  zum  Souper  bei  einer 
Freundin;  sie  lädt  auch  einen  Herrn,  für  (h^n  sie  sich  interessiert, 

**^i)  Prov.  et  Cum.    III,  4;i. 

472)  Prov.  et  Com.  III,  64. 

473)  Prov.  et  Com.  III,  61. 
474J  Prov.  et  Com.  III,  56. 
4'5)  Prov.  et  Com.  III,  65. 
476)  Ppov  et  Com.  III,  56;  61. 
4")  Prov.  et  Com.  III,  49. 
478)  Prov.  et  Com.   III,  43. 

4 '9)  Nouv.  Prov.   II,  263. 

480)  Prov.   IV,   188. 

481)  ibid. 

482)  Ygi_  Moreau,   La   Sortie   de  l'Opera. 

483)  Prov,  et  Com.  II,  167. 


Die  vornehme  französische  Frau  des  XVII l.  Jahrhunderts.      69 

ein,  sie  zu  begleiten;  aber  dieser  bedauert,  dies  nicht  tun  zu 
können,  da  er  schon  wo  anders  zugesagt  habe.  In  Wirklichkeit 
aber  fürchtet  er  den  zweifelhai'ten  Genuü,  den  ein  Versmacher 
den  Eingeladenen  bereiten  wird.'*^'')  Zwar  weiß  die  betreffende 
Dame  recht  gut,  wie  unbeliebt  das  Vorlesen  einer  langweiligen 
Tragödie  bei  ihren  Gästen  ist  und  sie  hat  diesen  gesagt,  daß  sie 
einige  neue  italienische  Lieder  zu  hören  bekämen  ;^^^)  allein  man 
weiß  schon,  daß  dies  nur  eine  Finte  ist,  und  um  die  lang- 
weilige Flezitation  nicht  mit  anhören  zu  müssen,  geht  man  erst 
später  hin,  denn  ,,ä  present  on  vient  aussi  tard  que  l'on  peut".*^*) 
Nicht  selten  findet  vor  dem  Souper  ein  kleines  Konzert^^') 
statt,  bei  dem  manchmal  auch  der  Sohn  oder  die  Tochter  des 
Hauses  ein  Klavierstück  vortragen  ;'*^^)  zuweilen  tritt  auch  die 
Hausfrau  selbst  mit  einer  Arie  aus  einer  neuen  Oper  vor  ihre 
Gäste.  489) 

Im  Winter  und  besonders  im  Fasching  ist  das  Leben  der 
Dame  besonders  abwechslungsreich;  zu  den  sonstigen  Ver- 
gnügungen kommen  noch  die  zahlreichen  Bälle.  Manche  Frau 
hat  eine  wahre  Leidenschaft  für  das  Tanzen;  sie  geht  während 
des  Karnevals  auf  alle  Bälle'*^*')  und  ,,est  de  toutes  les  loges  oü 
Ton  danse".*^^)  Eine  Dame  ist  kränklich;  der  Arzt  hat  ihr  viel 
Bewegung  verordnet  und  sie  geht  deshalb  auf  alle  Bälle;  in 
diesem  Fasching  hat  sie  erst  zehnmal  getanzt,  sie  weiß  aber 
nicht,  ob  sie  es  nicht  noch  öfter  tut.^''^)  Eine  andere  hat  sich  in 
den  Kopf  gesetzt,  ihr  Kind  selbst  zu  stillen;  trotzdem  nimmt  sie 
an  allen  Vergnügungen  teil  und  das  ,, macht  ihr  gar  nichts". 4^^) 
Eine  Vicomtesse  hatte  ein  Brustleiden;  kaum  hat  sie  sich  davon 
etwas  erholt,  so  geht  sie  wieder  auf  den  Ball  und  tanzt  sechs 
Kontretänze  nacheinander.  Fürchterlich  erhitzt  verlangt  sie  Eis ; 
man  verweigert  es  ihr;  aber  einer  von  jenen  jungen  Männern, 
die  das  Wohlwollen  der  Damen  dadurch  zu  gewinnen  suchen, 
daß  sie  auch  ihren  tollsten  Launen  entgegenkommen,  holt  ihr 
welches  und  sie  ißt  es,  ohne  daß  es  jemand  bemerkt.  Ein'e 
schwere  Lungenentzündung  ist  die  Folge  ihrer  Torheit.  *^4) 

Es  ist  leicht  einzusehen,  daß  ein  Leben,  wie  es  im  vorher- 
gehenden geschildert  wurde,  auf  die  Gesundheit  der  Frau  äußerst 

484)  Prov.  et  Com.   II,  385. 

485)  Prov    gt  coi^    jl^  389/90. 

48«)  Prov.  et.  Com.  II,   181. 

487j  Yg]    Augustin  de  Saint-Aubin,  Le  Concert. 

488)  Prov.  et  Com.   III,   129;   148. 

489)  Prov.  et  Com.   II,  37. 

490)  Prov.  et  Com.  II,  217. 

491)  Prov.  et  Com.  II,  182. 

492)  Prov.  et  Com.  II,  180/81. 

493)  Prov.  et  Com.  II,  206. 

494)  Prov.  et  Com.  II,  118. 


70  Hans    Ur schlechter. 

nachteilig  wirken  muß;  so  sagt  denn  auch  ein  alter  Arzt:  ,,Les 
bals,  le  mauvais  air  qu'on  respire  dans  les  petites  loges  des 
spectacles,  et  le  froid  qui  vous  saisit  en  en  sortant,  produisent  les 
trois  quarts  des  maladies."^^^)  Die  Modekrankheit  unserer  Tage, 
die  Nervosität,  ist  auch  bei  den  Frauen  des  18.  Jahrhunderts 
"^ine  ganz  gewöhnliche  Erscheinung. ^^^)  Daneben  werden  auch 
Katarrhe, *^")Husten,'*^^)Brustschmerzen,^^^)Magenbeschwerden,^"") 
Verdauungsstörungen^^^)  und  obstructions^"^)  als  gewöhnliche 
Krankheitserscheinungen  erwähnt.  Die  Frau  wendet  dagegen 
Wasserkuren  an,^"^)  trinkt  Milch^"'*)  und  geht  eine  Zeitlang  aufs 
Land;*"!)  da  sie  aber  ihre  gewohnte  Lebensweise  nicht  aufgeben 
will,  hilft  das  alles  nicht  viel. 5"«) 

Einer  besonderen  Beliebtheit  erfreuen  sich  die  Masken- 
bälle.^°'')  Ein  bequemer  Domino  sowie  eine  Gesichtsmaske  aus 
Pappe  schützen  die  Frau  vor  dem  Erkanntwerden  und  gewähren 
ihr  große  Freiheiten.  ,,Ce  sont  des  libertes  prises  et  des  pardons 
demandes,  des  hardiesses  suivies  d'excuses,  et  des  excuses  accom- 
pagnees  d'audaces,  des  eloges  de  la  beaute  appuyees  par  le 
geste."^"^)  Die  treulose  Gattin  kann  dort  ungestört  mit  ihrem 
Liebhaber  verkehren,  der  leichtsinnige  Ehemann  findet  hier  die 
beste  Gelegenheit,  seiner  Angebetoten  seine  heiße  Liebe  zu 
beteuern.^"^) 

Das  Haupt  vergnügen  auf  den  Bällen  bildet  die  Unterhaltung 
und  das  Spiel.  Während  die  junge  Welt  sich  zu  den  Klängen 
der  Musik  im  Tanze  dreht,  ziehen  sich  die  übrigen  in  die  an- 
stoßenden Gemächer  zurück,  um  zu  plaudern  oder  zu  spielen. 
Hier  und  dort  sieht  man  zwei  Frauen,  Arm  in  Arm,  in  lebhafter 
Unterhaltung  sich  inmitten  der  glänzenden  Gesellschaft  be- 
wegen.^^'')  Die  Dame  legt  großen  Wert  darauf,  eine  vertraute 
Freundin  zu  haben,  der  sie  alle  ihre  Herzensangelegenheiten 
offenbaren  kann.  Sie  läßt  keine  Gelegenheit  vorübergehen, 
<ler     Gesellschaft     zu     zeigen,     daß     diese     Frau    ihre    ,,grande 

«5)  ibid. 

*96)  Prov.   11,  436.  —  Prov.  et  Com.   11,   144;  111,   127  etc. 

4«')  Prov.  et  Com.   II,  248. 

-198)  Prov.  et  Com.  II,  334. 

"99)  Prov.  et  Com.   II,  239;   III,  334. 

500)  Prov.  et  Com.   II,  240. 

501)  ibid. 

502)  Prov.  et  Com.   III,   127. 

503)  Prov.  et  Com.   II,   119;   111,  210. 

504)  Prov.  et  Com.   II,  318. 

505)  Prov.  et  Com.   II,  318. 

506)  Prov.  II,  436/37. 

507)  Ygj    Moreau,  Le  Bai  masque  ä  l'Hotel  de  ville. 

508)  Goncourt,  p.   138. 

509)  Prov.   1,  357  ff. 

510)  Prov.   III,  373. 


Die  vornehme  französische  Frau  des  XVIII.  Jahrhunderts.      71 

amie"^^^)  ist,  und  wenn  sie  zu  einem  Souper  oder  einem  Ball 
eingeladen  wird,  erkundigt  sie  sich  erst,  ob  ihre  Freundin  auch 
dort  sein  wird. ^^2) 

Auch  ungeladene  Gäste,  wie  Taschendiebe  und  andere 
Schurken,  wissen  sich  in  die  Ballsäle  einzuschleichen  und  machen 
sich  die  Sorglosigkeit  und  Unachtsamkeit  mancher  Damen  zu 
Nutzen.  Sie  scheinen  aucli  ganz  gute  Geschäfte  zu  machen: 
eine  Frau  fürchtet  im  Gedränge  ihre  Uhr  zu  verlieren  und  gibt 
sie  dem  hinter  ihr  stehenden  elegant  gekleideten  Gauner  zum 
Aufbewahren.  Dieser  verschwindet  damit  sofort  und  sucht  am 
andern  Ende  des  Saales  nach  einer  neuen  Beute.  Es  dauert  nicht 
lange,  so  nimmt  eine  Dame  ihre  Ohrringe,  die  sie  schmerzen, 
heraus  und  gibt  sie  dem  Schurken  zum  Einwickeln.  Dieser  läßt 
den  einen  in  seine  Tasche  gleiten  und  gibt  ihr  den  anderen  ein- 
gewickelt zurück;  die  Dame  steckt  ihn  ein,  ohne  den  Betrug 
zu  merken. ^^^) 

In  einem  anderen  Saale  wird  gespielt;  hier  sitzen  einige 
Herren  bei  einer  Partie  Whist, ^i*)  an  einem  anderen  Tische 
spielen  mehrere  Damen  mit  einem  Abbe  Lotto. ^i^)  Da  eine  der 
Frauen  mit  ihren  Gedanken  offenbar  nicht  beim  Spiel  ist,  ge- 
winnt der  Abbe;-^^^)  aber  es  gibt  auch  Frauen,  die  gut  spielen  ;^^') 
diese  sind  von  den  Herren  weniger  gesucht,  da  die  letzteren 
befürchten,  ihr  Geld  an  sie  zu  verlieren. ^^^)  Vor  Leuten,  die 
im  Spiel  betrügen,  hat  man  den  größten  Abscheu;  solche 
Kreaturen  würdigt  man  keines  Blickes. ^^^)  Die  beliebtesten 
Spiele  außer  ^Mlist  und  Lotto  sind  trictrac,^^")  billard^^i)  y^jj 
cavagnole.^-'^) 

Die  Bälle  dauern  in  der  Regel  bis  Tagesanbruch.  Die  in 
der  Oper  beginnen  gewöhnlich  um  11  Uhr  und  enden  um  6  Uhr 
morgens. ^^^)  Um  diese  Zeit  begibt  sich  die  vornehme  Dame 
endlich  zur  Ruhe,  denn  ihr  Tag  schließt,  wie  Mercier  sagt,  ,.ä 
l'apparition  de  l'aurore." 


511)  Prov.  et  Com.   II,   116. 

512)  Prov.  III.  394. 

513)  Prov.  III,  374. 

51*)  Prov.  et    Com.    III,    42.      Vgl.    auch    Moreau,    La    Partie 
de  Whist. 

515)  Prov.  et  Com.   II,   166;  III,   15/16. 

516)  Prov.  et  Com.   III,   145. 
51')  Prov.  et  Com.   III,  42. 

518)  Prov.  et  Com.   III,   16/16. 

519)  Prov.  et  Com.  II,   132. 

520)  Prov.  et  Com.   II,   189:  III,  42. 

521)  ibid. 

522)  Prov.  et  Com.   III,   15/16. 

523)  Goncourt,  p.    137  Anm.  2. 


72  Hans    Urschlechter. 


IV.  Galanterie  und  Liebe. 

,,0n  profane  le  nom  de  l'amitie  dans  le  monde; 
l'amour  et  l'amitie  n'y  sont  guere  qu'en  peintures 
et  en  sculptures;  ils  sont  lä  comme  ces  portraits 
d'ancetres  qui  n'ont  jamais  ete  connus  de  leurs 
petits-fils." 

(Carmontelle,  La  rentree  de  l'Opera. 
Prov.  et  Com.  I,  315.) 

Es  wäre  ohne  Zweifel  eine  dankbare  Aufgabe,  an  der  Hand 
der  dramatischen  Erzeugnisse  des  17.  und  18.  Jahrhunderts 
darzutun,  \\ie  man  in  diesen  beiden  Jahrimnderten  die  Liebe 
darzustellen  pflegte.  Das  Ergebnis  dieser  Untersuchung  würde 
uns  im  ersten  Augenblick  sicherlich  überraschen.  Wir  würden 
sehen,  daß  die  Auffassung  der  Liebe  im  18.  Jahrhundert  grund- 
verschieden ist  von  derjenigen,  die  wir  bei  den  großen  Klassikern 
finden. 

Das  17.  Jahrhundert  sieht  in  der  Liebe  eine  alles  bezwingende 
Leidenschaft,  ein  Gefühl,  das  den  ganzen  Menschen  durchdringt, 
ihn  veredelt  und  zu  den  größten  Opfern  befähigt.  Die  Heldinnen 
eines  Corneille  oder  Racine  sind  hehre  Gestalten,  und  selbst  die 
sündige  Liebe  einer  Phädra  kann  uns  nur  Mitgefühl,  nicht  aber 
TUjscheu  einflößen.  Die  dramatische  Literatur  des  17.  Jahrhundert 
hat  die  Verherrlichung  des  Weibes  zum  Ziele.  Sie  verdeckt 
die  materiellen  Seiten  der  Liebe;  die  sinnliche,  begehrende  Liebe 
hat  darin  keinen  Platz.  Sie  zeigt  uns  dieses  edelste  der  mensch- 
lichen Gefühle  in  seiner  ganzen  Größe  und  Erliabenheit,  mit  einem 
Wort:  sie  idealisiert  die  Liebe. 

Anders  im  18.  Jahrhundert.  Mit  frevler  Hand  hat  man  den 
Nimbus,  der  die  Liebe  früher  umgab,  wie  einen  unbequemen 
Schleier  hinweggerissen:  aller  edleren  Regungen  entkleidet, 
steht  sie  da  als  sinnliches  Begehren,  als  W'oUust.  ,,L'ideal  de 
l'amour  au  temps  de  Louis  XV  n'est  plus  rien  que  le  desir,  et 
l'amour  est  la  volupte."^^^)  Die  Liebe  ist  also  durchaus  realistisch 
geworden,  man  ist,  wie  Goncourt  sich  ausdrückt,  ,,arrive  au 
vrai  des  choses."^^^) 

Bei  Carmontelle  trägt  die  Liebe  zwar  nicht  jenen  stark 
sinnlichen  Zug,  den  Goncourt  volupte  nennt;  seine  Eigenschaft 
als  Theaterdichter  der  ,,bonne  compagnie"^^®)  mag  ihn  davon 
abgehalten  haben,  dieses  frevle  Spiel  mit  der  Liebe  in  seinem 
ganzen  Umfange  und  in  seiner  ganzen  abstoßenden  Häßlichkeit 
darzustellen.  Wo  er  uns  galante  Frauen  zeigt,  kommen  meist 
harmlosere    Eigenschaften    in    Betracht;    allein    zahlreiche    An- 


•^24)   Goncourt,  p.  151. 

525)  Goncourt,  p.  164. 

526)  Prov.  et  Com.   III,  211. 


Die  i'onu'ltnie  jranzösischf   Frau  des   XVII I.   Jakrhaiiderts.      73 

deutungen   lassen   rcclit    gut    auf   diMi    wahron   Cliaraktor   vieler 
dieser  liaisons  sehieBen. 

Weibliche  Scheu  und  Zurückhaltung  sind  der  vornehmen 
Frau  des  18.  Jahrhunderts  vielfach  unbekannt.  Nicht  nur,  daß 
sie  sich  willig  dem  Verkehr  mit  den  Männern  überläßt,  sie  sucht 
deren  Aufmerksamkeit  durch  Zudringlichkeiten  aller  Art  geradezu 
auf  sich  zu  lenken.  Vorübergehende  Herren,  die  sie  kennt,  spricht 
sie  an  und  beklagt  sich  bitter  darüber,  daß  sie  von  ihnen  so  sehr 
vernachlässigt  werde. ^-^)  Um  einen  Mann,  den  sie  zu  ihren 
Verehrern  zählen  möchte,  an  sich  zu  fesseln,  scheut  sie  kein 
Mittel.  Sie  erschöpft  ihre  ganze  Unterhaltungsgabe  um  ihm 
zu  gefallen;  sie  lädt  ihn  zu  Tische  und  weist  ihm  den  Platz  ihr 
gegenüber  an;  sie  führt  ihn  mit  sich  ins  Theater  und  verfällt 
schließlich  auf  die  Aufführung  eines  Theaterstückes,  dessen 
,,scenes  bien  tendres"^^^)  ihr  gestatten,  ihren  Gefühlen  in  der 
auffallendsten  Weise  Ausdruck  zu  verleihen.  Da  all  diese  Be- 
mühungen nicht  den  gewünschten  Erfolg  haben,  schlägt  sie  ihm 
vor,  mit  ihr  Paris,  , .dessen  Verbindungen  nur  oberflächlich  sind 
und  schon  deshalb  nicht  von  Bestand  sein  können'",  zu  verlassen 
und  sie  auf  eines  ihrer  Landgüter  zu  begleiten,  wo  sie  ,, ihrer 
Liebe  ungestört  leben  können. "^■^^)  Kann  eine  Frau  kühner 
reden  und  ihre  wahre  Absicht  in  durchsichtigerer  und  aufdring- 
licherer Klarheit  äußern  ?  Es  ist  übrigens  gar  nichts  so  Unge- 
wöhnliches, daß  eine  Frau  sich  mit  ihrem  Liebhaber  auf  das  Land 
zurückzieht;^^")  daß  die  Dame  dabei  alles  aufbietet  um  ihrem 
Gaste  das  Leben  so  angenehm  wie  möglich  zu  machen,  ersehen 
wir  aus  den  sehr  befriedigten  Worten  eines  Chevalier:  ,,Ngus 
avons  chasse,  joue  au  billard,  au  trictrac,  et  fait  la  meilleure  chere 
du  monde."'^^) 

Vergegenwärtigen  wir  uns  zunächst  das  Milieu,  in  dem 
sich  die  vornehme  Dame  bewegt.  Die  Gesellschaft  setzt  sich 
zusammen  aus  ,,gens  agreables  et  amusants";  ,,il  faut  que  la 
societe  soit  guirlandee  de  fleurs,  cju'elle  fourmille  de  talents 
agreables,  et  qu'on  ne  se  recherche  que  pour  s'amuser."^^^)  Die 
Begriffe  vertu  und  decence  sind  in  diesen  Kreisen  unbekannt; 
man  hat  kein  Wort  des  Tadels  oder  Absehens  für  das  Laster 
in  seinen  verschiedenen  Gestalten. ^^^)  Man  will  sich  amüsieren 
und  wäre  es  auch  auf  Kosten  des  guten  Rufes  anderer. ^^'*)  Der 
gute  Ruf  spielt  übrigens  keine  große  Rolle  mehr:  ,,Eh!  qu'est-ce 


527)  Prov.  I,  23. 

528)  Prov.  et  Com.   II,  201. 

529)  Prov.  II,  254. 

530)  Prov.  III,  510. 

531)  Prov.  et  Com.  II,   189. 

532)  Prov.  et  Com.  III,  210. 

533)  Prov.  et  Com.   III,  213. 

534)  Prov.  et  Com.   III,  209. 


74  Hans    Urschlechter. 

qui  parle  de  reputation  ä  present  ?  II  n'y  en  a  plus  ni  bonne, 
ni  mauvaise ;  chacun  fait  ce  qu'il  veut ;  c'est  le  regne  de  la  liberte."^^^) 
Ebenso  abgeschmackt  ist  es,  von  den  guten  Sitten  zu  reden: 
,,Les  mceurs,  quel  vieux  mot!  En  a  qui  veut;  mais  on  n'en 
parle  plus."^^^)  Das  Festlialten  an  solchen  veralteten  Begriffen 
überläßt  man  den  ,,gens  respectables"  ;^^'')  die  Gesellschaft  hat 
in  dieser  Beziehung  andere  Anschauungen  und  bildet  sich  ihre 
sittlichen  Begriffe  nach  anderen  Gesichtspunkten.  Für  sie 
ist  gut,  was  angenehm  ist,  und  ihre  ganze  Lebensweisheit  baut  sich 
auf  auf  das  Wort  plaisir. 

In  dieser  giftgeschwängerten  Atmosphäre  kann  begreif- 
licherweise die  wahre  Liebe  nicht  gedeihen.  In  dem  ,,tumulte  du 
monde  oü  Tennui  empoisonne  toujours  les  plaisirs  et  oü  Tespoir 
d'en  trouver  devient  l'unique  jouissance"^'^^)  herrscht  vor  allem 
der  esprit.  Man  sucht  zu  glänzen  mit  seiner  Bildung  und  seinen 
oft  mehr  eingebildeten  als  wirklichen  Fähigkeiten;  man  sagt 
sich  Schmeicheleien,  die  nichts  anderes  sind  als  ein  ,, Jargon 
d'usage"^^^)  und  nur  dazu  dienen,  sich  gegenseitig  auf  liebens- 
würdige Weise  und  mit  lächelnder  Miene  zu  betrügen.  Die 
Koketterie  feiert  hier  ihre  schönsten  Triumphe.  Die  Frauen, 
diese  ,,jolies  femmes  ä  la  mode",5*°)  betrachten  die  Huldigungen, 
welche  blasierte  Lebemänner  ihrer  Schönheit  (hu-bringen,  als 
etwas  ganz  Selbstverständliches;  eines  tieferen  Gefühls,  einer 
wahren  Herzensneigung  sind  sie  unfähig  und  der  Idealist,  der 
beim  Eintritt  in  die  Gesellschaft  wähnte,  eine  ,,femme  aimable, 
uniquement  occupee  de  lai"  finden  zu  können,  sieht  bald  ein, 
daß  er  hier  nach  etwas  suchen  würde,  was  gar  nicht  vorhanden 
ist.^*^)  Diese  ,, belies  dames"^*'^)  geben  sich  so  viel  Mühe,  ihn 
von  ihrer  Liebe  zu  überzeugen,  daß  er  nur  zu  bald  merkt,  daß 
dies  nur  Redensarten  sind,  von  denen  das  Herz  nichts  weiß. 
Man  schmeichelt  ihm  nur  deshalb  so,  weil  man  ihn  zum  besten 
hat  und  sich  nachher  über  seine  Leichtgläubigkeit  lustig  machen 
w^ill.    ,,La  patte  de  velours  cache  toujours  des  griffes."^*^) 

Um  einen  Verehrer,  der  sie  Nvirklich  liebt,  kümmert  sich 
die  Dame  nicht  viel.  Ein  Mann,  der  nur  sie  auf  der  Welt  sieht, 
mit  der  er  leben  möchte,  der  eifersüchtig  wird,  wenn  sie  sich 
mit  flatterhaften  Stutzern  in  eine  sehr  rege,  nicht  ganz  harmlose 
Unterhaltung  einläßt,  der  froh  darüber  ist,  daß  sie  durch  schlechtes 
Wetter  verhindert  ist,  nach  den  Tuilerien  zu  gehen  und  daß  er 

•^35)  Piov.  et  Com.  III,  210. 

536)  ibid. 

537)  ibid. 

538)  prnv.  et  Com.  I,   123. 

539)  prov.  et  Com.  1,  315. 

540)  prov.  et  Com.  III,  55. 
5")  Prov.  et  Com.  I,  125. 
5-»2)  Prov.  et  Com.  I.  80. 
543)  Prov.  et  Com.  I,  308. 


Die  vornehme  französische  Frau  des  XVIII.  Jahrhunderts.      75 

so  eine  Stunde  mit  ihr  allein  sein  kann^*^)  —  ein  solcher  Mann 
,,commence  ä  rennuycr".^^^)  Wenn  sie  auch  noch  so  fest  von 
der  Aufrichtigkeit  seiner  Liebe  überzeugt  ist,  so  kann  sie  doch 
seinetwegen  den  Genüssen  des  gesellscliaftlichen  Lebens  nicht 
entsagen:  ,,Quoi,  parce  que  vous  dites  que  vous  m'aimez,  il  faut 
que  je  renonce  ä  causer  avec  les  gens  que  je  rencontre;  que  je 
ne  parle  qu'a  vous;  que  j'annonce  qu'il  n'y  a  que  vous  que  je 
trouve  digne  de  moi?"^*^)  Ihre  Auffassung  von  der  Liebe  weicht 
allerdings  auch  merklich  von  der  ihros  \'erehrers  ab  und  sie  stellt 
an  ihn  keine  geringen  Zumutungen:  ,,Tout  ce  que  je  fais  qui 
m'amuse,  doit  vous  faire  plaisir:  voilä  comme  on  pense,  commo 
on  sent,  quand  on  aime  reellement,  avec  delicatesse."^*")  Der 
Heiratsantrag,  den  ein  bis  über  die  Obren  in  sie  verliebter  Herr 
einer  Gräfin  macht,  kommt  dieser  so  unbegreiflich  vor,  daß  sie 
eine  Weile  gar  nichts  zu  erwidern  vermag  und  schließlich  ihrem 
Gegenüber  ins  Gesicht  lacht;  der  unglückliche  ^'erliebte  ist  da- 
durch für  immer  von  seiner  Leidenschaft  geheilt. ^*^)  Auf  ein  recht 
zärtliches  Verhältnis  lassen  auch  die  Worte  schließen,  mit  welchen 
eine  Dame  die  Liebesbeteuerungen  ihres  Verlobten  erwidert: 
,,Vous  voulez  me  parier  de  votre  amour  ?  J'ai  bien  d'autres 
affaires  dans  ce  moment-ci.'"°^^) 

Der  Mann  dagegen,  der  in  der  Liebe  unbeständig  ist,  der 
allen  Frauen  den  Hof  macht,  der  heute  diese  und  morgen  jene 
mit  den  Versicherungen  seiner  Liebe  überhäuft,  ist  sehr  gesucht 
und  ihm  laufen  die  Frauen  förmlicli  nach.  Von  einer  gegen- 
seitigen Achtung,  dieser  Grundbedingung  der  echten  J.iiebe,  ist 
bei  diesen  Verhältnissen  natürlich  keine  Rede;  die  Liebe,  die  aus 
der  Achtung  entspringt,  ,,commence  ä  devenir  rare."^^")  Wie 
kann  man  auch  eine  Frau  achten,  wenn  man  von  ihr  verlangt, 
daß  sie  die  Pflichten,  die  sie  gegen  sich  und  ihre  Familie  hat, 
gröblich  verletze!  Und  doch  darf  man  ihrer  Einwilligung  schon 
im  voraus  versichert  sein.^^^)  Um  ihre  Gunst  zu  erringen,  braucht 
man  keine  übermäßigen  Anstrengungen  zu  machen:  der  einge- 
bildete Abbe,  der  ihr  einige  plumpe  Schmeiciieleien  zu  sagen 
weiß,  gewinnt  mit  leichter  Mühe  ihr  volles  Vertrauen ;^^^)  der 
Chevalier  ist  wegen  seiner  Geckenhaftigkeit  von  den  Frauen  viel 
umworben  und  man  findet  dies  ganz  natürlich,  denn  ,,c'est 
Tusage''.^^^)   Manche  HeiTen  haben  bei  den  Damen  solches  Glück, 

5«)  Prov.  II,  8. 

545)  Prov  et  Com.   II.    149. 

516)  Prov.  II,  8. 

54')  Prov.  II,  9. 

54«)  proy  et  Com.  II,  377. 

5*9)  Nouv.  Prov.  II,  257. 

550)  Prov  et  Com.   III,  55. 

fsi)  ibid. 

552)  Prov.  et  Com.   I,   15. 

553)  Prov.  et  Com.   III,  29. 


76  Hans    Ur schlechter. 

daß  sie  auch  von  solchen  gerne  gesehen  werden,  ,,qui  ont  le 
plus  de  pretentions;"^^*)  voll  Selbstbewußtsein  rühmt  sich  so  ein 
Unwiderstehlicher,  daß  die  Frauen  ihn  reizend  finden^^^)  und 
stolz  erzählt  er  von  seiner  neuesten  Eroberung,  einer  Dame 
,,qui  lui  convient  tres  fort  et  avec  qui  il  s'est  arrange  depuis 
peu".^^^) 

Für  diese  Art  von  Verbindungen  —  „fantaisies  d'amour- 
propre"  nennt  sie  Carmontelle  sehr  treffend^^')  — ,  gebraucht  die 
vornehme  Frau  gerne  die  Bezeichnung  amitie;  nach  dem  Zeug- 
nisse eines  Präsidenten  ist  diese  ,, Freundschaft"  zuweilen  etwas 
sehr  Angenehmes  und  Nützliches  und  würde  besser  einen  anderen 
Namen  tragen;  er  wenigstens  hat  von  einer  Dame  Freundschafts- 
beweise empfangen,  die  er  sein  Leben  lang  nicht  vergessen  wird.^^^) 
Allein  die  Welt  liebt  prägnantere  Bezeichnungen  und  macht  aus 
dem  ami  oder  ami  intime  einen  amant.^^^)  Wir  dürfen  versichert 
sein,  daß  sie  damit  den  betreffenden  Frauen  nicht  unrecht  tut; 
denn  je  bekannter  ein  Herr  in  der  Gesellschaft  ist,  je  mehr  Liebes- 
abenteuer er  schon  gehabt  hat,  desto  größer  ist  das  Verlangen 
der  Dame,  die  Neigung  dieses  Don  Juan,  wenn  auch  nur  für  kurze 
Zeit,  zu  gewinnen.  Sie  ist  befriedigt,  wenn  sie  mit  einem  solchen 
Löwen  des  Tages  ins  Gerede  kommt  und  wenn  sie  sich  rühmen 
kann,  ihn  „gehabt  zu  haben".  ,,Avoir"  ist  die  Bezeichnung, 
die  man  bei  solchen  vorübergehenden  Verbindungen  hat,  und 
wir  können  diesen  Ausdruck  unzählige  Male  aus  dem  Munde  der 
vornehmen  Dame  hören. ^^*')  ,,Enlever"  gebraucht  sie,  wenn  es 
ihr  gelungen  ist,  einer  Nebenbuhlerin  einen  Verehrer  wegzu- 
fangen.^^^) 

Wie  aber,  werden  wir  uns  fragen,  kommt  die  vornehme 
Frau  denn  dazu,  sich  Männern  hinzugeben,  von  denen  sie  im 
voraus  weiß,  daß  sie  in  kurzer  Zeit  sie  wieder  verlassen  werden, 
während  sie  die  aufrichtige  Liebe  eines  ehrenwerten  Mannes 
schnöde  von  sich  weist  ?  Ein  erfahrener  Lebemann  erklärt  seinem 
Freunde  diesen  scheinbaren  Widerspruch:  ,,Quand  vous  n'etes 
occupe  que  d'une  seule,  la  societe  vous  regarde  comme  nul  pen- 
dant  ce  temps-lä:  cette  femme  voyant  qu'on  n'est  pas  tente  de 
vous,  ne  s'en  soucie  plus  elle-meme."^®^) 

Wird  die  Dame  eines  Verehrers  überdrüssig,  so  findet  sie 
leicht  einen  Vorwand,  um  mit  ihm  zu  brechen.     Sie  wirft  ihm 

^^■^l  Prov.  et  Com.   1,  65. 

555)  Nouv.  Prov.   I,  284. 

556)  Prov    et  Com.  II,  191. 

557)  Prov.  et  Com.   III,  55. 
558j  Prov.  et  Com.  II,  377. 

559)  Prov.  et  Com.  III,  34. 

560)  Prov.   I,   68,   123.  —  Prov.  et  Com.   III,  29;  200  etc. 

561)  Prov.  II,  471. 

562)  Prov.  II,   135. 


Die  vorneJune  fianzösische   Frau  des  XVII I.  Jahrhunderts.      11 

vor,  daß  er  „est  plein  d'aLtentiun  pour  tuutes  les  t'emmes",^^^) 
oder  daß  er  „est  occupe  ä  plaire  ä  mille  autres  femmes".^^*) 
Wenn  man  keine  weiteren  Absichten  hat,  sagt  sie,  schaut  man 
eine  Frau  nicht  so  an,  wie  Sie  es  getan  haben  und  wartet  nicht 
nach  dem  Abendessen  auf  sie,  um  ihr  die  Hand  zu  drücken. "■^*^) 
Oder  sie  beklagt  sicli  darüber,  daß  er  ihr  eine  andere  Frau  vor- 
ziehe und  erklärt  ihm,  daß  sie  ihn  nicht  mehr  sehen  wolle.  Der 
abgedankte  Liebhaber  hätte  ihr  ja  zuvorkommen  können;  er 
hätte  sie  nur  in  den  letzten  Tagen  nicht  mehr  zu  besuchen  brauchen 
und  alle  Welt  würde  glauben,  daß  er  seine  Beziehungen  zu  der 
Dame  abgebrochen  habe.  Allein  als  Kavalier  überläßt  er  es  der 
Dame,  in  dieser  Angelegenheit  den  ersten  Schritt  zu  tun,  ,,parce 
qu'on  ne  tire  plus  vanite  de  cela."^^®) 

Für  gewöhnlich  stellt  die  Dame  an  die  Treue  ihres  Ver- 
ehrers keine  zu  hohen  Anforderungen;  sie  ist  gerecht  genug,  um 
diesem  die  nämliche  Freiheit  zu  gewähren,  die  sie  für  sich  selbst 
beansprucht.  Er  darf  sich  ziemlich  viel  erlauben,  ohne  Vorwürfe 
von  ihrer  Seite  befürchten  zu  müssen.  Wenn  er  sie  beim  Aus- 
tritt aus  der  Oper  plötzlich  verläßt,  um  mit  einer  Tänzerin  zu 
plaudern,  so  sieht  sie  darin  nichts  Besonderes;  sie  wartet  geduldig, 
bis  er  zurückkommt  und  fragt  ihn  nach  dem  Namen  der  Dirne. ^^') 
Zwei  Damen  schwärmen  für  einen  Präsidenten,  der  im  Verkehr 
mit  den  Frauen  eine  solche  Gewandtheit  besitzt,  daß  er  ,,donnerait 
la  main  droite  ä  une  femme  de  qualite,  et  l'autre  ä  une  danseuse 
en  meme  temps".-'^^)  Die  Frau  verzeiht  ihrem  Liebhaber  einige 
,,legeretes"  und  ist  nicht  so  engherzig,  daß  sie  ihm  nicht  auch 
den  Verkehr  mit  anderen  Frauen  gestatten  würde. ^^^)  Oft  weiß 
sie  auch,  daß  er  Dirnen  aushält  und  seine  meiste  Zeit  bei  diesen 
verbringt,  ohne  daß  sie  ihm  deshalb  den  geringsten  Vorwurf 
macht:  ,,0n  a  vu  des  femmes  excuser  leurs  amants  d'avoir  des 
filles,  meme  tirer  parti  de  cette  infidelite,  en  faisant  croire  ä 
leur  vertu. "^''°) 

Das  Gesagte  mag  genügen,  um  zu  zeigen,  zu  welchem  Zerr- 
bilde die  Liebe  in  diesen  Kreisen  vielfach  verunstaltet  wird. 
Die  Auffassung,  welche  das  18.  Jahrhundert  von  der  Liebe  hat, 
spricht  sich  klar  aus  in  den  Worten  Carmontelles :  ,,Un  amour 
trop  fort  aneantit  la  gaiete;  il  fait  perdre  toutes  les  gräces  de 
Tesprit.  Les  autres  passions,  plus  legeres,  ressemblent  ä  l'eau 
d'une  fontaine  qui  prend  naissance  entre  les  fleurs  d'un  prairie 

563)  prov    et  coni.   II,  295. 

564)  Nouv.  Prov.   I,  283. 

565)  Ppov.   I,  212. 

566)  Prov.  et  Com.   II,   188. 

567)  Prov.  et  Com.  II,   168. 

568)  Prov.  I,   126. 

569)  Prov.  et  Com.   II,   149. 

570)  Prov.   II,   137. 


78  Hans    Urschlechter. 

agreable,  qui  les  caresse,  se  repand  ä  droite  et  ä  gaucho.  .  .  .'■"^) 
Es  wäre  gewiß  unrecht,  die  ganze  Schuld  an  dieser  Mißachtung 
der  Liebe  den  Frauen  zuschieben  zu  wollen;  sicher  ist  aber,  daß 
sie  viel,  wenn  nicht  das  meiste,  dazu  beigetragen  haben:  ,,c'est 
ä  elles,  ä  leur  inconsequence  et  ä  leur  facilite,  qu'on  doit  la  liberte, 
la  legerete  et  Tinconstance  de  la  plupart  des  hommes.""^)  Y)\q 
Worte  einer  Dame:  ,,Ce  sont  plus  les  femmes  qui  perdent  les 
femmes  que  les  hommes."^'^)  enthalten  eine  schwere,  aber  nicht 
grundlose  Anklage  gegen  den  Leichtsinn  und  die  Frivolität  vieler 
Frauen  des  18.   Jahrhunderts. 

Und  doch  ist  auch  in  diesen  Kreisen  die  wahre  Liebe  nicht 
unbekannt.  Es  gibt  auch  unter  den  vornehmen  Frauen  des 
18.  Jahrhunderts  reine,  edle  Naturen,  die  begreifen  was  es  heißt, 
das  Herz  eines  charakterfesten  Mannes  sein  eigen  zu  nennen. 
Welch  großes  Vertrauen  spricht  aus  den  Worten  einer  Dame: 
,,Quand  on  est  sür  Tun  de  Tautre,  quand  rien  ne  s'oppose  ä  notre 
bonheur,  l'äme  jouit  paisiblement  et  sans  eclat  d'une  volupte 
douce  et  pure."^'^)  Die  wahre  Liebe  schaut  nicht  auf  Äußerlich- 
keiten ;  so  liebt  die  edelgesinnte  Frau  von  Mouson  den  buckeligen 
und  einäugigen  Präsidenten  von  Rouvigny,  trotz  all  der  Neckereien 
und  boshaften  Bemerkungen  ihrer  Freundinnen,  und  wir  gönnen 
ihr  die  Freude,  die  sie  empfindet,  da  ihr  Geliebter  als  schöner 
junger  Mann  vor  sie  hintritt  und  erklärt,  er  habe  diese  Verklei- 
dung nur  deshalb  so  lange  getragen,  um  ihre  Liebe  auf  die  Probe 
zu  stellen.  Wie  edel  erscheint  uns  diese  Frau,  die  dem  geliebten 
Manne  antwortet:  „Je  n'avais  pas  besoin  de  vous  voir  mieux 
que  vous  n'etiez  pour  vous  aimer  toujours."^^^) 

Die  große,  selbstlose  Liebe  der  Frau  wird  von  ihrem  Ver- 
ehrer nicht  immer  in  gebührender  Weise  gewürdigt.  Eine  Dame 
liebt  einen  Herzog  so  innig,  daß  sie  sich  nichts  weiter  wünscht, 
als  ihm  ihre  Liebe  zu  gestehen  und  dann  zu  seinen  Füßen  zu 
sterben -,5'^)  da  sie  sieht,  daß  ihr  Geliebter  in  Geldverlegenheit 
ist,  läßt  sie  sich  von  einem  befreundeten  Herrn  tausend  Louisdor 
leihen  und  gibt  sie  ihrem  Verehrer.  Sie  freut  sich  herzlich  darüber, 
daß  sie  ihm  hat  helfen  können;  was  aber  tut  der  Herzog  mit  dem 
Gelde  ?  Er  trägt  es  einer  Dirne  hin,  um  diese  für  sich  allein 
zu  gewinnen. ^''^) 

Rasende  Eifersucht  erfaßt  die  Dame,  wenn  sie  erfälut,  daß 
ihr  Geliebter  auch  noch  anderen  Frauen  Aufmerksamkeiten 
erweist.     Die  Angst,  ihn   zu  verlieren,   läßt  sie   zuweilen  ganz 

"1)  Prov.  II,  138. 

"2)  Prov.  et  Com.   III,  8. 

"3)  Prov.  et  Com.   II,  364. 

"4)  Prov.  et  Com.  I,  99. 

"5)  Prov.  III,   148. 

"ß)  Nouv.  Prov.   I,  303. 

5"    Nouv.  Prov.   I,  212—227. 


])ie  vomehme  französische   Frau  des   XVIII.   Jdhrlinmlerts.      79 

eigenartige  Mittel  anwenden,  um  sich  vun  seiner  T^iehc  zu  über- 
zeugen. Totenblässe  bedeckt  das  Antlitz  des  Mannes,  dem  seine 
Geliebte  erklärt,  daß  die  Schokolade,  die  sie  soeben  tranken, 
Gift  enthalten  habe  und  sie  beide  sterben  müßten.  Er  denkt 
nicht  an  sich  und  beschwört  den  rasch  herbeigerufenen  Arzt, 
alles  aufzubieten,  um  die  geliebte  Frau  dem  Tode  zu  entreißen. 
Durch  so  viel  Liebe  und  Treue  gerührt,  erklärt  sie  ihm,  daß 
alles  nur  von  ihr  erdichtet  worden  sei,  um  sich  von  seiner  Treue 
zu  überzeugen. ^''^)  Einer  anderen  genügen  die  bloße  Anwesen- 
heit eines  Dritten  und  die  verzweifelten  Anstrengungen,  die  ihr 
Liebhaber  macht,  um  den  unbequemen  Gast  los  zu  werden,  um 
ilir  jeden  Zweifel  an  der  Treue  des  Geliebten  zu  benehmen."^) 

Auch  die  Liebe  in  ihrer  schönsten  Gestalt,  die  verzeihende 
Liebe,  hat  bei  Carmontelle  ihren  Ausdruck  gefunden.  Ein  Baron 
ist  mit  einer  Marquise  verlobt.  Wenige  Tage,  bevor  die  Hoch- 
zeit stattfinden  soll,  verläßt  er  seine  Braut.  Diese  ergreift  ein 
tiefer  Schmerz  über  die  Treulosigkeit  des  Mannes,  den  sie  so 
aufrichtig  geliebt  hat.  Schlaflose  Nächte  sowie  die  heißen  Tränen, 
die  sie  ihrem  verschwundenen  Glücke  nachweint,  zerrütten  ihre 
Gesundheit;  ihr  Kummer  drückt  sich  in  ihrem  ganzen  Wesen  aus. 

Inzwischen  hat  der  Baron  sein  Unrecht  eingesehen  und  tief 
bereut.  Voll  ZerknirscTiung  will  er  die  Beleidigte  kniefällig  um 
Verzeihung  bitten,  doch  er  findet  ihre  Türe  verschlossen.  Die 
Marquise  hat  dem  Schweizer  vor  dem  Tore  ihrer  Wohnung  das 
Bild  des  Barons  gegeben  und  ihm  eingeschärft,  denselben  unter 
keinen  Umständen  einzulassen.  Endlich  gelingt  es  einem  Grafen, 
der  Mitleid  hat  mit  dem  Schmerze  der  Marquise  und  der  die 
beiden  aussöhnen  will,  den  Baron  bei  ihr  einzuführen.  Im  ersten 
Augenblick  ist  die  Dame  sehr  erzürnt  über  die  Anwesenheit  des 
Treulosen  und  will  sich  voll  Verachtung  von  ihm  abwenden. 
Doch  als  sie  näher  in  dieses  Antlitz  schaut,  in  das  Kummer  und 
Reue  so  tiefe  Furchen  gegraben  haben,  als  ihr  Blick  dem  seinen 
begegnet,  der  sie  so  flehend  um  Verzeihung  bittet,  kann  sie  den 
edlen  Regungen,  die  ihr  Herz  bestürmen,  nicht  länger  wider- 
stehen. Freundlich  lächelnd  reicht  sie  ihm  die  Hand  mit  den 
Worten:  ,,L'image  du  bonheur  m'avait  trompee.  Puisse  celle 
du  repentir  que  je  vois  dans  cet  instant,  no  m'abuser  jamais."^^*') 

Ich  wäre  hiermit  am  Schlüsse  meiner  Untersuchung  ange- 
langt. Werfen  wir  nochmals  einen  kurzen  Rückblick  auf  das  im 
vorhergehenden  Gesagte,  so  sehen  wir,  daß  die  vornehme  Frau 
des  18.  Jahrhunderts  himmelweit  davon  entfernt  ist,  das  zu 
sein,  was  sie  ihrer  natürlichen  Bestimmung  nach  eigentlich  sein 

"8)  Prov.   III,  48  ff. 
"»)  Prov.  III,  77. 
580)  Prov.   II,  384. 


80  II (ins    Urschlechter. 

sollte:  Gattin  und  Mutter.  Die  Sorgen  für  ihre  Familie  treten 
bei  ihr  ganz  in  den  Hintergrund  gegenüber  den  Annehmlichkeiten 
und  Verpflichtungen  des  gesellschaftlichen  Lebens.  Kleinig- 
keiten füllen  den  größten  Teil  ihres  Lebens  aus;  gehässige  Be- 
merkungen über  andere  Frauen,  Skandalgeschichten  und  be- 
sonders Gespräche  über  Toiletten  und  Moden  bilden  die  Haupt- 
gegenstände ihrer  Unterhaltung.  Alles  Ernste  und  Pflichtmäßige 
ist  ihr  verhaßt,  mit  einem  Lächeln  geht  sie  an  all  den  ernsten 
Seiten  des  Lebens  vorüber  und  stürzt  sich  leichtsinnig  in  die 
Freuden  und  Genüsse,  welche  die  blasierte  Gesellschaft  ihr  bietet. 
Nicht  nur  durch  ihre  Schönheit  will  sie  den  Mann  beheiTSchen, 
sondern  auf  allen  Gebieten  des  täglichen  und  wissenschaftlichen 
Lebens  sucht  sie  ihm  gleichzustehen  oder  gar  ihn  zu  übertreffen. 
Daher  auch  diese  Herabwürdigung  der  Liebe;  da  sie  dem  Manne 
auch  in  geistiger  Beziehung  keinerlei  \^orrang  zuerkennt,  kann 
sie  ihm  auch  keine  Achtung  entgegenbringen.  Nicht  das  edle 
Verlangen,  geliebt  zu  werden,  führt  sie  zum  Manne,  sondern  leicht- 
fertige Koketterie  und  das  Bedürfnis,  über  andere  zu  triumphieren. 
Sie  nimmt  einen  Liebhaber  wie  ein  schönes  Kleid,  ,,parce  que 
c'est  l'usage.''^^^)  Das  Herz  bleibt  bei  allen  derartigen  Ver- 
bindungen leer  und  kalt. 

Und  fragen  wir  uns  nach  dem  Grunde  dieser  eigenartigen 
Erscheinung,  so  müssen  wir  denselben  in  dem  Geiste  des  Jahr- 
hunderts selbst  suchen.  Wenn  der  Satz,  daß  der  Mensch  das 
Produkt  seiner  Zeit  sei,  überhaupt  jemals  Geltung  hat,  so  trifft 
er  bei  der  französischen  Frau  des  18.  Jahrliunderts  zu.  Dieser 
Zeitraum  ist  einzig  und  allein  vom  esprit  beherrscht.  Dieses 
Ideal  des  Jahrhunderts,  das  in  den  Werken  Voltaires  und  der 
Encyklopädisten  seinen  beredtesten  Ausdruck  findet,  färbt  auch 
auf  alle  Verhältnisse  des  gesellschafthchen  Lebens  ab.  Und 
da  die  Frau  im  Mittelpunkte  der  Gesellschaft  steht,  machen  sich 
bei  ihr  die  schlimmen  Folgen  dieser  unumsclu-änkten  Herrschaft 
des  esprit  am  deutlichsten  bemerkbar.  Die  Frau  kennt  kein 
höheres  Gefühl,  keine  edlere  Regung,  an  die  sie  sich  anklammern 
kann,  und  fühlt  deshalb  in  ihrem  Herzen  beständig  eine  Leere, 
die  sie  im  bewegten  Treiben  der  Gesellscliaft  am  wenigsten  emp- 
findet. Sie  braucht  immer  Leute  um  sich,  die  sie  die  Öde  in 
ihrem  Innern  vergessen  lassen,  und  so  ,,elle  prend  la  passion  de 
la  multitude".^^2)  Und  will  sie  in  der  Welt  eine  Rolle  spielen, 
so  muß  sie  sich  deren  Anschauungen  und  Gesetzen  anpassen, 
,,denn,"  sagt  Bader,  ,, c'est  le  monde  qui  fait  alors  l'opinion,  et, 
par  eile,  il  pousse  aux  maurs  doni  il  a  besoin."^^^) 


5")  Güucoui-l,  p.  407. 


582  \ 


Goncoui't,  p.  412. 


•^«3)  P.i\(](n-,  j).   115. 


Die  vonielinii'  französische  Frau  des  XVIII.  J ahrlmnderls .      81 

Der  Stoff  zur  vorliegenden  Arbeit  ist  folgenden  Werken  Car- 
montelle's  entnommen: 

1.  P  r  0  V  e  r  b  e  s  d  r  a  m  a  t  i  q  u  e  s  ,  precedes  de  la  vie  de 
Carmontelle,  d'une  Dissertation  historique  et  morale  siir  les  Pro- 
verbes,  et  suivis  d'une  Table  explicative  de  l'origine  et  du  sens 
des  Proverbes  contenus  dans  l'ouvrage;  de  leur  concordance  avec 
les  adages  latins,  espagnols  et  Italiens  qui  presentent  le  meme 
sens  moral,  de  r^flexions  et  anecdotes  analogues  au  sujet,  par 
M.  C.  de  Mery.  Nouvelle  edition.  Paris,  Delongchamps,  1822. 
4  vol.  in  -8. 

2.  N  0  u  V  e  a  u  X  Proverbes  d  r  a  m  a  t  i  q  u  e  s.  Paris, 
Le  Normant,  1811.    2  vol.  in  -8. 

3.  Proverbes  et  Comedies  posthumes,  precedes 
d'une  Notice  par  Madame  la  Coratesse  de  Genlis.  Paris,  Chez 
Ladvocat,  1825.     3  vol.  in  -8. 

Um  bei  dem  häufigen  Zitieren  dieser  Werke  nicht  immer  den 
ganzen  Titel  anführen  zu  müssen,  habe  ich  für  dieselben  in  obiger 
Reihenfolge  die  Abkürzungen  Prov.,  Nouv.  Prov.  und  Proi>.  et  Com. 
gewählt. 


Bibliographie. 

Goncouri.  —  E  d  m  o  n  d  et  Jules  d  e  G  o  n  c  o  u  r  t  ,  La  Fenime 
au  dix-huitieme  siecle.     Paris,  Charpentier,  1905. 

Werner.  —  Richard  Werner,  Zur  Geschichte  der  ,, Proverbes 
dramatiques".  l.  Teil:  Programm  des  Sophien-Realgymnasiums 
zu  Berlin,   1887. 

Du  Bled,  Soc.  frang.  —  Victor   du  Bled,    La  Societe  f rauQaise 
au  XVI^  au  XXe  siecle.    5eserie:  Le  dix-huitieme  siecle.    Paris 
Perrin  et  Gie.,  1905. 

Du  Bled,  Com.  Soc.  —  Victor  du  Bled,  La  Comedie  de  Societe 
au  XVII le  siecle.     Paris,  Calmann-Levy.     1  vol.  in  -12. 

Du  Bled,  Les  Femmes.  —  Victor  du  Bled,  Les  Femmes  au 
XVIle  siecle.  Dans  ,, Bulletin  de  la  Societe  des  Amis  de  l'Uni- 
versite  de  Lyon".     Xllle  annee,  fasc.  IV,  p.  161  —  175. 

Caus.  du  Lundi.  —  C.-A.  Sainte-Beuve,  Causeries  du  Lundi. 
3e  edition.     Tome  III. 

Dejob.  —  Charles  Dejob,  Les  femmes  dans  la  comedie  frangaise 
et  italienne  au  dix-huitieme  siecle.     Paris,  Charpentier,  1905. 

Lotheissen.  —  Ferdinand  Lotheissen,  Zur  Sittengeschichte 
Frankreichs.     Leipzig,  Elischer,  1885. 

Barbier.  —  Barbier,  Chronique  de  la  Regence  et  du  regne  de 
Louis  XV  (1718 — 1763)  ou  Journal  de  Barbier,  avocat  au 
Parlement  de  Paris.  Premiere  edition  complete.  Paris,  Char- 
pentier, 1857. 

Mercier.  —  M  e  r  c  i  e  r  ,  Tableau  de  Paris.  —  3  tomes.  Paris, 
Librairie  de  la  Bibliotheque  nationale.     1906. 

Kavanagh.  —  Julia  Kavanagh,  Woman  in  France  during 
the  eighteenth  Century.     2  vols.     London,  Putnam,  1893. 

Bader.  —  Ciarisse  Bader,  La  femme  frangaise  dans  les  temps 
modernes.     Paris,   Didier  et  Cie.,  1883. 

Taine.  —  Hippolyte  Taine,  Les  origines  de  la  France  con- 
temporaine.  Tome  I:  L'Ancien  Regime.  Paris,  Hachette  et 
Cie.,  1880. 

Lenient.  —  Charles  Lenient,  La  comedie  en  France  au  dix- 
huitieme  siecle.    2  vol. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  6 


82  Hans    Urschlechter. 

Fragonard.  —  Virgile  Josz,  Fragonard.  Moeurs  du  XVII Je 
siede.     Paris,  Societe  du  Mercure  de  France,  1901. 

Mme  Durand.  —  Madame  Durand,  Oeuvres  melees.  Paris, 
Chez  Prault  pere,  1737. 

Schneegans.  —  Heinrich  Schneegans,  Moliere.    Berlin  1902. 

Heiss.  —  Hanns  Heiss,  Studien  über  einige  Beziehungen 
zwischen  der  deutschen  und  französischen  Literatur  im 
18.  Jahrhundert.     Würzburger  Habilitationsschrift  1907. 

Gaspary.  —  A.  Gaspary,  Geschichte  der  italienischen  Literatur. 
Band  II. 

Goncourt,  Vart.  —  Edmond  et  Jules  de  Goncourt,  L'Art 
du  dix-huitieme  siecle.  Paris,  Charpentier.  —  Tome  I:  1906. 
Tome  II:  1900.     Tome  III:  1901. 

Babeau.  —  Albert  Babeau,  Paris  en  1789.  Paris  Firmin- 
Didot  et  Cie.,  1892. 

von  Heyden.  —  A.  von  Heyden,  Blätter  für  Kostümkunde. 
4  Bände.     Berlin,  Franz  Lipperheide,  1876—1891. 

Hottenroth.  —  Friedrich  Hotten  roth,  Trachten  der  Völker 
alter  und  neuer  Zeit.    Band  II.    Stuttgart,  Gustav  Weise,  1891. 

J.  H.  von  Hefner-Alteneck,  Trachten,  Kunstwerke  und 
Gerätschaften  vom  frühen  Mittelalter  bis  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts.   Frankfurt  a.  M.     10  Bände. 

Racinet.  —  A.  Racinet,  Geschichte  des  Kostüms.  Deutsche 
Ausgabe  bearbeitet  von  Adolf  Rosenberg.  5  Bände.  Berhn, 
Ernst  Wasmuth,  1888. 

Anm.  Von  diesem  Werke  kam  für  meine  Arbeit  besonders 
Band  IV  in  Betracht,  und  hier  wieder  besonders  fünf  Tafeln.  Da 
diese  Tafeln  in  keiner  Weise  bezeichnet  sind,  gebe  ich  im  folgen- 
den die  Abschnitte  an,  in  welche  die  betreffenden  Tafeln  ein- 
geschoben sind,  und  bezeichne  sie  mit  den  Buchstaben  A — E: 

A.  1.  Die  große  oder  Staatsrobe.  —  Allgemeine  Modetypen. 

B.  2.  Frauentrachten.  —  Moden  aus  der  1.  Periode  der  Regierung 

Ludwigs  XVI. 

C.  3.  Moden    aus   der  2.   Hälfte   der    Regierung  Ludwigs    XVI.  — 

Haartrachten.  —  Hüte  und  Hauben.  —  Die  Deshabilles. 

D.  4.  Die    ,,Beau    Monde"    von    1785—86.      Die    Modezeitung    vor 

100  Jahren  (Doppeltafel). 

E.  5.  Weibliche   Moden  während   der  Regierung  Ludwigs  XVI.  — 

Zweite  Toilette  einer  Dame  vom  Stande,  1788—1789. 

Hans   Urschlechter. 


Beiträge  zur  Rolandsforschung. 


II. 

Caiinen   de   prodicione   druenonisi   luad 
Rolandsepos. 1) 

Die  Geschichte  der  Streitfrage  nacii  dem  Verhältnis  des 
Carmen  (im  folgenden  G  gekürzt)  zum  Rld.  ist  bei  Brückner, 
Das  Verhältnis  des  französischen  Rolandsliedes  zur  turpinschen 
Chronik  und  zum  Garmen  de  prodicione  Guenonis,  Diss.  Rostock, 
1905,  S.  5 — 20  nachzulesen.  —  Der  erste,  der  über  die  Frage 
geschrieben  hat,  ist  Wilhelm  Grimm,  in  der  Einleitung 
zum  Ruolandes  liet  (Göttingen  1838):  ,,Das  lateinische  Gedicht, 
über  dessen  Zeitalter  ich  nichts  zu  bestimmen  wage,  dessen 
schwerfällig  künstliche  Sprache  aber  noch  in  das  12.  Jahrhundert 
gehören  könnte,  mag  die  Sage  absichtlich  gekürzt 
haben.  Indessen  kennt  auch  Turpin,^)  Gallen  und  La  Spagna 
den  listigen  Blanscandiz  nicht;  daß  aber  Paligan  gar  nicht  auf- 
tritt, stimmt  . . .  mit  dem  isländischen  Gedicht"  (S.  XCIX). 

Grimm  ließ  also  die  Frage  nach  der  Priorität  unentschieden. 
Sie  wurde  aufgenommen  von  Gaston  Paris  im  Jahre  1882: 
in  jenem  grundlegenden  Aufsatz  der  Romania  (XI  465  ff.)  wies 
er  nach,  daß  das  C  einer  Form  der  Rolandsdichtung  entspreche, 
die  älter  sei  als  das  uns  erhaltene  Epos.  Paris'  Ausführungen 
wurden  1884  von  E.  S  t  e  n  g  e  1  in  der  Zs.  f.  roman.  Phil.  VIII 
499  ff.  bestritten:  ,,der  in  gespreizten  lateinischen  Versen  verfaßte 
Auszug  C  sei  nur  als  willkürliche  und  spätere  Entstellung"  des 
erhaltenen  Rolandsliedes  (im  folgenden  Rld.  gekürzt)  anzusehen. 

Die  beiden  Abhandlungen  von  Paris  und  Stengel  sind  bis 
heute  die  wichtigsten  in  unserer  Streitfrage  geblieben;  fast  alle 
Argumente  für  und  wider  hat  man  immer  noch  aus  diesen  Arse- 
nalen entnehmen  müssen. 

^)  Wir  stellen  die  Fortsetzung  des  1.  Beitrags  (diese  Zs.  XXXVI, 
S.  71  ff.)  zurück,  weil  sich  uns  das  obige  Thema  nunmehr  als  das  zu- 
nächst wichtigste  aufdrängt.  Wir  wollen  Bausteine  geben,  und  kein 
System  (a.  a.  O.  S.  74),  und  bei  Bausteinen  kommt  es  nicht  viel 
darauf  an,  in  welcher  Reihenfolge  sie  liegen. 

2)  Nach  Grimm  (S.  CVII)  die  älteste  Quelle. 


84  Wilhelm   Tavernier. 

Zum  gleichen  Ergebnis  wie  Paris  kommen  wii-  in  unserer 
Dissertation  vom  Jahre  1901,  die  erweitert  1903  u.  d.  T.  , Vor- 
geschichte des  altfranz.  Rolandsliedes'  erschien.  ,,G  kann  nicht 
das  Rld.  gekürzt  haben,"  das  stellten  wir  als  das  wichtigste 
Resultat  unserer  Untersuchung  hin  (S.  202,  Anm.  366).  Die 
Arbeit  wollte  jedoch  eigentlich,  dem  Dissertationstitel  ent- 
sprechend, „über  R  im  Rld."  handeln,  d.  h.  den  Anteil  des  letzten 
Bearbeiters  an  unserem  Epos  herausheben;  das  Verhältnis  zum  C 
konnte  daher  nur  neben  vielem  andern,  und  meist  nur  implizite, 
behandelt  werden. 

Ohne  Kenntnis  unserer  Vorgeschiciite  hat  G  u  s  t  a  v  B  r  ü  c  k- 
n  e  r  1905  in  seiner  eingangs  erwähnten  Rostocker  Dissertation 
das  Verhältnis  des  C  zum  Rld.  ausführlich  behandelt.  Auch 
seine  Untersuchung  führte  zur  Bestätigung  der  Ansicht  von 
G.  Paris.  —  In  einer  eingehenden  Besprechung  der  Brückner- 
schen  und  unserer  Dissertation  (Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXIl  713  ff.) 
hat  endlich  Voretzsch  1908  den  beiden  gemeinsamen  Standpunkt 
als  den  richtigen  anerkannt.  Unter  Zurückweisung  der  RT- 
Hypothese  von  Ct.  Paris,  die  Brückner  wieder  aufgenommen 
hatte,  hält  Voretzsch,  so  wie  wir  selbst,  ,,RC  (d.  h.  das,  was  sich 
durch  Vergleichung  von  Carmen  und  Epos  als  alt  erweist)  für 
die   älteste   erreichbare   Vorstufe   des    Rolandsliedes." 

Auf  der  anderen  Seite  hat  es  nicht  an  Verfechtern  der 
Stengeischen  Anschauung  gefehlt.  B  a  i  s  t  betonte,  wie  schon 
bei  früherer  Gelegenheit  (1895),  so  zuletzt  1902  in  den  , Beiträgen 
zur  romanischen  und  englischen  Philologie,  Festg.  für  ^^>ndelin 
Foerster',  S.  224  Anm.  2,  daß  er  das  C  für  eine  Bearbeitung  des 
Rlds.  halte.  Zwar  hat  er  seine  Gründe  nie  veröffentlicht,  doch 
ist  schon  der  gewichtige  Name  Anlaß  genug,  die  Frage  noch 
einmal  mit  aller  Unbefangenheit  aufzurollen. 

In  Giuseppe  F  r  a  c  c  a  r  o  1  i's  Werk  ,L'irrazionale  nella 
letteratura',  Torino  1903,^)  betreffen  unsern  Gegenstand  die 
Abschnitte  47  und  besonders  48  (II  Carmen  de  prodicione  Gueno- 
nis,  la  Cronaca  di  Turpino  e  la  Chanson.  L'ambasceria  di  Bian- 
candrino.  S.  267  ff.).  Fracc.  sucht  nachzuweisen,  daß  die  ßlan- 
candrinopisode  gerade  zum  älteren  Gut  der  Sage  gehöre,  und 
daß  das  Fehlen  dieser  Episode  im  C  auf  nachträghchcr,  zweck- 
bewußter Auslassung  seitens  des  lateinischen  Reimschmieds 
beruhe. 

Stengel  selbst  hat  sich  1905  in  einer  ausfülu^lichen  l>c- 
sprechung  unserer  , Vorgeschichte'  (diese  Zs.  XXVI fl-,  S.  23  ff.) 
mit  unseren  Aufstellungen  auseinandergesetzt:  er  hält  seinen 
Standpunkt  nachdrückhch  fest.  —  Ihm  tritt  P  h.  A  u  g.  B  e  c  k  e  r 
zur  Seite;  zunächst  1905  in  einer  Besprechung  unserer  Dissertation 
(Literaturblatt  XXVI  239  ff.)  und  dann  1907  in  seinem  ,Grund- 

^)  Voi'liandeii  in   Berlin,    Ivöiiigl.    \V\\)\. 


Beiträge  zur  Rolandsforschang.  85 

riß  der  altfranzösischen  Literatur'  (S.  45  f.)  erklärt  er  das  C  für 
ein  „Derivat  der  erhaltenen  Rolandsdichtung". 

So  steht  die  Streitfrage.  In  jedem  der  beiden  Lager  sehen 
wir  eine  rüstige  Gefolgschaft.  Es  mag  uns  erlaubt  sein,  nach 
9  Jahren  (nonumque  prematur  in  annurti)  auf  die  RC-Theorie  zu- 
rückzukommen und  uns  mit  den  gegnerischen  Einwürfen  zu 
beschäftigen.  Nicht  nur  um  sie  zurückzuweisen,  sondern  auch 
um  sie  der   Sache  zunutze  zu  machen. 

Eigenen  Zweifeln  nämlich  kam  entgegen,  was  wir  an  7wei 
Stellen  von  Beckers  Rezension  lesen:  ,,Wenn  aber  Tav.  in  seinem 
Vergleich  des  Rolandsliedes  mit  dem  Carmen  recht  hat  und  sich 
wirklich  so  wenig  Spuren  der  angeblichen  Vorlage  in  unserer 
Chanson  finden,  wird  da  nicht  der  Glaube  wankend,  daß  das 
Carmen  überhaupt  ein"  Vorstufe  des  Rolandsliedes  wiedergibt  ? 
Läßt  sich  denn  das  Carmen  ohne  weiteres  in  ein  altfranzösisches 
Heldenlied  umdichten?"  (Sp.  240).  ,,Ein  dem  Carmen  genau 
entsprechendes  französisches  Heldenlied  läßt  sich  nur  denken, 
wenn  man  sich  nicht  die  Mühe  gibt,  sich  die  Details  in  altfran- 
zösischer Darstellung  konkret  auszumalen"  (Sp.  241). 

Diese  Sätze  scheinen  uns  einen  wichtigen  Fortschritt  in  sich 
zu  schließen.  Sie  korrigieren  treffend  das  Falsche  an  der  RC- 
Hypothese,  aber  in  ihren  Konsequenzen  durchgedacht,  wenden 
sie  sich  gegen  Beckers  eigene  Theorie,  wonach  das  C  eben  doch 
eine  französische  Vorlage,  nämlich  unser  Rld.,  hat. 

Wie  so  viel  andere  waren  wir  in  unserer  ,Vorgesch.'  noch 
stark  im  Bann  von  G.  Paris  —  was  möchte  eher  zu  verzeihen 
sein  —  und  übernahmen  ohne  Kritik  des  Meisters  Vorstellung, 
daß  das  Carmen  auf  einem  französischen  Gedicht  beruhe.  Becker 
hat  recht  darin,  daß  sich  nichts  Positives  für  diese  Ansicht  ins 
Feld  führen  lasse.  Was  wir  selbst,  Vorgesch.  12  ff.,  an  Beweisen 
beigebracht  haben,  erledigt  sich  aus  verschiedenen  Gründen. 
Die  Übereinstimmung  zwischen  C  339  ff.  und  Rld.  1651  ff.  kann 
auch  darauf  beruhen,  daß  Turoldus  nach  dem  C  gedichtet  hat. 
—  Das  Argument  des  hiinc  in  C  451  hat  schon  Stengel  mit  Recht 
zurückgewiesen  (diese  Zs.  XXVII P,  S.  24  f.).  Wir  waren  an 
dieser  Stelle  Michel's  Text  gefolgt,  weil  uns  s.  Z.  der  Text  der 
Romania  nur  zeitweilig,  mit  großen  Unterbrechungen,  zur  Ver- 
fügung stand.  Im  Mskr.  steht  aber  /i°,  ,,presumably  for  hoc," 
wie  uns  der  Keeper  of  Mss.  des  British  Museum,  G  e  o.  F.  W  a  r  n  e  r, 
mitzuteilen  die  Güte  hatte.  Paris  setzt  hos  ein,  und  diese  Kon- 
jektur hegt  näher  als  hunc.  —  Ein  letztes  Argument  hatten  wir 
(Vorgesch.  14,  Anm.  32)  von  G.  Paris  übernommen:  V.  283 — 295 
in  V*  seien  ein  Rest  von  RC,  disiecti  membra  poetae.  Nun  ist 
aber  die  Übereinstimmung  dieser  Verse  mit  dem  Bericht  im 
C  65  ff.  eine  sehr  vage;  sie  beschränkt  sich  auf  die  Erwähnung 
von  Ganelons  Furcht,  und  dies  Motiv  lag  ja  bei  einem  gefahr- 
vollen   Ritt   durch    fernes   Land   nahe.      Alle   charakteristischen 


86  Wilhelm  Taveriiier. 

Züge  der  beiden  Darstellungen  sind  verschieden;  in  V"^  eine  Rede 
an  das  Pferd,  in  C  Schilderung  einer  angstvollen  Irrfahrt.  Die 
Verse  von  V"*  sind  kaum  in  eine  normannische  oder  franzische 
Laisse  umzudichten,  da  o-e  und  ü-e-Assonanzen  durcheinander 
stehen,  und  so  wird  man  sie  als  Kopistenzutat,  frankoitalienischer 
Art,  anzusehen  haben.  Dem  Interpolator  ging  Ganelons  Ritt  zu 
i-asch,  darum  retardierte  er  und  sehmiickte  aus.  Dasselbe  Be- 
dürfnis fühlte  und  befriedigte,  vielleicht  unabhängig  von  jener 
Laisse  in  V^  der  Reimschmied  in  den  Versen  34,  1 — 5  der  Hdschr. 
von  Chateauroux  und  Venedig'^  (bei  Stengel  zu  L.  30);  auch  hier 
ist  inhaltlich  mit  dem  Carmen  so  gut  wie  keine  Berührung.^) 

Gröber  hat  im  .Arch.  f.  d.  Stud.  d.  neueren  Sprachen 
u.  Lit.,  Bd.  84,  1890,  S.  297  ff.,  besonders  S.  298,  die  wörtlichen 
Berührungen  des  C  mit  dem  Rld.  zusammengestellt;  auch  er 
schloß,  ohne  zureichenden  Grund,  auf  Abhängigkeit  des  lateini- 
schen Dichters  von  einer  französischen  Vorlage.  Die  ,,chanson 
de  ges/p-mäßige  Haltung  des  Ganzen"  lasse  auch  das  C  nicht 
verkennen.  Das  trifft  eben  nicht  zu;  Beckers  oben  (S.  85) 
zitierte  Sätze  mögen  zur  Korrektur  dienen.  Alle  von  Gröber 
gesammelten  Übereinstimmungen  können  ihre  Erklärung  darin 
finden,  daß  das  lateinische  Gedicht  die  Vorlage  des  französischen 
Epikers  gewesen. 

Auch  das  letzte  Argument  fällt  also  fort.  Mit  nichts 
läßt  sich  eine  französische  Vorlage  für  das  C  erweisen.  Vielmehr 
spricht  eher  gegen  die  Annahme  einer  solchen  Vorlage  das  von 
Becker  in  den  oben  zitierten  Sätzen  Angeführte.  Vor  allem  sei 
betont,  daß  dem  Verfasser  des  C  auch  nicht  der  geringste  Galli- 
zismus unterlaufen  ist,  was  beim  Umdichten  einer  volkssprach- 
lichen Vorlage  (h)ch  so  nahegelegen  hätte.  Es  gibt  nichts  Diskre- 
panteres  als  den  geschraubten  Stil  des  C  und  den  klaren,  sicheren 
Gang  der  Roland verse.  Das  macht  an  und  für  sich  die  Annahme 
eines  franzö.sischen  Liedes  RC  wenig  wahrscheinlieli,  obschon  es 
natürlich  kein  zwingender  Beweis  für  die  Unmöglichkeit  eines 
solchen  Liedes  ist. 

Weiter  führt  die  Betrachtung  dei'  Eigennamen  im  C.  Auch 
hier  keine  Spur  einer  französischen  Vorlage:  kein  Franci  (viel- 
mehr Galli  2.  195.  465),  kein  Francia  {Gallia  195.  196.  467),  kein 
Karoliis  Magnus.  Unmittelbar  aus  dem  Lateinischen  geschmiedet 
erscheinen  Marsüius  (von  Mars),  Grandonius  (von  grandis, 
wenn  nicht  auch  grando  hereinspielt);  daß  Turoldus  die  gelehrten 
Formen  Marsilies,  Marsilie,  Grandonies  (:  1570)  braucht,  spricht 
doch  stark  für  Abhängigkeit  vom  Lateinischen.  Aber  greifen 
wir  der  Detailuntersuchung  nicht  vor;  die  Beweislast  für  das 
Vorhandensein    eine«'    französischen    Vorlage    liegt    ja    durchaus 

*)  Auf  die  Bezielmngen  des  C  zur  Venetianus-Gruppp  einzugehen, 
wird  sich  Gelegenheit  bieten,  wenn  wir,  weiter  unten,  beim  Durch- 
gehen des  C  an  die  Szene  vdu  Marg^riz'  Meldung  an  Marsüius  kommen. 


Beiträge  zur  Rolandsforsr/iiiiig.  87 

auf  der  Gegenseite,  sei  es,  dal.',  mit  l^aris  und  XOretzsch  ein 
Lied  RC  in  der  Volkssprache  konstruiert  wird  odei'  daß  man 
mit  Stengel  und  Bekei'  das  C  für  ein  Derivat  des  Rlds.  ansieht. 
Es  genügt  die  Feststellung,  daß  keine  der  Parteien  den  pflicht- 
schuldigen Beweis  dafür  erbracht  hat,  daß  das  C  irgendwie  von 
französischer  Vorlage  abhängig  ist. 

Das  hypothetische  Lied  RC  muß  also  ganz  aus  der  Unter- 
suchung ausscheiden;  darin  haben  Stengel  und  Becker  Recht. 
Wir  haben  es  somit  nur  noch  zu  tun  mit  einem  lateinischen 
Gedicht  und  einem  französischen  Epos,  die  in  unleugbaren  Be- 
ziehungen zueinander  stehen.  Nun  stellt  sich  W.  Grimm  — 
dem  die  Hypothese  einer  französischen  Vorlage  für  das  G  noch 
fremd  war  —  das  Verhältnis  von  C  und  Rld.  so  dar,  daß  keines 
aus  dem  andern  unmittelbar  entsprungen  sei,  vielmehr  ,, jedes, 
bei  aller  sonstigen  Übereinstimmung,  mehr  oder  minder  eigen- 
tümliches enthalte,  sodann,  daß  dieses  Eigentümliche  nicht  durch 
vorsätzliche  Abänderungen,  sondern  aus  volksmäßiger  Mannig- 
faltigkeit der  Sage  entstanden"  sei  (Ruolantes  liet,  S.  C).  Danach 
wäre  also,  ebenso  wie  bei  der  RC-Theorie,  kein  direktes  Ab- 
hängigkeitsverhältnis zwischen  C  und  Rld.  anzunehmen;  die  ge- 
meinsame Grundlage  beider  wäre  die  mündliche  Sage.  Diese 
Auffassung  erschien  schon  G.  Paris  unmöglich,  und  darum  eben 
nahm  er  ein  ,, Gedicht"  als  gemeinsame  Quelle  an.  Die  Grimmsche 
Ansicht  setzt  eine  Verbreitung  und  einen  Umfang  der  Sage  vor- 
aus, für  den  sich  kein  Beweis,  keine  Wahrscheinlichkeit  anführen 
läßt.  ,, Positive  Hinweise  auf  die  Rolandssagc  kommen  vor  1100 
nirgends  vor"  (Becker,  Grundriß  44);  wenigstens  genügt  die 
Einfügung  der  Worte  et  Hruodlandus  Brittannici  limitis  praefectus 
in  den  Text  von  Einhards  Vita  Karoli  (Ende  des  9.  Jahrhdts. ; 
in  der  wichtigen  B-Klasse  der  Hdschr.  fehlt  der  Passus  noch) 
und  das  signiim  Rotlani  comitis  in  der  gefälschten  Fassung  D  des 
Testaments  des  Abts  Fulrad  von  Saint-Denis  (Ende  des  9.  oder 
Anfang  des  10.  Jahrb.;  vgl.  Tan  gl  in:  Neues  Archiv  d.  Ges.  f. 
ältere  deutsche  Geschichtsk.  XXXII,  1907,  S.  206  f.)  nicht,  um 
das  Vorhandensein  einer  inhaltsreichen,  weitverzweigten  Rolands- 
sage zu  erweisen.  Man  wird  der  Sage  vielmehr  nur  einen  recht 
„bescheidenen  Bestand  an  Szenen  und  Personen"  (vgl.  H  e  u  s  1  e  r, 
Lied  und  Epos,  1905,  S.  34)  zuschreiben  dürfen  und  wird  sich 
die  Verbreitung  vornehmlich  an  gewisse  Reliquien,  Klöster  und 
Kirchen  und  die  Kreise  ihrer  Besucher  und  adligen  Gönner  ge- 
bunden vorzustellen  haben.  Daß  solch  dunkles  Raunen  und 
Reden  von  dem  toten  Heldengrafen  hätte  die  Fülle  der  Details 
übereinstimmend  erhalten  können,  die  C  und  Rld.  gemeinsam 
sind,  ist  ausgeschlossen.  Man  denke  z.  B.  an  das  genaue  Zu- 
sammentreffen so  beiläufiger  Zahlenangaben  wie  C  103  und 
Rld.  13.410— 20  000  Mann  an  des  Marsilius  Hoflager.  Unmög- 
lich würde  mündHche  Sage  das  ganze  taktische  Gefüge  der  Schlacht 


88  Wilhelm  Taveruier. 

durch  alle  Treffen  hindurch  so  fest  erhalten,  daß  es  in  zwei  Nieder- 
schriften verschiedener  Sprache  und  Dichtart  genau  parallel  ver- 
laufend geblieben  ist.  Und  endlich  würde  eine  Beschreibung, 
wie  die  von  Turpins  Pferd  aus  mündlicher  Sage  nicht  beidemal 
fast  wörtlich  entsprechend  und  dabei  in  umgekehrter 
Reihenfolge  übernommen  worden  sein.  Folgende  Zu- 
sammenstellung wird  den   Sachverhalt  verdeutlichen. 

C  339  (Horridus  aspectus  Rld.   1657  Soz  ciel  n'est  beste  ki 

encontre  lui  alge) 

auris  brevis  1656  Petite  oreille 

(ardua  cervix  1654^  l'eschine  bien  halte) 

340  Costa  prolixa  1654  Lungs  les  costez 
tibia  recta  1652  gambes  plates 

341  pes  cavus  1652  Piez  c  o  r  b  e  z 

344  Primus  equos  celeres  1651  Li  destriers  est  et  cinvanz 

cursibus  equat  eques  et  aates. 

Es  entspricht  also  für  die  annähernd  gemeinsamen  Attribute 
die  Reihenfolge  1 — 8  im  C  genau  der  Reihe  8 — 1  im  Rld.  Beim 
C  gellt  die  Beschreibung  im  wesentlichen  von  oben  nach  unten, 
beim  Rld.  \on  unten  nach  oben.  —  Das  horridus  aspectus  von 
C  339  ist  augenscheinhch  durch  Rld.  1657  umschrieben,  und 
Gautier's  Übersetzung  //  n'y  a  pas  de  bete  qui  lui  soit  comparahle 
ist  falsch.  - —  Dem  ardua  cervix  C  340  entspricht  dem  Zusammpn- 
hang,  wenn  auch  nicht  dem  eigentlichen  Wortsinn  nach,  Veschinc 
bien  halte  1654;  hier  liegt  doch  nur  leise  Abänderung  vor 
(cervix:  corporis  pars  ab  occipitio  a  d  d  o  r  s  u  m  —  Thes.  ling. 
lat.),  und  bien  halte  und  ardua  stimmen  noch  zusammen.  • — 
Zwischen  No.  5  und  6  der  obigen  Carmen-Reihe,  in  C  341,  steht 
crus  perlargum.;  es  ist  von  Turoldus  zu  1653  Carte  la  quisse 
et  la  crupe  bien  l  a  r  g  e  erweitert  worden,  wobei  auf  die  genaue 
Entsprechung  von  perlargum  und  bien  large  liingewiesen  sein 
mag.  Diese  detaillierende  Abänderung  steht  zwar  nicht  zwischen 
No.  5  und  6  der  obigen  Rld. -Reihe,  aber  doch  nicht  weit  davon, 
zwischen  3  und  4.  Gründe  des  Metrums  und  der  Assonanz  er- 
klären die  geringe  Abweichung  zur  Genüge.  —  In  1652  hat  0 
copiez,  V*  coples,  Müller,  Gautier,  Stengel  danach  colpez,  was 
G.  Paris  (Rom.  XI  509,  n.  1)  hier  nicht  erklären  zu  können  meint. 
„II  y  a  lä  Sans  doute  un  mot  particulier,  dont  le  latin  pes  cavus 
nous  donne  peut-etre  le  sens."  Die  Konjektur  corbez  dürfte  sich 
aus  der  lateinischen  l^irallele  ohne  weiteres  ergeben. 

Wenn  irgend  etwas,  so  zeigt  die  Vergleichung  der  beiden 
Beschreibungen  von  Turpins  Pferd,  daß  literarische  Abhängigkeit 
vorliegen  muß,  daß  einer  der  Verfasser  das  Werk  des  andern 
vor  sich  hatte  und  unsern  Abschnitt  erst  überflogen,  dann 
gleich  von  rückwärts  lier  übertragen  hat.  Wenn  also  ein  älteres 
französisches  Lied  oder  Epos   (RC)   als  gemeinsame  Quelle  nicht 


Beiträge  zur  /lolaiulsforschiiiig.  89 

angenommen  werden  kann,  wenn  mündliche  Sage  zur  Erklärung 
der  Übereinstimmungen  nicht  ausreicht,^)  so  bleibt  schließlich 
nur  das  literarische  Problem:  hat  der  lateinische  Dichter  des 
Turoldus  Epos  benutzt  oder  hat  Turoldus  nach  dem  C  gedichtet  ? 

Auf  der  Basis  dieser  Fragestellung  treffen  wir  also  mit  unsern 
verehrten  Gegnern  wStengel,  Baist,  Becker  zusammen.  Das 
Problem  ist  verdunkelt  worden  dadurch,  daß  von  Grimm  an 
bis  in  die  neueste  Zeit  Pseudoturpin  und  Karlamagnussaga  mit 
in  die  Untersuchung  hineingezogen  worden  sind.  Wir  selbst 
hatten  noch  die  unbegründete  Hypothese  eines  älteren,  ver^ 
schollenen  Epos  von  G.  Paris  und  Suchier  (Geschichte  der  fran- 
zösischen Literatur,  1900,  S.  26)  übernommen.  Auch  diese  Eier- 
schale muß  fallen.  Da  wir  in  unserer  Vorgesch.  RC  inhaltlich 
aufs  engste  mit  C  gleichgesetzt  hatten,  oder  nach  Voretzsch' 
Ausstellung  ,,C  zu  sehr  mit  seiner  (verlorenen)  französischen 
Vorlage  identifiziert  hatten",  so  bleibt  Kern  und  Wesen  unserer 
einstigen  Beweisführung  durchaus  unberührt  von  der  obigen 
pflichtschuldigen  Korrektur.  Im  Gegenteil,  wir  hoffen,  daß  nach 
Aufgabe  der  RC-Theorie  die  Priorität  des  C  um  so  klarer  sich 
erweisen  läßt.  Wir  behaupten  also  nach  wie  vor,  C  ist  kein 
kürzender  Auszug  aus  dem  Rld.,  wie  es  Stengel,  Baist  und  Becker 
annehmen,  und  stellen  denselben  die  These  entgegen:  eine 
Handschrift  des  C  ist  des  Turoldus  Haupt- 
quelle   gewesen. 

Gegenüber  einer  neuen  Behauptung  pflegt  sich  das  Miß- 
trauen besonders  lebhaft  zu  rühren,  und  diejenigen,  welche  solche 
neue  Thesen  bestreiten,  haben  von  vornherein  mehr  Aussicht 
auf  williges  Gehör  und  auf  Nachfolge  als  der  Verfechter  der  neuen 
Auffassungsweise.  So  ist  es  G.  Paris  mit  seiner  RC-Theorie 
gegangen;  während  sie,  dank  dem  Ansehen  des  Meisters,  in 
romanischen  Ländern  ungeprüft  und  obenhin  akzeptiert  worden 
ist,  hat  sie  in  Deutschland  nach  der  ersten  Bestreitung  durch 
Stengel  eine  Reihe  entschiedener  Gegner  und  viel  laue  Aner- 
kennung gefunden,  jedenfalls  nicht  das  gebührende  Maß  an 
eingehender,  wohlwollender  Nachprüfung,  die  schließlich  zur 
Abstreifung  des  Falschen,  zum  Herausschälen  des  wichtigen 
Wahrheitsgehaltes  geführt  hätte.  Wir  wollen  uns  diesen  psycho- 
logisch leicht  crklärhchen  Vorteil  der  Defensive  zu  Beginn  unserer 
Diskussion  selbst  zunutze  machen.  Die  Bestreiter  der  Priorität 
des  C  haben  nämlich  ihrerseits  zwei  positive  Sätze  zur  Begründung 
dieser  Ansicht  aufgestellt:  1.  C  habe  die  Blancandrinepisode  ge- 

^)  Daß  ebensowenig  Lieder  dafür  in  Betracht  kommen  können, 
braucht  nicht  mehr  ausgeführt  zu  werden.  Hat  es  französische  can- 
tilenes  von  Rolands  Tod  gegeben,  so  würden  doch  solche  Lieder  nie- 
mals z.  B.  das  taktische,  nach  allen  Regeln  der  Kriegskunst  ausgeführte 
Bild  der  Roncevauxschlacht  bieten  und  mit  aller  Genauigkeit  durch 
Jahrhunderte  festhalten  können. 


90  Wilhelm   Tuveniier. 

kannt.  Das  würde  nach  unserer  Auffassung  allerdings  die  Prio- 
rität des  C  ausschließen.  Aber  prüfen  wir  Stengels  Beweise, 
Zs.  f.  rom.  Phil.  VIII  509—512. 

C  15  soll  die  Eingangsverse  des  Rlds.  (2  f.)  reflektieren.  Aber 
diese  Verse  gehören  nicht  zur  Blancandrinepisode,  die  erst  mit 
L.  2  beginnt.  Vgl.  Vorgesch.  10  Anm.  17  und  damit  überein- 
stimmend Brückner  71. 

C  16  soll  an  Rld.  266,  267  anklingen.    Aber  auch  die  Laisse  19, 
zu  der  diese  Verse  gehören,   liat  nichts  mit   dem   Blancandrin- 
einschub  zu  tun. 
Die  Verse  29  ff. 

Legatum  lega  cui  dicas  ut  sibi  dicat 
Ut  tibi  submittat  se,  sua  regna,  suos; 

Vel  sibi  si  mavis  per  legatum  breve  leges, 
[Jt  melius  possit  credere  posse  tibi   .  .  . 
und  35  ff. 

Da  Carolo  regnum.    Die:  Do,  tunc  esse  superstes 
Fors  poteris;  sed  die:  Abnuo,  nullus  eris. 

Non  sie  nullus  eris,  quia  non  tantummodo  nullus, 
Immo  minor  nullo,  si  minor  esse  potcs  .  .  . 
sollen  ,,doch  offenbar  nur  einen  Sinn  lia])en,  wenn  sie  die  Ant- 
wort bilden  auf  ein  Anerbieten  Marsilions,  das  Roland  nicht  für 
aufrichtig  gemeint  hält.  Sie  markieren  die  Bedingungen,  unter 
denen  der  nachgesuchte  Friede  gewährt  werden  soll".  Das  alles 
aus  den  obigen  Versen  herauszulesen,  ist  ein  Wagnis,  das  unsere 
Leser  wie  wir  selbst  nicht  mitmachen  werden.  Es  ist  doch  wirk- 
lich mit  keinem  Wort  auf  A^orausgegangene  Verliandlungen  hin- 
gedeutet! Der  Sachverhalt  im  C  ist  ganz  klar  und  folgerichtig: 
Spanien  ist  unterworfen,  nur  Marsilius  ist  noch  frei.  Roland 
aber  will  ganze  Arbeit  gemacht  sehen,  folglich  muB  auch  Mar- 
silius zur  Unterwerfung  gezwungen  w'erden. 

Ein  weiteres  Argument  Stengels  beruht  auf  C  147:  Fortisan 
instinctii  Rollandi  miUeris.  ,, Woher  weiß  denn  aber  hier  Marsilius 
mit  einem  Mal,  daß  zwischen  Gueno  und  Rollandus  nicht  alles 
in  Ordnung  ist,  während  doch  Gueno  nach  G  aus  heiterem  Himmel 
vor  ihm  erscheinen  soll  ?  Wenn  wir  Marsilius  auch  für  diploma- 
tisch höchst  gut  unterrichtet  von  den  Verhältnissen  in  Karls 
Heerlager  halten  wollten,.  . .  so  wäre  denn  doch  der  Divinations- 
gabe  des  Marsilius  zu  viel  zugemutet,  wenn  er  ohne  irgend 
welchen  direkten  Anhalt  die  in  V.  147  ausgesprochene  schlaue 
Vermutung  geäußert  haben  wollte.  Er  muß  also  von  den 
jüngsten  Vorgängen  im  Kriegsrat  der  Franken  unterrichtet 
sein.  Durch  wen  anders  konnte  das  aber  besser  geschehen  als 
durch  den  im  Rld.  allein  erwähnten  Boten  Blancandin. . .  ?"  — 
Wir  haben  Vorgesch.  10  Anm.  19  zwei  Erklärungsversuche 
gegeben,  von  denen  wir  den  ei'sten  (C  habe  ungeschickt  gekürzt) 


Beiträge  zur  Rolands jorschang.  91 

zurücknehmen  müssen.  „Aber  vielleiclit  liat  C  . .  .  nur  unge- 
schickterweise Marsilius  aussprechen  lassen,  was  allein  er,  der 
Dichter,  bis  dahin  wissen  konnte."^)  Damit  berührt  sich,  was 
Brückner  77  1".  ohne  Kenntnis  unserer  Vorgesch.  Stengel  er- 
widert hat.  ,,Nach  der  Sachlage  in  C  konnte  Marsilius  auch 
ganz  wohl  von  selbst  auf  den  Gedanken  kommen,  Roland  habe 
die  Sendung  Ganelons  veranlaßt,  denn  nach  C's  Darstellung  war 
er  ja  der  einzige  Ratgeber  des  fränkischen  Kaisers  ....  Freilicli 
hatte  der  Dichter,  der  das  Gespräch  auf  Roland  bringen  wollte, 
es  ungeschickt  angefangen,  wenn  er  Marsilius  ohne  weiteres  so 
sprechen  läßt."  Der  Rolandsdichter  hat,  wie  Brückner  zutreffend 
ausführt,  die  störende  Härte  seiner  Vorlage  ausgeglichen;  durch 
das  Gespräch  Ganelons  mit  Blancandrin  L.  29—31  wie  das 
andere  mit  Marsilius  L.  41 — 45  wird  nicht  ohne  Gewandtheit 
Roland  in  den  Vordergrund  geschoben,  als  das  vor  allem  in 
Betracht  kommende  Opfer  des  Verrats.  —  Stengel  verfällt  hier 
in  den  Fehler,  den  er  in  Laurentius'  und  Paris'  Arbeiten  öfter 
glaubte  korrigieren  zu  müssen:  einer  geringfügigen  Unebenheit, 
die  sich  allenfalls  sogar  logisch  rechtfertigen  läßt,  legt  er  über- 
triebene Wichtigkeit  bei.  Denn  es  ist  gewiß  ein  kühner  Schluß, 
aus  der  Zeile  Fortisan  instinctu  Rollandi  miiteris  das  Vorhanden- 
sein der  umfangreichen  Blancandrinepisode  in  einer  Vorlage  des 
C  zu  folgern.  Nicht  also  wie  Stengel  will,  ,, basiert  hier  C  evident 
auf  dem  Rld.  und  entstellt  dessen  Angaben  in  unglücklicher 
Weise",  sondern  der  planvoll  schaffende  Dichter  des  Rlds.  fügt 
seiner  Vorlage  die  fehlende  Motivierung  ein,  wozu  ihm  die  Blan- 
candrinepisode eine  bequeme  Handhabe  bot. 

Ein  letztes  Argument  für  Kenntnis  der  Blancandrinlaissen 
seitens  des  Verfassers  von  C  sieht  Stengel  vielleicht  in  folgendem: 
,,Auf  den  Anklang  von  C  90  an  die  statt  0  11  herzustellende 
Zeile   von    R : 

Suz  une  olive  s'en  est  alez  a  Tumbre 

wie  der  bereits  von  Paris  hervorgehobene  der  V.  101 — 3  von  C 
mit  0  13  braucht  hier  nur  hingewiesen  zu  w^erden."  Den  Versen 
G  89  f. 

Deinde  videt  regem  spaciantem  sub  spaciosa 
P  i  n  u  ,  sub  cujus  frondibus  u  m  b  r  a  placet 

entsprechen  im  Gang  der  Erzählung  vielmelir  die  Verse  der  L.  32: 

Un  faldestoet  out  suz  l'u  m  b  r  e  d'un  p  i  n  , 

^)  Vgl.  D  r  e  r  u  p  ,  Homer,  1903,  S.  15:  ,,Bei  Unebenheiten  und 
Widersprüchen  ist  sehr  häufig  nur  eine  Unachtsamkeit  oder  Unbeholfen- 
heit des  Dichters  zu  konstatieren,  welcher  die  handelnden  Personen 
gelegentlich  etwas  erwähnen  läßt,  wovon  sie  eigent- 
lich nichts  wissen  können,  ...  welcher  besonders  deutlich 
in  der  Vorbereitung  späterer  Ereignisse  seiner  Person  etwas  sagen 
oder  tun  läßt,  was  sich  von  ihrem  Standpunkt  aus  nicht  völlig  erklärt." 


92  Wilhelm   Tavcnüer. 

usw.  So  die  Lesart  in  0;  Stengel  hat  nach  V*  die  Pinie  beseitigt, 
um  die  gleichmäßige  Verteilung  der  Baumarten  auf  Christen  und 
Sarazenen  durchzuführen.  Solch  Bestreben  mag  aber  schon 
den  Kopisten  von  V^  (und  danach  die  verwandten  Hand- 
schriften) ebenso  wie  spätere  Ependichter  beeinflußt  haben.')  Im 
Rolandslied  werden  die  Bäume  noch  rein  sachlich,  aus  selbst- 
erworbener Anschauung  heraus  und  nicht  schematisch,  nach 
politischen  Rücksichten  verteilt.  (So  mit  G.  Paris,  Rom.  XI 
500  n.  3;  anders  Stengel,  Zs.  f.  rom.  Phil.  VIII  508  Anm.  und 
früher  wir  selbst,  Vorgesch.  24  f.  zu  ^'.  11;  82  zu  \'.  993.)  Wir 
sehen  keinen  Grund,  um  den  pin  in  V.  407  aufzugeben.  Im 
Gegenteil,  in  500  wird  ja  ausdnicklich  auf  d  e  n  pin  zurück- 
gegriffen : 

\'ait  s'apuier  suz  le  pin  a   la  tigo, 

wo  wieder  \^  und  Stengel  nn  statt  le  schreiben  müssen.  Der 
Dichter  hat  die,  von  der  Pinie  uznrankte  Szene  ganz  klar  gesehen. 
Doch,  worauf  es  uns  hier  nur  ankommt,  C  89  f.  entspricht  zunächst 
den  Versen  407  ff.  im  Rld.,  wie  C  103  —  die  20  000  Sarazenen  — 
zunächst  in  V.  410  derselben  L.  31  ihre  Entsprechung  finden. 
Das  sind  aber  Verse,  die  mit  dem  Blancandrineinschub  nichts 
zu  tun  haben:  Ganelon  erblickt  das  Treiben  an  Marsilius'  Hof, 
dies  Moment  der  Erzählung  ist  ja  beiden  Berichten  gemeinsam. 
Hierin  liegt  also  nichts  Beweisendes  für  Kenntnis  der  Blancandrin- 
epis(»de  auf  Seiten  des  Lateiners.  Vielmehr  mußte  Turoldu?, 
als  er  diese  Episode  in  seine  Vorlage  einfügte,  schon  in  L.  2  das 
Hoflager  des  Marsilius  schildern.  Er  entnahm  natürlich  auch 
für  diese  erste  Beschreibung  die  Anregung  und  das  nötige  Material 
der  Schilderung  seiner  Vorlage,  C  89  ff.,  und  so  ist  denn  auch 
in  I;.  2  sowohl  die  iimbre  V.  11  als  auch  die  Zahlenangabe  vini 
milier  d'hiimes  V.  13  hereingekommen.  Sobald  man  in  Turoldus 
den  nachschaffenden  Dichter  (darum  vielleicht  declinet  4002), 
im  C  die  Vorlage  sieht,  liegt  alles  klar  auch  in  obigem  Punkt. 
Aber  selbst  bei  andrer  Auffassung  wäre  Stengels  Argument 
nicht  durchschlagend,  weil  C  seine  Verse  90  bezw.  101 — 103 
ebensogut  wie  aus  L.  2  auch  aus  L.  31,  aus  einem  Stück  dem 
Rld.  und  G  gemeinsamer  Erzählung  entnommen  haben  könnte. 
Nicht  für  unsere  Erage  (ev.  Kenntnis  der  Blancandrin- 
gesandtschaft  seitens  des  Verfassers  C)  kommt  in  Betracht  das 
Argument  Stengels  auf  S.  510:  C  22 — 28  seien  ,, offenbar  nur 
eine  verunglückte  Kombination"  von  Rld.  180  ff.  ,,und  den 
Eingangsversen  Rld.  6 — 9."  Diese  letzten  Verse  gehören  nicht 
zur  Blancandrinepisode.  Tiu'oldus  hat  sie  aus  dem  bei  C  schon 
gleich  im  Anfang  der  eigentlichen  Handlung  stehenden  Kriegsrat 

')  V*  imigeht  (Ion  //  40(i,  die  sapeie  093  und  ersetzt  den  lorier 
2651  durch  die  Oüve;  so  wird  der  Kopist  denn  auch  den  pin  in  407 
absiclitlich  beseitigt  liaben. 


Beilrägc  zur  Uolandsjorschting.  93 

in  seine   Expositionslaisse    1   hereingenommen;   mit   Blancandrin 
und  seiner  Gesandtschaft  haben  sie  nichts  zu  tun. 

Blicken  wir  auf  Stengels  Beweisgründe  zurück.  Die  Leser 
werden  mir  zugeben,  daß  sie  bis  auf  das  eine,  docl)  leicht  erklärliche 
Forlisan  insiinclu  liollandi  mitteris  recht  belanglos  sind,  zumeist 
aber  den   Gegenstand  gar  nicht  treffen. 

Nach  der  Feststellung,  daß  Kenntnis  der  Blancandrin- 
episode  seitens  des  Carmendichters  keineswegs  erwiesen  ist, 
gehen  wir  zur  zweiten  positiven  Behauptung  der  Gegenseite 
über.  ,,Dei'  Turpin  verrät  noch  offenkundiger  als  das  Carmen 
die  Spuren  der  Baligantepisode"'  (Becker,  Grundr.  45).  Das  ist 
für  den  Turpin  richtig,  aber  wo  ist  im  C  eine  Spur  der  BaUgant- 
episode  zu  entdecken  ?  Selbst  ein  hochdotiertes  Preisausschreiben 
würde  resultatlos  verlaufen  müssen.  Was  bisher,  doch  nur  ver- 
mutungsweise, zur  Stütze  dieser  zweiten  These  angeführt  worden 
ist,  findet  sich  bei  Stengel  511  Anm.  1.  Der  Zug,  daß  Brami- 
mund  im  C  sich  für  Ganelon  verwendet,  von  seiner  Schönheit 
«ergriffen,  ,, könnte  auch  für  die  Existenz  der  Baligantepisode 
in  der  Vorlage  von  C  sprechen,  da  nur  in  dieser  Bramimund 
stärker  hervortritt."  Welch  kühne  Folgerung  wäre  das!  Wird 
nicht  jede  Königin  normalerweise  dann  am  stärksten  hervor- 
treten, wenn  ihr  Gemahl  im  Sterben  hegt  und  der  einzige  Sohn 
und  Erbe  tot  ist!  Wer  anders  hätte  den  todwunden  Gatten 
beklagen,  Baligants  Gesandten  und  Bahgant  selbst  empfangen, 
die  Stadt  übergeben  können  als  die  Königin  ?  Ist  nicht  selbst 
hier  ihre  Rolle  im  Grunde  eine  notgedrungene,  passive,  reprä- 
sentative, wie  sonst  im  Rld?  Und  wäre  dem  selbst  nicht  so, 
es  bliebe  immer  noch  ein  falscher  Schluß:  weil  Bramimund  in 
der  Baligantepisode  mehr  hervortritt,  so  muß  ein  lateinischer 
Dichter,  der  sie  eine  doch  immerhin  maßvolle  Rolle  spielen  läßt, 
eben  diese  Episode  gekannt  haben.  Wo  doch  Bramimund  im 
Rld.  auch  in  der  Szene  mit  Ganelon,  auch  in  der  vorletzten  Laisse 
nicht  nur  erwähnt  wird!  Doch  Stengel  selbst  legt  ja  auf  das 
in  Rede  stehende  Argument  kein  großes  Gewicht,  und  so  bleibt 
nur  die  Feststellung,  daß  für  die  behauptete  Kenntnis  der  Baligant - 
episode  seitens  des  Dichters  von  C  auch  nicht  der  geringste  Be- 
weis erbracht  worden  ist. 

Warum  fehlen  also  Blancandrin-  wie  Baligantepisode  im  C, 
ohne  auch  nur  die  leiseste  Spur  zu  hinterlassen  ?  Die  Gegen- 
seite wird  antworten:  jene  beiden  Episoden  sind  vom  Verf.  des 
C  reinlich  ausgeschieden  worden.  Daß  der  lateinische  Reim- 
schmied kürze,  das  liege  doch  auf  der  Hand.  In  der  Tat  ist  dies 
Vorurteil  alt  und  allgemein.  Schon  Grimm  (s.  o.  S.  83) 
deutete  auf  die  Möglichkeit  hin,  daß  C  gekürzt  habe.  —  Als 
dann  G.  Paris  gegen  den  Schluß  jener  grundlegenden  Unter- 
suchung, Romania  XI,  durch  seine  falsche  RT-Hypothese  in 
die   Brüche   geriet,   —  in    bezug    auf   Durendais  Abschied,   den 


94  Wilhelm   Tavernier. 

einen  Heiden,  der  als  letzter  von  Rolands  Hand  fällt  und  das 
Duell  zwischen  Tierri  und  Pinabel  standen  Rld.  und  T  gegen 
C  —  half  er  sich  mit  der  Annahme:  C  est  ici  tres  abrege  (S.  511). 
Toute  la  fin  dans  C  est  tellement  tronqueo  qu'on  se  demande 
si  son  original  n'etait  pas  defectueux  (S.  512).  Diese  Annahme 
wurde  durch  Paris'  Notlage  gefordert,  aber  nicht  bewiesen.  Sie 
war  Wasser  auf  die  Mühle  der  Gegner.  Zunächst  wiederholte 
Stengel  in  seiner  Entgegnung  (S.  502)  die  Behauptung  von  der 
rücksichtlosen  Kürzung,  welche  der  Verf.  des  C  mit  seiner  Vor- 
lage vorgenommen  habe.  ,, Gegen  den  Schluß  hin  nimmt  diese 
Neigung  zum  Kürzen  in  C  so  überhand,  daß  sich  z.  B.  nicht 
einmal  ausmachen  läßt,  ob  die  Baligantepisode  ...  in  der  Vor- 
lage von  C  fehlte,  oder  selbständig  von  C  ausgelassen  wurde." 
Eine  Begründung  erübrigte  sich  für  Stengel  damals,  weil  kein 
Gegensatz  bestand.  In  unserer  Vorgesch.  haben  wir,  im  Bann 
der  gemeinsamen  Auffassung  von  Paris  und  Stengel,  noch  ohne 
Bedenken  S.  12  das  C  ,,eine  gekürzte  Übersetzung  halb 
und  halb  Bearbeitung"  genannt.  ,, Kleinere  Episoden  könnte  es 
ganz  übergangen  haben"  (S.  16).  In  der  eigentlichen  Unter- 
suchung aber  haben  wir  von  diesem  Ausweg,  soweit  wir  sehen, 
nur  einmal,  in  einem  ganz  nebensächlichen  Punkte,.  Gebrauch 
gemacht.^)  Das  Lachen  Rolands,  V.  323,  sei  ein  so  unwesent- 
licher Zug,  daß  ihn  das  C  wohl  übergangen  haben  mag  (S.  42). 
Dieser  Satz  sei  hiermit  in  aller  Form  zurückgenommen.  Im 
übrigen  haben  wir  uns  nicht  nur  Stengels,  sondern  auch  Voretzschs 
Kritik  zugezogen,  weil  wir  das  kürzende  Verfahren  des  Carmen- 
dichters zu  wenig  berücksichtigt  hätten.  Zum  Beweis  für  diese 
Kürzungen  weisen  beide  auf  C  242  hin: 

Et  reliqui  quorum  nomina  non  memoro. 
Damit  werde  die  ,, Unterdrückung  der  meisten  Pairs-Namen 
ausdrücklich  zugegeben"  (Stengel,  diese  Zs.  XXVIIP,  S.  25).  Das 
heißt  eine  banale  Redensart,  ein  gleichgültiges  ,Undsoweiter'  allzu- 
ernst nehmen.  Wie  oft  begegnet  nicht  solche  Wendung,  wenn 
Autoren  nichts  zu  sagen  wissen  oder  nichts  sagen  wollen.®)  Ent- 
w^eder  mochte  unser  Dichter  nicht  durch  Namenaufzählung  er- 
müden, vielleicht  auch  hatte  er  an  dieser  Stelle  weitere  Namen 

^)  Dazu  zweimal  in  den  einleitenden  Ausführungen  der  schon 
1901  gedruckten  Dissertationsbogen.  Die  Vermutung  S.  10  Anm.  19 
Abs.  1  unserer  Vorgesch.  ist  bereits  oben  S.  90  f.  zurückgenommen 
worden,  die  Behauptung  der  S.  13  Abs.  1  fällt  mit  der  oben  S.  85 
gegebenen   Korrektur. 

8)  Vgl.  z.  B.  Vita  Hludovici  imp.  (Mon.  Germ.  Scr.  II,  1829, 
S.  608):  .  .  .  quorum,  quia  vulgata  sunt,  nomina  dicere  supersedi; 
Eadmeri  Historia  novorum,  Lib.  II  (ed.  by  Rule,  London  1884, 
S.  77):  Subscripserunt  his  multo  plures,  quos  nos  brevitati  studentes 
notare  non  necessarium  duximus;  Orderici  Vitalis  Historia  eccles. 
XI  12  (ed.  Le  Prevost,  Tom.  IV,  1852,  S.  213):  ...  et  multi  alii 
profecti  sunt,  quorum  nomina  nequeo  singillaliin  litteris  assignare. 


Beiträge  zur  liolandsfoischung.  95 

gar  nicht  zur  V^erfügimg  und  suchte»  sich  erst  nachher  noch  ein 
paar  (Engelierus,  Anseus,  Walterus)  für  den  Gebrauch  zusammen. 
Die  Namen,  die  Turoldus  in  der  G  241  f.  entsprechenden  Laisse 
bietet,  deuten  auf  den  wahrscheinlichen  Sachverhalt  hin.  Der 
Rolanddichter  übertrug  zuerst  ziemlich  genau  G  241 

Huic  c  o  m  e  s  in  primis  Oliverus,   Gero,   Gerinus 
in 

Delez  lui  vient  sis  c  u  m  p  a  i  n  z  Oliviers, 
Vint  i   G(M'ins  e  sis  compaing  Geriers  (793  f.). 

"Nun  ließ  ilui  die  N'orlage  im  Stich.  Das  Nomina  sunt  odiosa 
gilt  für  den  Epiker  nicht.  Turoldus  suchte  also  die  Lücke  aus- 
zufüllen und  die  Zwölfzahl  herzustellen.  Da  werden  Namen 
erfunden  oder  von  weither  herangezogen,  Ate  (so  Baist,  Zs. 
f.  rom.  Phil.  XVIII,  1894,  S.  273)  und  Berengiers,  Girarz  de 
BossiUon  und  der  Herzog  Gaifiers,  von  dem  nachher  auch 
nicht  einmal  mehr  die  Rede  ist.  Kurz,  bei  Turoldus  liegt 
Fi'illsel  vor,  und  nicht   Kürzung  im  C. 

Gehen  wir  auf  ein  weiteres  Argument  bei  Voretzsch  ein. 
Er  zitiert  (Zs.  f.  roman.  Philol.  XXXII  714  Anm.  1)  die 
Verse  267  ff.: 

Samson,  Turpinus,  Oliverus,  Gero,   Gerinus 
Qulnque  prosternunt  corpora,  quisque  suum; 
Post  alii  qiiinqiie  prosternunt  corpora  quinque. 

,,An  der  korrespondierenden  Stelle,  Roland  1213  ff.,  treten  tat- 
sächlich nacheinander  Olivier,  Turpin,  Gerin,  Gerier  und  Samson 
auf.  Daraus  kann  man  mit  Sicherheit  schließen,  daß  der  Ver- 
fasser auch  die  Namen  der  folgenden  Kämpfer  (1281  ff.):  Anse'is 
Engelier,  Oton,  Berengier  gekannt  hat."  So  Voretzsch.  Anseus 
und  Engelierus  kommen  allerdings  später  im  C  vor  (V.  305.  317). 
Ob  der  Lateiner  schon  an  unsrer  Stelle  die  beiden  Namen  präsent 
hatte  oder  sie  erst  weiterhin  bei  passender  Gelegenheit  erfand, 
das  halte  ich  nicht  für  ausgemacht;  die  Frage  ist  auch  unwichtig. 
Ich  sehe  keinen  Beweis  dafür,  daß  dem  Dichter  des  C  die  Namen 
Otes  und  Berengier s  bekannt  waren.  Wichtig  aber  ist  ein  Satz, 
der  bei  Voretzsch  folgt:  ,,Daß  der  Verf.  des  C  von  10  Kämpfen 
statt  9  redet,  ist  mißverständliche  Auffassung  von  Roland  1308 

Des  XII  pers  H  X  en  sunt  ocis." 

Gerade  umgekehrt  scheint  mir  hier  das  Rld.  in  deutlicher  Ab- 
hängigkeit von  C.  Das  alii  quinque  in  269  könnte  allenfalls  daher- 
kommen, daß  zufällig  5  Namen  den  Hexameter  267  ausgefüllt 
haben.  Es  wird  doch  vielmehr  eine  beabsichtigte  Rechnung 
vorliegen.  Nach  dem  C  hat  des  Marsilius  Neffe  11  Begleiter, 
er  selbst  ist  der  zwölfte.  Die  G.  Paris  unklar  gebliebenen  Verse 
253  f.  erhalten  durch  zwei  notw^endige  Konjekturen  ihren  Sinn 
zurück : 


96  Wilhelm  Taveniier. 

Patricios    hie    u  n  d  e  n  o  s    conjurat  in   a  r  ni  a  , 
Rfige  duodecimus  cogitur  ire  tarnen. 

arma  für  omnes  der  Hdschr.  nach  Lucan   II   48: 

.   .   .   conjiiret  in   arma 
Mundiis  ...  ; 

Claudian  XV  .331  f.  (Carmina,  rec.  Jeep,  Vol.  I,  Lipsiae  1876, 
S.   131): 

•   .   .   conjurat  in  arma 
Progenies  vesana  lubae  .  .  . 

undenos  für  undecimus,  das  wohl  durch  das  duodecimus  dos 
folgenden  Pentameters  hereingekommen,  ist  unzweifelhaft  ge- 
geben. Mittellateinisch  ist  die  Vertauschung  von  Cardinale  und 
Distributivum  (darüber  Voigt  in  seiner  Ausg.  des  Ysengrimus, 
1884,  S.  XLIf.);  vgl.  z.  B.  Hrotsvitha,  Pelagius  129  (Opera, 
ed.  Strecker,  Lipsiae  1906,  S.  57):  Loris  procedunt  vincti 
comites  duodeni;  Ysengr.  II  8: 

Dentibus  undenis  dimidiuque  carens. 

Nach  dem  C  sind  es  also  im  ganzen  12  Kampfgenossen  auf 
sarazenischer  Seite.  Von  ihnen  fällt  erst  des  Marsilius'  Neffe 
(C  257  ff.),  dann  werden  2x5  weitere  Pairs  (268  f.)  getötet, 
und  es  bleibt  richtig  noch  einer,  Margaretus,  übrig  (279  ff.).  Hier 
ist  die  Ziffer  (2  X  5  =)  10  durchaus  an  ihrer  Stelle,  es  liegt  gar 
kein  Mißverständnis  auf  Seiten  des  Carmendichters  vor,  wie 
Voretzsch  meint.  Dagegen  muß  dieselbe  Zahl  in  dem  oben  zitierten 
Vers  Rld.  1308  auffallen.  Wie  kommt  Turoldus  dazu,  gerade 
zwischen  10  und  11  den  Schnitt  zu  machen?  Warum  nicht 
zwischen  11  und  12,  wo  doch  eben  nur  einer  von  den  12  entrinnt 
imd  sich  dadurch  gegen  die  übrigen  abhebt!  Der  Rolanddichter 
hängt  hier  augenscheinlich  an  der  Zahlenangabe  seiner  lateinischen 
Vorlage.  Betrachten  wir  sein  Verfahren  im  einzelnen,  so  wird 
diese  Abhängigkeit  noch  deutlicher.  Ganz  dem  C  entsprechend, 
läßt  Turoldus  erst  durch  Rolands  Hand  den  Aelroth  fallen;  dann 
treten  die  5  Frankenpairs  auf,  die  in  C  267  mit  Namen  gegeben 
waren  (Olivier  und  Turpin  kommen  als  die  bedeutenderen  voran), 
und  nun  läßt  den  Dichter  die  Vorlage  mit  dem  alii  quinque  268 
allein.  Die  fehlenden  Namen  müssen  beschafft  werden:  zwei 
waren  noch  aus  dem  weiteren  Schlachtbericht  im  C  zu  entnehmen, 
Anscis  (C  317)  und  Engeliers  (C  305);  sie  kommen  denn  aucli 
zunächst  heran.  Den  ^^'alterus  (C  421.  425)  kann  Turoldus  nicht 
Jn-auchen,  (hi  er  ihn  schon  vorher  detachiert  hat  (L.  66V  Da 
greift  er  denn  auf  die  Namen  zurück,  die  er  sich  L.  65  zusammen- 
gesucht hatte  und  holt  sich  daher  Oton  und  Rerengier.  Damit 
sind  10  Sarazenenpairs  durch  10  ihrer  christlichen  Gegner  erledigt. 
Die  Tatsache  wird  getreu  der  lateinischen  Vorlage  nach  gebucht. 


Beiträge  zur  Rolandsjor sehnig.  97 

Da  Turoldus  in  der  Zelinzahl  den  Aelroth  eingerechnet  hat,  das 
C  aber  nicht,  so  kommt  im  Rld.  die  Zahlenangabe  an  eine  Stelle 
zu  stehen,  wo  sie  für  den  Gang  der  Erzählung  ganz  belanglos  ist. 
Dem  Rolanddichter  bleiben  12  —  10  =  2  (statt  wie  im  C  12  — 
(1  +  2  X  5)  ==  1)  sarazenische  Pairs  übrig,  Chernubles  und  Mar- 
gariz.  Statt  nun  zwei  weitere  Frankenpairs  gegen  die  beiden 
aufzubieten,  wie  man  erwarten  sollte,  fängt  Turoldus  mit  Olivier 
wieder  von  vorn  an,  dem  dann  Roland  als  Gegner  des  12.  Sara- 
zenen folgt  (vgl.  Vorgesch.  106).  Das  verstärkt  noch  den  Schnitt 
zwischen  No.  10  und  11,  und  daß  hier  die  Zahlen  der  lateinischen 
Vorlage  die  Logik  der  Handlung  durchkreuzend  eingewirkt 
haben,  das  wird  noch  dadurch  nahegelegt,  daß  Chernubles  als 
zwölfter  getötet  wird,  hinter  Margariz,  der  entkommt;  als  ob 
Turoldus  sich  auf  die  vergessene  Nummer  12  nachträglich  be- 
sonnen hätte. 

Der  Vergleich  der  obigen,  von  Voretzsch  angezogenen  Stelle 
spricht  also  eher  dafür,  daß  Turoldus  in  Abhängigkeit  vom  C 
ist,  als  für  das  umgekehrte  Verhältnis. 

Andere  Argumente  hat  Stengel  (diese  Zs.  XXVIII^  25) 
dafür  beibringen  wollen,  daß  C  seine  Vorlage  rücksichtslos  ge- 
kürzt habe.     So  habe  er  den  Namen  Rencesvals  ausgelassen. 

Im  gleichen  Sinne  fragt  Becker  (Literaturbl.  XXVI  241): 
,,Weil  Roncevaux  in  den  Distichen  nirgends  steht,  soll  der  Name 
im  Ur- Roland  gefehlt  haben  ?"  An  einen  schriftlich  fixierten 
französischen  Ur-Roland  glauben  wir  nicht  mehr.  Daß  aber  die 
(ihrem  Inhalt  und  ihrer  Ausdelmung  nach  violleicht  recht  geringe) 
Sage,  aus  der  das  C  geschöpft  hat,  daß  diese  ursprüngUche  Roland- 
sage schon  den  Namen  Roncevaux  in  sich  beschlossen  hat,  das 
bezweifle  ich  allerdings,  und  stimme  darin  vielleicht  mit  meinem 
verelirten  Gegner  zusammen.  Die  Sage  ist  in  Geographie  schwach. 
—  Auch  daß  der  Dichter  des  C  diesen  Ortsnamen  überhaupt 
gekannt  hat,  glaube  ich  nicht.  Die  alten  historischen  Berichte 
bieten  doch  den  Namen  Rencesvals  nicht.  Turoldus  allerdings 
hat  Roncevaux  aus  eigner  Anschauung  kennen  gelernt  (so  mit 
Recht  Becker,  Grundr.  36).  Daß  in  der  Handschrift  des  C  das 
erste  Incipit  lautet:  Incipit  prologus  in  hello  de  Runcevalle^  be- 
weist nichts  —  dieses  Incipit  kann  ja  von  irgend  welchem  .Schreiber 
herrühren. 

,,Man  beachte  ferner,  daß  Rollandus  21,  Oliverus  225,  Tur- 
pinus  267  ohne  weitere  Angabe  eingeführt,  also  als  anderweit 
bekannt  vorausgesetzt  werden;  dasselbe  gilt  von  consul  Gueno  39." 
So  fährt  Stengel  fort.  Nun  Gueno  wird  doch  durch  die  Be- 
zeichnung ,Graf'  wenigstens  etwas  näher  bestimmt.  Für  Olivier 
holt  C  241  zum  Teil  die  Einführung  nach  [Huic  comes  in  primis 
Oliverus. . .).  Aber  wie  werden  denn  Roland  und  Olivier  im 
Rld.  eingeführt  ? 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  7 


S8  Wilhelm   Tavernier. 

103  Charles  li  magnes  estoit  en  un  vergier, 
Ensembl'od  lui  Rollanz  et  Oliviers. 

Erst  im  Verlauf  des  Epos  erfährt  der  Hörer  näheres  über  diese 
beiden;  am  meisten  charakterisieren  sie  sich  doch  selbst  durch 
ihre  Handlungen.  Nicht  anders  ist  Vergil  vorgegangen;  man 
vgl.  H  e  i  n  z  e  ,  Vergils  epische  Technik^  1908,  ^S.  374  ff.  Oft 
werden  in  der  Aen.  nähere  Angaben  über  die  Personen  erst  dann 
gemacht,  ,,wenn  sie  ihre  Hauptszene  zu  spielen  haben."  Oder 
man  lese  z.  B.  III  239  f. 

. .  .  dat  Signum  specula  Misenus  ab  alta 

Aere   cavo.   invadunt   socii   et   nova  proelia  temptant  .... 

Kein  Wort  darüber,  wer  Misenus  war;  sein  Tun  erklärt,  was  der 
Leser  wissen  soll. 

So  zeigt  sich  überhaupt  bei  vergleichender  Betrachtung 
andrer  Dichtwerke  Stengels  Argument  als  hinfällig.  Hat  auch 
Homer  gekürzt,  weil  ,,es  ihm  nicht  eingefallen  ist,  zu  sagen, 
wer  Achill  oder  Agamemnon  war"  ?  Stengel  sieht  fälschlich  in 
einem  naiv  oder  bewußt  gebrauchtem  Kunstmittel  dichterischer 
Erzählung  ein  Indizium  für  nachträgliche   Kürzung. 

Auf  einem  Versehen  beruht  wohl  der  nächste  Satz  Stengels: 
,,Turpinus  wird,  ebenso  wie  241  Oliverus,  421  sogar  comes  titu- 
liert, wogegen  451  scharf  kontrastiert."  An  beiden  Stellen  heißt 
doch  comes  Begleiter! 

419  Rollandus  jam  non  vexat  nisi  tercius  liostes, 
Tercius  impugnat,  tercius  obstat  eis; 
Turpinus  comes  huic  hinc,  Walterus  comes  inde. 

Von  Wichtigkeit  dagegen  ist  die  Feststellung  Stengels 
(S.  31),  daß  der  geistliche  Stand  Turpins  nirgends  angegeben 
wird.  Es  wird  sich  so  erklären  lassen,  daß  das  Carmen  in  der 
Diözese  von  Reims  entstanden  ist,  wo  Turpin,  der  große  Erz- 
bischof, unvergessen  war  (vgl.  Becker,  Grundr.  46).  Im  Ver- 
hältnis zur  Länge  des  C  tritt  Turpinus  stark  hervor,  relativ  mehr 
als  im  Rld.  (vgl.  C  267,  295—301,  319,  335—346,  369,  421,  437 
bis  452).  Und  wir  werden  weiter  unten  noch  anderweitige  Indizien 
dafür  antreffen,  daß  das  Carmen  mit  Reims  und  seinem  Sprengel 
zusammenhängt.  Da  das  C  ein  Schulbuch,  für  Klosterschulen 
berechnet,  ist,  war  ein  Prädikat  für  den  gefeierten  Wohltäter 
der  Reimser  Kirche,  den  Günstling  des  großen  Karls,  nicht 
nötig. 

Wir  kommen  nun  zu  einigen  Argumenten  Beckers  (Literatur- 
blatt XXVI,  S.  241). 

„Weil  in  den  lateinischen  Versen  nirgends  Carolus  Magnus 
{—^  —  l  —  —)  vorkommt,  sollte  es.  nicht  in  der  franz.  Vorlage 
gestanden  haben?"  Ja  das  unglückliche  ,, Schlüssel" wort  Char- 
lemagne    müssen    wir    allerdings    preisgeben.      Stengel    hat    mit 


Beiträge  zur  Rolandsforschuii^.  99 

seinem  Einwand  (diese  Zs.  XXVIII-  32  f.)  Reclit.  Die  betr.  Stelle 
meiner  Vorgescli.  (S.  19),  in  den  schon  1901  ausgedruckten 
Dissertationsbogen,  entsprach  einem  nachher  überwundenen 
Stadium  der  Untersuchung,  wo  wir  naiverweise  die  älteren  Teile 
des  Rlds.  noch  für  herausschälbar  hielten.  Alte,  liebe  Zeit!  Mit 
der  Leugnung  einer  französischen  Vorlage  für  das  C  wird  das 
ganze  Indizium  ja  hinfällig.  Doch  mag  dem  oben  zitierten  Satz 
Beckers  gegenüber  bemerkt  sein,  daß  im  C  immer  Karolus  ge- 
messen wird  (3.  35.  113.  145.  173.  180.  429),  und  daß  Karolus 
Magnus^  Karolum  Magnum  sehr  gut  in  den  Hexameter  hinein- 
paßt, sobald  das  folgende  Wort  konsonantisch  anlautet  (Genit., 
Dativ,  Abi.  passen  stets).  Wenn  nun  wirkhch  C  das  Rld.  gekürzt 
hätte,  wäre  es  allerdings  auffallend,  daß  dem  lateinischen  Dichter 
nicht  auch  einmal  ein  Karolus  Magnus  untergelaufen  ist.  Aber 
lassen  \\dr  hier  immerhin  den  Zufall  gelten,  so  gut  er  sich  auch 
in  das   System  unserer  Auffassungsweise  einfügt. 

,,Weil  der  lateinische  Versifex  die  Verwandtschaftsbeziehun- 
gen nirgends  ausdrücklich  erwähnt,  sollen  sie  jüngere  Erfindung 
sein  ?"  Diese  Frage  Beckers  möchte  ich  allerdings  bejahen. 
Irgend  einer  muß  doch  nun  einmal  z.  B.  das  Onkelverhältnis 
Karls  zu  Roland  ersonnen  haben.  Warum  sollte  es  nicht  Turoldus 
gewesen  sein!  Die  französische  Epik  spinnt  ja  vor  unsern  Augen 
solche  Verwandtschaftsverhältnisse  aus.  In  dem  regret  des  C  für 
Roland  (465 — 472)  keine  Erwähnung  seiner  Verwandtschaft  mit 
Karl,  und  bei  Karls  Trauer  um  die  Toten  (475—479)  von  Roland 
nicht  die  Rede.  Das  spricht  doch  dagegen,  daß  dem  Lateiner 
etwas  von  diesem  besonderen  Verhältnis  Rolands  zu  Karl  be- 
kannt gewesen  ist.  Anderseits  kann  man  leicht  erklären,  wie 
Turoldus  zu  dem  Motiv  gekommen  ist.  Der  erste  der  sarazeni- 
schen Pairs  war  im  C  als  des  Marsilius  Neffe  eingeführt,  und  wie 
nun  Turoldus  Pendants  schaffen  mußte  bis  ins  Kleinste,  so 
machte  er  auch  den  vornehmsten  christlichen  Kämpfer  zum 
Neffen  seines  Herrn  und  Kaisers. 

Was  wir  bisher  an  vermeintlichen  Kürzungen  des  C  be- 
sprochen haben,  betrifft  Kleinigkeiten,  Auslassung  von  Namen, 
einführenden  Bezeichnungen  und  Verwandtschaftsbeziehungen. 
Wenn  man  mit  Voretzsch  solche  Kürzung  im  Kleinen  zugeben 
woJlte,  so  wäre  damit  noch  gar  nicht  bewdesen,  daß  der  Dichter 
des  C  so  \\dchtige,  so  spannende  oder  so  umfangreiche  Episoden 
seiner  Vorlage  stillschweigend  übergehen  konnte,  wie  die  Blan- 
candringesandtschaft,  die  dulor  de  la  mort  de  Rollant,  Rolands 
Abschied  von  Durendal,  die  Baligantschlacht,  schön  Aldas  Tod. 
Es  bleiben  alle  die  schweren  Bedenken  zu  Recht  bestehen,  die 
wir  Vorgesch.  11  f.,  202  Anm.  366,  diese  Zs.  XXVF  S.  154  f. 
formuliert  haben.  Eingegangen  auf  diese  Bedenken  ist  eigent- 
lich nur  Becker;  aber  folgen  wir  seinen  Erklärungsversuchen 
(Literaturbl.  XXVI  240). 


100  Wilhelm   Taveniier. 

„Man  denke  sich  nur,  was  man  selber  anfinge,  wenn  einem 
etwa  als  Aufnahmebedingung  für  das  Seminar  die  Aufgabe  ge- 
stellt würde,  ein  Stück  aus  den  Nibelungen  oder  dem  Rasenden 
Roland  in  französischen  Alexandrinerpaaren  wiederzugeben!" 
Der  Vergleich  ist  weit  hergeholt  und,  scheint  mir,  nicht  gan7> 
zutreffend.  Einmal  wäre  jedem  Seminaraspiranten  soviel  dich- 
terische Fertigkeit  im  Französischen  zu  wünschen,  als  sie  unser 
,,Versifex"  im  Lateinischen  besaß.  Sein  Stil  mag  manchem  nicht 
behagen,  er  ist  gewiß  etwas  gesucht  und  eintönig,  aber  die  Technik 
beherrscht  er  doch  durchaus.  Die  hätte  ihn  nicht  gehindert, 
in  seiner  Art  zu  sagen,  was  er  nur  immer  wußte  und  wollte. 
Aber  gehen  wir  selbst  auf  das  Bild  ein,  nehmen  wir  an,  es  hätte 
jemand  nach  dem  Nibelungenlied  Siegfrieds  Tod  in  französischen 
Alexandrinern  zu  erzählen  und  wäre  halbwegs  bei  gesundem 
Verstand:  dann  müßte  es  mit  schlimmen  Dingen  zugehen,  wenn 
er  eine  so  grandiose  Szene  wie  das  Bluten  des  Leichnams  in 
Gegenwart  des  Mörders  ganz  wegließe,  dafür  an  die  detaillierte 
Beschreibung  der  Jagd  im  Odenwald  etwa  ein  halb  hundert  Verse 
wendete.  Nun,  wie  gesagt,  das  Bild  an  sich  ist  wenig  zutreffend. 
Auch  nicht,  was  in  Beckers  Argumentation  damit  zusammen- 
hängt: ,,Man  mutet  dem  lateinischen  Versifex  da  eine  Geduld, 
eine  Fertigkeit,  auch  soviel  Zeit  und  Muße  zu,  wie  er  sie  kaum 
besaß."  Ja  warum  denn  nicht?  Wenn  irgend  ein  Gedicht  keine 
Spuren  der  Eile  verrät,  so  ist  es  das  C.  Mit  dem  geringsten 
Gedanken  spielt  noch  der  Dichter  seltsam  hin  und  her,  wie  Kinder 
mit  Seifenblasen;  er  selbst  ein  glückliches  Kind  jener  Zeit,  da 
das  time  is  money  noch  nicht  erfunden  war. 

Daß  der  ,, Geburtstag  eines  Gönners"  zur  Eile  getrieben 
habe,  wie  es  Becker  als  Möglichkeit  hinstellt,  ist  doch  eine 
grundlose  Annahme,  um  so  mehr  als  wir  dann  doch  wohl 
eine  Dedikation  erwarten  dürften.  Wenn  Becker  weiter 
unser  C  ,, vielleicht  als  Schularbeit"  gedichtet  sein  läßt,  so 
unterschätzt  er  unser  Gedicht.  Die  fest  ausgeprägte  Manier, 
ein  deutliches  Streben  nach  psychologischer  Motivierung,  die  bis 
zum  Komplizierten  geht  (das  hat  Voretzsch  a.  a.  0.  S.  723 
treffend  bemerkt),  schließen  den  Gedanken  an  einen  krassen 
Anfänger  aus.  Man  mag  allenfalls  von  ,, Abiturientenarbeit"  red(Mi, 
wobei  aber  jede  Gedankenverbindung  mit  ,Eile'  fortfallen  muß. 
Das  C  ist  doch  eher  das  Werk  eines  Scholastikus,  eines  jungen 
Lehrers  vielleicht,  der  in  usum  scholarum  gedichtet  hat,  den 
adligen  Schülern  seiner  schola  externa  an  einem  drastischen  Bei- 
spiel das  wichtigste  Adelsgebot  jener  Zeit  zu  Gemüte  führend: 
Du  sollst  nicht  verraten,  dabei  allerlei  nützliche  Belehrung, 
betreffend  Taktik,  Pferdekenntnis  und  anderes  einschiebend.  — 
,,Weil  der  Verfasser  des  C  sich  vorgenommen,  seine  Kunstfertig- 
keit am  Roland  zu  üben,  nimmt  man  als  selbstredend  an,  daß 
er  gleich  zwei-  bis  dreitausend  Disticha  schreibt  und  setzt  voraus, 


Beiträge  zur  Rolandsforschung.  101 

daß  er  für  alles,  was  seine  Vorlage  enthält,  auch  den  entsprechenden 
Ausdruck  zur  Verfügung  hat."    Nicht,   daß  er  ungefähr  gerade 
soviel  \'erse  macht  als  seine  Vorlage,  müßten  wir  als  wahrschein- 
lich fordern,  aber  daß  der  Lateiner  nicht  die  markantesten,  auch 
in  mittelalterlichem    Sinne  interessantesten   Episoden  mit   Still- 
schweigen  übergeht   und   andrerseits   in    Schilderungen,   Zahlen- 
angaben, taktischen  Details  von  verblüffender  Treue  ist.     Und 
noch  viel  mehr  Erklärung  müssen  wir  von  den  Vertretern  der 
Kürzungshypothese   fordern.     Wir  werden  gleich  unten  die  Be- 
denken   gegen    jene    Hypothese    rubrizieren,    um    darzutun,    in 
welche    Unwahrscheinlichkeiten    sich    die    Verfechter    derselben 
stürzen.    Vorher  sei  noch  einmal  betont:  daß  der  Lateiner  ebenso- 
gut die  Blancandringesandtschaft  hätte  wiedergeben  können  wie 
die  Gesandtschaft  Ganelons,  ebensogut  die  letzten  Hiebe  Duren- 
dals    wie    manchen    Hieb    vorher,    ebensogut    schön   Aldas    Tod 
schildern  wie   den  Oliviers,  Turpins,    Rolands,   daran  sollte  kein 
Zweifel  sein.  —  Auch  der  Ausweg  sei  zurückgewiesen,  daß  der 
,,Versifex"   etwa  aus  dem   Gedächtnis  nachgedichtet  hätte   und 
daß  dadurch  die  seltsamen  Auslassungen  und  Abänderungen  zu 
erklären  seien  (so  Stengel,  diese  Zs.   XXVIIP,  S.  32).    Das  ist, 
wie    wir    oben    gezeigt     haben,    ausgeschlossen:    die    eine    der 
beiden  Dichtungen  muß  dem  Verfasser  der  anderen  vorgelegen 
haben  oder  von  ihm  völlig  auswendig  gewußt  sein.  —  Endlich 
sei    der    Vollständigkeit    halber    gegen    eine    Wendung    Stengels 
protestiert  (diese  Zs.  XXVIIF^,  S.  32):  ,, Bedenkt  man  nun,  daß 
C  nur  in  lückenhafter  Form  auf  uns  gekommen  ist,  ..."     Ein 
einziger  Pentameter  fehlt  (252),  wohl  durch  Abschreiberversehen. 
Selbst  an  dieser  Stelle  ist  für  den  Sinn  keine  Lücke,  und  sonst 
erst  recht  nicht. 

\¥ir  haben  nun,  bis  auf  den  letzten  Buchstaben,  wirklich 
alles  Revue  passieren  lassen,  was  unseres  Wissens  je  an  Argu- 
menten dafür  beigebracht  worden  ist,  daß  das  C  eine  Kürzung 
sei.  Die  Beweispflicht  in  unserer  Sache  fällt  durchaus  der  Gegen- 
seite zu;  das  Präjudiz  ist  dafür,  daß  die  brevior  lectio  in  jener 
Zeit  auch  das  Ursprünglichere  sei.  Man  weise  ein  Dichtwerk 
des  11.  und  12.  Jahrliunderts  auf,  das  ein  anderes  so  gekürzt  hat 
wie  der  Carmendichter  es  mit  dem  Rld.  getan  haben  soll.  Er- 
weiterung, Ausschmückung  ist  überall  die  Regel.  Mögen  die 
Leser  urteilen,  ob  die  Vertreter  der  Kürzungshypothese  ihrer 
Beweispflicht  genügt  haben.  Mir  will  scheinen,  daß  nur  recht 
kleine  Dinge  vorgebracht  worden  sind,  im  Vergleich  zu  den 
großen  Fragen,  welche  die  Gegenseite  beantworten  müßte. 
Formulieren  wir: 

1.  Wie  ist  es,  bei  obiger  Hypothese,  zu  erklären,  daß  sich 
der  Abbreviatur,  der  in  soviel  Kleinem  so  getreu  seiner  Vorlage 
folgt,  gerade  die  Höhepunkte  der  Handlung  hat  entgehen  lassen, 
die  dulor  de  la  mort  de  Rollant^  Rolands  Abschied  von  Durendal, 


102  Wilhelm  Tcweniier. 

schön  Aldas  Tod,    Szenen,   die  mittelalterliche  Menschen  nicht 
weniger  rührten  als  uns  ? 

2.  Wie  ist  es  möglich,  daß  er  bei  dieser  Kürzung  zufällig 
eine  ganze  Reihe  von  Widersprüchen  und  Unebenheiten  beseitigt 
hat,  die  in  seiner  Vorlage  unverkennbar  sind  ? 

3.  Wie  ist  es  möglich,  daß  er  ebenso  zufällig  alles  Wunder- 
bare, alles  Ahnungsvolle,  das  doch  über  das  ganze  Rld.  hin 
zerstreut  ist,  Vorzeichen,  Träume,  Engel,  die  auf-  und  nieder- 
steigen, reinlich  vermieden  hat  ? 

4.  Wie  ist  es  mögUch,  daß  der  Abbreviator  zufällig  alles 
übergangen  hat,  was  an  Namen,  faktischen  Anspielungen,  an 
Gesinnungen  und  Stimmungen  im  Rld.  auf  den  Kreuzzug  zurück- 
geht, auch  dies  alles  nicht  nur  in  der  Baligantepisode  vorkommend  ? 

5.  Wie  ist  es  möglich,  daß  der  Abbreviator  zum  Übermaß 
des  Zufalls  noch  alles  weggelassen  hat,  was  der  Rolandsdichter 
aus  der  Aneide  und  der  Pharsalia  übernommen  hat  ? 

6.  Wie  kommt  es,  daß,  was  das  Rld.  mehr  hat  als  das  C, 
durchaus  dem  entspricht,  was  dem  späteren  Epos  eigen  ist  gegen- 
über dem  früheren  Lied,  dem  entspricht,  was  auch  sonst  dichte- 
rische Bearbeiter  ihrer  Vorlage  einzufügen  pflegen  ?^^) 

Diese  Kette  von  Fragen  verlangt  denn  doch  eingehendere 
Beantwortung,  als  bisher  gegeben  worden  ist.  Nichts  könnte 
uns  lieber  sein,  als  wenn  sich  der  verehrte  Verfasser  des  ,, Grund- 
risses der  altfranzös.  Literatur"  zu  solcher  Entgegnung  entschlösse. 

Die  bisherigen  Lösungsversuche  gingen  nach  zwei  Richtungen. 
Stengel  und  Becker  meinen  im  wesentlichen:  alles  erklärt  sich 
daraus,  daß  der  Verfasser  des  C  ohne  jedes  Verständnis  und  in 
großer  Eile  und  Flüchtigkeit  gearbeitet  hat.  Dem  steht  aber 
Punkt  2  gebieterisch  entgegen.  Ein  ungeschickt  und  eilig  dich- 
tender Abbreviator  hätte  doch  nicht  zufälhg  eine  ganze  Reihe 
von  Widersprüchen  aus  seiner  Vorlage  getilgt.  Wie  kann  der 
von  Becker  supponierte  täppische  Geselle  in  der  Wiedergabe  von 
Ganelons  Gesandtschaft  einen  so  viel  wahrscheinlicheren,  wider- 
spruchslosen Bericht  bieten  gegenüber  dem  stark  abweichen- 
den, recht  wenig  plausiblen  im  Rld.  ?  Das  führt  hinüber 
zu  einem  gewichtigeren  zweiten  Einwand.  Es  ist  noch  nicht 
genügend  betont  worden  (allein  Voretzsch  hat  dahingehören- 
des beigebracht;  vgl.  seine  ,  Einführung'  118  und  oben), 
wieviel  Eigenes,  wieviel  vom  Rld.  Abweichendes  doch  das 
C  bietet.  Das  wird  die  Zusammenstellung  weiter  unten 
zeigen.  Dieses  Maß  von  Selbständigkeit,  von  Abweichungen 
(und  nach  der  Richtung  des  Logischen  hin)  verträgt  sich  nicht 
mit  der  Annahme  von  flüchtiger  Anfängerarbeit.     Und  noch  sei 

^")  Vgl.  Vorgesch.  13.  Hier  sind  an  wichtigem  inzwischen  die 
treffenden  Ausführungen  H  e  u  s  le  r's  in  ,Lied  und  Epos',  1905, 
besonders  S.  21  f.,  34  f.  hinzugekommen.  Darüber,  und  über  einen 
von  Stengel  (diese  Zs.  XXVIIP,  S.  33)  erhobenen  Einwand  unten  mehr. 


Beiträge  zur  Rolandsjorschung.  105 

in  diesem  Zusammenhang  wiederliolt :  wenn  der  Versifex  so  oilig- 
nach  einer  französischen  Vorlage  arbeitete,  wie  Becker  annimmt, 
dann  muß  es  zum  mindesten  auffallen,  daß  nicht  hier  und  da 
ein  Gallizismus  unterlaufen  ist.  Davon  findet  sich  im  C  keine 
Spur,  weder  was  Wortschatz  noch  was  Syntax  anlangt. 

Im  besonderen  von  der  Blancandrinepisode  ausgehend,  hat 
ein  andrer  Vertreter  der  Kürzungshypothese  Erwägungen,  wie 
den  obigen,  nachgegeben,  und  demgemäß  einen  neuen  über- 
raschenden Erklärungsversuch  gewagt.  Fraccaroli  meint 
(a.  a.  0.,  S.  271):  ,,Se  dunque  di  Biancandrino  non  parla  ne  il 
Carmen  ne  la  Cronaca  di  Turpino,  e  un  mero  asserto  gratuito  il 
(lire  che  questi  rappresentano  una  fase  anteriore  della  leggenda:: 
piü  probabilmente  anzi  i  loro  autori...ragionarono 
come  ragiona  G.  Paris,  sceverarono  tra  le  diverse  ver- 
sioni  quella  che  razionalmente  pareva  meglio  attendibile,  e 
cercarono  di  eliminare  ciö  che  parve  loro  o  contraddittorio  o 
superfluo." 

Der  Verfasser  des  G  ist  also,  nach  Fracc,  bei  seiner  Kürzung 
planmäßig  vorgegangen.  Von  denselben  Erwägungen  geleitet 
wie  G.  Paris  schied  er  alles  Widerspruchsvolle  im  Rld.  aus.  Da 
wird  man  entgegnen  müssen:  w^arum  schied  denn  der  wohl- 
weislich schaltende  Abbreviator  gerade  die  wirkungsvollsten 
Szenen  aus,  warum  alles  Wunderbare,  Kreuzzughafte,  Vergilische 
seiner  Vorlage!     Fracc.  dürfte  die  Antwort  schwer  fallen. 

Wir  stellen  fest,  daß  sich  die  Kürzungshypothesen  Stengel- 
Beckers  und  Fraccarolis  wie  zwei  Löwen  gegenseitig  auffressen. 
Die  beiden  Erklärungsversuche  heben  einander  auf.  Die  Hypo- 
these ist  eben  falsch.     Das  C  ist  keine  Kürzung. 


III. 
Tnrolduü. 

In  unserer  ,, Vorgeschichte"  hatten  wir  unter  dem  Strich 
(S.  193  ff.)  die  Hypothese  gewagt,  der  Turoldiis  in  V.  4002  sei 
mit  dem  gleichnamigen  Bischof  von  Bayeux  zu  identifizieren. 
Bisher  ist  von  keiner  Seite  auf  diese  Vermutung  eingegangen 
worden.  Stengel  findet  augenscheinlich  wenig  Gefallen  an 
unserer  Hypothese  (,,Tav.  wdll  ja  auf  Grund  der  vielbesprochenen 
Schlußzeile  von  0  sogar  den  Bischof  von  Bayeux  erkennen", 
diese  Zs.  XXVIII^,  1905,  S.  33).  P  h.  Aug.  Becker  reiht 
in  seinem  Grundriß  (1907,  S.  42  f.)  den  Turoldus  von  Bayeux 
ohne  weitere  Bemerkung  drei  anderen  Trägern  jenes  Namens 
an,  in  denen  man  vor  uns  den  Dichter  des  Rolandsepos  ver- 
mutet hat. 

Wir  kommen  auf  die  Frage  zurück,  nachdem  einige  historische 
Veröffentlichungen  in   der   Zwischenzeit   neue   und   bedeutsame 


104  Wilhelm  Tavernier. 

Aufschlüsse  die  Persönlichkeit  und  die  Schicksale  unseres  Turoldus 
betreffend  gebracht  haben. 

In  demselben  Jahre,  in  dem  wir  unsere  Dissertation  abge- 
schlossen hatten,  erschien  Poree:  Histoire  de  Tabbaye  du 
Bec.  Tom.  I.  Evreux  1901.  Das  Werk  bot  einige  auf  Turoldus 
bezügliche  Daten,  und  wurde  uns  besonders  wichtig  durch  den 
Hinweis  auf  ein  früheres  Buch  des  nämUchen  Verfassers,  L'abbaye 
du  Bec  et  ses  ecoles,i^)  1045—1792,  in  Evreux  1892  erschienen. 
Dort  findet  sich  S.  65  ff.  aus  Ms.  lat.  13575  der  Biblioth.  nationale 
ein  Brief  an  unsern  Turoldus  abgedruckt.  Ein  Mönch,  der  zwischen 
1130  und  1160  im  Kloster  le  Bec  lebte,  hat  ihn  verfaßt  (Abbaye  63; 
Histoire  I,  534).  ,,L'auteur  de  la  lettre  avait  sans  doute  ete 
envoye  en  residence  dans  quelque  prieure  de  l'ordre;  c'est  de  lä 
que  partit  cette  epitrc  dictee  par  l'affection  austere  qui  unissait 
le  religieux  ä  Tancien  eveque"  (Poree,  Histoire  I,  536).  Der 
Brief  verstärkt  willkommenerweise  das  Licht,  das  Anselms  schon 
bekanntes  Schreiben  auf  des  Turoldus  Persönlichkeit  geworfen 
hatte.  12) 

Weit  wichtiger  noch  ist  ein  Fund,  den  wir  dem  gelehrten 
Benediktiner  M  o  r  i  n  in  Maredsous  verdanken.  Es  handelt 
sich  um  einen  bisher  unbeachtet  gebliebenen  Brief  des  Papstes 
Paschalis  II.  an  Klerus  und  Volk  von  Bayeux.  Morin  hat  ihn 
aus  Ms.  Hatton  23  der  Bodleiana  in  der  Revue  d'histoire  ec- 
clesiastique,  Tom.  5,  1904,  S.  284  ff.  abgedruckt  und  in  trefflicher 
Weise  kommentiert  (,, Lettre  inedite  de  Pascal  II,  notifiant  la 
deposition  de  Turold,  eveque  de  Bayeux,  puis  moine  du  Bec 
«8  oct.  1104».").  Nun  endlich  erfahren  wir  den  wahren  Grund  für 
des  Turoldus'  Abdankung  und  erhalten  damit  den  Schlüssel  zu 
seinem  Schicksal.  Die  Leser  werden  sehen,  daß  es  nicht  weniger 
interessant  ist  als  seine  Persönlichkeit. 

Es  lohnt  nicht,  hier  noch  einmal  auszuschreiben,  was  wir 
früher  bereits  über  Bischof  Turoldus  von  Bayeux  zusammen- 
getragen haben;  wir  bringen  im  folgenden  nur  die  Ergänzungen 

^^)  Vorhanden  in   ßerhn,    König!.   Bibl. 

^2)  Ob  der  Brief  wirklich  an  Turoldus  abgeschickt  worden,  ist 
fraglich ;  er  könnte  auch  ein  rein  literarisches  Produkt  sein.  H  a  u  r  e  a  u 
urteilt  über  diesen  und  die  übrigen  Briefe  desselben  Unbekannten: 
,,Nous  croyons  bien  qu'elles  sont  reelles,  mais  nous  ne  le  garantissons 
pas;  il  est  possible  que  nous  ayons  encore  lä,  non  pas  de  vraies 
missives,  mais  une  ceuvre  litteraire"  (Notices  et  extraits  de  quelques 
manuscrits  latins  de  la  Bibliotheque  nationale,  II,  S.  233).  Die 
Frage  ist  für  unsere  Untersuchung  kaum  von  Belang.  Turoldus  hat 
bis  gegen  1146  im  Kloster  Bec  gelebt.  Der  Unbekannte  wird  ihm 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  persönlich  nahe  gestanden  haben.  Und 
hätte  er  den  Exbischof  selbst  nicht  mehr  mit  Augen  gesehen,  es 
waren  doch  zu  viele  Brüder  noch  aus  Turoldus  Zeit  da,  als  daß  er  dessen 
Charakterbild  hätte  fälschen  können.  Und  nur  um  die  P  e  r  s  ö  n  1  i  c  h  - 
k  e  i  t  des  Exbischofs  handelt  es  sich  hier. 


Ht-ilräge  zur  Rolandsforschuno.  105 

und  Berichtigungen,  die  sich  aus  den  neueren  Veröffentlichungen 
ergeben. 

Was  zunächst   die   Heimat  des  Turoldus  anbetrifft,  so  ist 
das  Vorgescli.  196  aus  Hermant,  Histoiro  du  diocese  de  Bayeux 
(Partie   I),  Caen   1705,   S.   151   Übernommene  zurückzunehmen. 
Woher   Hermant  den  Namen  von  Turoldus  Vater  kennt,  ver- 
mögen wir  nicht  zu  sagen;  bis  auf  weiteres  wird  man  seiner  An- 
gabe hierin  so  wenig  trauen  können  wie  in  bezug  auf  das  Wappen 
,,de  la  famille  de  Turoldus  de  Bremoy.'     Der  gute  Pfarrer  von 
Maltot  (bei  Evrecy,   Dep.  du  Calvados)  ist  augenscheinlich  nur 
durch  ein  Versehen  auf  Bremoy  gekommen.     Er  oder  schon  vor 
ihm  jemand   hat  das    Ebremoii   bei   Ordericus  Vitalis   (Historia 
ecclesiastica,  X  4.  ed.  Le  Prevost,  Tom.  IV,  Parisiis  1852,  S.  18) 
auf  das  ihm  näher  liegende  Bremoy  bezogen.     Es  handelt  sich 
aber  um  Envermeu,  14  km  östlich  von  Dieppe,  unweit  der  Grenze 
des  pikardischen  Sprachgebietes.    Dort  ist  Turoldus'  Heimat  ge- 
wesen.    Und  wenn  wir  in  unserem  Turoldus  den  Dichter  des 
Roiandrepos  sehen,  dann  verstehen  wir  eine  Tatsache,  die  bis- 
her rätselhaft  erscheinen  mußte.    Wir  denken  an  den  pikardischen 
Einschlag  in  der  Sprache  des  Rlds.     Da  ist  zunächst  das  -omes 
der  1.  Person  Plur.  (V.  391  (:);  V.  640b  und  922  hat  Stengel  das 
von  einem  Kopisten  wohl  nicht  ohne  Absicht  umgangene  -omes 
mit  Recht  wieder  hergestellt).  —  Das  Wort  destourhier  (:2548) 
hat  R.  B  c  r  g  e  r  ,,auf  Grund  der  großen  Wörterbücher  und  der 
Glossare  zu  den  Ausgaben  der  entsprechenden  Texte  vorherrschend, 
wenn  nicht  ausschUeßlich  in  Werken  bezw.  Handschriften  eines 
begrenzten     nordöstlichen    Bezirks     gefunden"    (Canchons     und 
Partures  des  altfranzös.  Trouvere  Adan  de  le  Haie,  Bd.  I,  Halle 
1900,  S.  40).  -  -  Noch  sei  Wendelin  F  o  e  r  s  t  e  r  zitiert  (Zs.  f. 
roman.  Philol.,  XXVIII,  1904,  S.  505,  Anm.  1):  .,in  der  ersten 
Tirade  des  Roland"  ist  ,/time  unter  den  -digne  z.  B.  im  Pikardischen 
vollständig  berechtigt";    vgl.  das  aimet  1092   in    rm-e- Assonanz. 
Auch  in  der  zwiespältigen   Behandlung  des   ai  wird  das   Nach- 
\Narken     einer     in    der    Pikardie    (darüber    unten    mehr)    und 
an  deren  Grenze  verlebten   Jugendzeit  zu  erkennen  sein.^^)  — 
Über  diese   Dialektfragen  hier  ausführlicher  zu  handeln,  würde 
den   Rahmen  unserer  Untersuchung  sprengen;  es  ist  Zeit,   daß 
die    Sprache   des   Rolandsepos   wieder  einmal  gründlich   durch- 
forscht wird,  und  das  dürfte  vielleicht  Bedier  als  nicht  unwert 
seiner  Arbeit  betrachten.    Nur  eins  sei  noch  betont:  unser  Dichter 
hat  sich  auf  einen  bestimmten  Dialekt  weder  festlegen  wollen 
noch  können.     Er  hat  weder  für  Francier  (so  B  a  i  s  t ,    Varia- 
tionen 20,  in:  Beiträge...,  Festgabe  für  Foerster,  S.  232),  noch 

^')  Da  Turoldus  schon  als  junger  Mann  an  Königs  Hof  und  von 
da  nach  Bayeux  gekommen,  so  verträgt  sich  mit  diesem  pikardischen 
Einschlag  in  seiner  Sprache  sehr  wohl  die  Behandlung  von  i  <  e  +  i. 


106  11 7//? '/m   Taver liier. 

für  Normannen  ausschließlich  gedichtet.  Das  ganze  Frankreich 
soll  es  sein!  Er  wandte  sich  an  alle  Besten  seiner  Nation,  welche 
im  Feuer  des  Kreuzzugsenthusiasmus  zusammengeschmiedet 
worden  war.  Darum  schuf  er  sich  —  gleich  den  Epikern 
anderer  Völker  —  eine  Kunstsprache,  die,  rein  literarisch,  nirgends 
zu  seiner  Zeit  gesprochen  w^urde.  Des  Dichters  Heimatdialekt, 
das  Normannische,  und  daneben  das  Francische,  haben  das 
meiste  beigetragen,  aber  auch,  was  ihm  an  Pikai'dischem  aus  der 
Jugendzeit  im  Ohre  lag,  hat  er  nicht  verschmäht.  Je  vielseitiger 
seine  Ausdrucksweise,  um  so  leichter  waren  Assonanzen  zu  ge- 
winnen. —  Über  die  mit  dem  Dialekt  des  Verfassers  vermischte 
Kunstsprache  des  Epos  vgl.  John  Meier  in  seiner  nicht  genug 
zu  rühmenden  Rektoratsrede  ,, Werden  und  Leben  des  Volks- 
epos".    Halle  1909,  S.  18  f.;  45,  Anm.  62. 

Turoldus  entstammte  einem  vornehmen,  reichen  Geschlecht. 
Die  betreffenden  Angaben  der  Vorgesch.  196  werden  bestätigt 
durch  den  neu  entdeckten  Papstbrief.  Paschalis  spricht  von 
Turoldus  als  einem  uir  in  terra  sua  potens  et  iiohilis  (Morin  285), 
auf  dessen  Ansehen  er  habe  Rücksicht  nehmen  müssen,  i^) 

In  schwungvollen  Ausdrücken  schildert  der  obenerwähnte 
Mönch  von  le  Bec  den  Reichtum  und  die  hohe  Wertschätzung, 
deren  sich  Turoldus  in  der  ganzen  Normandie  erfreute  (Poree, 
Abbaye  65):  In  gloria  seculari  paulo  ante  conspicuus  eminebas, 
utpote  prelati  fungens  officio,  divitiis  abundans  ...  et 
quocumque  procedebas  fallacis  mundi  favoribus  excipiebaris  .... 
fastigii  seoularis  ambitionem,  quam  usque  ad  nauseam  prius 
hauseras  . . .  Heccine  est  illa  per  to  tarn  fere  Normanni- 
am  famosissima  tui  ipsius  victoria  (gemeint  ist  des  Bischofs 
Eintritt  ins  Kloster).  In  diesem  Mönchsbrief  wird  naturgemäß 
auf  den  geistlichen  Rang  des  Turoldus  das  meiste  Gewicht  gelegt. 
Als  Bischof  von  Bayeux  war  er  der  erste  Suffragan  des  Erz- 
bischofs von  Ronen  und  rangierte  vor  den  übrigen  Bischöfen  des 
Herzogtums  (Gallia  christiana,  ed.  altera,  Tom.  XI,  Parisiis 
1874,  col.  346/7:  reliquos  provinciae  antistites  antecedit.  — 
Vgl.  C.  H  i  p  p  e  a  u  ,  Dictionnaire  topographique  du  departement 
du  Calvados,  Paris  1,883,  S.  XXVIII).  Die  einzige  bisher  be- 
kannt gewordene  Urkunde  mit  des  Turoldus  Namen  (GalUa 
Christ.  XI,  Instrumenta,  col.  128)  führt  ihn  gleich  hinter  seinem 
vorgesetzten  Erzbischof  vor  den  andern  Bischöfen  an:  Huic 
vero  causae  seu  placito  interfuerunt  ex  parte  regis, 
Willelmus  archiepiscopus  Rotomagensis,  Turoldus  episcopus  Ba- 
jocensis,  Gislebertus  episcopus  Ebroicensis  —  es  folgen  noch  zwei 
englische  Bischöfe,  4  Abte,  4  Archidiakone,  5  Barone. 

'*)  ne  tanto  cont'usus  obprobrio  uir  in  terra  sua  potens  et  nobihs 
sie  in  patriani  remearet;  Sic  ei  in  annuni  ex  apostolicae  conpassionis 
affluenlia  indutiae  prorogatae  sunt. 


Beiträge  zur  Rolandsforschang.  107 

Da  man  noch  manchmal  auf  seltsame  oder  vage  Vor- 
stellungen von  einem  Biscliof  in  jener  Zeit  trifft,  so  sei  daran 
erinnert,  daß  die  Bischöfe  damals  mit  die  Funktionen  heutiger 
Provinzialbehörden  versahen;  sie  waren  weit  mehr  ,, Geheime 
Regierungsräte"  als  Priester,  und  wenn  irgendwo  so  trat  in 
England  und  in  der  Normandie  noch  bis  zu  des  Turoldus  Bischofs- 
zeit das  Geistliche  hinter  dem  Charakter  als  Staatsbeamter 
völlig  zurück. ^'^)  Unter  dem  roten  Willielm,  der  seit  1096  auch 
in  der  Normandie  herrschte,  waren  zeitweilig  (so  zwischen  1096 
und  1099;  vgl.  Böhmer,  S.  144,  Anm.  6;  S.  150  ff.)  alle  Be- 
ziehungen zu  Rom  abgebrochen;  er  regierte  seine  Kirche  ohne 
Papst.  Wir  können  hier  nicht  die  spannende  Kirchengeschichte 
jener  Jahrzehnte  aufrollen,  und  verweisen  auf  die  äußerst  an- 
ziehende Darstellung  in  Böhmers  obenerwähntem  Werk 
(besonders   S.   140—162). 

Nach  dem  Gesagten  haben  wir  uns  den  Bischof  Turoldus 
als  reichbegüterten  Baron  und  hohen  Staatsbeamten,  bei  allen 
Hof  tagen  an  der  Seite  seines  Landesherrn,  vorzustellen.  Die 
oben  erwähnte  Urkunde  zeigt  ihn  denn  auch  in  Ronen,  im  Gefolge 
des  Königs  Heinrich.  Soviel  zur  Beruhigung  derjenigen,  die 
sich  zwar  zu  dem  Gedanken  durchgerungen  haben,  daß  auch  ein 
Epos  wie  das  Rld.  einen  Verfasser  hat,  denen  aber  die  weitere 
Vorstellung  unerträglich  ist,  daß  dieser  Dichter  ein  Bischof 
gewesen  sein  soll. 

Noch  müssen  wir  zwei  mittelbare  Zeugnisse  anführen  für 
das  große  Ansehen  und  den  Reichtum,  dessen  sich  die  Familie 
unseres  Turoldus  erfreute.  —  In  einem  Treffen  des  französisch- 
engUschen  Krieges  von  1097/98  machten  die  Franzosen  eine 
Reihe  vornehmer  Gefangener,  darunter  Geroldus  deEbre- 
m  o  u ;  ,,quorum  redemptionibus  opimis  egentes  Franci 
ad  dimicandum  animati  sunt"  (Ordericus  Vitalis,  X  5,  ed.  Le 
Prevost,  Tom.  IV,  S.  23;  vgl.  Edward  A.  Freeman,  The  reign  of 
WilHam  Rufus,  Vol.  II,  Oxford  1882,  S.  179).  Dieser  Geroldus 
ist  nach  Le  Prevost  ,,probablement  parent  d'Hugue  et  de  Turold 
d'Envermeu,  dont  nous  venons  de  parier"  (a.  a.  O.,  n.  1).  Das 
hohe  Lösegeld  entsprach  dem  Rang  und  Reichtum  des  Gefangenen. 

^^)  ,,Der  normannische  und  anglonormännische  Klerus  dieser 
Tage  dachte  royaUstischer  und  zugleicli  Dank  der  konsequenten  Ab- 
sperrungspohtik  der  Krone  partikularistischer,  als  der  Klerus  aller 
anderen  damaligen  Landeskirchen''  (Heinrich  Böhmer,  Kirche 
und  Staat  in  England  und  in  der  Normandie  im  XI.  und  XII.  Jahr- 
hundert, Leipzig  1899,  S.  269).  —  Bezeichnend  ist  eine  Stelle  bei 
Ordericus  (XI,  39;  Tom.  IV,  S.  297):  In  illo  tempore  migraverunt 
plures  sanctitate  et  sapientia  praecipui  doctores  ecclesiarum :  Anseimus 
scilicet  archiepiscopus  Cantuariorum,  et  Guillelmus  archiepiscopus 
Rotomagensium,  venerabilesque  coenobiorum  rectores  (es  folgen 
3  Äbte)  .  .  .  Pro  tantorum  itaque  transitu  b  a  r  o  n  u  m  videtur  ipse 
mundus  lugere.     Alles  geistliche  Herren,  und  dabei  ,, Barone". 


X08  Wilhelm   Tcwemier. 

—  Wie  begütert  des  Turoldus  Familie  gewesen  ist,  das  beweist 
ferner  die  umfangreiche  Schenkung,  die  der  jugendUche  Bischof 
und  sein  Bruder  dem  Kloster  le  Bec  machten.  ,,Vers  l'an  1100, 
Turold,  eveque  de  Bayeux,  et  son  frere,  Hugues  d'Envermeu 
donnerent  ä  Tabbaye  Teglise  de  Saint-Laurent  d'Envermeu 
avec  toute  la  dime  et  un  böte,  Teglise  de  Notre-Dame  et  la  dime 
de  la  vicairie,  de  vicaria,  qui  lui  appartenait,  la  dime  des  moulins 
et  du  tonlieu  d'Envermeu,  Teglise  de  S.-Quentin  (-au  Bosc, 
canton  d'Envermeu)  avec  sa  dime,  et  quelques  acres  de  terre 
sises  ä  Envermeu  et  ä  Tourville,  Turchetivüla  (Tourville  La  Cha- 
pelle,  canton  d'Envermeu)  (Poree,  Histoire  1,  427  f.). 

Gehen  wir  jetzt  von  der  äußeren  Stellung  zur  Persönlichkeit 
des  Turoldus  über.  Die  knappe  Charakteristik  der  Vorgescb. 
(S.   197  ff.)  läßt  sich  heute  wesentlich  ergänzen. 

Turoldus  war  ein  geistig  hervorragender  Mann.  Zwar  die 
a.  a.  0.  197  zitierten  Worte  animo  sanus,  plurimumque  vividus^^) 
wird  ihr  Verfasser  wohl  in  erster  Linie  auf  die  ungebrochene 
Frömmigkeit  und  Gebetsfreudigkeit  des  Exbischofs  bezogen 
haben. ^'')  Schon  eingehendere  Aufschlüsse  über  dessen  Persön- 
lichkeit erhalten  wir  aus  einer  Stelle  des,  noch  immer  unedierten 
Miraculum  beatae  Fidis  de  episcopo  Bajocensi,  die  von  Poree 
aus  der  Hdschr.  Bibl.  nat.  lat.  5427  zweimal  abgedruckt  worden 
ist  (Abbaye  67,  n.  2;  Histoire  I,  536  f.,  n.  3):  Monachus  autem 
factus,  tantae  humilitatis,  modestiae  ac  gravitatis  discretionisque 
sectator  extitit,  ut  parvo  in  tempore,  non  solum  junioribus 
iter  ad  caelestia  capessenda  praeberet,  verum  etiam  prioribus 
ipsis  in  regulae  observatione,  cunctisque  optimis 
s  t  u  d  i  i  s  sese  mirabilem  exhiberet.  In  diesem  Charakterbild 
interessiert  uns  am  meisten  die  Liebe  zu  geistiger  Beschäftigung, 
von  der  die  letzten  Worte  reden,  aber  auch  Takt  und  stille  Würde 
sind  Züge,  die  wir  festzuhalten  haben.  —  Wie  tief  der  Eindruck 
w'ar,  den  diese  Persönlichkeit  hervorrief,  das  bestätigt  der  oben 
erwähnte  Brief  des  Klosterbruders.  Wir  wissen  (Poree,  Histoire  I, 
538  f.),  daß  der  Briefschreiber  von  griesgrämigem,  strengem, 
schwer  zu  gewinnendem  Charakter  gewesen  ist.  Und  doch 
kann  er  nicht  vergessen,  wie  sehr  ihn  die  Bekanntschaft  mit 
Turoldus  ergriffen  hat.  ,,Neque  enim  obHvisci  possum,  quando 
primum  de  sancto  amore  tecum  agere  cepi,  quam  promptissime 
ad  nostram  condescendisti  familiaritatem,  quam  devotum, 
quam  hilarem,  quam  discretum  te  mihi  exhibuisti,  devotum 
siquidem  in  mente,  hilarem  in  vultu,  discretum  in  sermone" 
(Poree,  Abbaye   66  f.).     Hier  kommt  zur  tiefen   Frömmigkeit, 

^*')  Der  bei  diesem  Wort  in  der  Vorgeschichte  unterlaufene 
Druckfehler  sei  hiermit  verbessert. 

^'')  ,,Ipse  quoque  aegrotus,  animo  sanus,  plurimumque  vividus, 
ad  divae  Fidis  virginis  opem  celeriter  confugit"  (Migne,  Patrol.  latina, 
159,  Parisiis  1903,  Sp.  170,  loannis  Picardi  nota). 


ßeiträge  zur  liohindsjorschnii'^.  109 

zum  vollendeten  Takt  ein  weiterer  Zug  hinzu,  die  stille  Heiterkeit. 
Davon  werden  wir  weiter  unten  zu  reden  haben.  Vorerst  sei 
ein  artiges  Widmungsgedicht  zitiert,  in  dem  des  Turoldus  heiter- 
helle Augen  gerühmt  werden.  Einer  der  bedeutendsten  Dichter 
jener  Zeit,  Hildebert,  seit  1097  Bischof  von  Le  Mans,^^)  schickt 
dem  Bischof  von  Bayeux  einen  Ring,  ,,Du  sollst  nach  Bayeux 
gehn",  so  spricht  der  Dichter  zu  dem  Kleinod,  ,,und  einem  Größeren 
als  ich  die  Hand  schmücken".  Da  strahlt  freudiger  der  Stein, 
und  sein  fröhliches  Leuchten  ist  nur  der  Wiederschein  der  hellen 
Augen  des  Beschenkten.  Wir  wollen  die  graziösen  Verse  des 
Dichterbischofs  unseren  Lesern  nicht  vorenthalten. 

Ad  episcopum  Bajocensem.^^) 

Annulus  hie  nuper  moerebat  clausus  in  arca, 

Obscurusque  lapis  et  quasi  tristis  erat. 
At  postquam  dixi  :  Bojocas  ibis,  erisque 

Majoris  digitum  praesulis  orbe  ligans, 
Laetior  explicuit  radios,  sparsitque  s  e  r  e  n  a  s 

Gemma   faces,    oculis   exhilarata    tuis. 
Hoc  ex  te  Domino  pretium  lucratur,  adestque 

Plus  lapidi  praesul,  quam  lapis  ipse  sibi. 

18)  Sein  Vorgänger  starb  am  29.   Juli   1097  (Freeman,   II,  210). 

^^)  In  Hildeberti  opera.  Labore  et  studio  Antonii  Beaugendre, 
Parisiis  1708,  Sp.  1333;  abgedruckt  von  Migne,  Patro).  lalina,  171, 
Parisiis  1893,  Sp.  1407.  In  beiden  Drucken  steht  hinter  ligans  (Z.  4) 
ein  Punkt,  den  wir  als  sinnstörend  oben  in  ein  Komma  verändert 
haben.  —  In  dem  ungenannten  Adressaten  des  poetischen  Widmungs- 
schreibens sieht  Beaugendre  ,, forte  Odonem,  fratrem  Guillelmi 
Conquestoris".  Diese  Vermutung  ist  den  mancherlei  Versehen  hinzu- 
zureihen,  die  in  der  Histoire  litteraire  de  la  France,  Nouv.  ed.,  Tom.  XI, 
Paris  1869,  S.  278  ff.  bei  Besprechung  der  Werke  Hildeberts  dem 
Kommentator  Beaugendre  nachgewiesen  werden.  Odo  starb  zu 
Palermo  im  Februar  1097  (Morin  286),  als  Hildeberts  Vorgänger  noch 
lebte.  Aus  dem  majoris  praesulis  der  Z.  4  ist  aber  zu  schließen,  daß 
Hildebert  selbst  schon  Bischof  war,  als  er  obige  Verse  verfaßte.  Praesul 
heißt  m.eistens  Bischof,  allenfalls  Abt  (s.  Ducange),  aber  das  letztere 
ist  Hildebert  nicht  gewesen.  Er  war  bis  zu  seiner  Wahl  1097  Archidiakon 
(Ordericus  Vit.,  X,  7;  Tom.  IV,  S.  41.  —  Vgl.  Freeman  II,  211).  — 
Abgesehen  selbst  von  diesem  zeitlichen  Argument  ist  es  fast  undenkbar, 
daß  Hildebert  Verse  wie  die  unseren,  auf  einen  so  heiteren,  freund- 
schaftlichen Ton  gestimmt,  an  den  alten  Sturmgesellen  Odo  gerichtet 
haben  sollte,  den  mächtigen,  gewalttätigen,  vielgehaßten  Bruder  des 
Eroberers.  Der  war  durch  Rang  und  Alter  weit  von  Hildebert  ge- 
schieden, welcher,  wenn  auch  nicht  ganz  geringer,  so  doch  nur  beschei- 
dener Herkunft  gewesen  ist  (Histoire  litteraire  de  la  France,  Nouv. 
ed.,  XI,  250  f.).  —  Auf  Turoldus  als  Adressaten  paßt  alles.  Er  war 
ungefähr  im  gleichen  Alter  wie  Hildebert.  Beide  waren  im  selben 
Jahre  Bischof  geworden.  Die  Worte  majoris  praesulis  erklären  sich 
sehr  wohl  in  bezug  auf  Turoldus,  welcher  der  Amtswürde  nach  (als 
der  rangälteste  Bischof  der  Normandie  —  die  Grafschaft  Maine  war 
dem  Normannenherzog  lehnspflichtig  und  das  Bistum  Le  Mans  depen- 
dierte  für  die  Temporalien  gleichfalls  von  des  Turoldus  Landesherrn 


110  ]\'ilhelm   Tavernier. 

Dies  allerliebste  Gedicht  wird  noch  besonders  merkwürdig, 
weil  es  die  beiden  wohl  größten  Dichter  jener  Zeit  miteinander 
verknüpft,  beide  vor  nicht  langem  und  in  jungen  Jahren  Bischof 
geworden.  Zieht  man  selbst  alles  ab,  was  in  den  obigen  Versen 
auf  Rechnung  der  Artigkeit  und  dichterischer  Übertreibung 
kommen  mag,  so  bleibt  doch  für  Turoldus  das  Bild  einer  ge- 
winnenden Persönlichkeit  übrig,  und  das  serenus  und  cxhilarata 
stimmt  gut  zu  dem  hilaris  in  vultii  im  Brief  des  Mönchs  vom 
Bec:  Turoldus  ist  ein  frommer,  aber  dabei  ein  fröhlicher  Mensch 
gewesen.  Mönchische  Traurigkeit  und  Zerknirschung  waren  seine 
Sache  nicht;  in  tiefster  Seele  seines  Gottes  gewiß  hat  er  mit 
hellen,  leuchtenden,  gar  nicht  niedergeschlagenen  Augen  in  die 
schöne  Welt  gesehen. 

Und  nun  kommen  wir  zu  dem,  was  der  heilige  Anselm, 
dieses  Mönchsideal,  und  was,  vielleicht  in  Abhängigkeit  von  dem 
Heihgen,  der  Mönch  vom  Bec  an  Turoldus  zu  tadeln  haben. 
Nicht  lange  vor  seinem  Tode,  in  den  Jahren  1108  oder  1109, 
schreibt  der  greise,  ehrwürdige  Primas  von  England  seinem 
lieben  Freunde  Turoldus,  der  vor  nicht  langem  Mönch  geworden 
war,  den  folgenden  Brief.^°) 

Anseimus,  servus  Ecclesiae  Cantuariensis,  fratri  et  amico 
charissimo  Turoldo,  Dei  gratia  monacho  Beccensi,  salutem  et 
boni  propositi  perserverantiam  usque  in  finem. 


und  Gönner,  vgl.  Freeman  II,  212)  und  durcli  seine  vornehme  Ab- 
stammung ,,der  Größere"  von  den  Beiden  war.  Dazu  kommen  folgende 
Daten.  1098  zog  Wilhelm  der  Rote  als  Sieger  in  Le  Mans  ein,  von 
Hildebert  feierlich  empfangen  (Freeman  II,  240).  Um  dieselbe  Zeit 
etwa  war  Hildeberts  Landesherr,  der  edle  Graf  Hellas  von  Maine,  in 
B  a  y  e  u  X  als  Gefangener  (Ordericus  X,  7,  Tom.  IV,  S.  51;  Freeman  II, 
242).  Da  mögen  sich  denn  leicht  Beziehungen  zwischen  Hildebert 
und  dem  Bischof  von  Bayeux  angesponnen  haben.  Ja  selbst  persönliche 
Bekanntschaft  der  beiden  kann  man  als  ziemlich  sicher  annehmen. 
Wir  wissen,  daß  Hildebert  zwischen  seinem  Grafen  und  dem  König 
von  England  den  Friedensvermittler  gemacht  hat.  Mit  Erlaubnis 
Wilhelms  durfte  er  seinen  gefangenen  Herrn  besuchen  (Freeman  II, 
238,  628  f.).  Hellas  war  zunächst  nach  Ronen,  dann  aber  nach  Bayeux 
gebracht  worden.  Nichts  spricht  dagegen,  daß  der  Besuch  in  Bayeux 
stattgefunden  hat,  das  ja  soviel  näher  an  Le  Mans  lag  als  Ronen. 
In  diesen  Tagen  könnte  Hildebert  zuerst  den  Turoldus  in  die  heiteren, 
liellen  Augen  geschaut  haben.  Auch  späterhin  bot  sich  Gelegenheit 
für  eine  persönliche  Begegnung  der  beiden.  Ende  1099  z.  B.  mußte 
Hildebert  an  des  Königs  Hof  nach  England,  um  sich  zu  verantworten; 
die  Reise  mag  nicht  weit  ab  von  Bayeux  geführt,  oder  Turoldus  mag 
sich  im  Gefolge  seines  königlichen  Herrn  sich  befunden  haben.  Jedenfalls 
liegt  in  den  politischen  Verhältnissen  jener  Jahre  Anlaß  genug  begründet, 
daß  der  Bischof  von  Le  Mans  dem  Günstling  seines  obersten  Lehns- 
herrn Geschenk  und  gute  Worte  zukommen  ließ.  —  Des  Turoldus 
Vorgänger,  Odo,  stand  zu  seinem  königlichen  Neffen  im  denkbar 
schlechtesten  Verhältnis,  zuweilen  herrschte  offene  Feindseligkeit. 
20)  Anselmi  epistolae,  Lib.  III,  137,  bei  Migne,  Patrolog.  lat., 
159,  Sp.  169  f. 


Beiträge  zur  Holandsforschung.  111 

Benedictus  Deus  in  donis  suis  et  sanctus  in  omnibus  operibus 
suis,  qui  cor  vestrum  convertit  a  vanitate  ad  veritatem.  Vani- 
tatem  enim  sequuntur  omnes  qui  altitudines  et  honores 
atque  divitias  hujus  saeculi  concupiscunt,  .  .  .  Veritatem 
autem  tenent,  qui  terrena  et  transitoria  toto  corde 
c  0  n  t  e  m  n  u  n  t ,  et  ad  veram  humilitatem  toto  conatu  ascen- 
dunt....  In  viam  paradisi  vos  direxit  divina  dementia,  imo 
in  quemdam  paradisum  hujus  vitae  vos  introduxit,  cum  vos  in 
claustralem  conversationem  monachici  proprositi  introduxit. 
Caveat  igitur  vestra  prudentia  ne  cor  vestrum 
retro  respiciat.  Retro  autem  monachus  respicit  cum 
ea  saepe  recolit  quae  deseruit.  Quod  cum  saepe 
facit,  refrigescit  in  eo  amor  caelestis,  et  reviviscit  amor  mundi, 
et  fastidium  taediumque  propositi  sui.  Sicut  igitur  corpus  vestrum 
cor  sit  separatum  a  mundana  cogitatione,  et 
Sit  semper  occupatum  aliqua  utili  et  spirituali  medi- 
t  a  t  i  0  n  e.  Spiritus  sanctus  semper  faciat  vos  gaudere  et 
gratias  agere  Deo  de  bono  incoepto.     Amen. 

Das  ist  ein  schöner  Brief;  die  äußerst  taktvolle  Art  ehrt 
den  Schreiber  so  wie  den  Empfänger  und  ist  kennzeichnend  für 
beide  Persönlichkeiten.  Was  hier  nur  schonend  angedeutet  ist, 
wird  in  dem  mehrerwähnten  Mönchsbrief  breiter  getreten  (Poree, 
Abbaye  65  f.): 

Goegit  me  familiaritatis  tue  reverentia  scriptum  tibi  conso- 
lationis  impendere,  quamvis  circa  te  nulla  sit  justa  consolationis 
necessitas.  . . .  (s.  o.  S.  106)  . . .  Mens  autem  tua,  quae,  ut  reipsa 
cernitur,  nequaquam  adhuc  gravitate  claustrali  solidata  est, 
ruminando  commemorat  ubi,  quis,  qualiter  degere  consuevisti,  et 
fastigii  secularis  ambitionem,  quam  usque  ad 
nauseam  prius  hauseras,  ut  pace  tua  loquar,  iterum  somniare 
non  desinis.     Heccine...   (s.  o.   S.   106).  .  .  . 

Die  beiden  freundschaftlichen  Briefe  bezeugen,  daß  sich 
Turoldus  nicht  leicht  in  das  weltflüchtige,  tatenarme  Mönchs- 
leben hineingefunden  hat.  Er  hatte,  obschon  ein  frommer  Mann, 
den  weltoffenen  Sinn,  der  die  schöne  Erde  und  alles  Lebende 
auf  ihr  mit  liebender  Seele  und  sehenden,  sehnenden  Augen 
umfaßt.  So  mögen  wir  uns  wohl  den  Dichter  des  Rolandsepos 
vorstellen:  fromm  und  frei,  ein  rechtes  Kind  jener  ,, Sturm-  und 
Drangperiode", ''^^)  der  Jugendtage  einer  neuen  Zeit. 

Wer  Gott  und  die  W^elt  kann 

Behalten,  der  ist  ein  selig  Mann. 

Gott  niemand  das  entgelten  läßt. 

Ob  er  der  Welt  Hulden  hat. 

Ein  Mann  soll  Lob  und  Ehr  erjagen 
Und  doch  Gott  im  Herzen  tragen. 

2^)  So  Wilhehn  Meyer  aus   Speyer,  in:  Nachrichten  von  der 
Königl.  Ges.  d.  Wissensch"!  zu  Göttingen,  Phil.  hist.  KL,  1907,  S.  88. 


112  Wilhelm  Taveniier. 

So  hat  Wolfram  hundert  Jahre  später  das  gepriesen,  was  dem. 
Dichter  unseres  Rolandshedes  zum  Vorwurf  gemacht  worden  ist. 
Und  noch  könnte  man,  aus  nicht  lange  vergangener  Zeit,  die 
Worte  eines  hohen  Prälaten  (Gerok)  danebenstellen: 

Doch  daß  ich  auch  als  Christ  ein  Mensch  gebUeben 
Und  keck,  was  menschlich,  faßte  ins  Gesicht, 
Ein  Mensch  in  Dulden,  Glauben,  Hoffen,  Lieben, 
Es  reut  mich  nicht. 

Solche  weltfromme  Gesinnung,  ein  Christentum  ohne  Welt- 
haß und  Weltflucht,  war  in  den  Augen  Anselms  und  des  un- 
bekannten, überaus  strenggesinnten  Mönchsbruders  nicht  nur 
kein  Verdienst,  sondern  ein  Grund  für  ernste,  doch  wohlgemeinte 
Vorwürfe.  Versuchen  wir,  nach  den  Wendungen  der  beiden 
Briefe,  näher  zu  umschreiben,  wohin  der,  wenn  auch  respektvolle, 
Tadel  zielt  (vgl.  Vorgesch.  198).  Um  irgendwelche  Verstöße 
gegen  die  Mönchsregel,  überhaupt  um  offenbare  Vergehen  kann 
es  sich  nicht  handeln;  das  schhcßt  der  Ton  der  beiden  Schreiben 
aus  wie  auch  die  oben  S.  108  zitierte  Stelle  aus  dem  Miraculum 
beate  Fidis.  Von  Bedeutung  sind  in  Anselms  Brief  die  Worte 
mundana  cogitatio  im  Gegensatz  zur  iitilis  et  spiritiialis  meditatio, 
und  beim  Mönch  vom  Bec  die  fastigii  secularis  ambitio.  Welt- 
liches Sinnen,  weltlicher  Ehrgeiz,  was  mag  damit  gemeint  sein  ? 
Hat  Turoldus  von  Wiederaufnahme  und  Fortsetzung  seiner 
geistlichen  Karriere  geträumt  ?  Das  ist  an  sich  nicht  allzu- 
wahrscheinlich, so  bald  nach  dem  Verzicht  auf  den  Bischofssitz, 
und  die  Annahme  paßt  auch  nicht  recht  zu  der  utilis  et  spiritualis 
meditatio,  die  Anselm  dem  jüngeren  Freunde  empfiehlt.  Das 
utilis  fordert  als  Gegensatz  am  ehesten  ein  unnützes  Sinnen, 
ohne  Zweck;  und  wir  kommen  wieder  auf  unsere  alte  Vermutung 
zurück,  daß  die  mundana  cogitatio  sich  auf  Beschäftigung  mit 
weltlicher  Dichtung  beziehen  könnte.  Dann  versteht  sich  gut 
das  freundhch  Milde  in  Anselms  Tadel;  eine  sündige  Neigung, 
ein  Verstoß  Hegt  nicht  vor,  nur  eine  harmlose  Liebhaberei,  die 
doch  andere  erfreuen  will.  Wie  bald  sich  Turoldus  im  Kloster 
aller  Herzen,  aber  auch  durch  strenge  Erfüllung  der  Regel  die 
Achtung  seiner  Vorgesetzten  gewann,  das  hat  uns  die  eben 
erwähnte  Stelle  des  Miraculum  gezeigt. 

Fassen  wir  zusammen,  was  sich  uns  zur  Charakteristik  des 
Turoldus  ergeben  hat.  Wir  stehen  vor  einer  bedeutenden,  achtung- 
gebietenden und  dabei  herzgewinnenden  Persönhchkeit.  Darin 
stimmen  alle  zeitgenössischen  Zeugen  zusammen.  ,,Fuit  nostris 
temporibus  vir  valde  venerabilis,  Turoldus  nomine  . .  ." 
So  beginnt  das  Miraculum  beate  Fidis  (vgl.  Delisle,  in 
BibUotheque  de  l'Ec.  des  chartes  XXXVII:  1876,  S.  526).  — 
Wie  aus  den  Zeilen  Anselms,  so  spricht  Achtung  gepaart 
mit  herzlicher  Zuneigung  aus  dem  Brief  des  Mönchs  vom  Bec, 


Beiträge  zur  l{()laiuisfor.sclmii<i.  113 

und  diesen  Zeugnissen  und  dem  des  Miraculum  beate  Fidis 
reiht  sich  ein  mittelbares  an:  wir  meinen  die  taktvolle,  schonende 
Art,  in  welcher  der  große  Geschiclitsschreiber  jener  Zeit,  Ordericus 
Vitalis,  von  dem  Fall  Turoldus  handelt.  Ordericus  schreibt  an 
der  oben  angeführten  Stelle  in  bezug  auf  unsern  Bischof:  Qui 
post  annos  VII  praesulatum  pro  q  u  i  b  u  s  dam  a  r  c  a  n  i  s 
u  1 1  r  0  reliquit.  Ordericus,  dessen  Nachrichtenfülle  staunens- 
wert ist,  wird  wohl  gewußt  haben,  warum  sein  Landsmann  ge- 
gangen ist  und  daß  sein  Verzicht  nicht  so  ganz  freiwilHg  war, 
und  hätte  ers  selbst  nicht  gewußt,  so  wäre  es  ein  leichtes  gewesen, 
den  Grund  zu  erfahren;  von  St.  Evroult  war  es  ja  nicht  weit 
bis  zum  Bec.  Die  Wendung  pro  quibusdam  arcanis  scheint  doch 
vielmehr  von  jemand  geschrieben,  der  aus  Rücksicht  auf  Turoldus 
—  er  lebte  damals  noch  —  nicht  das  sagt,  was  er  sagen  könnte, 
und  den  Fall  von  der  günstigsten  Seite  her  betrachtet. '^^j  Auch 
hier  also  wohl  eine  Äußerung  des  Wohlwollens,  das  die  Persön- 
lichkeit des  Turoldus  auslöste,  ein  Beweis  für  die  Achtung,  deren 
sich  der  Exbischof  bei  seinen  Landsleuten  erfreute.  Dieselbe 
gründete  sich,  wie  wir  sahen,  auf  des  Turoldus  vornehme  Her- 
kunft, auf  seine  gewichtige  Stellung,  aber  nicht  weniger  auf 
seine  vornehme,  taktvolle  Gesinnung,  sein  kluges  Tun  und  Reden, 
sein  Wissen  und  Können.  Neben  diesem  Zug  der  Vornehmheit 
muß  etwas  Herzgewinnendes  in  Turoldus  Persönlichkeit  gelegen 
haben,  eine  gewisse  Innigkeit,  die  am  meisten  aus  dem  Schreiben 
des  Mönchs  vom  Bec  herauszulesen  ist.  Dieser  Herzensinnigkeit 
entspricht  eine  tiefe  Innerüchkeit,  die  nach  zwei  Seiten  geht. 
Turoldus  ist  ein  frommer  Mann  gewesen.  Das  wird  uns  reichlich 
bezeugt.  Was  auch  seine  Gegner  in  Rom  gegen  ihn  vorgebracht 
haben,  von  seinem  Lebenswandel  und  seiner  Frömmigkeit  ist 
in  dem  Prozeß  keine  Rede.  Die  muß  nicht  zu  bestreiten  ge- 
wesen sein,  sonst  wären  dergleichen  Vorwürfe  in  dem  päpstlichen 
Absetzungsdekret  nicht  unerwähnt  geblieben. 

Als  integer  vitae  scelerisqiie  piiriis,  so  steht  Turoldus  vor 
uns  da.  Und  damit  berührt  sich  ein  andrer,  wesentHcher  Charakter- 
zug, die  stille  Herzensheiterkeit.  Finsterer  Askese  fern  hat  er 
mit  hellen,  liebenden  Augen  in  die  Welt  gesehen.  Jhro  Höhen 
sind  ihm  nicht  fremd  geblieben:  am  Königshof  hat  er  gelebt, 
und  vor  dem  Papst  hat  er  gestanden.  Frankreich,  England, 
Italien,  Spanien  hat  er  kennen  gelernt.  Eine  Zeit  großer  Taten 
und  entscheidender  Umwälzungen  voll  hat  er  mit  durchgemacht, 
und  den  führenden  Männern  seiner  Zeit  ist  er  nahe  gewesen. 
Der  größte  Gelehrte  und  Heilige  des  Roland  Jahrzehnts  war  dem 


22)  Anders  z.  B.  Papst  Honorius  II.  Ei-  scheint  in  einem 
Brief  an  den  Bischof  von  Bayeux  (a.  d.  J.  1127,  bei  Migne,  Patr. 
tat.,  166,  Sp.  1276  B)  von  einer  Absetzung  (dejectio)  seines  Vor- 
gängers Turoldus  zu  reden.  Der  augenscheinlich  verderbte  Text 
bedarf  der  Aufklärung. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  8 


114  Wilhelm  Tavernier. 

Turoldus  ein  väterlicher  Freund,  den  größten  Helden  jener  Tage 
muß  er  auf  der  Sonnenhöhe  seines  Ruhms  gesehen  haben,  zwei 
der  bedeutendsten  und  dabei  modernsten  Monarchen  der  Zeit 
standen  ihm  als  Landesherren  nahe.  —  Aber  auch  des  Lebens  Tiefen 
sind  dem  Turoldus  nicht  fremd  geblieben  —  jahrelanger  Kampf 
um  seine  Stellung,  eine  erschütternde,  tränenvolle  Szene  vor 
dem  Papst,  ein  formelles  Absetzungsdekret,  endlich  der  Ab- 
schied von  der  großen  Welt  und  im  Klosterfrieden  noch  inneres 
Ringen  und  Sehnen. 

Soviel  von  des  Turoldus  Persönlichkeit.  Halten  wir  dies 
Charakterbild  neben  dasjenige,  das  sich  aus  dem  Rolandslied 
für  dessen  Verfasser  gewinnen  läßt.  Fromm,  vornehm,  volh 
Innigkeit  und  Wärme,  von  sonnigem  Humor  durchleuchtet, 
eine  solche  Dichterpersönlichkeit  spricht  auch  aus  unserm  Epos. 
Mit  dem,  was  wir  selbst  in  der  Vorgeschichte  und  sonst  über  die 
Eigenart  des  Rolanddichters  geschrieben  haben,  deckt  sich  im 
wesentlichen  die  treffende  Charakteristik  in  Ph.  Aug.  Beckers 
Grundriß  (S.  40  ff.).  Auf  ihn  sei  verwiesen;  nur  wollen  wir 
noch  aus  einer  jüngst  erschienenen  deutschen  Rolandsüber- 
setzung-3)  einige  Worte  der  Einleitung  zitieren  (S.  5):  ,,in 
unserem  Liede  lebt  eine  Seele  von  tiefer  Lebenserfahrung, 
junger  Begeisterung,  wärmendem  Manneshumor  und  wirk- 
lichem Adel." 

Die  tiefe,  ehrliche  Frömmigkeit,  welche  das  Rolandsepos 
durchweht,  ist  keinem  entgangen.  Weniger  hat  man  die  gottes- 
gewisse, sieghafte,  aufrechte  Art  dieser  Frömmigkeit  erkannt, 
die  durchaus  unmönchisch,  unasketisch  ist.  Sie  gibt  doch  dem 
Lied  seine  eigentümliche  Klangfarbe,  sie  reiht  es  gedanken- 
geschichtlich am  sichersten  ein.  Es  war  seelisches  Neuland, 
was  Turoldus  seinen  Zeitgenossen  mit  rührend  ringenden  Kunst- 
mitteln, in  köstlichem  Jugendstil,  geschenkt  hat. 2^) 

Mit  diesem  tieffrommen,  doch  weltaufgeschlossenen  Sinn 
hängt  die  Innigkeit  zusammen,  die  mit  am  meisten  beiträgt  zu 
dem  Zauber  unserer  Dichtung.  Turoldus  ist  ganz  eins  mit  seinen 
Helden,  mit  solcher  Liebe  hat  er  seine  Gestalten  umfaßt.  Welche 
Gefühlstöno  w^eiß  er  nicht  anzuschlagen,  wieviel  Zärtlichkeit 
legt  er  nicht  in  das  Freundschaftsverhältnis  der  Helden  zuein- 
ander, wieviel  herzliche  Zuneigung  selbst  in  das  Lehnsverhältnis 
z^^^schen  Karl  und  seinen  Vasallen  hinein.  Genug,  das  Rolands- 
lied ist  im  tiefsten  durchwärmt  von  derselben  HerzUchkeit  und 

^^)  Das  Lied  von  Roland  und  Kaiser  Karl,  deutscli  von  Werner 
Schwartzkopff.     Groß-Lichterfelde  1910. 

^*)  Darüber  wird  Bedier  in  dem  nun  bald  erscheinenden  3.  Band 
seiner  ,, Legendes  epiques"  mehr  und  besseres  zu  sagen  haben;  wir  be- 
scheiden uns  daher  vorläufig  mit  dem  Rückweis  auf  das,  was  Vor- 
geschichte 100  über  die  Stimmung  freudiger  Weltfrömmigkeit  in 
unserem  Epos  ausgeführt  ist. 


Bcilrägc  zur  /{oldiiilsforsr/ning.  115 

Innigkeit,  wie  .sie  nach  den  geschichtlichen  Zeugnissen  unsern 
Turoldus  ausgezeichnet  und  liebenswert  gemacht  haben. 

Eine  besondere  Ausdrucksform  dieser  Innigkeit  war,  was 
wir  nennen  würden,  der  stille  Humor,  den  die  Zeitgenossen  mit 
hilaris  und  serenus  umschreiben  müssen.  Ihn  hat  Turoldus 
besessen,  das  wissen  wir,  und  längst  niclit  zur  Genüge  ist  man 
bisher  dem  Humor  gerecht  geworden,  der  an  nicht  wenigen 
Stellen  des  Rolandsepos  aufblitzt.  Es  ist  bezeichnend,  daß, 
so  viel  wir  sehen,  als  erster  und  fast  als  einziger  ein  Däne  auf 
diesen  Zug  hingewiesen  hat,  C.  Rosenberg  in  seiner,  nicht 
genug  beachteten  Dissertation,  Rolandskvadet,  et  normannisk 
Heltedigt,  Kjöbenhavn  1860  (S.  221  f.);  er  sah  in  dem  Humor 
des  normannischen  Dichters  ein  Erbstück  aus  der  nordischen 
Heimat.  Wir  behalten  uns  vor,  über  den  Humor  im  Rolands- 
epos eingehender  zu  handeln  (falls  es  Bedier  nicht  tut). 

Wie  man  dem  Humor  in  unserer  Dichtung  nicht  gerecht 
geworden  ist,  so  hat  man  auch  noch  immer  nicht  allgemein  die 
Vornehmheit  erkannt,  die  dem  Rld.  eigen  ist  und  die  es  turm- 
hoch aufragen  läßt  unter  seinesgleichen.  Immerhin  sind  die 
Leute  glückUch  am  Aussterben,  die  von  dem  Dichter  als  einem 
Jongleur  sprechen.  Endgültig  hat  Gröber  ihnen  gegenüber 
betont:  ,,das  Rolandslied  zeigt  zuviel  Hoheit  und  zu  wenig  von 
dem  plebejischen  Sinn  jüngster  Chansons  de  geste,  als  daß  es 
niederen  Ursprungs  sein  könnte"  (Archiv  f.  d.  Stud.  d.  neueren 
Spr.,  Bd.  84, 1890,  S.  321).  Unser  Dichter  gleicht  auch  darin  seinem 
großen  Vorbild  Vergil,  daß  Vornehmheit  der  Gesinnung  und  der 
Sprache  sein  Charakteristikum  ist.  Er  gibt  eine  geschlossene 
Weltanschauung,  von  solcher  Höhe,  solcher  zwingenden  Wucht, 
daß  wir  in  der  lateinischen  Literatur  jener  Tage  kaum  etwas 
Ebenbürtiges  zu  finden  vermögen.  Kein  gewöhnlicher  Mensch 
hätte  unser  Epos  dichten  können,  sondern  nur  eine  so  außer- 
ordentUche,  hochstehende  Persönlichkeit,  wie  es  Turoldus  von 
Bayeux  gewesen  ist. 

Der  Rolandsdichter  steht  auf  der  Höhe  der  zeitgenössischen 
Bildung.  Das  offenbart  sich  nicht  nur  in  seiner  Weltanschauung; 
auch  die  Kenntnisse,  die  er  überall  verrät,  zeigen,  daß  er,  natür- 
lich kein  Gelehrter  von  Profession,  aber  ein  Hochgebildeter  ge- 
wesen sein  muß.  Die  im  Verhältnis  zu  anderen  Epen  übergroße 
Zahl  von  gelehrten  Wörtern,^^)  zum  Teil  direkte  Latinismen, 
vom  Dichter  ad  hoc  übernommen,  verraten  einen  Verfasser, 
der  eben  so  gut  Latein  sprach  als  Französisch,  der  auch 
lateinisch  dachte.  Und  dem  entspricht  seine  Kenntnis  lateinischer 
Literatur.     Mit  der  Bibel  ist  er  vertraut,  aus  Einhard  und  dem 


2^)  Wobei  noch  zu  berücksichtigen  ist,  daß  der  Wortschatz  der 
meisten  Epen  vom  Rld.  beeinfkißt  worden  ist  und  daher  Buchwörter 
übernommen  hat. 


116  Wilhelm   Tavenürr. 

Carmen  hat  er  sich  sein  Material  über  Karl  und  Roland  geliolt, 
in  die  Aneide  ist  er  bis  aufs  tiefste  eingedrungen,  sich  ihre  Schön- 
heiten und  den  Zauber  ihres  Ethos  ganz  zu  eigen  machend,  aus 
dem  düsterschimmernden  Totenkranz  der  Pharsalia  hat  er  sich 
ein  paar  grüne  Blätter  aufgehoben.  Und  nicht  nur  Bücher- 
kenntnis spricht  aus  seiner  Dichtung.  Überall  bUtzen  Erinne- 
rungen auf  an  die  Reisen,  die  Turoldus  weit  in  die  Welt  geführt 
haben,  das  Rhonetal  hinab,  und  dann  nach  Rom,  und  wieder 
durch  die  dunklen  Fichtenwälder  der  Pyrenäen  nach  Spanion 
hinein.  Nicht  nur  Lorbeer  und  Ölbaum,  sondern  auch  eine 
Fülle  von  Ortsnamen  sind  ihm  von  diesen  Reisen  her  im  treuen 
Gedächtnis  geblieben.  Eine  große  Reihe  bedeutungsvoller 
Personennamen  zeigen  den  geschichtskundigen  Mann,  und 
sprechen  für  die  vielerlei  persönlichen  Beziehungen,  die  ihn  mit 
fürstlichen  und  adligen  Zeitgenossen  verknüpften.  Mit  wieviel 
Interesse  und  Sachkenntnis  hat  er  den  Gang  des  Kreuzzugs 
verfolgt!  Denn  nicht  jeder  Beliebige  hat  damals  soviel  Orts- 
und Völkernamen  des  fernen  Ostens  zur  Verfügung  gehabt  wie 
unser  Dichter.  Und  trotz  alledem  w^ar  einst  die  Vorstellung 
von  der  absoluten  oder  doch  relativen  Unwissenheit  des  Roland - 
dichters  nicht  wenig  verbreitet.  Zwar  was  G  a  u  t  i  e  r  in  seiner 
Ed.  classique  der  Chanson  de  Roland  (1875,  S.  XXIX)  schrieb, 
notre  epiqiie  est  un  ignorant,  das  hat  der  allezeit  Lernfreudige 
selbst  später  gemildert.  Wie  seltsam  muten  auch  jene  Worte  an, 
wenn  man  z.  B.  bedenkt,  daß  kein  Rolandsforscher  in  den  vals 
de  Moriane  2318  Morienval,  Moriana  Wallis,  eine  der  Residenzen 
Karls  des  Kahlen  erkannt  hat.  Von  den  Gelehrten,  die  Namens- 
verzeichnisse zum  Rld.  verfaßt  haben,  hat  keiner  gesehen,  daß 
die  Garmalie  ( Garamantes  auch  in  der  Äneis)  in  der  Pharsalia 
eine  große  Rolle  spielt;  der  ,, Ignorant"  kennt  seine  Alten  besser 
und  gebraucht  den  Namen  durchaus  sinngemäß.  Von  den  anderen 
Modernen,  die  Datan  und  Abirun  1215  überhaupt  nicht  als  Per- 
sonennamen geschweige  denn  als  Bibelnamen  erkannt  haben, 
ist  hier  nicht  zu  reden;  diese  Namen  waren  im  Mittelalter  aucli 
weniger  Gebildeten  nicht  fremd. 

Überschauen  wir  das  Bild,  welches  wir  uns  aus  dem  Rolands- 
epos von  seinem  Dichter  machen  können,  so  müssen  wir  sagen: 
es  gleicht  durchaus  dem  Bild  der  Persönlichkeit,  das  wir  für 
den  Bischof  von  Bayeux  aus  den  Zeugnissen  seiner  Zeitgenossen 
gewonnen  haben.  Dort  wie  hier  derselbe  liebe,  vornehme,  tief- 
fromme doch  fröhliche,  hochgebildete  Mann.  Solche  Persönlicli- 
keiten  waren  rar  dazumals,  und  so  entnehmen  wir  aus  obigem 
wenigstens  e  i  n  Argument  für  unsere  These,  daß  Turoldus  von 
Envermeu  der  Dichter  des  Rolandsepos  gewesen  ist. 

Es  würde  allein  nicht  zum  Beweise  genügen;  aber  was  wir 
von  des  Turoldus  Leben  wissen,  das  wird  uns  im  folgenden  weitere 
und  präzisere  Argumente  bieten. 


Beiträge  zur  liolandsforschung.  117 

Ehe  wir  df^va  Lebenslauf  des  Turoldus  nachgehen,  nehmen 
wiv  ein  Argument  aus  unserer  Vorgeschichte  auf,   das  mit  der 
überragenden  Persönlichkeit  und  Stellung  des  Bischofs  zusammen- 
hängt.    Y.  4002  heißt  der  Dichter  Turoldus  sclilechthin.     Wenn 
man  damals  in  der  Normandie  diesen  Namen  ohne  Zusatz  ge- 
brauchte, dann  konnte  kaum  ein  gewöhnliclier  Sterblicher  ge- 
nannt  sein.      Die    Bezeichnung   wäre   so   gut   wie   nichtssagend 
gewesen,  denn  der  Name  war  allzu  verbreitet.    ,,Navnet  er  saare 
almindeligt  blandt  Normannerne  i  det  Ute  Aarhundrede'',  stellte 
schon   Rosenberg  207   fest.     Wir  verweisen  auf  Vorgesch.    193, 
Baist,  Variationen  20  (=  Beiträge,  Festg.  f.  Foerster  232),  diese 
Zs.  XXVI-,  S.  157  Tavernier.  Über  einen  terminus  ante  quem. .  .3 
(in:  Piniol,  und  volkskundUche  .Aj-beiten,  Vollmöller  dargebracht, 
1908).       Wenn    des    Turoldus     Landsmann.    Ordericus    Vitalis, 
vom  fernen  Orient  erzählt,  macht  er  aus  dem  Armenierfürsten 
Thoros  einen   Turoldus  de  Montanis  (XI  26;  Tom.   IV,   S.  257; 
XI   29,   S.  267)!     Also  stimmt  das  bloße  Turoldus  in  V.   4002 
wohl  zu  unserer  Annahme,  daß  der  allbekannte  (wir  erinnern  an 
die  Worte  „per  totam  Normanniam  famosissima"  im  oben  zitierten 
Mönchsbrief)  Bischof  von  Bayeux  der  Dichter  des  Epos  gewesen  ist. 
Turoldus,    so    haben    wir    anzunehmen,    ist   in    den    Jahren 
1055 — 1060  geboren.    Edelstem  Geschlecht  entsprossen,  wird  er 
an  einem  der  benachbarten  Höfe  als  Pflegesohn  (nourri)  seine 
Jünghngsjahre  verbracht  haben.    Kommt  der  Graf  von  Ponthieu, 
dessen  bedeutendste   Residenz  Abbeville  war,  ohnehin  aus  geo- 
graphisclien  Rücksichten  in  erster  Linie  in  Betracht,  so  spricht 
noch  ein  anderes  .\i'gument  dafür.     Die  Tapisserie  von  Bayeu.v 
schildert,   wie    Gesandte    des    Normannen- Herzogs   zum    Grafen 
Guy  von  Ponthieu  kommen,  der  sich  mit  dem  gefangenen  Harold 
in  Beaurain  (bei  Montreuil  in  der  Picardie)  aufhält.     Die  Pferde 
der  Gesandten  werden  durch  einen  ..Zwerg"'  am  Zügel  gehalten, 
,, Turoldus"  steht  darüber.    Wir  haben  schon  in  der  Vorgeschichte 
behauptet,  daß  es  sich  nicht  um  einen  Zwerg  handelt;  was  hätte 
der  in  der  durchaus  realistischen  Darstellung  der  Tapisserie  zu 
suchen?     Wir   wiederholen,    hier   ist    der   spätere    Bischof   von 
Bayeux  dargestellt.     Er  mag  als  Page  an  des   Grafen  Hof  die 
Szene  miterlebt  und  vielleicht  wirklich  damals   die   Pferde   der 
Gesandten  gehalten   haben.     Bei  unsrer  Annahme   erklärt  sich 
die  große  Rolle,  die  Guy  von  Ponthieu  auf  der  Tapisserie  spielt, 
wo  seine  Verhandlungen  mit  Harold  und  Wilhelm  in  unverhältnis- 
mäßiger Breite  geschildert  werden.     Es  erklären  sich  weiter  die 
Pikardismen  im  Rld.,  von  denen  wir  oben  gesprochen  haben. 

Turoldus  ist  also  von  demselben  Grafen  erzogen  worden, 
der  später  1080  in  Abbeville  den  französischen  Thronfolger  zum 
Ritter  w^affnete  (Luchaire,  Louis  VI  le  Gros,  Paris  1890,  S.  6). 
Das  nächste,  was  wir  von  Turoldus,  und  zwar  durch  den  neu- 
gefundenen Paschalisbrief,  erfahren,  ist,   daß  er  curialia  officia 


118  ^Vilhelm   Tavemier. 

versehen  hat.  An  welchem  Hof,  das  läßt  sich  nur  mutmaßen, 
und  auch  über  die  Zeit  läßt  sich  vorerst  nichts  genaues  sagen. 
Von  1091  ab  gehörte  der  Osten  der  Normandie  Wilhelm  dem 
Roten  (Freemann  1,  275  f.),  dem  König  von  England,  und  an 
ihn  wird  in  erster  Linie  zu  denken  sein.  Er  ist  es,  der  den 
Turoldus  später  zum  Bischof  macht,  also  wird  unser  Dichter  ihm 
schon  vorher  nahe  gestanden  haben.  Die  Beziehungen  mögen 
angeknüpft  sein,  als  Wilhelm  1091  sechs  Monate  lang  in  Eu, 
nicht  weit  von  Envermeu,  residierte  (Freeman  I,  293);  sie 
dauerten  fort,  als  Wilhelm  1096  von  seinem  Bruder  die  Nor- 
mandie als  Pfand  erhalten  hatte.  Von  etwa  August  1096  bis 
April  1097,  dann  wieder  von  November  1097  bis  1099  liielt  sicli 
Wilhelm  in  der  Normandie  auf  (Freeman  II,  207,  245);  da 
würden  wir  dann  Taroldus  in  seinem  Gefolge  zu  denken  haben. 
Aber  auch  nach  England  mag  er  als  Hofbeamter  oder  auch 
als  Bischof  später  mit  seinem  Herrn  gekommen  sein.  Das 
braucht  nicht  mit  Gautier  angenommen  zu  werden,  um  das 
angelsächsische  atgier  zu  erklären.  An  Wilhelms  Hof  dürfen  wir 
uns  nicht  wundern,  das  Wort  zu  finden.  Dem  atgier  entspricht 
die  Tatsache,  daß  ,,plusieurs  idiotismes  saxons  se  rencontrent 
dans  les  Inscriptions  de  la  Tapisserie",  worüber  bei  Laffetay, 
Notice  historique  et  descriptive  sur  la  tapisserie  dite  de  la  reine 
Mathilde,  3.  ed.,  Bayeux  1880,2ö)  S.  19  ff.  näheres  zu  lesen  ist. 
Daß  Turoldus,  wenn  er  an  Wilhelms  Hof  lebte,  einige  angel- 
sächsische Brocken  aufgeschnappt  hat,  ist  anzunehmen,  auch 
wenn  er  nie  nach  England  herüber  gekommen  wäre.  Alle  Wahr- 
scheinlichkeit spricht  aber  in  jener  Zeit,  da  Fürsten  und  liohe 
Geistliche  noch  mehr  als  heute  unterwegs  waren,  an  sich 
dafür,  daß  Turoldus  wirklich  den  Kanal  gekreuzt  hat. 

Wenn  wir  uns  den  Rolanddichter  an  König  Wilhelms  Hof 
vorstellen,  dann  werden  gewisse  Stimmungen,  die  unser  Epos 
durchziehen,  zeitgeschichtlich  schärfer  beleuchtet.  Der  König 
war  das  Urbild  eines  Despoten,  eine  wüste,  rücksichtslose  Kraft- 
natur, aber  eine  Seite  seines  Charakters  hat  etwas  Versöhnendes. 
Er  fühlte  sich  durch  und  durch  als  Ritter,  und  wo  er  es  mit  Rittern 
zu  tun  hatte,  da  hielt  er  Ritterehre  und  Ritterwort  hoch.  Das 
war  damals  noch  etwas  neues,  und  eben  die  furchtbare  Per- 
sönlichkeit des  roten  Königs  hat  dazu  beigetragen,  diese  Ritter- 
ideale seinen  Zeitgenossen  beizubringen.  Er  war  der  modernste 
Monarch    seiner  Zeit.-^)    Das  Rolandsepos,    um    1107    gedichtet, 

-'')  Vorhanden:   Univ.-Bibl.   Göttingen. 

-')  Vgl.  Freeman  I,  G:  In  the  Company  of  the  Red  King  \ve  are 
introduced  to  a  new  line  of  thought,  a  new  way  of  looking  at  things, 
of  which  in  an  earUer  generation  we  see  hardly  stronger  .signs  in  Nor- 
mandy than  we  see  in  England.  For  good  and  for  evil,  if  Wilüam 
Rufus  bears  the  mark  of  his  age,  ho  also  1  e  a  v  e  s  h  i  s  mar  k 
o  n  his  age. 


Beiträgt'  zur  Holnii(lsforsr/iiiHi^.  119 

steht,  das  braucht  nicht  mehr  ausgeführt  zu  werden,  schon  ganz 
drin  in  dieser  Moderne.  Das  Rittertum  mit  seinem  Ehrenkodex, 
seiner  Kampf'esweise,  seinen  Bräuchen,  seiner  Ti'acht  ist  an- 
nähernd ausgebildet;  die  lei  de  Chevalier  (V.  752)  gilt  für  die 
Rolandslielden  wie  für  den  roten  König  und  sein  adhg  Gefolge. 
Das  Rittertum  jener  Normannenbarone  hatte  eine  besondere 
Färbung.  Die  Frauen  spielten  noch  keine  Rolle  oder  doch  nur 
die  äußerster  Passivität.  Dagegen  stand  Mannesschönheit  hoch 
im  Kurs.  Die  Rittor  Wilhelms  schmückten  sich  und  hielten 
sorgfältig  auf  ihr  Äußeres  wie  Frauen,  trugen  ihre  Haare  wie 
Frauen,  und  waren  sich  in  zärtlicher  Zuneigung  zugetan,  die 
nicht  selten  die  Grenze  des  Naturgemäßen  überschritt.  Der 
König  selbst  huldigte  nach  dieser  Richtung  offenem  Laster. 
In  solcher  Umgebung,  inmitten  solcher  Gefühlsstimmungen  und 
Gefühlswerte  hat  Turoldus  gelebt.  Und  wenn  dem  so  ist,  dann 
verstehen  wir  manches  in  seiner  Dichtung:  das  Gefallen  an 
männUcher  Schönheit  —  keine  Frau  wird  geschildert,  das  Epi- 
theton la  bele  für  Alda  ist  alles  — ,  die  fast  frauenhaft  zärtliclie 
Zuneigung  der  Helden  zueinander,  überhaupt  der  Gefühlsüber- 
schwang dieser  Männer,  der  an  die  andere  Sturm-  und  Drang- 
periode im  18.  Jahrhundert  erinnert,  schließlich  die  oft  betonte, 
bescheiden  passive  Rolle  der  Frauen  in  unserer  Dichtung.  Doch 
über  dies  alles  wird  in  einer  besonderen  kulturgeschichtlichen 
Betrachtung  im  einzelnen  zu  handeln  sein;  kehren  wir  zu  den 
Lebensschicksalen  unseres  Turoldus  zurück. ^'^) 

Eben  noch  Laie  im  Hofdienst,  wurde  Turoldus,  so  erfahren 
wir  aus  dem  neugefundenen  Papstbrief,  zum  Diakon  ernannt.-^) 
Es  wird  nicht  gesagt,  wo,  aber  aus  diesem  Schweigen  ist  mit 
aller  Wahrscheinlichkeit  zu  schheßen,  daß  auch  hierfür,  wie  für 
den  ganzen  Prozeß,  Bayeux  in  Betracht  kommt.  Ebensowenig 
sagt  das  Schreiben  des  Paschalis  etwas  über  den  Zeitpunkt  der 
Ernennung;  als  das  wahrscheinlichere  wird  man  nach  der  Fassung 
des  Briefes  annehmen  dürfen,  daß  kein  allzugroßer  Zeitraum, 
nicht  etwa  viele  Jahre,  zwischen  dieser  Ernennung  und  der  zum 
Bischof  verflossen  sind.  Sehr  wohl  kann  man  sich  folgenden 
Sachverhalt  denken.  Im  August  1096  kam  König  Wilhelm  nach 
der  Normandie  herüber  und  übernahm  von  seinem  liederlichen 
Bruder    die    Regierung    des    Herzogtums,    dessen    Zustände    an 

2^)  Nur  sei  noch  angemerkt,  daß  sich  des  Königs  Fluch  [Dei 
odium  habeat....,  s.  Eadmerus,  Historia  novorum  in  Anglia,  ed.  by 
Martin  Rule,  London  1884,  S.   115)  im  Rld.  wiederfindet. 

23)  Danach  hat  Turoldus  selbst  folgendes  zugegeben:  diaconi 
etiam  officium  quod  non  nisi  certis  hcet  temporibus  extra  eadem 
tempora  accepisse  se  non  negauit.  Caeteros  etiam  minores  ordines 
qui  distinctis  ordinibus  distribui  praecipiuntur.  simul  usurpasse  asseruit; 
Cum  nuper  ex  curialibus  assumptus  officiis.  aeccle- 
siam  incessisset;  Quibus  nimirum  euentis.  patuit  eum  tunc  temporis 
neophiti  quoque  [non]  caruisse  flagitio  (Morin  284  f.). 


120  Wilhelm  Tavernier. 

völlige  Anarchie  grenzten;  bald  hatte  er  mit  eiserner  Hand  Ord- 
nung geschaffen.     Mit    Robert   zog  damals   dessen   Onkel,   der 
Bischof  Odo  von  Bayeux,  fort  zum  heiligen  Land.    Wilhelm  mag 
auf  dem  wichtigen  Posten  in  Bayeux  einen  Mann  seines  Ver- 
trauens gewollt  haben,  und  so  machte  er  Turoldus  zum  Diakon. 
Die  höchste  Würde  des  Kapitels  (in  Bayeux  folgte  der  Diakon 
gleich  auf  den  Bischof)  erreichte  Turoldus  vom  Neophyten  aus, 
alle  dazwischen  liegenden  ordines  hatte  er  übersprungen.     Das 
war  nach  den  kirchlichen  Vorschriften  nicht  zulässig,  aber  wer 
hatte   damals   in   der   Normandie   danach   zu   fragen,   wenn   der 
König  entschieden  hatte  ?     Damals  schon  könnte  des  Turoldus 
Mitwirkung  an   der   Bayeux- Stickerei   begonnen   haben,    die   ja 
zum    Schmuck   der   Kathedrale  bestimmt  war.      Doch   darüber 
werden  wir  gleich  unten  zu  reden  haben.  —  Der  greise  Bischof 
von  Bayeux  sollte  seine  Heimat  nicht  wiedersehen.    Februar  1097 
starb  er  in  Palermo.     ,, Cujus  obitum  rex  Guillelmus  ut  audivit, 
Turoldo,    fratri    Hugonis     de     Ebremou,     episcopatum     dedit" 
(Ordericus  Vit.,  X  4;  Tom.  IV,  S.  18).     Das  Kapitel  zu  fragen, 
fiel  dem  roten  Wilhelm  nicht  ein;  er  regierte  seine  Kirche  selbst. 
Gegen  den  Willen  des   unbeugsamen   Despoten  gab   es   keinen 
Widerspruch.     Aber  schwer  genug  wird  es  das  Kapitel  (dem  so 
bedeutende   Männer   wie   der  Theologe   und    Dichter    Serlo   an- 
gehörten) gekränkt  haben,  daß  nicht  nur  sein  Wahlrecht  miß- 
achtet, sondern  obendrein  ein  noch  jugendlicher  Günstling  über 
die  Köpfe  der  Älteren  hinweg  befördert  wurde.    Einerlei,  Turoldus 
bestieg  die  Kathedra;  der  Erzbischof  von  Ronen,  Wilhelm  Bona 
Anima,  der  während  der  langen  Zeit,  da  er  den  Erzstuhl  inne 
hatte  (1079 — 1110),  wiederholt  vom  Papst  suspendiert  war  (auch 
wieder  1096;  vgl.  Böhmer  189  und  wegen  der  letzten  Suspension 
ebd.  187,  bes.  Anm.  3),  wird  den  Erwählten  seines  Landesherrn 
konsekriert  haben.     Der  Papst  hatte  damals  in  der  Normandie 
niclits  zu    sagen    (vgl.    oben).      Turoldus   war  Bischof,  pontifex 
ordinatiis  Baiocassinae  iirbis.'^^)    Er  konnte,  als  Herr  der  Kathe- 
drale, das  Werk  der  Bayeux- Stickerei,  wenn  es  noch  nicht  voll- 
endet war,  mit  Muße  zu  Ende  führen.     Daß  die  Tapisserie  gegen 
Ende  des  11.  Jahrb.,  also  zu  des  Turoldus  Bischofszeit  vollendet 
worden   ist,   entspricht   dem   Urteil   der   kundigsten   Beurteiler. 
Die  erste  Anregung  mag  von  dem  prachtliebenden  Vorgänger 
des    Turoldus    ausgegangen    sein,    der    nach    Ordericus    ,,multis 
honoribus   et    ornamentis   episcopalem   ecclesiam   ditavit" 
(X  4;  Tom.  IV,  S.  18).     Aber  an  einer  Mitwirkung  des  Turol- 
dus bei  der  Ausführung  des  Kunstwerks,  sei  es  als  Diakon,  sei 
es  als  Bischof  in  Bayeux,  zweifeln  wir  nicht.    Es  würde  seinem 
vornehmen  Charakter  entsprechen,  daß  er  auf  die  Ehrung  seines 

'^'^)  Diese  Bezeiclinung  im  Miräciüum  beatae  Fidis  ist  Vorgesch. 
195  in  Unkenntnis  des  neugefundenen  Paschalisbriefes  zu  Unrecht 
])eanstandet  worden. 


Beiträge  zur  Holandsforsrhiiiig.  121 

Amtsvofgängers,  der  sich  doch  recht  wenig  Sympatliien  erworben 
hatte,  nach  Kräften  bedacht  war,  indem  er  ihm  einen  erheb- 
lichen Anteil  an  den  geschilderten  Ereignissen  gibt  (Stcenstrup 
42  f.).  Sich  selbst  liat  Turoldus  an  bescheidener  Stelle,  in  einer 
Statistenrolle,  angebracht.  Das  Monogramm  des  Kiinstlers  ist 
dasselbe  auf  der  Stickerei  wie  im  Rld.:  Turoldus  sans  phrase. 
Mag  man  über  die  Mitwirkung  des  Turoldus  an  der  Tapisserie 
<lenken  wie  man  will,  soviel  ist  von  allen  Zuständigen  anerkannt, 
die  Stickerei  hat  im  Anfang  des  12.  Jahrh.  die  Kathedrale  von 
Bayeux  geschmückt.  Turoldus  muß  sie  also  jedenfalls 
gesehen  und  gründlich  gekannt  haben.  Darauf  kommt  es  zu- 
nächst an.  Wir  haben  V^orgesch.  197  und  dann  ,,Über  einen 
terminus. . ."  11  auf  die  frappierende  Ähnlichkeit  mancher  Szenen 
des  Rolandsepos  mit  solchen  der  Tapisserie  hingewiesen.  Eine 
eingehende  Nebeneinanderstellung,  die  wir  in  einem  besonderen 
Beitrag  geben  wollen,  wird  die  enge  Verwandtschaft  der  beiden 
Kunstwerke  über  jeden  Zweifel  herausheben.  Nicht  nur  in  den 
Kampfschilderungen  dieselben  Bilder  hier  und  dort,  sondern 
auch  sonst:  breitausgemalte  Gesandtschaften,  Städteeinnahme, 
Seefahrt,  ein  sterbender  König  auf  seinem  Bett,  die  Königin  an 
seiner  Seite,  feierlicher  Eid,  Begräbnis,  Gespräch  zu  zweien,  die 
Bäume  in  ornamentaler  Verwendung  und  vieles  mehr.  Zu  dieser 
Übereinstimmung  in  den  Bildern  kommt  anderes  hinzu:  Steen- 
strup  41  f.  hat  treffend  auf  die  bescheidene  Rolle  hingewiesen, 
welche  die  Frauen  in  den  Schilderungen  der  Tapisserie  spielen: 
unter  den  mehr  als  hundert  Personen  sind  nur  drei  weibliche, 
und  alle  drei  von  der  Gegenpartei.  Auch  diese  drei  ganz  im 
Hintergrund  der  Handlung,  ,,nemlig  ^Ifgyva,  denne  mystiske 
Kvinde,'^^)  der  saettes  i  Forhold  til  en  klerk,  Edvards  Hustru, 
der  sidder  ved  bans  Dödsleje,  og  en  angelsaksik  Kvinde,  der 
flygter  med  sin  Barn"  (S.  41).  Also  eine  Braut  und  eine  Königin 
am  Sterbebett  ihres  Gemahls.  Beide  finden  im  Rld.  ihr  Pendant. 
Überhaupt  entspricht  die  bescheidene,  mehr  passive  Rolle  der 
Frauen  in  unserem  Epos  den  Verhältnissen  auf  der  Tapisserie. 
Dort  drei  Frauen  im  ganzen,  im  Rld.  zwei,  welche  wirklich 
auftreten. 

Eine  weitere  innere  Verwandtschaft  zwischen  Tapisserie  und 
Rolandslied  zeigt  sich  in  der  starken  Betonung  des  Rechts- 
standpunkts.    Das  lebhafte  Rechtsgefühl  äußert  sich  im  Epos: 

Paien  unt  tort  et  crestien  unt  dreit  (1015). 

Nos  avum  dreit,  mais  eist  glutun  unt  tort  (1212). 

In  dieser  Ethik  schwelgt  —  echt  französisch  —  die  Begeisterung 
der  Helden  (vgl.  Terminus  7).  Ganelons  Schuld  und  sein  Prozeß 
führen  direkt  ins  Juristische.     Nicht  anders  auf  der  Tapisserie. 

''^^)  Es  handelt  sich  vielmehr  um  Harolds  Braut  (Laffetay  51  f.). 


122  Wilhehn  Tavernier. 

Treffend  hat  Laffetay  17  ff.,  42  f.  betont,  daß  der  ganze  erste 
Teil  des  Werks  im  wesentlichen  einem  Zweck  dient,  nämlich 
Wilhelms  gutes  Recht  auf  England  zu  erweisen.  ,,Quel  que 
soit  l'auteur  du  plan  de  cet  ouvrage,  il  l'a  compose  sous  l'inspi- 
ration  d'une  i  d  ö  e  ,  et  cette  idee  il  a  voulu  la  propagcr  dans 
les  masses.  La  Tapisserie  est  un  plaidoyer  en  faveur  de  Guillaume ; 
on  peut  la  resumer  ainsi:  La  conquete  de  l'Angleterre  par  le  duc 
de  Normandie  fut  une  entreprise  aussi  glorieuse  qu'elle  etait 
legitime"  (S.  42).  Daß  Bischof  Odo,  dieser  gewalttätige 
Mensch,  dem  immer  .Maclit  vor  Recht  gegangen  ist,^'-)  der  Ur- 
heber dieses  Entwurfs  gewesen  ist,  der  bis  ins  kleinste  Detail 
von  einem  Rechtsideal  bestimmt  ist,  wird  schwerlich  jemand 
glauben.  Aber  bei  Turoldus  dürfen  wir  nach  allem,  was  wir 
über  seinen  Charakter  wissen,  sehr  wohl  diesen  Hunger  und 
Durst  nach  Gerechtigkeit  erwarten,  der  sich  in  gleicher  Weise 
auf  der  Tapisserie  und  im  Rld.  offenbart. 

Wir  können  nicht  auf  die  innere  Verwandtschaft  im  Aufbau 
der  beiden  Kunstwerke  eingehen,  der  beiderseits  mit  feinster 
Technik  durchgedacht  ist,  und  nacli  dem  Prinzip  der  Zweiteilung 
(Gautier  hat  mit  seiner  Dreiteilung  des  Rolandsepos,  wie  so  oft. 
vorbeigegriffen).  Nur  mit  einem  Wort  sei  nur  noch  des  Humors 
gedacht,  der  die  ernsten  historischen  Schilderungen  der  Tapisserie 
auf  den  Borten  lebensvoll  umspielt.  Unsere  heutige  prüdere 
Zeit  hat  ihn  an  einigen  Stellen  sogar  anstößig  gefunden.  Der- 
selbe Humor  wie  auf  der  Tapisserie  durchwärmt,  so  sahen 
wir  oben,  das  Rld.,  und  wie  die  Tapisserie  gar  nicht  zimperlich 
das  Natürliche  mit  der  köstlichen  Freiheit  des  ,,finstern"  Mittel- 
alters darstellt,  so  scheut  auch  unser  Dichter  nicht  vor  humor- 
voller Derbheit  zurück  in  den  unter  Tränen  lächelnden  Versen 
1720  f. 

Wir  glauben,  daß  die  innere  Verwandtschaft  der  beiden 
Kunstwerke  zu  groß  ist,  als  daß  man  sie  voneinander  trennen 
könnte.  Beide  mit  ,Turoldus'  signiert  sind  Schöpfungen  des- 
selben Geistes.  Aber  wer  das  nicht  annehmen  will,  der  wird 
wenigstens  das  zugestehen  müssen:  die  unleugbaren  Beziehungen 
des  Rlds.  zu  der  Tapisserie  machen  es  wahrselieinlich,  daß  bei 
dem  V.  4002  als  Bearbeiter  genannten  Turoldus  an  den  Bischof 
■i^on  Bayeux  zu  denken  ist,  der  das  Wunderwerk  der  Tapisserie 
zum  mindestens  eingehend  gekannt  haben  muß. 

Nicht  lange  sollte  des  Turoldus  Episkopat  unangefochten 
bleiben.  Den  königliclien  Gönner  Wilhelm  traf,  in  seiner  Sünden 
Maienblüte,  der  Pfeil  eines  Spießgesollen  (2.  August  1100);  homo 
jecocissimus  pro  fera  confossus  interiit  (William  of  Newburgh  bei 
Freeman  IJ,  336).   Im  September  desselben  Jahres  kehrte  Robert 

^2)  ,,murtos  suis  exspohavit",  sagt  Ordericus  in  seinem  Nachruf 
(Hist.  eccl.  X,  4;  Tom.  IV,  S.  18). 


Beiträge  zur  Rolands forschang.  123 

zurück;  im  nächsten  Jahre  beginnt  der  Krieg  mit  König 
Heinrich,  der  noch  1101  damit  endet,  daß  Robert  auf  England, 
Heinricli  auf  seine  normannischen  Besitzungen  (außer  Domfront) 
verzichtet.  Auch  Bayeux,  das  der  Beauclerc  besetzt  hatte,  ging 
wieder  in  Roberts  Gewalt  über.  Turoldus  muß  mit  König  Hein- 
rich —  wohl  während  Heinrich  Bayeux  in  Händen  hatte  — 
inzwischen  in  nahe  Beziehungen  getreten  sein,  denn  wir  erfahren 
aus  dem  PaschaHsbrief  von  1104:  er  hat  dem  König  von  England 
sein  Wort  gegeben,  nicht  aus  den  Händen  des  Herzogs  der  Nor- 
mandie  die  Investitur  mit  den  Bistumsgütern  annehmen  zu 
wollen  (,,pro  fide  etiam  non  accipiendi  a  normannorum  comite 
honoris  aecclcsiastici  ante  conspectum  anglici  regis  data"',  Morin 
285).  Diese  Zusage  mußte,  nach  dem  Kompromiß  zwischen  den 
beiden  Brüdern  von  1101,  des  Turoldus  Stellung  sehr  er- 
schweren. 

Robert  hatte  aus  dem  Kreuzzuge  reichen  Ruhmeslorbeer, 
aber  auch  seinen  alten  Leichtsinn  heimgebracht.  Bald  herrschte, 
wie  ehedem,  in  seinen  Staaten  völlige  Anarchie.  Alsbald  rührt 
sich  das  seinem  Bischof  feindliche  Kapitel  von  Bayeux.  Noch 
im  Jahre  llOl'^^j  t^^  es  einen  Schritt,  den  es  unter  Wilhelms, 
auch  unter  Heinrichs  Botsamkeit  nie  hätte  wagen  dürfen,  es 
bringt  die  Sache  vor  den  Papst.  Der  feuchtfröhliche  Landesherr 
wird  sich  um  die  Angelegenheit  überhaupt  nicht  gekümmert 
haben,  und  wenn  doch,  hatte  er  keinen  Anlaß,  dem  Turoldus 
nach  dem  \  orangegangenen  die  Stange  zu  halten.  Zu  dem 
widerspenstigen  Kapitel  gehörte  Turgisus  (s.  Vorgesch.  199). 
Nicht  ohne  Absicht,  mit  schelmischen  Lächeln  wird  Turoldus 
gerade  diesen  Namen  einem  heidnischen  Grafen  gegeben  haben, 
dem  obendrein  noch  so  lästerliche  Worte  in  den  Mund  gelegt 
werden: 

Plus  valt  Mahuns  que  sainz  Pierres  de  Rume  (V.  921). 

Wie  bedeutungsvoll  der  Dichter  einen  erheblichen  Teil  der  Eigen- 
namen gewählt  hat,  das  wird  weiter  unten  zu  zeigen  sein. 

Paschalis  zitiert  den  Bischof  vor  sein  Gericht.  Zunächst  er- 
scheint Turoldus  nicht.  Auf  die  zweite  Vorladung  geht  er  1103 
nach  Rom  (,,Post  secundam  sane  uocationem  cum  ad  nos  anno 
praeterito  peruenisset",  Morin  284). 

Sind  im  Rolandsepos  Erinnerungen  an  eine  Romreise  seines 
Verfassers  zurückgeblieben?  Zum  Glück  so  viel,  daß  wir  aus 
ihnen  das  wichtigste  ^^-gument  für  unsere  These  gewinnen,  daß 
kein  andrer  als  Turoldus  von  Bayeux  das  Rld.  gedichtet 
hatte. 

33)  Das  geht  aus  dem  Pa.schahsbrief  vom  8.  Okt.  1104  hervor: 
lam  enim  triennium  agitur.  ex  quo  ipsius  causae  actio  uentilata  est 
(Morin  284). 


124  Wilhelm  Tavernier. 

Im  nächsten  Heft,  wenn  wieder  Frühling  geworden  ist,  wollen 
wir  dem  Bischof  auf  dem  Ritt  nach  dem  Süden  folgen,  über 
Morienval  nach  Reims,  Dijon,  Beaune  (1892),  Saint- Antoine, 
und  die  Rosne  (vgl.  Schw^an-Behrens  ^,  §  120  A)  entlang,  über 
Vienne,  Valence,  Viviers  (von  0  2209  in  Riviers  verderbt)  nach 
St.  Gilles,  und  weiter  bis  zum  Mons  gaiidii  vor  dem  ewigen 
Rom.34) 

Oppenheim  a.   Rh.  Wilhelm  Tavernier. 

^*)  Weiter  wird  über  die  Reise  des  Dichters  nach  Spanien  zu 
liandeln  sein,  mit  Bezug  worauf  das  Vorgescli.  76  ff.,  Anm.  132 
über  das  Verhältnis  des  Compostella-Bädekers  zum  Rld.  Gesagte, 
sowie  auch  die  in  dieser  Zs.  XXVP,  S.  152  gegen  eine  persönhche  An- 
wesenheit des  Dichters  in  Spanien  geäußerten  Bedenken  sclion  hier 
zurückgenommen  sein  mögen. 


xius  dem  xVtlas  Linguistique. 

(Fortsetzung.) 


4.  gase,  madüt  'mür'. 

Sieben  Nummern  des  östlichen  Gascognisch  669,  678,  679, 
688,  689,  781,  782  weisen  auf  einem  anscheinend  geschlossenen 
Gebiet  in  Karte  891  für  )7iür  eine  Maskuhn-Form  mit  -t  auf.  Der 
Vergleich  mit  anderen  Karten  zeigt  uns,  daß  das  r  von  MATURU 
lautgesetzlich  schwinden  sollte,  also  madü,  wie  es  denn  auch 
sonst  im  Gascognischen  zumeist  heißt;  doch  verstünden  wir  auch, 
daß  das  r  durch  die  Einwirkung  des  Femininum  und  der 
.Vbleitungen  erhalten  ist  oder  wiederhergestellt  wurde  wie  in 
698,  699  und  in  viel  ausgedehnterem  Maß  bei  dur  (K.  429). 
An  einen  lautgesetzUchen  Übergang  des  /■  zu  ^  wie  er  wohl  vor- 
liegt an  den  beiden  provenzalischen  Punkten  768  und  778  (madö'^), 
wo  das  r  intervokalisch  zu  geschwächtem  d  wird  und  dies  im 
Auslaut  in  die  entsprechende  Tenuis  übergeht,  ist  in  der  Gascogne 
nicht  zu  denken. 

Wir  haben  vielmehr  eine  interessante  Analogiebildung  vor 
uns.  Zu  dem  fem.  madüro  wurde  mask.  madüt  gebildet  nach 
Analogie  der  Paare  bet  bero  (BELLU),  nubet  nubero,  sadiit  sadiiro 
usw.  Das  Feminin  hat  also  wieder  einmal  als  spinta  analogica 
gedient. 

5.  toile,  etoile. 

Jaberg  beschäftigt  sich  in  seinem  \'ortrag  ,,  Sprachgeo- 
graphie" (gedruckt  Aarau,  1908,  bei  H.  R.  Sauerländer)!)  mit 
der  F'rage  „Gibt  es  Lautgrenzen?"  Um  darauf  zu  antworten, 
hat  er  auf  4  beigegebenen  Karten  Lautgrenzen  einzelner  Wörter 
miteinander  verglichen.  Die  erste  dieser  Karten  enthält  die 
Grenzen  des  w-Diftongs  bei  toile.  etoile,  mois.  Da  mois  andere 
lautliche  Bedingungen  aufweist  als  die  beiden  anderen  Wörter. 

1)  Vgl.  dazu  Meyer- Liibke.s  Anzeige  in  den  GöGA.  1909,  S.  138  fr. 
und  meine  demnächst  erscheinende  im  LgrPh.  [Aus  der  Rezension 
von  Gauchat,  DL  1910,  Sp.  1947,  die  erschien,  als  dieser  Artikel 
bereits  in  der  Redaktion  lag,  ersehe  ich  zu  meiner  Freude,  daß 
ich  mit  meinen  Bedenken  in  mehr  als  einem  Punkt  nicht  so  allein 
stehe.     Korrekt. -Zusatz.] 


126  E.  Herzog. 

legt  Jab.  nur  Gewicht  auf  die  \erschiedenheiten  die  sich  bei 
toile  und  etoüe  zeigen.  Die  zweite  zeigt  den  Mangel  des  pros- 
thetischen \"okals  mehrerer  mit  SC-  anlautenden  Wörter.  Da, 
wie  Jab.  selbst  anführt,  der  prosthetische  \'okal ,, satzphonetischen 
\'eränderungen  besonders  leicht  zugänglich  ist",  die  satzpho- 
netischen Bedingungen  der  Entwicklung  oder  Nicht-Entwicklung 
des  Vokals  bei  verschiedenen  Wörtern  ungemein  verschieden 
und  sehr  schwer  kontrollierbar  sind,  so  ist  dieses  Beispiel,  wo 
Gleichheit  der  Entwicklung  schon  von  vornherein  nicht  zu  er- 
warten ist,  sehr  übel  gewählt.  Die  3.  und  4.  Karte  umgrenzt 
das  Gebiet,  auf  dem  sich  lateinisches  CA-  als  h-  gehalten  hat, 
für  eine  Reihe  Worte. 

Aus  diesen  Ader  Karten  zieht  Jabejg  das  Fazit:  .,Das  Laut- 
gesetz, das  da  sagt,  daß  ein  gewisser  (lateinischer)  Laut  unter 
gewissen  Bedingungen  an  einem  bestimmten  Ort  sich  gleich 
bleibt  oder  sich  zu  einem  bestimmten  neuen  Laut  entwickelt, 
ist  eine  Abstraktion.  In  Wirklichkeit  hat  jedes  Wort  seine 
besondere  Geschichte. "" 

Diesen  Eindruck  von  der  Sache  mag  man  auch  sonst  oft 
genug  haben,  wenn  man  sich  nicht  die  Mühe  gibt,  tiefer  ein- 
zudringen. Man  will  z.  B.  mit  Hilfe  der  Gillieronkarte  eine 
Lautgrenze  aufstellen,  sucht  sich  ein  Wort  als  Repräsentanten 
des  Lautes  auf  und  —  wenn  man  Glück  hat,  d.  h.  wenn  das 
betreffende  Wort  in  den  in  Betracht  kommenden  Gegenden 
wirkhch  noch  existiert  und  nicht  durch  ein  anderes  verdrängt 
ist,  wenn  die  lautliche  Entwicklung  nicht  durch  einen  Faktor 
gestört  ist,  an  den  man  nicht  gedacht  hat  usw.  —  dann  vermag 
man  wirklich  die   Grenze  in  seine  Karte  einzuzeichnen. 

Man  will  aber  doch  die  erhaltene  Grenze  kontrollieren, 
man  schlägt  deshalb  eine  zAveite  Karte  auf:  Große  Divergenzen! !  — 
Man  hat  noch  das  Glück,  eine  dritte  Karte  für  das  Phonem  zu 
entdecken;  die  Grenze  geht  vielleicht  hier  ein  Stückchen  mit 
der  ersten,  dort  mit  der  zweiten,  dann  aber  läuft  sie  mitten  durch 
oder  läßt  beide  Grenzen  links  oder  rechts  liegen.  Kein  Wunder, 
daß  man  ungeduldig  wird  und  sich  der  Meinung  zuwendet,  daß 
es  eine  gesetzliche  Entwicklung  der  Laute  überhaupt  nicht  gibt, 
sondern  nur  ,, wandernde  ^^"örter'■. 

Nun  ist  es  aber  ein  leichtes,  eine  so  weitgehende  Schluß- 
folgerung ad  absurdum  zu  führen.  \'on  den  beiden  ^^'ortformen, 
die  an  der  Grenze  zusammenstoßen,  repräsentiert  die  eine  die 
ursprüngliche  Form,  die  andere  die  veränderte.  Wollen  wir 
nun  auch  den  großen  Umfang  des  Gebietes,  auf  dem  die  Änderung 
stattfindet,  durch  Wanderung  der  Wörter  erklären,  so  müssen 
wir  doch  jedenfalls  ein  wenn  auch  noch  so  kleines  Zentrum  an- 
nehmen, auf  dem  die  Lautänderung  der  verschiedenen  Wörter 
gleichartig  durchgeführt  wurde.  \'on  dort  aus  wäre  dann  die 
Neuerung    über    das    Gesamtgebict    verbreitet    worden,    indem 


Alis  dem  Atlas  Lin^iiistiqiw.  127 

(las  umgeformte  Wort  als  Vokabel  weiter  wanderte.  Es  ist 
leicht,  zu  erweisen,  daß  dies  ein  anderes  Bild  geben  würde,  als 
wir  tatsächlich  finden.  Lexikalische  Bestandteile,  die  wandern, 
sind  in  den  Wanderungen  völlig  voneinander  unabhängig.  Jaberg 
sagt  z.  B.  ganz  richtig  (Sprachgeogr.  S.  9):  ,, Nirgends  decken  sich 
die  Grenzen  des  französischen  Einflusses.  .  .  Jedes  Wort  hat 
seine  besondere  Geschichte."  DaB  die  Grenzen  der  Lautänderung 
für  zwei  oder  mehrere  Worte  lange  Strecken  hindurch  überein- 
stimmen, wie  dies  ja  oft  genug  vorkommt,  wäre  bei  den  obigen 
\'oraussetzungen  ungemein  auffällig.  Jaberg  gibt  nicht  nur  diese 
langen  Grenzlinien,  sondern  auch  ,,Normalgebieto  der  lautlichen 
Entwicklung"  zu.  Ja  er  selbst  zeichnet  uns  ein  solches  Normal- 
gebiet für  erhaltenes  ka-  in  Südfrankreich  ein,  bei  dem  nur  drei 
Punkte  fraglich  seien.  Er  gelangt  dazu  durch  einen  genauen 
\'ergleich  verschiedener  Karten  und  durch  wohlberochtigte  Kritik 
der  dort  gegebenen  Wortformen.  Setzte  man  diese  Tätigkeit  — 
wobei  man  allerdings  hie  und  da  bei  besonders  widerspruchs- 
vollen i'Vngaben  auch  die  historischen  Daten  berücksichtigen 
müßte  —  fort,  so  würden  vermutHch  auch  diese  drei  Punkte 
verschwinden:  729  und  878^)  würden  sich  als  zum  ^a- Gebiet 
gehörig  erweisen,  991  fiele  vermutlich  dem  ÄY/-Gebiet  zu.  —  W^ie 
soll  man  sich  aber  die  Entstehung  solcher  Normalgebiete  vor- 
stellen ?  \'or  allem  würden  sich  aicht  die  Beziehungen  erklären, 
die  zwischen  der  Qualität  der  Wörter  und  der  Gleichartigkeit 
ihrer  Entwicklung  bestehen.  Auch  Jaberg  gibt  es  zu:  je  volks- 
tümlicher, je  gebräuchlicher  ein  Wort  ist,  je  w'eniger  es  schrift- 
sprachlichem Einfluß  ausgesetzt  ist,  um  so  größer  ist  die  Chance, 
die  Laute  gleichartig  entwickelt  zu  finden,  denn  auch  er  wählt 
für  seine  Zwecke  ,, möglichst  volkstümliche,  der  Entlehnung 
nicht  verdächtige  Wörter"  (S.  6  Anm.).  Wir  würden  aber  eher 
umgekehrt  erwarten,  daß  die  Grenzlinien  um  so  unregelmäßiger, 
um  so  eigenartiger  seien,  je  größeren  Widerstand  das  heimische 
W^ort  der  von  außen  eindringenden  Fremdform  leistet. 

Wir  kommen  also  mit  der  Wandertheorie  nicht  ans  Ziel 
und  müssen  uns  die  Sache  anders  vorstellen.  Sicher  ist  ja  doch, 
daß  vollständig  gegen  fremden  Import  gefeit  und  von  fremden 
Lautungen  unbeeinflußbar  nur  die  allerwenigsten  lexikalischen 
Bestandteile  der  Sprache^)  sind.  Bedenkt  man  das,  so  wird  man 
einsehen,  daß  die  von    Jaberg  aufgestellte,  in  der  Theorie  ganz 

^)  Über  ca-  und  ga-  in  dem  Departement  Basses-Alpes,  wozu 
auch  dieser  Grenzpunkt  gehört,  vgl.  zuletzt  P.  Meyer,  Documents 
linguistiques  du  Midi  de  la  France,  p.  337. 

^)  Oder  vielmehr  gar  keiner.  Nur  hat  eben  ein  Ort,  der  gewisse 
seiner  grundlegenden  Formen  von  großer  Häufigkeit  zugunsten  einer 
andern  Mundart  aufgibt,  eben  auch  seinen  Dialekt  nicht  mehr  bewahrt. 
Daß  es  dabei  mitunter  zu  besonders  schwierigen  Mischungsverhält- 
nissen kommen  kann,  die  eben  dann  für  sich  studiert  sein  wollen,  tut 
der  Richtigkeit  unserer  Anschauungen  keinen  Abbruch. 


128  E.  Herzog. 

richtige  Forderung,  daß  sich  die  Gebiete  gleicher  lauthcher 
Entwicklung  verschiedenen  lexikalischen  Materials  nicht  nur  an- 
nähernd, sondern  vollständig  decken  müssen,  in  der  Praxis  nicht 
erfüllt  werden  kann. 

Daß  auf  einem  kleinen  Gebiet  die  Entwicklung  zunächst 
gleichförmig  vor  sich  geht,  mußten  wir  ohnehin  annehmen.  Aus 
welchem  Grund  sollten  \\iv  glauiben,  daß,  was  auf  einem  kleinen 
Gebiet  möglich  war,  auf  einem  großen  nicht  denkbar  sei  ?  Dann 
aber  ist  die  Folgerung  unabweisbar,  daß  immer  die  lautliehe 
Entwicklung  das  primäre  ist,  das  stetige,  sich  gleichbleibende, 
genau  umgrenzbai'e,  das  Wandern  und  Entlehnen  das  Sekundäre, 
das  die  ursprünglichen  \erhältnisse  trübt.  Daraus  erwächst 
aber  wieder  die  Forderung,  daß  man  möglichst  darauf  bedacht 
sei,  die  lautlichen  ^'erhältnisse  an  allen  einzelnen  Punkten  zu 
erforschen,  die  ,, Normalgebiete"  zu  umgrenzen,  selbst  wenn  die 
Verhältnisse  durch  Entlehnungen  usw.  noch  so  verworren  liegen. 
—  Nur  so  ist  es  ja  schließlich  möglich,  über  die  Wanderung  der 
Worte  und  ihr  Eindringen  in  fremdes  Gebiet  —  wenn  es  uns 
darauf  ankommt  —  ein  zutreffendes  Bild  zu  gewinnen. 

Der  Umstand,  daß  man  diese  Aufgabe  im  allgemeinen  lösen 
kann  oder  daß  man  wenigstens  der  Lösung  in  den  weitaus  meisten 
Fällen  näher  kommt,  zeigt  uns,  daß  die  Hypothese  der  unab- 
hängigen lautlichen  Entwicklung  das  richtige  trifft.  Die  Nieder- 
geschlagenheit, die  sich  unser  bemächtigt,  hat,  wenn  wir  die 
Lautgrenze  auf  Grund  von  2 — 3  Karten  aufstellen  wollten,  wird 
sich  mehr  und  mehr  in  Zuversicht  verwandeln,  wenn  weitere 
Karten  vorhanden  sind,  die  dazu  genommen  werden.  Auch  das 
nördliche  (normannisch-pikardische)  A:«- Gebiet,  auf  dem  wir  in 
Jabergs  Karten  nur  ein  krauses  Liniengewirr  sehen,  werden  wir 
schließlich  bei  einiger  Geduld  umgrenzen  können,  so  daß  nui- 
wenige  Punkte  unklar  bleiben.  — 

Aber  freilich,  es  gehört  dazu  eine  erhöhte  Anwendung  der 
Kritik,  ein  sorgfähiges  Gegeneinander-abwägen  und  -abschätzen 
der  einzelnen  Beispielworte  und  der  Angaben,  die  wir  dafür  finden. 
Dieses  Schätzen  mag  manches  subjektive  Element  enthalten  und 
wir  werden  im  einzelnen  oft  mit  Postulaten,  a-priori-Annahmen 
und  Hypothesen  arbeiten  müssen.  Das  läßt  sich  nun  nicht 
vermeiden.  Das  subjektive  Element,  und  damit  die  Unsicher- 
heit unserer  Schlüsse,  wäre  ja  schheßlich  in  viel  höherem  Grad 
vorhanden,  wenn  wir  ohne  derartige  Studien  nur  aus  dem  geo- 
graphischen Bild,  das  uns  die  Karten  gewähren,  zeigen  wollten, 
wie  die  Worte  wandern,  d.  h.  es  so  machen,  wie  bisher  zumeist 
die  Karten  bearbeitet  wurden. 

Auf  welche  Punkte  eine  derartige  kritische  Behandlung  zu 
achten  hat,  möchte  ich  nun  gerade  an  Hand  der  ersten  Jaberg- 
schen  Karte  darlegen,  auf  diö  Gefahr  hin,  Dinge  zu  sagen,  die 
manche    für   ebenso    selbstverständHch    und    überflüssig   halten 


Aus  dem  Atlas  IJnguisliqiie.  129 

werden,  \vio  sie  mir  selbst  im  Grunde  orscheinen.  Jab.  hat,  wie 
gesagt,  auf  dieser  Karte  bei  den  beiden  Worten  das  Gebiet  des 
?i-L)iftongs  [11(1,  V?  etc.)  abgegrenzt  und  die  beiden  Grenzen 
ziemlich  divergierend  gefunden.  Auf  die  mannigfachen  anderen 
Verschiedenheiten,  die  sich  zwischen  tela  und  Stella  —  sowohl 
im  Diftong-Gebiet  selbst  als  außerhalb  desselben  - —  finden,  ist 
er  nicht  eingegangen,  obwohl  das  recht  lehrreich  gewesen  wäre, 
auch  verschiedene  Monoftong-Inseln  im  Diftonggebiet  hat  er 
.,(Ier  Übersichtlichkeit  der  Zeichnung  wegen  vernachlässigt".  So 
unvollständig,  wie  sie  ist,  schien  die  Karte  Jab.  hinzureichen, 
um  die  oben  besprochenen  Schlüsse  daraus  zu  ziehen.  Ob  auch 
die  Voraussetzungen  da  sind,  die  zu  den  Schlüssen  berechtigen, 
um  diese  Frage  hat  er  sich  wenig  gekümmert  und  hat  nicht 
untersucht,  ob  man,  wenn  man  sich  darum  kümmert  und  sie  in 
Rechnung  zieht,  nicht  gerade  zu  den  umgekehrten  Resultaten 
kommt. 

Die  Kritik  nun  hat  sich  in  solchen  Fällen  auf  dreierlei  zu 
erstrecken.  Erstens  ist  zu  untersuchen,  ob  die  lauthchen 
Bedingungen  zweier  Wörter  wirklich  identisch  seien.  Man  darf 
dabei  nicht  zu  leichtfertig  sein.  Ganz  identische  Bedingungen 
kommen  ja  eigentlich  nirgends  vor,  und  ganz  kleine  Verschieden- 
heiten können  oft  schon  hinreichen,  Nicht-Übereinstimmung  in 
zwei  Gebieten  zu  erklären.  Es  hat  nicht  nur  mois,  das  auch 
Jaberg  auf  Grund  dieser  Tatsache  von  der  Betrachtung  aus- 
schließt, einen  ganz  anderen  Bau  als  toile  und  etoile,  auch  diese 
beiden  Wörter  stimmen  nicht  so  vollständig  überein,  wie  man 
vielleicht  zunächst  glauben  w'ürde.  Zunächst  hatte  Stella  gemi- 
niertes  /,  tela  einfaches;  das  geminierte  /  war  ,,exihs",  das  ein- 
fache ,,pinguis".  Der  Qualitätsunterschied  spiegelt  sich  noch 
unverkennbar  an  einigen  Punkten  der  provenzalisch-katalanischen 
Grenze  wieder,  wo  Stella  mouilhertes  /  hat,  tela  nicht-mouilliertes 
(786,  793,  797).  Sonst  ist  freilich  heute  weder  ein  Quantitäts- 
noch  ein  Qualitätsunterschied  nachweisbar:  das  II  scheint  sich 
früh  vereinfacht  zu  haben,  so  daß  sich  auch  das  e  überall  als 
freier  Vokal  entwickelte  und  das  II  in  Stella  ist,*)  wo  sich  sonst 
ein  Unterschied  zwischen  //  und  /  zeigt,  wie  letzteres  behandelt 
worden  (vgl.  807,  811,  813  usw.).  Soweit  sind  wir  aber  heute 
schließlich  noch  nicht  über  den  Lautstand  orientiert,  daß  wir 
für  alle  Mundarten  mit  apodiktischer  Gewißheit  diese  Tatsache, 
die  wir  fürs  Zentralfranzösische  als  bekannt  und  nachgewiesen 
voraussetzen,  behaupten  könnten.  —  Ferner  ist  Stella  im   Ro- 

■*)  Immerliin  könnte  man  einige  Verschiedenheiten  in  Savoyen, 
Aostatal  etc.  mit  dem  Unterschied  von  frei  und  gedeckt  in  Verbindung 
bringen.  963,  966,  975,  976  z.  B.  zeigt  für  Stella:  ?,  e,  für  tela:  g»,  gi. 
Aber  943  zeigt  uns  das  umgekehrte  Verhältnis,  963,  976  hat  für 
mustela:  f.  Wir  werden  diese  Differenzen  also  besser  zu  den  im 
nächsten  Abschnitt  zu  besprechenden  zählen. 

Ztsclir.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  9 


130  E.  Herzog. 

manischen  dreisilbig  geworden  und  auch  das  kann  unter  Umständen 
auf  die  Entwicklung  eingewirkt  haben.  Die  erste  Silbe  kann 
z.  B.  den  Akzent  an  sich  ziehen,  wodurch  der  ursprüngliche  Ton- 
vokal geschwächt  wird;  darauf  beruhen  wohl  die  Verschieden- 
heiten 935  etöla  —  t^la,  950  et^ra  —  tdra,  818  HHa  (vgl.  chandelle 
=  sadHa)  —  ida.  Zu  diesen  Differenzen,  die  sich  aus  der  laut- 
lichen Entwicklung  an  und  für  sich  ergeben,  kommen  noch  andere, 
die  mit  der  verschiedenen  Verwendung  in  Verbindung  stehen. 
loile  wird  wohl  fast  nur  im  Sing,  gebraucht,  Hoile  sehr  häufig  im 
Plural,  es  kann  also  dort  nicht,  wohl  aber  hier  der  Singular 
vom  Plural  analogiscli  beeinflußt  sein.  Daß  aber  der  Plural  sich 
anders  entwickelt  hätte  als  der  Sing.,  kann  sehr  wohl  in  manchen 
Mundarten  zutreffen,  z.  B.  im  Frankoprovenzalischen,  wo  der 
Sing,  auf  -a,  der  Plural  auf  -e  ausgeht,  aber  auch  vielleicht  in 
andern  Mundarten,  wo  z.  B.  das  End-3  in  dem  einen  Numerus 
zu  einer  andern  Zeit  verstummen  konnte  als  im  andern  und  diese 
Differenz  irgendwie  auf  den  Tonvokal  einen  Einfluß  ausüben 
mochte,  etwa  zunächst  einen  quantitativen,  der  sich  aber  dann 
auch  in  einen  qualitativen  umzusetzen  vermochte.  —  Aus  alle- 
dem geht  hervor,  daß  es  vielfach  ohne  genaues  Studium  der 
Einzelmundart  und  ihrer  Sonderheiten  nicht  möglich  sein  wird, 
von  zwei  divergenten  Formen  die  eine  oder  die  andere  als  nicht- 
bodenständig zu  verdächtigen. 

Eine  zweite  Seite  der  kritischen  Tätigkeit  müßte  sich 
damit  befassen,  zu  untersuchen,  inwieweit  den  schwankenden 
Angaben  des  Atlas  wirklich  verschiedene  Aussprache  entspricht. 
Der  vorsichtige  Forscher  muß  sich  immer  der  Fehlergrenzen 
bewußt  sein,  die  sich  aus  der  Art  und  Weise,  wie  der  Atlas  ent- 
standen ist,  ergeben.  Jeder  Laut  bewegt  sich  sogar  bei  derselben 
Person  innerhalb  gewisser  artikulatorischer  und  akustischer 
Grenzen.  Die  Richtigkeit  der  Auffassung  beim  Abfragen  hängt 
vielfach  von  momentaner  Disposition  ab,  Frische  und  Abspannung 
des  Sprechenden  sowie  des  Hörenden  kann  in  der  Verschieden- 
heit der  Angaben  zum  Ausdruck  kommen;  aber  auch  z.  B.  der 
Kontrast  gegen  unmittelbar  früher  Gehörtes  kann  bei  der  Be- 
stimmung eines  Lautes,  besonders  eines  solchen,  der  sich  nicht 
genau  in  die  gewohnte  schriftfranzösische  Lautskala  einpaßt, 
eine  Rolle  spielen.  Auf  die  Verschiedenheit  zwischen  nahe  an- 
einanderliegenden Werten  wie  ^  und  c,  ä  und  ?,  <?  und  «,  <l  und  ä 
ist  überhaupt  wenig  Gewicht  zu  legen,  vgl.  dazu  das  lehrreiche 
Beispiel,  das  A.  Thomas,  Nouv.  Ess.  S.  357  Anm.  beibringt. 
Das  gilt  ferner  besonders  auch  für  die  Quantitäts-  und  Akzent- 
angaben, das  gilt  endlich  namentlich  für  Diftonge.  So  ist 
zwischen  a*^,  ae,  "e,  ai,  ei  usw.  oft  ein  regelloses  Schwanken  zu 
beobachten.  Aber  nicht  nur  die  Auffassung  der  einzelnen  Diftong- 
bestandteile  ist  so  unsicher,  auch  über  das  Vorhandensein  des 
schwächeren  Teils  eines  Diftongen  herrscht  großer  Zweifel,  vgl. 


Aus  dem  Atlas  Linguistique.  131 

für  ioile  —  koile  z.  13.  939  $  — ?y,  927,  937  ?^  — ?,  60,  63  «  —  rt^, 
40  a^  —  a,  481  g  —  ^'-^  etc.  Wer  Gauchais  schöne  Studie  über 
die  Einheit  des  Patois  von  Gharmey  gelesen  hat,  weiB,  daß  es 
sich  hier  wohl  zumeist  um  Ühergangsstadien  handelt;  dennoch 
ist  unwahrscheinlich,  dal.5  so  häufig  ein  und  dasselbe  Individuum 
die  beiden  Etappen  nebeneinander  gebraucht;  sondern  es  wird 
sich  eben  um  jene  Stufe  handeln,  wo  der  eine  Laut  bereits  so 
stark  verflüchtigt  ist  (oder  ev.  erst  so  leise  in  Erscheinung  tritt), 
daß  er  —  je  nach  den  momentanen  Dispositionen  —  bald  noch 
wahrgenommen  wird,  bald  sich  völlig  der  \^'ahrnehmung  ent- 
zieht. Dasselbe  nun  was  für  den  zweiten  Bestandteil  der  Diftonge 
a^,  e*  etc.  gilt,  kann  auch  für  den  ersten  Teil  von  wg  etc.  Geltung 
haben,  wg  ist  bekanntlich  auch  im  Schriftfranzösischen  in  einer 
Reihe  von  Fällen  zu  g  geworden  und  zwar  scheint  die  Entwick- 
lung namentUch  von  dem  vorhergehenden  Phonem  abhängig 
gewesen  zu  sein  (vgl.  die  beiden  Karten  doigt  und  droit  mit- 
einander). Jedenfalls  geschah  aber  der  Lautwandel  «§  >  ?  durch 
ein  Zwischenstadium,  wo  das  u  eben  noch  sehr  schwach  hörbar 
war.  Wo  nun  etwa  heute  solch  ein  Zwischenstadium  noch  be- 
steht, wird  man  sich  auf  ein  ähnliches  Schwanken  der  Angaben 
des  Atlas  zwischen  «?  und  q  gefaßt  machen  müssen,  wie  oben 
zwischen  «^^  und  a  etc.  Ein  solches  Zwischenstadium  wäre  man 
nach  den  Angaben  des  Atlas  z.  B.  für  Punkt  5  anzunehmen  ge- 
neigt, der  mitten  im  wg- Gebiet  liegend  für  eine  Reihe  von  Fällen 
^  zeigt:  z.  B.  für  toile  (aber  nicht  für  etoile),  für  toi^  (aber 
nicht  für  moi)  usw.  Auch  261  ety-gl  neben  IQl  ist  vielleicht  so 
zu  deuten.  Genaueres  aber  könnte  natürlich  nur  das  Studium 
des  gesamten  für  jeden  einzelnen  Punkt  gebotenen  Materials 
ergeben. 

Das  dritte  ist  die  Kritik  der  Worte  selbst  nach  der 
semantischen  Seite.  Sind  sie  so  beschaffen,  daß  die  Wahr- 
scheinlichkeit eines  schriftsprachlichen  oder  gemeinsprachhchen 
Einflusses  möglichst  gering  ist,  sind  z.  B.  toile,  etoile  ,,möghchst 
volkstümliche,  der  Entlehnung  nicht  verdächtige  Wörter"  als 
die  sie  Jaberg  S.  6  ausgibt  ?  Volkstümlich,  allgemein  bekannt 
sind  die  Begriffe  'Leinwand'  und  'Stern'  jedenfalls;  auch  der 
Bauer  kann  diese  Begriffe  nicht  entbehren,  es  müssen  also  in 
allen  Mundarten  Nordfrankreichs  —  die  ja  der  Hauptsache  nach 
Bauernmundarten  sind  —  Wörter  dafür  vorhanden  sein.  Volks- 
tümlich bedeutet  aber  noch  nicht:  über  jede  Entlehnung  erhaben; 
trotz  der  Volkstümliclikeit  können  Umstände  eintreten,  die  die 
Worte  in  stark  beeinflußten  Gegenden  als  der  Entlehnung  unter- 
worfen erscheinen  lassen.  Auf  diese  Umstände  ist  aber  jedenfalls 
Rücksicht  zu  nehmen. 

Die  Leinwand  ist  ein  Handelsprodukt.  Der  Bauer,  der 
sie  kaufen  und  verkaufen  will,  muß  zum  Kaufmann  gehen,  zu- 
meist in  die  benachbarten  größeren  Städte,  deren  Mundarten,  wie 

9* 


132  E.  Herzog. 

die  aller  Städte,  schon  friili  der  Verkehrssprache  stark  angeglichen 
waren.  Der  Kaufmann  selbst  sprach  also  ehemals  P-i^l,  jetzt 
mal  und  so  hört  der  Bauer  den  Stoff  bezeichnen.  Ein  Einfluß, 
wie  er  ja  bei  allen  Gegenständen,  die  dem  geschäftlichen  Verkehr 
unterliegen,  zu  konstatieren  ist,  läßt  sich  also  schon  a  priori 
nicht  in  Abrede  stellen. 

Beim  Stern  sind  die  Gründe  der  ,,Infiltrazion  der  schrift- 
sprachlichen Form"  ganz  andere.  Die  Sterne  bilden  einen  be- 
liebten Gegenstand  des  Schulunterrichts,  wohl  auch  der  Predigt. 
Sie  spielen  im  Leben  des  Kindes,  das  sie  als  etwas  Auffälliges, 
Wunderbares  ansieht,  eine  besondere  Rolle,  im  Leben  des  Er- 
wachsenen sind  sie  von  relativ  geringer  Bedeutung.  Das  Kind 
nun,  das  besonders  in  der  Schule  darüber  unterrichtet  wird, 
wird  also  auch  gern  die  in  der  Schule  gehörte  Form  anwenden 
und  sie  leicht  für  sein  ganzes  Leben  beibehalten.  Dazu  kommt 
noch,  selbst  für  den  Erwachsenen,  der  in  dem  Stern  einerseits 
etwas  Kleines,  Liebliches,  andrerseits  etwas  Wunderbares,  zur 
Andacht  Stimmendes  sieht,  die  spezifische  Gefühlsnuance  hinzu. 
In  allen  Gegenden  nun,  wo  ein  großer  Prozentsatz  doppelsprachiger 
Individuen  vorhanden  sind,  die  die  Schriftsprache  neben  ihrem 
Dialekt  verstehen  und  mehr  oder  minder  vollkommen  sprechen, 
entwickelt  sich  das  Gefühl,  daß  der  Dialekt  die  gröbere,  nur  für 
den  Hausgebrauch  taugliche  Sprache  ist,  die  Schriftsprache  die 
feinere,  gewähltere.  Daraus  ergibt  sich,  daß  für  den  Gefühlston, 
mit  dem  man  von  Sternen  spricht,  die  schriftsprachliche  Form 
vielfach  als  die  angemessenere  erscheinen  mußte.  —  Dazu  kommt 
nun  vielleicht  noch,  daß  eW^l  mit  seiner  Endung  den  Eindruck 
eines  Diminutivums  machen  mußte,  so  daß  das  Wort  als  Ausdruck 
eines  Begriffs,  für  den  ja  nicht  die  wirkliche,  sondern  die  schein- 
bare Größe  des  Gegenstands  in  Betracht  kommt,  vorzüglich  zu 
passen  scliien.  Namentlich  für  einen  großen  Teil  Lothringens,  wo 
etu^l  und  daraus  entwickeltes  eWal  gegen  toi,  tal  stehen,  könnte 
dieses  Moment  von  einer  gewissen  Wichtigkeit  gewesen  sein. 

Daraus  ergibt  sich :  wir  dürfen  von  vornherein  weder  von 
tela  noch  von  Stella  die  Lautgrenze  richtig  wiedergegeben  erwarten. 
In  der  Tat  sehen  wir,  daß  bei  beiden  Wörtern  die  w-Form  viel- 
fach in  Gebiete  eingedrungen  ist,  wo  sie  nicht  zu  Hause  ist. 
Ein  Vergleich  mit  anderen  Karten  zeigt  uns,  daß  sie  besonders 
nach  Westen,  gegen  die  Normandie,  vorgeschoben  ist;  so  gehören 
z.  ß.  die  Punkte  318,  334,  329,  die  für  tela  und  Stella  den  Diftong 
aufweisen,  noch  zum  e- Gebiet.  Und  gäbe  es  jemand,  der  für 
diese  Gebiete  toile,  etoile  als  Eindringlinge  anzuerkennen  etwa 
deshalb  zweifeln  wollte,  weil  ein  ebenso  gebautes  Wort  nicht 
zur  Verfügung  steht,  so  ist  ein  solcher  Zweifel  für  die  im  prov. 
Sprachgebiet  gelegenen  Punkte  729,  822  ausgeschlossen,  wo  uns 
durch  die  Karte  123:  belette  die  lautgesetzliche  Fortentwicklung- 
-ela  >  -yalo  :  mastela  =  mustyalo  belegt  ist. 


Aus-  dem   Atlas  Linguisiiqiw.  133 

Da  die  Motive  der  Ausdehnung  ganz  vtMschiedcn  sind,  so 
ist  nicht  zu  erwarten,  daß  die  Ausdehnungsgebiete  sieli  decken. 
Und  zwar  zeigt  sich,  daß  für  slella  die  Neigung,  die  schriftfran- 
zösische Form  anzunehmen,  größer,  für  icla  geringer  war.  Wir 
werden  das  leicht  verstehen,  wenn  wir  daran  denken,  daß  die 
Erzeugung  der  Leinwand  bis  vor  kurzer  Zeit  noch  vielfach  Gegen- 
stand der  Hausindustrie  war,  die  Gefahr  der  Beeinflussung  durch 
den  kaufmännischen  Verkehr  also  nicht  so  groß,  als  es  zunächst 
scheinen  mag.  Freilich  zeigt  sich  andrerseits,  daß  im  Süden 
die  echte  heimische  Form  leichter  bei  tela  als  bei  Stella  durch 
fremde  —  u.  zw.  nicht  schriftsprachliche  —  Formen  ersetzt  wird : 
offenbar  handelt  es  sich  hier  um  die  Formen  irgendwelcher  süd- 
französischer Handels-  und  Verkehrszentren,  die  aufs  Land 
liinausdringen.  So  zeigt  in  Gegenden,  in  denen  e  vor  /-  zu  ie,  ia 
geworden  ist,  tela  die  sozusagen  normale  prov.  Form  {t(ilo,  tclo): 
712,  715,  840,  847,  836,  855,  875  und  zwar  legen  in  den  4  letzten 
Nummern  die  Reflexe  von  mustela  dafür  Zeugnis  ab,  daß  das 
ye  ya  von  Stella  wirklich  bodenständiges  Produkt  ist. 

Im  allgemeinen  also  ist  die  Wf-Form  bei  eloile  viel  weiter 
verbreitet  als  bei  toile\  zirka  45  Punkte  haben  für  etoile  den 
w-Diftong,  für  toile  nicht,  während  nur  1  Punkt  (nicht  wie  Jaberg 
angibt,  2)  das  umgekehrte  Verhältnis  zeigt,  nämlich  die  prov. 
Nummer  810,  die  aber  auch  für  Stella  nicht  die  richtige  Wieder- 
gabe, sondern  eine  Entlehnung  aus  einer  Nachbarmundart  auf- 
weist, wie  wieder  miistyago  aus  mustela  mit  dem  dort  lautgesetz- 
lichen Wandel  l  >  g  beweist.  —  Auch  zeigt  sich,  daß  etoile  und 
toile  häufig  nicht  in  der  gleichen  Form  weiter  drangen,  so  hat 
386  Mg  bei  etoile^  ua  bei  toile,  was  darauf  hinweisen  dürfte,  daß 
etoile  das  ältere  Lehnwort  ist,  während  z.  B.  in  6,  w^o  das  w§ 
von  toile  die  reguläre  Entwicklung  sein  könnte,  das  '^a  von  etoile 
die  Herkunft  aus  dem  Schriftfranzösischen  dartut.  Freilich  liegen 
bei  vielen  dieser  Ungleichheiten  offenbar  jene  Schwankungen 
der  Auffassung  zugrunde,  von  denen  wir  oben  sprachen. 

Aus  einem  eingehenden  kritischen  Studium  der  beiden 
Gillieronschen  Karten;  aus  einer  Vergleichung  derselben  mit 
andern;  einer  ^>rgleichung  mit  andern  dialektologischen  Quellen 
der  Vergangenheit  und  der  Gegenwart  ließe  sich  gewiß  noch 
vieles  lernen.  Das  Vorangehende  dürfte  aber  genügen,  um  uns 
zu  überzeugen,  daß  man  mit  einer  so  oberflächlichen  Art,  an 
den  Gegenstand  heranzutreten,  wie  es  die  Jabergsche  ist,  den 
Glauben  an  die  Lautgrenzen  und  Lautgesetze  nicht  zu  erschüttern 
vermag. 

Denn  auf  die  V  e  r  s  c  h  i  e  d  e  n  Ji  e  i  t  e  n  der  Reflexe 
müssen  wir  gefaßt  sein,  wenn  wir  mit  genauer  Rücksichtnahme 
auf  die  speziellen  sprachlichen  Verhältnisse  und  auf  die  Art  des 
Zustandekommens  der  Angaben  an  das  Studium  der  zwei  Karten 


134  E.  Herzog. 

gehen.  Neben  diesen  Verschiedenheiten  steht  aber  die  große 
Überzahl  der  Übereinstimmungen;  und  auf  diese  kann 
niemand  gefaßt  sein,  der  die  Gesetzmäßigkeit  der  lauthchen  Ent- 
wicklung und  damit  die  Konstanz  der  Lautgrenzen  a  priori  leugnet. 

6.  soif. 

Als  erstes  Beispiel  dafür,  wie  die  ,, Wörter  wandern",  führt 
Jaberg  in  der  genannten  Schrift  den  /-Typus  von  SITE  an. 
Das  /-Gebiet  umfaßt  nach  Gillierons  Karte  die  Departements 
Seine,  Seine-et-Oise,  Seino-et-Marne,  erstreckt  sich  nach  Nord- 
westen bis  an  die  pikardischc  Grenze,  reicht  nach  Süden  bis 
knapp  an  die  provenzalische  Grenze,  sendet  vom  Departement 
eher  einen  schmalen  Arm  die  Loire  abwärts  bis  nahe  an  die 
Mündung  und  sendet  schließlich  von  der  Ile  de  France  einen 
zweiten  schmalen  Arm  durch  die  Champagne  bis  genau  an  die 
lothringische  Dialektgrenze.  — 

Jaberg  akzeptiert  die  Deutung  Meyer-Lübkes,  wonach  wir 
es  hier  mit  einer  Analogiebildung  zu  tun  haben  [sois  soif  nach 
nois  noif  etc.)  und  fälirt  dann  fort: 

,,Eine  imminente  Analogiebildung  war  soif  nicht;  es  muß 
d  a  h  e  r  ^)  auf  einem  engbegrenzten  Gebiete  —  unsere  Karte 
weist  uns  auf  das  Zentrum  Nordfrankreichs  —  entstanden  sein 
und  sich  von  da  aus  verbreitet  haben." 

Jaberg  schließt  also  so:  Weil  ich  mir  eine  so  eigentümliche 
Analogiebildung  wie  soif  höchstens  auf  einem  kleinen  Gebiet 
erklären  könnte,  so  muß  ich  annehmen,  daß  die  ziemliche  Aus- 
dehnung des  /-Typus  auf  Entlehnung  (Wanderung)  zurückzu- 
führen sei.  Und  dieser  Schluß  erscheint  Jab.  so  evident,  daß 
er  soif  als  prächtiges  ]3eispiel  fia^  das  Wandern  der  Wörter  ver- 
wendet. Und  doch  würde  Jab.  einen  solchen  Schluß  kaum 
gewagt  haben,  wenn  es  nicht  eben  gerade  Paris  wäre,  das  als 
Ausgangspunkt  der  Bewegung  aufgefaßt  werden  könnte  und  die 
behauptete  Ausstrahlung  eine  Stütze  in  den  zahlreichen  andi^rn 
lexikalischen  Einflüssen  gefunden  hätte,  die  von  der  Hauptstadt 
ausgehen.  Aber  eben  weil  unser  Fall  erst  eines  solchen  Rück- 
halts, einer  Stütze  durch  andere  evidentere  Fälle  bedarf,  ist  er 
als  Beispiel  übel  gewäiilt. 

Die  Kräfte,  die  bei  Analogiebildungen  wirksam  sind,  kennen 
wir  im  einzelnen  noch  viel  zu  wenig,  um  zu  beurteilen,  ob  ein 
Fall  „imminent"  sei,  ob  das  Wort  unter  einem  starken  System- 
oder Normzwang  gestanden  sei  (das  soll  doch  wohl  ,, imminent" 
bedeuten).  Das  können  wii'  nicht  a  priori  sagen,  sondern 
nur  a  posteriori,  d.  h.  aus  i\vm  rückschließend,  was  uns 
der  Fall  selbst  und  seine  geographischen  Daten  in  A'ergangenheit 

^)  Von   mir  gesperrt  gedruckt. 


Aus  dem  Alias-  Lingiiistique .  135 

und  Gegenwart  lehren.  \\  as  \\\v  a  p  i-  i  o  r  i  erwarten,  mögen 
wir  immerhin  feststellen;  bevor  wir  es  aber  zur  Erklärung  ver- 
wenih'u,  müssen  wir  doeli  eben  alle  diese  iJaten  sorgfältig  sammeln 
und  stimmen  diese  nicht  zu  unserer  Erwartung,  so  ist  das  eben 
ein  Beweis  dafür,  daß  entweder  die  angenommene  analogische 
Einwirkung  unrichtig  war,  oder  daß  wir  dabei  irgend  welche 
Zusammenhänge  übersehen  haben,  die  wir  noch  zu  ergründen 
versuchen  müssen. 

Daß  die  /-Form  in  manchen  Fällen  aus  dem  Schriftfranzösi- 
schen oder  sagen  wir  lieber  aus  der  gemeinfranzösischen  Ver- 
kehrssprache entlehnt  wurde,  ist  sehr  leicht  möglich,  ist  sogar 
für  einzelne  vorgeschobene  Punkte,  wie  447,  435,  wo  das  «e 
von  suef  nicht  heimatsberechtigt  zu  sein  scheint,  ferner  für 
die  isolierten  Nummern  284,  475,  479,  518^)  durchaus  das 
wahrscheinliche.  Im  großen  und  ganzen  aber  ist  die 
Jabergsche  Anschauung  unrichtig  und  das  heutige  /-Gebiet 
im  Gegenteil  eher  als  der  Rest  eines  früheren  größeren  Ge- 
biets aufzufassen. 

Das  gesamte  /-Gebiet  der  Gillieronschen  Karte  zeigt  uns  den 
w-Diftongen  (s^ff/,  sV-ef)  mit  einziger  Ausnahme  des  ganz  im 
Süden,  an  der  Grenze  gelegenen  Punktes  600,  der  sef  hat.  Da 
dieser  Punkt,  soviel  ich  nach  den  andern  Karten  sehe,  noch 
zum  %- Gebiet  gehört,  so  hat  wohl  auch  hier  ursprünglich  s'^ej 
bestanden  und  der  Wandel  zu  sej  erklärt  sich  vielleicht,  wie  wir 
oben  S.  131  den  zu  etel  in  5  erklärt  haben,  wobei  etwa  noch  eine 
dissimilatorische  Einwirkung  von  Seiten  des  /  anzunehmen  ist. 
Eine  andere  Erklärungsmöglichkeit  wäre,  daß  heimisches  oder 
importiertes  sUef  mit  dem  südlichen  se  kontaminiert  wurde. 
Wir  dürfen  also  wohl  von  diesem  einen  im  Bourbonnais 
gelegenen  Punkt  absehen  und  die  heutigen  /-Formen,  die  uns 
der  Atlas  bietet,  sämtlich  auf  die  vokalische  Variante  soif 
zurückführen. 

Das  war  aber  nicht  die  einzige  /-Form,  die  existiert  hat. 
Im  Normannischen  gab  es  die  Formen  seif^  seyf,  sef,  die  sogar 
über  den  Kanal  ins  Anglonormannische  verpflanzt  wurden: 
En.  2750,  Simund  de  Fresne,  Rom.  Ph.  684,  694,  Saint  Gregoire 
in  Bartsch,  LLfr.  99?,  vgl.  auch  die  Beispiele  bei  Godefroy.     Das 


®)  Im  Südwesten,  wo  diese  letzteren  Punkte  hegen,  scheint 
SITIS  z.  T.  zunächst  der  Volkssprache  abhanden  gekommen  zu  sein. 
Wenigstens  ersetzt  478  (nördl.  von  479)  den  Begriff  durch  besogne 
de  boire,  621  (nicht  weit  von  518)  durch  enide  de  boire.  (Statt  des 
letzteren  Punktes  (621)  ist  auf  Jabergs  Karte  fälschlich  529  als  der- 
jenige Punkt  angegeben,  auf  dem  s  i  t  i  s  fehlt,  wie  ihm  überhaupt 
hier  einige  kleine  Versehen  unterlaufen  sind:  es  gehört  —  wenigstens 
nach  K.  1237  des  Exemplars  des  Atlas,  das  ich  benutze  —  400,  800, 
901  nicht  zum  /-Gebiet;  letztere  Nummer,  sowie  902  hat  vielmehr 
eine  eigentümliche  r-Form:   suär.) 


136  E.  Herzog. 

heutige  Normannische  zeigt  keine  Spur  einer  /-Form,  sondern  hat 
5g,  so  etc.  Ferner  kennt  der  lothringische  Dialogus  animae  et 
rationis  die  Formen  soif  saif  und  damit  befinden  wir  uns  wieder 
in  einer  Gegend,  die  nach  dem  Atlas  heute  die  /-Form  nicht 
kennt.'^)  soif  scheint  auch  vereinzelt  im  Wallonischen  und 
Pikardischen  vorgekommen  zu  sein,  wo  es  heute  ebenfalls 
nicht  gefunden  wird.^)  Im  Mittelfranzösischen  begegnen  wir 
dann  der  Form  seiif,  die  Villon  auf  eteuf  und  Ronsard  aus 
Vendöme  auf  boeiij  reimen  läßt.  Die  ö-Formen  finden  sich  aucli 
heute  noch  in  Vendome,  ferner  im  Maine,  Orleanais,  auch  in 
der  Normandie,  aber  ohne  /. 

Daraus  geht  jedenfalls  soviel  hervor,  daß  man  für  die  Er- 
klärung des  /  von  der  ehemaligen,  nicht  von  der  heutigen  Ver- 
breitung ausgehen  muß.  Das  Nebeneinanderstehen  der  /-Form 
und  der  /-losen  Form  macht  jedenfalls  die  Annahme  Meyer- 
Lübkes,  daß  es  sich  um  eine  7\nalogiebildung  handelt,  sehr  wahr- 
scheinlich. Handelte  es  sich  um  ein  rein  lautliches  Phänomen 
oder  um  Beeinflussung  seitens  einer  nichtlateinischen  Sprache 
zur  Zeit  der  Romanisierung,  so  würden  wir  wohl  die  /-Form 
eher  in  großen  geschlossenen  Gebieten  erwarten  dürfen.  Wenn 
es  aber  Analogie  ist,  so  sehe  ich  keine  andere  Möglichkeit  als 
eben  die  von  Meyer-Lübke  ausgesprochene  (hist.  Gr.  S.  181)  nach 
«ei/,  seif  (SEPE),  bei  der  die  Gleichheit  des  Nominativs  maß- 
gebend war.^)  Es  ist  zu  beachten,  daß  diese  Worte  als  einsilbige 
Feminina  mit  ei  ziemlich  alleinstehend  waren  und  desto  leichter 
gegenseitiger  Beeinflussung  unterlagen.  Ich  lasse  dahingestellt, 
ob  der  Umstand,  daß  das  t  vor  dem  Verschwinden  wolil 
einen  dem  Spiranten  p  verwandten  Laut  angenommen  hat, 
also  die  Ähnlichkeit  mit  den  f- Stämmen  erhöht  wurde,  mit  im 
Spiele  war.  Freilich  bleiben  Schwierigkeiten:  zunächst,  daß  wir 
ursprünglich  seiiL  (SITIS),  aber  seis  (SEPES),  neis  haben,  dann 
daß  /ei,  das  vierte  \A'ort,  das  gleichen  Bau  hatte,  nirgends  (üne 
/-Form  aufzuweisen  hat.  Doch  mag  der  Unterschied  zwischen 
:;  und  5,  besonders  im  Satzinnern,  nie  besonders  groß  gewesen 
sein  und  fei  durch  das  anlautende  /,  also  durch  eine  Art  Dissi- 
milazion,  vielleicht  auch  durch  engen,  begrifflichen  Anschluß  an 
/ei,  das  von  den  andern  Worten  dadurch  verschieden  war,  daß 


'')  Jaberg  hätte  dies  nicht  entgehen  sollen,  da  er  doch  den  Beleg 
nach  dem  Dict.  gen.  selbst  zitiert.  [Ein  Beleg  aus  dem  lothr.  Psalter 
wird  von  Groß  RF  XXVII  607  angeführt.  Was  die  Auffassung 
des  Vorgangs  seitens  dieses  Autors  anbetrifft,  so  wird  mit  ilim  nur 
der  übereinstimmen  können,  dem  der  Gedanke  nichts  Auffälliges 
hat,  daß  Lauttendenzen  nur  gerade  dort  wirken,  wo  es  ihnen  paßt, 
Korrekt.-Zusatz.] 

8)  Wiese,  Spraclie  der  Dial.  Greg.  8.  104.  Wist.  le  m.  1611, 
Jean  Bod.,  Jeu  Nie.  1059. 

^)  Also  wie  muef,  wolil  auch  Marhuef  etc.  nacli  hocuf,  ceuf,  neuf; 
bief  nach  chief,  brief,  grief. 


Aus  dem  Atlas  Lingiiistique,  137 

es  von  Anfang  an  vokalisch  auslautete,  vor  einer  Form  feif  be- 
wahrt worden  sein.  Immerhin  wird  man  zugeben  müssen,  daß 
man  mit  dieser  Erklärung  des  /  ziemlich  weit  von  völliger  Sicher- 
heit entfernt  ist.  —  Der  Einwand  jedoch,  den  Hubor  in  dieser 
Zs.  XXXIV^  139  erhebt,  daß  das  Wort  soij  ,,wohl  nie  als 
Subjekt  in  Verwendung  gewesen  sei",  scheint  mir  hinfällig; 
warum  sollte  man  gerade  im  Altfrz.  nie  z.  B.  gesagt  haben: 
'mein  Durst  ist  größer  als  mein  Hunger',  'der  Durst  quält 
mich',  also  Ma  soiz  est  plus  granz  de  ma  fain,  la  soiz  nie 
destraint?^^)  Wir  können  vielleicht  annähernd  angeben,  welche 
Verbindungen  eines  Wortes  in  der  heutigen  Umgangssprache 
geläufig  sind,  aber  über  die  Verhältnisse  der  Vergangenheit 
wissen  wir  nichts  und  aus  den  heutigen  darauf  Schlüsse  zu 
ziehen,  ist  zu  kühn. 

War  einmal  die  Stufe  soif  (=  iWe/)  erreicht,  so  fand  die  Form 
vermutlich  eine  kräftige  Stütze  an  den  Wörtern  uef,  buef  (=  üe/, 
hüef)^  in  denen  der  zweite  Teil  des  Diftongen  eine  identische 
Aussprache  gehabt  haben  mag. 

Daß  wir  die  /-Form  heute  nicht  mehr  in  dem  Umfang  finden 
wie  ehemals,  wird  uns  nicht  wunder  nehmen,  wenn  wir  an  Formen 
denken  wie  cle  oder  an  bceu^  ceu  selbst,  die  nach  dem  Atl.  lingu. 
die  weitaus  herrschenden  sind.  Mehrere  Strömungen  haben  sich 
vereinigt,  diese  Formen  zu  schaffen:  1)  Analogie  nach  dem  Plural; 
2)  Analogie  nach  den  Formen  des  Satzinnern  (vgl.  sg/  neben 
sedöcr,  nöf  neben  nö  mezö),  3)  für  manche  Gegenden  wohl  auch 
lautgesetzlicher  Abfall  selbst  in  der  Pausaform.  Daß  für  soif 
speziell  das  erste  dieser  Momente  so  ziemhch  wegfällt,  dürfte 
der  Grund  sein,  daß  die  /-Formen  sich  hier  besser  erhalten  haben, 
als  bei  boeuf  etc. 

Und  so  darf  man  denn  das  Umgekehrte  von  dem  vermuten, 
was  Jab.  behauptet  hat,  nämlich  daß  viele  der  heutigen  /-losen 
Formen  des  Atlas  auf  alte  /-Formen  zurückgehen.  Namentlich 
\\ird  man  das  für  die  meisten  Orte  des  Zentral-  und  Westfran- 
zösischen annehmen,  die  uns  so  zeigen,  vgl.  das  oben  über  Vendöme 
Bemerkte.  Aus  se  oder  s^e  würde  sich  so  ja  vielleicht  an  dem 
einen  oder  andern  Punkt  gewinnen  lassen  (vgl.  z.  B.  349  dö  = 
doigl)^  nicht  aber  auf  dem  ganzen  Gebiet.  Dagegen  hat  der 
assimilatorische  Wandel  von  sef,  suef  zu  söf,  süöf  >  söf  nichts 
auffallendes,  wenn  man  an  weitverbreitete  Formen  wie  cheu{f), 
feuve,  leuve  (leve)  etc.  denkt. 

Wien.  E.  Herzog. 

(Fortsetzung  folgt.) 


^^)  Dagegen  kommt  der  Plural  wirklich  kaum  in  Betracht,  ob- 
wohl er  nicht  ganz  ausgeschlossen  ist,  vgl.  AI.  80c  (A). 


/^ 


Martin  Pumee's  Roman 
„Du  vray  et  parfait  amour". 

(Ein  BeDaissanceroman.) 


I. 

Der  Terfassei*,  mein  l¥ei*k  und  seine 

Pei'sönliclikeit. 

Der  Roman,  dem  die  folgende  Untersuchung  gewidmet 
ist,  trägt  den  Titel  ,,!)«  i>raij  et  parfait  amour.  Escrit  en  grec,  par 
Athenagoras  phüosophe  athenien.  Contenant  les  amours  honestes 
de  Theogenes  et  de  Charide,  de  Pherecides  et  de  Melangenie."  Er- 
schienen ist  er  zu  Paris  im  Jahre  1599  und  erlebte  im  Jahre 
1612  noch  zwei  weitere  Auflagen.^)  Er  umfaßt  387  Doppel- 
seiten in  16^.  Der  Verfasser  nennt  sich  nicht.  Als  Übersetzer 
der  angeblichen  Übersetzung  aus  dem  Griechischen  zeichnet 
M.  Fumee,  S.  de  Genille. 

Über  den  Verfasser  und  sein  Werk  herrschten  und  herrschen 
auch  heute  noch  vielfach  irrige  Vorstellungen. 

Zunächst  gelang  dem  Autor  die  beabsichtigte  Mysti- 
fication.  Athenagoras  wurde  allgemein  als  Verfasser  des  Romans 
betrachtet.-)      Selbst   der   gelehrte    Bischof    Huet   glaubte   eine 


^)  Es  ist  bisher  nicht  erkannt  worden,  daß  es  sich  um  zwei  Auf- 
lagen des  Jahres  1612  handelt.  Die  eine  ist  erschienen  bei  Daniel 
Guillemot  (rue  des  cordiers  derriere  les  Jacobins),  der  auch  die  erste 
Ausgabe  verlegt  hatte ;  die  zweite  bei  Toussaincts  du  Bray  (rue  S.  Jac- 
ques aux  Espics  meurs  et  en  sa  bouticque  au  Palais  ä  Ventree  de  la  gallerie 
des  prisonniers).  Ein  Exemplar  der  1612  bei  Guillemot  erschienenen 
Ausgabe    ist    auf    der    Göttinger    Universitätsbibliothek    vorhanden. 

2)  So  schreibt  M^'  de  Gournay  in  L'Ombre  de  la  Damoiselle  de 
Gournay:  „Nous  apprenons  d^ Athenagoras,  en  son  Livre  du  Parfaict 
amour,  que  la  Theologie  du  Jupiter  Hammon  portoit,  que  les  Demons 
iettoient  par  fois  en  Vair  des  beuglemens  et  forgeoient  ces  orages  que  nous 
oyons,  pour  le  deuil  de  se  veoir  deslogez  par  le  trespas  de  chez  quelques 
belles  ames  qu'ils  souloient  regir"  (1626,  p.  336). 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'  10 


140  Walther  Küchler. 

Zeit  lang  an  die  griechische  Herkunft  des  Romans.  In  seinem 
Buche  ,,Z)e  l'origine  des  Romans"^)  spricht  er  ausführlich  über 
ihn,  und  was  er  zu  seiner  Würdigung  sagt,  ist  immer  noch  das 
Beste,  was  bisher  über  das  Werk  geschrieben  worden  ist.  Man 
erkennt,  wie  gern  er  an  die  antike  Herkunft  glaubte,  wie  er  an 
sie  glauben  wollte  und  sie  daher  für  wahr  oder  doch  für  möglich 
hielt.  Aber  er  war  doch  zu  gewissenhaft,  um  sich  auf  die  Dauer 
selbst  zu  täuschen.  So  überzeugte  er  sich  denn  nach  erneuter 
Lektüre  und  genauer  Prüfung,  daß  das  Werk  von  einem  modernen 
Verfasser  stammen  müsse.  Doch  glaubte  er  nicht  an  die  Ver- 
fasserschaft Fumees.  ,,La  piece  vient  d'un  plus  grand  ouvrier 
que  luy,  quoy  qu'il  ne  manquast  pas  d'erudäion",  urteilt  er  und 
vermutet,  es  stamme  aus  dem  Kreise  der  Gelehrten,  die  der  Kar- 
dinal von  Armagnac  um  sich  versammelte.  Ja,  er  geht  so  weit 
zu  behaupten,  daß  der  zu  seinen  Lebzeiten  hochgeschätzte  Guil- 
laume  Philander,  der  Herausgeber  und  Kommentator  des  Vitruv 
den  Roman  geschrieben  habe,  um  seine  Theorien  über  Archi- 
tektur in  ihm  niederzulegen  und  unter  dem  Schutze  antiker 
Autorität  zu  verbreiten.  Er  glaubt  allen  Ernstes,  der  Roman 
sei  in  griechischer  Sprache  abgefaßt  gewesen  und  Fumee  habe 
ihn,  selbst  getäuscht,  im  guten  Glauben  ein  griechisches  Original 
vor  sich  zu  haben,  übersetzt. 

Die  Unhaltbarkeit  dieser  Annahme  liegt  auf  der  Hand. 
Niemand  wäre  wohl  damals  in  Frankreich  fähig  gewesen 
ein  Werk  in  griechischer  Sprache  zu  schreiben.  Außerdem 
ist  zu  beachten,  daß  Philander  im  Jahre  1565  gestorben 
ist.  Man  müßte  also  die  Abfassung  des  Romans  vor  diesen  Zeit- 
punkt setzen  und  weiterhin  annehmen,  daß  die  Übersetzung 
Fumees  über  dreißig  Jahre  lang  im  Manuskript  liegen  geblieben 
sei.  Die  dem  Roman  vorangestellte  Fiktion  will  allerdings,  ohne 
irgendwie  von  Philander  zu  sprechen,  den  Eindruck  erwecken, 
als  ob  das  Manuskript  lange  Zeit  im  Verborgenen  geblieben  wäre. 
Der  Brief,  in  dem  Fumee  von  seiner  Übersetzung  spricht,  ist 
vom  4.  Oktober  1569  datiert,  aber  man  darf  natürlich  keinen 
Augenblick  daran  zweifeln,  daß  er  nur  eine  Fiktion  ist.  Es  hat 
übrigens  gar  keinen  Zweck,  noch  länger  mit  irgend  welchen  ge- 
wichtigen Gründen,  wie  man  sie  leicht  beibringen  könnte,  Huets 
Phantasiegebilde  von  dem  griechischen  Original  und  seiner  Über- 
setzung durch  Fumee  bekämpfen  und  entkräften  zu  wollen.  Seine 
Vermutung  mußte  nur  deshalb  erwähnt  werden,  weil  auf  sie  der 
Glaube  an  Philander  als  an  den  Verfasser  des  ganzen  Werkes 
oder  einzelner  Teile  zurückgeht.  Auf  Huet  stützen  sich  z.  B.  die 
„Bibliotheque  des  romans"  von  Gordon  de  Percel  (Amsterdam 
1734)  und  ganz  deutlich  die  ,,Bibliothdque  universelle  des  romans" 
vom  August  1775,  die  in  diesem  Bande  auch  einen  Auszug  aus 

^)  Zuerst  1670.     Benutzt  nach  der  zweiten  Auflage,  Paris  1678, 


Martin  Fumee's  Roman  j,Dii  vray  ei  parfait  amonr" .     141 

dem  Romane  bietet.  Jn  neuerer  Zeit  hat  H.  Körting  auf  Phi- 
lander nicht  ganz  verzichten  wollen.^)  Er  spricht  von  einer 
gemeinsamen  Arbeit  Philanders  und  Fumees.  Jenem  sei  die 
Erfindung,  diesem,  der  über  eine  gewandtere  Feder  verfügte, 
etwa  die  letzte  Redaktion  des  Werkes  zuzusclireiben.  Auch 
diese  Ansicht  ist  durch  keinen  Beweis  zu  stützen.  Körting 
behauptet  zwar,  es  Ueßen  sich  zwischen  den  fachwissenschaft- 
lichen Einschiebseln  des  Romans  und  Philanders  Anmerkungen 
zu  Vitruv  Übereinstimmungen  nachweisen,  aber  das  ist  nicht 
der  Fall.  Man  darf  getrost  Fumee  als  den  einzigen  Verfasser 
des  Romans  betrachten  und  ihm  ohne  weiteres  die  Erfindung 
der  literarischen  Täuschung,  um  die  es  sich  hier  handelt,  zu- 
schreiben. 

Diese  Täuschung  geschieht  auf  folgende  Weise.  Ein  ge- 
wisser Bernard  de  San-Jorry,  in  einem  ausGastres  vom  I.Oktober 
1596  datierten,  als  Vorrede  an  den  Leser  gedachten  Brief,  schreibt, 
er  habe,  nun  fast  siebzig  Jahre  alt,  seine  Papiere  wieder  durch- 
gesehen und  dabei  die  Abschrift  des  Romans  gefunden,  die  er 
nach  dem  Exemplar,  welches  an  Herrn  von  Lamane  gesandt 
worden  sei,  hatte  anfertigen  lassen.  Er  habe  den  Roman  von 
neuem  mit  großem  Gefallen  gelesen  und  halte  ihn  für  zu  gut 
verloren  zu  gehen.  Er  habe  einen  seiner  Leute  beauftragt,  sich 
in  Toulouse  zu  erkundigen,  ob  der  Roman  schon  veröffentlicht 
sei  und  habe  auf  einen  verneinenden  Bescheid  hin  den  Herrn 
von  Fonbouzart,  der  gerade  nach  Paris  an  den  Hof  reiste,  gebeten, 
die  Kopie  einem  Drucker  zu  übergeben  .... 

Auf  diese  hiermit  noch  nicht  beendete,  aber  uns  in  diesem 
Zusammenhange  nicht  weiter  interessierende  Vorrede  folgt  ein 
von  M.  Fumee,  S.  de  Genille  aus  Marly,  den  4.  Oktober  1569 
datierter  Brief  an  Monsieur  de  Lamane,  Protonotaire  de  Monsieur 
le  Gardinal  d'Armaignac.  In  diesem  Schreiben  kündigt  Fumee 
seinem  Adressaten  an,  daß  er  seiner  Aufforderung  entsprechend, 
den  Athenagoras  (vostre  Athenagoras  .  .  .  pour  n'avoir  veu  iceluy 
en  autre  main)  zurücksende.  Er  glaube  aus  einer  Stilvergleichung 
des  Romans  mit  den  anderen  Schriften  des  Athenagoras  schließen 
zu  können,  daß  das  Werk  wirkUch  von  Athenagoras  sei.  Mit 
dem  Original  sende  er  ilim  eine  Kopie  der  Übersetzung,  die  er 
angefertigt  habe. 

Diesem  Briefe  schließt  sich  sodann,  um  die  Täuschung  voll- 
ständig zu  machen,  eine  Vorrede  des  Athenagoras  selbst  zu 
seinem  Roman  an  und  dann  erst  kann  die  Erzählung  beginnen. 

Daß  wir  es  hier  mit  einer  Irreführung  zu  tun  haben,  daß 
Fumee  auch  die  Vorrede  des  angebhchen  Herausgebers  B.  de 
San-Jorry  geschrieben  hat,  läßt  sich  beweisen.     Es  gibt  nämlich 

*)  Geschichte  des  französischen  Romans  im  XVII.  Jhdt.  t.  I  p.  38/39. 

10* 


142  Walther  Küchler. 

eine  Übereinstimmung  zwischen  einer  von  Fumee  in  der  Vorrede 
zu  seiner   Übersetzung  von   Procops    Gotenkrieg  geschriebenen 
Bemerkung  und   einer  Ausführung  des    Herausgebers.      Fumee 
verteidigt  in  seiner  Vorrede  zu  Procop  seinen   Sprachgebrauch 
und  schreibt  zu  diesem  Zwecke:     ,,6'j  ie  n'ay  iise  poiir  les  mols 
propres  de  la  guerre  des  dictions  barbares,  desquelles  nos  soldats 
usent  auiourd'huy  si  commiinement,  encor  qne  cela  aisement  nie 
deubt  estre  permis  escrivant  de  gens  aussi  barbares,  ie  ne  l'ay  neant- 
moins  jait  que  pour  Ie  respect  que  ie  porte  plus  ä  la  simplicite  ancienne 
fonde  sur  bonnes  raisons  prinses  de  nous  mesmes  et  non  mandiees 
d'autruy,qu'd  la  subtiliti  moderne  accomodee  sans  aiicime  discretion\ 
sgachant  d'autre  part  que  faisant  autrement  i'eusse  irrite  les  plus 
sages  et  mieux  advisez  et  excite  ä  se  moequer  de  moy  sans  recevoir 
aucune  digne  ou  vraye  louange  de  ces  inventeurs  de  tnots  nouveaux." 
Fumee  stellt  sich  mit  diesen  Ausführungen  in  die  Reihe  derer, 
die  wie  Estienne  Pasquier   und   andere,   ganz  besonders   Henri 
Estienne,  den  Wert  und  die  Würde  der  guten  alten  französischen 
Sprache  gegen  die  respektlosen  Neuerer,  die  sie  durch  auslän- 
dischen Flitter  und  schillernde  Neubildungen  entstellen  und  ver- 
unglimpfen,  in    Schutz   nehmen.      Und   ganz   dieselbe    Stellung 
nimmt  der  angebliche  Herausgeber  des  Romans  ein,  wenn  er  in 
seiner  Vorrede  auseinandersetzt,  daß  er  die  Übersetzung  in  erster 
Linie  veröffentlicht  habe   ,,pour   Ie  doux  et  simple   langage   du 
traducteur,   lequel  regardant  Ie  piain  et  grand   chemin  de  nostre 
langue  Frangoyse  vous    pourra   plus  contenter  et  delecter  que  ne 
feroient  ces  longues  clauses  parees  et  enflees  ou  ces  affectees  et  mig- 
nardes  paroles  desquelles  aucuns  usent  pour  Ie  iourd'huy  et  abusent 
indiscretement . . .  y  meslans,  qui  est  encore  Ie  pis,  des  mots  nouveaux, 
mal  ä  propos  et  s'abstenans  des  propres  comme  en  estans  destournes 
par  sottes  fagons  de  parier  qu' aucuns  au  commencement  introduisent 
par  gausseries  et  mocqueries  et  puis  par  usage  sont  prinses  par  les 
plus  mal-advisez  comme  indignes  ä  des  honnestes  personnes  et  non 
plus  recevables  parmy  nostre  langage,    Ie  rendant  par   ce   moyen 
dejectueux  de  bons  et  anciens  mols  Frangois  et  s'aydans  d'autres 
en  leur  place  mendiez,  empruntez  et  escorchez  d'autres  langues".  .  . 
Wenn  man  nicht  annehmen  will,  daß  Bernard  de  San-Jorry, 
als   er   diese    Worte    niederschrieb,    Fumees    Procopübersetzung 
vor  sich  hatte,  oder  daß  er  mit  Fumees  Auffassung  vom  Sprach- 
gebrauch und  seiner  Sprache  selbst  aufs  innigste  vertraut  war, 
so  bleibt  nur  übrig  auf  Fumee  selbst  als  den  Urheber  der  beiden 
nach    Tendenz    und    Ausdruck   so    ähnUchen   Ausführungen    zu 
schheßen.    Wenn  aber  als  der  Verfasser  des  angebUch  von  Bernard 
de    San-Jorry    geschriebenen    Vorworts    Fumee    erkannt    wird, 
so  folgt  ohne  weiteres,  daß  das  Spiel  durchschaut  und  Fumees 
Autorschaft  gesichert  ist.    Wie  geschickt  übrigens  die  Täuschung 
eingefädelt  ist,  mag  man  daraus  ersehen,  daß  im  sechzehnten 
Jahrhundert  ein   Herr  de    San-Jorry  wirklich   lebte,   von  dem 


Martin  Fumee's  Roman  ,,Dii  vraij  et  parfait  amour" .     143 

wir  wissen,  daß  er  großes  Interesse  für  die  Schriften  des  Athena- 
goras  hatte.  Es  gibt  nämUoli  eine  Übersetzung  der  beiden  von 
Athenagoras  erhaltenen  Schriften,  die  den  Titel  trägt:  ,,Deux 
Opuscules  qiii  est  tout  ce  qui  se  troiive  d'Athenagore,  philosophe 
grec,  chrestien,  contenant  iine  Apologie  pour  les  chrestiens,  aux 
empereurs  Antonin  et  Comniode,  et  im  traite  de  la  resurrection 
des  morts"  (Bourdcaux  1577).  Die  zweite  Abhandlung,  das 
Traktat  über  die  Auf  erweckung  der  Toten,  hat  der  Übersetzer, 
Arnaud  du  Ferrier,  gewidmet  ä  Monsieur  du  Faur,  Seigneur 
de  S.  Jory,  President  en  la  Court  du  Parlement  de  Tolose,  und 
er  erwähnt  dankbar  die  Verbesserungen  zu  seinem  Autor,  die 
ihm  der  Präsident  gelegenthch  hat  zukommen  lassen.  Fumee 
hat  sicher  diese  Übersetzung  gekannt  und  aus  der  Widmung 
den  Namen  des  angebhchen  Herausgebers  entlehnt,  um  die 
Wahrheit  der  griechischen  Herkunft  um  so  augenscheinlicher 
zu  machen. 


Über  die  Persönlichkeit  dieses  Fumee,  der  also  als  Verfasser 
des  Romans  ,,Du  vraij  et  parfait  amour"  erwiesen  ist,  wissen 
wir  so  gut  wie  nichts.  Als  feststehend  darf  erachtet  werden, 
daß  er  der  Sohn  des  mit  Kindern  reich  gesegneten  Martin  Fumee, 
seigneur  des  Roches  S4  Quentin,  maitre  des  requestes,  war. 
Jener  Fumee,  von  dem  die  ,,Histoire  genealogiqiie  et  chronologique 
des  ehanceliers  de  France"  berichtet:  ,^3Iartiii  Fiimee^  seigneur 
de  Genille  et  de  Marly  le  Chastel,  fit  hommage  de  sa  terra 
de  Genille  le  30  mai  1573  et  le  21  mai  1588  de  celle  de  Marly 
le  Chastel^  prenant  la  qualite  de  gentilhomme  de  la  chanibre  de 
monsieur  le  duc  d'Anjou" })  Seine  Lebenszeit  gibt  die  „Noui^elle 
Biographie  generale'','^)  ich  weiß  nicht  auf  Grund  welcher  Do- 
kumente als  von  etwa  1540  bis  etwa  1590  an.  Da  mehrere  seiner 
Werke  nach  1590,  der  Roman  erst  1599,  erschienen  sind,  so 
hat   er  wahrscheinlich   bis  zur  Wende  des  Jahrhunderts  gelebt. 

Martin  Fumee  ist  der  Verfasser  folgender  Werke: 

Histoire  generalle  des  Jndes  occidentales  et  Terres  neuves, 
qui  iusques  ä  present  ont  este  descouvertes.  Traduite  en  frangois 
par  M.  Fumee^  Sieur  de  Marly  le  Chastel,  Paris  1569. 

In  der  Vorrede  zu  diesem  aus  dem  Spanischen  des  Lopez 
de  Gomara  übersetzten  Jugendw^erkes  kündigt  Fumee  ein  Werk 
über  die  in  Siebenbürgen  gegen  die  Türken  stattgefundenen 
Kämpfe  an.  Dieses  Werk  ist  jedoch  erst  erschienen  im  Jahre 
1595  unter  dem  Titel: 

Histoire  des  troubles  de  Hongrie.  Contenant  la  pitoyable 
perle  et  ruine  de  ce  Royaume  et  les  guerres  aduenues  de  ce  temps 


5)  3.  ed.  t.  VI  p.  422  1'. 

6)  t.   19  p.  56. 


144  Walther  Küchler. 

en  iceluy  entre  les  Chrestiens  et  les  Tarcs.  Par  Martin  Fiimee, 
Sieur  de  Genille.,  Chevalier  de  Vordre  du  Roy. 

Vorher  veröffentlichte  er: 

Histoire  des  guerres  faictes  par  rempereiir  lustinian  contre 
les  Vandales  et  les  Goths.  Escrite  en  Grec  par  Procope  et  Agathias 
et  mise  en  Frangois  par  Martin  Famee,  Sieur  de  Genille,  Chevalier 
de  Vordre  du  Roy.  Paris,  1587  in  fol.  Die  Übersetzung  gibt  die 
beiden  ersten  Bücher,  sowie  andere  Stellen  aus  den  anderen 
Büchern  nicht  wieder. 

In  die  religiösen  Streitigkeiten  der  Zeit  greift  er  ein  mit 
dem  Werke:  Traite  pour  Vunion  et  Concorde  entre  ceux  qui  se 
disent  Chrestiens.  Au  Roi,  par  le  Sieur  deGenillS,  Martin  Fumee, 
Chevalier  de  Vordre  du  Roi.    Tours  1591. 

Im  Jahre  1599  erscheint  dann  der  Roman  ,,i)w  vray  et  parfait 
amour.""') 

In  der  Titelangabe  aller  dieser  Werke,  mit  Ausnahme  des 
ersten,  wo  er  sich  als  Sieur  de  Marly  le  Chastel  bezeichnet,  nennt 
sich  Fumee  Sieur  de  Genille,  und  dieser  Umstand  mag  wohl  die 
Veranlassung  gewesen  sein,  daß  man  bisher  immer  geglaubt  hat, 
man  habe  es  mit  zwei  verschiedenen  Verfassern  zu  tun.  Nämlich 
mit  Martin  Fumee,  Sieur  de  Marly  le  Chastel,  dem  Verfasser  der 
,, Histoire  generale  des  Jndes  occidentales"  und  mit  Martin 
Fumee,  Sieur  de  Genille,  dem  Verfasser  der  übrigen,  oben  ge- 
nannten Werke. 

Seit  Lacroix  du  Maine  hat  sich  diese  Meinung  festgesetzt.^) 
Daß  jedoch  zwischen  dem  Sieur  von  Marly  le  Chastel  und  dem 
Sieur  de  Genille  kein  Unterschied  zu  machen  ist,  geht  aus  der 
bereits  angeführten  Notiz  der  „Histoire  genealogique  et  chronolo- 
gique  des  chanceliers  de  France''  hervor  und  außerdem  aus  der 
bisher  nicht  beachteten  Tatsache,  daß  sich  Fumee  selbst  in  der 


')  Dies  sind  die  gesicherten  und  mir  bekannten  Werke  Fumees. 
Die  Bibliotheque  universelle  (nouv.  ed.  t.  XV  p.  289  f.)  weiß  außerdem 
noch  zu  berichten,  es  heiße,  Fumee  habe  zusammen  mit  seinem  Bruder 
unter  dem  Pseudonym  du  gendre  d'Alcofribas  (eines  der  Pseudonyme 
Rabelais')  eine  Sammlung  von  Facetien  veröffentlicht.  Von  diesem 
Werke  ist  aber  nirgends  eine  Spur  zu  entdecken.  Nach  Fabricius, 
dem  Verfasser  der  Bibliothecagreca,  soll  er  auch  Procop  „De  vEdificiis 
übersetzt  haben.  Paris  1587.  fol.  Auch  dieses  Werk  habe  ich  nicht 
entdecken  können.  Möglicherweise  liegt  eine  Verwechselung  mit 
der  im  gleichen  Jahre  im  gleichen  Format  erschienenen  Übersetzung 
des  Gotenkrieges  vor. 

^)  Juvigny,  der  Herausgeber  des  Werkes  von  Lacroix  du  Maine, 
hatte  schon  die  Vermutung  ausgesprochen,  daß  man  es  mit  ein  und 
derselben  Persönlichkeit  zu  tun  habe  (t.  II  p.  101  f.)  Aber  seine  Ver- 
mutung ist  unbeachtet  geblieben,  da  sowohl  die  Bibliotheque  univer- 
selle (Michaud)  wie  die  Nouvelle  Biographie  generale  stets  von  zwei 
Martin  Fumee  als  den  Verfassern  der  in  Frage  stehenden  Werke  sprechen. 
Auch  in  dem  Katalog  der  Bibliothek  des  British  Museum  ist  dieser 
Fehler  wiederholt. 


Martin  Fumee's  Roman  ^^Dii  vra]j  et  parfait  amour".     145 

fünften  Auflage  der  ,,Histoire  ginerale  des  Indes  occidentales" 
als  Herrn  von  Genille  bezeichnet. 

Sind  wir  auch  über  die  äußeren  Lebensumstände  Furaees 
nur  sehr  dürftig  unterrichtet,  so  können  wir  doch  aus  seinen 
Schriften  einigermaßen  erfahren,  welch  Geistes  Kind  er  gewesen 
ist.  Wenn  man  nur  die  Titel  seiner  Werke  liest,  so  fällt  einem 
die  Vielseitigkeit  seiner  schriftstellerischen  Tätigkeit  und  damit 
auch  seiner  Neigungen  und  Kenntnisse  auf.  Die  alte  und  die 
neue  Geschichte,  Amerika  und  Europa,  die  religiösen  Fragen 
der  Gegenwart  ziehen  ihn  an,  die  schöne  Literatur  lockt  ihn, 
auch  auf  ihrem  Felde  seine  Kräfte  zu  versuchen.  Wenn  man  seine 
Werke  näher  betrachtet,  so  erkennt  man,  daß  man  es  mit  keinem 
Stümper,  sondern  mit  einem  schon  in  jüngeren  Jahren  recht 
ernsthaft  gestimmten,  gewissenhaft  arbeitenden,  sehr  belesenen 
Gelehrten  zu  tun  hat,  dem  es  redlich  um  Erkenntnis  der  Wahr- 
heit in  allen  Dingen  zu  tun  ist.  ,,Ce  pendant  qiie  ces  derniers 
troiibles  avoient  cours,  poiir  soulager  mon  esprit  greve  de  veoir 
un  iemps  si  calamiteiix,  ie  prins  ce  livre  en  main,  Amy  Lecteur^ 
pour  te  le  tradiiire  et  te  donner  cognoissance  de  heaucoup  de  choses^ 
desquelles  on  parle  en  l'air  et  par  un  ouy  dire  seulement,  qiii  outre 
passant  tousioiirs  ses  bornes,  sehn  la  nature  d'un  bruict  volant^ 
faict  bien  souvent  changer  le  vray  enjaux\  mit  diesen  Worten  leitet 
er  sein  erstes  Werk  ein,  und  diese  Wahrheitshebe,  die  in  engster 
Beziehung  steht  mit  seiner  Vorliebe  für  die  Geschichte  und  die 
ihn  im  tendenzlosen  Aufsuchen  und  Wiedergeben  der  Tatsachen 
die  Pflicht  und  die  Aufgabe  des  Historikers  erblicken  läßt,  bildet 
einen  der  hervorstechendsten  Züge  seines  Wesens. 

Ohne  ein  hervorragender  Mensch  und  Gelehrter  zu  sein, 
gewannt  Martin  Fumee  die  Sympathien  dessen,  der  sich  mit 
ihm  beschäftigt,  durch  die  Ehrlichkeit  und  Gediegenheit,  von 
denen  sein  Streben  nach  umfassender  Kenntnis  erfüllt  ist. 
Er  hat  nichts  Ausschweifendes  und  Ruheloses  an  sich,  vielmehr 
etwas  GründHches  und  fast  Pedantisches.  Von  seiner  Zeit  hat 
er  den  Drang  nach  dem  Universalen:  ^^Voiilant  ce  monde  en  esprit 
compasser"  beginnt  ein  Sonnet,  das  er  der  ,,Histoire  generale 
des  Indes  occidentales"  vorangestellt  hat,  aber  von  jener  gärenden 
Unruhe,  die  sie  erschüttert  und  vorwärts  treibt,  fühlt  er  wenig 
in  sich.  Im  Gegenteil,  er  liebt  den  Frieden  und  bleibt  gern  bei 
dem  Altgewohnten.  Er  schreibt  ein  ganzes  Buch  über  die  reü- 
giösen  Fragen  der  Zeit  und  kommt  schließlich  zu  der  Erkenntnis, 
man  solle  das  Reden  um  reUgiöse  Dinge  am  besten  lassen,  das 
führe  nur  zu  Zuchtlosigkeit  und  Gottlosigkeit.  Die  Kirche 
allein  habe  sich  mit  der  Religion  zu  beschäftigen.  Am  besten 
bleibe  alles,  wie  es  vor  elfhundert  Jahren  gewesen  sei. 

Daß  ein  solcher  Mensch,  wenn  er  sich  auf  dem  Felde  der 
Dichtkunst  versucht,  kein  hinreißendes  Kunstwerk  schreiben 
kann,  ist  klar.     Und  so  ist  denn  auch  sein  Roman  kein  über- 


146  Wahher  KiicMer. 

ragendes  Gebilde  geworden,  das,  aus  persönlichster  Schöpfer- 
kraft geboren,  die  literarische  Entwicklung  in  neue  Bahnen 
mit  zwingender  Macht  hätte  leiten  können. 

Aber  dieser  Roman,  so  unbeachtet  er  bisher  geblieben  ist, 
stellt  sich  doch,  gerade  weil  seine  Eigenart  aus  der  Wesensver- 
fassung des  Autors,  trotz  des  engsten  Anschlusses  an  ein  lite- 
rarisches Vorbild,  entsprungen  ist,  als  eine  originelle  Schöpfung 
dar,  die  aus  dem  Entwicklungsgang  des  französischen  Romans 
nicht  wegzudenken  ist,  ja,  die  das  Bild  der  sich  vorbereitenden 
Entwicklung,  des  sich  gestaltenden  Ideals  auf  ästhetischem 
Gebiet  in  seinen  ersten  Umrissen  zeigt. 

Diese  Auffassung  von  dem  Werte  des  Romans  steht  im 
Widerspruch  zu  der  heute  allgemein  geltenden.  Nachdem  der 
Roman  anfangs  mit  größtem  Interesse  aufgenommen  worden 
war,  hat  sich  im  Laufe  der  Zeit  das  Urteil  über  ihn  erheblich  ge- 
wandelt. Z.  T.  weil  man  über  erfolgreicheren  Werken,  die  auch 
für  die  Nachwelt  ihren  vollen  Klang  behielten,  ihn  vergessen, 
ihn  nicht  mehr  gelesen  und  z.  T.  weil  einer  dem  andern,  ohne 
eigne  Prüfung,  das  harte  Urteil  nachgesprochen  hat.  Huet 
nach  längeren  kritischen  Ausführungen  war  noch  zu  dem  Er- 
gebnis gekommen:  ,,Cet  oui>rage  est  invente  avec  esprit,  condiiit 
cwec  art,  sententieux,  plein  de  beaux  preceptes  de  Morale,  orni 
d'une  gründe  cariete  d'images  agreahles  et  jiidicieiisement  arrangees."^) 
Die  „Bibliotheque  universelle"  vom  August  1775  findet  das  Werk 
interessant.  Die  ,^Bibliotheque  des  Romans"  findet  es  zwar 
nur  wenig  interessant,  aber  von  nicht  gewöhnlicher  Art  und 
gesteht  ihm  zu  ,,rfe  grandes  beautez  et  quelques  endroits  qui  sentent 
l'antiquite."^^)  ,, 

Alle  neueren  Forscher  sind  zu  weniger  günstigen  Ergebnissen 
gekommen.  Körting  bezeichnet  den  Roman  nur  als  ,, Prototyp 
all  der  Nachahmungen,  die  der  griechische  Roman  in  Frankreich 
hervorrief. "^^)  Oeftering  behauptet  sehr  absprechend,  die  Er- 
zählung sei  nichts  weiteres  als  ein  minderwertiges  Pastiche,  ein 
mißlungenes  Konterfei  des  Heliodorschen  Urbildes.^-)  Aber 
er  wiederholt  mit  diesen  Worten  nur  Chassangs  Urteil,  der  den 
Roman  ,,ce  pastiche  mediocre  des  romans  grecs"  nennt,^^)  und 
dasjenige  Schoells,  der  ihn  einfach  als  ,,w7i  mauvais  livre" 
abtut.  14) 

»)  A.  a.  O.  p.  73. 

10)  T.  II  p.  II. 

11)  A.  a.  O.  t.  I  p.  39. 

1^)  Heliodor  und  seine  Bedeutung  für  die  Literatur  (Literar- 
historische Forschungen,  18.  Heft,  Berhn  1901)  p.  61. 

1^)  Histoire  du  Roman  et  de  ses  rapports  avec  Vhistoire  dans  Van- 
tiquite  grecque  et  latine.     Paris  1862,  p.  414,  Anmerkung. 

1*)  Histoire  de  la  litterature  grecque  profane.  2.  Aufl.  t.  V  p.  106 
Anm. 


Martin  Fiunh's  Roman  ,,JJu  vray  et  parfail  amoiir\     147 

Ob  diese  ungünstigen  Urteile  der  Wahrheit  entsprechen, 
wird  die  Untersuchung  lehren,  die  ohne  Voreingenommenheit, 
lediglich  auf  Grund  gewissenhafter  Prüfung  der  den  Roman  zu- 
sammensetzenden Elemente  seine  wirkliclie  Verfassung,  sein 
Verhältnis  zu  Heliodor,  seine  Vorzüge  und  Schwächen  aufweisen 
möchte. 


II. 

I>ei*  Inlialt  dcsi  Koitian!« 

,,I>u  vray  et  pai*fait  anioui»**. 

Der  Inhalt  des  Romans  ist  in  möglichster  Kürze  folgender. 
Während  des  Krieges  der  Römer  gegen  Perseus  von  Macedonien 
ist  bei  der  Einnahme  der  Stadt  Meliböa  durch  Cn.  Octavius  eine 
junge  Griechin,  namens  Charide,  in  die  Hände  des  Feldherrn 
gefallen,  der  sie  unverzüglich  nach  Rom  sendet,  wo  er  ihr  in 
seinem  Hause  großmütig  Gastfreundschaft  gewährt.  Er  behandelt 
sie,  als  er  dann  selbst  zurückgekehrt  ist,  nicht  wie  eine  Kriegs- 
gefangene, sondern  wie  eine  Tochter.  Das  junge  Mädchen  ist 
die  Braut  eines  Atheners,  Theogenes  mit  Namen,  der  sich  hatte 
verleiten  lassen  die  Waffen  gegen  Rom  zu  ergreifen.  Er  ist  bald 
in  Gefangenschaft  geraten;  Charide  hat  den  Schmerz  ihn  vom 
Hause  des  Octavius  aus  im  Triumphzuge  des  Paulus  Aemilius, 
des  Oberfeldherrn  im  macedonischen  Kriege,  zu  erblicken.  Theo- 
genes soll  mit  den  macedonischen  Gefangenen  ins  Gefängnis 
wandern,  aber  er  wird  seinem  greisen  Vater,  der  aus  Athen  herbei- 
geeilt ist  und  vor  dem  Senat  um  Gnade  für  den  unbesonnenen 
Sohn  bittet,  alsbald  freigegeben.  Charide  erhält  von  Octavius 
selbst  die  freudige  Nachricht.  Nicht  lange  darauf  darf  sie,  von 
Dienern   des    Praetors   geleitet,   in   ihre    Heimat    zurückkehren. 

Während  ihres  Aufenthaltes  im  Hause  des  Octavius  hat  sie 
Freundschaft  mit  der  um  viele  Jahre  älteren  Melangenie  ge- 
schlossen, die  dem  Haushalt  des  edlen  Römers  vorsteht  und  ihr 
auf  ihre  Bitten  ihr  leidvolles  Leben  erzählt.  Das  Geschick  hat 
Melangenie  früh  der  elterlichen  Fürsorge  beraubt,  sie  ist  auf  dem 
Lande,  in  der  Nähe  Karthagos  aufgewachsen,  hat  dann,  zur 
Jungfrau  erblüht,  die  Liebe  eines  jungen  Kaufmanns  aus  Salamis, 
namens  Pherecides,  erworben  und  ist  mit  ihm  entflohen,  um  in 
seiner  Heimat  seine  Gattin  zu  werden.  Sie  wird  aber  unterwegs 
durch  Räuber  von  ihm  getrennt,  gelangt  zum  Heiligtum  des  Jupiter 
Amnion,  lebt  dort  still  mehrere  Jahre  in  Gemeinschaft  der 
frommen  Frauen  des  Orakels,  wird  dann  von  unbestimmter,  quäle- 
rischer Sehnsucht  nach  dem  verlorenen  Freund  ergriffen,  wagt  sich 
wieder  hinaus  in  die  Welt,  fällt  bald  zur  See  abermals  Räubern  in 
die  Hände,  die  sie  nach  Sardinien  verkaufen,  von  wo  aus  sie  nach 


148  Walther  Küchler. 

einiger  Zeit  in  das  Haus  des  Cn.  Octavius  gelangt,  der  sie  zur 
Leiterin  seines  Haushaltes  macht. 

Charide,  die  der  neugewonnenen  Freundin  die  Geschichte 
ihrer  Liebe  erzählt  hat,  verläßt  Rom  und  kehrt  über  Epidamnia 
in  die  Heimat  zurück.  Dort  findet  sie  einen  Brief  von  Theogenes 
aus  Athen.  Sie  antwortet  sogleich  und  fordert  ihn  auf  zu  ihr 
zu  kommen.  Theogenes  macht  sich,  ohne  zu  zögern,  auf  den  Weg, 
sein  Schiff  wird  aber  von  Piraten  überfallen  und  er  selbst  nach 
Byzanz  geschafft.  Charide  erfährt  das  Unglück,  reist  mit  dem 
Sohn  einer  Freundin,  Adraste,  nach  Byzanz  und  kauft  den  Geliebten 
los,  mit  dem  sie  nach  so  langer  Trennung  ein  frohes  Wiedersehen 
feiert. 

Aber  das  Glück  ist  ihnen  nicht  hold.  Auf  der  zu  Schiff 
erfolgenden  Rückkehr  werden  sie  von  widrigen  Winden  in  das 
schwarze  Meer  verschlagen  und  geraten  bei  der  ersten  Landung 
in  die  Gewalt  der  Scythen,  die  gerade  mit  dem  verwandten  Volks- 
stamm der  Nomaden  in  Krieg  leben.  Adraste  und  Charide, 
die  beide  für  keusch  befunden  werden,  sollen  zur  Herbeiführung 
eines  glückhchen  Ausgangs  des  Krieges  den  Göttern  geopfert 
werden.  Theogenes,  der  bei  der  Gefangennahme  verwundet 
worden  ist,  kann  wegen  seiner  Wunde  nach  den  Gesetzen  nicht 
zum  Opfer  zugelassen  werden.  So  ist  es  ihm  möglich,  die  drohende 
Gefahr  von  den  zum  Opfertode  Bestimmten  abzuwenden,  indem 
er  einige  Männer  und  Jungfrauen  der  Feinde  erbeutet,  von  denen 
ein  Paar  an  Stelle  der  Charide  und  des  Adraste  des  Opfers  für 
würdig  befunden  wird. 

Während  darauf  Theogenes  für  den  Scythenkönig  gegen 
dessen  Feinde  kämpft,  stellt  ein  mit  dem  Schutze  der  Charide 
beauftragter  Dolmetscher  ihrer  Tugend  nach.  Charide  aber 
entzieht  sich  zusammen  mit  Adraste  durch  Flucht  der  Gefahr. 
Der  Dolmetsch  setzt  ihnen  nach,  ohne  sie  jedoch  ergreifen  zu 
können.  Theogenes  kehrt  aus  dem  Feldzuge  heim,  findet  Charide 
nicht,  dafür  aber  einen  von  ihr  zurückgelassenen,  aufklärenden 
Brief.  Er  erwirkt  die  Hinrichtung  des  von  der  vergeblichen  Ver- 
folgung heimgekommenen  Frevlers,  eilt  der  Geflohenen  nach 
und  findet  sie  wieder. 

Nun  ist  die  Zeit  ihrer  Leiden  zu  Ende.  Sie  kehren  nach 
Meliböa,  vorsichtigerweise  zu  Lande,  zurück  und  feiern  dort  ihre 
Hochzeit.  Nach  einigen  Monaten  des  Glückes  begibt  sich  der 
junge  Gatte  nach  Athen  zum  Besuche  seines  Vaters.  In  seiner 
Abwesenheit  langt  in  Meliböa  Melangenie  an,  die  Octavius  der 
Charide  auf  ihre  Bitte  gesandt  hat.  Theogenes  kehrt  zurück, 
um  die  Gattin  dem  Vater  zuzuführen.  Auf  der  Reise  nach  Athen 
trifft  man  in  Korinth  ganz  unerwartet  den  Pherecides,  den  lang- 
verlorenen Freund  der  Melangenie.  Nun  können  die  beiden 
altgewordenen  Liebenden  noch  ein  spätes  Glück  finden.  In 
Argos,  im  Junotempel,  findet  ihre  Vermählung  statt,  und  dann 


Martin  Fumee's  Roman  „Du  vray  et  parfait  amour".     149 

ziehen  alle  gemeinsam  nach  Athen,  wo  sie  in  Liebe  und  Freund- 
schaft, Tür  an  Tür,  miteinander  ilir  Leben  zubringen. 


IIL 
I>ie  Quellen  de»  Roman»  und  ihre  Bearbeitung'. 

Eine  aufmerksame  Lektüre  des  Romans  verhalf  mir  bald 
zu  der  Einsicht,  daß  Fumee  eine  gute  Kenntnis  antiker  Ver- 
hältnisse gehabt  und  Mitteilungen  antiker  Schriftsteller  für  die 
Komposition  des   Romans  verwendet  haben  müsse. 

Während  ich  auf  der  Pariser  Nationalbibliothek  mit  dem 
Forschen  nach  den  von  Fumee  benutzten  Quellen  beschäftigt 
war  und  die  Ai'beit  bereits  ein  gut  Stück  gefördert  hatte,  sah  ich 
wieder  einmal  Huets  Büchlein  über  den  Ursprung  des  Romans 
durch  und  fand,  daß  auch  ihm  eine  Anzahl  von  Stellen  des  Romans 
aufgefallen  waren,  die  sich  auf  antike  Schriftsteller  beziehen 
mußten,  „principalement  ä  Herodoie,  Plutarqiie,  Quinte  Curce, 
lamhlique  le  Philosophe  et  Ileliodore,  qui  sont  les  grands  originaux 
d'oä  il  a  tire  toute  la  matiere  de  son  Roman." 

Etwa  zu  gleicher  Zeit  gelangte  in  meine  Hände  das  Exemplar 
des  Romans,  das  einst  Huet  in  seiner  Bibhothek  besaß.  Und 
in  diesem  Exemplar  entdeckte  ich  eine  Reihe  von  handschrift- 
lichen Bemerkungen  Huets  zu  den  Quellen  einiger  Stellen  des 
Romans.  Aus  diesen  Notizen  ergibt  sich,  daß  er  auch  Entspre- 
chungen zu  Callimachus,  Lucian,  Pausanias,  Josephus  Antonius, 
zu  Macchiavelli  und  zur  Bibel  gefunden  hat.  Manchmal  irrt 
sich  Huet,  vieles  ist  ihm  auch  entgangen.  Das  ist  natürhch, 
er  hat  ja  nicht  ein  systematisches  Studium  der  Quellen  vor- 
genommen, sondern  offenbar  nur  aus  der  Fülle  seiner  Kenntnisse 
und  Erinnerungen  heraus  die  jeweihgen  Entsprechungen,  die 
er  aufgezeichnet  hat,  gefunden. 

Dankbar  muß  ich  anerkennen,  daß  seine  Gelehrsamkeit 
mir  mehr  als  ein  Mal  die  Arbeit  erleichtert  hat. 

In  der  Erwägung,  daß  die  Kenntnis  der  von  Fumee  benutzten 
Quellen  und  die  Ai't  ihrer  Verwendung  durch  ihn  von  der  größten 
Wichtigkeit  für  die  richtige  Beurteilung  des  Romans  ist,  wollen 
wir  nunmehr  die  Fahrt  zu  ihnen  antreten. 

Plutarch.i^) 

In  höchst  wirkungsvoller  Weise  beginnt  der  Roman  mit 
einer  Schilderung  des  Triumphzuges,  den  Paulus  Aemilius  nach 

^^)  Plutarch  ist  in  der  Übersetzung  Amyots,  der  sich  Fumee 
ohne  Zweifel  bedient  hat,  zitiert,  und  zwar  nach  der  Ausgabe  der 
(Euvres  de  Plutarque,  die  zu  Paris  von  1818 — 1821  in  25  Bänden  erschien. 


150  Walther  ■  Küchler. 

Beendigung  des  Krieges  gegen  Perseus  von  Macedonien  in  Rom 
hielt.  Sie  ist  nicht  der  Phantasie  Fumees  entsprungen,  sondern, 
was  auch  Huet  nicht  bemerkt  hat,  der  Erzählung  Plutarchs  in 
seiner  Lebensbeschreibung  des  Paulus  AemiUus  nachgebildet. 

Eine  vergleichende  Betrachtung  der  Fassung  Plutarchs  und 
der  Darstellung  Fumees  gewährt  gleich  einen  guten  Einblick  in 
die  Arbeitsweise  des  letzteren. 

Nach  Niederschlagung  gegnerischer  Intriguen  wurde,  wie 
Plutarch  ausführt,  dem  P.  Aemilius  der  Triumphzug  bewilligt, 
.Auquel  Vordre  et  la  maniere  jiit  telle-}^)  Premierement  le  peiiple 
ayant  clresse  force  escJiaffaux,  tcuit  es  lices  oii  se  fönt  les  ieiix  des 
courses  de  chariols  et  chevaux  que  les  Latins  appellent  Circos, 
comme  ä  l'entoiir  de  la  place  et  aiitres  endroits  de  la  ville  par  oii 
l'appareil  du  triiimphe  avoit  ä  passer.,  tous  se  troiwerent  avec  leurs 
heiles  7'obbes,  pour  en  voir  la  magnificetice .  Si  estoyent  tous  les 
temples  des  Dieux  ouverts  et  pleins  de  festons  et  de  perfums,  et  y 
avoit  par  tous  les  quartiers  de  la  ville  des  sergens  et  autres  ojficiers 
tenant  des  bastons  en  leurs  mains,  pour  faire  retirer  la  presse  et 
serrer  ceulx  qui  se  jetteroyent  ä  la  foule  irop  en  avant  par  les  carre- 
fours  et  qui  iroyent  et  viendroyent  par  la  ville,  ä  fin  que  toutes  les 
rues  fussent  i'ides  et  nettes." 

Der  Triumphzug  verteilte  sich  auf  drei  Tage.  Plutarch 
schildert  den  ersten  und  zweiten  Tag  und  fährt  dann  fort:  ,,Le 
troisieme  iour  au  plus  matin,  commencerent  ä  marcher  les  trom- 
pettes  sonnans  un  son,  non  point  tel  que  Von  le  sonne  pour  marcher 
par  les  champs  ny  pour  faire  wie  monstre,  mais  celuy  propre  que 
Von  sonne  ä  une  alarme  ou  un  assault  pour  donner  courage  aux 
soudards  quand  on  est  sur  le  poirict  de  combatre." 

Fumee  beginnt  den  Roman  mit  dem  Sonnenaufgang  des 
dritten  Tages:  Als  der  Sternonglanz  erbleicht  und  über  dem 
Kapitol  die  Sonne  erscheint,  da  ist  ein  jeder  schon  zum  Schauen 
bereit,  ,,les  uns  aux  fenestres,  autres  aux  partes  et  aucuns  sur 
les  toicts  des  maisons  et  peu  par  les  rues  ordonnees  pour  la  monstre 
de  ce  magnifique  triumphe,  ä  raison  que  les  sergens  et  commis  ä 
ceste  Charge  avec  leurs  verges  et  haches  en  main  en  faisoyent  vider 
et  reculer  le  peuple,  pour  laisser  la  voye  plus  libre.  Les  rues  estoient 
encor  toutes  tendues  comme  au  iour  precedent,  de  belies  et  riches 
tapisseries.  Ses  temples  ornes  cV excellentes  tentures  et  de  grandes 
et  espaisses  ramees  embellies  de  certains  houquets  fagonnez  de 
diverses  f leurs  et  entreposez  par  les  rameaux. . .  .  C'estoit  une  heaute 
admirable  de  voir  depuis  le  plant  de  la  nie  iusqu'au  plus  haut  des 
maisons  choses  si  exquises  que  V  ceil  ne  pouvait  se  rassasier  ä  la 
veue  d'icelles,  les  parois  et  fenestrages  estans  revestues  de  ce  que 
chaque  citoyen  avoit  de  plus  precieux  entre  ses  meubles]  mesme 
estoit  une  chose  singuliere  d  voir  les'visages,  la  grace  et  le  maintien 


Via  des  hotnrnes  illustres  l.  3  p.  68  ff. 


Martin  Fiimee's  Roman  „Du  vray  ei  parfait  atnour" .     151 

des  ieunes  femmes  et  jilles  appuyees  et  acoudees  sur  les  fenestres, 
qui  efjagoyent  par  leur  liistre  Vexcellence  des  tableaiix,  qui  gd  et 
lä  avoyent  este  attachez  par  dessus  les  tapisseries. . .  Et  par  la 
Conference  qiie  Von  pouvoit  faire  de  Viine  ä  l'autre  on  iiigeoit  ayse- 
ment  de  conibien  excede  la  vive  beaute  celle  qui  n'a  en  soy  aucun 
mouvement.  Aussi  les  rayons,  qui  estinceloyent  du  feu  naturel 
des  riches  pierreries  dont  lenrs  chefs  estoyent  ornez  esloyent  inimi- 
tables  au  peintre  qui  en  avoit  represente  de  semblables  en  ses 
tableaux. 

Estant  ainsi  la  ville  bien  disposee  et  le  peuple  simple. .  .  .  estant 
ränge  fort  serrc  le  long  de  la  rue  sans  oser  s'avancer  plus  avant  que 
les  sergents  et  officiers  commis  ä  cest  effect  leur  permeltoyent,  estans 
par  eux  repoussez  fort  rudement  avec  la  hampe  de  leurs  haches 
ceux  qui  par  une  trop  gründe  envie  iointe  ä  une  indiscretion  et 
temerite  s'advangoyent  trop  avant  pour  voir  promptement  de  loing  ce 
qu'avec  le  temps  ils  pouvoyent  contempler  pres  d'eux,  on  commenga 
ä  ouyr  des  trompettes  et  clairons  faisans  un  bruit  et  iintamarre 
merveilleux,  ne  sonnans  point  en  fagon  d'une  feste,  ny  comme 
on  a  accoustume  de  faire  en  quelque  resiouissance  populaire  ou 
autre,  mais  on  eust  dit  qu'e  c'estoit  encor  une  seconde  alarme  et 
teile  que  Hannibal  donna  une  fois  aux  partes  de  la  ville\  tellement 
qu'ä  ce  bruit  aucuns  qui  ont  le  coenr  plus  prompt  ä  se  laisser  aller 
ä  la  crainie  qu'ä  se  roydir  et  s'enfler  avec  raison  et  iugement  contre 
quelque  accident  que  ce  soit,  imaginoyent  soudain,  comme  la  pensee 
est  plus  viste  que  la  parolle,  que  quelques  ennemis  entroyent  ia 
en  la  ville  ayans  quelque  inlelligence  avec  aucuns  citoyens  et  avec 
les  soldats  de  Paul  j^mile. . .  Mais  iceux  voyans  que  ceux  qui 
sonnoyent  ces  trompettes  marchoyent  plus  pausement  et  plus  modeste- 
ment  que  ne  requer oit  une  Invasion  de  ville,  se  r'asseurans  contemp- 
loyent  de  bon  ceil  ce  qui  leur  apportoit  un  grand  contentement,  se 
voyans  devoir  estre  plus  asseurez  en  leurs  cceurs  par  le  bonheur 
de  leur  Republique,  laquelle  se  fortifioit  et  s'estendoit  de  iour  ä 
autre,  ainsi  que  ceste  feste  pompeuse  leur  en  donnoit  preuve  et 
asseurance.  Chacun  donc  estoit  fort  tendu  et  tenoit  ses  yeux  fichez 
contre-bas  la  rue,  remarquant  attentivement  tous  ceux  qui  passoyent." 

Um  mehr  als  das  Vierfache  dehnt  Fumee  diesen  Teil  der 
von  Plutarch  gegebenen  Beschreibung  des  Triumphzuges  aus, 
mit  dem  Erfolge,  daß  er  dem  Leser  die  Buntheit  und  Bewegtheit 
des  Augenblicks  in  plastischer  Klarheit  zur  Anschauung  bringt. 
Vorzüglich  gelingt  es  ihm,  mit  geringen  Mitteln  die  Erwartung 
und  Aufregung  der  Masse  über  und  in  den  Straßen  zu  schildern, 
das  Drängen  des  engzusammengepreßten  Volkes,  die  allzugnoße 
Neugierde  einiger  Vorwitziger,  die  von  den  Beamten  mit  rauhen 
Gesten  zurückgehalten  werden  und  nun  wenigstens  die  Hälse 
recken,  um  recht  bald  das  nahende  Schauspiel  zu  sehen.  Aus- 
führhcher  als  Plutarch  spricht  er  von  dem  Schmuck  der  Tempel. 
Nicht  nur  feine   Gewebe  schmücken  sie,  auch   Guirlanden  mit 


152  Waliher  Küchler. 

mancherlei  Blumen  verziert,  sind  um  sie  geflochten.  Mit  ge- 
nießender Freude  verweilt  er  bei  dem  reichen  Schmuck  der  Häuser 
und  besonders  bei  der  Schönheit  der  edelsteingeschmückten 
Frauen  und  Mädchen,  die  sich  aus  den  Fenstern  lehnen  und  so 
recht  erkennen  lassen,  wie  sehr  die  lebendige  Schönheit  die 
bewegungslose  übertrifft.  Der  kriegerische  Trompetenschall  ver- 
anlaßt ihn  ein  wenig  Massenpsychologie  zu  treiben  und  die  Wir- 
kung der  unerwartet  kriegerischen  Töne  auf  die  harrende,  erregte 
Menge  zu  schildern.  ^^) 

Historische  Erinnerungen,  psychologische  und  künstlerische 
Erwägungen,  auch  die  bei  Plutarch  der  Beschreibung  des  Triumph- 
zuges vorangehende  Bemerkung,  daß  die  Soldaten  des  Triumpha- 
tors  wegen  allzu  geringer  Belohnung  unzufrieden  mit  ihm  waren, 
müssen  ihm  dazu  dienen,  seinem  Gemälde  neue,  wirkungsvolle 
Farben  zu  verleihen. 

Im  weiteren  Verlaufe  der  Schilderung  schheßt  sich  Fumee 
ziemlich  getreu  an  Plutarch  an,  zeigt  jedoch  das  Bestreben,  die 
Vorlage  durch  allerlei  Hinzufügungen  in  beschreibendem  Sinne 
oder  zur  Erhöhung  der  malerischen  Anschaulichkeit  zu  erweitern. 
So  gleich  in  dem  folgenden,  die  Darstellung  weiterleitenden 
Abschnitte,  der  bei  Plutarch- Amyot  kurz  heißt:  ,, Apres  lesquelz 
suyvoyent  six  vingts  hceujs  gras  et  refaits,  ayans  toutes  les  cornes 
dorees  et  les  festes  couronnees  de  festons  et  de  chappeaux  de  fleurs" 
und  bei  Fumee  ausführlicher:  ^, Apres  ces  sonneurs  de  trompettes 
marcJioyent  d'iin  pas  pesant  deux  ä  deiix  six  vingts  Bceiijs  les 
plus  grands  de  corsage  et  les  plus  gras  qu'on  avoit  peu  choisir, 
ayans  pres  d'un  pied  de  distance  d'une  corne  ä  l'autre  et  le  panon 
leur  pendant  quasi  iusques  sur  le  iarret,  portans  leur  teste  levee 
et  se  ioüans  de  leur  queu'e  en  iettant  le  floquet  d'icelle  sur  leur 
crouppe  comme  si  de  l'estahle  on  les  menoit  ä  la  pasture,  estans 
toutesfois  conduicts  pour  une  fin  bien  contraire.  Car  c'estoit  pour 
victimes  qu'on  les  avoit  choisis  pour  cest  effect  et  pour  le  merite  de  la 
feste  on  avoit  dore  leurs  cornes  et  mis  sur  leurs  testes  des  chappeaux 
de  fleurs  et  de  longs  festons  sur  leurs  eschines  et  sur  leurs  flancs." 

Es  würde  zu  weit  führen,  die  vollständigen  Beschreibungen 
des  Triumphzuges  bei  Plutarch  und  Fumee  vergleichend  einander 
gegenüberzustellen.  Die  angeführten  Beispiele  haben  genügend 
gezeigt,  in  welcher  Art  Fumee  seine  Vorlage  verwertet.  Schön- 
heitssinn, Freude  an  unmittelbarer  Anschaulichkeit  und  auch  das 
Bestreben,  ein  antikes  Sittenbild  seinen  Lesern  vor  Augen  zu 
führen,  haben  ihn  bei  der  Ausgestaltung  seiner  Quelle  geleitet. 


^^;  ßei  der  Beschreibung  des  zweiten  Tages  des  Triumphzuges 
spricht  Plutarch  von  den  auf  vielen  Wagen  mitgeführten  künstlich 
durcheinander  geworfenen,  klirrenden  Waffen  der  Feinde,  deren 
bloßer  Anblick  einen  gewissen  Schrecken  einjagte.  Fumee  hat  wohl 
an  diese  Stelle  gedacht,  als  er  den  Schrecken  der  Wartenden  über  das 
Trompetengeschmetter  seiner  Darstellung  hinzufügte. 


Martin  Fumee's  Roman  ,,Du  vray  cf  parfait  amoiir" .     153 

Gelegentlich  des  Höhepunktes  des  Zuges,  bei  dem  Auftreten  des 
gefangenen  Perseus,  kann  er  es  sich  nicht  versagen,  auch  eine 
moralische  Betrachtung  dem  Texte  Plutarchs  hinzuzufügen. 

Mitten  aus  der  Bewegung  des  Triumphzuges,  aus  dem  ein- 
drucksvollen historischen  Augenblick  heraus,  dessen  Schilderung 
die  Phantasie  des  Lesers  mächtig  ergriffen  hat,  läßt  nun  Fumee 
in  einer  glückhchen  künstlerischen  Eingebung,  ganz  selbständig, 
die  romanhafte  Handlung  herauswachsen.  Im  Gefolge  des  ge- 
fangenen Fürsten  schreitet  stolz  und  aufrechten  Ganges  ein  schöner 
Jüngling.  Als  er  vor  dem  Hause  des  Praotors  Octavius  vorüber- 
zieht, da  erblickt  ihn  von  einem  der  Fenster  dieses  Hauses  herab 
eine  schöne,  aus  Meliböa  nach  Rom  gefülirte  Griechin.  Charide 
erblickt  Theogenes,  ihren  gehebten  Freund.  In  lange  Klagereden 
bricht  sie  aus  und  folgt  dem  Gefangenen  mit  den  Augen,  bis  er 
ihr  entschwindet.  Nur  ihn  sieht  sie  und  nicht  den  siegreichen 
Feldherrn,  der  auf  seinem  Triumphwagen  wie  ein  Phoebus  glanz- 
voll einherzieht. 

Soweit  die  Schilderung  des  Triumphzugs  und  seine  Ver- 
bindung mit  der  Handlung  des  Romans. 

Die  beiden  ersten  Tage  des  Triumphes  werden  an  anderer 
Stelle  des  Romans  von  Melangenie  der  Charide,  ebenfalls  nach 
Plutarch,  erzählt.  ^^)  Die  Beschreibung  ist  wieder  erheblich  aus- 
führlicher als  die  Plutarchs.  Neue  Gesichtspunkte  für  die  Beur- 
teilung des  Verhältnisses  unseres  Autors  zu  seiner  Vorlage  ergeben 
sich  nicht,  daher  darf  ein  näheres  Eingehen  auf  die  Schilderung 
füglich  unterbleiben. 

Am  Abend  des  Tages,  der  der  Charide  für  ein  paar  Augen- 
blicke ihren  Liebsten  als  Gefangenen  gezeigt  hatte,  findet  ein 
Freigelassener  des  Octavius  sie  traurig  in  ihrem  Zimmer.  Er 
rühmt  ihr  zum  Trost  den  Edelmut  und  die  Milde  seines  Herrn 
und  übergibt  sie  dann  der  Sorge  der  Melangenie,  die  auch  nichts 
Besseres  zu  tun  weiß,  als  der  armen  Verlassenen  und  Liebes- 
kranken Trost  zu  spenden.  Ihre  Rede  ist  entlehnt  der  Trost- 
schrift Plutarchs  an  Apollonius.^^) 
Plutarch-Amyot:  Fumee  i^o) 

Or  se  douloir  et  se  sentit-  attaint  Si  c'est  le  regret  que  vous  pouvez 

au  vif  pour  la  perte  (Vun  jils  est  avoir  avec  raison  de  ce  que  vous 
une  douleur  qui  procede  de  cause  avez  perdu,  tant  vos  parens,  amis 
naturelle  et  n^est  point  en  nostre  que  vos  biens,  qui  vous  detiennent 
puissance.  en  ielles  angoisses,  certes  c'est  une 

douleur  qui  procede  de  causes 
naturelles,  lesquelles  estans  en  nous 
et  procedantes  de  nous  des    nostre 

18)   S.  202  ff. 

1^)  Gonsolation  envoyee  ä  ApoUonius  sur  la  mort  de  son  fils. 
ffiuvres  de  Plutarque  t.  16  p.  210  ff. 
20)  S.  14  b  ff. 


154 


Walther  Küchler. 


Plutarch  ist  nicht  der  Meinung 
derer,  die  da  loben  ,,si  haultement 
je  ne  sgai  quelle  brutale  et  farouche 
et  sauvage  impassibilite,"  sondern 
ist  für  maßvollen  Ausdruck  des 
Schmerzes. 


Der  ist  weise,  der  Glück  wie 
Unglück  zu  ertragen  weiß,  ,,ayant 
bien  propense  que  c'est  ne  plus 
ne  moins  comme  en  un  estat  popu- 
laire,  lä  oü  Von  tire  les  magistrats 
au  sort,  et  fault  que  celuy  ä  qui 
le  sort  eschet,  commande;  et  celuy 
qui  en  est  frustre  porte  patiemment 
le  refus  de  fortune:  ainsi  fault  il 
qu'en  la  distribution  des  evene- 
ments  et  succes  des  affaires,  il  se 
contente,  sans  plainle  ny  resistence, 
de  ce  que  la  fortune  luy  envoye; 
car  ceux  qui  ne  peuvent  faire  cela, 
ne  pourroient  non  plus  supporter 
sagement  et  modereement  de  grandes 
prosperitez  .  .  . 


Das  beste  Mittel  zu  dieser 
schmerzlosen  Ruhe  des  Geistes 
zu  gelangen  besteht  darin,  sich 
mit  Hilfe  der  Vernunft  von  langer 
Hand  gegen  alle  Wechselfälle  des 
Geschickes  zu  wappnen.  ,,car 
il  ne  se  faut  pas  seulement  recog- 
noistre  niortel,  mais  aussi  attache 
ä  une  vie  mar  teile  et  ä  des  affaires 
qui  facilenient  se  changent  d'un 
estat  en  un  autre  tout  contraire. 
Car  certainement  et  les  corps  des 
hommes  sont  mortels  et  caduques 
et  leurs  fortunes  mortelles,  et  leurs 
passions  et  affections  aussi,  et 
generalement  tout  ce  qui  est  ou 
appartient    ä    la    vie    humaine  .  .  . 

Hesiod  schreibt,  Pandora  habe 
das  P'aß  mit  den  Leiden  geöffnet, 
so  daß 

Rien  ne  resta  que  V esperance  seule 

Dans   ce  fort  muy,    soubs  le   bord 

de  sa  sueule. 


premiere  conformite,foHtqu'  icelle  soit 
excusable,  n'estans  les  premiers  mou- 
vemens  en  la  puissance  de  V komme. 

Mais  comme  les  occasions  prece- 
dentes  servans  de  raison  aux 
effects,  qui  s^ensuivent  d^icelles, 
doyvent  estre  prinses  et  empoignees 
Selon  que  la  necessite  le  requiert 
par  les  plus  sages,  ainsi  devons 
nous  faire  paroistre  nos  peines 
et  ennuis,  autant  que  nous  pen- 
sions  la  douleur  nous  pouvoir 
apporter    quelque    consolation. 

Durch  Selbsterkenntnis  und 
weisen  Zuspruch  müssen  wir  un- 
serem Schmerze  Linderung  ver- 
schaffen „et  penser  ä  ce  que  nous 
sommes,  estans  crcez  par  le  grand 
Dieu  ainsi  que  la  creation  et  In- 
stitution d'une  Republique  popu- 
laire,  en  laquelle  on  tire  au  sort 
pour  parvenir  aux  Estats  d' icelle, 
lä  oü  celuy,  qui  a  este  fruslre  de 
son  attente  obeist  volontiers  ä 
celuy,  qui  en  est  pourveu;  estant 
raisonnable  que  de  mesme  nous 
nous  compotitons  es  accidens  de 
fortune,  laquelle  les  distribue  bons 
ä  quelques-uns  et  mauvais  ä  d^autres 
pour  lesquels  il  ne  faut  nous  esto- 
maquer  conlre  eile.  Car  faisant 
autrement  c'est  nous  declarer  com- 
bien  nous  serions  insupporlables 
es  prosperitez  d'icelle,  qui  est  un 
vice  fort  ennuyeux  ä  chacun  .... 

Den  Göttern  muß  man  gehor- 
chen. ,,Ils  nous  ont  donne  la  vie, 
mais  suiette  ä  la  mort,  de  laquelle 
komme,  qui  iamais  aye  este  en- 
gendre  au  monde,  n'a  peu  s'exemp- 
ter  quelque  art  qu'il  aye  peu 
apprendre.  Nos  humeurs,  nos 
passions  et  Jios  affections  estans 
nostres  sont  semblablement  mor- 
telles et  ne  peuvent  estre  de  duree 
non  plus  que  nous.  Aussi  sont 
les  evenemens  tant  bons  que  mau- 
vais  que  la  fortune  nous  envoye  .  .  . 


ä  quoy  nous  sert  ceste  esperance  que 
Pandore  nous  a  reservee  pour 
prendre  patience  en  nos  adversitez. 


Martin  Fiitnee's  Roman  ,^Du  crai/  et  parjail  amour" .     155 


Ziemlich  genau  dem  Sinne  nach,  gewöhnlich  frei  umschrei- 
bend, doch  auch  die  gleichen  Wörter  und  Wendungen  nicht  ver- 
schmähend, schließt  sich  die  Trostredo  der  Melangenie  in  ihrem 
größten  Teile  an  die  angeführten  Stellen  aus  der  Trostepistel 
Plutarchs  an. 

Die  ernsten  und  doch  freundlichen  Worte  erfüllen  Gharide 
mit  Vertrauen  zu  der  Sprecherin.  Sie  bekennt,  daß  der  Grund 
ihres  Kummers  in  dem  Unglück  ihrer  Liebe  zu  suchen  sei.  Ihr 
Geständnis  gibt  der  Melangenie  Veranlassung  zu  einer  neuen 
größeren  Rede  über  die  Liebe. 

Die  Rede  beginnt  mit  der  Plutarchs  Tischgesprächen-^)  ent- 
lehnten Bemerkung,  daß  die  Liebe  ^^estand  habillarct''  sich  nicht 
verhehlen  könne,  und  inspiriert  sich  dann  in  ihrem  weiteren 
Verlaufe  aus  dem  Dialog  über  die  Liebe. 


Plutarch-Amyot  :22) 

Je  dis  doncques  en  soniine  que 
Le  ravissernent  et  enthusiasme  des 
aimants  ri'est  point  sans  divinite  .  . 


Nous  sommes  contraincts  par 
manifeste  evidence  de  croire  que 
Vaccident  de  Varc  en  ciel  n'est 
autre  qu'une  reflexion  du.  vray 
de  nostre  veue  qui  donne  dedans 
une  nuee  humide,  egale  et  mo- 
yennant  espesse,  oü  eile  rencontre 
et  tauche  au  Soleil,  en  voiant  par 
reflexion  sa  clarte  et  lueur,  eile 
imprime  en  nostre  entendement 
ceste  opinion  que  teile  apparition 
soit  emprainte  dedans  la  nuee. 
Teile  est  V ingenieuse  habilite  et 
subtile  invention  de  Vamour,  qui 
es  ames  gentilles  et  bien  nees  fait 
une  reflexion  de  memoire  de  beau- 
tez  qui  apparoissent  et  sont  ainsi 
nommees  icy  au  regard  de  celle 
divine,  veritablement  aimable,  heu- 
reuse  et  admirable  beaute,  mais 
la  plus  part  des  hommes  vulgaires, 
poursuivants  et  maniants  une  image 
dHcelle  qui  apparoit  es  belles  et 
ieunes  personnes,  ne  plus  ne  moins 
que  dans  des  miroirs,  h'en  peuvent 
tirer  fruict  aucun  plus  asseure 
ne  certain,  que  un  peu  de  volupte 


Fumöe:^^) 

Die  Liebe  ist  eine  die  mensch- 
liche Kraft  übersteigende  Raserei. 
„amenant  avec  soy  une  alienation 
de  Ventendement  humain,  lequel 
les  vostres  ont  voulu  nommer 
Enthusiasme,  i^oulans  couvrir  ceste 
passion  sous  inspiration  ou  re- 
pletion  de  puissance  divine. 

Sie  sagen:  Amour  estant  un 
Dieu  ne  pouvoir  inspirer  en  nous 
que  choses  divines  et  que  les  obiects 
des  beautez  que  nous  voyons  ne 
doivent  servir  ä  nos  sens  naturels 
que  d'un  miroir  et  representation 
de  la  beaute  divine,  ä  laquelle 
cest  Amour  doit  eslever  nos  desirs, 
demeurans  amoureux  pudiques 
et  chastes  sans  s^amuser  trop  ä 
la  contemplation  des  corps  humains 
et  terrestres,  laquelle  engendre  et 
nous  propose  lors  un  Amour 
conirefait  et  bastard,  comme  ils 
Vappellent,  ainsi  qu'est  Varc  du 
ciel,  aux  couleurs  et  beaute  duquel 
les  enfans  s^amusent  et  le  pensent 
nianier  y  aprochans  les  mains, 
sans  considerer  qui  est  Vautheur 
d'iceluy  et  d'ou  il  procede  et  ce 
qu'il  represente.  Et  continuans 
leurs  discours  philosophiques  disent 
qu^ä  cest  Amour  on  luy  attribue 
des  aisles  pour  monstrer  que  nous 
devions  avec  luy  eslever,  comme  en 
Volant,  nostre  intellect  vers  la  divi- 
nite et  la  nous  sanctifier  et  demeurer 


21)  Des  propos  de  Table  I  5.     T.  18  p.  43. 

22 )  De  l'Amour.  §  39  und  dann  besonders  §  57  und  58  (CEuvres  t.  22). 

23)  S.  18  f. 


Ztschr.  U  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII' 


11 


156  WaUher  Küchler. 

meslee  de  douleur,  ce  qui  ri'est  autre  tousiours  autour  de  ce   Dieu.      Je 

chose  qiCun  esblouissement  et  erreur  ne   fais    point   de    doute    que    vous 

du    vulgaire,    qui    en    des   nuees  et  estant  Grecque  et   de    maison    teile 

des    umbres     cherche    et     poursuit  que    ie    pense,    n'ayez    apris    tels 

en    vain    le    contentement    de    son  discours,    qui    vous    peuvent    estre 

desir,  ne  plus  ne  moins  que  les  en-  plus  cogneus   qu'ä  moy  estrangere 

fants    qui    taschent    ä    prendre    ä  et  que  suivant  iceux  n'ayez  conduil 

helles   mains    Varc   en    ciel,    attirez  vostre  Amour,  remettant  seulement 

et  trompez  par  Vespece  qui  apparoit  devant  vos  yeux  la  beaute  de  quelque 

ä    leurs    yeux;    mais    Vanioureux  personnage  que  vous  pouvez  avoir 

konneste,    pudicque    et    chaste    fait  veu  ce   iourd'huy  entre   les  captifs 

bien    autrenient,    car    il   esleve   son  de  vostre  pays  comme  un  instrument 

desir  de  lä  vers  la  divine,  spirituelle  et     memoire     des     choses     intellec- 

et    intellectuelle    beaute    et    rencon-  tuelles    et   spirituelles    qui   sont  en 

tränt  la  beaute  d'un  corps  visible,  Ventendement     divin,     enjlammanl 

s^en    sert    comme    d^un    instrument  d'avantage    vostre    pensee    vers    la 

de  sa  memoire,  Vaime  et  le  caresse,  contemplation  d' icelies,  en  hantant, 

et   en    conversant   et   hantant   avec  conversant,     caressant     et    aymant 

luy,    d^aise    et    de    ioye    enflamme  ceste  beaute  corporelle  autant  pour 

encore     sa     pensee     d'avantage  ...  le  moins  qü'il  vous  peut  estre  au- 

Celuy  qui  veritablement  est  amou-  iourd'huy  permis;  ne  voulant  penser 

reux  et  aiant  approche  des  vrayes  que  ce  soit  autre  Amour  impudique, 

beautez,  autant  comme  il  est  loysible  qui  cause  en  vous  telles  passions  .  . 
ä  Vhomme,  prend  des  aeles,  devient 
sanctifie  et  demeure  pour  tout 
iamais  lä  sus,  ballant  et  se  prome- 
nant  tousiours  alentour  de  son 
Dieu. 

An  sich  mag  es  pedantisch  und  einfältig  sein,  einem  schmerz- 
gebeugten Menschenkind,  dem  die  Reinheit  auf  der  Stirn  ge- 
schrieben steht,  eine  solche  Rede  über  die  platonische  Liebe  zu 
halten.  Uns  interessiert  in  diesem  Augenblicke  nicht  die  Frage 
des  inneren  Taktgefühls,  sondern  nur  die  rein  äußerhche  Tatsache, 
daß  Fumee  aus  dem  Texte  Plutarchs  eine  Rede  gemacht  hat, 
welche  die  entlehnten  Gedanken  allgemeiner  Art  mit  den  durch 
den  Roman  gegebenen  besonderen  Personen  und  Verhältnissen 
in  Verbindung  zu  setzen  weiß. 


Auf  ihrer  Reise  in  die  Heimat  steigt  Charide  im  Hause  des 
Poleten  von  Epidamnus  ab.  Kaum  angekommen,  läßt  sie  sich 
zum  Altar  der  Schutzgötter  führen,  um  ihnen  zu  danken  für  die 
Aufnahme  und  dem  Neptun  für  die  glückhche  Fahrt.  Man  führt 
sie  durch  einen  langen  Gang,  der  Zugang  zu  zwei  oder  drei  Zim- 
mern gewährt,  in  einen  kleinen,  nur  zwei  Quadratfuß  großen, 
steinbelegten,  sehr  dunklen  Raum,  in  dem  man  nur  mit  Mühe 
die  Formen  der  Penaten  erkennen  kann.  Die  Penaten  sind  zwei, 
zwei  Fuß  hohe,  in  Nischen  stehende  Holzfiguren,  sie  stellen 
Jünglinge  dar,  die  mit  Hundefellen  bedeckt  sind.  Vor  ihnen 
befindet  sich  ein  kleiner  Altar,  in  dessen  ausgehöhlter  Mitte  noch 
ein  wenig  Kohle  gUmmt.  Neben  dem  Altar,  ein  wenig  erhöht, 
ist  eine  steinerne  Hundefigur  zu  sehen,  mit  ausgestrecktem  Hals, 


Martin  Fumee's  Roman  „Du  vray  et  parfait  amour" .     157 

gehobener  Nase,  offenem  Maul,  sich  reckend  auf  den  vorwärts 
gestreckten  Vorderbeinen.  Der  Polet  rührt  die  Kohle  um,  zündet 
sie  an  und  reicht  Gharide  Mohnköpfc,  die  sie  nach  Verrichtung 
des  Gebets  auf  das  Feuer  streut. 

Während  des  Abendessens  erkundigt  sich  Gharide  bei  ihrem 
Wirt,  warum  man  in  den  heiligen  Räumen  der  Häuser  nur  diese 
beiden  Götter,  die  man  Laren  oder  Penaten  nenne,  habe.  Bereit- 
willigst erteilt  ihr  der  Polet  Auskunft  über  die  Penaten.  Gastor  und 
Pollux,  die  Brüder  der  Helena,  wie  manche  glauben,  könnten  es 
nicht  sein,  da  die  Laren  schon  vor  dem  troischen  Kriege,  während 
dessen  die  beiden  Brüder  noch  lebten,  verehrt  worden  wären. 
Die  Penaten  seien  vielmehr  —  so  viel  sei  von  seiner  Erklärung 
in  diesem  Zusammenhange  angeführt  —  die  Dämonen  „que  nous 
disons  estre  gardiens  et  tutelaires  de  chaque  chose^  n'estant  ville, 
pays,  Republique,  Royaume,  ny  mesme  komme  particulier,  qui 
n'aye  deux  Daimons  pour  sa  garde".  Den  Grund,  weswegen  sie 
mit  Hundefell  bedeckt  sind  und  warum  ein  Hund  neben  ihnen 
steht,  gibt  dann  der  Polet  nach  Plutarch-Amyot,  Demandes 
romaines:  „Pourquoy  est-ce  qu'aupres  des  Lares  que  proprement 
ils  appellent  Prsestites,  ils  mettent  un  chien  et  eux  sont  revestus 
de  peaux  de  chiens?"-'^) 

Im  Anschlüsse  an  die  Unterhaltung  über  die  Penaten  gibt 
der  in  religiösen  Dingen  wohlbewanderte  Polet  seinem  jungen 
Gaste  Auskunft  über  das  Wesen  der  Gottheit  überhaupt.'"^^) 

Nachdem    er    zunächst    ausein-  Fkitarch-Amyot: 

andergesetzt  hat,  daß  die  Priester  Etwa:    „Et   usent   les   presbtres 

allerlei    geheime    Zeremonien    für  ^g  marques  et  de  mysteres  aucuns 

den     Opferdienst    erfunden     und  pi^g    obscurs    autres    plus    clairs 

diese     mit     Hülfe     von     dunklen  ^^wr   conduire   nostre   entendement 

Fabeln     erklärt    hätten,     in    der  ^    ^^    cognoissance   de   la   divinite 

Absicht  das  Volk  im  Ungewissen  (j)g  jgis  et  d'Osiris   §  66).26) 
zu  halten  und  dadurch  enger  an 
die  Gottheit  zu  fesseln, 

erläutert  er,  was  Kaufleute  aus  Mais  lä  ou  tous  les  autres  villes 

Theben  ihm  während  seines  Auf  ent-  et  peuples  de  VMgypte  contribuent  la 

haltesin  Alexandria  über  die  wahre  quote  qui  leur  est  imposee  pour  jaire 

Gottheit  gelehrt  haben.    Sie  haben  protraire  et  peindre   les  animaux 

ihm  gesagt,  daß  die  allgemein  ge-  que  Von  y  honore,  ceux  qui  habitenl 

glaubten    Fabeln    nicht    wörtlich  en  la  contree  Thebdide  seuls  entre 

zu  nehmen  seien,  mais  que  comme  tous    n'y    donnent    rien,    estimans 

il  ri'y  avoit  qu'un  nionde  et  qü'un  que  rien   qui  soit  mortel   ne  peult 

ciel,  il  ri'y  avoit  aussi  qu'un  Dieu,  estre   Dieu,   ains  celuy  seul  qu'ils 

lequel    ils    nommoyent    Cnephaeos,  appellent     Cnef,     qui     iamais     ne 

qui    signifie    invisible.  nasquist     ne     iamais     ne     rnourra. 

(Ebda   §  21) 

Ce  qui  approchoit  fort  ä  ce  que  Piaton      aitribue      eux      Dieux 

nos    Philosophes    Grecs    relevoyent  Olympiques  et  Celestes   taut  ce  qui 

et     cachoyent     sous     ceste     distri-  est    dextre     et    non    pair   et     tont 

24)  (Euvres  de  Plutarche  t.  21  p.  293  f. 

25)  S.  235  f. 

26)  t.   17,  p.   313. 

11* 


158 


Waltker  Küchler. 


bution  de  nombre  pair  et  impair, 
donnans  V  impair  aux  Dieux  et 
le  pair  aux  Daimons,  voulans  par 
cela  monstrer  que  encor  qu'il  y 
eust  plusieurs  Dieux,  il  y  en  avoit 
toutefois  un,  qui  restoit  seul,  c'est 
ä   dire   commandant  ä    tout .  .  . 

Jceux  disoyent  que  cet  invisible 
iamais  rCeut  naissance  et  qu^aussi 
il  ne  prendroit  iamais  jin,  qu'en 
iceluy  estoit  la  providence  souve- 
raine,  par  laquelle  il  fait  bien  ä  tout 
ce  qui  est  du  monde  et  par  laquelle 
il  a  ordonne  divinement  et  pru- 
demment  toutes  les  choses  divines. 


De  son  ordonnance  dependent 
les  consequences  des  naissances  et 
actions  des  choses  humaines  et 
mondaines,  lesquelles  procedantes 
de  ceste  Deite  supresme,  retiennent 
de  leur  origine  un  estre  divin, 
qui  a  donne  occasion  ä  nos  premiers 
Theologiens  d'inventer  la  naissance 
des  Dieux,  c'est  ä  dire  des  actions 
diverses  de  ceste  grande  Deite, 
constituans  les  uns  plus  grands 
et    plus   puissans  que   les   autres 

Et  parce  que   ces   actions 

et  meslanges  naturelles  procedantes 
de  Vordonnance  du  seul  Dieu 
souverain,  s' acheminent  avec  un 
ordre  certain  et  immuable  on  a 
ä  icelies  adiuge  une  seconde  pro- 
vidence, suyvant  laquelle  on  pense 
iceux  Dieux  operer  et  icelle  pro- 
ceder  d'eux  .  .  . 

Die  Menschen  werden  gelenkt 
und  regiert  von  diesem  höchsten 
Gott,  aber  durch  Vermittlung, 
und  zwar  durch  die  in  der  Luft 
befindlichen  Dämonen. 
Hesiode  les  nomine  autrement  Es- 
prits vestus  d'une  substance  aeree 
et  les  estime  saincts,  ayant  la 
garde  des  humains. 


Aiceux  on  attribue  une  tierce 
espece  de  providence,  ä  cause 
de  la  Charge  qu'ils  ont  pour  nostre 
conservation. 


ce  qui  est  senestre  et  pair  aux 
X)a?mons  (Ebda.  §24).  An  anderer 
Stelle  wird  auch  eine  ähnliche 
Anschauung  der  Pythagoräer  von 
Plutarch  mitgeteilt. 


La  providence  doncques  supre- 
me  et  premiere  est  V intelligence 
et  volonte  du  premier  et  souverain 
Dieu,  qui  fait  bien  ä  tout  ce  qui 
est  au  monde,  par  laquelle  toutes 
Les  choses  divines  en  tout  et  par- 
tout ont  este  tres  bien  et  tres  sage- 
ment    ordonnez    et    disposees. 

La  seconde  providence  est  celle  des 
seconds  Dieux  qui  vont  par  le 
Ciel,  par  laquelle  les  choses  tem- 
porelles  et  mortelles  s'engendrent 
et  ordonneement  et  regleement  et 
ce  qui  appartient  ä  la  conversation 
et  continuation  de  chaque  genre 
des  choses.     (De  la  fatale  destinee 

§    20).27) 


Der  Gedanke,  daß  die  übrigen 
Götter  durch  Geburt  von  dem 
einzigen,  ewigen  und  unsterb- 
lichen Gott  abstammen,  findet 
sich  nicht  hier,  sondern  in  dem 
Dialog  ,,Des  Oracles  qui  ont  cesse 
§  27.28) 

Im    51.    und    52.    Kapitel    der 
gleichen     Schrift    werden    Verse 
Hesiods     über     die     Natur     der 
Dämonen    wiedergegeben,    die 
lauten: 

Esprits   vestus   de  substance   aerec 
Allans  par  tout'  la  terre  labouree. 

Und 
Saincts  habitans dessus  la  terre  tarde, 
Pour    des    humains   mortels   avoir 

la  garde. 
La  troisieme  [providence)  se  peut 
vray-semblablement  appeller  la  pro- 
vidence des  Demons  qui  sont  parmy 
la  terre,  ordonnez  pour  observer  et 
regir  les  actions  des  hommes  (De 
la  fatale  destinee   §   20). 


2')  t.   19  p.  372. 
28)  t.   17  p.  370. 


Martin  Fumee's  Roman  „Du  vray  et  parfait  amour".     159 


Das    Altertum    liat    außerdem  Hesiod   hat   zuerst  vier  Arten 

noch  Halbgötter  angenommen,  vernünftiger  Wesen  unterschieden, 
mehr  aus  Schmeichelei  gegen  die  die  Götter,  die  Dämonen,  die 
Großen,  als  weil  es  in  Wirklich-  Halbgötter  und  die  Menschen  .  .  . 
keit    welche    gäbe  .  .  .  (Des  oracles  qui  ont  cesse   §   17.) 

.  .  .  Anfangs  war  die  Religion 
des  Menschen  nichts  anderes  als 
ein  Verlangen  nach  Erkenntnis 
des  höchsten  Gottes,  um  ihn  an- 
zubeten und  ihm  für  seine  Wonl- 
taten  zu  danken.  Dieses  Ver- 
langen war  damals  der  wahre 
und  einzige  Gottesdienst.  Depuis 
les  naturalistes  et  Mythologiens 
coiwrans  leur  philosophie  naturelle 
tiree  des  cnnsequences  des  choses 
crees  et  ordonneez  premierement 
de  Dieu,  avec  leurs  fahles,  pour 
denoter  ä  quel  Dieu,  c'est  ä  dire 
quelle  action  du  Souverain  ils 
\>ouloyent  adresser  leurs  prieres, 
ils  inventerent  les  sacrifices. 

Sodann  nach  längeren,  nichts 
neues  bringenden  Ausführungen: 
Pour  montrer  que  res  Dieux  et  le 
grand  Dieu  rCest  qu'un,  an  void  .  . 
en  la  ville  de  Says  .  .  .  une  image 
de  Pallas,  sous  laquelle  sont  escris 
ces  mots:  Je  suis  tout  ce  qui  onques 
a  este,  qui  est  et  qui  sera  et  aucun 
niortel  rt'a  encore  sceu  descouvrir 
inon  voyle. 

Aus  drei  verschiedenen  Schriften  Plutarchs  trägt  sich 
Fumee  die  Ausführungen,  die  er  dem  Poleten  über  das  Wesen 
der  Gottheit  in  den  Mund  legt,  zusammen.  Er  hält  sich 
häufig  genau  an  seine  Vorlagen,  aber  seine  genaue  Kenntnis 
der  Schriften  des  alten  Philosophen  erlaubt  ihm  auch,  dann 
und  wann  mit  eigenen  Worten  den  Sinn  von  Plutarchs  Lehre 
wiederzugehen. 

Noch  an  einer  anderen  Stelle  nimmt  er  Veranlassung,  sich 
über  götthche  Dinge,  und  zwar  besonders  über  die  Dämonen 
und  das  Verhältnis  der  Menschen  zu  ihnen  zu  äußern.-^) 

Die  durch  Krankheit  im  Heihgtum  des  Jupiter  Ammon 
zurückgehaltene,  über  die  Trennung  von  ihrem  Pherecides 
trauernde  Melangenie  tröstet  eine  der  frommen  Frauen.  Sie 
finde  ihren  Schmerz  begreif hch.  Die  MenschUchkeit  in  uns 
äußere  sich  auf  diese  Weise  in  solchen  Herzen,  die  nicht  kalt 
und  hart  wie  Marmor  seien.  So  sagt  sie  ihr,  etwa  nach  ähnlichen 
Äußerungen  Plutarchs  in  der  Trostschrift  an  Apollonius.  Dann  führt 
sie  die  Dämonen  ein.  Die  guten  Dämonen  seien  auch  solchen 
Leidenschaften  unterworfen,  wenn  sie  die  Herrschaft  über  eine 


Wer  in  den  ägyptischen  Priester- 
orden aufgenommen  wurde,  dem 
wurden  mitgeteilt  „les  secrets  de 
leur  Philosophie,  qui  couvroit  plu- 
sieurs  mysteres  soubs  le  voile  de 
fahles  et  souhs  des  propos  qui 
obscurement  monstroient  et  don- 
noient  ä  veoir  ä  travers  la  verite  .  .  . 
(De  Isis  et  d'Osiris  §  7). 


En  la  ville  de  Sais  l' image  de 
Pallas,  qu'ils  estiment  estre  Isis^ 
avoit  une  teile  inscription:  Je 
suis  tout  ce  qui  a  este,  qui  est  et 
qui  sera  iamais,  et  n'y  a  encore 
eu  homme  mortel  qui  rn'ait  des- 
couverte  de  mon  voile  (Ebda.  §  8). 


2»)  S.  104  ff. 


160  WaÜker  Küchler. 

ihnen  anvertraute,  tugendhafte  Seele,  die  sich  vom  Körper  löse 
und  in  den  Himmel  eingehe,  verlören.  Denn  wenn  sie  sich  dieser 
inniggeliebten  Seelen  beraubt  sähen,  erhöben  sie  in  der  Luft 
ein  Geheul,  erregten  Stürme  und  verfinsterten  die  Luft  mit 
großen,  dunklen  Wolken.  Manchmal  auch  klagten  sie  mit  mensch- 
lichen Lauten  und  verkündeten  mit  schrecklicher  Stimme  den 
Tod  einer  großen  Persönlichkeit,  die  sie  in  ihrem  Schutze  gehabt 
hätten. 

Es  scheint,  als  ob  Fumee,  indem  er  solches  ausführt,  Plutarch 
falsch  verstanden  hätte. 

In  seiner  Schrift  nämlich  ^,Des  Oracles  qui  ont  cesse"  führt 
Plutarch  aus,  es  sei  als  sicher  erwiesen,  daß  es  neutrale  und 
mittlere  Naturen  gebe,  die,  an  die  Grenzen  des  Göttlichen 
und  Menschlichen  rührend,  seien  ^^sub/ectes  aux  passions 
mortelles" .  Diese  Naturen  seien  die  Dämonen. ^^)  Soweit 
entlehnt  Fumee  richtig.  Daß  die  guten  Dämonen  beim  Tode 
der  ihr  anvertrauten  Seele  eines  bedeutenden,  tugendhaften 
Menschen  Geschrei  erheben,  Sturm  erregen  und  die  Luft  ver- 
dunkeln, sagt  aber  Plutarch  nirgends.  Dagegen  spricht  er  in 
anderem  Zusammenhang  von  solchem  Treiben  der  Dämonen.^^) 
Nämlich  da,  wo  er  vom  Tode  des  großen  Pan  spricht,  um 
zu  beweisen,  daß  auch  die  Dämonen  sterblich  seien.  Er  läßt 
einen  der  Interlocutoren  desselben  Dialogs  nach  Hörensagen 
berichten,  wie  einmal  bei  Windstille  von  der  Insel  Paxes 
aus  eine  laute  Stimme  dreimal  den  Namen  des  Steuermannes 
eines  vorüberfahrenden  Schiffes  gerufen  und  ihm  aufgetragen 
habe,  an  einem  bestimmten  Orte  zu  verkünden,  der  große  Pan 
sei  tot. 

Der  Steuermann,  an  der  bezeichneten  Stelle  angekommen, 
führt  seinen  Auftrag  aus.  Kaum  hat  er  die  Worte  gesprochen, 
da  hört  man  einen  großen  Lärm  wie  von  mehreren  klagenden 
Stimmen.  Die  Nachricht  von  diesem  merkwürdigen  Vorfalle 
wird  nach  Rom  gebracht.  Der  Kaiser  Tiberius  läßt  nachforschen, 
wer  dieser  Pan  sei,  und  die  Gelehrten  meinen,  es  müsse  der  Sohn 
der  Penelope  und  des  Merkur  sein. 

Ein  anderer  Teilnehmer  erzählt  sodann,  daß  in  der  Gegend 
der  Bretagne  mehrere  öde  Inseln  seien,  die  man  dort  die  Inseln 
der  Dämonen  und  Halbgötter  nenne.  Er  selbst  sei  im  Auftrage 
des  Kaisers  hingegangen,  um  Erkundigungen  über  sie  einzuziehen. 
Kurze  Zeit  nach  seiner  Ankunft  habe  sich  das  Wetter  in  erstaun- 
licher Weise  getrübt  und  ein  furchtbarer,  von  Donnern  begleiteter 
Sturm  habe  sich  erhoben.  Nach  Beendigung  des  Unwetters 
hätten  ihm  die  Einwohner  erklärt,  einer  von  den  Dämonen 
und  Halbgöttern  sei  gestorben.     Denn  wie  eine  Lampe,  wenn  sie 

3»)   §  19,  t  17,  p.  358. 
")   §  26  u.  27. 


Martin  Fiimee's  Roman  „Du  vray  et  parfait  amour" .     161 

ausgehe,  üblen  Geruch  verbreite,  so  sei  es  auch  mit  den  großen 
Seelen.  So  lange  sie  leuchteten,  seien  sie  milde  und  liebUch, 
aber  wenn  sie  auslöschten,  dann  erregten  sie  Gewitter  und  große 
Stürme  und  verpesteten  wohl  auch  manchmal  die  Luft  mit  an- 
steckenden Krankheiten. 

Es  ist  sehr  wohl  möghch,  daß  Fumec  sicli  dieser  Stelle  er- 
innert, aber  vergessen  hat,  daß  es  sich  um  den  Tod  von  Dämonen 
handelt.  Wahrscheinlich  hat  er  auch  nicht  verstanden,  wer  der 
große  Pan  sei.  Ihn  hat  er  wohl  für  eine  der  großen  Persönlich- 
keiten gehalten,  von  denen  er  spricht,  und  geglaubt,  er  sei  eine 
von  den  Seelen,  die  unter  dem  Schutze  der  Dämonen  ständen. 
Da  auch  Plutarch  von  Pan  keine  genaue  Vorstellung  hat,  so  wdrd 
sein  Mißverständnis  um  so  eher  begreif hch. 

Die  fromme  Frau  hat  deswegen  die  Dämonen  erwähnt,  weil  sie 
diese  der  Melangenie  als  Beispiel  vorstellen  möchte.  Die  Dämonen 
sind  zwar  menschlichen  Leidenschaften  unterworfen,  aber  da  sie 
zugleich  am  Göttlichen  Teil  haben,  so  sind  ihre  Leidenschaften 
nicht  von  langer  Dauer.  Ebenso  sei  der  Mensch  Köfper  und 
Geist,  den  Leidenschaften  Untertan  und  fähig,  sich  durch  die 
Vernunft  über  sie  zu  erheben.  An  der  Hand  platonischer  Ge- 
danken vom  Gefängnis  des  Körpers  und  dem  geistigen  Prinzip, 
dem  wir  entstammen,  richtet  die  fromme  Frau  Melangenie  in 
ihrer  Betrübnis  auf. 

Es  ist  nicht  ganz  unmöglich,  daß  Fumee  den  Phaidon  Piatos 
selbst  verwertet  hat,  engere  Anlehnungen  finden  sich  nicht. 
WahrscheinUch  hat  er  sich  damit  begnügt,  aus  Plutarchs  Schrift 
,,Z)e  la  vertu  morale^^^^)  einige  in  Betracht  kommende  Stellen 
zu  umschreiben. 

Sicherlich  nicht  aus  Plato,  sondern  ebenfalls  aus  Plutarch 
ist  ihm  geläufig  der  Mythus  von  Penia  und  Porus,  den  Plato 
im  Symposion  erzählt.  In  sehr  geschickter  Weise  hat  er  ihn  in 
die  Handlung  des  Romans  verwoben.^^)  Charide  bedauert  dem 
Poleten  gegenüber,  daß  sie  so  unwissend  sei  und  immer  nur  ja 
oder  nein  antworten  könne.  Sie  vergleicht  sich  mit  jener  Penia 
„l  quelle  de  soy-mesme  est  tousiours  indigente,  ne  pouvant  rien 
donner  de  soy  et  appettant  l'autruy  pour  se  parer,  pour 
s'embellir  et  pour  s'enrichir.^''  Und  so  möchte  sie  auch  von  ihm 
täglich  lernen,  um  ihren  groben  Geist  zu  bilden.  Der  Polet,  als 
guter  Kenner  aller  mythologischen  Dinge,  bleibt  in  seiner  Ant- 
wort im  Bilde,  wenn  er  entgegnet,  da  sie  sich  für  Penia  halte, 
so  wolle  sie  also,  daß  er  die  Person  des  Porus  spiele.     Das  aber 

32)  CEuvres  de  Plutarque  t.  13.  Zu  S.  105a  bei  Fumee  Avürden 
etwa  passen  die  Worte :  Uojfice  doncques  de  la  raison  active  selon  nature 
est  d^oster  et  retrencher  tous  exces  et  toutes  defectuositez  aiix  passions, 
und  eile  imprime  en  la  partie  irraisonnable  les  vertus  morales  qui  sont 
mediocritez  entre  le  peu  et  le  trop  (§  10). 

33)  S.  257b  f. 


162  Walther  Küchler. 

sei  Sache  des  Theogenes.  Und  dann  wird  er  höflich  und  galant- 
Zwar  bedeute  Penia  das  weibliche  und  Porus  das  männUche 
Element,  aber  man  könne  jedem  von  beiden  den  einen  und  den 
anderen  Namen  beilegen  „puisque  Penia  nous  signifie  La  mattere 
indigente,  rüde  et  grassiere,  et  Porus  nous  denote  ahondance  ei 
richesse  desirable  et  aymable  ä  cause  de  sa  plenitude  et  de  sa  per- 
fection".  Diesearme  und  rauhe  Materie  könne  man  aber  ebenso- 
gut dem  Manne  wie  dem  Weibe  zusprechen;  und  vielleicht  täusche 
er  sich  nicht,  wenn  er  sie,  Charide,  eher  für  Porus  als  Penia  halte, 
n'estant  Theogenes  que  ceste  matiere  sans  forme,  qui  pour  s'embellir 
a  hesoing  de  ce  qui  est  exquis  et  ahondant  en  vous.  Doch  er  will 
keinem  Unrecht  tun.  Sie  beide  sind,  glaubt  er,  Hermaphroditus. 
Sie  beide  sind  arm  und  reich  zugleich.  Der  Überfluß  des  einen 
hilft  der  Bedürftigkeit  des  anderen.  Einer  allein  kann  das  Kind 
der  Liebe,  das  der  Vereinigung  von  Penia  und  Porus  entspringt, 
nicht  erzeugen,  es  müßte  denn  die  falsche  Liebe  sein,  die  man 
Philautos  nennt.  % 

In  „De  Iris  et  d'Osiris''^  erzählt  Plutarch  nach  Plato:  „Penia, 
c'est  ä  dire  pauvrete,  desirant  avoir  des  enfans,  s'alla  coucher  au 
long  de  Porus,  c'est  d  dire  richesse,  qui  dormoit  et  que  ayant  este 
engrossie  de  luy,  eile  enjanta  amour. . .  Porus  ist  der  gute,  weise 
Vater;  Penia,  die  Mutter,  ist  arm  und  bedürftig,  et  qui  pour 
son  indigence  appete  autruy . . .  car  Porus  n'est  autre  chose  que 
le  premier  aimahle,  desirable,  parfaict  et  n' ayant  hesoing  de  rien, 
et  . . .  Penia  la  matiere  qui  de  soy-mesme  est  tousiours  indigente 
du  bien. .  ."^^) 

Kaum  minder  geschickt  verwendet  der  Polet  in  seiner  Unter- 
haltung mit  Charide  über  ihre  Liebe  zu  Theogenes  eine  andere 
Bemerkung,  die  Fumee  bei  Plutarch  gefunden  hat.  Er  ver- 
sichert der  Charide,  daß  sie  beide  mit  gutem  Grunde  von  Liebe 
zueinander  ergriffen  seien;  denn  sie  seien  doch  kein  Liebespaar 
nach  Art  der  Stoiker,  die,  wie  sie  sagen,  ihre  Liebe  nur  häßlichen 
Personen  zuwenden.  Zwar  behaupten  sie  dieses  Paradox  da- 
durch zu  erklären,  daß  sie  unter  den  Häßlichen  die  Lasterhaften 
verstehen,  die  man  lieben  müsse,  um  sie  zu  bessern  und  auf  den 
Weg  der  Tugend  zurückzuführen,  und  daß  die  Liebe  nach  voll- 
brachter Besserung  sich  von  diesen  ab-  und  anderen,  mit  dem- 
selben Übel  Behafteten,  zuwenden  müsse,  um  bei  ihnen  die 
gleiche  Tätigkeit  auszuüben;  aber  die  Liebe,  die  zwischen  euch 
Beiden  wohnt,  so  schließt  der  Polet,  hat  es  nicht  nötig,  einen 
von  euch  vom  Laster  zur  Tugend  zu  bekehren.^^) 

Zweimal  spricht  Plutarch  von  dieser  Meinung  der  Stoiker. 
In  den  „Propos  estranges  des  Stotques''  und  in  „Des  communes 
conceptions  contre  les  Stoiques''.      An  der  letzteren    Stelle,   die 

3*)  (Euvres  de  Plutarque  t.  17.  p.  302  (§  56). 
35)  S.  254a  f. 


Martin  Fumee's  Roman  ,,Dii  vray  et  parfail  arnoiir\     163 

ihrem  Wortlaut  nach  den  Ausführungen  des  Poletcn  am  nächsten 
steht,  heißt  es:  ,,/k  disent  que  les  ieunes  gens  sont  laids  estans 
vicieux  et  fols,  et  que  les  sages  seuls  sont  beaiix  et  que  de  ces  heaux 
lä,  nul  iamais  n'a  este  aime  ny  digne  d'estre  aime.  Et  cela  n'est 
pas  encore  le  plus  estrange,  mais  ils  disent  que  ceulx  qui  sont 
airnez  pour  ce  qu'ils  sont  laids,  cessent  d'estre  aimez  quand  ils 
sont  devenus  beaux."'^*^)  Wie  der  Polet,  bezeichnet  auch  Plutarch 
in  seiner  Polemik  die  Ansichten  der  Stoiker  mehrere  Male  als 
paradoxal. 

Man  wird  sich  vielleicht  schon  gefragt  haben,  was  für 
eine  Persönlichkeit  denn  dieser  Polet,  der  so  gut  in  der  Theo- 
logie und  Philosophie  der  Alten  Bescheid  weiß,  eigentlich  ist.  Auf 
sehr  ungezwungene  Weise  erhalten  wir  im  Roman  selbst  Aus- 
kunft über  ihn.-^') 

Gharide  hat  die  erste  Nacht  sehr  gut  in  seinem  Hause  ge- 
schlafen, erwacht  erst,  als  es  heller  Tag  geworden  ist  und  findet, 
als  sie  ihr  Zimmer  verlassen  hat,  den  Gastherrn  nicht  mehr 
<laheim.  Auf  ihr  Befragen  teilt  einer  seiner  Diener  ihr  mit,  es 
sei  am  frühen  Morgen  ein  Schiff  in  den  Hafen  eingelaufen,  und 
mehrere  Kaufleute  der  Stadt  hätten  seinen  Herrn  geholt,  um 
nachzusehen,  welche  Waren  das  Schiff  führe.  Gharide  gibt  der 
Meinung  Ausdruck,  der  Herr  Polet  sei  wohl  einer  der  reichsten 
Kaufleute  der  Stadt.  Doch  der  Diener  belehrt  sie,  daß  sein 
Herr  nicht  Polet  heiße  und  auch  kein  Kaufmann  sei.  Er  übe 
vielmehr  das  Amt  aus,  die  Waren  der  ankommenden  Schiffe 
auf  ihre  Güte  und  Echtheit  hin  zu  prüfen  und  den  Verkaufspreis 
zu  bestimmen.  Eine  besondere  Vergütung  für  seine  Tätigkeit 
erhalte  er  nicht,  er  beziehe  nur  das  Einkommen,  das  ihm  als 
Mitghed  der  Stadtverwaltung  zukomme.  Er  gibt  sodann  aus- 
führUch  an,  wie  die  Stadt  dazu  gekommen  sei,  dieses  Amt  ein- 
zurichten. Seine  Angaben  stimmen  genau  überein  mit  denen, 
die  Plutarch  in  den  „Demandes  des  choses  grecques"  über  diesen 
Gegenstand  macht.^^) 

Außer  der  Beschreibung  des  Triumphzuges  und  neben  den 
längeren  Reden  und  Gesprächen  über  moralische,  philosophische 
und  rehgiöse  Gegenstände,  entlehnt  Fumee  den  Werken  Plutarchs 
noch  eine  große  Menge  mannigfacher  Nachrichten  und  verarbeitet 
sie  in  seinem  Roman,  Sie  alle  anzugeben  würde  zu  weit  führen, 
aber  je  mehr  wir  von  ihnen  in  der  Art  ihrer  Verwendung  kennen 
lernen,  ein  um  so  getreueres  Bild  von  der  Zusammensetzung 
des  Romans  können  wir  uns  bilden. 


3«)  t.  20  p.  381   (§  33). 
3')  S.  242a  f. 

^^)  Qu'est-ce  que  les  Epidamniens  qui  sont  ceux  de  la  ville   de 
Duras  appellent  Poletes,  c^est  ä  dire  le  vendeur.     T.  21,  p.  379. 


164  Walther  Küchler. 

Als  Octavius  seinen  Triumphzug  zu  Wasser  gefeiert  hat,^^) 
begibt  er  sich  nach  einem  dem  Jupiter  dargebrachten  Opfer, 
von  einigen  Freunden  begleitet,  in  sein  Haus.  Nach  dem  Bade 
beginnt  das  Mahl,  während  dessen  man  nur  von  dem  Kriege 
gegen  Perseus  spricht.  Hinter  Octavius  steht  ein  Sklave,  „qui 
avec  sornettes  ne  le  faisoit  que  brocquarder,  le  piquant  souvent  avec 
parolles  aigres  et  qui  eussent  este  insup portables  ä  autres  personnes." 
Octavius  jedoch  läßt  sich  nicht  aus  seiner  Ruhe  bringen.  Das 
Verhalten  des  Sklaven  entspricht  einem  alten  Brauch  „ainsi 
ordonne  d'anciennete  pour  cognoistre  la  grace,  la  constance  et  la 
temperance  que  doit  avoir  celuy  qui  par  ses  vertus  helliqueuses 
obtient  ce  bei  honneur  de  triomphe." 

Fumee  scheint  diesen  Zug  aus  einer  Angabe  Plutarchs  im 
Leben  des  Paulus  Aemilius  entlehnt  zu  haben.  Plutarch  erzählt, 
daß  dem  Triumphwagen  des  Feldherrn  seine  Soldaten  folgten, 
die  Siegeslieder  sangen,  meslans  parmy  quelques  brocardes  et  traicts 
de  risee  sur  leur  capitaine^^)  Was  Plutarch  vom  Triumphzug 
erzählt,  hätte  also  Fumee  mit  einiger  Veränderung  und  morali- 
sierender Nutzanwendung  auf  das  Gastmahl  übertragen. 

Nach  Beendigung  der  Mahlzeit  erfolgt  die  Spende  an  die 
Götter,  jeder  der  Teilnehmer  setzt  sich  einen  Blumenkranz  aufs 
Haupt,  und  alle  stimmen  ein  Lied  zu  Ehren  des  Bacchus  an. 
Dann  singt  ein  jeder  in  Nachahmung  griechischer  Sitte  ein  Lied 
zum  Preise  einer  anderen  Gottheit,  wobei  ein  in  bestimmter 
Ordnung  von  Hand  zu  Hand  wandernder  Myrtenzweig  die  Reihen- 
folge bestimmt.  Wer  zur  Leier  spielen  kann,  übt  seine  Kunst. 
Zum  Schluß  läßt  Octavius  persische  Leierspielerinnen  und 
-Sängerinnen  auftreten,  deren  Spiel  und  Gesang  die  Gäste  mit 
Entzücken  anhören.  In  später  Nacht  kehren  die  Geladenen, 
mit  Fackeln  versehen,  nach  Hause  zurück. 

Noch  ein  zweites  Gastmahl  des  Octavius  führt  uns  Fumee 
vor.  Genau  gibt  er  die  Lage  der  Personen  auf  kleinen  Betten 
um  den  Tisch  herum  an  und  erwähnt  sodann,  daß  die  tafelnden 
Senatoren  mit  Absicht  nicht  von  Politik  gesprochen  hätten. 
Sie  hielten  es  für  schwierig,  nachdem  man  Blut  und  Gehirn 
durch  eine  größere  Menge  Wein,  als  man  gewöhnlich  trinke, 
erhitzt  habe,  sich  so  zu  beherrschen,  daß  man  nicht  frei  seine 
Meinung  heraussage.  Eine  solche  Offenheit  sei  sehr  gefährlich, 
da  man  vor  Sklaven  spreche,  vor  denen  man  sich  wegen  ihrer 
treulosen  Natur  stets  hüten  müsse.*') 

Ohne  Zweifel  hat  Fumee  die  Diskussion  gekannt,  die  in  den 
Tischgesprächen  Plutarchs  sich  an  die  Frage  anknüpft:  S'ils 
faisoient  bien  de  consulter  ä  table. '^")     Im  Gegensatz  zu  Fumee 

39)  S.  24a. 
*^)  t.  3  p.  73. 
^M  S.   147a. 
*2)  t.  18  p.  362. 


Martin  Fumee's  Roman  ,,Du  vray  et  parfait  amour'''' .     165 

entwickelt  dort  einer  der  Sprechenden  mit  großer  Beredsamkeit 
die  Auffassung,  gerade  bei  der  Behandlung  von  Staatsangelegen- 
heiten solle  man  nicht  den  Wein  verschmähen,  der  den  Geist 
kräftiger  mache,  der  den  Freimut  verleihe,  die  Wahrheit  zu  sagen, 
imd  der  die  Falten  der  Seele  entfalte.  Die  bedächtige  Natur 
Fumees  vermochte  sich,  wie  es  scheint,  zu  solcher  Weinbegeiste- 
rung nicht  aufzuschwingen. 

Den  Gastgeber  Cn.  Octavius  bringt  er  an  anderer  Stelle  mit 
einer  anderen  Überlieferung  Plutarchs  in  hübsche  Verbindung. 
Nach  einem  Besuch  bei  Charide,  bei  dem  er  sie  seiner  wohl- 
wollenden Sorge  versichert  hat,  verabschiedet  Octavius  sich  von 
ihr  mit  einem  Kusse.  Da  er  merkt,  daß  das  junge  Mädchen 
über  diese  Zärtlichkeit  etwas  betroffen  ist,  so  beruhigt  er  sie. 
Er  wisse  wohl,  daß  in  ihrem  Lande  bei  ehrsamen  Leuten  der 
Kuß  nicht  erlaubt  sei,  und  er  verstehe  wohl,  warum  sie  einen 
Schritt  zurückgewichen  sei,  aber  er  habe  ihr  diesen  Kuß  nach 
römischer  Sitte  gegeben.  Und  diese  Sitte  hätten  die  Römer 
von  den  troischen  Frauen  übernommen,  welche  ihre  Gatten 
und  Kinder  aufs  engste  umarmt  und  geküßt  hätten,  als  diese 
herbeigeeilt  wären,  um  den  Brand  der  Schiffe  zu  löschen,  den  sie, 
die  Frauen,  angelegt  hätten,  weil  sie  es  müde  geworden  wären, 
noch  länger  auf  dem  Meere  umherzuirren.  Ebenso  habe  er  sie, 
wie  ein  Vater  seine  Tochter,  geküßt,  um  ihren  Kummer  zu  be- 
sänftigen.''^) 

Diese  Anekdote  von  den  Trojanerinnen  hat  Fumee  bei 
Plutarch  gefunden  und  zwar  in  „Les  vertueux  faicts  des  femmes 
(Des   Dames   troiennes)M) 


Einige  abergläubische  Vorstellungen,  die  während  der  Hand- 
lung zutage  treten,  sind  auf  Plutarch  zurückzuführen. 

Das  Schiff,  auf  dem  Melangenie  und  Pherecides  sich  befinden, 
ist  in  einen  schweren  Sturm  geraten.  Nach  vielen  Stunden  der 
Gefahr  erscheinen  auf  dem  Mäste  zwei  Sterne,  Castor  und  Pollux, 
die  durch  ihren  Glanz  anzeigen,  daß  die  Gebete  der  Gefährdeten 
erhört  sind.  Laute  Freudenrufe  erschallen;  denn  nun  hat  man 
die  Gewißheit,  dem  Unwetter  entronnen  zu  sein."*-^)  Fumee 
wird  diesen  Glauben  an  die  Göttlichkeit  des  S.  Elmsfeuers  aus 
der  Schrift  ,,Des  Oracles  qui  ont  cesse'^^)  kennen  gelernt  haben. 

Charide  hat  einen  schlimmen  Traum  gehabt,  der  sie  um 
Theogenes  und  das  Glück  ihrer  Liebe  zittern  läßt.  Nicosie,  die 
Gattin  ihres  Vormunds,  sucht  sie  zu  beruhigen  und  doch  zugleich 
auch  auf  die  traurige   Nachricht  von  der   Gefangennahme  des 

*3)  S.  32a. 

**)  t.  16  p.   139. 

")  S.  76a. 


45 


*«)  §  41  t.  17  p.  389. 


166  Walther  Küchler. 

Theogenes  vorzubereiten.  So  gibt  sie  denn  zu,  daß  man  der 
Jahreszeit  nach  allerdings  dem  Traume  vielleicht  trauen  könnte; 
wäre  man  im  Herbste,  so  wäre  es  anders,  da  seien  die  Träume 
ohne  weissagende  Kraft,  im  Frühhng  und  Sommer  dagegen 
enthielten  sie  wohl  Wahrheit.^^)  Der  Grund,  weswegen  man 
die  Träume  im  Herbste  nicht  zu  fürchten  brauche,  ist  nach 
Plutarchs  Tischgesprächen  angegeben. '^'^) 

Eine  auf  abergläubischen  Vorstellungen  beruhende  sym- 
bolische Opferhandlung  wird  bei  der  Vermählung  der  Melangenie 
und  des  Pherecides  erzählt.  Der  Priester  öffnet  den  Leib  des 
geopferten  Tieres,  holt  die  Galle  heraus  und  wirft  sie  neben  den 
Altar,  voulant  signifier  par  lä  gu'entre  deiix  conioincts  par  mariage 
ne  doü  demeurer  aucune  rancune  et  gue  la  foy  et  fidelite  qu'ils 
se  promettent  l'un  ä  l'aiitre  sur  l'autel^  ne  doü  estre  pleine  gue 
de  douceur.*^)  Diese  Handlungsweise  -des  Priesters  und  ihre 
Bedeutung  kannte  Fumee  aus  Plutarchs  Schrift  „Les  preceptes 
de  mariage" .  ,,Ceulx  gui  sacrifient  ä  Juno  conjugale  ou  nuptiale 
n'offrent  pas  le  fiel  avec  le  demourant  de  la  beste  immolee,  ains 
le  tirent  dehors  et  le  iettent  aupres  de  l'autel,  par  laguelle  cerimonie 
celuy  gui  l'a  pr emier ement  instituee  a  voulu  donner  d  eniendre 
qu'en  mariage  il  n'y  doit  point  avoir  de  fiel,  c'est  ä  dire  amertune 
de  cholere  ny  de  courroux  guelcongue.'^'-'^) 


Alle  bisher  behandelten  Beispiele  stimmen  darin  überein, 
daß  die  vorgenommenen  Entlehnungen  zu  festen  Bestandteilen 
der  Handlung,  d.  h.  zu  unmittelbar  durch  Beschreibung,  Ereignis, 
Rede  oder  Gespräch  die  Erzählung  fördernden  Situationen  ge- 
worden sind.  Neben  solchen  Fällen  gibt  es  nun  andere,  in  denen 
die  Entlehnung  lediglich  als  Belehrung  wiedergegeben,  keine 
innerliche  Verknüpfung  mit  der  Handlung  eingegangen  ist, 
sondern  sich  nur  als  rein  äußerlicher  Aufputz  gibt,  der  im  Gefüge 
der  Begebenheiten  gänzlich  zu  entbehren  wäre.  Sie  zeugen  nur 
von  der  Belesenheit  des  Verfassers. 

So  besucht  z.  B.  Charide  in  der  Stadt  Epidamnus  den  Tempel 
der  Venus.  Dieser  Besuch  ist  ein  Stück  der  Handlung,  wenn  auch 
nur  ein  recht  geringfügiges.  Fumöe  erzählt  nun  —  und  das  ist 
an  sich  ganz  überflüssig  —  daß  dieser  Tempel  von  Uhsses  zum 
Andenken  an  seine  Mutter  Anticlia  gebaut  worden  sei.  Anticlia, 
so  heißt  es,  rettete  sich  vor  den  Nachstellungen  des  Sisyphus 
in  eine  kleine  Kapelle.  Um  sie  dem  Verfolger  zu  entziehen, 
schickten  ihre  Eltern  sie  nach  Böotien,  wo  Laertes  sie  heiratete. 
Ulisses,  der  in  der  Stadt  Alalcomenion  geboren  wurde,  nannte 

*')  S.  285b. 

*8)  8.  Buch,  t.   18  p.  433. 

«)  S.  372a. 

öO)  t.  15  p.   16. 


Martin  Fumee's  Roman  ,,D«  iraij  et  parfait  amour\     167 

später  eine  Stadt  auf  Ithaca  nach  dieser  Stadt  Alalcomene  und 
ließ  an  Stelle  der  Kapelle  in  Epidamnus  einen  Tempel  errichten.^^) 
So  führt  Fumee  aus,  indem  er  eine  Legende,  die  Plutarch  in  den 
Demandes  grecgues^^)  erzählt,  ein  wenig  umwandelt  und  die 
Gründung  des  Tempels  hinzuerfindet. 

Ein  anderes  Beispiel  dieser  Art.  In  den  Hafen  von  Epidamnus 
läuft  ein  Schiff  ein,  in  welchem  man  nur  Tote,  zwei  Schwer- 
verwundete und  ein  paar  große  Hunde  findet.  Eine  Erklärung 
der  Vorgänge,  die  zu  diesem  Zustand  des  Schiffes  und  seiner 
Bemannung  geführt  haben,  weiß  man  einstweilen  nicht  zu  finden. 
Auf  der  Brust  des  einen  Verwundeten  findet  man  ein  Geheim- 
schreiben, wie  es  die  Lacedämonier  bei  geheimen  Botschaften 
verwenden. ^^)  Diese  Art  geheime  Mitteilung  (scytale),  wie  sie 
Fumee  beschreibt,  fand  er  ausführlich  erläutert  in  Plutarchs 
Beschreibung  des  Lebens  des  Lysander.^^) 

Pherecides  und  Melange  nie  landen  im  Hafen  von  Dictinna 
auf  Kreta.  In  der  Stadt  befindet  sich  ein  der  Göttin  Dictynna 
geweihter  Tempel.  Melangenie  fragt  ihre  Wirtin,  wer  diese 
Göttin  sei,  und  erhält  zur  Antwort,  es  sei  Diana;  der  Beiname 
komme  von  dem  Worte  Dictyon^  qui  signifie  rets  et  proprement 
toiles  avec  lesquelles  on  chasse  aux  grosses  bestes,  ä  cause  qu'icelle 
a  este  inventrice  de  tels  instriiments  et  engins.^^)  Fumee  entnimmt 
diese  Belehrung  mit  einer  leichten  Änderung  aus  Plutarch:  „Aussi 
Vappelle  Von. . .  Dictynna,  c'est  ä  dire  aimant  les  filets  ä  cause 
de  la  chasse  de  la  mer."^^) 

Bei  ihrem  Aufenthalt  in  Argos  erzählt  man  den  Reisenden 
allerlei  auf  die  Stadt  bezügliche  Sagen.  So  erzählt  man  ihnen 
von  den  Aenaniern,  die  ihren  König  Onocleus  töteten  und  dann 
durch  List  das  Land  der  Jnachier  gewannen^^)  nach  Plutarchs 
„Demandes  grecques"  ;^^)  sowie  von  dem  verräterischen  Überfall 
des  Cleomenes,  des  Königs  von  Sparta,  seiner  Zurückweisung  durch 
die  schnell  herbeigeeilten  Frauen  von  Argos  und  seinem  aus  Wut 
und  Scham  erfolgten  Selbstmorde^)  nach  einer  Erzählung  Plutarchs 
in  den  „Apophtegmes  des  Lacedaemoniens" .^^) 

Abseits  der  eigentlichen  Handlung,  als  episodische  Einfügung, 
steht  die  Erzählung  einer  Höllenvision,  die  Melangenie  erzählt.^^) 

51)  S.  243b. 

52)  t.  21  p.  393. 

53)  S.  250. 

5^)  Les  Vies  des  hommes  illustres  t.  4  p.  353. 
55)  s    63a. 

5«)  t.  20  p.  99. 

s'^)  S.  376a  f. 

58)  t.  21  p.  377  u.  364. 

59)  S.  378b. 

«0)  t.   16  p.  61. 
")  S.   158b. 


168  Walther  Küchler. 

Ein  vom  König  von  Aethiopien  unschuldig  eingekerkerter  „gentil- 
homme  de  sa  cour"  wird  von  Merkur  in  die  Hölle  geführt,  die  ihm 
ihre  Wunder  und  Greuel  und  die  Strafen  der  Verdammten  offen- 
bart. Er  kommt  mit  einer  guten  Lehre  für  den  König  zurück, 
der,  unterrichtet  von  der  Vision,  nach  dem  Heihgtum  des  Jupiter 
Ammon  schickt,  um  zu  erfahren,  was  er  tun  soll.  Fumee  ist 
wahrscheinlich  zu  seiner  Vision  angeregt  worden  durch  eine 
ähnliche  Vision,  die  in  der  Schrift  „Pourquoy  la  iustice  divine 
differe  la  punition'"^'^)  enthalten  ist.  Plutarch  erzählt  da  von 
einem  gewissen  Thespesius,  der  scheintot  ist  und  dessen  Seele 
in  die  Hölle  geführt  wird,  wo  sie,  durch  das  Anschauen  der  Strafen 
der  Verdammten  bewogen,  den  Entschluß  zur  Besserung  faßt. 
In  den  Einzelheiten  weicht  Fumees  Erzählung  erheblich  von  der 
Plutarchs  ab,  er  schmückt  sie  mit  seinen  Kenntnissen  von  der 
antiken  Unterwelt.  Der  Schluß  der  beiden  Erzählungen  weist 
eine  gewisse  Übereinstimmung  in  Einzelheiten  auf. 

H  e  r  o  d  o  t. 

Nicht  moralische  und  philosophische  oder  tiefer  eindringende 
religiöse  Belehrungen  holt  sich  Fumee  aus  dem  Werke  des  ,,prince 
et  Premier  des  historiographes  grecz'\  Entsprechend  dem 
Charakter  der  neun  Bücher  des  Geschichtenerzählers  entlehnt 
er  ihm  allerlei  Anspielungen  auf  historische  und  legendarische 
Ereignisse  und  Anekdoten,  religiöse  Sagen,  Sitten  und  Gebräuche, 
Merkwürdigkeiten,  Beschreibungen  von  Tempeln  und  Kunst- 
werken. 

Seltener  wie  bei  den  Entlehnungen  aus  Plutarch  werden 
die  durch  Herodot  gewonnenen  Anregungen  zu  selbständigen 
Szenen  und  Situationen  der  Erzählung,  wie  etwa  im  folgenden 
Fall:  Die  kleine  Melangenie  wächst,  wie  sie  selbst  erzählt,  auf 
dem  Lande,  in  der  Familie  eines  Gärtners  heran.  Solange  sie  noch 
jung  ist,  in  kindlichen  Spielen.  Eine  Zeit  lang  hat  sie  Umgang 
nur  mit  Schafen  und  Hammeln.  Manchmal  vergnügt  sie  sich 
damit,  die  langen  Ohren  der  Schafe,  die  herabhängen,  wie  die 
von  großen  Spürhunden,  zu  kämmen.  Manchmal  vertreibt  sie 
sich  die  Zeit  damit,  einen  kleinen  Wagen  zu  bauen,  um  auf  ihn 
die  25  bis  30  Pfund  schweren  Schwänze  der  Hammel  zu  legen, 
welche  Kaufleute  aus  Ägypten  mitgebracht  und  ihrem  Onkel 
zum  Geschenk  gemacht  haben.^^)  Diese  Geschichte  von  den 
Hammeln  ist  oft  von  alten  und  neueren  Schriftstellern  wieder- 
holt worden;  Fumee  hat  sie  jedenfalls  bei  Herodot  gelesen,  der 
Ullis  erzählt,  daß  es  in  Arabien  zwei  Arten  von  merkwürdigen 
Hammeln  gebe,  les  uns  ont  les  queües  longues   de  trois  coudees, 

«2)  t.  16  p.  349  ff. 
63)  S.  45b. 


Martin  Fumee's  Roman  ,,Du  vray  et  parfail  amour\     169 

lesquelles  si  on  laissc  trainer,  dies  s'escorchent  en  batant  par  terra. 
Mais  auiourd'huy  chescun  berger  est  devenu  charron.  Hz  fönt 
petitz  chariots  qu'ils  pendent  aux  queiies  desdils  nioutons  et  dedans 
mettent  et  lient  les  queües^'^.) 

In  Kapitel  60  des  zweiten  Buches  schildert  Herodot  die 
Heise  von  ägyptischen  Wallfahrern  nach  Bubastis  zum  Feste 
der  Diana.  „Hommes  et  femmes  s' embarquent  ensemble  et  grand 
nombre  tant  d'iin  sexe  que  de  l'autre  se  trouve  en  mesme  barque; 
les  aucunes  des  femmes  batent  les  sonneties  et  les  hommes  sonnent 
de  la  f laste  et  da  fiffre,  autres  chantent  et  batent  les  mains.  Ap- 
prochans  de  ville^  prennent  terre  et  lä  aucunes  des  femmes  fönt 
ce  que  i'ay  dit  et  les  autres  crient  apres  Celles  de  la  ville,  leurs  disans 
mil  iniures;  les  autres  dansent  et  autres  taschent  ä  les  retirer  dans 
le  bateau.  Autant  en  fönt  Hz  par  toutes  les  villes  qai  sont  sur  le 
bord  de  la  riviere.  Ce  faisant  ceste  allee  en  Bubastis^  Hz  y  meinent 
grand  nombre  de  bestial  pour  sacrifier  et  celebrer  la  feste,  en  laquelle 
plus  est  despendu  de  vin  qu'il  n'est  au  reste  de  toute  l'annee . . . 

Fumee  läßt  Melangenie  eine  Reise  von  Memphis  nach  Bu- 
bastis unternehmen  und  als  ihr  eigenes  Erlebnis  erzählen,  was 
Herodot  von  der  merkwürdigen  Wallfahrt  berichtet. ^^)  Ceste 
riviere  dite  Bubastique  estoit  quasi  couverte  de  basteaux  pleins  de 
personnes  qui  descendoyent  ä  ceste  feste  par  devotion,  hommes  et 
femmes  estans  meslez  ensemble.  In  dem  Boot  aber,  in  dem  sie 
selbst  gefahren  ist,  waren  aus  Achtung  für  ihre  Person  keine 
Männer,  so  will  es  der  sittsame  Charakter  des  Romans.  On 
n'oyoit  sur  l'eau  que  chansons,  chaque  bastelee  s'efforgant  de  s'esclatter 
le  plus  qu'il  leur  estoit  possible.  Avec  les  chants  les  femmes  tenans 
en  main  une  couronne  de  sonnettes  avec  un  petit  baston  les  sonnoyent 
de  l'autre  main,  leur  donnant  un  ton  artificiel  correspondant  aux 
flustes  et  fiffres,  desquels  les  hommes  ioüoyent  pendant  qu'autres  se 
battoyent  les  mains  avec  certaines  mesures  venans  ä  la  cadence 
des  autres.  Par  ce  moyen  il  se  fait  un  tel  charivari  et  un  tel  tintamarre 
que  Von  n'oyroit  Jupiter  tonner. . . 

Mit  gutem  Erfolge  verarbeitet  Fumee  den  Bericht  Herodots, 
hier  und  da  ein  paar  stärkere  Akzente  aufsetzend,  zu  einer  sehr 
ansprechenden  Schilderung  lebhaft  bewegter,  z.  T.  derb-komisch 
wirkender  Szenen. 

Nicht  immer  gestaltet  er  seine  Quellen  in  so  glücklicher 
Weise  aus  zu  einem  selbständigen,  reizvollen  Bilde,  wie  die  beiden 
angeführten  Beispiele  es  zeigen.  Häufig  begnügt  er  sich  damit, 
durch  eine  dem  alten  Historiker  entnommene  Anspielung  auf 
historische  Ereignisse  oder  Anekdoten  die  Erzählung  zu  würzen. 
Wenn  z.  B.  Melangenie  erzählt,  daß  der  König  der  Nasamonen 

®*)  Herodot  ist  zitiert  nach  der  Übersetzung  von  Pierre  Saliat, 
die  Fumee  wahrscheinUch  benutzt  hat.  Benutzt  habe  ich  die  Ausgabe 
von  1556  in  fol. 

«^)  S.  183b  f. 


170  WaUher  Küchler. 

einen  Traum  gehabt  habe,  der  Trockenheit  bedeute,  so  weiß 
sie  zu  sagen,  daß  er  sich  an  das  Schicksal  der  Psyllen  erinnert 
habe,  die  durch  einen  vom  Südwind  aufgewirbelten  Sandsturm 
bis  auf  den  letzten  Mann  verschüttet  worden  seien.  Darum 
sei  er  ängstlich  geworden  und  habe  eine  Gesandschaft  zum  Heihg- 
tum  des  Jupiter  Ammon  geschickt. '^^)  Fumee  konnte  eine  solche 
Erinnerung  in  dem  König  erwecken,  weil  er  selbst  sich  an  Herodot 
IV,  173  erinnert,  wo  der  Untergang  der  Scyllen  berichtet  wird. 
Ebenso,  wenn  er  die  Priester  des  Heiligtums  auf  göttlichen 
Schutz  vertrauen  und  ihr  Vertrauen  mit  dem  Hinweis  auf  die 
Vernichtung  des  von  Gambyses  gegen  sie  ausgesandten  Heeres 
ebenfalls  durch  einen  Sandsturm  begründen  läßt,^')  schöpft 
er  aus  Herodot,  und  zwar  aus  dem  25,  und  26.  Kapitel  des  dritten 
Buches. 

Als  Charide  den  bereits  erwähnten,  trübe  Ahnungen  in  ihr 
erweckenden  Traum  gehabt  hat  und  ihre  Freundin  sie  vor  schlimmer 
Ausdeutung  zu  behüten  sucht,  hält  sie  ihr  auch  das  Beispiel  des 
Gambyses  vor,  der  auf  Grund  eines  Traumgesichtes  seinen  Bruder 
ermorden  ließ  und  seine  Voreihgkeit  später  bitter  bereute. ^^) 
Herodot  erzählt  Traum,  Mord  und  Reue  in  Buch  1 1 1 ,  Kapitel  64  u.  65. 
Solche  kurze,  ungezwungen  in  die  Rede  sich  einfügende 
Anspielungen  machen  durchaus  nicht  den  Eindruck  gelehrten 
Aufputzes.  Sie  sind  da,  wo  sie  fallen,  ganz  an  ihrem  Platze  und 
verleihen  dem  Stil  der  Erzählung  Leben  und  Anschaulichkeit. 
So  bilden  auch,  abgesehen  von  der  ganz  äußerlich  aufge- 
propften  Beschreibung  des  Jupiter  Ammon-Tempels,  die  in 
die  Erzählung  eingestreuten  Beschreibungen  von  Kunstwerken 
eine  glückliche  Bereicherung  des  Stils. 

Es  ist  ausschließlich  die  für  alles  Schöne  begeisterte  Melangenie 
welche  ihrer  jungen  Freundin  von  den  Werken  der  Kunst,  die 
sie  auf  ihren  Irrfahrten  kennen  gelernt  hat,  berichtet.  Ihre 
Schilderungen  beruhen  häufig  auf  Angaben  Herodots.  So  geht 
die  Beschreibung  des  Tempels  der  Diana  in  Bubastis  auf  Buch  II, 
Kapitel  138  zurück.  Melangenies  Schilderung  entspricht  ziemlich 
genau  der  Herodots.  Sie  schließt  sehr  hübsch  ab  mit  der  frei 
erfundenen  Bemerkung:  ,,Cowwe  nous  faisions  nos  prieres  en  ce 
temple,  nous  n'oyions  autre  bruit  qu'un  beslement  de  brebis  et  un 
muglement  de  bceufs  et  autres  bestes,  lesquelles  on  sacrifioit  ga  et 
lä  tout  autour  du  circuit  du  temple."'^^)  Das  Bestreben  dem  Augen- 
blick eine  gewisse  Realität  zu  verleihen,  zeigt  sich  in  dieser  Hin- 
zufügung. 

In  verschiedenen  Kapiteln  des  zweiten  Buches  gibt  Herodot 
Auskunft  über  den  Tempel  des  Vulcan  in  Memphis;  über  Künst- 
le) S.  92a. 
")  S.  96b. 
«8)  S.  285b. 
«9)  S.  187a. 


Martin  Fiimee's  Roman  ,,Du  vray  et  parfait  amour''.     171 

werke,  die  in  und  außer  ihm  zu  sehen  sind.  Fumee,  der  Melangenie 
nach  Memphis  gelangen  läßt,  nimmt  die  kurzen  Angaben  Herodots 
zum  Ausgangspunkt  für  eingehende,  selbständige  Beschreibungen. 
So  fand  er  z.  B.  in  Kapitel  176  folgenden  Hinweis:  „Amasis. . . 
mit  ä  Memphis  devant  le  temple  de  Vulcan  un  colosse  gisant  d 
Venvers,  lo?ig  de  soixante  et  quinze  piedz.  Plus  en  ce  mesme  plan 
feit  dresser  deiix  colosses  aux  deux  costez  de  ce  gisant^  faits  de  mesme 
pierre  et  portant  chesciin  vingt  piedz  de  haut.'''' 

Melangenies  Beschreibung  lautet:  ,,^  l'arriuay, . .  ie  fus  fort 
espouvantee  voyant  un  grand  Colosse  estendu  devant  le  temple 
ayant  la  face  et  le  devant  du  corps  contre  terre,  long  de  soixante 
et  quinze  pieds  et  ayant  d  chacun  de  ses  costez  un  autre  colosse  dehout 
haut  de  vingt  pieds.  Celuy  qui  estoit  couche,  estoit  tailU  comme 
tout  nud  ayant  les  cheveux  longs  iusques  sur  les  espaules.  L'autre 
qui  estoit  ä  son  coste  dextre,  avoit  sur  soy  la  semhlance  d'une  peau 
de  Lyon,  qui  en  escharpe  luy  descendoit  d'une  espaule  sur  les  parties 
honteuses,  tenant  en  Vun  de  ses  poings  une  grosse  et  lourde  masse 
faicte  de  mesme  estoffe  et  avoit  les  cheveux  fort  crespus.  Tout  son 
Corps  au  reste  semhloit  nud,  ayant  un  pied  et  la  iambe  advancez 
comme  pour  marcher.  Ce  que  ie  croy  Vouvrier  avoir  fait  pour 
donner  meilleur  empattement  d  ce  lourd  fardeau.  Le  tiers,  qui 
estoit  ä  gauche,  sembloit  horgne  d'un  ceil  et  estoit  ceint  d'une  large 
bände  rapetassee,  comme  il  sembloit,  de  plusieurs  peaux  de  chevre, 
laquelle  luy  couvroit  devant  et  derriere  les  parties  secrettes,  et  avoit 
les  cheveux  non  crespus  et  toutefois  assez  courts,  mais  brouillez  et 
entremeslez  Vun  parmy  l'autre.  II  avoit  les  deux  pieds  ensemble 
sinon  Vun  qui  avoit  le  talon  esleve  contre  mont,  se  portant  de  ceste 
iambe  seulement  sur  les  orteils  et  tenoit  en  sa  main  une  grande  et 
grosse  perche,  qui  le  surpassoit  de  quaire  ou  cinq  pieds  et  le  gros 
bout  s'advangant  d'environ  six  pieds  sur  terre  servoit  d'appuy  ä 
ce  geant  et  comme  d'arc-boutant  pour  soustenir  ceste  masse."  So- 
dann folgen  noch  Bemerkungen  über  die  Kunst  der  Künstler, 
die  es  verstanden  haben,  bei  der  Anfertigung  dieser  Kolossal- 
figuren die  richtigen  Verhältnisse  zu  wahren  und  auch  die  Gesetze 
der  Perspektive  zu  beobachten.™)  Bei  der  Beschreibung  scheinen 
Fumee  wohl  irgendwelche  Statuen  oder  Bilder  vorgeschwebt  zu 
haben,  wie  es  sicherlich  der  Fall  war  bei  seiner  ausführlichen 
Beschreibung  eines  Standbildes  der  Ceres,  das  Herodot  im  121. 
Kapitel  kurz  erwähnt. 

Diese  Statue,  so  lautet  der  Text  Fumees,  „porte  la  semblance 
d'une  femme  enceinie  representant  la  Deesse  Ceres  comme  il  semble^ 
parce  qu'elle  tient  en  sa  main  un  gluis  de  bled,  et  en  Vautre  eile 
porte  un  rameau  de  iuiubes  et  sur  sa  teste  une  couronne  faicte  de 
plusieurs  fruicts  pendans  ä  leurs  reinceaux.  Elle  est  vestue  d'une 
cotte,  qui  semble  si  legiere,  et  les  plis  si  proprement  et  dextrement 

'0)  S.  179b  f. 
Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVIP.  12 


172  Walther  Küchler. 

vuidez  qu'iceux  n'empeschent  point  quon  ne  voye  la  grosseur^  la 
longueiir  et  proportion  des  iarnbes  et  des  bras,  estant  la  siihtilite  de 
Vouvrier  si  delicate  qiie  Von  iugeroit  les  menibres  estre  veritablement 
couverts  d'une  vraye  cotie  de  lin.  clair  et  legier.  Elle  a  les  cheveux 
longs  pendans  sur  les  reins  et  les  deux  mammelles  rondes  et  enjlees."^^) 

Wie  bei  den  aus  Plutarch  entlehnten  Beispielen  haben  wir 
auch  unter  den  Entlehnungen,  die  Fumee  Herodot  zu  verdanken 
hat,  eine  Reihe  von  solchen,  die  in  rein  äußerlicher  Weise  als 
belehrende  Mitteilungen  Verwendung  finden. 

Einmal  ist  in  einem  solchen  Falle  wenigstens  der  Ansatz 
zu  gesprächsmäßiger  Behandlung  gemacht  und  so  der  Belehrung 
eine  etwas  lebendigere  Augenblicks  Wirkung  gesichert  w^orden.'^) 

Herodot  berichtet  in  II,  54  zwei  über  den  Ursprung  des  Orakels 
von  Dodona  bestehende  Legenden.  Nach  der  einen  Sage,  die 
von  den  Priestern  des  thebischen  Zeus  verbreitet  werde,  hätten 
die  Phönizier  einst  zwei  heilige  Frauen  aus  Theben  entführt  und 
die  eine  den  Afrikanern,  die  andere  den  Griechen  verkauft,  und 
diese  Frauen  seien  die  ersten  gewesen,  welche  bei  diesen  Völkern 
Orakel  eingerichtet  hätten.  Die  weissagenden  Priesterinnen  von 
Dodona  behaupten  demgegenüber,  es  seien  aus  dem  ägyptischen 
Theben  zwei  schwarze  Tauben  entflogen,  von  denen  die  eine  nach 
Afrika,  die  andere  zu  ihnen  gekommen  wäre.  Die  eine  habe 
von  einer  Buche  herab  ihnen  mit  menschlicher  Stimme  verkündet, 
es  solle  an  dieser  Stelle  ein  Orakel  des  Jupiter  eingerichtet  werden, 
und  die  andere  habe  in  gleicher  Weise  das  Orakel  des  Jupiter 
Ammon  begründet. 

Fumee  verwendet  diese  Nachricht,  indem  er  von  Melangenie 
die  erste  Fassung  der  Legende  vortragen  und  von  Charide  die 
zweite  hinzufügen  läßt.  Sodann  spinnt  er  die  Unterhaltung 
weiter,  indem  Melangenie  eine  dritte,  von  den  Priestern  des 
Ammontempels  für  wahr  gehaltene  Version  über  den  Ursprung 
ihres  Heiligtums  anschheßt.  Eine  Nachricht  über  die  Gründung 
dieses  Tempels  fand  er  bei  Herodot  (II,  42).  Er  verwendet  sie 
jedoch  nicht,  sondern  gibt  eine  andere  Legende  wieder,  von  der 
ich  nicht  weiß,  woher  er  sie  hat. 

Gelegentlich  löst  irgend  ein  Erlebnis,  der  Besuch  eines  Tem- 
pels etwa,  die  Belehrung  aus.  So  hat  Melangenie  von  einer 
frommen  Frau  im  Tempel  der  Diana  Dictynna  den  Grund  für 
die  Feier  einer  in  ihm  von  den  Samiern  abgelialtenen  reUgiösen 
Zeremonie  erfahren.  Was  sie  gehört  hat,  erzählt  sie  der  Charide  t'-^) 
Periander  von  Korinth  wollte  sich  an  den  Einwohnern  von  Corcyra 
rächen,  die  seinen  Sohn  Lycophron  getötet  hatten,  weil  Periander 
ihm  die  Herrschaft  über  Korinth  abgeben  und  sich  selbst  nach 
Corcyra  zurückziehen  wollte.     Die  Corcyraer  aber  mochten  den 

'M  S.  181a  f. 
'2)  S.  151. 
'3)  S.  64b  ff. 


Martin  Fiimee's  Roman  ,,Z)"  ^''^.'/  ^^  parfait  amour'' .     173 

Periander,  dessen  Grausamkeit  sie  fürchteten,  nicht  in  ihrer 
Stadt  haben  und  töteten  seinen  Sohn,  damit  er  gezwungen  sei, 
in  Korinth  zu  bleiben.  Um  sich  zu  rächen,  ließ  Periander  drei- 
hundert Söhne  der  vornehmsten  Familien  von  Corcyra  ergreifen 
und  sie  nach  Sardes  scliicken,  wo  sie  kastriert  werden  sollten. 
Als  die  korintiiischen  Schiffe  in  Samos  anlegten,  erfuhren  die 
Samier  das  den  Knaben  bevorstehende  Sclücksal  und  rieten  diesen, 
sich  in  den  Tempel  der  Diana  zu  flüchten.  Die  Korinther  be- 
lagerten den  Tempel,  um  die  Entflohenen  auszuhungern.  Da 
veranstalteten  die  Samier  festliche  Reigen,  bei  denen  sie  den 
Eingeschlossenen  heimlich  Lebensmittel  zuführten.  Schließlich 
fuhren  die  Korinther  unverrichteter  Dinge  ab.  Die  Samier 
aber  feiern  bis  auf  den  heutigen  Tag  die  damals  eingerichtete 
religiöse  Zeremonie.  So  erzählt  Herodot  in  den  Kapiteln  48 — 53 
des  3.  Buches  und  nach  ihm  Fumee  in  seinem  Roman. 

Anlehnend  an  diese  Sage  erzählt  Melangenie  von  der  Auf- 
lehnung der  Samier  gegen  ihren  Tyrannen  Polycrates  und  zwar 
mit  unbedeutenden  Abweichungen  nach  dem  in  den  Kapiteln 
44,  45,  54,  57 — 59  des  dritten  Buches  verstreuten  Bericht  Herodots. 

Bei  Herodot  konnte  Fumee  auch  von  jener  wunderbaren 
Sonnenquelle  lesen,  die  im  Heiligtum  des  Jupiter  Ammon  ent- 
springt, des  Morgens  lauwarm  ist,  dann  im  Laufe  des  Morgens 
sich  abkühlt,  bis  sie  des  Mittags  am  kältesten  ist,  um  dann  wieder 
an  Wärme  zuzunehmen,  derart,  daß  sie  um  Mitternacht  ins 
Kochen  gerät.  Herodot  gibt  Kunde  von  dieser  merkwürdigen 
Quelle,  von  der  auch  noch  andere  Historiker  und  Geographen 
zu  berichten  wissen,  im  18L  Kapitel  des  4.  Buches.  Melangenie 
unterrichtet  Charide  von  diesem  Wunder  und  gleich  darauf  von 
der  Einrichtung  des  ,, Sonnentisches"  im  Lande  der  Äthiopier 
nach  Herodot  III,  18.'^) 

Herodot  ist  es  schheßUch  gewesen,  der  unserem  Autor  eine 
Reihe  von  Angaben  über  Sitten,  Gebräuche  und  Merkwürdigkeiten 
bei  den  Scythen  gehefert  hat.  Charide  und  Theogenes  werden  zu 
diesem  Volke  verschlagen,  und  es  ist  nur  begreif  höh,  wenn  Fumee  ge- 
wissermaßen als  MiUeuschilderung  allerlei  Züge  aus  ihrem  Leben 
beibringt.  Nicht  alle  Angaben,  die  er  über  sie  macht,  kann  ich 
quellenmäßig  belegen.  Aus  Herodot  entlehnt  er:  ihre  Abneigung 
gegen  fremde  Sitten,  bezeugt  auch  durch  die  Ermordung  des 
Anarchasis,  der  nach  seiner  Rückkehr  aus  Griechenland  griechi- 
sches Wesen  bei  ihnen  einführen  wollte,  nach  IV,  76.  Die  Namen 
einiger  ihrer  Götter  nach  IV,  59.  Ihre  Marsopfer  nach  IV,  62. 
Den  im  ganzen  Jahre  gleichmäßigen  Wasserstand  ihrer  Flüsse 
nach  IV,  50.  Die  Zeremonien  beim  Begräbnis  ihrer  Könige 
nach  IV,  7L'^) 


74\   g    169a 

'5)  Alle  diese  Angaben  auf  den  Seiten  309—320  f. 

12* 


174  Walther  Küchler. 


Li  vi  US. 

Alle  im  Roman  erzählten  Begebenheiten,  die  sich  auf  den 
Krieg  der  Römer  gegen  Perseus  von  Macedonien  beziehen,  mit 
Ausnahme  der  dem  Plutarch  entlehnten  Beschreibung  des  Triumph- 
zuges des  Paulus  ^milius,  entnimmt  Fumee  dem  Geschichts- 
werke des  Li  vi  US. 

Auf  Buch  44,  Kapitel  46  stützt  er  sich,  wenn  er  Cn.  Octavius 
die  Stadt  Mehböa  erobern  und  plündern  läßt. 

Für  die  Beschreibung  des  Triumphzuges,  den  Cn.  Octavius 
zu  Schiff  hielt,  verwendet  er  aus  45,  42  die  Stellen:  ,,Cn.  Octavius 
Calendis  Decembribus  de  rege  Perseo  navalem  triumphum  egit", 
und  ,,Naves  regise  captse  de  Macedonibus,  invisitatse  ante  magni- 
tudinis,  in  campo  Martio  subductae  sunt".  Aus  Kapitel  35  zieht 
er  außerdem  noch  die  Stelle  heran:  ,, Paulus  ipse  post  dies  paucos 
regia  nave  ingentis  magnitudinis,  quam  XVI  versus  remorum 
agebant,  ornata  Macedoni  is  spoliis  non  insignium  tantum  armorum, 
sed  etiam  regiorum  textilium,  adverso  Tiberi  ad  urbem  est  sub- 
vectus,   conpletis  ripis  obviam  effusa  multitudine." 

Aus  diesen  kurzen  Angaben  macht  er  die  ausführliche  Be- 
schreibung eines  prächtigen  Schauspiels.''^)  Mit  dem  Sonnen- 
aufgang sieht  man  das  Volk  längs  der  Tiberufer,  ayans  toas 
les  yeux  tournez  vers  le  couchant,  tellement  que  la  splendeur  du 
Soleil  ne  leur  donnant  en  veue,  ils  avoyeni  la  commodite  plus  grande 
de  voir  ä  leur  ayse  la  magnificence  des  vaisseaux. 

Zuerst  kommen  die  römischen  Zwei-  und  Dreiruderer  mit 
geschwellten  Segeln;  denn  der  Zephirwind  war  dem  Triumphe 
sehr  günstig.  Die  Waffen  der  auf  den  Schiffen  in  Reih  und 
Glied  aufgestellten  Soldaten  strahlen  in  wunderbarem  Glänze, 
von  den  Sonnenstrahlen,  die  auf  sie  fallen.  Unaufhörlich  ertönen 
Fanfarenklänge.  Die  römische  Jugend,  die  noch  nie  eine  solche 
Veranstaltung  gesehen  hatte,  ist  ganz  hingerissen  von  all  dem 
Glanz  und  Getöse.  ,,0/i  eust  pense  que  c'eust  este  un  reriouvellement 
du  ravissement  de  Proserpine." 

Darnach  erblickt  man  die  gewaltigen  macedonischen  Schiffe. 
,,Elles  representoyent  de  grandes  Colosses  et  sembloyent  eiitre  tant 
d'autres  vaisseaux  ces  trois  hautes  Piramides  situees  entre  Celles 
qui  les  environnent."  Sie  sind  mit  reichen  persischen  Geweben 
bedeckt;  zu  beiden  Seiten  sind  macedonische  Schilde  auf  ihnen 
angebracht,  zwischen  denen  geschickt  große  Lanzen  aufgesteckt 
sind,  so  daß  man  hätte  glauben  können,  die  Schiffe  seien  voll 
von  feindlichen  Soldaten.  Die  weitgeschwellten  Segel  verdecken 
den  Ausblick  auf  die  anderen  Schiffe,  die  ihnen  folgen.  Diesen 
großen  Fahrzeugen,  an  die  andere  Schiffe  angekettet  sind,  folgt 
die  von  Ruderern  vorwärts  bewegte  Galeere  des  Feldherrn,  deren 

■^e)  S.  22b. 


Martin  Fumee's  Roman  ,,Du  vray  et  parfait  amour'' .     175 

Segel  nicht  aufgespannt  sind,  damit  man  um  so  besser  ihren  reichen 
Schmuck  und  die  Person  des  Triumphators  erbUcken  könne. 
Dieser  sitzt  ,  mit  seinen  Waffen  angetan,  auf  dem  Verdeck  in 
einem  Sessel  aus  vergoldetem  Silber,  representant  le  Dieu  Neptune 
giiand  il  est  accompagne  de  Tritons.  Im  Hafen  angekommen 
werden  die  macedonischen  Schiffe  mit  Hülfe  von  Maschinen 
aiif  das  Ufer  gezogen  und  auf  dem  Marsfelde  aufgestellt,  um  dort 
als   Erinnerungszeichen   an   den    Sieg   über   Perseus   zu   dienen. 

Zeigt  diese  Schilderung  des  Triumphzuges,  wie  Fumee  mit 
Hülfe  seiner  Phantasie  die  knappen  Angaben  der  Vorlage  zu 
einem  an  malerischen  Bildern  reichen,  bewegten  Vorgange  aus- 
zugestalten und  dem  Leser  die  Illusion  römischen  Lebens  zu 
geben  weiß,  so  gewährt  ein  anderes  Kapitel  seines  Romans  eine 
nicht  minder  interessante  Anschauung  von  seiner  Arbeitsweise. 
Fumee  führt  uns  eine  Senatssitzung  vor,  in  der  über  das  Schicksal 
der  macedonischen  Gefangenen  und  auch  des  Theogenes  ent- 
schieden ^vird.''^) 

Zunächst  übersetzt  er  fast  wörthch  aus  dem  42.  Kapitel  des 
45.  Buches  die  folgenden  Stellen:  ,, Patres  censuerunt,  ut  Q. 
Cassius  Persea  regem  cum  Alexandro  fiho  Albam  in  custodiam 
duceret  .  .  .  Bitys  filius  Cotyis  regis  Thracorum  cum  obsidibus 
in  custodiam  Carseolos  est  missus.  Ceteros  captivos,  qui  in 
triumpho  ducti  erant,  in  carcerem  condi  placuit."  Im  Roman 
heißt  es:  ,,Qiiinte  Cassie  eiit  la  charge  de  mener  le  Roy  Perses 
avec  l'iin  de  ses  fils  qui  se  nommoit  Alexandre.,  en  la  ville  d'Albe 
poiir  la  tenir  prison,  et  fiit  ordonne  qua  Ritis  fils  du  Roy  de  Thrace 
seroit  mene  ä  Carseoles  et  que  les  autres  prisonniers  seroyent  dispersez 
par  les  prisons  de  la  ville." 

Theogenes,  der  besonders  auffällt  ä  son  port  et  ä  sa  grace, 
soll  mit  Bitis  fortgeführt  werden.  Livius  berichtet,  daß  einige 
Tage  nach  dieser  Sitzung  Gesandte  des  Königs  Cotys  gekommen 
seien,  um  die  Gefangenen  loszukaufen.  Fumee  läßt  diese  Gesandt- 
schaft an  demselben  Tage  auftreten  und  gibt  die  bei  Livius  nur 
kurz  angedeutete  Rede  der  Gesandten  und  die  Antwort  des 
Senates  in  erheblich  erweiterter  Form  wieder,  wobei  er  auch 
einige  Stellen  aus  dem  IL  und  12.  Kapitel  des  42.  Buches  in  die 
Rede   der  Thracier  hineinarbeitet. 

Mit  der  Gesandtschaft,  so  erzählt  Fumee,  ist  ein  Athener 
namens  Polycrates,  ein  vvürdiger  Greis,  gekommen,  der  nun 
in  geziemender  Weise  den  Senat  um  Gehör  bittet.  Dieser  Greis 
ist  niemand  anders  als  der  Vater  des  Theogenes,  der  die  Frei- 
lassung seines  Sohnes  erbittet.  Er  stellt  dem  Senate  vor,  wie 
Theogenes,  ohne  Feind  der  Römer  zu  sein,  von  Kameraden 
verleitet,  von  jugendlichem  Drang  nach  kriegerischen  Aben- 
teuern getrieben,  in  den  Dienst  des  Perseus  getreten  und  wie  er 

")  S.  32a  ff. 


176  Walther  Küchler. 

dann  bald  gefangen  worden  sei.  In  beweglichen  Worten  fleht 
er  die  Milde  des  Senats  gegenüber  dem  jugendlichen  Leichtsinn  und 
der  Undankbarkeit  gegen  die  Römer,  die  Freunde  der  Athener,  an. 

Von  Polycrates,  dem  Vater  des  Theogenes,  und  von  seinen 
Sorgen  um  den  Sohn  weiß  natürlich  Livius  nichts  zu  berichten. 
Fumee  aber  weiß  ihn  mit  der  Geschichte  in  Verbindung  zu  bringen, 
indem  er  sich  verschiedener  Stellen  aus  Livius  bedient.  Er 
macht  aus  diesem  Polycrates  einen  der  pohtischen  Führer  der 
Athener,  der  mehrere  Male  mit  den  Römern  in  offizielle  Bezie- 
hungen getreten  ist. 

Im  Verlaufe  seiner  langen  Rede  erinnert  der  Alte  an  diese 
Beziehungen,  die  ihn  stets  als  Freund  und  Förderer  der  römischen 
Interessen  gezeigt  haben.  Es  ist  nun  sehr  interessant,  zu  sehen, 
wie  Fumee  diese  Rede  aus  einer  Reihe  von  historischen,  durch 
Livius  vermittelten  Tatsachen  zusammensetzt. 

Polycrates  gibt  sich  als  Mitglied  der  Gesandtschaft  zu  er- 
kennen, die  vor  35  Jahren  nach  Rom  gekommen  sei,  um  die 
Hülfe  der  Römer  gegen  den  Vater  des  Perseus,  PhiUpp  von 
Macedonien,  zu  erbitten.  Im  L  und  5.  Kapitel  des  3L  Buches 
erwähnt  Livius  solche  Gesandtschaften.  Er  erinnert  ferner 
daran,  daß  er  es  gewesen  sei,  der  auf  der  zu  Korinth  abgehaltenen 
Versammlung  mit  einer  besonderen,  ihm  durch  die  Freundschaft 
zu  den  Römern  eingegebenen  Kühnheit  gesprochen  habe:  ,,7". 
Quintie  sgait  avec  quelle  hardiesse  provenante  de  l'amitie  sincere 
gue  nous  portons  au  peuple  Romain,  ie  parlay  en  l'assemhlee, 
qui  fut  faite  ä  Corinthe  contre  Nabis."  So  schreibt  Fumee  nach 
Livius  34,  Kap.  22  und  23:  ,,Quinctius  conventum  Corinthum 
omnium  sociarum  civitatium  legationibus  in  diem  certam  edicit." 
Quintius  befragt  die  versammelten  Abgeordneten  über  ihre 
Meinung  betreffs  eines  gemeinsamen  Handelns  gegen  Nabis, 
den  Tyrannen  der  Lacedsemonier,  und  da  heißt  es  von  dem 
Gesandten  der  Athener,  er  habe  ,,quantum  poterat  gratiis  agendis" 
die    Verdienste    der    Römer    um    Griechenland    hervorgehoben. 

Der  Greis  erinnert  an  die  Hülfsbereitschaftder  Römer  gegenüber 
den  Athenern,  als  diese  von  Philipp  bedroht  waren:  ,,Nous  n'avons 
mis  en  ouhly  la  diligence  dont  usastes  ä  nos  prieres  quand  vous 
nous  ejivoyastes  C.  Claude  Cento  pour  nous  garentir  du  siege  dont 
le  Roy  Philippe  nous  menagoit".  Diese  Anspielung  nimmt  Fumee 
aus  Livius  31,  14:  P.  Sulpicius  begibt  sich  nach  Macedonien; 
„ibi  ei  praesto  fuere  Atheniensium  legati  orantes,  ut  sc  obsidione 
eximeret.  Missus  extemplo  Athcnas  est  C.  Claudius  Centho, 
cum  viginti  longis  navibus  et  mille  militum  copiis."  Weiterhin 
ruft  er  dem  Senat  die  Ergebenheit  der  Athener  in  einem  anderen 
Falle  ins  Gedächtnis  zurück:  ,,Vous  n'ignorez  aussi  comme  pour 
nous  associer  du  tout  avec  vous  et  oster  touie  esperance  ä  Philippe 
de  nous  reconcilier  avec  luy,  nous  fismes  abbatre  en  nostre  ville  et 
is  autres,   qui  dependent  de  nostre   Republique  toutes  les  statues 


Martin  Fumee's  Roman  ,,Du  vraij  et  parfait  amoiir\     177 

et  miages  de  Philippe  et  de  toiis  ses  predecesseurs  tant  d'hommes 
qua  de  femmes  et  rayer  et  effacer  leurs  noms,  casser  et  annulier 
tous  les  ioiirs  de  feste  et  les  prestres  ordonnez  en  leiir  memoire; 
detester  et  execrer  Philippe,  ses  enfans  et  son  Royaume  par  nos 
prestres  toutesfois  et  qiiantes  qii'ils  feroient  priere  poiir  vons,  pour 
le  peuple  Athenien  et  pour  leurs  associez.  Fast  wörtlich  übersetzt 
Fumee  diese  Stelle  aus  liber  31,  cap.  44:  „Rogationen!  oxtemplo 
tulerunt  plebesque  scivit,  iit  Pliilippi  statuse,  imagines  omnes, 
nominaque  earum,  item  maiorum  eius  virile  ac  muliebre  secus 
omnium  tollerentur  delerenturque ;  dies'[ue  festi,  sacra,  sacerdotia, 
quae  ipsius  maiorumve  eius  honoris  causa  instituta  essent,  omnia 
profanarentur  . . .  Sacerdotes  publicos,  quotienscumque  pro  popula 
Atheniensi,  sociisque,  exercitibus  et  classibus  eorum  precarentur, 
totiens  detestari  atque  exsecrari  Philippum,  liberos  eius  regnum- 
que,  terrestres  navalesque  copias,  Macedonumque  genus  omne 
nomenque. 

Noch  einen  anderen  Beweis  der  athenischen  Freundschaft 
führt  er  an:  ,,/Z  n'y  a  pas  encor  longtenips  que  nous  fismes  aussi 
paroistre  ceste  hardiesse  et  ceste  affection  envers  vous  quand  en 
l'assemblee  Pansetolique,  estans  quasi  toutes  les  villes  Grecques 
pour  le  Roy  Antioche  emhrassant  une  tyrannie  sous  couleur  de 
defendre  les  Mtoliens,  nous  rompismes  ceste  ligue  d  la  priere  de 
celuy,  qui  commandoit  ä  vostre  armee  et  persuadasmes  aux  JEtoliens 
de  vuider  leurs  differens  avec  vous,  plustost  par  par  olles  que  par 
armes;  comme  aussi  par  nostre  eniremise  et  nous  intercedans  pour 
eux  vous  jistes  trefue  avec  eux  et  Acilie  leva  le  siege  de  devant  la 
forteresse  d'Amphisse,  qui  leur  appartenoit."  Diese  Ausführung 
entlehnt  Fumee  aus  dem  6.  und  7.  Kapitel  des  37.  Buches.  Livius 
erzählt  von  Scipio  Africanus :  causam  relinquendi  honeste  Aetolici 
belli  quaerens  Asiam  et  regem  Antiochum  spectabat,  iusseratque 
Athenienses  non  Romanis  solum,  ut  pacem  bello  preeferrent, 
sed  etiam  ^Etolis  persuadere  .  .  Und  es  erlangen  dann  die  ^Etolier 
vom  römischen  Konsul  Waffenstillstand;  ,,soluta  obsidione 
Amphissse,  M.  Acilius,  tradito  consuli  exercitu,  provinciadecessit." 

In  ähnlicher  Weise  macht  sich  Fumee  außerdem  noch  das 
8.  Kapitel  des  43.  Buches  und  das  10.  Kap.  des  38.  Buches  zu 
Nutze.  Im  ganzen  setzt  er  aus  sieben  verschiedenen  Stellen, 
die  er  fünf  verschiedenen  Büchern  des  Livius  entnimmt,  die 
Rede  des  Polycrates  zusammen. 

Der  Erfolg  dieser  diplomatischen  Rede  bleibt  nicht  aus. 
Theogenes  ^^^rd  seinem  Vater  ohne  Lösegeld  zurückgegeben, 
und  die  Beurteilung  seines  Verhaltens  wird  dem  athenischen 
Volke  überlassen. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  beutet  Fumee  seinen  Livius  bei 
einer  anderen  Gelegenheit  aus.  Er  läßt  den  Octavius  aus  der 
Sitzung  des  Senats  zurückkehren,  sich  zu  Charide  begeben  und 
ihr   gute    Nachrichten   über    das    Schicksal   Macedoniens   über- 


178  Walther  Küchler. 

bringen J^)  Er  sagt  ihr  u.  a.:  „Aufourd'huy  au  Senat  a  este  con- 
firmee  la  grace  qu'avoit  faü  le  Consul  auec  les  dix  Legats  oii  Ambassa- 
deurs du  Senat  envoyez  vers  luy  apres  la  deffaite  de  Perses,  d  tous 
Macedoniens,  qui  avoyent  suivy  son  party.  Par  icelle  iceux  Mace- 
doniens  deraeurent  en  leur  liherte  et  avec  la  ioüyssance  de  leurs 
terres  et  possessions  sans  rien  innover  en  leurs  costumes,  sinon 
pour  le  regard  de  ce  qui  touchoit  la  principaute,  au  Heu  de  laquelle 
on  a  dwise  le  Royaume  en  quatre  Provinces  qui  se  gouverneront 
chacune  ä  part  en  forme  de  Repuhlique.  II  est  vrai  que  tous  ceux, 
qui  sous  Perses  ont  commande  en  ses  armees  terrestres  et  navales 
avec  leurs  enfans  qui  sont  au  dessus  de  l'aage  de  quinze  ans,  ne 
sont  aucunement  comprins  en  ceste  liherte  et  a  este  arreste  que  ceux 
de  ceste  qualite,  qui  ont  este  amenez  en  ceste  i>ille,  seront  retenus 
h  prisons  ....  Aussi  quand  cest  arrest  envoye  par  le  Senat  fut 
prononce  en  Latin  par  le  Consul^  auquel  ie  servais  puis  apres  de 
truchement  en  le  rapportant  en  Grec,  le  peuple  qui  estoit  Id  convenu 
en  fort  grand  nombre,  y  ayant  este  appelle  de  toutes  les  villes  de  la 
Macedoine,  au  Heu  d'estre  marris  de  se  voir  priver  de  la  presence 
de  leurs  Capitaines  et  superieurs,  firent  demonstration  d'en  estre 
tres  contens,  se  voyans  par  ce  moyen  delicrez  de  toute  guerre,  d  laquelle 
tendent  tousiours  ceux  qui  n'ont  fait  autre  mestier,  ne  pouvans 
s'employer  d  autre  chose."         ■  .   .       ^    .       _  ^r...  •  ",  -  ,<; 

-.  Für  diese  Mitteilung  sind  maßgebend  gewesen  Stellen  aus 
dem  29.  und  32.  Kapitel  des  45.  Buches.  Paulus  ^Ernylius  hat 
nach  Amphipolis  die  Ersten  der  macedonischen  Städte  zu  feier- 
lichem Tribunal  geladen.  „Silentio  per  pr^econem  facto,  Paulus 
latine,  quse  senatui,  quse  sibi  ex  consihi  sententia  visa  essent, 
pronunciavit:  ea  Cn.  Octavius  praetor  (nam  et  ipse  aderat)  inter- 
pretata  sermone  greco  referebat.  Omnium  primum  liberos  esse 
iubere  Macedonas,  habentes  urbes  easdem  agrosque,  utentes 
legibus  suis,  annuos  creantis  magistratus  .  .  .  Deinde  in  quatuor 
regiones  dividi  Macedoniam  (Kap.  29)".  In  Kap.  32  wird  von  einer 
neuen  Versammlung  der  Macedonier  erzählt,  in  der  erklärt  wurde: 
„Quod  ad  statumMacedonisepertinebat,  senatores,  quos  synedros 
vocant,  legendos  esse,  quorum  consilio  respublica  administraretur. 
Nomina  deinde  sunt  recitata  principum  Macedonum,  quos  cum 
liberis,  maioribus  quam  quindecim  annos  natis,  preecedere  in 
Italiam  placeret.  Id,  prima  specie  saevum,  mox  apparuit  multi- 
tudini  Macedonum  pro  libertate  sua  esse  factum". 

So  weit  verwendet  Fumee  die  Angaben  des  Livius  an  dieser 
Stelle  seines  Romans.  Livius  schreibt  in  Kapitel  32,  im  An- 
schluß an  die  Auffassung,  welche  die  Macedonier  von  der  Maß- 
regel der  Römer  gewannen:  ,,Nominati  sunt  enim  regis  amici 
purpuratique  duces  exercituum,  preefecti  navium  aut  prsesidiorum; 
servire  regi  humiliter,  aliis  sup^rbe  imperare  adsueti,  praedivites 

'8)  S.  68a  f. 


Martin  Famie's  Roman  ,,Du  vraij  et  parfait  amour\     179 

alii,  alii,  quos  fortuna  non  sequarent,  his  sumptibus  pares  .  .  . 
Omnes  igitur,  qui  in  aliquibus  ministeriis  rcgiis,  etiam  qui  in 
minimis  legationibus  fuerant,  iussi  Macodonia  excedere  atque 
in  Italiam  ire,  qui  non  paruisset  imperio,  mors  denunciata". 

Fumec  hat  sich  auch  diese  Angabe  niclit  entgehen  lassen 
und  sie  an  einer  ganz  anderen  Stelle  seines  Romans  angebrachte^) 
Auf  ihrer  Heimkehr  nach  Meliböa  reist  Charido  durch  das  vom 
Kriege  heimgesuchte  Macedonien  und  kann  sich  nicht  der  Tränen 
erwehren  ,,Äe  preseniant  devant  les  yeux  les  ruines  fresches  du 
pays  et  considerant  les  villes  degarnies  de  Hohes  bourgeois  ä  raison 
qiie  les  Romains  avoyent  fait  passer  en  Italie  (sur  peine  de  la  vie 
ä  qui  n'oheyroit  ä  leiir  Edici)  toiis  les  principaux  des  Macedoiniens, 
ious  les  Officiers  du  Royaume  iusques  ä  ceux,  qui  avoyent  servy 
le  Roy  es  plus  petites  charges,  qui  fussent,  en  sorte  qu'on  voyoit 
les  villes  degarnies  de  honestes  et  riches  citoyens.  Le  menu  peuple 
esiimoit  que  ce  changement  luy  estoit  d  gründe  descharge;  parceque 
telles  personnes  serviables  en  toute  humilite  d'an  coste  ä  leur  Roy^ 
estoyent  d'autre  part  accoustumez  ä  Commander  au  peuple  avec 
fagon  süperbe  et  insupportable,  les  uns  estans  opulens  et  abondans 
en  richesses  et  les  autres  ausquels  fortune  n'avoit  departy  tant  de 
hiens  se  rendans  ä  ceux-cy  pareils  par  des  despences  somptueuses 
le  taut  au  despens  du  peuple." 

Die  Entlehnungen  aus  Liidus,  soweit  sie  mit  dem  mace- 
donischen  Kriege  und  den  in  ihn  verwickelten  Schicksalen  der 
Charide  und  des  Theogenes  zusammenhängen,  sind  mit  diesem 
letzten  Beispiel  beendet. '^'^) 

Auch  das  Geschick  der  Melangenie  hat  unser  Autor  aufs 
engste  mit  bedeutsamen  historischen  Ereignissen  verknüpft. 
Zu  Beginn  der  Erzählung  ihrer  Leiden  läßt  er  den  Schatten 
Hannibals  einen  Augenblick  vor  dem  Leser  auftauchen. 

Zwischen  Rom  und  Karthago  ist  Friede  geschlossen.  Hanni- 
bal,  zum  Praetor  der  Stadt  ernannt,  ist  unversöhnt  und  denkt 
nur  daran,  den  Frieden  zu  brechen.  Er  gewinnt  durch  die  Ein- 
richtung volksfreundlicher  Gesetze  das  niedere  Volk  und  reizt 
die  Großen  gegen  sich  auf,  die  ihn  daraufhin  bei  den  Römern 
verdächtigen.    Der  röm.ische  Senat  schickt  unter  vorgespiegeltem 


79)  S.  261b  f. 

8")  Einige  weniger  wichtige  Anspielungen  auf  Tatsachen,  die 
Livius  berichtet,  finden  sich  noch  in  einer  Unterhaltung  des  Poleten 
von  Epidamnus  mit  Charide.  Wenn  der  Polet  erzählt,  die  Stadt  habe 
nach  Beendigung  des  Krieges  den  Römern  Schiffe  gestellt,  so  ent- 
spricht das,  nicht  ganz  genau,  einer  Angabe  des  Livius  in  42,  48.  Von 
der  Zufriedenheit  der  Römer  mit  der  Stadt  kann  der  Polet  sprechen, 
gestützt  auf  45,  43.  —  Ehe  Charide  Rom  verläßt,  verrichtet  sie  ihr 
Gebet  im  Tempel  der  Juno  „sumomme  Camülean  pour  avoir  este  dedie 
par  le  Consul  Camille  apres  avoir  subiugue  les  Veies",  schreibt  Fumee 
S.  230b  und  nimmt  diese  Nachricht  von  der  Tempelweihe  durch 
Camillus  aus  Livius  V,  22. 


180  Walther  Kücliler. 

Vorwand  drei  Abgesandte  nacli  Karthugo.  Hannihal,  der  erkennt, 
daß  es  auf  ihn  abgesehen  ist,  rettet  sich  durch  die  Flucht  zum 
König  Antiochus,  der  noch  unschlüssig  ist,  ob  er  gegen  Rom 
zu  Felde  ziehen  soll.  Die  römischen  Gesandten  wissen  nach 
Bekanntwerden  der  Flucht  ihres  Feindes  das  Volk  ihm  abspenstig 
zu  machen  und  ganz  auf  die  Seite  Roms  zu  bringen.  So  beginnt 
in  genauem  Anschluß  an  Livius  33,  46 — 49  die  Erzählung  der 
Melangenie,  um  dann  in  romanhaftes  Fahrwasser  einzulenken. 
Der  Vater  Melangenies  —  auf  diese  Weise  gewinnt  Fumee  den 
Anschluß  an  die  Historie  —  ist  einer  der  vornehmsten  Karthager 
und  der  getreueste  Freund  Hannibals.  Am  Morgen  nach  der 
Flucht  begibt  er  sich  zum  Schein  in  Hannibals  Haus,  um  ihn 
zu  begrüßen,  und  verläßt  darauf  eiligst  die  Stadt.  Die  Tochter 
übergibt  er  einem  Verwandten.  Und  so  ist  ihre  Leidenszeit 
angebrochen. 

Nach  einer  Reihe  von  Jahren  finden  wir  sie  als  Sklavin  auf 
Sardinien.  Da  bricht  der  Aufstand  gegen  die  Römer  aus,  der 
Gonsul  Tiberius  Sempronius  schlägt  ihn  in  mehreren  Schlachten, 
in  denen  mehr  als  15  000  Sarden  fallen,  nieder,  führt  250  Geiseln 
von  den  nicht  Aufständigen  nach  Rom,  ebenso  alle  Aufrührer 
mit  dem  größten  Teile  ihres  Vermögens,  und  auch  Melangenie 
gelangt  nach  Rom,  wo  sie  für  den  Haushalt  des  Octavius  er- 
worben wärd.^') 

Diese  historischen  Ereignisse,  die  von  neuem  das  Geschick 
der  Melangenie  beeinflussen,  sind  von  Livius  in  verschiedenen 
Kapiteln  (10,  12,  13,  16,  21,  26)  des  41.  Buches  berichtet  worden. 
Er  spricht  auch  von  der  Unmenge  der  gefangenen  Sarden,  die 
in  Rom  billig  als  Sklaven  verkauft  wurden. 

Quintus   Curtius. 

Die  Schilderung  der  Wanderung,  die  Melangenie  in  Beglei- 
tung der  Gesandtschaft  des  Königs  der  Nasamonen  durch  die 
Wüste  zum  Tempel  des  Jupiter  Ammon  unternimmt,^'-^)  lehnt 
sich  an  die  Erzählung  an,  die  Q.  Curtius  Rufus  in  seinem  Werke, 
De  rebus  gestis  Alexandri  Magni,"  im  7.  Kapitel  des  4.  Buches 
von    dem    Marsche    Alexanders    zu    demselben    HeiUgtum    gibt. 

Wie  bei  Q.  Curtius  das  Heer  Alexanders,  so  ziehen  auch 
die  Personen  Fumees  unter  großen  Beschwerden  durch  den  un- 
fruchtbaren, lockeren,  unter  den  Füßen  der  Wanderer  nach- 
gebenden, die  Spuren  verwischenden  Wüstensand,  haben  sie 
zu  leiden  unter  Hitze  und  Durst.  Und  gleicherweise  verschafft 
ein  starker  Regen  ihren  Leiden  Linderung.  Q.  Curtius  erzählt, 
wie  plötzlich  die  Sonne  durch  Wolken  verdunkelt  wird  und  bald 


81)  S.  192b  ff. 

82)  S.  90a  ff. 


Martin.  Fumee's  Roman  ^,Du  vray  et  parjait  anioiir"'.     181 

darnach  der  Regen  niederrauscht.  Dann  fährt  er  fort:  ,,Enim- 
vero,  ut  largum  quoqiie  imhrem  oxcusserunt  procelIa3,  pro  se 
quisque  excipere  eum,  quidam  ob  sitim  impotentes  sui,  ore  quoque 
hianti  captare  coeperunt."  Diese  Angabe  erweitert  Fiimee  folgen- 
dermaßen. Er  spricht  zunächst  davon,  daß  dieser  Regen  als 
eine  von  Gott  gesandte  Vorbedeutung  auf  glücklichen  Ausgang 
betrachtet  wurde,  und  erzählt  dann  das  Verhalten  der  Erfi'euten: 
„Ceste  plmje  fiit  receiie  d'un  chaciin  avec  iin  tel  contentemeni  qu'il 
n'estoü  possible  de  plus,  et  poiir  en  rendre  graces  d  Dien  les  uns 
se  mettoyent  ä  genoux,  autres  estendoyent  les  hras  en  l'air  et  puis 
baisoyent  la  terre  coinme  si  avec  la  langue  ils  l'eussent  voulu  lescher. 
Chacun  avoit  son  petit  vaisseau  ou  gobelet  pour  boire,  lequel  ils 
tendoient  ä  la  pluie  et  ceux  qui  n'en  avoient  point  se  renversans 
la  teste  et  le  col  en  arriere  et  tirans  la  langue  de  dehors  le  plus  qu'ils 
pouvoyent  recevoyent  une  merveilleuse  volupte  par  le  decoulement 
de  ceste  eau  fresche  lequel  se  jaisoit  le  long  de  leur  gosier  iusques 
en  Vestomach.''''  Gewiß  eine  gut,  gelungene  stilisierende  Aus- 
schmückung der  durch  Q.  Curtius  gegebenen,   kurzen  Anregung. 

In  der  Nähe  des  Heihgtums  erscheinen  dem  Heere  Alexanders 
einige  Raben.  ,,Jamque  haud  procul  oraculi  sede  aberant,  quam 
complures  corvi  agmini  occurrunt,  modico  volatu  prima  signa 
antecedentes,  et  modo  humi  residebant,  quum  lentius  agmen 
incederet;  modo  se  pennis  levabant,  antecedentium  iterque 
monstrantium  ritu.  So  schreibt  der  lateinische  Historiker, 
und  Fumee:  ,,Z,e  cinquiesme  iour  nous  remarquions  de  V  oeil  des 
oyseaux  voleter,  et  estans  plus  prez  nous  apperceusmes  en  la  cam- 
pagne  des  aigles  et  corbeaux  non  pas  ensembk;  car  le  corbeau  redoubte 
fort  les  serres  de  l'aigle.  Nous  ne  voyons  point  les  corbeaux  qu'en 
trouppe  se  ienans  ainsi  ensenible  pour  se  gareniir  de  l'Aigle  qui 
ne  s'accompagne  gueres  de  son  espece  sinon  lors  qu'il  est  en  amour.  ' 
Im  Gegensatz  zu  seiner  Quelle,  die  nur  von  Raben  berichtet, 
spricht  Fumee  auch  von  Adlern,  versäumt  er  nicht  eine  natur- 
\vissenschaftliche  Belehrung  hinzuzufügen  und  läßt  er  außerdem 
noch  den  Führer  der  Truppe  seinen  Leuten  verbieten  auf  diese 
Vögel  oder  andere  Tiere  zu  schießen,  aus  Furcht,  man  könnte 
irgend  ein  dem  Juppiter  geheiUgtes  Tier  töten. 

Die  Ankunft  im  Haine  des  Heiligtums,  die  Beschreibung 
der  Örtlichkeit  erfolgt  ebenfalls  im  Anschluß  an  Q.  Curtius. 
,, Tandem  ad  sedem  consecratam  deo  ventum  est.  Incredibile 
dictu,  inter  vastas  sohtudines  sita,  undique  ambientibus  ramis, 
vix  in  densam  umbram  cadente  solo,  contecta  est;  multique 
fontes  dulcibusque  aquis  passim  manantibus  alunt  sylvas.  Coeli 
quoque  mira  temperies,  verno  tepori  maxime  similis,  omnes 
anni  partes  pari  salubritate  percurrit."  Erheblich  ausführlicher 
schildert,  ausgehend  von  dieser  Darstellung,  Fumee  den  heiligen 
Hain:  ,,Enfin  nous  entrons  en  ces  forests  que  nous  voyons  de 
si  hing.  Icelies  sont  rejreschies  de  plusieurs  ruisseaux  d'eau  douce 


182  Walther  KiicMer. 

et  fresche,  qiii  coulent  sous  leiirs  verdures.  C'est  iine  chose  admirdble 
comme  en  si  peu  d'espace  on  troiive  un  si  grand  changement.  Nous 
venions  ce  nous  semhloit  des  foiirneaiix  des  Cyclopes  et  toiit  soudain 
nous  estions  tombez  es  isles  fortunees.  Nous  rencontrions  un  vray 
printemps  contra  taute  raison  humaine.  Car  nous  fourrans  plus 
avant  dedans  ceste  voye  aduste  et  brulee  par  la  mauvaise  conduite 
de  Phaeton,  qui  est  ceste  zone  et  climat  torride  que  les  anciens  ont 
estime  estre  inhabitable  pour  sa  trop  grande  chaleur,  nous  rencon- 
trions le  frais,  la  region  habitee,  le  pays  plaisant  ä  merveille.  Teile 
chose  incredible  ä  ceux  qui  ne  Vauroyent  veu,  nous  faisoit  une 
preuve  claire  et  evidente  que  le  grand  Dieu  Juppiter  se  plaisoit 
d  faire  souQent  sa  demeure  en  ce  temple  .  .  . 

Man  kann  nicht  sagen,  daß  trotz  der  größeren  Wortfülle 
die  Schilderung  Fiimees  anschaulicher  oder  eingehender  wäre. 
Wie  so  oft,  tritt  eben  nur  an  die  Stelle  vielsagender  Knappheit 
die  seichtere,  umschreibende  Breite.  Immerhin  ist  auch  hier 
das  Bestreben  nach  Stilisierung  nicht  zu  verkennen;  so,  wenn 
Fumee  bilderreicher  als  Curtius  die  glücksehgen  Inseln^^)  den 
Öfen  der  Cyklopen  entgegensetzt  oder  von  der  überheißen  Sonnen- 
glut als  der  mauvaise  conduite  de  Phseton  spricht.  Als  eine  sehr 
gute  Hinzufügung  und  Vertiefung  der  Vorlage  ist  es  zu  betrachten, 
wenn  Fumee  von  den  frommen  Empfindungen  der  Ankommenden 
spricht,  wenn  er  ausdrückt,  wie  ihnen  die  Heihgkeit  und  Berühmt- 
heit des  Heihgtums  bewußt  und  erklärlich  wrd,  und  wenn  er 
besonders  die  gehobenen  und  feierhchen  Gefühle  der  Melangenie 
beschreibt.  „Certainement  ie  croy  quant  ä  moy  veu  V emotion 
qu'entrant  en  ceste  forest  ie  sentis  soudain  laquelle  tendoit  d  un 
ravissement  de  tnon  esprit,  que  tont  ce  Heu  est  rempli  de  divinite^ 
ou  que  ceste  emotion  procedoit  de  l'admiration  que  nous  pouvions 
avoir  avec  raison  de  la  beaute,  de  la  douceur,  et  de  la  temperie  de 
l'air  que  nous  avions  rencontre,  ainsi  que  nous  nous  sentons  esmeuz 
pour  une  chose  inesperee." 

Q.  Curtius  berichtet  über  die  Bewohner  des  Heiligtums 
und  ihre  Wohnungen  folgendes:  ,,Incolee  nemoris,  quos  Ammonios 
vocant,  dispersis  tuguriis  habitant;  medium  nemus  pro  arce 
habent,  triplici  muro  circumdatum.  Prima  munitio  tyrannorura 
veterum  regiam  clausit,  in  proxima  coniuges  eorum  cum  liberis 
et  pellicibus  habitant;  hie  quoque  dei  oraculum  est,  ultima  muni- 
menta  satellitum  armigerumque  sedes  erant." 

Fumee  rühmt  zunächst,  was  Q.  Curtius  nicht  hat,  die 
Einfachheit,  Milde,  Liebenswürdigkeit  und  den  Diensteifer  der 
Bewohner,  er  erzählt,  wie  sie  ihre  Gastfreundschaft,  Lebens- 
mittel  und  überhaupt  alle  Bequemlichkeiten,  die  sie  gewähren 
können,   anbieten,   wie   aber  der  Führer  nichts  annehmen  will, 


83)  Maxäpwv  VTjaos  nennt  III,  26  Ilerodot  die  Oasis,  die  auf  dem 
Wege  von  Theben  nach  der  Oasis  des  Jupiter  Amnion  Hegt. 


Martin  Fiimee's  Roman  ,,Dii  vray  et  parjait  ainour\     183 

ehe  sie  nicht  den  Tempel  besucht  hätten,  wie  sie  auf  dem  Wege 
dorthin  eine  große  Anzahl  hier  und  da  verstreuter  Hütten  be- 
merken ^,composees  de  gros  marrin,  sur  lequel  pour  couvertures 
ils  arrangent  des  feuillards  si  dextrement  et  si  bien  serrez  en  poincte 
que  l'eaii  du  ciel  n'ij  peut  entrer."  Im  übrigen  wiederholt  er  die 
Angaben  des  Q.  Curtius  von  der  Dreiteilung  der  Wohnungs- 
anlage. 

Am  Eingang  des  zweiten  Ringes  traf,  so  erzählt  Fumee, 
die  Gesandtschaft  auf  die  Priester.  Alle  grüßten,  indem  sie  ihre 
Häupter  entblößten,  die  Priester  neigten  sich  tief  zum  Gruße 
und  wandten  sich  dann  dem  Tempel  wieder  zu.  ,,Apres  eux 
sans  aucun  intervalle  suivoyent  des  femmes  et  des  filles  en  assez 
grand  nombre  qiii  nous  firent  pareüle  salutation,  nous  donnans 
par  lä  ä  entendre  que  nous  les  devions  suivre.  Ces  femmes  et  filles 
chantoyent  en  leur  langage  certaines  chansons  ä  l'honneur  de  Juppiter. 
Les  Prestres  parvenus  ä  l'entree  du  temple  se  rangerent  d'une  part 
et  d'autre  et  les  femmes  et  filles  qui  sont  voüees  au  Service  du  Dieu, 
entrerent  au  temple  continuans  leurs  chants,  restans  nous  autres 
devant  ces  Prestres  au  dehors.  Cependant  quatre  Prestres  venans 
du  profond  du  temple  s'advancerent  vers  l'entree,  apres  lesquels 
le  grand  Prestre  se  voyoit  porte  en  une  cliaise  par  deux  autres  Prestres 
d  cause  de  sa  vieillesse.  A  son  arrivee  tous  les  Prestres  se  proster- 
nerent  en  terre  comme  nous  fismes  aussi  et  laissans  la  veue  contra 
hos  par  humilite  et  tenans  iceux  en  leurs  mains  certains  vaisseaux 
d'or,  qui  sont  plats  et  un  peu  creux,  dedans  lesquels  y  avoit  des  charbons 
ardents;  ils  ietterent  dessus  des  drogues  aromatiques,  qui  rendoyent 
une  odeur  la  plus  douce  qu'il  estoit  possible." 

Für  diese  feierliche  Zeremonie  fand  Fumee  nur  wenig  An- 
deutungen bei  Q.  Curtius.  Dieser  erwähnt  nur,  daß  die  Priester 
kostbare  Gefäße  schwingen,  daß  ihnen  Frauen  und  Jungfrauen 
folgen,  welche  ,,patrio  more  inconditum  quoddam  carmen" 
singen,  um  Jupiter  günstig  zu  stimmen,  und  endlich,  daß  der 
älteste  Priester  Alexander  begrüßte.  Die  ganze,  höchst  an- 
schauliche Inszenierung  der  Begegnung  ist  Fumees  selbständige 
Komposition. 

Nach  dem  Beispiel  Alexanders  bringt  auch  der  Führer  der 
Gesandtschaft    Geschenke    dar. 

Was  Fumee  dem  Werke  des  Q.  Curtius  zu  ver- 
danken hat,  ist  hiermit  erschöpft.^*)  Er  hat  mit  Glück 
und  Geschick  die  Nachrichten  des  Historikers  verwendet  und 
aus  ihnen  eine  der  am  besten  erzählten  Episoden  seines 
Romans  gemacht. 


^*)  An  anderer  Stelle  (S.  155)  gibt  er,  lediglich  als  historische 
Belehrung,  die  Antwort  wieder,  die  Alexander  von  dem  Ammonpriester 
zuteil  wurde,  und  verwertet  für  diese  Angabe  den  Schluß  desselben 
Kapitels. 


184  Walther  Küchler. 


Pr  0  c  0  p. 


Anschließend  an  den  Tod  des  Scythenkönigs  und  die  im 
Scythenlande  üblichen  Leichen-  und  Begräbnisfeierlichkeiten 
spricht  Fumee  auch  von  dem  Jenseitsglauben  der  Scythen  und 
erzählt  dabei  Folgendes:  Die  Scythen  glauben,  daß  die  Glück- 
seligen auf  einer  Insel  im  Ozean  zwischen  Britannien  und  Thule 
nach  Osten  zu  wohnen,  und  daß  die  Seelen  ihrer  Könige,  die  das 
Volk  nicht  unterdrückt  und  tugendhaft  gelebt  haben,  dorthin 
geführt  werden.  An  der  Küste  der  östlichen  Bretagne,  so  sagt 
man,  wohnen  Fischer,  die  deshalb  dienst-  und  zinsfrei  sind, 
weil  es  ihre  Aufgabe  ist,  die  Seelen  dieser  Fürsten  hinüberzu- 
fahren. Die  Seelen  langen  de?  Abends  oder  in  der  Nacht 
an,  wenn  die  Fischer  schlafen.  Sie  klopfen  an  die  Türe,  und 
die  Fischer  machen  auf  und  hören,  daß  man  sie  zu  ihrer 
Pflicht  ruft.  Alsbald  stehen  sie  auf,  begeben  sich  ans  Gestade 
und  finden  dort  fremde  Schiffe,  ohne  Matrosen  oder  andere  In- 
sassen auf  ihnen.  Sie  treten  hinein  und  beginnen  zu  rudern. 
Und  wie  sie  rudern,  bemerken  sie  wohl,  daß  die  Schiffe  beladen 
sind  wie  mit  Menschen,  aber  sie  sehen  Niemanden.  Dann  plötzlich 
erblicken  sie  sich  am  Ufer  jener  glückseligen  Insel,  in  kürzester 
Zeit  haben  sie  den  Weg  zurückgelegt,  zu  dem  sie  in  ihrem  eignen 
Fahrzeuge  einen  Tag  und  eine  Nacht  gebrauchen  würden.  Wieder 
sehen  sie  Niemanden,  aber  sie  hören  die  Stimme  derer,  die  die 
Neuankommenden  begrüßen  und  mit  ihrem  Namen  und  dem 
ihrer  Eltern,  nach  ihrem  Rang  und  ihren  Taten  benennen.  Und 
sobald  die  Schiffer  ihrer  Last  ledig  geworden  sind,  werden  sie 
mit  derselben  Schnelligkeit,  mit  der  sie  gekommen  waren,  wieder 
zu  ihren  Wohnungen  zurückgeführt. 

Diese  schöne,  geheimnisvolle  Sage  hat  Fumee  in  Procops 
Gothenkrieg,  im  20.  Kapitel  des  vierten  Buches  gefunden  und 
mit  kleinen  Auslassungen  in  den  Roman  übernommen. ^■^)  In 
seine  Übersetzung  des  Gothenkriegs  hat  Fumee  neben  manchen 
anderen  Kapiteln  auch  dieses  Kapitel  ausgelassen,  da  es  seine 
Absicht  war,  nur  die  unmittelbar  auf  den  Krieg  sich  beziehenden 
Ereignisse  in  seiner  Übersetzung  mitzuteilen. 

Vi  t  r  u  vi  US. 

Melangenie  übergibt  der  Cliaride  eine  ausführliche  schrift- 
liche Besciireibung  des  Tempels  des  Jupiter  Ammon.'^*^)  Diese 
Beschreibung  ist  das  Phantasiegebilde  eines  mit  der  Wissen- 
schaft  der   Architektur   vertrauten   Mannes,    wie    es   deren   im 


^^)  Von  Thule  steht  in  dem  benutzten  Kapitel  bei  Procop  nichts, 
dagegen  spricht  er  II,  15  von  Thüle  als  einer  sehr  großen,  zehnmal 
größeren  Insel  als  Britannien,  die  weit  im  Norden  liogi>. 

86)  Fcuill.  206b— 226n. 


Martin  Fumees  Roman  ,,/)»  vraji  et  parfuii  aniour'.     185 

architekturfreudigen  Zeitalter  der  Renaissance  viele  gab.     Das 
klassische  Werk  über  architektonische   Fragen  war  seit  langer 
Zeit  das  Buch  des  Vitruvius  ,,Dc  Architectura",  das  allen  Arbeiten 
auf  dem  Gebiete  dieser  Kunst  und  Wissenschaft  zugrunde  lag.^^) 
So   beruht  denn  auch  die  Beschreibung  des  Juppiter  Ammon- 
Tempels  z.  t.  auf  den  Angaben  und  Vorschriften  des  Vitruvius.  Wie 
Fumee    den   Vitruv   verwertet,    mögen   einige    Beispiele    zeigen. 
Wenn  Fumee  schreibt  ,,Le  temple  de  Hammon  est  esleve  sur 
sept  marches  comprins  le  plan  pour  une  marche  ...     Ce  nomhre 
impair  est  ä  fin  qii'en  montant  le  pied  droict  se  troiwe  sur  le  plan, 
parce  que  coiislamierement  on  leve  le  pied  droict  le  preniier  pour 
faire  la  premie?'e  demarche,"  so  denkt  er  an  Vitruvius  III,  3:  ,,Gra- 
dus  in  fronte  ita  constituendi  sunt,  uti  sint  semper  impares.    Nam- 
que  cum  dextro  pede  primus  gradus  ascendatur,  item  in  summo 
templo  primus  erit  ponendus."     D.  h.  was  Vitruv  als  allgemeine 
Forderung  aufstellt,  wird  bei  ihm  unter  Beibehaltung  der  theo- 
retischen  Begründung  die  besondere   Eigenschaft  des  Tempels. 
Von  den  Säulen  schreibt  Fumee:  „Les  qualre  colonnes,  qui  con- 
stituent  les  quatre  coings  sont  un  peu,  coinme  environ  d'une  cin- 
quantiesme  partie,  renforcees.  Ce  qui  toutesfois  ne  semble  pas  paroistre 
ä  l'oeil  ä  cause  de  l'air  environnant  plus  ä  l'aise  les  coings  pour 
l'amour  de  leur  contour,  qui  abuse  nostre  ceil."    Diese  Beobachtung 
liefert  ihm  Vitruvius  III,  2:  Etiamque  angulares  columnse  crassiores 
faciendae  sunt  ex  sua  diametro  quinquagesima  parte,  quod  eae 
ab  aere  circumciduntur  et  graciUorcs  esse  videntur  aspicientibus." 
Wenn  Fumee  die  Gestalt  und  den  Schmuck  der  jonischen 
Säulen  auf  eine   besondere  Absicht  der  Alten  zurückführt,  so 
schöpft  er  wieder  aus  Vitruv.    Dieser  berichtet  IV,  1  die  dorische 
Säule  sei  nach  dem  Bilde  des  männlichen  Körpers  geformt  worden 
und  fährt  dann  fort:     ,,Item  postea  Dianae  constituere  aedem, 
quaerentes  novi  generis  speciem,  iisdem  vestigiis  ad  muliebrem 
transtulerunt  gracilitatem,  et  fecerunt  primum  columnae  crassi- 
tudinem    altitudinis  octava  parte,    ut   haberent   speciem   excel- 
siorem,  basi  spiram  supposueruat  pro  calceo,  capitulo  volutas, 
uti    capillamento    concrispatos    cincinnos   praependentes   dextra 
ac  sinistra  collocaverunt    et  cymatiis   et  encarpis  pro  crinibus 
dispositis,  frontes  ornaverunt,  truncoque  toto  strias,  uti  stolarum 
rugas  matronali  more  demiserunt." 

Fumee:  „Or  combien  que  la  base  se  trouve  simplement  bastie, 
toutefois  ce  chapiteau  est  en  ses  platesbandes  et  demy  bozel  et  demy 
nacelle  tout  couvert  de  menus  ouvrages  de  fleurs  et  quelques  plaisans 
compartimens.  Ce  qui  a  este  invente  ä  ce  que  i'ay  apprins,  par 
les  anciens,  voulans  par  leurs  colonnes  Joniques  representer  de 
heiles  et  ieunes  filles,  faisans  ä  ceste  fin  ces  colonnes  plus  longues 
et  plus  deliees  que  ne  fönt  les  autres  nations  les  leurs;   et  par  ces 

^')  Mir  lat;'  vor  die  Ausgabe  Lug'duni  MDL  11. 


186  Walther  Küchler. 

voluies  ils  ne  vouloyent  representer  que  les  cheveux  ainsi  hien  tressez 
et  pliez  par  cordons  en  formes  de  limagons,  faisans  de  l'une  ä  l'autre 
couler  ces  Bandes  couvertes  de  fleurofis,  comme  signifians  par  icelies 
les  couronnes  de  fleurs  que  leurs  filles  portoyent  en  teste  par  dessus 
leurs  cheveux  d  leurs  festes  et  assemblees  solennelles  (213  b  f.); 
und  indem  er  von  anderen  Säulen  spricht,  die  eine  für  die  frommen 
Frauen  des  Heiligtums  bestimmte  Gallerie  stützen:  .,^La  forme 
de  ses  colonnes  est  composee  d'une  autre  fagon,  encor  qu'elle  soit 
Jonique  comme  est  le  hastiment  du  temple,  duquel  les  colonnes  estans 
plaines^  celles-cy  sont  canelees,  voulans  les  anciens  architectes  par 
ces  caneleures  representer  les  plis  des  robbes  de  leurs  Joniennes"  (222a). 

Abgesehen  von  diesen  Beispielen  direkter  Entlehnung  sind 
auch  die  Angaben  der  Maße  des  Gebäudes,  die  Ausführungen 
über  die  Symmetrie  der  einzelnen  Teile  der  Säulen  und  andere 
Einzelheiten  nach  Vorschriften  des  Vitruvius,  wenn  auch  durch- 
gehends  unter  Zugrundelegung  anderer  Zahlenverhältnisse  ge- 
halten. Übereinstimmungen  mit  den  Anmerkungen  des  Philander, 
wie  Körting  angibt,  habe  ich  nicht  gefunden. 

Die  lange  Beschreibung  ist  außerordentlich  monoton  und 
ermüdend  und  bei  der  Fülle  der  termini  technici  und  wegen  der 
peinlichsten  Pedanterie  in  der  Besprechung  von  Kleinigkeiten 
eher  geeignet  im  Leser  das  Gefühl  der  \'erwirrung  zu  erregen, 
als  eine  klare  Anschauung  von  dem  beschriebenen  Tempel  zu 
gewähren.  Es  hat  ganz  den  Anschein,  als  ob  sie  von  einem 
gelehrt  erscheinen  wollenden  Dilettanten  in  architektonischen 
Dingen,   wie   Fumee  es  unzweifelhaft  war,   verfaßt  worden  ist. 

Macrobius. 

In  seiner  Belehrung  über  die  Penaten  teilt  der  Polet  auch 
folgende  Ansicht  mit:  „Aucuns  ont  voulu  faire  accroire  que  les 
Dieux  Penates  estoyent  ceux^  par  le  moyen  desquels  nous  respirons, 
nous  sommes  faicts  corps  et  ioüyssons  de  raison  .  .  ."  (234  b).  Diese 
Angabe  übersetzt  Fumee  wörtlich  aus  dem  4.  Kapitel  des  3.  Buches 
der  Saturnalien  des  Macrobius:  ,,Qui  diligentius  eruunt 
veritatem,  penates  esse  dixerunt,  per  quos  penitus  spiramus, 
per  quos  habemus  corpus,  per  quos  rationem  animi  pos- 
sedemus." 

Weiter  gibt  der  Po'et  an,  warum  man  den  Manen  Mohnköpfe 
zum  Opfer  darbringt.  Im  7.  Kapitel  des  1.  Buches  der  Satur- 
nalien spricht  man  von  den  Festen  zu  Ehren  der  Laren  und  ihrer 
Mutter,  der  Göttin  Mania.  Es  heißt  dort,  daß  auf  Befragen  über 
die  Art  des  Opfers  das  Orakel  des  Apollo  geantwortet  habe:  „Ut 
pro  capitibus  capitibus  supplicaretur."  Daher  wurden  lange 
Zeit  der  Mania  Kinder  zum  Opfer  gebracht.  Diese  grausame 
Sitte  beseitigte  der  Consul  Junius  Brutus  nach  Vertreibung  des 
Tarquinius  und  ließ  statt  mit  Kinderköpfen  mit  Knoblauch-  oder 


Martin  Fnmee's  Roman  .^Dii  i^ray  et  parfait  amonr".     187 

Mohnköpfen  opfern.  Fumee  spricht  weder  von  der  Göttin  Mania 
noch  von  dem  römischen  Consul.  Er  läßt  den  Laren  selbst 
opfern  auf  Grund  des  doppelsinnigen  Apollo-Orakels.  Statt  des 
Consuls  sind  es  die  Griechen,  welche  das  Orakel  in  menschlicherem 
Sinne  auffassen,  da  sie  wissen,  daß  die  Götter  und  unter  ihnen 
Apollo  keine  Mensclienopfer  verlangen  (S.  235). 

Noch  eine  dritte  Anlehnung  an  Macrobius  findet  sich  in  dem 
Roman. 

Der  Polet  in  seiner  Rede  über  die  Gottheit  spricht  nämlich 
auch  von  dem  der  Minerva,  der  Juno  und  dem  Jupiter  zugleich 
gewidmetem  Tempel  in  Samothrace:  ,,Ainsi  que  nous  pouvons 
remarquer  par  le  temple  de  l'Air  en  Samothrace^  lequel  est  dedie 
d  Juno  et  ä  Minerve ^  attribuans  la  plus  haute  region  de  l'Air  ä 
Minerve,  la  plus  hasse  a  Juno  et  celle  du  millieu  ä  Juppiter,  feignans 
Juppiter  mary  de  Juno  pour  estre  l'air  inferieur  commande  par 
le  superieur,  et  Minerve  sortie  du  cerveau  de  Jupiter,  qui  est  la 
plus  haute  partie  de  l'homme"  (S.  237b).  In  Saturn.  III,  4  heißt  es: 
„Esse  autem  medium  aethera  Jovem,  Junonem  vero  imum 
aera  cum  terra  et  Minervam  summum  aetheris  cacumen.  Et 
argumento  utuntur,  quod  Tarquinius  Demerati  Corintliii  filius, 
Samothracicis  rehgionibus  mystice  imbutus,  uno  templo  ac  sub 
eodem  tecto,  numina  memorata  coniunxit." 

Die  Abweichungen  Fumees  von  Macrobius  sind  leicht  ersicht- 
lich. Bei  keinem  alten,  von  mir  durchgesehenen  Schriftsteller 
sind  die  angeführten  drei  Angaben  zu  finden,  so  daß  wohl  Fumees 
Abhängigkeit  von  Macrobius  anzunehmen  ist. 

Pausanias. 

Für  die  Eindrücke  und  Belehrungen,  die  den  Reisenden  in 
Argos  zuteil  werden,  scheinen  neben  Plutarch  die  Korinthiaca  des 
Pausanias  unserem  Autor  einiges  Material  geliefert  zu  haben.  So 
spricht  z.  B.  Pausanias  in  Kapitel  17  von  Statuen,  die  vor  dem  Ein- 
gang und  im  Vestibül  des  Tempels  aufgestellt  sind,  sowie  von  einer 
Junostatue  aus  Gold  und  Elfenbein,  die  Polycletes  angefertigt 
habe.  Ohne  Zweifel  von  Pausianias  angeregt  schreibt  Fumee: 
,,Ce  temple  de  Juno  est  fort  renomme  et  entre  autres  singularitez, 
qui  y  sont,  il  est  grandement  embelly  et  enrichy  pour  les  statues 
qu'on  y  veoid  taillees  de  la  main  de  Polyclete,  lesquelles  pour  l'art 
de  sculpture  surpassent  Celles  qu'on  trouve  avoir  este  faictes  par 
le  sculpteur  Phidias"  .^^) 

Von  den  Opfergaben  erwähnt  Pausanias  einen  aus  Gold 
und  Edelsteinen  verfertigten  Pfau.  Fumee  läßt  seine  Personen 
neben  Hammeln  und  Tauben  auch  Pfauen  zum  Opfer  dar- 
bringen. 

«8)  S.  372b. 
Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII%  13 


188  Walther  Küchler. 

Schließlich  spricht  er  noch  nach  Pausanias  (II,  15)  von  der 
Feindschaft  der  Argier  gegen  Mykene  und  von  der  Zerstörung 
dieser  Stadt  durch  die  Argier  in  einem  günstigen  Augenblicke.^^) 

Den  Kampf  der  Frauen  von  Argos  gegen  Cleomenes,  den 
Pausanias  ebenfalls  kurz  erwähnt,  erzählt  er,  wie  wir  sahen, 
nach  Plutarch. 

Apollodorus. 

Auch  Pausanias  erzählt  im  8.  Kapitel  des  2,  Buches  seines 
Werkes  die  Sage  von  Melampus,  der  die  Frauen  von  Argos  vom 
Wahnsinn  geheilt  habe  um  den  Preis  der  Teilung  des  Reiches 
zwischen  dem  Könige  Anaxagoras,  ihm  selbst  und  seinem  Bruder 
Bias.  Aber  Fumee,  der  diese  Sage  in  seinem  Roman  vorbringt,^^) 
ist  nicht  seiner  Fassung,  sondern  der  Überheferung,  die  Apollo- 
dorus im  2.  Kapitel  des  2.  Buches  seiner  Bibhothek  gegeben  hat, 
gefolgt,  wie  eine  Gegenüberstellung  der  beiden  Texte,  die  aber 
bei  der  geringen  Bedeutung,  die  die  Erzählung  der  Sage  in  der 
Ökonomie  des  Romans  einnimmt,  nicht  nötig  ist,  erweisen  würde. 

Auch  den  Danaemythus,  den  Fumee  auf  der  gleichen  Seite 
erzählt,  macht  er  sich  im  wesentlichen  nach  der  von  Apollodor 
im  4.  Kapitel  desselben  Buches  mitgeteilten  Fassung  zu  eigen. 
Kleine  Abweichungen  finden  sich,  so  eine  wohl  absichtlich  ratio- 
nalistischer Art.  Den  Goldregen  des  Jupiter  nämlich,  der  nach 
dem  Bericht  des  Apollodor  Danae  verführt,  wandelt  er  in  Gold, 
mit  dem  der  Wächter  der  eingeschlossenen  Jungfrau  von  einem 
Liebhaber  bestochen  wird. 


Mit  den  angeführten  Beispielen  ist  die  Summe  der  Ent- 
lehnungen aus  antiken  Schriftstellern  bei  weitem  nicht  erschöpft. 
Es  sind  nur  angegeben  worden  die  Quellen,  von  denen  mit  Be- 
stimmtheit gesagt  werden  konnte,  daß  sie  dem  Verfasser  un- 
mittelbar vorgelegen  haben  müssen,  als  er  seinen  Roman  schrieb, 
oder  solche,  an  die  er  sich  so  genau  erinnerte,  daß  er  sie  ungefähr 
so  wiedergab,  wie  er  sie  kennen  gelernt  hatte.  Alle  für  die  Kom- 
position des  Romans  wichtigen  Quellen  sind  bei  dieser  Beschrän- 
kung nach  ihrer  Herkunft  und  der  Art  ihrer  Verwendung  auf- 
gewiesen worden.  Alle  Entlehnungen  aus  dem  Altertum,  die 
sich  in  dem  Roman  finden,  anzugeben,  würde  zu  weit  führen. 
Es  wäre  auch  gänzlich  überflüssig;  denn  daß  einem  Schriftsteller 
der  Renaissance  das  Schrifttum  der  Antike  aufs  innigste  vertraut 
ist,  ihm  bei  seiner  Tätigkeit  unaufhörhch  Motive  und  Gedanken, 
Tatsachen  und  stilistische  Wendungen  liefert,  ist  eine  altbekannte 
Sache  und  hätte  nicht  noch  einmal  an  einem  neuen  Beispiel 
gezeigt  zu  werden  brauchen.    So  sind  denn  viele,  nur  eben  flüchtig 

8»)  S.  377. 
90)  S.  375a  f. 


Martin  Fumee's  Roman  ,,Dii  vray  et  parjait  amour".     189 

auftauchende  und  wieder  verscliwindende  Reminiszenzen  aus  dem 
Altertum,  die  dem  Autor  auf  den  verschiedensten  Wegen  hatten 
zugehen  können,  die  etwa  schon  ein  allgemeines  Gut  der  Gebildeten 
geworden  waren  und  von  ihm  verwertet  worden  sind,  ohne  daß 
man  an  eine  ihm  im  AugenbUck  gegenwärtige  Quelle  zu  denken 
hat,  nicht  mit  berücksichtigt  worden.  Um  das  Bild  des  Romans, 
das  man  sich  nach  den  genannten  Quellen  vielleicht  gemacht 
hat,  zu  vervollständigen,  genügt  es,  sich  vorzustellen,  daß  zu  den 
behandelten  Entlehnungen  noch  eine  ganze  Reihe  von  anderen 
kleinen  und  kleinsten  hinzutreten,  die  zwai-  irgend  welche  neuen 
Gesiclitspunkte  für  das  Verständnis  des  Werkes  nicht  mehr  hinzu- 
fügen, von  denen  eine  jede  aber  mit  dazu  beiträgt,  jenen  anti- 
kisierenden Hauch  zu  verstärken,  der  über  das  ganze  Werk  aus- 
gebreitet liegt. 

Eine  besondere  Art  von  Quelle  darf  jedoch  noch  Anspruch 
auf  Erwähnung  machen.  Das  ist  die  geographische  Karte. 
Mit  peinlicher  Gewissenhaftigkeit  verzeichnet  Fumee  jedesmal, 
wenn  sich  ihm  die  Gelegenheit  bietet,  den  Reise  weg  seiner 
Personen,  gibt  er  genau  die  Lage  der  Örtlichkeiten  an,  die  sie 
berühren.  Neben  dem  Studium  geographischer  Werke  hat  ihm 
zur  unmittelbaren  Anschauung  der  geographischen  Verhältnisse 
unzw^eifelhaft  die  Benutzung  von  Atlanten  verhelfen . 

M  acch  i  a  ve  lli. 

An  die  Schilderung  der  beiden  ersten  Tage  des  Triumph- 
zuges des  Paulus  ^Emilius  durch  Melangenie  knüpft  Charide  eine 
Betrachtung  allgemein-geschichthchen  Charakters  an.  Sie  wundert 
sich  nicht,  daß  die  Römer  tägüch  ihre  Macht  weiter  ausbreiten, 
da  sie  den  Ruhmespreis  des  Triumphzuges  ihren  Heerführern 
als  Belohnung  verleihen.  Denn  nichts  lasse  uns  das  Leben  mehr 
verachten  und  sporne  besser  zu  den  schwierigsten  Dingen  an  als 
der  Ruhm.  Wenn  wir  Griechen,  so  vergleicht  sie  schmerzHch, 
ebenso  gehandelt  hätten,  anstatt  unseren  Ruhm  auf  die  Wagen- 
rennen zu  gründen,  so  wäre  die  Macht  der  Römer  jetzt  nicht  so 
ausgebreitet  in  unserem  Lande . . .  Wir  haben  auch  in  Griechen- 
land tapfere  Feldherrn  gehabt,  aber  die  Belohnung  für  ihre  kriegeri- 
schen Taten  ist  immer  sehr  mager  gewesen;  denn  unsere  Vor- 
fahren glaubten,  ein  Feldherr  dürfe  sich  nur  durch  den  Willen 
nach  Recht  und  Gerechtigkeit  leiten  lassen.  So  und  noch  weiter 
philosophiert  —  ein  wenig  aus  der  Rolle  der  schüchternen  Jung- 
frau und  sentimentalen  Liebhaberin  fallend  —  die  kleine  Charide 
(204b  f.). 

Fumee  kann  wohl  aus  sich  selbst  diese  Betrachtung  gezogen 
haben.  Immerhin  darf  darauf  aufmerksam  gemacht  werden, 
daß  Macchiavelli  in  seinen  ,,Discorsi  sopra  la  prima  deca  di 
T.  Livio",   und   zwar  Buch  I,  Kap.  28  und  29,  Rom  und  Athen 

13* 


190  Walther  Küchler. 

einander  gegenüberstellt,  was  die  Belohnungen  angeht,  die  beide 
Staaten  ihren  Heerführern  zukommen  ließen. 

Francesco  Colonna. 

In  einer  handschriftlichen,  wohl  aus  dem  achtzehnten  Jahr- 
hundert stammenden  Notiz,  welche  in  einem  auf  der  Pariser 
Nationalbibliothek  befindhchcn  Exemplar  des  Romans  enthalten 
ist,  heißt  es  unter  anderen  Bemerkungen:  L'auteur  est  vraisem- 
hlahlement  Giiillaume  Filandrier,  au  moins  des  descriptions  d'Archi- 
tecture  et  peut-etre  du  tout  ä  Vimitation  de  Francesco  Colonna. 

Der  Roman  Fumees  ist  sicher  keine  Nachahmung  der 
„Hypnerotomachia  di  Poliphilo"  des  Francesco  Colonna.  Doch 
ist  es  nicht  ganz  unmöglich,  daß  Fumee  an  das  Beispiel  dieses 
Romans  gedacht  hat,  als  er  in  sein  Werk  die  architektonischen 
Teile  und  die  Beschreibungen  von  Kunstwerken  einführte.  In 
dem  auch  in  Frankreich  viel  vorbreiteten  Werke  des  Italieners 
finden  sich  in  reicher  Fülle  halb  wissenschafthch-theoretisch, 
halb  künstlerisch-anschaulich  gegebene  Beschreibungen  von  Bau- 
werken, Statuen  und  Bildern.  Irgend  welche  Berührungen  aber 
in  der  Anlage  des  Ganzen  oder  in  einzelnen  Beschreibungen 
sind  nicht  zu  entdecken.  Von  einem  greifbaren  Einfluß  Colonnas 
auf  Fumee  kann  also  keine  Rede  sein.  Der  Sinn  für  Kunst 
und  künstlerische  Beschreibung  war  diesem  Zeitalter  an  und 
für  sich  eigen. 

Eine   alchimistische  Allegorie. 

Auf  der  Reise,  die  Theogenes  und  Charide  nach  allen  glück- 
lich überstandenen  Gefahren  der  Heimat  zuführt,  erzählt  Theo- 
genes seiner  Braut  als  Wegkürzung  von  einem  seltsamen  Schau- 
spiel, das  einer  der  Großen  des  Scythenreichs  eines  Abends  in 
seinem  Zelte  habe  aufführen  lassen. 9^) 

Dieses  Schauspiel  hat  folgenden  Inhalt:  Der  Gott  Apollo 
tritt  auf,  mit  schöngekämmtem,  bis  auf  die  Schultern  herab- 
hängendem, blondem  Haar  und  spricht  einige  dem  zuschauenden 
Theogenes  unverständUche  Worte.  Bald  darauf  erscheint  unter 
einem  weißen  Schleier  ein  Dämon  ^.palpable  ce  sembloit-il,  toutefois 
ne  se  pouvoit  il  arrester".  Blitzschnell  nähert  er  sich  dem  Gotte 
und  sogleich  ist  es  dem  Zuschauer  —  täuscht  ein  Trug  seine 
Augen  —  als  ob  Apollo  verschwunden  wäre  und  nur  der  Dämon 
noch  übrig  bliebe.  Dann  kommt  Vulcan  herbei,  offenbar  in  der 
Absicht,  Apollo  zu  rächen;  denn  er  fährt  den  Dämon  mit  heftigen 
Worten  an,  so  daß  dieser  augenbückhch  verschwindet  und  Apollo 
wieder  sichtbar  wird.     Dieses  dem   Zuschauer  gänzHch  unver- 

81)  S.  345b  ff. 


Martin  Fumee's  Roman  ,^Du  i>raij  et  parfail  amour".     191 

ständliche  Schauspiel  wiederholt  sich  fünf-  oder  sechsmal.  Nach 
dem  letzten  Mal  sieht  Apollo  ganz  hinfälHg  aus,  obwohl  sein 
Teint  derselbe  gebUeben  ist.  Er  deutet  mit  Gesten  an,  daß  er 
sich  ganz  gebrochen  fühle.  Der  Dämon  ist  aber  noch  nicht 
zufrieden  mit  seinem  Werke,  er  erscheint  von  neuem  mit  einem 
von  einem  langen  gelben  Gewände  über  und  über  bedeckten 
Kameraden,  und  beide  bearbeiten  Apollo  dermaßen,  daß  er  wieder 
ganz  unsichtbar  wird.  Wieder  eilt  Vulcan  zu  Hilfe  und  zwingt 
die  beiden  Dämonen  zur  Flucht.  Apollo  zeigt  sich,  schwächer 
als  je,  nicht  mehr  fähig,  sich  vom  Boden  zu  erheben.  Da  er- 
scheint Aesculap.  Der  läßt  sogleich  ein  Bad  von  gewissen,  aus 
gereinigtem  Sand  der  cyrenäischen  Wüste  bereiteten  Droguen 
zurichten.  Mit  diesem  Bade  wird  Apollo  vor  einem  Feuer  mehrere 
Male  gesalbt  und  eingerieben  und  ebenso  oft  wird  er  wieder 
abgetrocknet.  Dann  legt  man  ihn  für  einige  Zeit  in  ein  kaltes 
Bad  „faict  des  excremens  de  Bacchus".  In  diesem  Bad  wird 
Apollo  immer  kleiner  und  zerschmilzt  wüe  Schnee  an  der  Sonne, 
derart,  daß  seine  Substanz  sich  überall  in  dem  Wasser  verbreitet. 
Dieser  eigentümliche  Erfolg  seiner  Kur  macht  den  Arzt  gar  nicht 
irre,  er  ist  vielmehr  seiner  Sache  sehr  sicher  und  läßt  das  Bad 
so  oft  wiederholen  als  der  Kranke  vorher  gewaschen,  gerieben 
und  getrocknet  worden  war.  Schließlich  wird  das  gesamte  Bade- 
wasser mit  Hilfe  eines  kleinen  Feuers  erwärmt,  all  die  Feuchtig- 
keit" verschwindet  und  Apollo  erscheint  getrocknet,  aber  noch 
schwächer  von  all  den  Waschungen  und  Salbereien.  Theogenes 
hält  ihn  für  verloren  und  wundert  sich  nur,  wie  man  in  diesem 
Lande  dazu  komme,  dem  Volke  den  Tod  eines  Gottes  vorzuführen, 
da  doch  die  Götter  für  unsterblich  gehalten  werden.  Aber  er 
sollte  sich  täuschen.  Denn  der  Arzt  ruft  den  Sohn  der  Luft  und 
des  Mondes  herbei,  der  ihm  übergibt  ,,dii  plus  beau  et  plus 
precieux  qui  fut  en  soy".  Dieses  geheimnisvolle  Etwas  des 
geheimnisvollen  Wesens  gibt  Aesculap  dem  Apollo  zu  ver- 
schlucken, der  durch  dieses  Mittel  sofort  seinen  lebendigen 
und  wunderschönen  Teint  wiedergewinnt,  aifec  une  teile  pleni- 
tude  de  vie  que  se  communicquant  en  tel  estat  aux  malades 
et  decrepits,  il  les  remettoit  en  meiUeure  disposition  qu'ils 
n'acoient   este." 

Damit  ist  das  Schauspiel  zu  Ende,  und  es  ist  dem  Theogenes 
wohl  zu  glauben,  wenn  er  versichert,  daß  der  Sinn  dieser  Vor- 
führung ihm  ein  Geheimnis  geblieben  sei. 

Auch  mir  blieb  die  Bedeutung  des  Rätsels  verschlossen,  bis 
ich  sie  in  der  oben  erwähnten  handschriftlichen  Notiz  fand.  Es 
steht  da  zu  lesen: 

Clef  pour  les  Chimistes. 
Apollon  —  L'or 
Daimon  —  le  mercure 


192  Walther  Küchler. 

Vulcan  —  le  feu  de  la  naiiire  et  le  feii^-) 

Vetement  blond  —  le  soiifre 

Drogiies  des  sahlons  de  la  coiitree  Cyrenaique  —  sei  Ammoniac 

Excrement  de  Bacchus  —  Tartre 

fils  de  l'air  et  de  la  liine  —  Rosee 

Apollon  plein  de  de  —  Grand  ceiivre  et  Vor  jin 

Aesciilape  —  Vartiste. 

Wir  haben  es  also  in  jenem  Schauspiel  unter  dem  Scythenzelt 
mit  einer  allegorischen  Einkleidung  des  großen,  göttlichen  Werkes 
zu  tun,  an  dem  Jahrtausende  hindurch  die  Alchimisten  gearbeitet 
haben.  Genau  nach  den  Vorschriften,  wie  sie  die  alchimistischen 
Schriftsteller  in  ihren  Werken  geben,  vollzieht  sich,  ihrer  Allegorie 
entkleidet,  die  Prozedur,  die  Fumee  schildert.  Die  äußerliche 
Vernichtung  Apollos  und  seine  Wiederbelebung  bedeutet  nichts 
anderes,  als  etwa  die  in  einem  dem  Avicenna  zugeschriebenen 
Traktat  enthaltene  Forderung  ,,ut  corporeum  fiat  spirituale 
sublimando  et  cum  est  spirituale,  fiat  iterate  corporeum  des- 
cendendo".''^)  Bei  Hermes  Trismegistus  in  der  Übersetzung 
Berthelots:  ,,»^1  ta  ne  depouilles  pas  les  corps  de  leur  nature  cor- 
porelle  et  si  tu  ne  donnes  pas  une  nature  corporelle  aux  etres  in- 
corporelles,  rien  de  ce  que  tu  attends  n'aura  lieu."^^) 

Allegorische  Darstellungen  des  Goldmachens  finden  sich 
bei  alten  und  neuen  alchimistischen  Schriftstellern.  So  z.  B.  bei 
Zosima,  wie  sie  Berthelot  in  seiner  Sammlung  mitteilt^^),  oder 
in  dem  Werkchen  von  Zachaire:  Opuscule  tres-excellent  de  la 
vraye  philosophie  naturelle  des  Metaulx,  traictant  de  V augmentation 
et  perfection  d'iceux,^^)  dessen  letzter  Teil  die  Überschrift  trägt 
Cy  commence  la  tierce  partie,  en  laquelle  L'aucteur  monsire  la 
praclique  soubz  allegorie.  Keine  der  mir  bekannten  Allegorien 
entspricht  genau  der  von  Fumee  erzählten,  aber  es  kann  gar 
kein  Zweifel  sein,  daß  Fumee  mit  der  Geheimsprache  der  Al- 
chimisten, welche  die  Metalle,  Salze  und  die  anderen  dem  Werke 
dienenden  Körper  z.  T.  mit  antiken  Götternamen  belegten. 
vertraut  war,  ebenso  wie  mit  den  geheimnisvollen  Allegorien, 
die  ihre  Werke  enthalten. 

Der  unbekannte  \'erfasser  der  handschriftlichen  Eintragung 
setzt  seine  Notiz  noch  mit  einigen  Bemerkungen  fort,  aus  denen 
hervorgeht,  daß  er  Guillaume  Philander  für  den  wahrscheinlichen 

^2)  So  lese  ich  die  an  dieser  Stelle  nicht  ganz  deutliche  Handschrift. 

^^)  Bibl.  ehem.  de  Mangel  1.  I.  p.  629;  nach  Berthelot:  Collection 
des  anciens  alchimistes  grecs  t.  II.  p.  124  (Paris  1888). 

»*)  Ebda. 

»5)  T.   II  p.   125  ff. 

^®)  Lj'on  1574  in-K)**,  darin  enthalten  auch  der  ,,naicte  de  vene- 
rahle  docteur  Allemant  Messirc  Bernard  Conte  de  la  Marche  Trevisane 
sur  le  mesme  subiect,  in  dessen  4.  Teil  der  Autor  ebenfalls  ,,wn  peu 
paraboliquement"  von  der  pratique  spricht. 


Martin  Fiimee's  Roman  „Du  vray  et  parjait  amour".     193 

Verfasser  des  Romans  hält.  Anhänger  dieser  Theorie  könnten 
eine  Bestätigung  für  sie  finden  in  der  weiteren,  auf  dem  Büchlein 
von  Zachaire  fußenden  Bemerkung  „on  faisoit  de  la  Chimie  chez 
le  Cardinal  d'Armagnac  ainsi  qiie  de  l'architecture."  Tatsächlich 
erzählt  Zachaire,  daß  er  sich  mit  einem  Abbe  aus  der  Nähe  von 
Toulouse  zusammengetan  habe,  qui  disoit  avoir  Ic  double  d'une 
recepte  pour  faire  nostre  grande  oeuvre,  que  un  sien  amy  qui  suyvoit 
le  Cardinal  d'Armaignac  luy  avoit  envoye  de  Rome.  Aber  dieses 
Zusammentreffen  braucht  uns  durchaus  nicht  zu  veranlassen 
auch  den  Verfasser  des  Romans  in  der  Umgebung  des  für  Kunst 
und  Wissenschaft  begeisterten  Kardinals  zu  suchen. 

Auch  Martin  Fumee  war  ein  Mensch  der  Renaissance,  fähig 
in  sich  aufzunehmen  und  auf  seine  Weise  zu  verarbeiten,  was 
an  geistigem  Gehalt  sie  mit  sich  führte. 


Die    Art    der    Entlehnungen    aus   dem   Altertum. 

In  überraschend  reichem  Maße,  das  hat  die  Untersuchung 
bisher  gelehrt,  durchdringt  das  Altertum  den  Roman.  Eine 
Fülle  von  Kenntnissen  und  Anregungen,  die  er  aus  antiken 
Autoren  gewonnen  hat,    verarbeitet   Fumee  in  seinem  Werke. 

Plutarch,  Herodot,  Livius,  Quintus  Curtius,  Procop,  Vitruvius, 
Macrobius,  Pausanias  und  Apollodor  haben  sich  als  die  mit 
Sicherheit  festzustellenden  antiken  Autoren  erwiesen,  aus  denen 
Fumee  für  die  Komposition  seines  Romans  Elemente  in  mehr 
oder  minder  größerer  Anzahl  verwendet  hat. 

Ihnen  gegenüber  hat  er  aus  neueren  Quellen  so  gut  wie  nichts 
geschöpft.  Möglicherweise  hat  ihn  der  Roman  des  Francesco 
Colonna  angeregt  auch  in  seinem  Roman  der  Wissenschaft  der 
Architektur  einen  Platz  einzuräumen,  sicher  haben  ihm  auch 
moderne  alchimistische  Schriften  die  Idee  zu  der  allegorischen 
Darstellung  des  großen  W^erkes  gegeben,  vielleicht  hat  ihm 
auch  einmal  eine  Erinnerung  an  Macchiavelli  vorgeschwebt, 
aber  der  Kern  des  Romans  bleibt  von  direkten  Entlehnungen 
aus  neueren  Schriftstellern  so  gut  wie  frei. 

Verschieden  wie  die  Zahl  der  den  einzelnen  Autoren  ent- 
nommenen Entlehnungen,  ist  auch  der  Grad  des  Anschlusses, 
den  die  verschiedenen  Quellen  an  den  Roman  gefunden  haben. 
Manche  sind  fast  wörtlich  verwertet,  manche  sind  weitläufiger 
ausgeführt,  manche  sind  kürzer  behandelt  worden.  Manche 
müssen  dem  Verfasser  textlich  während  der  Bearbeitung  vor- 
gelegen haben,  manche  sind  wohl  aus  dem  Gedächtnisse  heran- 
gezogen worden. 

Der  innere  Zusammenhang,  den  die  Quellen  mit  der  Kom- 
position des   Romans  eingegangen  sind,  ist  ebenfalls  sehr  ver- 


194  Walther  Kückler. 

schieden.  Eine  große  Menge  bleibt  äußerliches  Beiwerk.  Sie 
erscheinen  als  lose  aufgesetzte  Anekdote,  als  historische,  geo- 
graphische, naturwissenschaftliche,  mythologische  Belehrung,  ohne 
jede  Verbindung  mit  der  Handlung  oder  mit  dem  äußeren  oder 
inneren  Leben  der  Personen.  Andere,  ohne  ihren  belehrenden 
Charakter  zu  verleugnen,  sind  doch  unzertrennUch  mit  der  Hand- 
lung und  mit  dem  Wesen  der  Personen  verknüpft  worden.  Sie  sind 
zu  Reden  oder  Gesprächen  in  bestimmten  Situationen  zu  be- 
stimmten Zwecken  geworden,  sie  geben  Aufschluß  über  Über- 
zeugungen, Ansichten  und  Gefühle,  die  das  Innenleben  ihrer 
Träger  erschließen.  Wieder  andere  sind  zu  Impulsen  des  Ge- 
schehens geworden  oder  begleiten  die  äußeren  Handlungen  mit 
pittoresker  Anschaulichkeit.  In  den  letzteren  Arten  ihrer  Ver- 
wendung gehören  sie  zu  den  wichtigsten,  die  Eigenart  des  Romans 
wesentlich  mit  bestimmenden  Elementen  des  Werkes. 


Das   geschichtliche   Element   in   dem    Roman. 

Unter  allen  Romanen  seiner  Zeit  wird  unserem  Roman 
dadurch  eine  eigenartige  Stellung  gewährleistet,  daß  der  Ver- 
fasser seine  Handlung  auf  einem  geschichthchen  Hintergrund 
sich  erheben  läßt.  Aus  den  großen  geschichtlichen  Ereignissen 
ihrer  Zeit  wachsen  die  Schicksale  der  Personen  heraus.  Die 
Wechselfälle  des  Römerkriegs  gegen  Perseus  von  Mazedonien 
haben  Charide  nach  Rom  geführt.  Der  gleiche  Krieg  hat  dem 
Theogenes  die  Waffen  in  die  Hände  gedrückt  und  ihn  ebenfalls 
in  die  Gefangenschaft  nach  Rom  gebracht.  Bei  einem  historischen, 
genau  in  seinem  wirklichen  Verlauf  und  Milieu  geschilderten 
Ereignis  erblickt  Charide  unverhofft  den  gefangenen  Geliebten. 
Die  Loslösung  des  Theogenes  durch  seinen  Vater  wird  fast  zu 
einer  Staatsangelegenheit  aufgebauscht,  bei  deren  Verhandlung 
das  ganze  Verhältnis  der  Römer  zu  den  Staaten  der  griechischen 
Halbinsel  aufgerollt  wird  und  zw^ar  nach  genauen  geschichtlichen 
Quellen.  Die  Großmut  des  römischen  Senats  gegenüber  der 
erfundenen  Person  des  Romans  erscheint  so  gewissermaßen  nur 
als  ein  Glied  in  der  Kette  der  Beziehungen,  welche  Rom  mit 
seinen  Freunden  und  Bundesgenossen  verbindet. 

So  steht  das  äußere  und  innere  Leben  der  Personen,  ihr 
Tun,  ihr  Leiden  und  ihr  Gefühl  in  inniger,  dem  Leser  immer 
wieder  zum  Bewußtsein  gebrachter  Verknüpfung  mit  diesem 
Krieg,  seinen  Wechselfällen  und  Rückwirkungen.  Und  ebenso 
ist  Melangenies  Leben  durch  die  hohe  Politik  bestimmt  worden. 
Hannibals  endliches  Unterliegen  schleuderte  sie  aus  den  ruhigen 
Bahnen  ihres  Lebens,  und  die  sardinische  Empörung  ließ  sie  für 
manche  Jahre  ein  Asyl  als  Dienerin  im  Hause  des  römischen 
Prätors  finden. 


i 


Martin  Fumee's  Roman  ,,l)u  vraij  et  parfaü  amoiir",     195 

Überall  haben  wir  es  in  den  Grundlinien  des  Lebens  unserer 
Personen  mit  klaren,  auf  historisch-wahren  Voraussetzungen 
beruhenden  Verhältnissen  zu  tun,  mögen  dann  auch  im  einzelnen 
die  abenteuerlichen  Zutaten  sich  einstellen. 

Neben  den  bedeutenden  historischen  Persönlichkeiten  und 
Erlebnissen,  mit  denen  die  erfundenen  Personen  des  Romans  in 
Berührung  gebracht  werden,  ist  es  eine  große  Reihe  von  kultur- 
historischen Einzelheiten,  welche  dem  Roman  eine  gewollt 
antikisierende  Färbung,  den  Eindruck  der  Echtheit  und  Wirk- 
lichkeit des  Milieus  verleiht.  Die  enge  Verknüpfung  mit  dem 
alltägUchen  Leben,  die  der  Verfasser  den  Begebenheiten  des 
Romans  zu  geben  gewußt  hat,  gibt  ihm  häufig  Gelegenheit, 
Sitten  und  Gebräuche  zu  schildern,  kleine  Gewohnheiten  zu 
berühren,  deren  Existenz  ihm  aus  seiner  Kenntnis  des  Altertums 
geläufig  war.  Die  Schilderung  zweier  von  Octavius  veranstalteten 
Gastmähler,  die  Versuche,  Einrichtung,  Würde  und  Aufgaben  des 
römischen  Senats  erkennen  zu  lassen,  Opfer  und  Gebet  der 
Charide  am  Altar  der  Laren,  sowie  die  häufig  erwähnten  Opfer 
und  Gebete  aller  Personen  in  den  Tempeln  der  Götter,  das  un- 
ablässige Hineinspielen  so  mancher  mythologischer,  historischer 
und  dichterischer  Erinnerungen  in  die  gewöhnliche  Rede,  solche 
und  viele  andere  Dinge  geben  zwar  keine  besonders  tiefe  und 
umfassende  Anschauung  vom  Leben  und  Empfinden  der  Um- 
welt, in  der  die  Personen  sich  bewegen,  aber  sie  sind  doch  als 
Anfänge  des  Aufmerkens  auf  die  durchschnittliche  Kultur  einer 
vergangenen  Zeit  und  der  Verwertung  dieser  Beobachtung  für 
die  Erzählungskunst  entschieden  zu  beachten. 

Die  Echtheit  des  historischen  Milieus  wird  allerdings  dadurch 
gleich  wieder  in  Frage  gestellt,  daß  die  Personen,  die  so  in  einer 
bestimmten  Zeit  lebend  gedacht  werden,  von  religiösen,  philo- 
sophischen und  moralischen  Vorstellungen  erfüllt  sind,  die  erst 
Jahrhunderte  später  in  das  Bewußtsein  der  Menschen  gelangten. 
Was  an  Religionsphilosophie  und  Moral  in  dem  Roman  steckt, 
das  hat  Fumee  aus  Plutarch  genommen,  der  um  die  Wende  des 
ersten  und  zweiten  Jahrhunderts  n.  Chr.  lebte,  während  der 
Krieg  gegen  Perseus  von  Mazedonien  in  den  Jahren  171 — 168 
V.  Chr.  ausgefochten  wurde. 


Die    Bedeutung   Plutarchs    für   den    Roman. 

Seine  R  e  1  i  g  i  o  n  s  p  h  i  1  o  s  o  p  h  i  e. 

Immerhin  stört  dieser  Anachronismus  nicht  allzusehr.  Das 
Historische  bezieht  sich  auf  Äußerlichkeiten  des  Lebens  und  der 
Geschicke  der  Menschen,  das  Philosophische  und  Religiöse  auf 
die   Innerlichkeit  ihrer  Gedanken  und   Gefühle.     Diese  beiden 


196  Walther  Küchler. 

AVeiten  gehen  im  Roman  nebeneinander  her,  ohne  sich  gegen- 
seitig zu  stören.  Dem  Kenner  der  Geschichte  wird  zwar  ihre 
innere  Unvereinbarkeit  klar,  aber  der  Roman  verschmilzt  sie 
ohne  Schwierigkeiten. 

Betrachtet  man  die  Entlehnungen,  die  Fumee  aus  Plutarch 
in  religionsphilosophischer  Hinsicht  macht,  so  findet  man,  daß 
er  mit  sicherem  Blick  das  Wesen  der  Plutarchischen  Theologie 
erkannt  und  demgemäß  in  seinem  Roman  verarbeitet  hat.  „Ein 
reiner  und  würdiger  Gottesbegriff,  eine  dualistische  Weltanschau- 
ung und  im  Zusammenhang  damit  der  Glaube  an  Offenbarungen 
der  Gottheit  und  an  Wesen,  die  sie  vermitteln,'"  das  sind  nach 
Eduard  Zeller'-^^)  die  hervorstechendsten  Züge  der  an  Plato  und  an 
den  Neupythagoreismus  sich  anschließenden  Theologie  Plutarchs. 
Gott  ist  gedacht  als  das  ewige  und  einheithche  Wesen,  als  das 
Gute,  welches  alle  Vollkommenheit  in  sich  hat  und  in  neidlosem 
Wohltun  sich  allen  mitteilt,  als  die  Vernunft,  deren  versorgendes 
Walten  sich  auf  Alles  erstreckt.  Den  Göttern  haften  keine 
menschhchen  Schwächen  und  Leidenschaften  an,  auch  die  physi- 
kalische Deutung  der  Mythen,  die  Übertragung  der  Götternamen 
auf  Elemente  und  Naturereignisse,  streitet  nicht  mit  der  Natui- 
des  Göttlichen. 

Diese  Auffassung  von  dem  höchsten,  unsichtbaren  und 
ewigen  Gott  der  Güte,  von  den  unter  ihm  stehenden,  von  ihm 
geschaffenen  übrigen  Göttern  und  der  Glaube  an  die  Dämonen 
als  die  in  der  Mitte  zwischen  der  Gottheit  und  den  Menschen 
lebenden,  höheren  Geister  der  Luft  ist  in  den  von  Plutarch  ge- 
gebenen Grundzügen  in  den  Roman  übergegangen. 

Christhche  Vorstellungen  hat  Fumee  in  seine  religiösen 
Betrachtungen  nicht  hineingetragen.  Höchstens  könnte  man 
erwähnen,  daß  in  äußerlicher  Weise  die  Schilderung  des  Lebens 
der  Priester  und  der  frommen  Frauen  im  Heiligtum  des  Jupiter 
Ammon  in  einzelnen  Zügen  christlich-mönchische,  nonnenhafte 
Färbung  erfährt. 

Auch  jener  gemilderte  Stoizismus,  der  die  Philosophie 
Plutarchs  durchzieht  und  sich  mit  dem  Ideahsmus  Piatos  und 
der  aristotelischen  Vernunftlehre  verbindet,  ist  in  Fumees  Werk 
wieder  anzutreffen  und  besonders  in  der  Persönlichkeit  und  in 
den  Reden  des  Octavius  und  der  Melangenie  nachzuweisen. 

Daß  auch  die  im  Roman  geltende  Auffassung  der  Liebe 
zwar  auf  Piatos  Liebesbegriff  zurückgeht,  aber  in  ihrem  lehrhaften 
Ausdruck  nicht  unmittelbar  auf  ihren  Schöpfer,  sondern  auf 
Plutarchische  Bearbeitung  zurückzuführen  ist,  hat  die  Unter- 
suchung gezeigt. 


^')   Die    Philosophie    der    Griechen    in    ihrer    geschichtlichen    Ent- 
•icklung.    Dritter  Teil,  zweite  Abteilung  p.  183.    Vierte  Auflage  (1903). 


Martin  Fumee's  Roman  „Du  vray  et  parfait  amour" .     197 

Dio  Römer  tugend. 

Durcli  dio  Lektüre  Plutarchs  ist  schließlicli  ein  Gefühl  in 
unserem  Autor  ausgelöst  worden  und  in  seinen  Roman  über- 
gegangen, das  in  der  Folgezeit  von  großer  Bedeutung  für  die 
französische  Literatur,  besonders  für  dio  Tragödie,  geworden  ist. 
Das  ist  das  Gefühl  der  Bewunderung  für  Römergröße,  der  Sinn 
für  Römertugend.  Es  ist  ganz  offenbar,  daß  dio  Gestalt  des 
Praetors  Cn.  Octavius,  wie  sie  im  Roman  erscheint,  unter  dem 
Einfluß  dieser  von  Plutarch  verbreiteten  Begeisterung  für  das 
Römertum  aufgefaßt  ist.  Octavius  erscheint  als  der  ideale,  edle 
Römer.  So  etwa  wie  Paulus  Aemilius  von  Plutarch  geschildert 
ist,  charakterisiert  ihn  Fumee.  Plutarch  kennzeichnet  die  Natur 
des  Paulus  Aemilius  als  „doulce  et  humaine".  Er  rühmt  die 
,,Uberalite  et  magnanimite"  seines  Geistes,  die  Sorge,  mit  der  er 
sich  um  das  Wohl  seiner  Soldaten  und  um  das  Schicksal  der 
Besiegten  kümmert. 

Nicht  anders  ist  Octavius  von  Fumee  gedacht.  Noch  ehe 
wir  ihm  selbst  im  Roman  begegnen,  singen  Diener  und  Dienerinnen 
das  Lob  seiner  edlen  Gesinnung.  Melangenie  verheißt  der  Charide, 
daß  sie  bald  kennen  lernen  werde  seine  Tugend  „accompagnee 
de  ioute  doulceur  et  coiirtoysie" .  Obwohl  die  Freilieit  des  Krieges 
es  ihm  gestattet  hätte  und  obwohl  ihre  Jugend  und  Schönheit 
ihn  hätten  verlocken  können,  so  habe  er  doch  nie  ihre  Ehre 
anzutasten  versucht.  In  seiner  Enthaltsamkeit  folge  er  nur 
dem  allgemeinen  Beispiel;  denn  ,,/a  continence  des  Capitains 
Romains  excede  en  cela  les  autres  nations^  ne  se  licentians  en  aiicune 
chose  indigne  de  vertu,  non  plus  d  la  guerre  qu'ä  la  maison".  So 
rühmt  sie  in  dem  Einzelnen  die  Gesamtheit.  Weiter  weiß  sie 
von  seinem  mitleidigen  Herzen  zu  erzählen.  Er  möchte,  daß 
jeder  der  gleichen  Freiheit  sich  erfreue  wie  er  selber.  Schon 
mehreren  Sklaven  habe  er  die  Freiheit  geschenkt,  und  wenn  sie 
seine  Güte  anflehen  wollte,  so  würde  er  auch  gegen  sie  die  gleiche 
liberalite  et  douceur  zeigen,  aber  da  sie  jeden  Tag  die  douce 
humeur  ihres  Herrn  spüre,  so  ziehe  sie  es  vor,  bei  ihm  zu 
bleiben. 

Als  Octavius  dann  auftritt,  zeigt  er  sich  so,  wie  man  ihn 
auf  Grund  des  von  seinen  Dienern  ihm  gespendeten  Lobes  er- 
wartet: als  ein  feiner,  taktvoller,  gütiger  Mann.  Als  er  zum 
erstenmal  das  Zimmer  der  Charide  betritt,  grüßt  er  sie  nicht 
wie  ein  Herr  seine  Sklavin  grüßt  oder  mit  der  affektierten  Grazie 
dont  on  use  envers  quelque  garce  ou  concubine,  sondern  mit 
solch  achtungsvoller  Ehrerbietung,  als  wenn  er  eine  vornehme 
Dame,  die  in  seinem  Hause  Gastfreundschaft  genösse,  vor  sich 
hätte.  Die  Worte,  die  er  an  sie  richtet,  sind  ganz  von  väterlicher 
Fürsorge  und  Liebe  durchdrungen.  Sie  soll  sich  bei  ihm  fühlen 
wie  eine  Tochter,  will  er,  sie  soll  volle  Freiheit  genießen,  als  ob 


198  Walther  Küchler. 

sie  zu  Hause  wäre.  Eine  hohe  Absicht  leitet  ihn  bei  seinem 
Verhalten.  Er  möchte,  daß  sie  das  Lob  der  Römer  mit  in  ihre 
Heimat  trüge;  qiie  si  un  Philippe  et  im  Alexandre  Roys  de  vostre 
pays  se  sont  montrez  continens  ä  l'endroit  des  Dames  captives, 
voiis  avez  essaye  im  Romain  victorieux  non  moins  garny  de 
pareille  vertu.  Das  ist  die  einzige  Belohnung,  die  er  für 
sein  Tun  erstrebt,  n'estant  mon  hut  qu'en  proffitant  ä  mon> 
semhlable  faire  chose  qiii  m'apporte  et  ä  ma  repiibligiie  gloire  et 
honneiir. 

Sein  Wunsch  soll  in  Erfüllung  gehen.  Als  Charide  heim- 
gekehrt ist,  verkündet  sie  dankbaren  Herzens  sein  Lob.  Sie 
erzählt  ihrer  Amme,  wie  es  ihr  ergangen  ist.  Bei  der  Plünderung 
der  eroberten  Stadt  hätten  Soldaten  sie  ergriffen,  da  sei  Octavius, 
der  Feldherr,  gekommen  und  ihm  sei  sie  übergeben  worden. 
Und  der  ist  die  Tugend  selbst,  und  er  hat  mich  erkennen  lassen, 
daß  nicht  ohne  Grund  die  Götter  den  Römern  ihre  Gunst  er- 
weisen; denn  wo  die  Tugend  herrscht,  da  ist  die  Gottheit  gegen- 
wärtig. 

Der  mit  solchen  römerfreundlichen  Gefühlen  Zurückgekehrten 
versäumt  ihre  mütterliche  Freundin  nicht,  die  Greuel  der  Ver- 
wüstung und  Brandschatzung,  die  sich  ihre  Vaterstadt  von  den 
Römern  hatte  gefallen  lassen  müssen,  zu  berichten.  Das  Herz  der 
Freundin  ist  von  Bitterkeit  gegen  die  siegreichen  Feinde  erfüllt. 
Wo  sie  nur  kann,  macht  sie  ihre  Empörung  gegen  die  Römer  Luft. 
Aber  an  dem  Abend,  da  sie  zum  ersten  Male  wieder  mit  Charide 
zu  Tische  sitzt,  muß  sie  es  dulden,  daß  auch  Gapito,  der  Frei- 
gelassene des  Octavius,  mit  von  der  Gesellschaft  ist,  darf  sie 
von  nichts  anderem  reden,  als  von  der  Größe  und  von  dem  Ruhm, 
von  der  Gerechtigkeit,  Güte  und  Milde  des  römischen  Volkes; 
denn  so  will  es  Charide. 

Diese  Hochschätzung  der  Römer  als  eines  Volkes,  in  dem 
edle  Menschlichkeit  gedeiht,  in  dessen  Wesen  Edelmut  mit  Staats- 
klugheit sich  paart,  dessen  glänzende  Macht  unter  dem  Schutze 
der  Götter  sich  entfaltet  hat,  sie  ist  ein  nicht  unwichtiger  Gharakter- 
zug  des  Romans,  sie  ist  einer  der  Fäden  mehr,  die  ihn  mit  dem 
Geiste  seiner  Zeit  verbinden. 


Amyots  Plutarch  Übersetzung. 

Daß  es  gerade  Plutarch  war,  der  dem  Autor  zu  seiner  Römer- 
begeisterung verhalf,  wie  er  ihm  auch  die  moralischen  und  philo- 
sophischen Gedanken  lieferte,  mit  deren  Hilfe  er  die  Fabel  seines 
Romans  vertiefte,  hat  nichts  besonders  Auffälliges  an  sich. 
Man  braucht  sich  nur  die  Tatsache  zu  vergegenwärtigen,  daß 
dank  der  ihm  durch  Amyot  gewordenen  Übersetzung  kaum  einer 


Martin  Fumee's  Roman  ,JJu  vray  et  parfait  amouf\     199 

der  antiken  Schrii'tsteller  in  dieser  Zeit  einen  so  starken  Einfluß 
gewonnen  hat  wie  gerade  Plutarch. 

Plutarch  hat  in  geschicktester  Weise  den  ganzen  Stoff  der 
antiken  Philosophie  in  Diskussion  und  Kritik  verarbeitet  und 
der  Nachwelt  aufs  Bequemste  dargeboten.  Bequem  für  die, 
welche  auf  das  tiefere  Studium  der  verschiedenen  philosophischen 
Systeme  verzichten  und  nur  die  allgemeinsten  Gedanken  aus 
ihnen  sich  aneignen  wollten.  Er  selbst  stand  auf  dem  Standpunkt 
einer  Philosophie,  für  die  das  Zeitalter  ganz  besonders  empfäng- 
lich war,  auf  dem  Standpunkt  des  Neoplatonismus.  Er  hat 
ferner  einen  großen  Teil  der  alten  Geschichte,  indem  er  die 
geschichthchen  Ereignisse  im  Anschluß  an  das  Leben  und  den 
Charakter  des  von  ihm  dargestellten  Mannes  behandelte,  dem 
Leser  in  anregender  Weise  dargeboten.  Er  hat  ein  großes 
Tatsachenmaterial  zusammengetragen,  er  hat  die  Fülle  der 
rein  menschlichen  Züge,  der  Begebenheiten  des  Alltags,  die 
pittoresken  Einzelheiten,  Anekdoten  und  Legenden,  Mythus  und 
Fabel,  kurz,  er  hat  keine  Mittel  verschmäht,  das  umfassende 
Gemälde  von  antiker  Kultur,  von  innerlich  gedanklichem  Be- 
streben und  äußerlichen  Vorfällen  zu  entwerfen,  das  er  uns 
hinterlassen  hat. 

Darum  wurde  sein  Werk  für  viele  eine  unerschöpfliche  Fund- 
grube. Für  den  Historiker  und  Morahsten,  den  Philosophen  und 
Dichter.  Die  TatsächUchkeiten  seines  Werkes  so  gut  wie  der 
allgemeine  Geist,  von  dem  es  durchweht  ist,  haben  auf  lange 
Zeit  bestimmende  Wirkung  ausgeübt.  Namen  wie  Rabelais 
und  Montaigne,  Balzac  und  Rousseau  tauchen  sogleich  auf  und 
erinnern  an  die  Macht,  die  Plutarch,  auf  jeden  in  anderem  Sinne, 
ausgeübt  hat. 

Die  direkten  Entlehnungen,  die  Fumee  aus  Plutarch  gezogen 
hat,  sind  uns  durch  die  Untersuchung  bekannt  geworden  und  mit 
ihnen  der  Geist,  den  sie  in  das  Werk  hineingetragen  haben. 
Aber  es  ist  vielleicht  noch  mehr  durch  das  Medium  der  Amyot- 
schen  Übersetzung  aus  Plutarch  in  unseren  Roman  hinüber- 
gegangen. Der  menschlich-einfache,  schlichte  Ton,  der  die 
Übersetzung  Amyots  auszeichnet,  das  allem  äußerhchen  Prunk 
Feindhche,  das  dem  Stil  des  Bischofs  eignet,  Eigenschaften,  die 
so  gut  der  bürgerlich-geschwätzigen,  niemals  aufregenden,  von 
allem  Pathos  freien  Art  des  griechischen  Philosophen  und  Histori- 
kers entspricht,  sie  finden  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  in 
dem  Romane  Fumees  wieder.  Nicht  so  rein  und  schön  wie  bei 
Amyot.  Aber  sie  sind  doch  da  und  verleugnen  sich  nicht.  Wie 
sie  sich  äußern,  soll  in  dem  letzten  Teile  der  Arbeit,  der  den 
Roman  ,,Z)m  vray  et  parfait  amoiir"  den  äthiopischen  Geschichten 
Heliodors  gegenüberstellt,  zu  zeigen  versucht  werden. 


200  Walther  Küchler. 

IV. 

Das  Terhältnis  des  Romans  Kit  Heliodors 

„Aethiopisclien  Oescfaiichteii''. 

Ähnlichkeiten    und    Unterschiede. 

Der  Roman  ist  bisher  ausschließlich  unter  dem  Gesichts- 
punkte des  ihm  zugrunde  liegenden  Quellenmaterials,  der  Art 
der  Nutzbarmachung  dieses  Materials  und  nach  den  Fäden,  die 
ihn  in  dieser  Beziehung  mit  dem  literarischen  Schaffen  seiner 
Zeit  verbinden,  betrachtet  worden. 

Es  kann  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  daß  unter  diesem 
Gesichtspunkte  der  Roman  sofort  ein  erheblich  größeres  Interesse 
gewinnt,  als  es  die  bisherigen  Urteile  über  ihn,  die  ihn  lediglich 
als  sklavische  Nachahmung  des  Hehodorromans  gelten  lassen 
wollten,  ahnen  ließen.  Zwar  ist  es  an  sich  wohl  kulturgeschicht- 
lich interessant  genug,  daß  gerade  zur  Zeit  der  Renaissance  der 
spätgriechische  Liebesroman  einen  so  umfassenden,  auf  lange 
Zeit  hinaus  wirksamen  Einfluß  auf  die  Romanliteratur  gewinnen 
konnte;  was  aber  des  Interesses  und  der  wissenschaftlichen 
Forschung  erst  in  erhöhtem  Maße  wert  ist,  das  ist  die  Unter- 
suchung, wie  der  unter  dem  Einflüsse  des  griechischen  Romans 
neu  sich  entwickelnde  moderne  Roman  aus  den  kulturellen 
Kräften  und  Bestrebungen  seines  eignen  Zeitalters  seine  innere 
Verfassung  herausbildet. 


,,Du  vray  et  parfait  amour"  —  ein  Renaissance- 
roman. 

Mag  der  Roman  zunächst  auch  unter  dem  die  freie  Schöpfer- 
kraft lähmenden  Einfluß  Heliodors  entstanden  sein,  mag  der 
Verfasser  vom  Anfang  bis  zum  Schluß  vielleicht  auch  nichts 
anderes  beabsichtigt  haben,  als  ein  dem  Heliodor  genau  ent- 
sprechendes Gebilde  zu  schaffen,  mag  selbst  seine  Arbeitsweise 
ihm  als  die  gleiche  erschienen  sein,  wie  diejenige,  welche  er  als 
die  des  Heliodor  erkannt  hatte,^^)  dennoch  hat  er  ein  von  seinem 


^^)  Von  Heliodor  und  seiner  Arbeitsweise  schreibt  Rohde  (Der 
griechische  Roman  und  seine  Vorläufer,  Leipzig  1876  p.  455  f.):  ,,Im 
übrigen  hat  er  nicht  ohne  eine  gewisse  Sorgfalt  die  einzelnen  Züge 
seiner  Darstellung  aus  Büchern  gezogen  ....  Er  ist  ein  Büchergelehrter 
und  teilt  von  seiner  Gelehrsamkeit  reichlich  mit.  Überall  schafft  er 
sich  Gelegenheit  zu  Exkursen  und  gelehrten  Ausführungen  über  Gegen- 
stände der  Naturkunde,  der  wirklichen  oder  der  fabelhaften,  der  Alter- 
tümer, ägyptischer,  persischer  oder,  griechischer,  wobei  ihm  denn  in 
Ermangelung  lebendiger  Anschauung,  bisweilen  curiose  Irrtümer 
begegnen."  Man  könnte  diese  Ausführungen  wörtlich  auf  Fumee 
anwenden.     Er  arbeitet  nicht  anders.     Wahrscheinlich  hat  er  sogar 


Martin   Fumee's  Roman  „Da  i'ruij  ei  /tarfaif  anioiir'' .     201 

Vorbild  verschiedenes  Werk  geschaffen,  donnuch  hat  seine  Arbeit 
das  höchste  Interesse;  denn  er  kann  gar  nicht  anders  als  unter 
veränderten  Kulturbedingungen  und  dorn  Heliodor  fremden 
literarischen   Voraussetzungen  schaffen. 

Wir  liaben  es  in  dem  Verfasser  mit  einem  Menschen  joner 
Zeit  zu  tun,  für  die  das  Studium  der  Werke  des  Altertums,  das 
Verwerten  der  antiken  Erfahrung  und  Weisheit  für  das  Leben 
der  Gegenwart  höchste  Lust  und  heißester  Ernst  war. 

In  vielfach  verschiedener  Form  wurde  diese  Arbeit  geleistet, 
kamen  die  Erträgnisse  des  emsigen  Fleißes  der  Gelehrten  dem 
allgemeinen  Kulturleben  zugute.  Wir  sehen  diese  Arbeit  in  den 
zahllosen  Spruch-  und  Sentenzensammlungen,  die  den  antiken 
Weisheitsstoff  in  gehäufter  Menge  darboten,  damit  ein  jeglicher 
sich  nehmen  könne,  was  ihm  zusagte  für  die  Erweiterung  und 
Vertiefung  seiner  Bildung  und  Lebensauffassung.  Wir  sehen  sie 
im  kecken  Werke  Rabelais',  das  lachend  und  höhnend  auf  alles 
Dunkle  und  Staubige,  Unfreie  und  Unnatürliche  losschlägt,  im 
Namen  der  unablässig  zitierten  Autorität  des  Altertums.  Wir 
finden  sie  wieder  in  der  streng  und  nüchtern  sich  gebenden,  vom 
Geist  der  Antike  durchtränkten  Tendenzschrift  des  La  Boetie, 
im  philosophisch  durchsetzten,  ebenfalls  auf  der  Fülle  antiker 
Gedanken  und  geschichtlicher  Tatsachen  sich  aufbauenden 
Essaybuch  des  Montaigne,  in  anekdotengehäuften,  halb  ernst- 
haften, halb  lockeren  Unterhaltungsbüchern,  wie  es  Henri  Estienne 
in  seiner  .^Apologie  poiir  Herodote"  und  Guillaume  Bouchet  in 
seinen  „Serees"  dem  Publikum  bieten. 

In  allen  diesen  Werken  haben  wir  die  verschiedenen  Varia- 
tionen eines  großen  Themas  A'^or  uns,  Manifestationen  einer  Zeit, 
die  nach  neuen  Idealen  strebte,  nach  Schönheit  und  Freiheit, 
nach  Erneuerung  der  enthusiastisch  verehrten  Antike  zum  Besten 
der  ringenden  Kräfte. 

Und  in  diese  Bestrebungen  hinein,  als  ein  origineller  Arbeiter 
trotz  der  Masse  der  benutzten  Quellen,  stellt  sich  auch  Martin 
Fumee.  Was  andere  auf  anderen  Gebieten,  leistet  er  auf  dem 
Gebiete  der  kunstmäßigen,  romanhaften  Erzählung.  Unendlich 
schwächer  als  die  Großen  vor  und  neben  ihm,  als  der  ungestüme, 
geniale  Rabelais  und  der  auswählende,  dem  Innerlichen  zuge- 
wandte Lebenskünstler  Montaigne,  darf  er  sich  doch  im  Prinzip 
an  ihre  Seite  stellen     Als  einer  der  in  der  zweiten  oder  dritten 

von  der  Arbeitsweise  HeUodors  eine  ähnliche  Anschauung  gehabt  wie 
Rohde.  So  hätte  er  ihn  also  mit  vollem  Bewußtsein  ,, sklavisch" 
nachgeahmt.  Sicher  ist  die  Übereinstimmung,  was  die  Büchergelehr- 
samkeit angeht,  die  denkbar  größte,  und  die  Neigung  zu  Exkursen 
teilt  Fumee  vollkommen  mit  Heliodor.  Die  Ähnlichkeit  seines  Werkes 
in  dieser  Hinsicht  mit  dem  Heliodors  wird  nicht  im  mindesten  ge- 
leugnet. Es  soll  auch  nicht  versucht  werden,  irgend  welche  inneren 
Unterschiede  nach  dieser  Seite  hin  zu  konstruieren. 


202  Walther  Küchler. 

Linie  folgenden  Mitstreiter  im  Kampfe  jener  Zeit,  nicht  auf  dem 
Gebiete  der  höchsten  Lebensfragen  in  Philosophie  und  Moral, 
aber  auf  dem  Gebiet  des  ästhetischen  Empfindens,  des  inneren 
Taktes  und  des  sittlichen  Feingefühls;  denn  auf  diesem  Felde 
bemühte  sich  auch  sein  Roman  um  die  Anerkennung  neuer 
Werte. 

Dieser  innige  Zusammenhang  des  Verfassers  mit  seiner  Zeit 
trennt  sein  Werk  von  dem  des  Heliodor. 

Gewiß,  auf  den  ersten  Blick  sind  die  ÄhnUchkeiten  zwischen 
den  beiden  Romanen  groß.  Ja,  auch  wenn  man  genauer  zusieht, 
wird  vielleicht  der  Eindruck  zunächst  nicht  anders  sein.  Man 
entdeckt  vielmehr  immer  neue  Übereinstimmungen,  man  erkennt, 
wie  getreu  in  allen  Teilen  Fumee  das  Werk  Heliodors  gekannt 
und  wie  abhängig  er  in  seiner  eigenen  Schöpfung  von  ihm  ist. 
Unendlich  viel  von  dem  äußerlichen  Aufputz  hat  er  ihm  abgeguckt, 
und  wenn  es  nur  nach  diesem  Äußerlichen  ginge,  so  möchten  die 
wohl  recht  haben,  die  seinen  Roman  ein  wertloses  Pastiche 
nennen.  Aber  die  wirkliche  Erkenntnis  vollzieht  sich  glücklicher- 
weise nicht  nach  Äußerlichkeiten,  und  so  dürfen  wir  es  wagen, 
unter  voller  Anerkennung  all  der  vorhandenen  äußerlichen 
Ähnlichkeiten,  nach  den  Abweichungen  und  Unterschieden 
zu  suchen,  die  das  eine  Werk  innerlich  von  dem  anderen 
scheiden. 

Die    Komposition   der  beiden    Romane. 

Nach  dem  Vorbilde  Heliodors  geht  auch  Fumee  sogleich  in 
medias  res^^).  Es  ist  fast  ein  Gesetz,  das  sich  die  Romanschrift- 
steller nach  Heliodors  Beispiel  auferlegen,  ihre  Romane  nicht 
mit  dem  Beginn  der  Beziehungen  ihrer  Personen  zueinander, 
sondern  mitten  in  den  sie  betreffenden  Ereignissen  anfangen  zu 
lassen.  Fumee,  der  erste  konsequente  Nachahmer  Heliodors, 
macht  es  nicht  anders.  Aber  sogleich  fällt  der  Unterschied  beider 
Werke  ins  Auge.  Statt  wie  Heliodor  mit  einer  phantastisch- 
rätselhaften, von  Blutgeruch,  Orgiendunst  und  Leichen  erfüllten 
Szene,  in  der  die  beiden  Hauptpersonen  des  Romans  eine  halb 
rührende,  halb  lieroische  Gruppe  bilden,  statt  mit  einer  Szene, 
deren  Bedeutung  erst  sehr  spät  im  Verlaufe  der  Erzählung  be- 
kannt wird,  beginnt  Fumees  Roman  mit  der  maßvoll-künstleri- 
schen Schilderung  eines  historischen  Ereignisses,  des  durch  die 
Straßen  Roms  sich  bewegenden  Triumphzuges  des  Paulus  Aemilius. 
Und  fast  zu  gleicher  Zeit,  auf  die  einfachste  und  kürzeste  Weise 
wird   dem   Leser   das    Schicksal   der  beiden   Hauptpersonen  in 

^^)  Zum  Vergleich  muß  natürlich  die  Übersetzung  Amyots  heran- 
gezogen werden,  die  unter  dem  Titel  „Histoire  Ethiopique"  1547  zuerst 
erschien.  Eine  Neuausgabe  in  der  ,,Collection  des  romanciers  grecs 
et  latins'\  Band  2  u.  3  der  Sammlung.    Paris  1822. 


Martin  Fum^e's  Roman  ,,Du  vray  et  parfait  amour".     203 

seinen  wesentlichen  Zügen  klar.  Seine  Phantasie,  angeregt  durch 
Gesagtes  und  nicht  Gesagtes,  überschaut  sogleich,  ohne  noch 
über  Einzelheiten  unterrichtet  zu  sein,  die  Lage.  Bei  Heliodor 
wird  vom  ersten  Augenblick  an  die  Spannung  auf  den  höchsten 
Grad  gebracht,  auf  lange  hinaus  fiebernd  erhalten  und  nicht 
befriedigt.  Bei  Fumce  halten  sich  Erwartung  und  Befriedigung 
die  Wage,  ausgeglichen  durch  die  vom  Autor  geschickt  auf 
den  richtigen  Weg  geleitete  Mitarbeit  der  Phantasie  des  Lesers. 

Es  soll  mit  diesem  Vergleich  nicht  behauptet  werden,  daß 
die  Szene  Fumees  in  ihrer  ganzen  Ausgestaltung  besser  sei  als 
die  Heliodors,  wie  überhaupt  die  Untersuchung  nicht  absolute, 
ästhetische  Werturteile  zutage  fördern  will;  es  soll  nur  eben  der 
verschieden  geartete  Charakter  der  beiden  Werke  aufgewiesen 
und  dargetan  werden,  daß  verschiedene  ästhetische  Maßstäbe 
zu  ihrer  Beurteilung  lierangezogen  werden  müssen. 

Die  Komposition  des  Heliodorschen  Romans  wird  weiterhin 
dadurch  gekennzeichnet,  daß  wir  in  seinem  ersten  Teile  eine 
beständige  Mischung  von  Handlung  und  Erzählung  haben. 
Während  allerlei  Wechselfälle  das  Liebespaar  in  beständiger 
Aufregung  halten,  erzählt  ein  mit  ihrem  Schutze  beauftragter 
Grieche  ihnen  die  Geschichte  seiner  Leiden,  und  erzählt  ein  alter 
ägyptischer  Priester,  der  selbst  in  sehr  wichtiger  Weise  in  das 
Geschick  des  Liebespaares  eingegriffen  hat,  diesem  Griechen 
die  Geschichte  des  Paares  und  erklärt  endlich  am  Schlüsse 
des  5.  Buches,  wie  es  gekommen  ist,  daß  man  die  Beiden  in 
der  seltsamen,  im  ersten  Kapitel  dargestellten  Situation  ge- 
funden hat. 

Das  Wesentliche  in  dieser  Komposition  ist  neben  dem  Wechsel 
von  Handlung  und  Erzählung,  gelegentlich  sogar  von  Handlung 
und  Erzählung  der  Erzählung,  der  Umstand,  daß  die  Handlung 
die  Personen  in  immer  neue  Verwicklungen  hineinführt,  daß  immer 
neue  Gefahren  sie  bedrohen.  Kaum  sind  sie  einer  entronnen,  be- 
droht sie  eine  andre.  Kaum  sind  sie  wieder  vereinigt,  werden  sie 
wieder  getrennt;  immer  neue  Feinde,  Verfolger,  Bedroher  ihrer 
Keuschheit  und  ihres  Lebens  stehen  wider  sie  auf,  beständig  kommt 
es  dabei  zu  Mißverständnissen  und  Verwechselungen,  immer  neue 
Anforderungen  werden  an  ihre  Erfindungsgabe  und  an  ihre 
Widerstandskraft  gestellt.  UnaufhörHch  wechselt  der  Schau- 
platz, treiben  Raub,  Mord,  Brand,  Kampf,  Flucht  die  Personen 
ruhelos  umher  und  halten  ihre  Gefühle  in  angespanntester,  hin 
und  her  schwankender  Erregung. 

Genau  übernimmt  Fumee  das  Schema  dieser  Komposition, 
im  ersten  Teil  Mischung  von  Erzählung  und  Handlung,  im  zweiten 
Teil  Handlung  allein.  Es  liegt  uns  wieder  ob,  zu  prüfen,  ob 
denn  auch  in  der  Art,  wie  dieses  Schema  von  ihm  mit  Leben 
erfüllt  worden  ist,  die  Übereinstimmung  mit  dem  Vorbild  so 
groß  ist,  wie  man  gewöhnlich  gemeint  hat. 

Ztscbr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  14 


204  Walther  Küchler. 

Da  fällt  zunächst  auf,  daß  er,  statt  seine  Personen  von  Ort 
zu  Ort  zu  jagen,  sie  zunächst  auf  das  Haus  des  Octavius  zu  Rom, 
fast  auf  ein  oder  zwei  Zimmer  des  Hauses,  beschränkt  hat,  daß  er 
anstatt  einer  ruhelos  bewegten  Handlung,  so  gut  wie  nichts  irgend- 
wie Aufregendes  geschehen  läßt,  sondern  daß  er  dafür  in  ungleich 
stärkerem  Maße  als  Heliodor  es  tut,  allen  Nachdruck  auf  die 
breitere  Darstellung  des  Seelischen,  auf  die  eingehendere  Aus- 
malung der  Gefühle,  auf  die  Komposition  von  Reden  und  Er- 
mahnungen, auf  die  eindringliche  Fassung  moralischer,  philo- 
sophischer Betrachtungen  legt.  Und  während  aller  dieser  Reden 
und  Gespräche,  durch  kleine,  eingeflochtene  Andeutungen  wie 
durch  ausführlichere  Auseinandersetzungen,  wird  der  Leser  all- 
mähUch  genauer  in  das  Schicksal  der  Charide  und  des  Theogenes 
eingeweiht. 

Mit  der  Vielheit  der  Ereignisse  bringt  Heliodor  immer  neue 
PersönHchkeiten  auf  den  Plan,  Räuber  aller  Art,  Krieger,  Priester, 
Frauen,  Kaufleute;  Personen,  die  kommen  und  gehen,  länger 
oder  kürzer  verweilen,  ganz  aus  dem  Roman  verschwinden, 
weil  sie  getötet  werden  oder  sonst  unentbehrhch  geworden  sind. 
So  werden  wir  gleich  zu  Anfang  ausführhch  mit  den  Geschicken 
des  Griechen  Knemon  bekannt  gemacht,  sehen  wir  ihn  handelnd 
in  einer  Reihe  von  Szenen  auftreten,  und  dann  wird  er  an  eine 
Ägypterin  verheiratet  und  bleibt  fürderhin  aus  dem  Spiele. 

Nur  ganz  wenig  Personen  führt  Fumee  in  seine  Handlung 
ein.  Zunächst  eigentlich  nur  zwei  Frauen,  die  ältere  Melangenie 
und  die  jüngere  Charide.  Das  intime  Zusammenleben  dieser 
beiden  Frauen,  die  bald  zu  Freundinnen  werden,  ruft  ohne  weiteres 
den  Eindruck  großer  Ruhe  und  stillen  Friedens  hervor.  Sie  sind 
es,  die  einander  die  Geschichte  ihres  Lebens  und  ihrer  Liebe 
erzählen.  Die  eine,  alt  geworden,  ohne  Hoffnung,  resigniert, 
ganz  in  den  Pflichten  des  Haushalts  aufgehend,  voll  Dankbarkeit 
für  den,  der  ihr  ein  Asyl  gegeben  und  sein  Vertrauen  geschenkt 
hat,  wobl  geeignet,  die  junge  Freundin  zu  trösten,  deren  Wunden 
noch  frisch  und  ungeheilt  sind,  die  sich  in  Tränen  und  Trauer 
verzehrt,  sich  dann  wie  ein  Kind  besänftigen  läßt  durch  trost- 
reichen Zuspruch,  durch  die  Erzählung  von  fremdem  Leid  und 
von  den  Dingen  der  weiten  Welt.  Zu  diesen  beiden  stillen,  feinen 
Frauen  im  Frauengemach  tritt  die  edle  Persönhchkeit  des  väter- 
lich gesinnten  Octavius,  der  keinen  Aufruhr  des  Geschehens  und 
der  Gefühle  mit  sich  bringt,  sondern  nur  bemüht  ist,  die  letzten 
Stürme  und  Zweifel  in  der  Brust  des  trauernden  Mädchens  zur 
Ruhe  zu  bringen. 

In  dieser  Atmosphäre  des  Friedens  erzählt  zuerst  Melangenie, 
dann  Charide  ihre  Geschichte.  Keine  aufregenden  Ereignisse, 
wie  es  bei  den  Erzählungen  in  HeUodors  Roman  der  Fall  ist, 
stören  und  unterbrechen  sie.  Die  Gründe,  die  ihrem  Erzählen 
von  Zeit  zu  Zeit  ein  Ende  machen,  sind  ganz  natürlicher  Art, 


Martin  Fiimee's  Roman  ,,Dii  vray  et  parfait  amour".     205 

die  Essenszeit,  der  Einbrucli  der  Nacht,  die  Tätigkeit  im  Hause, 
wie  sie  alle  Tage  getan  werden  muß,  die  Sorge  der  Melangenie 
für  die  Ruhe  der  Charide,  das  Kommen  und  Gehen  des  Octavius. 
Kein  Laut  von  außen  dringt  zu  ihnen,  keine  Handlung  lenkt  ab, 
höchstens  daß  einmal  Octavius  ein  Gastmahl  hält  oder  daß  in 
der  Senatsitzung  Polycrates  seinen  Sohn  zurückgewinnt. 

Zwingend  fällt  der  Unterschied  auch  dieses  Teiles  der  Kom- 
position der  beiden  Romane  ins  Auge.  Hier  Unruhe,  schillernde 
Zerfahrenheit,  künstlich  gesteigerte,  durcli  allerlei  Kniffe  und 
Kunststücke  in  wechselvollem  Auf  und  Ab  gehaltene  Erregung. 
Hier  Ruhe  und  Einheit  der  Stimmung,  eine  große  seelische 
Erschütterung,  die  sich  äußert  in  jammernden  Klagen,  dann 
durch  freundliches  Zureden  zu  gleichmäßigem,  trauerndem  Gefühl 
sich  ebnet  und  zuletzt  in  hoffnungsvolle  Erwartung  neuen  Glückes 
sich  verwandelt. 

Bemerkenswert  ist  auch,  daß  die  in  diesem  ersten  Teile 
erzählte  Lebensgeschichte  der  Melangenie,  was  ihren  äußeren 
Umfang  wie  ihren  inneren  Gehalt  angeht,  einen  viel  bedeut- 
sameren Platz  im  Gefüge  des  Romans  einnimmt,  als  die  ganz 
episodenhaft  bleibende  Erzählung  des  Knemon  bei  Heliodor. 
Auch  die  innige  Verbindung,  in  der  Melangenie  und  Charide  sich 
aneinander  anschheßen,  trägt  zur  Erhöhung  des  Interesses  für 
Melangenie  bei.  Dabei  hat  es  Fumee  verstanden,  mit  Hilfe  einer 
aufmerksam  retouchierenden  Behandlung  der  Charide  ihre 
Stellung  als  Heldin  unangetastet  zu  bewahren.  Indem  er  am 
Ende  seiner  Erzählung  die  Melangeniehandlung  mit  der  Charide- 
Theogeneshandlung  zusammenstoßen  läßt,  vereinigt  er  sehr 
geschickt  sie,  die  bisher  nur  als  Erzählung  vorgetragen  worden 
war,  mit  der  eigentlichen  Handlung. 

Die  Abhängigkeit  Fumees  von  Hehodor  geht  so  weit,  daß 
sie  sich  sogar  in  der  Namengebung  zeigt.  Chariclea  und  Theagenes 
heißt  das  Liebespaar  im  griechischen  Roman,  Theogenes  und 
Charide  im  französischen.  Der  Klang  der  Namen  ist  fast  gleich, 
aber  die  Menschen,  sie  die  tragen,  sind  doch  nicht  ganz  dieselben. 
Die  beiden  Frauen,  die  in  beiden  Romanen  viel  stärker  hervor- 
treten als  die  Männer,  unterscheiden  sich  bedeutend  voneinander. 

Chariclea  ist  so  recht  die  Gestalt  eines  Abenteuerromans. 
Sie  stammt  aus  äthiopischem  Königsgeschlecht.  Lange  war  die 
Ehe  ihrer  Eltern  ohne  Kinder  geblieben.  Da  wird  in  einer  von 
der  Gottheit  bezeichneten  Stunde  das  Kind  von  der  Mutter 
empfangen.  Während  der  Schwangerschaft  betrachtet  die 
Königin  häufig  ein  Bild  der  Andromeda,  und  darum  ist  das  Kind, 
das  sie  zur  Welt  bringt,  von  weißer  Farbe.  Ein  Kind  von  weißer 
Farbe,  geboren  von  dunkelfarbigen  Eltern!  Aus  Furcht,  sie 
möchte  der  Untreue  bezichtigt  werden,  setzt  die  Mutter  das 
Kind  aus.  Ein  äthiopischer  Philosoph,  ein  Gymnosophist,  zieht 
das  Kind  auf  und  übergibt  es,  als  es  sieben  Jahre  alt  geworden 

14* 


206  Walther  Küchler. 

ist,  zusammen  mit  reichen  Kostbarkeiten,  in  Ägypten  einem 
griechischen  Priester  aus  Delphi,  namens  Charicles.  Der  erzieht 
sie  als  seine  Tochter.  Sie  weiß  nichts  von  ihrer  hohen  Abkunft, 
wächst  in  unvergleichlicher  Schönheit  heran,  wird  Priesterin  des 
Apollo  und  weiht  sich  zugleich  der  Diana,  da  sie  fest  entschlossen 
ist  ihre  Jungfräulichkeit  zu  bewahren  und  für  immer  der  Ehe, 
die  sie  haßt,  zu  entsagen.  Wie  begreiflich,  \\drd  sie  eine  leiden- 
schaftliche Jägerin  und  durchstreift  mit  Pfeil  und  Bogen  die 
Wälder,  zur  großen  Bekümmernis  ihres  wackeren  Pflegevaters, 
der  keinen  sehnlicheren  Wunsch  kennt,  als  sie  einem  Neffen  zu 
vermählen. 

Dagegen  Charide.  Sie  ist  ohne  alle  Wunder  empfangen  und 
geboren  worden.  Sie  ist  die  Tochter  des  höchsten  Beamten  von 
Meliböa,  der,  in  seiner  Jugend  am  Hofe  Philipps  von  Mazedonien 
erzogen,  nach  bestem  Wissen  und  Gewissen  die  Stadt  verwaltet, 
als  wahrer  Freund  des  Perseus.  Er  ist  früh,  ebenso  wie  seine 
Gattin,  gestorben,  das  Kind  ist  als  Waise  und  zugleich  als  reiche 
Erbin  zurückgeblieben.  Einer  ihrer  Vettern  ist  ihr  Vormund 
geworden  und  bemüht  sich  redlich  um  ihr  Bestes.  Sie  ist  nicht 
anders  als  andere  junge  Mädchen  ihres  Standes  herangewachsen, 
sie  ist  nicht  Priesterin  und  nicht  Jägerin,  sie  hat  auch  keine 
grundsätzliche  Abneigung  gegen  die  Ehe.  Es  ist  nichts  Wunder- 
bares in  ihrem  jungen  Leben  vorgefallen. 

Bei  den  Männern  tritt  die  Verschiedenheit  nicht  so  stark 
hervor. 

Theagenes  bei  Heliodor  ist  aus  dem  Geschlechte  des  Achilles, 
er  ist  der  Führer  einer  Gesandtschaft,  die  von  den  Enianiern, 
einer  thessalischen  Völkerschaft,  zu  den  phytischen  Spielen  nach 
Delphi  gesandt  wird. 

Theogenes  bei  Fumee  ist  der  Sohn  eines  in  den  poUtischen 
Angelegenheiten  seiner  Vaterstadt  sich  betätigenden  Atheners. 

Gänzlicher  Verzicht  auf  alles  Wunderbare  und  Außerge- 
wöhnliche in  der  Herkunft  seiner  Personen,  deutliche  Hinneigung 
zu  einfacheren,  natürlichen,  bürgerlichen  Verhältnissen  kenn- 
zeichnet also  den  Roman  Fumees  im  Gegensatz  zu  dem  des 
Heliodor. 

Sehr  ähnUch  ist  die  Art,  wie  in  beiden  Romanen  die  erste 
Begegnung  der  beiden  Paare  geschildert  wird.  Chariclea  und 
Theagenes  sehen  sich  zuerst  bei  einer  feierUchen  Opferhandlung 
und  werden  sogleich  von  Liebe  zu  einander  ergriffen;  Charidens 
und  Theogenes'  erstes  Zusammentreffen  erfolgt  bei  einem  Feste 
zu  Ehren  der  Minerva,  und  mit  der  gleichen  Plötzlichkeit  stellt 
sich  auch  bei  ihnen  die  Liebe  ein. 

Sieht  man  aber  genauer  zu,  vergleicht  man  alle  Umstände, 
die  zu  dieser  Begegnung  führen,  ferner  wie  die  Begegnung  ver- 
läuft und  die  erste  Liebe  sich  äußert,  wie  die  Vereinigung  der 
Liebenden  ermöglicht  wird,   wie   es   zur  Trennung  kommt,   so 


Martin  Fiimee's  Roman  ,,Z>a  vray  et  parfait  amour" .     207 

wird  man  von  neuem  die  große  Vorschiedenlieit,  die  zwischen 
beiden   Romanen  waltet,   gewahr. 

In  feierHchem  Zuge,  unter  Hymnengesang  und  Tänzen 
thessahscher  Jungfrauen,  begibt  sich  die  thessahsche  Gesandt- 
schaft zum  Tempel  des  delphisclien  Apollo.  Inmitten  einer 
glänzenden  Reiterschar  reitet  auf  stolzem,  tänzelndem  Pferde, 
das  frei  im  Winde  flatternde  Haar  von  keinem  Helm  beschwert, 
mit  einem  wehenden  Mantel  angetan,  Theagenes,  von  allen 
Frauen  bewundert  und  ersehnt,  der  schönste  der  Männer.  Es 
naht  die  schönste  der  Frauen,  Chariclea,  auf  einem  von  weißen 
Ochsen  gezogenen  Wagen,  in  purpurnem,  gold  durchwirktem 
Kleide.  Ihr  Haar  wallt  zum  Teil  frei  auf  die  Schultern  herab, 
zum  Teil  ist  es  von  blumigem  Kranze  zusammengehalten.  In  der 
linken  Hand  hält  sie  den  vergoldeten  Bogen,  der  Köcher  hängt 
ihr  an  einer  Schärpe  über  die  Schulter;  in  der  rechten  Hand 
trägt  sie  eine  Fackel,  deren  Leuchten  überstrahlt  wird  von  dem 
helleren  Glanz  ihrer  Augen. 

Es  folgt  die  Opferhandlung.  Nach  der  Sitte  muß  Theagenes 
aus  der  Hand  der  Priesterin  das  heilige  Feuer  empfangen.  In 
dem  Augenblick,  da  Gharide  es  ihm  reicht  und  er  es  nimmt,  da 
sie  beide  einander  ins  Gesicht  sehen,  werden  sie  beide  von  Liebe 
ergriffen.     Abwechselnd  rot  und  blaß  färben  sich  ihre  Wangen. 

In  ihrem  Gemach  angekommen  wirft  sich  Gharide  auf  ihr 
Bett,  tonte  languissante,  les  yeux  haignes  et  arroses  d'amour. 
Ihr  Pflegevater  hält  sie  für  krank  und  gerät  in  große  Angst. 
Auch  mit  der  Ruhe  des  Theagenes  ist  es  vorbei.  Er  vertraut 
sich  schließlich  dem  in  Delphi  weilenden  ägyptischen  Priester 
Calasiris  an,  der  längst  die  plötzlich  entstandene  Liebe  der  beiden 
jungen  Menschen  erkannt  hat,  aber  ihnen,  sowie  dem  Charicles 
gegenüber,  den  allwissenden,  prophetisch  begabten  Magier  spielt. 
Er  sinnt,  wie  er  die  Flucht  der  Liebenden  bewerkstelligen  könne. 
Ein  geheimnisvolles,  bei  der  Opferhandlung  verkündetes  Orakel, 
deutet  ihm  an,  daß  die  Götter  etwas  besonderes  mit  dem  Paare 
vorhaben;  im  Traum  erscheinen  ihm  Apollo  und  Diana  und 
fordern  ihn  auf  sich  der  Liebenden  anzunehmen  und  sie  nach 
Egypten  fortzuführen.  Nachdem  sich  Chariclea  und  Theagenes 
bei  den  Wettspielen,  die  Theagenes  aus  den  Händen  der  Geliebten 
den  Siegespreis  verschaffen,  noch  einmal  gesehen  haben,  bewerk- 
stelhgt  der  schlaue  Egypter  die  Flucht  auf  einem  phönizischen 
Schiff.  Nun  beginnt  die  lange  Reihe  der  dem  Paare  bestimmten 
Leiden.  Zunächst  wird  ein  Piratenführer  von  Liebe  zu  Chariclea 
ergriffen.  Er  kapert  das  Schiff,  auf  dem  sie  vor  ihm  fliehen  wollen 
und  bekommt  sie  so  in  seine  Gewalt.  Vom  Sturm  werden  sie  an 
die  Nilmündung  verschlagen,  Chariclea  willigt  zum  Schein  in  die 
Heirat  mit  dem  Piraten  ein.  Galasiris  überredet  einen  seiner 
Offiziere,  Chariclea  liebe  ihn  und  nicht  den  Hauptmann.  Darauf 
fordert  der  Getäuschte  das  Mädchen  für  sich,  ein  wüster  Kampf 


208  Walther  Küchler. 

entspinnt  sich,  in  dem  schließlich  alle  Seeräuber  fallen.  So 
gelangt  der  Leser  auf  mannigfachen  Umwegen  zu  der  das  Buch 
eröffnenden  Szene.  Nach  kurzer  Zeit  werden  die  Liebenden 
vorübergehend  gewaltsam  auseinandergerissen.  Theo  genes  wird 
zum  egyptischen  Gouverneur  des  Großkönigs  geschickt,  Chariclea 
gelangt  in  die  Hände  eines  Kaufmanns. 

Wiederum  behält  Fumee  das  äußere  Schema  des  Schicksals 
der  beiden  Personen  bis  zu  diesem  Punkte  bei. 

Bei  einem  Feste  der  Minerva  in  Meliböa  führen  eine  Anzahl 
junger  Mädchen  der  Stadt  einen  Tanz  zu  Ehren  der  Göttin  auf. 
In  zwei  Gruppen  bewegt  sich  die  Schar.  Die  eine  Gruppe  wird 
von  einer  die  Göttin  darstellenden  Priesterin  der  Minerva  geführt, 
die  andere  von  einem  als  Apollo  verkleideten  Jüngling.  Zu 
seinen  Liedern  tanzen  die  Mädchen  vor  dem  Tempel.  Theogenes. 
der  wegen  Teilnahme  an  einem  Duell  für  einige  Zeit  aus  Athen 
verbannt  worden  und  nach  Mehböa  zu  einem  Oheim  gekommen 
ist,  schaut  dem  Tanze  zu,  appiiye  sur  les  petites  murailles  du 
parvis.  Und  wie  nun  inmitten  der  anderen  Mädchen  Charide 
an  ihm  vorübertanzt,  fällt  ihr  Blick  auf  ihn  und  treffen  seine 
Augen  die  ihrigen.  Während  des  Tanzes  können  sich  ihre  Blicke 
nicht  mehr  voneinander  trennen.  Wie  Charide  selbst  in  der 
Rückerinnerung  erzählt,  überkam  sie  zugleich  eine  geheime 
Scham,  welche  sie  zwang  arrivant  vis  ä  vis  de  luy,  de  haisser  im 
peu  la  paupiere  de  nies  yeux,  laquelle  soudain  apres  Vavoir  im 
peu  oiitrepasse^  ie  relevois  et  m'aperceu  bien  qu'iine  pareille  honte 
le  saisit  aussi.  Sie  achtet  nicht  mehr  auf  den  Rest  des  Festes, 
nur  hätte  sie  wohl  gewünscht,  der  Tanz  möchte  noch  länger 
dauern  ä  fin  de  laisser  j^epaistre  mes  yeux  d'iine  douce  humeur 
quils  hiimoyent  de  ce  hei  obiet  qui  se  presentoit  ainsi  fiche  devant 
eux.  Nach  dem  Tanze  müssen  die  Mädchen  eine  Hymne  singen. 
Diejenige,  welche  den  Preis  davonträgt,  wird  mit  dem  Minerva- 
gewande  bekleidet  und  in  festlichem  Zuge  in  ihre  Wohnung 
zurückgeleitet.  Wer  den  Preis  davongetragen  hat,  weiß  Charide 
nicht.  Als  die  Reihe  zu  singen  an  ihr  war,  da  liatte  die  Leiden- 
schaft, die  sie  beherrschte,  so  sehr  all  ihre  Sinne  verwirrt,  daß 
sie  nicht  wußte,  was  sie  tat  und  sagte,  ihre  Stimme  zitterte, 
ihre  Augen  irrten  umher,  ihre  Haltung  war  unsicher,  und  wenig 
Zusammenhang  war  in  ihren  Worten.  Daher  wurde  ihr  der 
Preis  nicht  zuerteilt. 

Beim  Abendessen  war  es  ihr  nicht  möghch,  zu  essen,  sie  träumte 
nur,  da  ihr  Geist  wo  anders  war.  Ma  contenance  n'estoit  qiie 
d'arrondir  entre  mes  doigts  mes  mietles  de  pain  et  tcnir  mes  yeux 
fichez  sur  la  table.  Hu'  Vormund  fragt  sie,  was  sie  habe,  warum 
sie  nicht  esse,  ob  sie  krank  sei.  Wenn  sie  sich  nicht  wohl  fühle, 
so  müsse  man  beizeiten  Abhülfe  schaffen,  denn  wenn  man  sich  der 
Medizin  zu  spät  bediene,  so  schaffe  sie  manchmal  keinen 
Nutzen.      Die    Gattin   des   Vormundes   glaubt   den    Grund   der 


Marl  in  Fjunee's  Roman  ,./)u  vray  et  parfait  amour".     209 

Krankheit  gefunden  zu  haben;  sie  meint,  das  Mädchen  sei  krank 
aus  Trauer,  daß  sie  nicht  wieder  den  Preis  davongetragen  habe, 
der  dieses  Mal  der  Tochter  des  Protagoras  zuerteilt  worden  sei. 
Sogleich  tröstet  sie,  sicher  sei  da  Begünstigung  mit  im  Spiele 
gewesen,  man  habe  wohl  dem  Protagoras  danken  wollen  für  die 
Sorge,  die  er  der  Stadt  gewidmet  habe,  und  keine  Rücksicht  auf 
das  Verdienst  genommen.  Der  Vormund  läßt  sich  täuschen  und 
hält  dem  Mädchen  eine  lange  Rede  über  die  Ehre  dieser  Welt 
und  gibt  ihr  zu  bedenken,  daß  sie  doch  schon  zweimal  den  Preis 
gewonnen  habe.  Charide  ist  froh,  daß  man  auf  falscher  Fährte 
ist.  Sie  legt  sich  zu  Bett,  kann  aber  nicht  schlafen,  sondern 
wendet  sich  bald  auf  die  eine,  bald  auf  die  andere  Seite,  als  ob 
sie  vom  Fieber  geplagt  wäre.  In  der  Dunkelheit  sieht  sie  immer 
die  Schönheit  des  fremden  jungen  Mannes  vor  sich. 

Sie  überlegt,  wie  sie  ihn  sprechen  könne;  denn  sie  hat  ge- 
merkt, daß  er,  der  ihr  bis  zu  ihrem  Hause  nachgefolgt  ist,  dieselben 
Gefühle  hegt  wie  sie.  Sie  ist  sich  auch  ganz  darüber  klar,  daß  sie, 
da  sie  keine  Eltern  mehr  hat,  frei  über  sich  verfügen  könne  und 
daß  sie,  wenn  er  vielleicht  nicht  viel  Geld  liabe,  sie  doch  genug 
für  zwei  besitze.  Am  anderen  Morgen  erhebt  sie  sich,  kränker 
als  zuvor.  Die  treubesorgte  Pflegemutter  rät  ihr  mit  zwei  Freun- 
dinnen in  den  nahegelegenen  Tempel  der  Juno  zu  gehen  und  die 
Göttin  um  Linderung  ihrer  Traurigkeit  und  um  einen  guten  Mann 
zu  bitten,  denn  sie  sei  doch  nun  alt  genug,  um  sicli  zu  verheiraten. 

Theogenes  schreibt  der  Charide  und  bringt  bald  darauf  eine 
Begegnung  mit  ihr  zustande,  indem  er  seinen  Oheim  in  das  Haus 
ihres  Vormundes  begleitet.  Charide  erwartet  ihn.  Sie  kommen 
nach  dem  Mittagessen.  Charide  hat  sich  nicht  aus  dem  Zimmer 
ihres  Vormundes  gerührt  und  ist  mit  einer  Stickerei  beschäftigt, 
als  die  beiden  sich  melden  lassen.  Es  trifft  sich  sehr  gut,  daß 
Nicosie,  die  Gattin  ihres  Vormundes,  ausgegangen  ist,  um  eine 
kranke  Freundin  zu  besuchen.  Während  die  beiden  älteren 
Herren  von  ihren  Geschäften  reden,  begi^ißen  sich  die  beiden 
Liebenden,  reden  zunächst  von  allgemeinen  Dingen  und  sprechen 
dann  bald  von  ihrer  Liebe.  Sehr  deutlich  gibt  Charide  ihrem 
Liebhaber  sogleich  ihre  Auffassung  von  ihrem  Verhältnis  zu 
verstehen:  attendu  que  par  vostre  lettre  ie  voiis  voy  faire  mention 
de  Venus  et  de  Ciipidon  son  fils,  ie  ne  i^eux  point  vous  celer  mon 
iniention,  laquelle  quelque  amour  qu'il  y  ait  ne  tend  ä  exposer  m.on 
honneur  au  bahil  du  peuple^  ny  par  la  perfe  d'icelay  acquerir  Ie 
hlasme  d'une  Thays.  L'amour  que  vous  avez  peu  cognoistre  que 
ie  vous  parte  n'a  prins  racine  en  moy  que  sous  condition  de  Mariage. 
Theogenes  bekennt,  daß  auch  er  kein  anderes  Ziel  erstrebe. 

Die  Liebenden  sehen  sich  nach  dieser  Begegnung  dann  noch 
oft  im  Hause  der  Witwe  Pamphylie,  einer  Freundin  der  Charide, 
die  zugleich  mit  dem  Onkel  des  Theogenes  verwandt  ist.  Die 
Freundin  ist  bei  ihren  Zusammenkünften  stets  mit  anwesend; 


210  Walther  Küchler. 

denn  sie  verschiebt  ihre  Beschäftigungen  auf  andere  Stunden. 
Ein  Jahr  lang  verkehren  sie  so  miteinander,  dann  bittet  Theogenes 
durch  Vermittlung  seines  Oheims  bei  dem  Vormunde  der  Charide 
um  ihre  Hand. 

Diese  Tatsache  wird  in  der  Stadt  bekannt  und  erregt  all« 
gemeinen  Unwillen.  Man  ist  empört,  daß  die  reiche  Erbin  einen 
Fremden  heiraten  will.  Andere  Freier  stellen  sich  ein,  und  die 
nicht  ruhenden  Intriguen  bringen  es  dahin,  daß  Theogenes  aus 
der  Stadt  gemesen  wird. 

Der  Wunsch  des  Liebespaares  geht  darnach,  sogleich  zu 
heiraten.  Charide  ist  entschlossen,  mit  dem  Geliebten  fort- 
zuziehen. Aber  in  einer  Aussprache  über  die  Sachlage  über- 
redet der  Vormund  sie  einstweilen  zum  Scheine  nachzugeben, 
das  Gerede  der  Leute  nicht  herauszufordern,  sich  für  eine  gewisse 
Zeit  zu  trennen,  ohne  doch  ihrer  Verbindung,  die  er  später  er- 
möglichen wolle,  zu  entsagen.  Theogenes  weint  vor  Freude 
über  die  guten  Absichten  des  Vormundes  und  aus  Trauer  über 
die  bevorstehende  Trennung.  Charide  bleibt  ruhiger,  denn  ihr 
Wille  steht  fest.  In  diesem  schweren  Augenbhcke  geht  der 
taktvolle  Vormund  im  Zimmer  auf  und  ab  und  stiehlt  sich  dann 
ganz  unvermerkt  davon,  wobei  er  sich  der  Tränen  nicht  erwehren 
kann.  Die  Liebenden  benutzen  den  kurzen  Augenblick  des 
Alleinseins,  um  sich  zum  erstenmal  zu  umarmen  und  zu  küssen. 
Bald  kehrt  der  Vormund  zurück.  Theogenes  überreicht  der 
Charide  den  Verlobungsring,  küßt  sie  mit  Einwilligung  des  Vor- 
munds ein  zweites  Mal  und  nimmt  dann  mit  Tränen  in  den  Augen 
Abschied.  Der  Rest  des  Tages  geht  für  Charide  hin  in  Gesprächen 
mit  ihren  Pflegeeltern  über  ihre  Liebe.  In  der  Nacht  kann  sie 
nicht  schlafen,  da  ihr  Geist  von  Leid  erfüllt  ist.  Sie  fürchtet, 
Theogenes  möchte  aus  Liebeskummer  in  die  weite  Welt  gehen 
und  sich  allerlei  Gefahren  aussetzen,  um  sein  Leben  zu  enden; 
oder  er  könnte  sie  vergessen,  wenn  er  sie  nicht  mehr  sehe.  Dann 
wieder  ist  sie  gutes  Mutes  und  glaubt  an  seine  Liebe,  da  sie  beide 
zu  fest  miteinander  verbunden  seien,  als  daß  ihre  Liebe  zer- 
brechen könnte.  ,,Und  dann  benetzte  ich  mein  Kissen  mit 
Tränen,  erfüllte  meine  Kammer  mit  Seufzern  und  schaute  immer 
wieder  zum  Fenster  hinaus,  um  zu  sehen,  ob  der  Tag  anbräche. 
Ich  konnte  es  nicht  erwarten,  den  Geliebten  zu  sehen  und  den 
Abschied  voneinander  so  lang  als  möglich  zu  gestalten."  Als 
es  dann  endlich  Tag  geworden  ist,  kleidet  sie  sich  an  und  schmückt 
sich  weniger  als  sonst,  wie  es  andere  Mädchen  wohl  getan  hätten. 
„Je  ne  songeois  point  ä  telles  ruses,  n'estant  mon  esprit  occapS. 
que  de  la  seiile  force  de  mon  amitie  spirituelle.'' 

Bei  der  Freundin  Pamphylie  treffen  sich  die  Liebenden. 
Nach  langen  Reden  von  Liebe,  Tugend  und  Treue  küssen  sie 
sich  unter  Tränen,  begeben  sich  in  den  Tempel  der  Juno,  legen 
vor  ihr  ein  Eheversprechen  ab,  umarmen  sich  vor  dem  GotteS" 


Martin  Fumee's  Roman  ,,Da  vray  et  parfait  aniour".     211 

bild  zurückhaltend  mit  einem  Kusse  und  trennen  sich  dann 
ohne  längeres  Abschiednehmen.  Es  wäre  ihnen  nicht  möglich 
gewesen,  so  war  ihnen  beiden  das  Herz  beklummen. 

Theogenes  schifft  sicli  ein,  sein  Onkel  begleitet  ihn  zum 
Hafen  und  schaut  ihm  nacli,  so  lange  er  das  Segel  bemerken 
kann.  Charide  bleibt  still  zu  Hause,  die  Geselligkeit  gefällt  ihr 
nicht,  Pamphylie  besucht  sie  oft,  sie  spricht  mit  ihr  von  ihm, 
und  das  erleichtert  ihren  Kummer.  Theogenes  schreibt  ihr,  daß 
er  die  .Absicht  habe,  die  Ruinen  Trojas  zu  besuchen  und  von  da 
aus  mit  ihrem  Einverständnis  in  das  Königreich  Pontus  zu  gehen, 
um  dort  in  dem  gegen  die  Scythen  ausgebrochenen  Kriege  die 
Kampfesweise  dieses  Volkes  kennen  zu  lernen.  Nur  einmal  kann 
Charide  ihrem  Freunde  schreiben.  Dann  bricht  der  Krieg  aus  und 
führt  sie  beide  als  Gefangene  nach  Rom. 

Wer  diese  Erzählung  von  Liebe,  Vereinigung  und  Trennung 
der  Charide  und  des  Theogenes  mit  dem  entsprechenden  Ab- 
schnitte   des    griechischen    Romans    vergleicht,    wird    zugeben 
müssen,   daß   es   der   ,, sklavische  Nachahmer"    verstanden   hat, 
trotz   allen    äußeren   Anschlusses   etwas   ganz   neues    zu   geben. 
Alles   Pompöse  und   Prunkhafte  ist  aus  seiner  Erzählung  ver- 
schwunden.     Da   reicht  keine   purpurbekleidete,   mit  Pfeil   und 
Bogen    versehene    Apollopriesterin   einem   glänzenden    Gesandt- 
schaftsführer das  heilige  Feuer  und  den   Siegespreis.     Da  ver- 
künden die  Götter  nicht  geheimnisvoll  dunkle  Orakel  und  ent- 
bieten ihren  Willen  in  Traumgesichten,  da  treibt  kein  ägyptischer 
Prophet  ein  frivoles  Magierspiel,  da  findet  keine  listenreiche,  mit 
Waffengeklirr  und    Stimmenlärm  inszenierte   Entführung  statt, 
keine  Piraten  entbrennen  in  Liebe,  töten  sicli  gegenseitig  um 
den  Besitz  der    Schönen,  keine  Räuber  und   Krieger  bedrohen 
die  Liebenden  und  reißen  sie  schließHch  auseinander.    Vielmehr 
spielt  sich  alles  was  geschieht,  in  friedlichen,  natürlichen,  bürger- 
lichen Verhältnissen  ab.     Modern,  wahr,  reahstisch  stellt  Fumee 
dar,   was  bei   Heliodor  antiquiert,   abenteuerlich,   konventionell 
erscheint.     Ganz  unwillkürlich  vergißt  man  eine  Zeitlang,  daß  ja 
die  Handlung  im  alten  Griechenland  vor  sich  geht,  man  stellt 
sich   die    Straßen  und  Häuser  einer  kleinen   Stadt   zu  Fumees 
Zeiten  vor,  die  Menschen  im  Kostüm  der  Renaissance,  man  sieht 
sie  leben  in  ihrer  deutlich  geschauten  Umgebung,  im  alltäglichen 
Dasein. 

Weder  Charide  noch  Theogenes  heben  sich  sonderlich  über 
ihre  Umgebung  heraus.  Charide  tanzt  in  der  Schar  der  Mädchen 
und  Theogenes  schaut  zu,  wie  alle  anderen  Zuschauer  auch. 
Nirgends  heißt  es,  daß  beide  die  schönsten  ihres  Geschlechtes 
seien.  Trägt  Theogenes  bei  den  Spielen  den  Preis  davon,  so 
entgeht  Chariden  der  Preis,  weil  die  Liebe  sie  verwirrt  hatte. 
Schlicht,  innig  und  wahr  wie  die  erste  Begegnung,  sind  auch 
alle  die  anderen  Etappen  der  Liebe  geschildert,  das  Mahl  zu 


212  Walther  Küchler. 

Hause  mit  den  klugen  Reden  der  Pflegeeltern  und  der  das  Brot 
zerkrümelnden,  träumerisch  entrückten  Charide,  das  erneute 
Zusammentreffen,  der  Entschluß  zur  Trennung,  der  Abschied. 
Kaum,  daß  die  Außenwelt  mit  vernehmbarem  Geräusch  in  das 
heimhche  Liebesglück  sich  hineinmischt,  alles  Geschehen  bleibt 
auf  die  natürlichsten  Handlungen  der  beteiligten  Personen  und 
auf  die  ebenso  natürlichen  Äußerungen  ihres  seelischen  Zustandes 
beschränkt.  Und  wenn  c:ie  Außenwelt  dann  doch  einmal  sich 
störend  bemerkbar  macht,  wie  glücklich  ist  da  vom  Dichter 
ihr  hemmendes  Eingreifen  motiviert  worden.  Der  Unwille 
der  heiratsfähigen  Männer  der  Stadt  darüber,  daß  ihnen  die 
reiche  Beute  entgeht  und  dem  Fremden  zufallen  soll,  und  der 
Zw^ang  der  Rücksichtnahme  auf  die  öffentUche  Meinung  —  solche 
Dinge  erinnern  die  Liebenden  daran,  daß  sie  nicht  allein  auf 
der  Welt  sind. 

Es  verdient  mit  Anerkennung  hervorgehoben  zu  w^erden, 
daß  Fumee  unter  dem  mächtigen  Zwange  des  Heliodorschen 
Einflusses  sich  d  i  e  Selbständigkeit  des  Schaffens  bewahren 
konnte,  die  ihn  zu  so  origineller  Darstellung  der  Beziehungen  der 
Charide  und  des  Theogenes  befähigte. 

Ähnlich,  ebenso  anschaulich  und  natürlich  mit  realistischen 
Zügen  durchsetzt,  hat  er  die  Liebe  der  Melangenie  und  des  Phere- 
cydes  geschildert.  Nicht,  wie  im  vorhergehenden  Falle,  in  die 
Kleinstadt  führt  er  uns,  sondern  ein  ländliches  Idyll  läßt  er  vor 
uns  erstehen,  keimende  Liebe  zwischen  Blumen  und  Gemüse- 
beeten, neckende  Worte  bei  Blumenpflücken  und  Früchtesammeln, 
die  Liebeserklärung  in  schattiger  Laube,  während  die  Gärtners- 
tochter vom  Zahnweh  geplagt  in  der  Stube  hockt,  die  heimliche 
Flucht  an  dem  Tage,  da  der  Gärtner  mit  Früchten  und  Zwiebeln 
zu  Markte  gezogen  ist. 

Vergebens  sucht  man  bei  Heliodor  nach  solchen  anmutigen 
und  wohltuenden  Szenen.  Bei  ihm  findet  man  Abenteuer, 
immer  wieder  nur  Abenteuer  von  Anfang  bis  zu  Ende. 

Natürlich  ist  Fumees  Roman  vom  Abenteuerlichen  nicht  frei. 
Nachdem  er  einmal  seine  Paare  zusammengeführt  hat  und  sie 
sich  ihrer  Vereinigung  zu  freuen  anfangen,  beginnen  auch  für 
sie  die  Abenteuer.  Ganz  nach  dem  Vorbilde  Hehodors.  In  den 
Teilen  des  Romans,  welche  die  den  Personen  zustoßenden,  aben- 
l(!uerlichen  Gefahren  schildern,  ist  die  Abhängigkeit  Fumees 
von  Heliodor  am  stärksten.  Doch  auch  hier  wird  uns  die  ver- 
gleichende Betrachtung  das  richtige  Maß  der  Abhängigkeit 
erkennen  lassen. 

Wir  hatten  Theagenes  und  Chariclea  da  verlassen,  wo  er 
als  Sklave  zum  Großkönig  geschickt  werden  sollte,  sie  in  den 
Besitz  eines  Kaufmannes  kam.  Theagenes  nun  gelangt  nicht 
zum  Könige,  sondern  nach  Memphis  an  den  Hof  des  Satrapen 
Oroondates.     Dort  findet  ihn  Chariclea,  die  von  Calasiris  los- 


Martin  Fiimee's  Rotnnn  „Du  vrai/  et  parfnit  amoar" .     213 

gekauft  worden  ist  und  in  Bettlerkleidung  aul'  der  Suche  nach 
ihm  das  Land  durchstreift  hat,  wieder.  Theagenes  kennt  sie  in 
ihrer  Verkleidung  anfangs  nicht  und  schlägt  die  zudringliche 
Bettlerin,  für  die  er  sie  hält,  sogar  ins  Gesicht.  In  Memphis 
geht  es  ihnen  sehr  schlecht.  Theagenes  muT»  sich  die  Nach- 
stellungen der  sinnlichen  Gattin  des  Satrapen  gefall<'n  lassen, 
und  da  er  sich  weigert,  ihr  zu  Gefallen  zu  sein,  Sklavendienste 
tun.  Chariclea  ward  mit  Vermählung  an  einen  der  Beamten  des 
Hofes  bedroht.  Beide  werden  ins  Gefängnis  geworfen,  Chariclea 
eines  Giftmordes  beschuldigt  und  zum  Feuertode  verurteilt,  aber 
durch  die  VVunderkraft  eines  magischen  Steines,  den  sie  bei 
sich  trägt,  vor  dem  Tode  bewahrt.  Ilu^er  Feindin  ledig,  gelangen 
sie  schließUch  auf  Umwegen  in  die  Gewalt  des  Königs  der  Äthiopier 
und  werden,  da  sie  die  Keuschheitsprobe  bestehen,  zum  Opfer 
für  die  Götter  bestimmt.  Aber  Chariclea  wird  rechtzeitig  als 
Tochter  des  Königs  erkannt.  Nach  Überwindung  von  mancherlei 
letzten  Schwierigkeiten  und  Gefahren  entgelit  auch  Theagenes 
dem  drohenden  Opfertode,  und  die  beiden  Liebenden  werden 
endlich  durch  das  Band  der  Ehe  miteinander  vereinigt,  und 
der  Wille  des  Gottes,  der  sich  einst  in  dunklem  Orakelspruche 
kundgegeben  hatte,  ist  nach  all  den  Prüfungen  und  Hindernissen 
in  Erfüllung  gegangen. 

In  Fumees  Roman  ergeht  es  den  Personen  folgendermaßen: 
Der  Krieg  führt  beide  nach  Rom.  Theogenes  darf,  von  seinem 
Vater  freigemacht,  nach  Athen  zurückkehren.  Ebenso  kehrt 
Charide  friedlich  nach  Meliböa  zurück,  wobei  sie  unterwegs  im 
Hause  des  Poleten  zu  Epidamnus  absteigt  und  mit  ihm  religions- 
philosophische Gespräche  führt.  Auf  ihre  Bitte  reist  Theogenes 
zu  ihr,  wird  auf  dem  Wege  von  Seeräubern  gefangen  genommen 
und  nach  Byzanz  geschleppt.  Charide  kauft  ihn  los.  Sie  ge- 
langen ins  Scythenreich,  Charide  soll  nach  bestandener  Keusch- 
heitsprobe geopfert  werden.  Theogenes  wendet  die  Gefahr  ab. 
In  seiner  Abwesenheit  flieht  Charide  vor  den  Nachstellungen  eines 
Scythen.  Theogenes  findet  sie  bald  wieder.  Gemeinsam  kehren 
sie  nach  Meliböa  zurück,  heiraten  und  ziehen  nach  Athen  zu 
dem  alten  Polycrates. 

Das  ist  alles  nicht  sehr  verschieden  von  Heliodoj-,  aber  doch 
auch  nicht  gleich.  Das  Abenteuerliche  bei  Fumee  ist  um  ein 
paar  Grade  schwächer  als  bei  Heliodor,  auch  die  Zahl  der  Aben- 
teuer ist  geringer.  Eigentlich  handelt  es  sich  nur  um  die  erneute 
Gefangennahme  des  Theogenes,  um  den  drohenden  Opfertod 
der  Charide  und  um  die  Nachstellungen  durch  den  Scythen. 
Wir  finden  keine  Bettlerverkleidung,  keine  Verführungsversuche 
an  Theogenes,  keine  Anklage  wegen  Verbrechens,  keine  wunder- 
bare Errettung  vor  dem  Feuertode  und  keine  wundersame  Wieder- 
erkennungsszene.  Außerdem  selien  wir  die  Personen  nicht  nur 
leidend,    sondern    auch    handelnd.      Charide    macht    sich    ohne 


214  Walther  Küchler. 

Zögern  auf  den  Weg  nach  Byzanz  und  kauft  den  Geliebten  los, 
Theogenes  befreit  durch  Taten  die  Geliebte  vor  dem  Opfertode, 
Charide  rettet  sich  vor  der  Entehrung  durch  die  Flucht.  Überall 
suchen  die  Personen  durch  tatkräftiges,  schnelles  Handeln,  nicht 
nur,  wie  bei  Heliodor  durch  Listen  und  scheinbares  Nachgeben, 
gegen  die  Tücken  des  Schicksals  zu  kämpfen.  Vollständig  fehlt 
der  unsichtbar  alles  Geschehen  lenkende  Wille  der  Gottheit  und 
damit  das  Orakel  und  seine  Erfüllung.  Alles  Unterschiede,  die 
in  der  gleichen  Richtung  wie  nun  schon  so  manche  bemerkte 
Abweichungen  liegen. 

Auch  die  Geschichte  der  Melangenie  und  des  Pherecydes  ist 
nicht  allzu  reich  an  abenteuerlichen  Elementen.  Nach  Heliodors 
Beispiel  werden  sie  von  Räubern  festgenommen,  dann  für  viele 
Jahre  voneinander  getrennt  und  als  altgewordene  Leute  wieder 
vereinigt.  Das  GöttHche  spielt  bei  ihnen  insofern  eine  Rolle, 
als  gleich  nach  der  Trennung  dem  schlafenden  Pherecydes  sein 
Schutzgeist  erscheint  und  ihm  verheißt,  daß  er  einst  unerwartet 
die  Verlorene  wiederfinden  werde.  So  sucht  er  sie,  bis  er  sie 
endlich  findet. 

Die    Liebe    in    den    beiden    Romanen. 

Wie  sich  zwei  Liebende  in  unerschütterlicher  Treue  in  allen 
Gefahren,  trotz  aller  Verführungsversuche  und  Anschläge  auf 
ihre  Keuschheit  und  Jungfräulichkeit  gegenseitig  ihre  Liebe 
bewahren,  das  ist  das  Thema  des  Heliodorschen  Romans  und  der 
Nachahmung  durch  Martin  Fumee.  Dieses  Thema  vor  allem 
zog  ihn  an,  wie  es  auf  die  Zeit  den  größten  Eindruck  machte. 
Das  Thema  von  der  verfolgten  und  standhaften  Liebe  wirkte 
und  reizte  zur  Nachahmung,  mehr  als  die  abenteuerUchen  Elemente 
an  sich,  die  man  allerdings  gern  mit  in  Kauf  nahm. 

Das  Liebesproblem  war  dem  Zeitalter  eine  wichtige  Sache. 
Der  Roman  Heliodors  kam  gerade  gelegen  und  wurde  mit  in 
die  Bewegung,  welche  die  Verfeinerung  der  Liebe  anstrebte, 
hineingerissen.  Der  Roman  Fumees  zeigt  diese  Tatsache  aufs 
Deutlichste;  und  auch  unter  diesem  Gesichtspunkte  stoßen  wir 
auf  neue,  wichtige  Unterschiede,  die  ihn  von  seinem  Vorbilde 
trennen. 

Bei  HeUodor  ist  die  Entstehung  der  Liebe  im  Jüngling 
zunächst  nur  sinnHche  Glut.  Er  will  das  schöne  Mädchen  be- 
sitzen, genießen;  wenn  es  nicht  anders  geht,  auch  gern  heiraten. 
Er  quält  sich  in  unbefriedigtem  Verlangen.  Bei  der  Jungfrau 
wirkt  das  plötzliche  Erstehen  der  Liebe  wie  eine  ermattende 
Krankheit.  Dir  Gefühl  ist  nur  Qual,  die  ihr  alle  Kräfte  raubt, 
Angst,  wie  sie  die  Jungfräulichkeit,  die  sie  sich  gelobt,  vereinbaren 
könne  mit  dem  neuen  Gefühl,  das  sie  überwältigt,  Scham  über 
das  Verlangen,  das  sie  beseelt.     Sie  hilft  sich,  als  sie  sieht,  daß 


Martin  Fumee's  Roman  .J)ii  vray  et  parfait  amour".     215 

sie  ninht  mehr  widerstehen  kann,  gewissermaßen,  indem  sie  sich 
dem  Gefühl  der  Liebe  hingibt,  aber  sogleich  den  Geliebten 
schwören  läßt,  ihre  Unschuld  zu  bewahren  bis  zur  Hochzeit  oder 
wenigstens  bis  zu  dem  Augenblick,  da  sie  von  selbst  cinwilHgen 
werde,  die  Seine  zu  werden.  Mit  den  schwersten  Eiden  schwört 
der  Jüngling,  was  sie  verlangt.  Und  nun  bewahren  beide,  trotz 
aller  Gefährdungen,  ihre  Keuschheit.  Dem  Manne  wird  es  nicht 
allzu  leicht.  Mehrere  Male  muß  Chariclea  sein  Flehen  zurück- 
weisen, und  auch  sie  selbst  bleibt  nicht  frei  von  sinnlichen  Re- 
gungen. Einmal,  als  sie,  von  Theagenes  getrennt,  im  Hause  des 
Kaufmanns  Nausicles  weilt,  wird  sie  in  ihrer  Kammer,  während 
gerade  die  Tochter  des  Kaufmanns  Hochzeit  feiert,  von  bachanti- 
scher  Leidenschaft  ergriffen.  Sie  zerrauft  ihr  Haar,  zerreißt  ihr 
Kleid,  sie  stimmt  aus  ihren  durch  das  Hochzeitsfest  im  Hause 
erregten  Sinnen  ein  wildes  Klagelied  an.  Sie  jammel't  über  ihre 
Verlassenheit,  spendet  dem  Fernen  ein  Tränenopfer  wie  einem 
Toten,  wünscht  ihn  im  gleichen  Atemzag  in  ihr  Lager  und  wünscht 
ihn  wieder  hinweg;  sie  will  jungfräulich  bleiben  und  kann  doch 
nicht  wider  ihre  Leidenschaft.  Sie  bildet  sich  ein,  sie  hätte  den 
Freund  neben  sich  und  sie  küßte  und  umarmte  ihn. 

Eine  solche  Szene  wäre  in  Fumees  Roman  ganz  undenkbar. 

Man  fragt  sich,  wenn  man  Heliodors  Roman  liest,  vergeb- 
lich nach  den  tieferen  moralischen  Gründen,  welche  die  Personen 
veranlassen,  keusch  und  einander  treu  zu  bleiben.  Man  könnte 
als  Antwort  aus  dem  Roman  herauslesen,  daß  es  eben  der  edlen 
Natur  des  Menschen  und  besonders  der  Frau  eigen  ist,  die  einmal 
geschworene  Liebe  treu  zu  bewahren.  Man  könnte  sagen,  daß 
es  die  Absicht  des  Verfassers  gewesen  sei,  das  Lob  der  sorgsam 
gehüteten  Keuschheit  und  Reinheit,  des  Widerstrebens  gegen 
alles  Unreine  und  Unerlaubte  zu  singen,  seine  Helden  als  ideale 
Verkörperungen  der  reinen,  standhaften  Liebe  hinzustellen. 
Heliodor  mag  eine  solche  Absicht  gehabt  haben. 

Das  eigentliche  Thema  des  Romans  jedoch  scheint  von 
einer  solchen  idealistischen  Durchdringung  frei  zu  sein.  Es 
gehört  ganz  wesentlich  zu  dem  Thema  Hehodors,  daß  von  An- 
fang an  der  Wille  des  Gottes,  des  Helios-Apollo,  die  Geschicke 
der  Personen  bestimmt.  Zurückführung  der  Charide  in  das 
heimatliche  Sonnenland,  trotz  aller  Gefahren  und  Hindernisse, 
das  ist  der  eigentliche  Vorwurf  des  Romans.  In  diesem  Sinne 
müssen  wir  die  zu  Anfang  dieses  Abschnittes  gegebene  De- 
finition des  Themas  enger  ziehen.  Bewahrung  der  Treue  und 
Keuschheit  erschien  den  Zeitgenossen  Fumees  als  das  wirk- 
liche Thema.  Und  so  vernachlässigte  denn  auch  Fumee  selbst 
alles  Orakelhafte  und  verkannte  damit  die  eigentliche  Be- 
deutung des  Romans. 

Daß  der  Gott  die,  welche  seine  Priesterin  ist,  unverletzt 
an  Leib  und  Seele  bewahrt,  versteht  sich  von  selbst.    Das  Interesse 


216  Walther  Küchler. 

des  Verfassers  liegt  ausschließlich  darin,  eine  möglichst  große 
Anzahl  mögUchst  gefährHcher  Abenteuer  in  effektvoller  Ab- 
wechselung aufeinander  zu  häufen  und  durch  dieses  nerven- 
anspannende Spiel,  denn  ein  Spiel  des  Gottes  und  des  Autors 
ist  der  Roman,  mit  dem  Leser  zu  spielen. 

Die  Bewahrung  der  Liebe  und  Keuschheit  ist  also  nur  eins 
von  den  Mitteln,  vielleicht  das  bedeutsamste,  welches  dem  Spiel 
zu  seiner  Wirkung  verhilft.  Insofern  ragt  die  Behandlung  der 
Liebe  im  Roman  nicht  über  die  anderen  im  Roman  geschilderten 
Seelenvorgänge  hervor,  als  nirgends  der  Versuch  gemacht  worden 
ist,  sie  als  ein  tieferes  Gefühl  erkennen  zu  lassen.  Chariclea  ist 
zu  Anfang  lediglich  das  konventionelle  Bild  einer  fabelhaften 
Jägerin  und  Priesterin,  der  natürlich  weiblich  zu  fühlen  versagt 
ist.  Sie  steht  abseits  ihres  Geschlechts.  Sie  haßt  die  Ehe  — 
warum,  wird  nicht  gesagt  —  und  hat  den  Willen,  sich  nie  einem 
Manne  hinzugeben.  Die  Kühle  und  Gefühllose  wird  dann  mit  un- 
erhörter Heftigkeit  von  der  Leidenschaft  gepackt,  überläßt  sich 
ilir  nach  qualvollem  Kampfe,  aber  nur,  wie  wir  sahen,  unter  der 
Bedingung,  daß  sie  unberührt  bleiben  darf,  so  lange  es  ihr  beliebt. 
So  und  nicht  anders  ist  ihr  Verhältnis  zur  Liebe. 

Von  irgend  einer  tieferen,  moralischen  oder  philosophischen 
Begründung  der  reinen  Liebe,  ebenso  wie  von  einer  tiefinnerlichen 
Durchdringung  des  ganzen  Menschen  durch  das  Gefühl  hingebender 
Liebe  ist  in  dem  Roman  keine  Rede.  Und  auch  darum  klafft 
ein  so  weiter  Unterschied  zwischen  Heliodor  und  Fumee. 

„Du  vray  et  parjait  amour"  betitelt  sich  der  Roman  Fumees. 
Und  diese  wahre  und  vollkommene  Liebe,  wie  sie  der  Verfasser 
darstellen  wollte,  ist  die  platonische  Liebe,  in  der  Auffassung, 
die  er  und  seine  Zeit  von  ihr  hatte.  ,,Mon  entreprise  n'est  que 
pour  cest  Amour  lequel  nous  disons  estre  jus  de  Jupiter^  qui  trace 
le  chemiri  ä  ceste  amitie  qui  nous  fait  paroislre  divisez  d'avec  les 
bestes  brutes,  laquelle  procedant  de  ce  vray  Amour  nous  rend  amateurs 
des  choses  divines  et  aussi  aymez  de  la  divinite,  estant  iceluy  divin 
et  spirituell  so  äußert  sich  der  Verfasser  in  seiner  Vorrede  und 
fügt  hinzu,  daß  er  nicht  durch  gelehrte  Diskurse  oder  Dialoge, 
sondern  in  einer  anderen,  an  diese  Art  der  Belehrung  sich  an- 
lehnenden Form  den  Geist  seiner  Mitbürger  erheben  wolle  d  V amour 
des  choses  Celestes  et  vertueuses. 

Von  selbst  bot  sich  ihm  für  seinen  Zweck  das  Schema  des 
spätgriechischen  Liebesromans  dar.  In  ihm  fand  er  reine  Liebe 
dargestellt.  Aber  auch  nicht  mehr.  Keine  Spur  von  der  philo- 
sophischen Grundlage,  die  Plato  dem  Liebesbegriff  gegeben 
hatte,  die  die  Zeit  der  Renaissance  sich  von  neuem  aneignete, 
die  der  Verfasser,  wie  wir  gesehen  haben,  in  direkten  Ent- 
lehnungen aus  Plutarch  sich  holte. 

Charide  und  Melangenie  fühlen  tief  und  innig,  menschlich 
wahr  und  wissen,  warum  sie  sich  rein  halten.    Weil  sie  ihre  Liebe 


Martin   Fumees  Roman  ,,Du  vray  et  parjait  aniour" .     217 

von  vornherein  unter  den  platonischen  Liebesbegriff  stellen, 
weil  sie  unter  ihr  einen  Abglanz  höherer  Liebe  verstehen,  weil 
die  irdische  Liebe,  recht  verstanden,  zu  liimmlischen  Erkennt- 
nissen, zum  Göttlichen  führt,  darum  geben  sie  sich,  ohne  Angst 
und   Qual,  beseligt  ihrer  Liebe  hin.*'^'^) 

Man  darf  nicht  von  dem  Verfasser  erwarten,  daß  er  mit 
gereifter  Kunst  das  moralische  und  philosophische  Element 
so  in  den  Roman  hineinzuarbeiten  versteht,  daß  es  als  ursprüng- 
liche Äußerung  ihres  eigensten  Wesens  wieder  aus  den  Menschen 
herausstrahlte;  zu  S(dcher  dichterischen  Schöpfung  reichte  seine 
Kraft  nicht  aus.  Die  Philosophie  seiner  Personen  ist  vielmehr  etwas 
Angelerntes,  und  sie  geben  sie  von  sich  wie  eine  Lektion,  die  sie 
hersagen.  Nur  auf  Grund  technischer  Ungeschicklichkeiten 
vermag  sie  häufig  genug  Eingang  in  die  Komposition  seines 
Romans  zu  finden.  Es  fragt  sich  auch,  ob  Charide,  so  wie  sie 
Fumee  zeichnet,  gerade  die  geeignete  Persönlichkeit  ist,  diese 
platonische  Liebe  zu  verkörpern.  Im  Grunde  ist  sie  viel  zu  sehr 
das  junge,  für  die  warme,  natürliche,  von  aller  Philosophie  freie 
Liebe  geschaffene  Weib.  Keusch  und  sittsam,  ehe  sie  liebt, 
keusch  und  sittsam,  wenn  die  Liebe  sie  ergriffen  hat,  und  nur 
darauf  bedacht,  bald  mit  dem  geliebten  Manne  in  der  Ehe  ver- 
einigt zu  sein.  Was  der  Chariclea  abgeht,  das  Weiche  und  Mäd- 
chenhafte, das  besitzt  sie  in  schönster  Harmonie.  Weil  sie  in 
der  natürlichen  Reinheit  ihres  Gefühlslebens  aller  Philosophie 
entsagen  könnte,  steht  ihr  die  Liebesphilosophie  nicht  gut  zu 
Gesicht.  Darum  hat  der  Verfasser  auch  mit  gutem  Takt  die 
meisten  und  deutlichsten  pliilosophischen  Äußerungen  der  älteren, 
gereifteren  Melangenie  in  den  Mund  gelegt. 

Es  ist  nun  eine  natürliche  Folge  der  Hineintragung  dieses 
Liebesbegriffs  in  das  übernom.mene,  äußerliche  Schema,  daß 
die  Gefahren  und  Anfechtungen,  denen  die  Liebenden  ausgesetzt 
sind,  an  Zahl  und  Bedeutung  so  auffällig  hinter  denen  in  Heliodors 
Roman  zurückbleiben.  Es  ist  fast,  als  ob  dem  Verfasser  das 
alte  Thema  unter  der  Hand  zerrönne.  Was  hat  die  spirituelle 
Liebe,  die  er  seinen  Mitbürgern  weisen  will,  mit  geheimnisvollen 
Orakeln  und  deren  Erfüllung  zu  tun  ?  Was  braucht  er  die  Häufung 
von  zahllosen  Nöten  und  Gefahren,  um  diese  Liebe  zu  prüfen 
und  zu  quälen  ?  Die  geistige  Liebe  hat  es  mit  Gefühl  und  Er- 
kenntnis zu  tun,  wo  die  Laune  des  Gottes  von  ^Villkür  zu  Willkür 

100)  Wenn  Charide  in  der  ersten  Nacht,  die  auf  die  Liebeser- 
kenntnis folgt,  wie  vom  Fieber  geplagt  ist  und  auch  am  anderen  Morgen 
sich  noch  nicht  besser  fühlt,  so  haben  wir  ein  dem  Heliodor  entlehntes 
Motiv  vor  uns,  das  Fumee  gedankenlos  beibehalten  hat.  Ein  Motiv, 
das  außerdem  in  der  gesamten  Romanliteratur  der  Zeit  mit  unfehl- 
barer Sicherheit  sich  einstellt,  sobald  jemand  von  Liebe  ergriffen  wird. 
Wirkliche  Qualen  wie  Chariclea  sie  fühlt,  kennt  die  Liebe  der  Charide 
nicht.  Auch  ist  die  Krankheit  nach  dem  ersten  Schreiben  des  Theogenes, 
das  sie  seiner  Gegenliebe  versichert,  spurlos  verschwunden. 


218  Walther  Küchler. 

schritt  und  das  Keuschheitsverlangen  der  köchertragenden 
Chariclea  eine  simple  technische  Notwendigkeit  des  erfindungs- 
reichen Erzählers  war.^^^) 

So  wird  uns  aus  dem  veränderten  Standpunkt  Fumees 
gegenüber  dem  Thema  Heliodors  die  veränderte  innere  Ökonomie 
seines  Romanes  klar.  Wir  verstehen,  warum  sein  Werk,  mag 
es  auch  noch  so  viel  Elemente  des  äußeren  Schemas  beibehalten 
haben,  doch  nur  ein  Schatten  dieses  Schemas  geworden  und 
an  innerUchem  Gehalt  so  weit  über  das  Thema  des  nach- 
geahmten   Werkes    herausgewachsen    ist. 


Die  künstlerische  Darstellung  der  Gefühle. 

Die  Innerlichkeit,  die  im  Gegensatz  zu  Heliodor  in  den 
Roman  hineingekommen  ist,  zeigt  sich  auch  darin,  daß  der 
Verfasser  in  ungleich  stärkerem  Maße  die  Gefühle  seiner  Per- 
sonen, und  zwar  wahre  und  echte  Gefühle,  schildert.  Die  Gegen- 
überstellung der  verschiedenen  Ausschnitte  aus  den  beiden 
Romanen  hat  den  Unterschied  zwischen  ihnen  auch  in  dieser 
Beziehung  deutlich  hervortreten  lassen.  Es  soll  nicht  von  neuem 
gezeigt  werden,  welcher  Art  das  Gefühlsleben  ist,  wie  es  hervor- 
tritt in  dem  Verhältnis  der  Charide  zu  Theogenes,  der  Melangenie 
zu  Pherecydes,  der  Melangie  und  der  Charide,  des  Octavius  zu 
Charide,  in  dem  Verhältnis  des  Vaters  Polycrates  zu  seinem 
Sohn,  der  Charide  zu  ihren  Freundinnen  —  überall  haben  wir  es 
mit  natürUch-menschhchen  Beziehungen  und  echten  Gefühlen 
zu  tun,  während  wir  im  Roman  Hehodors  beständig  auf  ver- 
wickelte, sonderbare  Verhältnisse  stoßen  und  auf  Gefühle,  die 
zwar  hier  und  da  durchaus  ernst  und  innig,  in  der  Regel  jedoch 
blos  heftig  flackernd,  abnorm,  zufälhg  und  schwankend  sind, 
so  daß  sie  den  Leser  innerlich  kalt  lassen.  Mit  welchen  künst- 
lerischen Mitteln  Fumee  die  Gefühle  seiner  Personen  zu  veran- 
schaulichen   weiß,    soll    zum    Schluß    noch    untersucht   werden. 

Nicht  nur  auf  schulmäßig-rhetorische  Art,  durch  ausführhche, 
schön  komponierte  Reden,  durch  lange,  mit  erregten  Ausrufen 
durchsetzte  Klagetiraden  läßt  er  seine  Personen  ihre  Stimmungen 
und  Gefühle  äußern,  sondern  auch  edlerer  Mittel,  der  Kunst 
realistischer,  die  Situation  durch  Haltung  und  Gebärde  malender 
Erzählung,  weiß  er  sich  mit  Erfolg  zu  bedienen. 

Als  der  Triumphzug  vorübergezogen  ist,  tritt  Capito,  der 
Freigelassene  des  Octavius  in  das  Zimmer  der  Charide  und  findet 

*®^)  Zu  bemerken  ist  auch,  daß  aus  Fumees  Roman  alle  Bei- 
spiele von  sinnlicher  und  unreiner  Liebe  verbannt  sind.  Keine  ver- 
heirateten Frauen  entbrennen  in  sündiger  Glut  zu  schönen  Jünglingen, 
nie,  mit  einer  Ausnahme,  stellt  die  Sinnlichkeit  der  Männer  den  Frauen 
nach. 


Martin  Funiees  Ronwti  ..Du  iray  et  parfait  arnour".     219 

sie  couchee  sur  im  petit  lict  estendue  sur  les  reins  une  iambe  croisee 
sur  Vaiiire  et  nn  bras  estendu  avec  la  main  negUgemnient  pendante 
contre-bas,  ten-ant  le  bout  de  son  voyle  de  l'autre  acec  lequel  eile 
couvroit  son  visage.^^-)  Diese  Haltung  kennzeichnet  so  ihren 
traurigen  Gemütszustand,  daß  Capito  ihr  versichert,  auch  wenn 
er  nicht  ihre  klagende  Stimme  gehört  hätte,  so  \\-ürde  er  doch 
gleich  mit  den  Bhcken  erkannt  haben,  daß  sie  von  Trauer  er- 
füllt sei.  Er  hält  ihr  nun  eine  längere  Trostrede,  während  derer 
Charide  nicht  unbeweglich  bleibt.  Charide  s'estant  ia  un  peu 
reUi'ee  aux  paroUes  de  Capito  et  penchee  sur  un  coste,  estant  appuyee 
sur  le  coude  et  ayant  reiecte  sur  sa  teste  soji  voyle  ä  deniy,  tellenieni 
qu'on  ne  luy  voyoit  que  le  nez  et  la  bauche,  se  print  en  phrant  tousiours 
amerement  d  proferer  ces  niots .  .  ^^) 

Als  dann  Melangenie  eintritt  und  zu  ihr  redet,  erhebt  sie 
sich  nicht  von  ihrem  Ruhebette,  sondern  läßt  ruhig  alle  ihre 
liebreichen  Worte  über  sich  ergehen.  Erst  als  Melangenie,  auf 
ihre  Liebe  anspielend,  stärker  an  die  Wunde  rührt,  gerät  sie  in 
plötzliche  Erregimg:  ..A  ces  mots  Charide  comme  soudain  poussee 
par  un  esprit  incogneu  se  tourna  tout  le  corps  de  dessus  son  petit 
lict  et  se  laissa  choir  sur  Melangenie,  Vembrassaiit  par  le  col  avec 
ses  deux  bras,  les  cuisses  et  iambes  restans  encore  sur  la  couchette, 
luy  disant  ai'ec  une  voix  plainiive  et  resonnante,  aiant  les  ioues 
et  la  bouche  pleines  de  larmes  .  .  .  "^^)  Am  Morgen  des  über- 
nächsten Tages  macht  Octavius  ihr  seinen  Besuch.  Ihn  empfängt 
sie  nicht  Hegend,  sondern  hört,  wie  es  sich  geziemt,  stehend 
seine  Worte  an:  ,. Pendant  les  propos  d'Ociavie,  Charide,  qui 
des  Ventree  d'iceluy  s'estüit  levee  en  pieds,  s'estoit  tousiours  tenue 
immobile  ayant  le  voile  abaisse  iusques  sur  les  sourcils  des  yeux, 
lesquels  eile  tenoit  fichez  en  terre,  tenant  ses  ?7iains  cachees  sous 
son  vestement  comnie  pour  le  soustenir  et  s'estant  le  sang  retire 
es  ennrons  du  coeur,  qui  la  faisoit  paroistre  plus  blanche  et  son 
teinct  imiter  le  marbre  Parien,  ressejnbhit  ä  ceux-ld,  qui  amenez 
devant  le  tyran  n'attendent  qu'un  iugement  inique  d  la  torture  oii 
meurtrisseure  de  leurs  corps:  ne  pouvani  au  reste  si  bien  se  contenir 
que  Von  ne  eist  quelques  larmes  couler  de  ses  yeux."^^^)  So  wird 
sehr  gut  ihre  ängsthche  Schüchternheit  und  die  Ungewißheit 
ihrer  Seele  ausgedrückt.  Dann,  als  Octavius  sie  mit  freundHchen 
Worten  beruhigt,  erleichtert  sich  ihr  Herz  und  in  die  bleiche 
Marmorfarbe    ihres    Anthtzes    ergießt    sich    rosiger    Schimmer. 

Diese  ersten  Szenen  mit  den  immer  wieder  durch  leise  Schat- 
tierungen leicht  veränderten  Bildern  des  trauernden  Mädchens 
stellen  dem  Leser  die  Gesamterscheinung  dieser  rührenden 
Frauengestalt  mit  zwingender  Macht  vor  die  geistigen  Augen, 

102)  S.  9b. 

*03)  s.  IIa. 

^^)  S.  17b. 

i<^5)  s.  30b  f. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII^  15 


220  Walther  Küchler. 

und  durch  den  ganzen  Roman  begleitet  ihn  die  Vorstellung 
von  Charide  als  einem  Tröstung  heischenden,  sehnsüchtigen  Wesen. 
Mit  großer  Liebe  hat  der  Verfasser  den  Abschied  der  Charide 
von  ihren  Freunden  in  Rom  geschildert. ^°*^)  So  groß  ihre  Sehn- 
sucht ist  im  Heimatlande  wieder  mit  dem  Geliebten  vereinigt 
zu  sein,  so  schwer  fällt  ihr  doch  die  Trennung.  Offen  spricht 
sie  mit  dem  väterlichen  Freund  über  ihre  zwischen  Freude  und 
Trauer  geteilte  Stimmung,  wie  hart  es  ihr  sei,  aufzugeben  die 
,,rfoii/ce  et  amiable  freguentation"  mit  ihm.  Bei  der  letzten  Mahl- 
zeit ißt  sie  setir  wenig.  Melangenie  trägt  die  aufgetragenen 
Speisen  fast  unberührt  wieder  hinweg.  Als  sie  ins  Zimmer  zu- 
rückkehrt, findet  sie  Charide  auf  dem  Ruhebett  liegend,  nicht 
schlafend,  sondern  träumend  von  verschiedenen  Dingen.  Am 
anderen  Morgen  begrüßt  Octavius,  ehe  er  sich  in  den  Senat 
begibt,  die  Scheidende,  sagt  ihr  mit  gütigen  Worten  Lebewohl 
und  wünscht  ihr  glückUche  Reise.  Da  neigt  sich  Charide  tief 
zur  Erde,  richtet  sich  bescheiden  wieder  auf,  senkt  den  BUck 
und  hebt  ihn  wieder  und  spricht  ihm  in  langer  Rede  ihren  Dank 
für  seine  Wohltaten  aus.  Als  sie  geendet  hat,  fällt  sie  auf  die 
Knie,  umarmt  die  des  Octavius  unter  strömenden  Tränen.  Octavius 
faßt  sie  unter  die  Schultern,  hebt  sie  auf,  umarmt  sie  zärtlich 
und  küßt  sie,  mouülant  ses  levres  au  ruisseau  des  pleurs  qui 
couloyent  le  long  des  ioues  et  par  tout  le  visage  d'elle.  Seine 
Festigkeit  verhindert  nicht,  daß  auch  ihm  weich  zu  Mute  wird, 
Tränen  treten  ihm  in  die  Augen  und  beweisen,  daß  die  Philosopliie, 
le  laquelle  estoit  imbeu  se  sage  et  vertueux  Capitaine,  nicht 
ganz  das  Menschliche  in  ihm  töten  konnte.  Er  fühlt  seine 
Schwäche  und  möchte  sie  verbergen.  Er  küßt  Charide  nochmals 
und  geht  dann  schnell  mit  einem  kurzen  Reisewunsch  aus  dem 
Zimmer.  Ehe  er  das  Haus  verläßt,  befiehlt  er  dem  Capito  während 
der  Reise  aufs  Beste  für  seine  Schutzbefohlene  zu  sorgen  und 
begibt  sich,  die  Tränen  zurückdrängend,  fort  pensif  et  portant 
une  face  bien  triste,  in  den  Senat.  Charide  aber,  von  tiefstem 
Schmerz  bewegt,  wirft  sich  auf  ihr  Bett  und  weint  und  seufzt 
ohn'  Unterlaß,  weil  sie  den  verlassen  soll,  den  sie  lieben,  achten 
und  ehren  muß  wie  keinen  andern.  Melangenie,  die  selbst  nicht 
weniger  schmerzhch  bewegt  ist,  nimmt  sich  zusammen,  mahnt 
zum  Aufbruch  und  tröstet.  Da  wendet  Charide  sich  um,  wirft 
beide  Arme  um  ihren  Hals  und  klagt,  daß  sie  scheiden  muß 
von  ihnen  Beiden,  die  gleiche  Tugend  haben,  denen  sie  so  viel 
zu  danken  hat  für  Belehrung  und  Beispiel.  Sie  steht  auf,  küßt 
sie  von  neuem  und  schenkt  ihr  einen  Ring,  den  sie  vom  Finger 
zieht.  Melangenie  kann  nicht  sprechen,  ihre  Tränen  zeugen 
von  ihrem  Schmerz.  Stumm  hilft  sie  der  Charide  die  Treppen 
hinuntersteigen.     Die  geht  zum  Gebet  in  den  Tempel  der  Juno, 


»"«)  S.   198b  f.  und  S.  226b  ff. 


Martin  Fumees  Roman  ,,Du  vray  et  parfait  amour" .     221 

kehrt  zurück,  wird  auf's  Pferd  gehoben  —  ein  letztes  Lebewohl, 
und  alle  bleiben  in  Trauer  zurück. 

Wer  hätte  eine  so  künstlerisch-maßvoll  geschilderte,  von 
der  Wärme  echten  Gefühls  beseelte  Szene  in  diesem  so  gering 
geschätzten  Roman  vermutet  ?  Nichts  war  für  ihre  Gestaltung 
aus  Heliodor  zu  holen.  Sie  ist  ganz  des  Verfassers  unbestreit- 
bares Eigentum. 

Ähnlich,  aber  weniger  ausführlich  malt  Fumee  die  Heimkehr 
der  Gharide,  die  tränenreiche  Begrüßung  mit  der  alten  Amme, 
das  Wiedersehen  mit  der  inzwischen  verwitweten  Gattin  ihres 
Vormundes,  die  erste  Nachtim  eigenen,  leeren  Hause,  den  Empfang 
des  von  Theogenes  an  sie  gerichteten  Briefes,  die  Absendung 
ihrer  Antwort.  Sehr  hübsch,  ganz  kurz,  ist  ihr  Gemütszustand 
in  der  Morgenstunde  veranschauücht,  in  der  sie  dem  Boten  den 
Brief  übergeben  hat.  Wie  eine  Erleichterung  ist  es  über  sie 
gekommen,  et  comme  si  eile  tenoit  desia  en  main  la  iouyssance 
de  ses  amoiirs  et  s'estimant  comme  au  port  asseure,  voulant  se 
donner  du  bon  temps  ne  voulut  bouger  du  lict  pour  ce  matin  et 
se  rendormü.^^') 

Vorzüghch  ist  die  freudige  Überraschung  des  Theogenes 
geschildert,  als  der  Bote  ihm  unerwartet  den  Brief  Gharidens 
überbringt;  er  nimmt  den  Boten  beim  Arm,  zieht  ihn  in  ein 
Zimmer  und  fragt  ihn,  woher  er  komme,  wo  Gharide  sei,  wie  es 
ihr  gehe,  in  welcher  Verfassung  er  sie  verlassen  habe,  wer  in 
jenem  Augenbhck  bei  ihr  gewesen  sei,  wie  lange  sie  schon  wieder 
in  der  Heimat  weile  —  so  fragt  er  kurz  und  schnell  eins  nach 
dem  andern  und  hört  dabei  kaum  auf  die  Antworten .  .  }^^) 
Und  so  gibt  es  eine  große  Reihe  von  Szenen,  in  denen  auf  die 
anschaulichste  Weise  das  innere  Gefühl  zusammen  mit  dem 
äußeren  Gestus  dem  Leser  nahe  gebracht  wird.  Es  würde  zu  weit 
führen,  sie  alle  hier  anzumerken.  Der  Stil  des  Autors,  der  keines- 
wegs  glänzend  zu  nennen  ist,  sondern  infolge  der  langen  und 
verwickelten  Perioden,  die  er  gerne  bildet,  häufig  etwas  Schwer- 
fälhges  und  Pedantisches  hat,  gewinnt  durch  solche  Schilderungen 
bedeutend  an  Farbe  und  Lebendigkeit. 

Wenn  auch  die  meisten  kürzeren  oder  längeren  Szenen 
dieser  Art  als  Fumees  künstlerisches  Eigentum  unbedenklich 
betrachtet  werden  dürfen,  so  ist  doch  gewiß,  daß  auch  für  diese 
Seite  seines  Werkes  Heliodors  Beispiel  nicht  ohne  Einfluß  auf 
ihn  geblieben  ist.  Auch  Heliodor  liebt  das  Malerische,  Plastische, 
Sinnfälhge  in  seinem  Stil,  Es  ist  ihm  darum  zu  tun,  seine  Per- 
sonen mit  ihren  Gefühlen  anschauhch  in  die  Situation  hinein- 
zustellen. Diese  Neigung  konnte  Fumee  aus  der  Lektüre  Heliodors 
gewinnen.    Tatsächlich  weisen  einige  seiner  Schilderungen  starke 


^0')   S.  273a. 
i"8)  S.  278a. 


15* 


222  Walther  Küchler. 

Anklänge  an  verschiedene  Stollen  seines  Vorbildes  auf.  Aber 
in  der  Übereinstimmung  zeigen  sich  doch  auch  wieder  die  Unter- 
s  chiede. 

Hehodor  ist  ein  gewandter  Erzähler.  Mag  sein  Stil  auch 
schwülstig,  outriert,  geschmacklos  poetisierend  sein,  er  weiß 
doch  zu  wirken.  Er  hat  den  Sinn  für's  Heruische.  Das  Prunkende 
ist  der  eigentliche  Charakter  seines  Stils.  Er  prunkt  mit  über- 
raschenden Einfällen,  mit  Witz,  mit  dem  Reichtum  der  Farben, 
mit  fütterndem  Glanz,  er  prunkt  mit  Freude  und  Schmerz,  mit 
dem  Heiligen  und  Unheihgen.  Verglichen  mit  seiner  Art  hat 
die  Fumees  etwas  unbestreitbar  Monotones,  auf  den  ersten 
Blick  Langweihges  und  Pedantisches,  Wo  Hehodor  glänzt 
und  funkelt  mit  seinen  Gauklerkunststücken,  schleicht  er  be- 
scheiden einher  und  bringt  seine  besten  Gaben  eingewickelt  in 
der  Hülle  gut  dokumentierter  Gelehrsamkeit  und  ungeschickt 
gezimmerter  Satz-Perioden.  Aber  wo  denn  einmal  das  Künst- 
lerische bei  ihm  sich  entfaltet  —  und  allzu  selten  ist  das  nicht 
der  Fall  —  trägt  es  auch  ein  ehrhcheres  und  soHderes  Gesicht 
als  die  ungleich  geschicktere,  blendendere  Arbeit  des  Mannes,  der 
sicher  kein  Bischof  war,  wie  eine  törichte  Sage  es  aufgebracht  hat. 

Zwei  Beispiele  nur  mögen  Heliodors  Kunst  der  malerischen 
Schilderung  vorführen  und  zeigen,  was  Fumee  aus  ihr  entlehnen 
konnte  und  was  nicht. 

Die  Anfangsszene.  Am  Strande  des  Meeres,  inmitten  von 
Leichen  und  wüst  umherhegenden  Waffen,  Steinen  und  Tafel- 
geräten erblicken  Räuber  eine  Gruppe,  die  ihnen  Staunen  und 
Scheu  verursacht:  „C'etoit  une  jeune  pucelle  assise  dessiis  im 
rocher,  de  beaute  si  rare  et  si  emerveiUable,  qii'ä  la  voir  seulement 
on  l'eüt  prise  pour  une  deesse,  Vrai  est  qu'elle  etoit  triste  ä  cause 
du  piieux  etat  aiiqiiel  eile  se  voyoit  pour  lors  reduite;  mais  toute- 
fois  encore  montroit-eUe  d  son  maintien  la  grandeur  de  son  courage. 
Elle  avoit  le  chef  couronne  d'un  chapeaii  de  laurier  et  des  epaules 
Uli  pcndoit  par  derriere  un  carquois  qu'elle  portoit  en  echarpe;  son 
hras  gauche  etoit  appuye  sur  son  arc  tout  debout,  et  laissoit  pendre 
negligemment  contre  le  bas  le  reste  de  sa  main,  sur  sa  cuisse  droite 
reposüit  le  coude  de  son  autre  bras  et  avoit  la  joue  dedans  la  paume 
de  sa  main,  dont  eile  soutenoit  sa  tele,  tenant  les  jeux  fiches  en  terre 
d  regarder  devant  eile  un  jeune  damoiseau  etendu  tout  de  son  long  .  .  . 

Kein  Zweifel,  daß  diese  Beschreibung  Fumee  gegenwärtig 
war,  als  er  die  trauernde  Gharide  malte.  Die  schlaff  nieder- 
hängende Hand,  den  traurig  gesenkten  Blick  übernimmt  er  ohne 
weiteres,  nicht  aber  das  gesamte  Bild.  Nicht  das  Theatralische 
und  Aufgeputzte,  das  Imposante  und  Heroische  der  Gruppe. 
An  keiner  Stelle  seines  Romans  findet  sich  ein  ähnliches  Bild, 
ebensowenig  eine  Beschreibung,  wie  sie  Hehodor  an  die  vor- 
hergehende anschheßt,  wenn  er  das  Bild  der  in  goldfarbigem, 
sonnenbestrahltem  Kleide,  bachantinnengleich  den  Felsen  herab- 


Martin  Fumee's  Roman  ,,Du  vray  et  parfait  amour".     223 

eilenden  Chariclea  malt,  deren  Pfeile  bei  jedem  Schritt  klirren 
und  Furcht  in  das  Herz  der  Barbaren  gießen,  die  eine  Göttin 
vor  sich  zu  sehen  wähnen.  Solche  Farben  hat  der  ehrliche  Fumee 
nicht  auf  seiner  Palette.     Ein  Blender  ist  er  nicht. 

Näher  berührt  sich  Fumee  mit  einer  anderen  Schilderung 
Heliodors.  Dieser  erzählt,  wie  die  von  verzehrender  Liebesglut 
zu  Theagenes  ergriffene  Gattin  des  Satrapen  nicht  schlafen  kann: 
,,Elle  demoura  toute  cette  niiit  ainsi  couchee,  souvent  se  remuant, 
puis  sur  im  cöte,  puis  sur  un  aiiire,  et  soupirant  du  profond  de 
son  coeiir;  tantöt  se  dressant  sur  ses  pieds,  tantot  se  laissant  retomber 
sur  les  genoux,  or  decouvrant  quelque  partie  de  son  corps,  et  puis 
se  rejetant  soudain  ä  la  renverse  dessus  son  Ut,  appelant  quelquejois 
l'une  de  ces  fenimes  sofis  occasion  aucune  et  puis  la  ren\^oyant 
aussitöt  Sans  lui  rien  eommander .  .  .  .^^^) 

Auch  Charide  kann  nicht  schlafen  in  einer  Nacht,  wie  wir 
bereits  sahen.  Auch  in  einer  anderen  Nacht  nicht;  als  sie  zum 
ersten  Male  wieder  daheim  schlafen  möchte  ,,mais  pour  penser 
d  son  amy  Theogenes,  l'imagination  duquel  la  vint  aussitost  saisir 
accompagnee  de  soing  et  de  soucy  pour  trouver  des  expedians  tendans 
ä  scavoir  de  ses  nouvelles;  et  ne  pouvant  ä  ceste  occasion  dormir 
ne  faisoit  que  se  tourner  en  son  lict  tantost  d'un  coste,  tantost  de 
Vautre,  souspirant,  gemissant,  et  se  pleignant  sur  le  doubte  qu'an 
amy  a  tousiours  de  ce  que  il  aime."^^^') 

Fumee  liat  von  Heliodor  abgeschrieben,  kein  Zweifel.  Charide 
wendet  sich  genau  von  einer  Seite  zur  andern  und  seufzt  und 
jammert  wie  die  Frau  des  Satrapen.  Nur  mildert  er  etwas  die 
Heftigkeit  der  Bewegungen.  Aus  künstlerischer  Schwäche  oder 
aus  gewolltem  Maßhalten  ?  So  ist  er  äußerlich  dem  Heliodor 
ziemUch  gleich.  Aber  innerlich  wieder  nicht.  Nicht  unreine 
Liebesbrunst  versagt  der  Charide  den  Schlaf.  Im  leeren  Hause 
denkt  die  soeben  Heimgekehrte  an  den  fernen  Geliebten.  Nur 
von  inniger  Sorge  ,,c?e  soing  et  de  soucy",  ist  sie  erfüllt,  nur  von 
der  Unruhe  ,,qu'un  amy  a  tousiours  de  ce  que  il  aime." 

Die  Sinnenglut  der  Frau  des  Satrapen  nimmt  kein  Leser 
ernst.  Sie  ist  ja  nur  da,  um  dem  Theagenes  und  der  Chariclea 
ein  paar  schwere  Tage  zu  bereiten  und  sie  beide  an  den  Rand  des 
Verderbens  zu  führen.  Wir  wissen,  es  wird  doch  alles  gut  ab- 
laufen. So  lesen  wir  ohne  innere  Anteilnahme  die  Qualen  der 
Frau,  genießen  höchstens  mit  kühler  Bewunderung  die  effekt- 
volle Schilderung,  die  der  gewandte  Erzähler  von  ihnen  gibt. 
Die  Unruhe  der  Charide  im  leeren  Hause  ergreift  uns  tief.  Was 
bei  dem  einen  leere,  technische  GeschickUchkeit  war,  diente  dem 
anderen,  um  ein  echtes  Gefühl  in  Worte  zu  kleiden. 


109)  Livre  VII.  chap.  3. 

110)  S.  266b. 


224  Walther  Küchler. 

V. 
Das  Ergfebnis. 

In  der  Vorrede  an  die  Leser  schreibt  der  fingierte  Athena- 
goras,  daß  er,  um  die  Erinnerung  an  ein  Beispiel  edler  Liebe, 
wie  es  in  Athen  gegeben  worden  sei,  dauernd  zu  erhalten,  sich 
damit  begnügt  habe,  de  ramasser  gd  et  lä  par  nostre  ville  plusieurs 
memoires  pour  relever  et  enrichir  une  histoire  qui  s'en  alloit  quasi 
estre  mise  en  ouhly  pour  la  longueur  du  temps.  Und  Martin  Fumee 
in  dem  angeblichen  Briefe  an  Herrn  von  Lamane  schreibt:  „Quant 
au  suiect  que  s'est  propose  cest  autheur  ie  ne  puis  dire  s'il  est  fonde 
sur  une  histoire  ou  sur  une  invention  fabuleuse.  Les  temps  toute- 
fois  et  les  personnes  dont  il  jait  mention  se  rapportent  fort  hien 
les  uns  avec  les  untres^  qui  feroient  iuger  sa  narration  etre  plustost 
d'une  histoire  que  d'u7ie  fable." 

Mit  diesen  beiden  Aussprächen  hat  der  Verfasser  deutlich 
die  Gesichtspunkte  angegeben,  die  ihn  bei  der  Abfassung  seines 
Werkes  geleitet  haben.  Er  wollte  ein  Beispiel  edler  Liebe  er- 
zählen, wie  es  sich  wirklich  zugetragen  hätte.  Die  Erzählung 
sollte  eher  den  Eindruck  einer  wahren  Begebenheit  als  einer 
Fabel  erwecken,  Zeiten  und  Persönlichkeiten  sollten  zur  Erzielung 
dieses  Eindrucks  verhelfen. 

Indem  Martin  P'umee  diese  Absicht  zu  verwirklichen  suchte, 
entfernte  er  sich  von  Heliodor. 

Vom  ersten  bis  zum  letzten  Worte  ist  alles,  was  in  dem 
griechischen  Roman  geschieht,  Phantastik.  Als  der  französische 
Übersetzer  des  Werkes,  Jaques  Amyot,  in  dem  Proesme  du 
Translateur  das  reichlichste  Lob  gespendet  hat  und  dann  ein 
wenig  Kritik  übt,  da  tadelt  er  an  dem  Werke,  daß  es  doch  eben 
nur  eine  Fabel  sei.  In  Wirklichkeit  ist  ja  auch  Fumees  Roman 
nichts  anderes,  aber  der  Verfasser  hatte  doch  die  Absicht  das 
Fabelhafte  zurücktreten  und  den  Eindruck  des  Wahren  hervor- 
treten zu  lassen. 

Und  auf  diese  Absicht  kommt  es  an;  denn  sie  und  nur  sie 
gewährte  die  Möglichkeit  eines  künstlerischen  Fortschrittes 
über  Heliodor  hinaus.  Das  Schema  Heliodors  und  die  nicht 
endenwollende  Nachahmung  dieses  Schemas  hat  die  Entwicklung 
des  französischen  Romans  gehemmt.  Fumee,  indem  er  Wirk- 
lichkeit erstrebte,  hat  die  Erzählungskunst  gefördert.  Seine 
Anlehnung  an  wirkliche  geschichtliche  Vorgänge,  der  damit 
verbundene  Versuch  der  Milieuschilderung  und  des  Eingehens 
auf  intim-häusliclie  Verhältnisse,  schheßlich  die  mit  künstlerischer 
Realistik  veranschaulichte  Darstellung  der  Gefühle  sichern  ihm 
eine  unbestreitbare  Originalität  und  lassen  ihn  teilnehmen  an 
der   Entwicklung   der   französischen   Erzählungskunst. 


Martin  FumSe's  Roman  „Du  vray  et  parfait  amour".     225 

Wenn  man  die  großen  Romane  des  siebzehnten  Jahrhunderts, 
die  Werke  eines  d'Urfe,  La  Calprenede,  der  Scudery  betrachtet, 
so  findet  man,  erstickt  in  geschwätzigem  Wust,  aber  doch  vor- 
handen, das  gleiche  Bemühen  um  künstlerisch-anschauliche  Be- 
handlung des  Milieus,  der  Situationen  und  Gefühle.  Kein  Zweifel, 
daß  auch  das  Beispiel  des  vermeintlichen  Athenaguras  neben 
anderen,  spanischen  und  italienischen  Einflüssen,  maßgebend 
gewesen  ist,  denn  so  vergessen,  wie  heute  war  der  Roman  ,,Du 
vray  et  parfait  amour"  damals  nicht. 

So  sind  es  in  der  Hauptsache  drei  Eigenschaften,  welche 
den  Roman  Fumees  von  dem  Heliodors  scheiden;  Das  Element 
der  Geschichte,  die  vollkommene,  platonische  Liebe  und  der  künst- 
lerische Realismus  in  der  Wiedergabe  der  Gefühle. 

Nach  wie  vor,  daran  ändert  das  Resultat  dieser  Untersuchung 
nichts,  wird  der  Roman  unter  die  Nachahmungen  des  Heliodor- 
schen  Romans  einzureihen  sein.  Aber  es  war  die  Absicht  der 
Arbeit,  zu  zeigen,  daß  mit  einer  solchen  Klassifikation  so  gut 
wie  nichts  gesagt  ist,  sondern  daß  sie  nur  ein  Wegweiser  zu 
der  tieferen  Erkenntnis  sein  kann. 

Gießen.  Walther  Küchler. 


Rousseaus  Bekenntnisse  in  ihrer 
ersten  Passung. 


Der  vierte  Band  des  den  Fachgenossen  wohlbekannten 
Rousseau-Jahrbuchs,  der  die  Bezeichnung  1908  trägt,  aber  erst 
im  Laufe  des  Jahres  1909  erschienen  ist,  erfreut  uns  durch  eine 
Gabe,  die  alle  Liebhaber  der  französischen  Literatur  dem  ver- 
dienten Herausgeber,  Herrn  Theofile  Dufour,  hochhebst  danken 
werden,  nämlich  der  ersten  Fassung  von  Rousseaus  Conjessions. 
Freilich  nur  der  drei  ersten  vollständigen  Bücher  und  der  ersten 
Hälfte  des  vierten  Buches. 

Wer  von  Rousseaus  Leben  und  von  seinen  Werken  spricht, 
kann  es  kaum  vermeiden,  dabei  auf  Goethe  hinzuweisen  und 
einen  Vergleich  zwischen  den  beiden,  in  ihrem  Leben  und  ihrem 
Geschicke  so  ungleichen  Menschen  und  doch  so  verwandten 
Naturen  zu  ziehen.  Fast  unabweisbar  ist  der  Vergleich  zwischen 
Werther  und  der  neuen  Heloise;  außerordentlich  nahe  liegt  die 
Gegenüberstellung  von  Christiane  und  Therese,  um  nur  e  i  n 
Werk  und  e  i  n  Lebensereignis  hervorzuheben.  Auch  beim  Text 
der  Conjessions  möchte  man  an  eine  Goethesche  Ai-beit  denken, 
deren  erste  Fassung  gerade  in  neuester  Zeit  so  viel  von  sich  reden 
gemacht  hat.  Ich  meine  den  Wilhelm  Meister.  Schon  den  Zeit- 
genossen, die  dieses  Werk  bei  seinem  ersten  Erscheinen  1 795  ff. 
lasen,  war  bekannt,  daß  das  im  Druck  Ausgegebene  eine  spätere 
Bearbeitung  darstellte  und  wenn  die  Kunde  von  diesem  Faktum 
auch  dem  größeren  Publikum  allmählich  verloren  ging,  so  wußten 
die  Kenner,  daß  eine  solche  erste  Fassung,  die  auf  12  Bücher, 
im  Gegensatz  zu  den  späteren  acht  Büchern  berechnet  war, 
existiert  hatte  oder  zum  mindesten  weit  vorgeschritten  war,  so 
daß  mindestens  sechs  Bücher  davon  vollendet  waren.  Auch  den 
Titel  dieser  älteren  Fassung  ,, Wilhelm  Meisters  theatralische 
Sendung"  kannte  man  in  Fachkreisen  gar  wohl.  Aber  man  schien 
die  Hoffnung  aufgeben  zu  müssen,  diese  Fassung,  obgleich  man 
sehr  gespannt  auf  sie  war,  wiederzufinden,  bis  ein  Zufall  sie  im 
März  1910  ans  Licht  brachte. 


Rousseaus  Bekenntnisse  in  ihrer  ersten  Fassung.         227 

Etwas  glücklicher  ging  es  mit  Rousseaus  Conjessions.  Man 
konnte  nicht  nur  ahnen  (sondern  hatte  ziemlich  bestimmt  klin- 
gende Äußerungen  darüber),  daß  bei  einem  so  langsam  arbeitenden 
Schriftsteller,  wie  Rousseau  einer  war,  ein  Werk  so  vielfacher 
Überlegung,  bei  dem  mannigfache  Rücksichten  zu  nehmen  waren, 
nicht  gleich  in  der  Weise  fertig  werden  konnte,  in  der  es  seinem 
Autor  befriedigte.  Und  in  der  Tat  waren  zwei  Manuskripte 
bekannt,  das  sogenannte  Pariser,  das  von  1798 — 1817  wieder- 
holentlich,  und  das  sogenannte  Genfer,  das  von  1782 — 90  einige 
Male  gedruckt  worden  ist.  Aber  diese  beiden  Fassungen  stellen 
im  großen  und  ganzen  den  definitiven  Text,  diesen  nur  in  zwei 
abweichenden  Redaktionen  dar. 

Früher  als  diese  ist  nun  eben  die  ältere  Redaktion, 
deren  Handschrift  in  Neufchatel  aufbewahrt  wird.  Die  Tatsache, 
daß  eine  solche  existierte,  war  bisher  keineswegs  unbekannt, 
vielmehr  hatte  schon  1850  Felix  Bovet  in  einer  Schweizer  Zeit- 
schrift die  sehr  merkwürdige  Einleitung  zu  dieser  älteren  Fassung 
herausgegeben;  diese  einzelnen  Fragmente  waren  1906  in  einer 
französischen  Zeitschrift  wiederholt  worden.  Erst  jetzt  aber 
wird  diese  ursprüngliche  Bearbeitung  bekannt  gemacht.^) 

Sie  enttäuscht,  sagen  wir  das  gleich  von  vornherein,  einiger- 
maßen und  auch  darin  möchte  sie  das  Schicksal  teilen,  das 
Goethes  erste  Fassung  des  Wilhelm  Meister  höchstwahrschein- 
lich erleiden  wird.  Denn  es  ist  kein  vollständig  neues  Werk,  so 
daß  sich  weder  große  Abschnitte  hier  ausschließhch  finden,  noch 
etwa  wichtige  und  bedeutsame  Partien  der  zweiten  Fassung 
hier  noch  nicht  vorkommen,  sondern  es  ist  eine  Behandlung  der- 
selben Dinge,  im  großen  und  ganzen  auch  in  derselben  Weise. 

Was  die  Abfassungszeit  unseres  Manuskripts  betrifft,  so 
wird  man  den  Resultaten  des  Herausgebers  im  ganzen  beipflichten 
können:  es  ist  begonnen  im  Oktober  1764  und  fortgesetzt  bis 
zum  Anfang  1765.     Dann  trat  eine  Pause  ein,  erst  im  März  1766 


^)  Jean- Jacques  Rousseau.  La  premiere  redaction  des  conjessions 
livre  1 — 4  publice  d'apres  le  manuscrit  autographe  par  T  h  e  o  f  i  1  e 
Dufour  Docteur  es  lettres  in  dem  Sammelwerk:  Annales  de  la 
Societe  Jean-Jacques  Rousseau.  Tome  quatrieme  1908  ä  Geneve 
chez  Julien,  editeur  au  Bourg-de-Four  32.  S.  1—275.  Der  Ein- 
leitung zu  dieser  Veröffentlichung  XVI  SS.  sind  einzelne  der  vorstehen- 
den und  folgenden  Bemerkungen  entnommen.  Der  eigentliche  Text 
der  4  Bücher  geht  von  S.  1—224,  dann  folgen  drei  Anhänge,  deren 
erster  überschrieben  ist:  1.  Les  debauches.  Eine  Reihe  sehr  interessanter 
Fragmente,  die  als  Vorarbeiten  zu  bezeichnen  sind,  2.  Le  manuscrit 
Moultou,  eine  Beschreibung  der  oben  erwähnten  Genfer  Handschrift, 
und  3.  Mon  portrait,  gleichfalls  Selbstschilderungen,  die  im  Zusammen- 
hang mit  der  großen  Lebensbeschreibung  stehen,  die  schon  mehrfach, 
aber  niemals  ganz  korrekt  im  Drucke  wiedergegeben  waren.  Die  nach- 
folgende Untersuchung  berücksichtigt  diese  drei  Anhänge  nicht, 
sondern  geht  nur  auf  die  ursprüngliche  Fassung,  im  Vergleiche  zu 
dem  rezipierten  Texte  ein. 


228  Ludwig  Geiger. 

und  zwar  in  Wootton  nahm  Rousseau  die  lange  unterbrochene 
Arbeit  wieder  vor  und  beendete  sie  (eben  unseren  Text,  d.  h. 
bis  zur  Hälfte  des  vierten  Ruches)  im  Juni  1766.  Statt  diese 
angefangene  Arbeit  dann  w^eiter  fortzusetzen,  begann  er  alsbald 
die  neue  Redaktion,  die  ziemlich  rasch  das  bisher  Geschriebene 
umgestaltete  und  auch  die  Fortsetzung  verhältnismäßig  schnell 
anfügte,  so  daß  das  5.  Ruch,  das  in  einer  Urfassung  überhaupt 
nicht  existiert,  sicher  dem  August  1766  zuzuweisen  ist,  weil  sich 
in  ihm  einzelne  Anspielungen  auf  Ereignisse  des  genannten 
Monats  und  Jahres  finden. 

Die  Gründe,  die  den  Schriftsteller  zu  dieser  neuen  Arbeit 
veranlaßten,  hat  man  früher,  ehe  man  die  ältere  kannte,  darin 
sehen  wollen,  daß  er  die  Absicht  hatte,  die  ursprünglich  psycho- 
logische Darlegung  in  eine  apologetische  zu  verwandeln.  Dies 
ist,  wie  man  jetzt  positiv  behaupten  kann,  nicht  der  Fall.  Die 
Gründe  liegen  einfach  in  einer  gewissen  Unzufriedenheit  mit 
einzelnen  Längen,  in  dem  Wunsch  manches  genauer  zu  motivieren, 
vieles  stilistisch  neu  zu  gestalten. 

Und  so  kann  man  nur  wiederholen,  wirklich  neu  ist  in  der 
späteren  Redaktion  so  gut  wie  nichts,  ausgelassen  sind  nur  ver- 
hältnismäßig wenige  Namen  und  Tatsachen.  Aber  das  Ganze 
ist  für  die  stiHstische  Kunst  des  Schriftstellers  von  so  hervor- 
ragender Wichtigkeit,  ein  so  außerordentlich  merkwürdiges 
Zeugnis  für  die  Arbeits-  und  Auffassungsweise  des  eigenartigen 
Mannes,  daß  es  sich  im  höchsten  Grade  lohnt,  diese  Urfassung 
näher  zu  behandeln. 

Rei  dieser  Darlegung  enthalte  ich  mich,  auf  die  vollständig 
veränderte  Einleitung  einzugehen,  weil  sie  den  Fach- 
genossen längst  bekannt  ist,  ich  habe  versucht,  an  anderem 
Orte  (in  der  Deutschen  Rundschau)  zum  erstenmal  eine  Über- 
setzung dieser  neuen  Einleitung  zu  geben  und  darf  wohl  darauf 
verv/eisen. 

Im  allgemeinen  darf  als  Einleitung  zu  dem  folgenden  Einzel- 
vergleich folgendes  hervorgehoben  werden:  die  Veränderungen 
sind  größtenteils  aus  stilistischen  Gründen  erfolgt,  aber  auch 
gewisse  Tendenzen  haben  dazu  obgewaltet.  Und  zwar  sind  bei 
den  Auslassungen  die  nachfolgenden  Momente  ausschlag- 
gebend gewesen :  es  erfolgten  Streichungen  von  Aus- 
drücken, die  ein  Selbstlob  enthielten,  andererseits  Auslassungen 
solcher  Stellen,  die  Ungünstiges  über  ihn  berichteten  und  Un- 
annehmlichkeiten darstellten,  unter  denen  er  litt.  Endlich  traten 
Streichungen  oder  Milderungen  solcher  Stellen  ein,  an  denen  er 
von  Freunden,  ja  selbst  von  Feinden  Häßliches  oder  Schlechtes 
erzählt  hatte.  Solchen  Auslassungen  der  späteren  Fassung  sind 
die  Zusätze  anzureihen.  Rei  ilmen  erkennt  man,  daß  manche 
unberechtigt,  ja  geradezu  unlogisch  sind,  weil  sie  Stimmungen 
im  Knaben  oder  Jüngling  voraussetzen,  die  ihn  nicht  beherrscht 


Rousseaus  Bekenninisse  in  ihrer  ersten  Fassung.         229 

haben  können;  oder  unnötig,  weil  sie  Selbstverständliches  ent- 
halten. Treffen  beide  Momente  nicht  zu,  so  kann  man  auch 
bei  diesen  Zusätzen,  ebenso  wie  dies  bei  den  Auslassungen  mög- 
lich war,  bestimmte  Absichten  unterscheiden,  nämlich  entweder 
die,  das  Gesagte  zu  verstärken,  oder  die,  die  Gedanken,  die 
geäußert  worden  waren,  abzuschwächen.  Dagegen  finden  sich 
eigenthche  Berichtigungen  verhältnismäßig  selten.  Sie 
bestehen  z.  B.  in  Einfügung  von  Namen,  die  aus  irgendwelchen 
Gründen  ausgelassen  waren,  seltener  in  Verbesserungen  wirk- 
licher Fehler  und  Gefühle. 

Vergleicht  man  nun  im  einzelnen  die  beiden  Fassungen,  so 
kommt  man  häufig  auf  die  Vermutung,  einen  ganz  neuen  Ab- 
schnitt gefunden  zu  haben,  und  freut  sich  darüber,  da  ja  die 
Arbeit  des  buchstäbhchen  Vergleichens  eine  mühevolle  und  nicht 
sehr  erquickliche  ist.  Nach  wenigen  Minuten  jedoch  tiberzeugt 
man  sich,  daß  diese  angebUch  unbekannte  Stelle  nur  an  einem 
andern  Orte  steht.  Doch  sind  auch  solche  Beispiele  höchst 
lehrreich,  weil  sie  treffhche  Beweise  für  Komposition  und  Technik 
des  Autors  geben.  Zwei  Beispiele  sind  besonders  instruktiv, 
beide  befinden  sich  im  dritten  Buch,  beide  in  der  Erzählung  der 
zweiten,  aber  noch  nicht  definitiven  EtabHerung  bei  Frau 
von  Warens.  Nachdem  der  Autobiograph  berichtet  hat,  wäe  er 
sich  von  seinem  rasch  gewonnenen  Freunde  Bäcle  ebenso  rasch 
wie  schmerzlos  getrennt  hat,  und  seinen  Einzug  in  das  Haus  der 
„mütterhclien"  Freundin  beschrieben,  schildert  er  ihre  Haus- 
haltung und  Dienerschaft,  um  dann  erst  von  der  Lage  der  Wohnung 
und  Lebensweise  zu  berichten.  In  der  späteren  Fassung  dagegen 
stehen  die  letzten  Abschnitte  an  erster  Stelle,  gewiß  mit  Recht. 
Denn  den  Anfang  hat  die  Beschreibung  der  ÖrtUchkeit  zu  machen, 
ehe  man  auf  die  Bewohner  und  ihre  EigentümHchkeiten  eingeht. 
Sehr  charakteristisch  ist  ferner  das  folgende.  Da  Rousseau  seine 
neue  Gastfreundin  ungemein  enthusiastisch  charakterisiert  hat, 
fügt  er  dem  stark  ausgedrückten  Lobe  einen  kleinen  Tadel  hinzu, 
indem  er  von  der  Langsamkeit  Kunde  gibt,  die  ihm  besonders 
lästig  gewesen  sei  bei  ihren  Unterhaltungen  mit  gleichgültigen 
oder  unangenehmen  Personen.  Darauf  folgt  ein  Abschnitt,  wie 
sehr  ihn  besonders  ihre  allzu  große  BehagUchkeit  bei  Tische  gestört 
hätte,  die  darin  bestand,  daß  sie  heiße  Speisen  nur  in  so  großen 
Pausen  zu  sich  nahm,  daß  er  währenddessen  zwei  oder  drei 
Portionen  verschlungen  habe;  er  habe  sich  aber  aus  dieser  Un- 
mäßigkeit  kein  Gewissen  gemacht,  da  er  damals  in  ihre  schwierigen 
ökonomischen  Verhältnisse  noch  nicht  eingew^eiht  gewesen  sei. 
In  der  endgültigen  Fassung  dagegen  steht  dieser  ganze  Abschnitt 
weit  früher,  bei  der  Schilderung  ihrer  Wohnung  und  Lebens- 
weise. Auch  hier  kann  man  wohl  der  neuen  Redaktion  recht 
geben,  denn  die  Darstellung  der  äußeren  Gewohnheiten  des 
Daseins  gehört  gewiß  zusammen,  und  es  ist  ein  Fehler  der  älteren 


230  Ludwig  Geiger. 

Fassung  —  wohl  hervorgerufen  durch  das  Motiv,  die  einzelnen 
Äußerungen  der  Langsamkeit  zusammenzustellen  — ,  daß 
dieser  Abschnitt  nach  der  Darstellung  des  geistigen  Verkehrs, 
der  Lektüre,  des  Inhalts  der  Unterhaltungen  zu  stehen  kam. 
Ein  höchst  charakteristisches  Beispiel  dieser  Umstellung, 
vielleicht  das  charakteristischste,  findet  sich  am  Anfange  des 
vierten  bezw.  am  Ende  des  dritten  Buches.  In  den  bekannten 
Drucken  beginnt  das  vierte  Buch  mit  den  Worten:  ,,Ich  komme 
an  und  finde  sie  nicht  mehr."  Ein  solcher  Anfang  ist  ein  grober 
Fehler.  Daß  unter  ,,sie"  Frau  v.  Warens  verstanden  wird,  weiß 
doch  nur  der  aufmerksame  Leser,  der  hintereinander  liest;  für 
den  dagegen,  der  seine  Lektüre  unterbricht,  oder  für  den,  der 
durch  Zufall  ein  solches  Werk  aufschlägt  und  sicher  zu  sein 
glaubt,  am  Anfang  eines  neuen  Buches  etwas  in  sich  Alige- 
schlossenes, für  sich  allein  Verständliches  zu  finden,  bedarf  es 
nun  des  Nachdenkens  oder  Nachschlagens,  das  entschieden  vom 
Übel  ist.  Aber  es  ist  nicht  nur  äußerlich,  sondern  auch  inner- 
lich falsch.  Am  Ende  des  dritten  Buches  war  das  seltsame 
Abenteuer  erzählt  worden,  das  Rousseau  mit  dem  Singmeister 
Le  Maitre  aus  Annecy  hatte.  Er  sollte  diesen,  der  sich  durch 
üble  Behandlung  seiner  Vorgesetzten  gekränkt  fühlte,  und  seinen 
Quälern  einen  empfindliclien  Streich  dadurch  spielte,  daß  er  sie 
gerade  beim  Osterfeste  im  Stich  ließ,  auf  das  Geheiß  seines 
,, Mütterchens"  nach  Lyon  begleiten.  Er  machte  sich  wirklich 
auf  die  Reise  und  erreichte  das  Ziel.  Dort  drückte  er  sich  aber 
heimlich  von  seinem  Gefährten,  gerade  in  dem  Augenblick,  da 
dieser,  der  häufiger  und  stärker  als  es  ihm  gut  tat,  dem  Weine 
zusprach,  von  einer  Art  epileptischer  Krämpfe  auf  der  Straße 
befallen  wurde.  Ein  häßhcher  Streich,  den  der  Erzähler  durch- 
aus nicht  zu  beschönigen  sucht,  denn  er  schließt  seinen  Bericht 
mit  den  Worten:  ,,Gott  sei  Dank  habe  ich  dieses  zweite^)  Ge- 
ständnis beendet;  hätte  ich  viele  ähnliche  zu  machen,  so  würde 
ich  die  angefangene  Arbeit  liegen  lassen."  Dann  beginnt  das 
neue  Buch  logisch  mit  der  Bemerkung,  daß  alles  frühere,  was 
er  zu  erzählen  gehabt,  in  der  Erinnerung  der  Menschen  eine 
Spur  hinterlassen  hätte,  daß  aber  die  Ereignisse  dieses  neuen 
Buches,  die  seltsamsten  seines  Lebens  —  es  handelt  sich  um  den 
geschlechtliclien  Verkehr  mit  Frau  von  Warens  —  völlig  unbe- 
kannt geblieben  wären,  wenn  nicht  er  selbst  sie  entliüllte.  Das 
wird  im  einzelnen  begründet:  sein  Verlassen  Lyons,  seine  Reise 
zu  dem  Mütterchen,  die  Trauer,  daß  sie  gerade  einen  Ausflug 


2)  Der  redigierte  Text  hat  ,, dritte".  Das  ist  eine  zutreffende 
Änderung.  Der  erste  böse  Streich  ist  die  ungerechte  Beschuldigung 
des  Dienstmädchens,  sie  habe  das  von  Rousseau  gestohlene  Band 
entwendet,  der  zweite  die  unsittlichen  Posituren,  in  denen  er  sich 
den  jungen  Mädchen  in  Turin  zeigte;  der  dritte  ist  dann  dieses  un- 
würdige Verlassen  eines  hilflosen   Kranken  an  einem  fremden  Orte. 


Rousseaus  Bekenntnisse  in  ihrer  ersten  Fassung.         231 

unternommen  hätte,  dessen  Ursache  er  niclit  kannte,  wird  an- 
gedeutet und  dann  zusammenfassend  gesagt  —  aber  eben  in  der 
Mitte  des  Abschnittes  und  nicht  am  Anfang:  ,,Ich  komme  an 
und  finde  sie  nicht  mehr."  Das  ist  unendHch  viel  dramatischer, 
als  diesen  eben  analysierten  Absclmitt  an  das  Ende  des  dritten 
Buches  zu  verweisen,  als  Programm  für  dieses  Buch  (der  Bearbeiter 
mußte  daher  le  Livre  siiivant  statt:  ce  livre  setzen). 

2.  S  t  i  1  i  s  t  i  s  c  li  e  Ä  n  d  e  r  u  n  g  e  n.  Es  ist  dieselbe  Dar- 
stellung und  doch  eine  Arbeit,  bei  der  der  Autor  jedes  Wort  erwog, 
jeden  Satz  noch  einmal  unter  die  kritische  Lupe  nahm.  Diese 
Behauptung  könnte  man  durch  viele  Dutzende  von  Stellen  be- 
weisen, freilich  ist  zu  betonen,  daß  der  Eifer  des  Bearbeiters 
erlahmte,  und  daß  diese  Veränderungen  im  ersten  und  zweiten 
Buche  viel  häufiger  sind,  als  im  dritten  und  vierten.  Und  auch 
in  diesen  beiden  letzteren  ist  es  sehr  bemerkenswert,  daß  das 
dritte  Buch,  wenn  auch  nicht  in  dem  Grade,  wie  die  beiden 
ersten,  noch  zahlreiche  Umänderungen  aufweist,  während  das 
vierte  von  solchen  mühevollen  Änderungen  verhältnismäßig 
wenige  Spuren  zeigt.  Um  nicht  ermüdend  zu  werden,  begnüge 
ich  mich  damit,  ein  paar  charakteristische  Beispiele  hervorzuheben, 
die  eine  steht  ziemlich  am  Anfang,  die  zweite  etwa  in  der  Mitte. 
Ich  wähle  gerade  diese  drei  Stellen,  weil  sie  nicht  bloß  sprach- 
lich, sondern  auch  wenigstens  einigermaßen  inhaltlich  wertvoll 
sind  (ich  bezeichne  die  erste  Fassung  mit  A,  die  zweite  defini- 
tive mit  B). 

A  B 

Ainsi  mon  pere  perdit  la  moitie  Je  n'ai  pas  su  comment  mon 

de  son  etre.  II  ne  s'en  consola  pere  supporta  cette  perle,  mais  je 
Jamals.  II  passa  le  reste  de  sa  sais  qu'il  ne  s'en  consola  jamais. 
vie  ä  la  pleurer,  ä  parier  d'elle.  II  II  croyait  la  revoir  en  moi,  sans 
croyait  la  revoir  en  moi,  mais  il  pouvoir  oublier  que  je  la  lui 
ne  pouvoit  oublier  que  je  la  lui  avais  ötee;  jamais  il  ne  m'em- 
avois  ötee.  .lamais  il  ne  m'em-  brassa  que  je  ne  sentisse  ä  ses 
brassa  que  je  ne  sentisse  ä  ses  soupirs,  ä  ses  convulsives  etreintes, 
soupirs,  ä  ses  etreintes  convulsives,  qu'un  regret  amer  se  melait  ä  ses 
qu'un  regret  amer  se  melait  ä  ses  caresses;  elles  n'en  etaient  que 
caresses.  Elles  n'en  etaient  que  plus  tendres.  Quand  il  me  disait: 
plus  tendres  par  la  tristesse  qui  Jean-Jacques,  parlons  de  ta  mere; 
s'y  melait.  Ah!  disait-il  en  gemis-  je  lui  disais:  He  bien,  mon  pere, 
sant,  rends-la-moi,  console-moi  nous  allons  donc  pleurer;  et  ce 
d'elle,  remplis  le  vide  qu'elle  a  mot  seul  lui  tirait  dejä  des  larmes. 
laisse  dans  mon  äme,  l'aimerois-je  Ah!  disait-il  en  gemissant,  rends- 
ainsi  si  tu  n'etais  que  mon  fils?  la-moi,  console-moi  d'elle,  remplis 
Trente  ans  apres  l'avoir  perdue,  le  vide  qu'elle  a  laisse  dans  mon 
il  est  mort  dans  les  bras  d'une  äme.  T'aimerois-je  ainsi  si  tu 
seconde  epouse,  mais  le  nom  de  n'etais  que  mon  fils?  Quarante 
la  premiere  ä  la  bouche,  et  son  ans  apres  l'avoir  perdue,  il  est 
Image  au  fond  du  coeur.  mort  dans  les  bras  d'une  seconde 

femme,  mais  le  nom  de  la  premiere 
ä  la  bouche,  et  son  image  au  fond 
du  coeur. 


232  Ludwig  Geiger. 

Die  zweite  findet  sich  im  dritten  Buch.  Sie  handelt  über 
den  Geistlichen,  den  Abbe  Gaime,  den  Rousseau  selbst  als  Ur- 
bild seines  Vicaire  Savoyard  angibt. 

A  B 

Seulement,  la  prudence  l'obli-  Seulement  la  prudence  l'obli- 

geant    ä    parier    avec    plus    de  geant    a     parier    avec    plus    de 

reserve,  11  s'expliqua  moins  ouver-  reserve,  il  s'expliqua  moins  ouver- 

tement  sur  certains  points;  mais  tement  sur  certains  points;  mais 

au  raste  ses  maximes,  ses  senti-  au  raste  ses  maximes,  sas  senti- 

ments  furant  las  memes,   et  jus-  mants,  ses  avis  furant  las  memes, 

qu'au  conseil  de  m'en     ratournar  et  jusqu'au  conseil   da  retourner 

dans  ma  patrie,  tout  fut  comme  dans  ma  patria,  tout  fut  comme 

je   Tai   rendu    depuis   au    public.  je   Tai   randu    depuis   au    public. 

Ainsi,    Sans    m'etandre    sur    das  Ainsi,    sans    m'etandre    sur    des 

entretiens  dont  chacun  peut  voir  entretiens  dont  chacun  peut  voir 

la  substance,   je  dirai  saulemant  la    substance,    je    dirai    que    sas 

qua    cas    leQons    si    sages,    mais  legons   sagas,   mais   d'abord   sans 

d'abord    sans    äffet,    furant   dans  effet,  furent  dans  mon  coeur  un 

mon   coeur   un  garme  de   probite  garme    de    vertu    et    de    religion, 

et  de  religion  qui  ne  s'y  est  point  qui  ne  s'y  etouffa  jamais,  et  qui 

^touffe,  et  qui  n'attendait  qu'une  n'attandoit  pour  fructifiar  que  les 

heureuse   culture   pour   fructifier.  soins  d'une  main  plus  cherie. 

Quoique  alors  ma   conversion  Quoique  alors  ma  conversion 

ä  la  vertu  füt  peu  solide,  j'avais  füt  peu  solide,  je  ne  laissois  pas 

le  coeur  touchö.  d'etre  emu. 

Alle  die  zahlreichen  stilistischen  Änderungen,  von  denen 
absichtlich  hier  nur  ganz  wenige  Proben  gegeben  sind,  haben 
bestimmte  Gründe.  Bald  leitet  den  Bearbeiter  die  Einsicht,  daß 
der  ursprünglich  gewählte  Ausdruck  nicht  klar,  nicht  bestimmt 
genug,  zu  stark  oder  zu  milde  sei,  bald  der,  daß  er  nicht  gut 
klinge  oder  geradezu  sprachwidrig  sei;  in  andern  Fällen  schien 
ihm  die  Motivierung  nicht  ausreichend,  so  daß  er  sich  genötigt 
fand,  ein  paar  Worte  oder  vSatzteile  einzusetzen  und  wegzunehmen; 
kleine  Momente,  die  anfänglich  vergessen  waren,  mußten  nach- 
getragen werden  und  ähnliches.  Das  alles  waren  stilistische, 
redaktionelle,  logische  Gründe,  nicht  aber  bestimmte  Ten- 
denzen. Aber  auch  an  solchen  fehlte  es  nicht,  und  auch  sie 
gaben  Anlaß  zu  Änderungen. 

Solcher  Tendenzen  kann  man  drei  verschiedene  unter- 
scheiden : 

a)  Streichungen  von  Ausdrücken,  die  ein 
Selbstlob  enthielten.  Da  Rousseau  bei  Schilderung 
seines  kurzen  Aufenthaltes  in  Confignon  seinen  Lehrer,  den  Geist- 
lichen Monsieur  de  Pontverre,  erwähnt,  hatte  er  gesagt,  er  ,,sans 
avoir  etudie  comme  M.  de  Pontverre.,  j'etais  moin,s  mais  mieux 
instruit.  que  lui".  Bei  dem  Bericht  seines  Zusammentreffens  mit 
Herrn  von  Aubonne  in  Turin,  der,  sich  mit  ihm  freundschaftlich 
unterhielt,  ,,ich  war  entzückt  von  ihm,"  croyant  qu'il  elaii  de  moi. 
Bei  Schilderung  seiner  gesellschaftlichen  Ungeschicklichkeit 
(II.   Buch),  heißt  es:  ,, Meine   Physiognomie  und  meine  Augen 


Rousseaiis  Bekenntnisse  in  ihrer  ersten  Fassung.         233 

versprachen  mehr,"  ursprünglich  hieß  es  noch  als  Zusatz  zu 
Physiognomie  „animee  et  mes  yeiix  pleins  de  feu";  bei  der  Reise 
mit  Mr  de  Maitre  „ich  brachte  so  viel  natürliche  Gründe  hervor", 
war  ehedem  noch  hinzugefügt  ,,ei  si  hien  toiirnes".  Da  er  im 
vierten  Buche  davon  spriclit,  daß  er  gegen  die  Reize  der  Made- 
moiselle  Marceilet  unempfindlich  war,  hatte  er  seine  Keuschheit 
ein  wenig  gerühmt  durch  die  Worte:  ,,e  f  je  ne  sacke  pas  que 
dans  tont  le  cours  de  ma  vie  quelquejois  assez  agace  par  des  femmes, 
rien  de  pareille  me  soit  jamais  tombe  dans  l'esprit." 

h)  Als  fernere  Tendenz  kann  man  Auslassungen  von 
Stellen  bezeichnen,  die  Unannehmlichkeiten  darstellen, 
unter  denen  er  litt  oder  die  etwas  nicht  allzu  Günstiges  von  ihm 
berichteten.  Bei  dem  ersten  Zusammentreffen  mit  Frau  v.  Warens 
hatte  er  eine  Charakteristik  von  sich  gegeben  und  von  sich  unter 
anderem  gemeldet,  er  habe  „les  dents  vilains"  gehabt,  das  fiel 
fort.  Bei  dem  Turiner  Aufenthalt  erzählte  er,  wie  er  den  Palast 
des  Königs  besucht  und  sich  fast  wie  ein  Bewohner  des  prächtigen 
Gebäudes  gefühlt  habe,  dabei  hatte  er  ziemlich  ruhmredig  ge- 
sprochen, indem  er  schrieb:  „/e  m'en  regardais  dejä  sinon  tout 
ä  fait  comme  le  maitre  au  moins  comme  l'un  des  habitants  et  cela 
me  paraissait  extremement  beau."     Auch  dies  wurde  gestrichen. 

c)  Gestrichen  oder  geändert  wurden  endlich  Ausdrücke,  die 
andere  verletzen  konnten.  Hatte  er  ursprünglich  gesagt 
,, Monsieur  de  Pontverre  gab  mir  die  unangenehme  Aussicht,  ein 
«Bandit»  zu  werden",  so  wurde  daraus  ein  «Taugenichts».  Dazu 
gehören  auch  gelegentliche  Milderungen. 

Das  geschieht  an  folgenden  Stellen:  bei  der  Schilderung 
seiner  Reise  nach  Turin  hatte  er  zu  Ungunsten  seiner  Gefährtin 
den  bösen  Ausdruck  gebraucht:  „outre  Vargent  destine  pour  notre 
voyage  et  dont  je  ne  vis  jamais  rien"  dies  wurde  entfernt.  Der 
Geselle  der  Mme  Basile  wurde  charakterisiert,  er  hatte  ein  ge- 
wisses italienisches  Lächeln,  statt  dessen  wurde  nun 
gesetzt  „etwas  Falsches,  Boshaftes,  Ironisches".  Bei  der  Vor- 
führung des  Polizisten,  dem  er  infolge  seiner  Ausreden  entlaufen 
war,  und  der  sich  bei  der  Wiederbegegnung  recht  freundlich 
zeigte,  hatte  es  geheißen,  er  sei  ein  guter  Mann,  quoique  Piemon- 
tais,  die  letzten  Worte  fielen  fort.  Bei  der  Darstellung  von 
le  Maitre's  Trunksucht  stand  der  Passus  „ef  dont  la  gaite  de 
sangfroid  valait  mieux  que  celle  de  sa  crapule'%  auch  diese  Stelle 
fiel  weg.  Endlich  war  Mlle  Giraud,  die  älthche  Vermittlerin  seines 
Verkehrs,  mit  den  jungen  Mädchen  Galley  und  Graffenried  recht 
schlecht  fortgekommen,  am  Schluß  der  boshaften  Charakteristik 
standen  die  Worte  „c'etait  comme  si  eile  m'eüt  voulu  mordre", 
auch  diese  Stelle  fiel. 

Viel  häufiger  als  Umstellungen,  tendenziöse  Auslassungen, 
Abschwächungen  und  kleine  Zusätze  sind  Veränderungen, 
teils  Hinzufügungen,    teils  Auslassungen,   bei  denen  bestimmte 


234  Ludwig  Geiger. 

Gründe  wohl  kaum  vorliegen.     Ich  wähle  aus  den  Beispielen, 
die  ich  gesammelt  habe,  nur  einige  markante. 

1.  Auslassungen,  Bei  der  Darstellung  der  Einführung 
in  die  katholische  Rehgion  stand  vor  den  Worten  „der  dog- 
matische Glaube  ist  nur  eine  Frucht  der  Erziehung,"  noch  die 
Phrase  ,,/a  vanite  seule  ou  l'interet  ce  qui  la  dicte\  eile  ne  penetre 
point  en  dedans."  Nach  den  Worten  ,,Mein  Schreck  war  ge- 
mildert durch  die  Liebkosungen,  die  die  Priester  in  der  Um- 
gebung der  Stadt  Genf  den  Kindern  angedeihen  ließen,"  hatte 
es  früher  geheißen:  ce  n'etait  pas  l'eglise  qu'il  me  jaisait  peiir; 
j'aimais  fort  ä  les  voir  au  Presbytere.  Bei  dem  merkwürdigen 
Abenteuer  mit  dem  Knaben  im  Seminar,  der  ihn  unsittlich  be- 
rührt, spricht  er  von  der  Glut  seiner  Küsse,  die  ihm  sehr  un- 
angenehm gewesen  seien,  setzt  aber  hinzu,  mais  qui  me  touchaient 
beaucoup;  dies  fiel  ebenso  weg,  wie  der  Zusatz,  da  er  von  den 
ganz  unsittlichen  Handlungen  des  Verdorbenen  gesprochen  hatte: 
Sans  respect  de  l'auiel  et  du  crucijix  qui  etait  devant  lui.  Diese 
Unsittlichkeiten  erschreckten  ihn  zwar  außerordentlich,  übten 
aber  doch  die  Wirkung  aus,  ihn  einigermaßen  bei  diesem  Ver- 
gleiche zu  den  Frauen  hinzuzuziehen.  Dann  folgte  noch  die 
merkwürdige  Stelle:  Les  idees  quelle  (der  Vergleich)  ?ne  fit  naitre 
changent  en  desir  et  en  charme  le  degoüt  que  j'avais  eu  jusque  alors 
pour  leur  jouissance.  W^enn  er  ursprünglich  geschrieben  hatte: 
,,man  ist  sicher,  mich  mit  Käse,  anständigem  W'ein  gut  zu  be- 
wirten," und  noch  hinzugefügt  hatte:  et  la  liberte,  so  tilgte  er 
später  die  letzten  Worte.  Bei  dem  Abenteuer  mit  der  niedlichen 
Mme  Basile  fiel  der  Satz  fort :  en  un  mot  je  plus  assez  ä  cette  jeune 
dame  pour  revenir  chez  eile  avec  une  sorte  de  familiarite  qu'il  ne 
tint  pas  ä  man  gout,  ni  peut-Hre  au  sien  qui  n'augmeniät  davantage. 
Ebenso  vor  der  Nennung  ihres  Namens  die  Charakteristik:  son 
air  caressant,  son  etre  tendre,  au  premier  abord  il  semblait  que 
l'amitiee  füt  dejä  faite  et  qu'il  ne  put  rien  venir  de  plus,  und  bei 
dem  Fortschritt  des  Abenteuers  die  höchst  charakteristischen 
W'orte  ,,ma  tete  s'en  allait".  Hatte  der  Schriftsteller  dann  be- 
richtet, ,,die  fünf  oder  sechs  Jahre  Altersunterschied  hätten  sie 
schützen  können,"  so  setzte  er  diesen  Worten,  die  stehen  blieben, 
ursprünglich  die  folgenden  hinzu :  un  reste  d' incertitude  me  faisait 
irembler  d'encourir  son  indignation  et  de  me  faire  chasser  de  chez 
eile.  Der  Mann  der  Schönen  wurde  von  der  Reise  zurücker- 
wartet: sie  dachte,  so  wird  berichtet,  es  sei  Zeit  mich  zu  entfernen. 
Ursprünglich  stand  dann  noch  ,,et  peut'etre  voulait  eile  prevenir 
le  retour  de  son  mari".  Eine  der  wenigen  Anspielungen  auf  die 
Zukunft  wurde  getilgt  und  zwar  der  Satz,  der  steht,  nachdem 
berichtet  worden  war  ,,der  Graf  de  la  Rocque  habe  ihm  gesagt, 
das  Gewissen  des  Schuldigen  werde  den  Unschuldigen  genugsam 
rächen":  mais  ma  punilion  n'est  pas  taute  interieure  et  David Hume 
ne  fait  aujourd-hui  que  me  rendre  ce  que  je  fis  jadis  ä  la  pauvre 


Rousseaus  Bekenntnisse  in  ihrer  ersten  Fassung.        235 

Marion.  —  Im  Hause  Breil  ist  man  in  großer  Aufregung,  man 
denkt  nicht  an  ihn  „quand  on  aurail  eii  en  ma  faveur  tous  les  beaux 
projels  sur  lesqiiels  j'avais  im  peu  trop  compte"  und  bald  darauf, 
vor  den  Worten  „ich  liebte  es  Mlle  de  Breil  anzusehen",  hatte 
mit  Bezug  auf  seine  Wünsche  gestanden  peut-itre  par  ce  qua 
je  ne  savais  pas  trop  ä  quoi  les  fixer.  Gelegentlich  des  Einzugs 
bei  Mmc  v.  Warens  berichtet  er,  es  habe  sich  um  sein  Quartier 
gehandelt,  die  Wirtin  habe  ihr  Kammermädchen  gefragt,  wonach 
dann  in  der  Urfassung  die  später  getilgten  Worte  standen  ,,moins 
je  crois  pour  avoir  son  avis  dont  eile  ne  se  souciait  gueres  que  pour 
capter  son  approbation".  Bei  dem  Zusammenleben  mit  ihr  hatte 
es  nach  den  Worten,  „meine  Unruhe  in  ihrer  Abwesenheit  war 
geradezu  schmerzlich,"  noch  geheißen:  ,,j'etais  toufours  en  crainte 
qu'on  ne  liii  parlät  qii'on  ne  la  degoutät  de  moi,  qii'il  n'y  eüt  quelque 
chose  de  fait  ou  de  dit  qiii  nous  separat",  er  erzählt  sodann  von 
seinem  Stückchen  „L'amant  de  liii-mSme"  und  bemerkt:  ,,wenn 
ich  mich  in  der  Vorrede  für  18  Jahre  ausgab,  so  habe  ich  um 
einige  Jahre  übertrieben",  worauf  dann  noch  die  Worte  folgen: 
,,mais  il  est  certain,  que  je  n'en  avais  pas  vingt-deux  et  il  n'y  a 
rien,  qu'il  n'y  paraisse."  Bei  seiner  Mitteilung,  er  habe  auf  der 
Rückreise  von  dem  Ausflug  mit  Le  Maitre  erfahren,  Mme  de 
Warens  sei  nach  Paris  gereist,  war  ehemals  zu  lesen:  ,,et  peut-etre 
V avais- je  rencontree  en  route  sans  en  rien  savoir"  und  nach  dem 
Verlassen  dieses  Reisegefälirten  hatte  ursprünglich  die  größere 
Stelle  gestanden:  ,,Ce  n'est  pas  quand  une  vilaine  action  vient 
d'äre  faite  que  le  sentiment  en  est  cruel,  c'est  quand  on  se  la  rappelle, 
car  le  souvenir  ne  s'en  eteint  point,  le  temps  efface  tous  les  autres 
sentiments,  mais  il  aigrit  le  remords  et  le  rend  plus  insup portable: 
suriout  quand  on  est  malheureux,  on  se  dit  que  Von  merite  de  l'etre  et 
qu'au  Heu  de  trouver  en  soi  la  consolation  qu'on  y  cherche,  on 
n'y  trouve  qu'un  nouveau  tourment:  Je  crois  que  les  heureux  ont 
peu  de  remords,  mais  celui  qui  commit  le  mal  doii  s'assurer  de 
VHre  touie  sa  vie;  autrement  il  ne  sait  pas  quel  avenir  il  se  prepare 
dans  ces  malheurs".  Daraus  machte  B.  „ce  n'est  pas  quand  une 
vilaine  action  vient  d'etre  faite  qu'elle  nous  tourmente,  c'est  quand 
longtemps  apres  on  se  la  rappelle;  car  le  Souvenir  ne  s'en 
eteint  point." 

Später  ausgelassen  wurden  auch  folgende  Abschnitte.  Der 
erste  findet  sich  Buch  I  nach  der  Darstellung  der  merkwürdigen 
Erzählung,  daß  der  Knabe  (10  Jahre  alt,  nicht  9  ,  wie  er  berichtet), 
sich  lieber  von  der  Vierzigjährigen  (nicht  Dreißigjährigen,  wie 
er  sagt)  Fräulein  Lambercier  schlagen  ließ,  als  von  deren  Bruder, 
und  lautet  so:  „Ich  weiß  nicht,  woher  diese  frühzeitige,  viel- 
leicht durch  die  Romanlektüre,  beschleunigte  Sinnlichkeit  stammte, 
nur  das  ist  mir  bekannt,  daß  sie  auf  mein  übriges  Leben,  auf  meinen 
Geschmack,  mein  Betragen  und  meine  Sitten  Einfluß  gehabt. 
Ich  erkenne   den   Faden   dieser  Entwicklung  und   halte   es   für 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII\  16 


236  Ludwig  Geiger. 

nützlich  der  Spur  zu  folgen.  Wie  aber  soll  ich  sie  auf  diesen 
Blättern  bezeichnen,  ohne  sie  zu  beschmutzen  ?" 

„Diese  erste  Sinneserregung  drückte  sich  dermaßen  in 
mein  Gedächtnis  ein,  daß,  als  sich  nach  einigen  Jahren  meine 
Einbildung  zu  erhitzen  anfing,  dies  immer  unter  der  Gestalt 
derjenigen  geschah,  die  sie  anfänghch  hervorgerufen,  und  als 
der  Anbhck  junger,  schöner  Frauen  mir  Unruhe  erregte,  bestand 
die  Wirkung  immer  darin,  aus  ihnen  ebenso  viele  Fräulein  Lam- 
bercier  zu  machen." 

Ist  an  allen  diesen  Stellen  B.  gekürzt  oder  läßt  diese  Fassung 
interessante  Bemerkungen  aus,  so  fügt  sie  an  vielen  Orten  kleinere 
oder  größere  Sätze  ein.  Auch  dafür  können  aus  den  zahllosen 
vorhandenen  Stellen  nur  einige  angeführt  werden.  Diese  Zusätze 
enthalten  häufig  unrichtige  und  unpassende  Einfügungen  von 
Anschauungen  späterer  Zeit.  So  wird  z.  B.  bei  der  Reise  mit 
dem  jungen  le  Bäcle  berichtet,  sie  hätten  geglaubt  mit  ihrem 
physikahschen  Spielzeug  überall  Nahrungsmittel  zu  erhalten, 
weil  sie  meinten,  diese  kosteten  den  Bauern  ja  nichts.  B.  fügte 
dann  noch  hinzu:  ,,et  que  qiiand  ils  n'en  gorgent  pas  les  passants 
c'est  par  pure  mauvaise  volonte  de  leur  part." 

Dieser  Zusatz  ist  nicht  begründet,  weil  der  jugendliche 
Reisende  doch  nicht  so  töricht  war,  eine  derartige  Anschauung 
zu  hegen.  Ähnlich  unberechtigt  erscheint  die  Frage,  die  er 
stellt,  da  er  zum  zweiten  Male  zu  Frau  v.  Warens  kam:  ,,a  l'äge 
QU  j'elais,  la  peur  de  monrir  de  faim  donne-t-elle  de  pareille  alarme." 
Das  Verlassen  des  Herrn  le  Maitre  entschuldigt  er  mit  den  Worten: 
er  hätte  ja  bei  fernerem  Verbleiben  nur  die  Kosten  verdoppelt, 
die  der  gute  Mann  liätte  tragen  müssen,  worauf  B.  noch  einfügt: 
,,voild  comment  alors  je  voyais  la  chose,  je  la  vois  autrement  aujourd'- 
hui\  Bei  der  Schilderung  des  heblichen  Abenteuers  mit  den  beiden 
jungen  Mädchen  Galley  und  Graffcnried,  meint  er,  es  sei  einer 
der  schönsten  Tage  gewesen,  wie  man  sie  im  Alter  nicht  mehr 
sähe,  worauf  B.  nocli  einsetzt:  ,,eZ  qu'on  n'a  jamais  vu  dans  le 
triste  sol  ou  j'habite  aujourd'hni."  Ähnlich  ist  es,  wenn  am  Schlüsse 
des  in  der  alten  Bearbeitung  erhaltenen  Stückes  nach  den  Worten, 
,,das  geringste  erreichbare  Vergnügen  reizt  mich  mehr  als  die 
Freuden  des  Paradieses,"  noch  der  lehrhafte  Zusatz  eingesetzt 
wird:  ^,j'excepte  pourtant  le  plaisir  que  la  peine  doit  suivre:  celui-ld 
ne  me  tente  pas,  parce  que  je  n'ainie  que  des  jouissances  pures, 
et  que  jamais  oii  n'en  a  de  telles  quand  on  sait  qu'on  s'apprSte  un 
repentir." 

Einzelne  dieser  Zusätze  sind  recht  unlogisch.  Im 
ersten  Buche  z.  B.  führt  er  aus:  ,, keine  meiner  Neigungen  besteht 
in  käuflichen  Dingen",  dann  folgt  in  B. :  il  ne  faut  que  des  plaisirs 
purs  et  l'argent  les  empoissonne  tgus.  Dieser  Zusatz  unterbricht 
den  Zusammenhang,  denn  darauf  folgt  die  Stelle:  ,,ich  liebe  z.  B. 
Genüsse   der  Tafel,"   dem   Zusammenhang  nach   müßten   diese 


Rousseaus  Bekenntnisse  in  ihrer  ersten  Fassung.         237 

unter  die  unkäuflichen  gehören,  während  sie  doch  wie  alle  anderen 
bezahlt  werden  müssen.  Nicht  minder  unpassend  ist  der  folgende 
Zusatz:  Rousseau  erzählt,  wie  Mme  de  Warens  ihn  bestimmt 
habe,  nach  Itahen  zu  getien.  Er  setzt  auseinander,  die  Schönheit 
der  zu  erwartenden  Reise  hätte  ihn  verführt  ,,/a  vanite  meme 
y  milait  sa  pointe;  si  jeune  aller  en  Italie  avoir  dejä  cu  tant  de  pays, 
suivre  Hannibal  ä  travers  les  monts  me  parassait  une  gloire  au 
dessus  de  inon  dge."  Dieser  Einschub  ist  aber  deswegen  völlig 
unberechtigt,  weil  nichts  in  der  früheren  Schilderung  eine  solche 
Anspielung  auf  das  Altertum  begründet.  —  Der  Pfarrer,  der  ihn 
im  katholischen  Glauben  unterrichtet,  wird  von  ihm  durch  die 
Kirchenväter  besiegt.  Rousseau  fügt  jedoch  hinzu,  schheßlich 
habe  er  geschwiegen,  weil  er  seinen  Lehrer  nicht  zum  Äußersten 
treiben  wollte.  Danach  setzt  B.  ein:  ,,car  je  voyais  assez  que  le 
vieux  petit  pretre  n'avait  pris  en  amitie  ni  mon  erudition  ni  moi." 
Das  ist  aber  doch  kein  Grund,  denn  da  ihm  der  alte  Priester  so 
wie  so  nicht  grün  war,  so  hätte  es  weiter  nichts  geschadet,  ihn 
noch  mehr  zu  entrüsten.  Auch  als  er  die  Pracht  des  Hofes  von 
Sardinien  sah,  hatte  er  schwerlich  die  Empfindung,  die  die  spätere 
Fassung  mit  den  Worten  bezeichnet  „gui  bientöt  vue  et  toujours 
la  meme  ne  frappe  pas  longtemps."  Bei  den  Abenteuern  mit  den 
jungen  und  alten  Frauenzimmern  heißt  es:  an  der  Art,  wie  die 
jungen  und  alten  mich  fortgehen  ließen,  urteilte  ich,  daß  ich  mit 
ihnen  allein  nicht  so  leichten  Kaufes  fertig  geworden  wäre.  In 
diese  Sätze  schiebt  B.  ein:  je  jugais  que  l'homme  que  j'avais  tant 
craint  m'etait  fort  utile.  Dieser  Einschub  ist  an  dieser  Stelle 
unpassend,  er  hätte  vielleicht  an  anderem  Orte  eingefügt  w^erden 
können. 

Unnötig  ist  jedenfalls  der  Zusatz  bei  dem  Unterricht 
des  Abbe  Gaime  ,,dont  je  n'avais  que  de  fausses  idees"  nach  den 
Worten  ,,er  machte  mir  eine  wahre  Schilderung  des  mensch- 
lichen Lebens,"  denn  in  diesem  Worte  ,,wahr"  liegt  ja  schon 
inbegriffen,  daß  der  Schüler  bis  dahin  eine  falsche  Vorstellung 
gehabt  hatte. 

Gegenüber  diesen  unlogischen  oder  unnötigen  Einfügungen 
zeigen  sich  andere,  in  denen  die  Absicht  erkennbar  ist,  das  Gesagte 
zu  verstärken.  Bei  dem  Pfarrer  Lambercier  hatte  A. 
ausgeführt,  dieser  habe,  obgleich  Prediger  und  Kirchenmann, 
fast  ebenso  gut  gehandelt,  wie  gesprochen.  Dies  begründet  B. 
durch  die  Ausführung  „da  er  innerlich  gläubig  war."  Herr 
Basile  schickt  den  Knaben  durch  seinen  Commis  fort.  B.  schiebt 
ein,  um  eben  den  Triumph  des  eifersüchtigen  Commis  zu  er- 
höhen „il  assaisonna  sa  commission  de  tout  ce  qui  pouvait  la  rendre 
insultante  et  cruelle."  Einmal  zählt  Rousseau  die  Dinge  auf,  die 
er  gern  esse:  Birnen,  Käse,  B.  vervollständigt  die  Liste  durch 
die  Worte  ,,ei  quelques  verres  d'un  gros  vin  de  Montf errat  d  couper 
par  tranche."     Als  der  Berichterstatter  von  Mme   de   Vercellis 

16* 


238  Ludwig  Geiger. 

fortgeht,  war  er  träumerisch,  unruhig,  wünschte  ein  ungeahntes 
Glück.  Diese  Darstelhing  genügt  B.  nicht,  so  daß  noch  hinzu- 
gesetzt wird:  ich  weinte  und  seufzte.  Le  Maitre  verliert  seine 
Kiste  mit  seinen  Kompositionen,  die  Arbeit  von  25  Jahren,  das 
schien  B.  noch  zu  schwach,  so  daß  noch  die  Worte  hinzukommen 
,,/e  fruit  de  ses  talents,  l'ouvrage  de  sa  jeunesse  et  la  ressource  de 
ses  vieux  jours."  Bei  der  Erzählung  der  falschen  Beschuldigung 
gegen  die  junge  Marion  schien  dem  Autor  die  ursprüngUche 
Schilderung  zu  stark  und  man  mag  aus  folgender  Gegenüber- 
stellungersehen, wie  er  den  Gedanken  abzuschwächen  unternahm: 

A  B 

Cent   fois  j'ai   cru   l'entendre  Tant  qua  j'ai  vecu  tranquille 

me  dire  au  fond  de  mon  coeur:  11  m'a  moins  tourmente,  mais  au 

Tu   fais   l'honnete   homme   et   tu  milieu  d'une  vie  orageuse  il  m'öte 

n'es  qu'un  scelerat.     Je  ne  savais  la    plus    douce    consolation    des 

dire  combien  cette  idee  a  empoi-  innocens    persecutes:    11    me    fait 

sonne  d'eloges  que  j'ai  re^us,  et  blen  seiitlr  ce  que  je  crois  avolr 

combien    souvent    en    moi-meme  dit  dans  quelque  ouvrage,  que  le 

eile  me  rend  tourmentante  l'estime  remords  s'endort  durant  un  destln 

des  hommes.     Cela   va   quelque-  prospere,    et    s'aigrlt    dans    l'ad- 

fois  au  point  de  me  faire  regarder  versite. 
comme  une  confirmation  de  mon 
crime  de  souffrlr  que  l'on  pense 
hlen  de  mol. 


Höchst  erwähnenswert  sind  auch  noch  Zusätze  anderer  Art. 
Zunächst  Berichtigungen  und  Ergänzungen.  Da 
er  einmal  ausführt,  es  sei  merkwürdig,  daß  er  bei  einer  so  starken 
Auffassungsgabe  von  seinen  Lehrern  nichts  gelernt,  setzt  er 
hinzu  ,, außer  von  meinem  Vater  und  Herrn  Lambercier."  Unter 
den  Geistlichen,  die  den  Singmeister  schlecht  behandelt,  hatte 
er  ursprünglich  nur  ,,den  Kantor"  erwähnt,  in  der  zweiten  Be- 
arbeitung läßt  er  die  Namensnennung  folgen:  ,, genannt  Abbe 
de  Vidonne."  In  der  Kindheitsgeschichte  ist  die  ganze  Ausführung 
neu,  die  über  die  gemeinsame  Beschäftigung  mit  seinem  Vetter 
handelt,  über  die  Beschmierung  von  Papier,  die  Darstellung 
des  itahenischen  Charlatans  Gamba-Corta  und  die  mit  dem 
Vetter  zusammen  vorgenommene  Abfassung  von  Predigten  und 
Komödien.  Bei  einzelnen  Abschnitten  findet  eine  völlige  Um- 
arbeitung statt.  Aus  den  wenigen  Zeilen,  die  das  Liebesverliältnis 
des  Knaben  zu  Mlle  Vulson  darstellen,  ist  in  der  neuen  Bearbeitung 
eine  förmliche,  ziemlich  ausführhche  Geschichte  geworden.  Die 
Charakteristik  einzelner  Personen  wird  näher  ausgeführt.  Ur- 
sprüngHch  war  der  Großvater  der  Mme  de  Breil  etwas  kurz  abge- 
fertigt, seine  Unterredung  mit  dem  jugendlichen  Diener  war 
einfach  berichtet  worden.  In  der  neuen  Fassung  wurden  zur 
Charakteristik  die  Worte  eingesetzt  ,,ce  bon  vieillard  quoique 
homme  d'esprit  en  avait  moins  que  Madame  de  Vercellis  mais  il 
afüit  plus  d'entrailles  et  je  reussis  mieux  aupres  de  lui. 


Rousseaus  Bekenntnisse  in  ihrer  ersten  Fassung.        239 

Die  im  Vorstehenden  mitgeteilten  Stellen  geben  nur  eine 
verhältnismäßig  kleine  Auswahl  der  zahlreichen  von  mir  ge- 
sammelten Abweichungen.  Wollte  man  alle  einzelnen  kleinen 
stilistischen  Veränderungen  zusammenstellen,  namentlich  solche, 
die  rein  sprachlicher  Natur  sind,  so  müßte  man  Bogen  füllen. 
Gerade  eine  solche  Arbeit  ist  gewiß  von  großem  Nutzen  und  würde 
für  Seminararbeiten  höchst  empfehlenswert  sein,  sie  würde 
zeigen,  mit  welch  außerordentlicher  Genauigkeit  Rousseau  seine 
einmal  niedergeschriebene  Arbeit  durchging  und  würde  viel- 
leicht dazu  führen,  gewisse  Gesetze  des  Wohlklanges  zu  statuieren, 
die  er  bei  seiner  späteren  Fassung  zu  beobachten  suchte.  Aber 
auch  schon  der  vorstehende  Vergleich  läßt,  wie  ich  hoffe,  einen 
sehr  interessanten  Einblick  in  die  Werkstätte  des  bedeutenden 
Schriftstellers  tun. 

Berlin.  Ludwig   Geiger. 


Sur  les  sources  de  la  Legende  des  Siecles: 

"Le  Romancero  du  Cid",  "Bivar", 

"Le  Cid  exile". 


Trois  fois  dans  le  courant  de  la  Legende  des  Siecles.,  le  per- 
sonnage  demi-historique  demi-mythique  du  Cid  nous  apparait: 
dans  le  Romancero,  Bivar  et  le  Cid  exile.  V.  Hugo  se  serait-il 
servi  pour  les  trois  morceaux  de  la  meme  source,  ou  a-t-il  employe 
trois  sources  differentes  ? 

Examinons  d'abord  le  morceau  le  plus  important  par  son 
etendue,  le  groupe 

"le  Romancero  du  Cid". 

Les  sources  peuvent  etre  divisees  a  deux  points  de  vue 
differents:  d'apres  le  contenu  ou  d'apres  la  langue  dans  laquelle 
elles  sont  composees.  Adoptons  la  premiere  Classification,  car 
eile  nous  epargnera  des  repetitions  fastidieuses,  ce  qui  se  rapporte 
aux  sources  ecrites  en  Espagnol  pouvant  bien  souvent  s'appliquer 
aux  ouvrages  frangais. 

Le  plus  ancien  ouvrage  qui  fasse  mention  du  Cid  est  le  "  Poema'\ 
ouvrage  du  onzieme  siecle.  Or  un  resume  de  cet  ouvrage  a  paru 
en  1841  dans  la  France  Litteraire  (t.  VI)  avec  la  traduction  de 
quelques  passages.  Plus  tard  une  traduction  complete  fut  publiee 
en  1858  par  DamasHinard  avec  le  texte  espagnol  en  regard. 
Nous  n'avons  pu  decouvrir  aucun  accord  textuel  qui  pourrait 
nous  amener  ä  considerer  le  Poema  comme  source  de  V.  Hugo. 
Sans  doute  le  Cid  est  considere  comme  ami  du  peuple  aussi  bien 
dans  le  Poema  que  dans  V.  Hugo.  Mais  il  est  douteux  que  cette 
conception  soit  passee  d'un  poeme  ä  I'autre.  En  effct  le  Cid  de 
V.  Hugo  est  un  ennemi  acharne  des  tyrans,  et  le  roi  espagnol 
auquel  il  s'adresse  semble  cacher  Napoleon  III.  Au  contraire 
le  Cid  du  Poema,  tout  en  defendant  le  peuple,  garde  pourtant  de 
la  deferencc  pour  son  roi.  II  est  donc  peu  probable  que  V.  Hugo 
se  soit  servi  du  texte  espagnol.  Dans  la  traduction  de  Damas 
Hinard  nous  trouvons  p.  269  un  passage  puise  dans  les  Antigüedades 


Sur  les  soiirces  de  la  Legende  des  Südes.  241 

de  Espana  de  Berganza  (Madrid  1721).  "Lors  du  premier  exil 
du  Cid  (entre  1075  et  1080)  le  roi  Alphonse  VI,  dejä  indispose 
contre  son  vassal,  fit  un  voyage  du  cöte  de  Bivar.  Le  Cid,  bien 
qu'il  n'ignorät  point  le  mecontentement  du  roi,  alla  ä  sa  rencontre 
et  s'avanQa  pour  lui  baiser  la  main.  Don  Alphonse  refusa  de  la 
lui  donner  et  lui  dit  avec  colere:  "Allez  sortez  au  plus  tot  de  mon 
royaumc."  Un  tel  passage  se  trouve  egalement  dans  la  Cronica 
del  famoso  Cavallero  Cid  Ruydiez  Campeador  (LXXXIX)'), 
mais  il  manque  completement  dans  le  Poema  et  dans  les  Romances 
oü  je  n'ai  pu  trouver  une  indication  que  le  Cid  et  le  roi  se  soient 
jamais  rencontres  ä  Bivar.  Or  le  Cid  de  V.  Hugo  regoit  le  roi 
ä  Bivar  et  c'est  lä  qu'il  lui  adresse  les  reproclies  qui  sont  la  matiere 
des  XVI  poemes.  Mais  si  V.  Hugo  s'etait  servi  ou  de  Damas 
Hinard  on  bien  des  Antig'nedades  ou  de  la  Cronica.,  soit  dans  le 
texte  original  soit  dans  une  traduction,  oü  aurait-il  donc  pris  ces 
reproches  interminables  ?  Cherchons  dans  le  seul  ouvrage  im- 
portant  qui  nous  raste  encore,  les  Romances  qu'on  designe  ordi- 
nairement  sous  le  nom  de  Romancero,  nom  egalement  adopte 
par  V.  Hugo  pour  ses  poemes  sur  le  Cid. 

Les  editions  espagnoles  dont  V.  Hugo  a  pu  se  servir  sont 
innombrables.  Les  textes  frangais  parus  du  temps  du  poete 
sont  moins  nombreux.  Abel  Hugo,  frere  du  poete,  avait 
publie  en  1822  des  ,, Romances  Historiques  traduites  de  l'espagnol" 
Sans  y  inserer  les  Romances  sur  le  Cid.  II  nous  dit  (p.  100): 
"C'est  encore  ä  cette  epoque  (XF  siecle)  qu'il  aurait  convenu 
de  placer  les  romances  sur  le  Cid,  romances  assez  nombreuses 
pour  former  un  volume  a  part"'.  (p.  156  note  IV)  "Le  nombre 
des  romances  sur  le  Cid  empeche  de  les  inserer  dans  ce  volume: 
en  attendant  la  publication  de  la  traduction  que  j'en  ai 
faite,  je  vais  placer  ici  un  chapitre  d'une  chronique  fort  rare  sur 
cet  heros."     Cette  traduction  n'a  jamais  paru. 

Dans  les  Romances  historiques  d'Abel  Hugo  nous  trouvons 
la  remarque  suivante:  "Par  une  combinaison  assez  heureuse, 
la  forme  et  le  metre  usites  pour  les  romances  aiderent  ä  l'imitation 
exacte  du  style  narratif  de  la  bible :  on  avait  adopte  des  stances  de 
quatre  vers  trochaiques."  Gaston  Paris,  dans  les  Poemes 
et  Legendes  du  Moyen-äge,  nous  apprend  comment  A.  Hugo 
etait  arrive  ä  cette  conclusion:  "A  l'epoque  d'Abel  Hugo  il  etait 
encore  d'usage  d'imprimer  les  romances  en  les  divisant  en  qua- 
trains :  c'est  pour  cela  qu'il  a  divise  ses  traductions  en  paragraphes, 
dont  chacun  represente  quatre  vers."  Ensuite  G.  Paris  nous 
montre  comment  V.  Hugo  s'est  inspire  de  l'idee  de  son  frere: 
"V.  Hugo  a  ete  amene  par  lä  ä  faire  des  stroplies .     II  a 

^)  E  el  Rey  salio  de  Burgos  e  llegö  cerca  de  Bivar,  e  el  Cid  qui  sole 
hesar  la  mano,  mas  el  Rey  non  gela  quiso  dar.  E  dixole  sanudamente : 
Ruydiez  salid  de  mi  tierra. 


242  M.  Rösler. 

garde  les  vers  de  7  syllabes  ce  qui  prouve  qu'il  avait  jete  les 
yeux  sur  quelques  romances  dans  l'original  et^.". 

En  outre  V.  Hugo  s'est  servi  dans  son  Romancero  de  la 
Romance:  Bianca  sois^  senora  mia,  dont  Abel  Hugo  a  insere  une 
traduction  dans  ses  Romances  historiques  (p.   XLVIII). 

Pour  le  reste,  V.  Hugo  s'est-il  servi  du  manuscrit  "des  roman- 
ces sur  le  Cid"  de  son  frere,  ou  ce  manuscrit  n'a-t-il  jamais  existe  ? 
voilä  ce  que  nous  ne  pouvons  savoir. 

H  en  existaient  d'ailleurs  d'autres  traductions.  Abel  Hugo 
nous  dit  lui-meme:  "Les  personnes  qui  seraient  curieuses  de 
connaitre  les  romances  du  Cid,  avant  la  publication  du  volume 
qui  les  contiendra  toutes,  peuvent  consulter  les  excellentes 
imitations  que  le  marquis  de  Paulmy  en  a  inserees  dans  la 
Bibliotheque  Universelle  des  Romans  (juillet  1783,  tom,  II) 
et  les  imitations  en  vers  de  ces  memes  imitations  que  M.  Creuze 
de  Lessert  vient  de  publier". 

"L'imitation"  de  la  Bibliotheque  Universelle  s'eloigne  assez 
du  texte  espagnol,  quelquefois  un  passage  est  mal  compris,  quel- 
quefois  on  a  choisi  volontairement  une  autre  redaction,  on  a 
ajoute  des  reflexions,  plusieurs  romances  sont  reunies  en  une 
seule,  d'autres  partagees  en  deux  et  les  passages  qui  semblaient 
trop  naifs  ou  pas  adaptes  i  ux  ämes  sensibles  auxquelles  l'ouvrage 
s'adressait,  sont  expulses,  quoique  l'editeur  nous  dise  qu'il  traduit 
les  Romances  de  la  collection  d'E  s  c  o  b  a  r  et  qu'il  insere  seule- 
ment  celles  qui  manquent  dans  son  original. 

Une  de  ces  romances  en  prose  est  bien  curieuse.  Chimene 
y  fait  des  reproches  au  roi  sous  les  lambris  du  chäteau  de  Bivar. 
Or  il  a  6te  impossible  de  retrouver  l'original  de  ce  morceau.  Chi- 
mene ne  se  trouve  jamais  en  presence  du  roi  ä  Bivar  et  en 
l'absence  du  Cid — car  c'est  ä  cette  periode  de  la  vie  du  Cid  que  la 
romance  semble  se  reporter — eile  avait  quitte  elle-meme  le  chäteau. 
Les  romances  contiennent  une  lettre  que  Chimene  ecrivit  au 
monarque  et  non  un  entretien  et  c'est  de  Burgos  qu'elle  est 
datee.^)  Nous  trouvons  en  outre  deux  romances  qui  nous  racontent 
que  le  Cid  envoya  Alvar  Fafiez  ä  la  cour  et  que  celui-ci  adressa 
au  roi  des  plaintes  au  nom  du  heros.^)  Peut-etre  le  marquis 
de  Paulmy  a-t-il  fait  de  ces  trois  romances  le  morceau  que 
nous  allons  inserer  ici.^)  Les  reproches  qu'il  contient  pourraient 
facilement  se  repartir  en  plusieurs  chapitres,  correspondants  aux 
titres  de  quelques-unes  des  romances  de  V.  Hugo. 

(UEntree  du  Roi.)  Ingrat  et  cruel  Alfonse,  disait  la  Chimene  du 
Cid  sous  les  lambris  de  son  chäteau  de  Bivar,  c'est  ä  moi  de  me  plaindre 
de  ton  injustice,  car  ce  n'est  que  des  coeurs  de  mon  sexe  que  la  plainte 
fait  6couler  le  ressentiment. 

^)  En  las  solares  de  Burgos. 

^)   Desterrado  estaha  el  Cid  —  Llegö  Alvar  Fahez  ä  Burgos. 

<)  cf.  Bihl.   Un.  p.   135. 


Sur  les  sources  de  la  Legende  des  SUcles.  213 

(Le  Cid  est  le  Cid.)  Malheur  k  toi,  Monarque,  pour  avoir  offense 
mon  6poux  :  tu  n'as  ose  le  faire  que  de  paroles;  mon  öpoux  ne  parle 
bien  qu'avec  son  ^pee.  Si  tu  n'avais  ete  qu'un  gentilhomme,  eile 
n'aurait  pas  demeure  muette  dans  son  fourreau. 

(Le  Cidhonnete.)  Tu  le  bannis,  simple  que  tu  es,  un  homme  comme 
le  Cid  est  partout  dans  sa  patrie;  tu  le  laisses  mordre  par  l'envie.  Va, 
mon  Cid  est  couvert  d'acier,  l'envie  se  brisera  les  dents.  Tu  lui  laisses 
empörter  son  epee;  tu  ne  la  redemanderas  pas  jusqu'ä  la  premiere 
bataille,  on  ne  sent  le  bien  qu'avec  le  remords  de  l'avoir  perdu. 

(Le  Roi  ingrat.)  De  quoi  penses-tu,  Monarque,  qu'il  ait  ä  se 
repentir,  s'il  est  vrai  qu'il  se  repente  de  s'etre  fait  des  ennemis  dans  toute 
TEspagne  pour  avoir  recherche  l'amitie  des  rois. 

(Le  Roi  couard  et  Le  Roi  soudard.)  C'est  pour  vous  suppleer  tous 
dans  votre  incapacite  qu'il  s'est  rendu  si  redoutable  et  ce  qu'il  a  pris 
sert  d'agrandissement  ä  vos  etats,  qui  seraient  encore,  sans  lui,  born^s 
dans  les  rochers  des  Asturies.    Le  brigand  est  celui  qui  profite  du  larcin. 

(Le  Cid  fidele.)  Souviens-toi  de  la  maniere  dont-il  t'a  servi,  s'il 
l'eüt  fait  comme  tes  Guerriers  de  cour  par  des  louanges  et  des  com- 
plaisances  ou  des  mensonges,  il  te  serait  encore  eher  et  ses  honorables 
Services  seraient  recompenses.  Mais  tu  l'as  vu  toujours  plus  prompt 
ä  te  donner  qu'ä  recevoir  et  c'est  une  Charge  terrible,  pour  les  princes 
ingrats,  que  des  sujets  bienfaiteurs. 

(Le  Roi  jaloux  et  Le  roi  abject.)  Allez,  Alfonse,  mon  epoux  ne 
craint  point  l'exil,  c'est  un  chätiment  qui  n'etait  redoutable  que  pour 
les  oisifs  de  vos  Palais,  tous  gens  infiniment  redoutes,  non  pas  des 
Maures  de  la  frontiere,  mais  des  vrais  Gentilshommes  qu'ils  deshonorent, 
avec  l'insolente  audace  des  daguets  qui  detournent  les  öpouses  quand 
les  grands  chefs  combattent  genereusement  pour  leur  honneur  et 
pour  leur  amour.  Malheur  ä  toi,  Monarque,  la  faveur  et  la  verite  n'ont 
habite  qu'une  fois  ensemble.  Tu  marches  environne  de  chiens  qui 
te  caressent  aujourd'hui  et  qui  se  jetteront  sur  toi  au  premier  faux 
pas  pour  te  devorer,  teile  est  l'image  que  doit  regarder  un  roi  quand  il 
a  perdu  les  yeux  de  son  äme,  aveugle  par  des  favoris. 

Ainsi  parlait  la  noble  Chimene  dans  sa  colere  et  eile  ne  cessa 
de  parier  pour  se  baigner  dans  ses  larmes." 

V.  Hugo  pourrait  facilement  avoir  ajoute  les  plaintes  qui 
ne  sont  pas  conteaues  dans  ce  morceau  en  se  servant  d'autres 
romances,  mais  nous-  ne  decouvrons  que  tres  peu  d'emprunts 
textuels  et  ces  quelques  emprunts  peuvent  assez  souvent  se 
rapporter  tout  aussi  bien  k  la  romance  espagnole  qu'ä  une  tra- 
duction  ou  imitation  frangaise.  Faisons  suivre  ce  passage  tire 
de  la  Bibliotheqiie  Universelle  de  la  traduction  de  D.  Hinard  des 
romances  espagnoles  que  nous  venons  de  mentionner  comme 
ayant  rapport  au  meme  sujet. 

"Gomment  dona  Chimene  ecrivit  au  roi  don  Ferdinand."  5) 
Dans  le  manoir  de  Burgos  attendant  son  Rodrigue,  Chimene  — 
ecrivit  de  cette  fagon  au  noble  roi  don  Ferdinand: 

"A  vous  mon  seigneur  le  roi,  le  bon,  le  fortunö,  le  grand,  le  con- 
qu^rant,  le  reconnaissant,  le  sage;  votre  servante  Chimene,  fille  du 
comte  Logano,  ä  qui  vous  avez  donn6  un  mari  comme  pour  vous  moquer 
d'elle,  vous  salue  des  murs  de  Burgos  oü  eile  vit  dans  la  tristesse.  Dieu 
mene  ä  heureuse  fin  vos  bons  projets!    Pardonnez-moi,  mon  seigneur, 

^)  Damas  Hinard  Romancero  Espagnol  p.  41,  d'apres  la 
romance  En  los  solares  de  Rurgos  A  su  Rodrigo  aguardando  (Romancero 
del  Cid  por  Escobar). 


244  M.  Rösler. 

si  je  ne  vous  parle  pas  avec  une  confiance  entiere  :  car  ayant  contre 
vous  un  mauvais  vouloir,  je  ne  puis  le  dissimuler.  Quelle  loi  de  Dieu 
vous  enseigne  que  vous  pouvez  pour  un  si  long  temps,  lorsque  vous 
livrez  des  combats,  demarier  deux  epoux  ?  Quelle  bonne  raison  approuve 
que  vous  montriez  ä  un  jeune  gargon  bien  appris,  bien  docile  et  bien 
timide  ä  etre  un  brave  lion?  et  que  de  jour  et  de  nuit  vous  le  trainiez 
enchaine  sans  le  lächer  pour  moi,  sinon  une  fois  par  hazard  dans 
l'annee"  etc. 

"Le  Cid  donne  un  message  ä  Alvar  Faiiez"^) 

"Le  Cid  etait  exile  de  la  cour  et  de  ses  possessions  de  Castille  par 
son  roi  fatigue  d'etre  vainqueur  dans  les  guerres.  Et  fortune  qu'il 
est  dans  les  armes,  le  sang  des  Mores,  qu'il  a  vaincus  sur  les  frontieres, 
s'est  k  peine  seche  sur  ses  habits,  et  meme  ses  bannieres  flottent  encore 
sur  les  creneaux  des  süperbes  murailles  humiliees  de  Valence  —  lors- 

qu'il  ordonne  pour  le  roi  un  magnifique  präsent II  depeche 

tout  cela  vers  Burgos  et  ä  Alvar  Fanez,  qui  en  est  Charge,  il  dit  de  cette 
maniere  pour  qu'il  le  dise  au  roi." 

"Alvar  Fanez  rend  le  message  du  Cid."') 

"Alvar  Fanez  arriva  ä  Burgos  pour  remettre  au  roi  le  butin  de 
captifs,  de  chevaux,  de  depouilles  et  de  richesses.  II  entra  lui  baiser 
la  main  apres  qu'il  en  eut  re§u  la  permission  et  s'agenouillant  devant 
lui,  il  commence  ainsi  son  message. 

"Puissant  roi  Alphonse  que  votre  grandeur  daigne  agreer  la  bonne 
volonte  et  l'offrande  d'un  gentilhomme  exile.  Don  Rodrigue  de  Bivar, 
ce  fort  rempart  qui  vous  defend,  exile  par  l'envie  de  sa  maison  et  de 
sa  terre,  m'ayant  commis  sa  justification,  demande  que  je  vous  parle 
librement;  et  ainsi,  pour  ne  me  point  tromper,  je  vais  repeter  ses  paroles 
memes. 

II  dit  que  vous  ne  fassiez  cas  de  ce  faible  präsent  que  seulement 
pour  avoir  ete  achete  aux  Mores  au  prix  d'un  sang  genereux;  qu'avec 
son  epee,  en  deux  ans,  il  vous  a  gagne  plus  de  terres  que  ne  vous  en 
laissa  le  roi  Ferdinand,  votre  pere  (qui  soit  en  gloire!),  que  vous  preniez 
ce  don  en  temoignage  de  cela,  et  que  vous  n'imputiez  point  ä  l'orgueii 
qu'il  paie  ses  dettes  ä  son  roi  avec  les  depouilles  des  autres  rois  :  car, 
puisque  vous,  comme  seigneur,  lui  avez  enleve  son  avoir,  il  peut  bien, 
comme  pauvre,  payer  avec  le  bien  d'autrui.  II  dit  que  vous  ayez 
confiance  en  Dieu  et  en  lui,  pendant  que  sa  main  presse  la  Tizona  et 
que  son  talon  frappe  Babie§a;  et  qu'il  vous  plaise  de  placer  ces  drapeaux 
dans  Saint-Pierre.  —  Qu'il  vous  supplie  de  lui  envoyer  ses  filles  et  sa 
Chimene,  agr^ables  et  doux  objets  pour  son  coeur  triste  et  afflige,  et 
que  si  vous  n'etes  point  touche  de  son  abandon,  vous  le  soyez  au  moins 
de  celui  de  son  epouse,  afin  qu'elle  se  rejouisse  de  sa  gloire  acquise 

pendant  une  si  longue  absence." A  peine  eut-il  fini  le  message 

qu'il  Vit  eclater  l'envie  des  flatteurs  jaloux  et  des  vils  complaisants. 

Un  comte,  piquö  de  ce  langage,  se  leva Alvar  Fafiez  enfonga 

son  bonnet,  mit  la  main  sur  son  epee  et  begayant  de  colere,  fit  au  comte 
cette  reponse: ,, Que  personne  ne  bouge  ni  ne  parle!  et  que  celui  qui 
voudra  bouger  comprenne  bien  que  c'est  le  Cid  present  qui  lui  parle, 
car  en  son  absence  c'est  moi  qui  le  suis!  Et  s'il  vient  ä  entrer  quelque 
faiblesse  dans  mon  pauvre  courage,  la  grande  fermete  du  Cid  me  soutient 
de  Valence  jusqu'ici.  Que  nul  calomniateur  ne  le  vende,  et  que  ses 
flatteries  ne  le  vendent  pas,  car  je  ne  garantirais  plus  sa  tete  ni  la 

*)  D.  Hinard  p.  141  d'apres  la  romance  Destcrrado  estaba 
el  Cid  De  la  corte  y  de  sie  aldea  (Romancero  general). 

')  D.  Hinard  p.  143:  Llegö  Alvar  Fanez  a  Burgos  A  llevar 
al  rey  la  empresa  (Romancero  del  Cid). 


Sur  les  sources  de  la  Legende  des  Siecles.  245 

mienne,  au  nom  du  Cid.  Et  vous,  roi,  qui  approuvez  et  encouragez 
ces  flatteries,  vous  n'avez  que  des  remparts  de  flatteries,  et  vous  verrez 
comment  ils  soutiennent  le  choc.  Pardonnez  ä  la  colere  qui  me  fait 
manquer  de  respect  ä  votre  altesse." 

On  remarquera  qu'il  y  a  assez  de  differences  et  on  ne  pourrait 
nullement  trouver  dans  ces  romances  le  sujet  des  huit  poesies 
de  V.  Hugo,  dont  le  titre  a  ete  mis  en  parenthese  ci-dessus.  Exa- 
minons  encore  quelques  details. 

I.  'X'e  ntree  du  Ro  i." 

Dans  la  premiere  romance,  le  Cid  recoit  le  roi  Sancho  ä 
Bivar.  Le  nom  de  Sancho  est  probablement  un  changement 
arbitraire,  peut-etre  ä  cause  des  necessites  du  rhythme.  G'est 
le  roi  Alfonso  qui  figure,  tout  aussi  bien  dans  l'entrevue  men- 
tionnee  dans  les  ^^Antigiiedades"  que  dans  celle  qui  est  citee 
dans  la  Bibliotheque  Universelle\  et  presque  tous  les  details  qui 
se  trouvent  dans  cette  romance  et  dans  les  suivantes  se  rapportent 
aux  discordes  entre  Alfonso  et  le  Cid. 

La  description  du  chäteau  de  Bivar  et  de  la  nature  envi- 
ronnante  differe  de  celle  qui  est  dans  le  commencement  du  Poema. 
Elle  semble  l'invention  du  poete  frangais,  auquel  les  romances 
ne  fournissaient  pas  assez  de  details  pittoresques. 

IL  "Souvenir  de  Ghimene." 

V.  Hugo  nous  donne  une  description  de  la  noce  du  Cid. 
Elle  eut  lieu  du  temps  du  roi  Ferdinand,  non  du  roi  Sancho, 
comme  le  poete  nous  le  dit.  Nous  ne  saurions  indiquer  la  source, 
car  toutes  les  traductions  frangaises  suivent  d'assez  pres  les 
romances  espagnoles  oü  est  racontee  la  fete. 

IIL   et   IV.    "L  e   Roi   j  a  1  o  u  x"   et   "L  e    Roi  i  n  g  r  a  t." 

Ces  deux  romances  fönt  probablement  allusion  ä  la  querelle 
du  Cid  avec  Bermudo,  quoique  suivant  les  sources  cette  querelle 
alt  eu  lieu  ä  Burgos  tandis  que  V.  Hugo  dit: 

Quand  tu  me  fais  defier 

Par  ton  clerc  ä  Salamanque, 

A  Jaen  par  ton  greffier. 

D'accord  textuel  nulle  part. 

V.    "Le  Roi  defiant." 
La  romance  peut  se  resumer  en  ces  vers: 
Qu'est  ce  donc  qu'il  premedite, 
S'il  n'est  traitre,  il  en  a  l'air. 
Dans  sa  montagne  maudite, 
Ce  baron-lä  n'est  pas  clair. 


246  M.  Rösler. 

L'explication  de  ces  vers  est  dans  les  accusations  qu'Alfonso 
adressa  au  Cid  apres  que  celui-ci  Tavait  force  de  preter  serment 
dans  la  cathedrale  de  Burgos  attestant  son  innoeence  au  meurtre 
de  son  frere.  Le  Cid  s'etait  vu  force  de  quitter  la  cour.  Lf.  Le 
Romancero  du  Cid :  Si  atendeis  que  de  los  hrazos.  —  Bihl.  Univ. 
p.  130,     D.  Hinard  p.  111. 

VI.    "L  e  R  oi  ab  j  e  c  t." 

Cette  romance  est  plus  interessante  au  point  de  vue  litt^raire  que 
les  precedentes,  car  la  deuxieme  Strophe  dans  la  poesie  de  V.  Hugo: 
Ton  vieux  pere,  äme  loyale, 
Dit:  quelque  bohemien 
A,  dans  la  creche  royale, 
Mis  son  fils  au  lieu  du  mien. 
ne  se  trouve  pas  dans  la  Bihl.   Univ.     Elle  pourrait  etre  prise 
du  Cancionero  de  Romances:  Doliente  se  siente  el  rey.,  ou  de  D  a  m  a  s 
Hinard  p.   48:   "Les   derniers  moments   du  roi   Ferdinand". 
Seulement  le  bätard  dont  il  s'agit  ici  n'etait  point  Sancho,  mais 
un  fils  qui  n'a  pas  regne:  „Celui  qui  etait  bätard  se  trouve  le 
mieux   partage,   car  il   est   archeveque   de  Tolede."     Peut-etre 
V.  Hugo  a-t-il  tire  le  passage  de  son  imagination,    Les  vers  suivants: 
Pour  ne  point  passer  ta  taille, 
Je  vais  me  mettre  ä  genoux 
se  trouvent  dans  la  Bihl.  Univ.  et  dans  les  romances  espagnoles 
aussi  bien  que  dans  les  autres  traductions. 
Le  passage:       Toi-meme  tu  reconnais 

Que  j'ai  la  peau  toute  noire 
D'avoir  porte  le  harnais 
ne  se  trouve  pas  dans  les  romances  sur  le  Cid,  mais  dans  la  romance: 
Bianca  sois  sehora  mia,  dont  nous  avons  parle  auparavant  et  qui 
pourrait  etre  emprunte  aux  Romances  historiques  d'Abel  Hugo, 
quoique  la  traduction  de  D.  Hinard  la  contienne  ögalement 
(II,  281  L'epouse  coupable.) 

Le  vers  "on  craint  le  son  de  mon  cor"  est  peut-etre  une  remi- 
niscence  de  la  Chanson  de  Roland,  mais  le  vieux  clairon  du  Cid 
semble  etre  emprunte  ä  la  Bihl.  Univ.  oü  il  joue  un  grand  role 
cf.  p.  87,  104,  148,  160,  tandis  qu'il  manque  dans  les  Romances 
espagnoles.  Tout-de-meme  D.  Hinard  traduit  aussi  bien  in- 
correctement  la  seule  romance  espagnole  qui  fasse  mention  de 
deux  Instruments  de  musique: 

AI  arma,  al  arma  sonahon 
Los  pifaros  y  atambores 
par:  Alarme!    Alarme!   sonnaient  les  clairons  et  les  tambours. 
(p.  36).     Dans  les    autres  romances  on  mentionne    ga  et  lä  le 
tambour.   V.  Hugo  ajoute,  en  outre  du  cor,  une  fanfare  de  mon- 
tagne  et  des  cymbales  de  Bivar. 


Sur  les  soiirces  de  la  LSgende  des  Südes.  247 

VII.    "L  e  roi  f  o  u  r  b  e". 

Les  vers:  Ta  foi  royale  est  fragile, 

Elle  affirme  jure  et  fuit, 

Roi  tu  mets  sur  l'evangile 

Une  main  pleine  de  nuit. 
expriment  l'idee  fondamentale  de  ce  morceau.  II  s'agit  pro- 
bablement  du  serment  qu'Alfonso  preta  dans  la  cathedrale  de 
Burgos,  que  nous  venons  de  mentionner  ci-dessus  et  qui  se  trouve 
dans  une  vingtaine  de  romances.  Sancho  preta  serment  ä  son 
pere  et  le  rompit  ensuite,  mais  ici  le  livre  saint  n'est  pas  mentionne. 

VIII.  "L  e  roi  v  o  1  e  u  r", 
Roi,  fallait-il  que  tu  vinsses 
Pour  nous  ecraser  d'impots  ? 
Quant  ä  payer,  roi  bravache, 
Jamais!  et  j'en  fais  serment. 

La  seule  romance  oü  le  Cid  refuse  de  payer  est  celle,  oü  il  dissuade 
le  roi  de  payer  le  tribut  ä  l'empereur.  Cf.  Bibl.  Univ.  p.  71, 
Romances  de  Sepulveda  :  La  silla  del  huen  San  Pedro,  D.  H  i  n  a  r  d 
p.  37. 

Mais  la  Situation  n'est  point  analogue,  puisque  V.  Hugo 
parle  d'un  impöt  que  le  peuple  doit  payer  au  roi.  Probablement 
on  chercherait  en  vain  une  autre  source  que  l'inspiration  du 
poete  francais. 

IX.  ''L  e  roi  s  o  u  d  a  r  d." 

Cette  romance  est  une  nouvelle  preuve  que  V.  Hugo  a  connu 
la  Bihliotheqiie  Universelle.  C'est  ici  que  V.  Hugo  reproche  au 
monarque  sa  lächete: 

Quand  vous  entrez  en  campagne, 


On  ferait  honte  a  l'Espagne 

De  vous  nommer  Espagnol. 

Or  nous  trouvons  dans  la  Bihliotheqiie   Universelle  p.  89 

"quoique,  de  tous  les  hommes,  il  (Don  Sancho)  füt  le  plus  fort 
par  les  membres,  il  se  trouva  le  plus  faible  par  le  courage."  Ce 
passage  manque  dans  les  romances  Espagnoles.  V.  Hugo  continue 
II  faut  une  certitude 
Prise  dans  le  firmament. 
L'expression  "firmament"  pourrait  etre  prise  egalement  dans  la 
Bibl.  Univ.,  car  le  marquis  de  Paulmy  traduit  toujours  par  ce 
mot  l'espagnol  cielo. 

X.    "L  e  R  0  i  c  0  u  a  r  d." 
Dans  le  roi   couard   c'est   encore   d'Alfonso   qu'il  s'agit  et 
la  substance  du  passage  suivant  se  trouve  aussi  bien  dans  les 
versions  espagnoles  que  dans  les  francaises: 


248  M.  Rösler. 

Roi,  dans  tes  courses  damnees 

Avec  tes  soldats  nouveaux, 

Ne  va  pas  aux  Pyrenees, 

Ne  va  pas  ä  R  ncevaux. 
cf.    Bibl.    Univ.   p.    127,   Romancero  del  Cid  por  Escobar: 
Fdblando  estdba  en  et  claustro. 

A  la  fin  de  la  romance  les  noms  de  plusieurs  heros  sont  enu- 
meres;  V.  Hugo  a  probablement  cite  de  memoire. 

XI.    ''L  e  roi    i  o  q  u  e  u  r." 

Les  moqueries  du  roi  ä  l'adresse  des  noms  Charles,  Hercule, 
Pelage,  que  le  Cid  lui  a  enumeres  dans  la  romance  precedente,  ne 
sont  pas  tires  des  romances.    Un  passage  est  digne  de  remarque: 
C'est  pourquoi  je  continue, 
Te  saluant  du  drapeau, 
Et  te  parlant  tete  nue 
Quand  tu  gardes  ton  chapeau. 
Bibl.   Univ.   133.     "Que  ceux  qui  vous  flattent  se  couvrent  en 
votre  presence,  moi  je  ne  le  fais  pas,  je  me  couvre  bien  aussi." 
D.  H  i  n  a  r  d  p.  114.    Ce  que  le  Cid  repondit  au  roi  Alphonse.^) 
—  'Qu'ils  se  couvrent  et  vous  flattent,  vos  oisifs  courtisans:  Bien 
que  moi  je  n'en  sois  point,  je  puis  me  couvrir  tout  le  premier." 
Le  sens  est  un  peu  different  dans  les  trois  versions,  pourtant 
il  me  semble  que  le  texte  de  V.  Hugo  s'accorde  plutöt  avec  la 
Version  de  la  Bibl.  Univ.  car  il  peut  tres  bien  avoir  lu  negligem- 
ment  la  derniere  partie  de  la  phrase. 

Xn.    "Le  Roi  mechant." 

Le  grand  nombre  de  mefaits  que  V.  Hugo  reproche  dans 
cette  romance  et  aussi  dans  ,,le  roi  soadard"  au  monarque  ne 
se  trouvent  point  dans  les  romances  espagnoles;  dans  la  Bibl. 
Univ.  un  seul  passage  y  fait  allusion: 

Ne  laisse  dans  les  maisons 
Que  des  os  dans  de  la  cendre 


Sur  des  tas  de  femmes  mortes 

Des  tas  d'enfants  eventres. 
Bibl.  Univ.  p.  109  „Vous  avez  ete  l'epouvantail  de  votre  famille 
et  de  vos  sujets." 

Vu  riiabitude  de  V.  Hugo  de  melanger  plusieurs  personnes, 
les  vers:  Vous  avez  fouette  des  femmes 

Dans  Vieh  et  dans  Alcala, 
pourraient  faire  allusion  aux  Infants  de  Carrion,  qui  attacherent 
les  filles  du  Cid  ä  des  arbres  et  les  fouetterent  dans  une  foret  pres 

^)  Romancero  del  Cid  :  Tengovos  de  replicar. 


Sur  les  sources  de  la  Legende  des  Siecles.  249 

de  Tormes.  Mais  cet  episode  est  bien  abrege  par  le  marquis  de 
Paulmy:  "Ils  emmenerent  leurs  epouses  et  avant  quo  d'arriver 
ä  leurs  terres,  ils  les  attacherent  nues  ä  des  arbres".  En  outre, 
il  semble  peu  probable  que  V.  Hugo,  connaissant  ä  fond  ces 
atrocites,  n'en  ait  fait  que  d  e  u  x  vers.  Les  mefaits  des  comtes 
auraient  pu  fournir  au  Cid  le  sujet  d'une  plainte  grave  contre 
le  roi. 

Le  manque  complet  de  ces  romances  nous  semble  meme 
fournir  une  indioation  que  le  poete  s'est  servi  exclusivement 
de  la  Bibliotheque  Universelle. 

XIII  et  XIV.    "L  e  Cid  f  i  d  e  1  e"  et  "L  e  Cid  h  o  n  n  e  t  e". 

Le  Cid  vante  ses  bonnes  qualites  et  parle  de  la  mechancete 
des  courtisans: 

Je  ne  suis  pas  de  ces  traitres, 
Je  suis  müre  dans  ma  foi. 


Je  suis  un  homme  probe 
De  Tantique  probite 

Loin  de  vos  palais  infames, 
Pleins  de  gens  aux  vils  discours. 

Dans  quelques  passages  V.  Hugo  se  rapproche  plus  de  la  Bihl. 

Univ.  que  des  romances  espagnoles  ou  de  la  traduction  litterale. 

XV.  "LeRoiestleRo  i". 

Cette  romance  repete  en  partie  les  idees  qui  se  trouvent  dans 
le  roi  defiant.    Le  seul  passage  remarquable  est: 

Vous  consultez  des  sorcieres 

Pour  que  je  meure  bientöt. 
Je  n'ai  pu  trouver  un  passage  des  romances  qui  reproduise  cette 
idee  et  on  ne  la  retrouve  non  plus  dans  la  Bihl.  Univ.  Mais  dans 
le  compte  rendu  du  Poema  {France  Lit.  VI  p.  188)  il  y  a  la  phrase: 
"Quand,  par  exemple,  le  lecteur  voit  se  meler  aux  personnages 
historiques  du  drame  une  magicienne  ou  un  enchanteur,  qui 
essaient  de  le  surprendre  par  des  merveilles  plus  ou  moins  enfan- 
tines."  Je  ne  sais  si  ces  mots  auraient  pu  suffire  pour  faire  naitre 
cette  image  dans  la  phantaisie  de  V.  Hugo,  peut-etre  n'en  avait-il 
pas  meme  besoin  et  a  invente  tout  le  passage. 

XVI.  "Le  Cid  est  le  Cid." 

Cette  romance  est  en  partie   un  resume  des  precedentes. 
Les  vers  de  la  fin: 

Ainsi  le  Cid,  qui  harangue 
Sans  peur  ni  rebellion 


250  M.  Rösler. 

Leche  son  maitre  et  sa  langue 

Est  rede  etant  d'un  Hon. 
parlent  du  baise-main  que  le  Cid  et  le  roi,  ä  tour  de  röle,  avaient 
refuse.  Mais  cette  indication  ne  nous  permet  aucune  conclusion 
sur  la  source,  car  eile  se  trouve  ä  la  fois  dans  les  poesies  espagnoles 
et  les  imitations  frangaises. 

Des  deux  autres  poemes  de  la  Legende  des  Siecles  qui  se 
rapportent  au  Cid,  Fun,  B  i  v  a  r  ,  appartient  au  Cycle  heroique 
chretien,  l'autre,  le  Cid  exile,  ne  forme  partie  d'aucun  groupe. 

B  i  V  a  r. 

Ce  poeme  qui  dans  le  manuscrit  fut  d'abord  divise  tn  "Le 
Cid  sous  le  roi  Sanche"  et  "Le  Cid  sous  le  roi  Alphonse",  fait 
ressortir  deux  moments  de  la  vie  du  heros:  sa  soumission  envers 
son  pere  et  la  grande  consideration  dont  il  jouissait  parmi  les 
Maures.  Les  romances  nous  fönt  voir  l'amour  filial  du  Cid  quand 
il  venge  l'honneur  de  son  pere  offense  par  le  conte  de  Lozano 
et  la  soumission  qu'il  a  pour  lui,  lorsque  le  p:re  exige  que  Rodrigue 
s'incline  devant  la  volonte  du  roi. 

Plein  d'egards  pour  son  pere  il  est  aussi  dans  ce  passage: 
{Cronica  rimada  traduite  par  D.  H  i  n  a  rd  p.  XCI)  "II  fit  une 
incursion,  le  More  ....  L'appel  parvint  ä  Rodrigue,  lorsqu'en 
sieste  il  etait  endormi.  II  defendit  que  personne  eveillät  son 
pere  et  que  meme  on  Tessayät." 

Mais  nulle  part  nous  trouvons,  ce  que  V.  Hugo  nous  raconte, 
qu'il  ait  servi  en  valet  et  etrille  les  chevaux  par  respect  pour  son 
pere,  car  un  tel  service  de  manant  aurait  paru  degradant  au 
caractere  altier  des  Espagnols.  Sur  la  visite  du  "scheik  Jabias 
depuis  roi  de  Tolede"  on  ne  peut  trouver  d'indication  nulle  part. 
Le  Cid  recevait  souvent  des  embassades.  La  plus  connue  est 
Celle  qui  est  mentionnee  dans  la  romance  "jEw  Zamora  estä  Ro- 
drigo'"^)  et  dans  la  Bibliotheque  Universelle  p.  74,  et  celle  du 
Sultan  de  Perse:  "Llegö  la  jarna  del  Cid",  Bibliotheque  Universelle 
p.  156,  et  Cronica  c.  CCLXXI.  Mais  puisque  tous  les  details 
different,  il  est  difficile  de  dire,  si  V.  Hugo  a  librement  invente 
d'apres  un  "rudiment  imperceptible",  ou  s'il  a  eu  une  source 
inconnue,  sans  aucun  rapport  au  Cid. 

Le  Cid  exile. 

Ainsi  que  le  " Romancero  du  Cid"  ce  poeme  a  rapport  au 
temps  oü  le  Cid  etait  banni  de  la  cour,  seulement  V.  Hugo  donne 
ici  au  roi  son  vrai  nom  Alfonso.  Probablcment  le  heros  se  trouvait 
alors  ä  Zaragosse,  oü,  d'apres  la  Cronica,  il  vecut  de  longues 
annees,  quoique  le  detail  dans  V.  Hugo:  "entre  l'Ebre  et  le 
Cil"  ne  seit  pas  tres  precis.    V.  Hugo  decrit  d'abord  la  Situation 

^)  cf.  Romancero  general  et  Escobar. 


Sur  les  sources  de  la  Legende  des  SUcles.  251 

ä  la  cour  pendant  Tabsence  du  Cid  et  cite  une  grande  quantite 
de  noms  inconnus.  Ensuite  il  nous  dit  qu'Alfonso  rappeile  le 
Cid  parce  que  la  maitresse  du  roi  a  ou  "quelques  mauvais  presages" 
ou  bien  parce  que  "le  roi  du  peuple  entend-il  quelque  rumeur  ?" 
Dans  la  Cronica  c.  CLXI  on  dit:  "la  Reyna  {Qayda  jija  del  Hey 
de  Sevilla)  sii  miiger  e  algunos  cavalleros  amigos  del  Cid  escrivieronle 
que  veniesse  ä  servir  al  Rey  etc."    Dans  les  Romances 

"Le  erwiö  un  mensage 

Que  se  veniese  d  Requena, 

Para  que  con  ü  lo  träte." 
Cette  romance  ne  se  trouve  pas  dans  la  Bibliotheque  Universelle. 
La  concordance  entre  V.  Hugo  et  ces  deux  versions  est  tres  faible. 
Ni  dans  la  Romance  ni  dans  la  Cronica  nous  ne  trouvons  le  nom 
du  messager,  tandis  que  V.  Hugo  l'appelle  "le  roi  d'Acqs-en- 
Adour,  Santos  le  Roux",  probablement  un  nom  fictif.  Apres 
nous  avoir  decrit  le  paysage  que  Santos  parcourt,  V.  Hugo  nous 
conduit  dans  Fecurie,  oü  le  messager  trouve  le  Cid ;  sujet  identique 
ä  celui  de  " Bivar".  Les  admonestations  que  Santos  fait  au  Cid 
pendant  qu'il  lui  annonce  son  rappel,  sont  tires  des  romances 
qui  traitent  la  querelle  entre  Aifonso  et  le  Cid  et  elles  ressemblent 
quelque  peu  ä  celles  du  " Romancero"  que  nous  venons  d'examiner. 
Pour  resumer  la  question  des  sources  des  trois  groupes  de 
poemes,  il  semble  bien  probable  que  V.  Hugo  a  pris  l'idee  des 
reproches  faits  au  roi  —  soit  Sancho,  soit  Aifonso  —  de  la  romance 
en  prose  de  la  Bibliotheque  Universelle.,  citee  ci-dessus.  Mais  il 
est  impossible  d'affirmer  que  V.  Hugo  n'ait  eu  recours  qu'ä  cette 
source.  II  se  peut  bien  que  sachant  un  peu  Tespagnol  —  il  nous 
le  dit  au  moins  lui-meme  et  G.  Paris  l'indique  aussi^^)  —  il  ait 
lu  deux  ou  trois  romances  dans  Toriginal,  peut-etre  au  temps 
oü  son  frere  s'occupait  de  sa  traduction,  qui  coincide  avec  la 
traduction  de  la  romance  mauresque  dans  les  "Ödes  et  Ballades". 
\\  se  peut  egalement  qu'il  ait  lu  quelque  part  une  traduction 
fran^aise,  dont  il  garda  un  vague  Souvenir.  Mais  certainement, 
s'il  jeta  les  yeux  sur  un  des  ouvrages  qui  rendent  plus  fidelement 
le  texte  original,  il  ne  pouvait  se  passer  de  la  Bibliotheque  Uni- 
verselle., tandis  que  la  Bibliotheque  ä  eile  seule  aurait  bien  pu 
lui  suffire. 

M.    RöSLER. 

On  s'est  servi  pour  cette  analyse  des  romances  en  vers  de 
Grenze  de  Lessert,  Paris  1821,  et  de  Renal,  Paris  1843; 
des  romances  en  prose  de  Damas  Hinard  (Romancero  Espagnol, 
Paris  1844)  et  de  la  Bibliotheque  Universelle  des  Romans.  On  a 
consulte  pour  les  romances  espagnoies  le  Romancero  general,  le 
Cancionero  de  Romances,  le  Romancero  y  Historia  del  muy  valeroso 
Don  Rodrigo  de  Bivar,  et  Cid  por  Escobar,  le  Tesoro  escondido  de 
Melge,  les  Romances  de  Sepulveda,  la  Rosa  espaiiola  de  Timoneda,  la 
Rosa  de  romances  de  Wolf. 
^")  voir  p.  3. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  17 


Vom  Infinitiv  mit  de  und  ä  nach 
commencer  mid  in  verwandten  Fällen. 


I. 

Zu  den  Aufstellungen,  gegen  die  ich  bei  der  Besprechung 
von  J.  Haas,  Neufranzösische  Syntax^  Halle  1909  (vgl.  Bd.  36 
S.  158  dieser  Zeitschr.)  Einspruch  erheben  zu  müssen  glaubte, 
gehörte  auch  die  S.  313  gemachte  Behauptung:  ,,Im  allgemeinen 
sind  die  Präpositionen"  —  es  handelt  sich  um  ihre  Verwendung 
vor  Infinitiven  —  ,, ziemlich  fest,  doch  sind  auch  einige  Schwan- 
kungen vorhanden;  die  Bemühungen,  eine  Gesetzmäßigkeit  im 
Gebrauch  von  de  und  ä  zu  finden,  sind  gescheitert;  nur  soviel 
läßt  sich  sagen,  daß,  wo  de  und  ä  eintreten  können,  die  Ver- 
bindung mit  de  enger^)  ist  als  die  mit  ä."  Ich  behaupte  dem- 
gegenüber, daß  sich  das  allerdings  unbestreitbare  Durcheinander, 
das  im  Gebrauch  der  beiden  genannten  Präpositionen  vor  dem 
Infinitiv  noch  im  17.  Jahrh.  geherrscht  (vgl.  Haase,  Franz.  Synt. 
des  17.  Jahrh.,  die  Abschnitte  ,, Infinitiv"  und  ,, Präpositionen"), 
allmählich  zu  solcher  Geregeltheit  des  Verfahrens  abgeklärt  hat, 
daß  es  keinen  Fall  mehr  gibt,  in  dem  sich  die  Verwendung  einer 
bestimmten  Präposition  nicht  in  vollste  Übereinstimmung  mit 
ihrer  Grundbedeutung  und  ihren  sonstigen  Verwendungsweisen 
bringen  ließe,  und  stellte  gleichzeitig  die  gelegenthche  Erhärtung 
dieser  Behauptung  in  Aussicht.  Selbstverständlich  war  dies 
Versprechen  nicht  so  gemeint,  daß  ich  nun  alle  Ausdrücke  und 


^)  Mit  diesem  etwas  vage  kHngenden  Ausdruck  scheint  Verf. 
sich  auf  eine  S.  307  gegebene  Darlegung  zu  beziehen,  bei  der  er  den 
Unterschied  der  Sachlage  in  den  beiden  Sätzen  Tai  eu  le  plaisir  de 
le  voir  und  Tai  eu  plaisir  ä  le  voir  dahin  definiert,  daß  in  ersterem 
Falle  der  Satz  das  Resultat  einer  einfachen  Analyse  ist,  während  in 
letzterem  Satze  eine  Gliederung  in  zwei  Gruppen  stattfinde:  fai  eu 
plaisir  und  d  le  voir,  ,,das  eine  zweite,  der  ersteren  gleichwertige  Analyse 
ist",  worauf  er  verallgemeinernd  fortfährt:  ,,Es  ist  also  da,  wo  nach 
einem  Substantiv  der  Infinitiv  mit  de  oder  mit  ä  stehen  kann,  zwischen 
den  beiden  Ausdrücken  der  Unterschied  der,  daß  mit  de  ein  mit  dem 
Substantiv  eine  Apperzeptionsgruppe  bildender  Infinitiv  eingeleitet 
wird,  dagegen  wird  mit  ä  ein  von  seinem  regierenden  Substantiv  selb- 
ständig  apperzipierter   Infinitiv   eingeleitet." 


Vom  Infinitiv  mit  de  und  ä.  253 

Wendungen,  bei  denen  sich  ein  Infinitiv  ebensowohl  in  Ver- 
bindung mit  d  wie  mit  de  findet,  hier  der  Reihe  nach  analysierend 
und  erläuternd  durchgehen  würde  —  welche  Fülle  von  Selbst- 
verständlichem und  allgemein  Bekanntem  müßte  dabei  in  er- 
müdender Wiederholung,  in  geradezu  tötlich  wirkendem  Wieder- 
käuen vorgebracht  werden!  —  sondern  nur  so,  daß  ich  den  an- 
gebotenen Nachweis  für  alle  diejenigen  Fälle  zu  erbringen  mich 
bereit  erklärte,  für  die  mir  die  Behauptung  des  Gegenteils  zu 
Gesicht  gekommen  oder  —  im  Laufe  weiterer  Erörterung  —  das 
Verlangen  nach  aufklärender  Darlegung  ausgesprochen  werden 
sollte. 

Daß  ich  gerade  das  Verb  commencer  in  seiner  Verbindung 
mit  de  und  ä  vor  nachfolgendem  Infinitiv  zum  Ausgangspunkte 
der  Untersuchung  mache,  hat  seinen  Grund  in  dem  zufälligen 
Umstände,  daß  für  dieses,  eine  jeden  Sinnesunterschied  leugnende 
Äußerung  eines  durch  fleißige  Sammelarbeit,  sowie  gediegene 
Kenntnis  der  modernen  Sprache  wohlbekannten  Grammatikers 
vorhegt:  Plattner  ist  es,  der  im  3.  Heft  des  2.  Teils  seiner  .^Aus- 
führlichen Grammatik  der  französischen  Sprache''''  {„Das  Verbum 
in  syntaktischer  Hinsicht'''')  S.  108  mit  Bezug  auf  commencer  de 
und  d  mit  Infinitiv,  kategorisch  erklärt:  ,,Die  Unterscheidungen, 
die  man  versucht  hat,  sind  nicht  haltbar;  in  der  Regel  bestehen 
für  die  Wahl  lauthche  (!)  Gründe.  Bientöt  on  commenga  d'aper- 
cevoir  les  arhres  les  plus  proches. . .  II  commengait  d  s' apercevoir 
que...  (A.  Dumas).  Im  ganzen  ist  d  zu  bevorzugen,  da  de  un- 
gewohnt erscheinen  kann.  Bismarck  schrieb  s.  Zt.  an  Crispi: 
Je  commence  de  me  remettre  und  eine  französische  Zeitung  setzte 
hinter  dieses  de  ein  sie!"  —  Also  als  Kennzeichnung  der  Un- 
gewohntheit dieser  Verbindung  von  commencer  mit  de  und  Infi- 
nitiv faßt  Plattner  das  sie  auf!  Da  bekanntlich  der  Journahst 
von  allen  Schriftstellern  am  schnellsten  zu  arbeiten  gezwungen 
und  daher  mehr  denn  andere  der  Gefahr  ausgesetzt  ist,  sich  im 
Ausdruck  in  kleinen  Dingen  zu  vergreifen,  so  ward  er  —  gemäß 
dem  Satze,  daß  der  im  Glashause  Sitzende  nicht  wohl  daran  tut, 
mit  Steinen  zu  werfen  —  sich  kritische  Bemerkungen  hinsichtlich 
der  Korrektheit  des  Ausdrucks  sicher  nur  in  Fällen  ganz  plumper 
oder  doch  ohne  weiteres  auffallender  Verfehlungen  erlauben,  am 
ehesten  wohl  noch  da,  wo  er  sich  eine  belustigende  Wirkung  von 
solcher  Beanstandung  verspricht.  Ich  hätte  also  Plattner  in 
seiner  Auffassung  eines  sie  als  Zeichens  der  ,, Ungewohntheit" 
ohne  weiteres  zugestimmt,  wenn  es  sich  etwa  um  die  Wendungen 
wie  *Je  voudrais  que  vous  me  laissassiez  ce  livre..  oder  um 
*Ce  matin  je  rencontr  ai  M.  N.. .  gehandelt  hätte,  die  der  fran- 
zösische Zeitungsleser,  durch  ein  ,,sic!"  aufmerksam  gemacht, 
mit  Schmunzeln  als  unfranzösische  Ausdrucksweise  eines  Fran- 
zösisch schreibenden  Deutschen  registriert  hätte.  Aber  davon, 
daß  ein  commencer  de  an  und  für  sich  auch  nur  annähernd  so  ver- 

17* 


254  Theodor  Kalepky. 

pönt  wäre,  wie  jenes  Imparfait  du  subjonctif  oder  Passe  defini, 
kann  wohl  keine  Rede  sein.  Um  jeden  Zweifel  zu  beheben,  nahm 
ich  mir  vor,  nachdem  ich  die  hier  beanstandete  Behauptung 
Plattners  gelesen,  bei  meiner  neufranzösischen  Lektüre  auf  die 
Sache  Acht  zu  geben.  Das  nächste  Buch,  das  mir  in  die  Hände 
fiel,  war  Claude  Farrere,  Les  Civilises^  das  nicht  nur  nach  der 
Zeit  seines  Erscheinens  (1906  —  zufällig  in  demselben  Jahre,  in 
dem  Plattners  Büchlein  erschienen  ist),  sondern  ebensowohl  nach 
Inhalt,  Behandlungs-,  Darstellungs-  und  Ausdrucksweise  als 
durchaus  modern  bezeichnet  werden  muß.  Ich  fand  in  diesem, 
319  Seiten  umfassenden  Buche,  folgende  10  Beispiele  mit  de 
(gegenüber  nur  5  Fällen  mit  ä). 

Le  tigre  (den  die  betreffenden  Personen  in  seinem  Käfig 
beobachteten)  commengait  de  rugir  p.  65.  —  Torral  commenQa 
de  sourire  (beim  Anblick  eines  Freundes)  p.  153.  —  Les  invites, 
commencerent  d'arriver  d  dix  heures  p.  192.  —  II  Hau  comme 
un  fievreux  convalescent  qui  tout  ä  coup  recommence  d'en- 
tendre  ä  ses  tempes  les  hattements  hrusques  de  la  fievre  mal  eteinte 
p.  203.  —  L'Anglais,  haut  gaülard,  fort  en  couleur^  commenQa 
d'assieger  sa  partenaire  (ihr  eifrig  den  Hof  zu  machen)  p.  219. 

—  Le  mois  d'absence  et  d'exil  avait  ete  loiird  ä  sa  constance:  le 
doute  et  le  nihilisme  avaient  recommence  de  le  mordre  p.  243. 

—  Tant  mieux:  puisque  vous  avez  commenc  e  d'etre  franche, 
j'espere  que  vous  le  serez  jusqu'au  bout  p.  261.  —  II  fit  apporter 
du  vin  de  Syracuse^  et  commenga  de  hoire  p.  268.  —  Quand  il  eut 
souffert  ainsi  plus  qu'il  n'avait  de  forces,  sa  tete  glissa  entre  ses 
mains,  et  il  s'endormit  ou  s'evanouit.  Mais  des  qu'il  se  reveilla, 
il  r  e  CO  mme  n  Q  a  desouffrir.  II  souffrit  meme  davantage, 
parce  que  la  pensee  fonctionna  de  nouveau  sous  son  cräne  p.  278.''^) 

—  (Nach  einem  vergeblichen  Besuch  bei  einem  Freunde  will  er 
zu  einem  anderen:)  A  pas  lourds,  Fierce  recommenga  d' aller  p.  280. 

Vielleicht  ist  es  hiernach  von  Interesse  auch  die  —  trotz 
Plattners  Aufstellung  hinsichtlich  der  Gewohntheit  und  Unge- 
wohntheit des  Verfahrens  —  nur  halb  so  zahlreichen  Fälle  mit 
ä  kennen  zu  lernen :  Es  sind :  Mais  une  victoria  passa . . .  Et  il 
murmura . . . :  Voilä  qu'on  c  o  mme  n  c  e  ä  sortir  (nämlich  nach 
Beendigung  der  Siesta,  während  der  heißen  Mittagszeit)  p.  9.  — 
Ils  avaient  dine  presque  silencieux;  aucun  des  trois  n'etait  bavard. 
Mais  maintenant,  le  vin  commengait  ä  delier  leurs  langues, 
et  Fierce  contait  son  voyage  p.  16.  —  Fierce  (innerhalb  einer  be- 
trunkenen Gesellschaft,  in  der  ein  Streit  ausgebrojhen  war) 
mit  la  paix,  quoiqu'il  comme  ngät  lui-meme  ä  marcher 
de  travers,  et  ä  voir  deux  Otake-San  (seine  japanische  Begleiterin) 

2)  Ich  habe  hier,  da  es  lehrreich  schien,  den  vorhergehenden  und 
den  nachfolgenden  Satz  mit  angeführt,  um  ein  sicheres  Urteil  über  das 
„Milieu",  über  den  gesamten  Zusammenhang  zu  ermöglichen,  in  dem 
sich  unsere  Wendung  findet. 


Vom  Infinitiv  mit  de  und  ä.  255 

au  lieu  d'une  p.  45.  —  {Elle  riait. . . .  <(...»  dit- eile  indifferente) 
4fEst-ce  vous,  par  hasard  ?»  —  Elle  recommengait  ä  r  ir  e 
p.  258  (Also  sie  hatte  gelacht,  hatte  dann  wieder  gleichgültig 
gesprochen  und  „lachte  nun  schon  wieder").  —  (Beim  nächt- 
lichen Angriff  auf  ein  noch  nicht  sichtbares  feindliches  Kriegs- 
schiff mittels  eines  Torpedoboots:)  Fierce  cherche  Vennemi  —  pour 
le  tuer;  —  etilcommenceäle  hair.  (Vor  dem  Kampf  pflegt 
der  Offizier  gegen  den  Feind  nicht  Haß  zu  empfinden;  aber  bei 
dieser,  die  Nerven  furchtbar  anspannenden  Torpedofahrt,  kommt 
ihm  plötzHch  das  Verlangen  zu  töten,  ,,und  (schon)  fängt  der 
Haß  sich  in  ihm  zu  regen  an")  p.  305. 

Das  war  die  Ausbeute  an  Beispielen,  die  das  erwähnte  Schrift- 
werk bot.  Schon  bei  rascher  Durchsicht  derselben  dürfte  mancher 
Leser  den  Unterschied  des  Sinnes,  der  Gedankenbildung  in  den 
beiden  Ausdrucksweisen  erkannt  haben,  oder,  wenn  sich  ihm 
die  beim  Lesen  empfangenen  Eindrücke,  Empfindungen  noch 
nicht  zu  klarer  Erkenntnis  verdichtet  haben  sollten,  doch  wenigstens 
gegenüber  der  kategorischen  Erklärung  Plattners:  Die  Unter- 
scheidungen, die  man  versucht  hat,  sind  nicht  haltbar"  skeptisch 
geworden  sein.  Auf  alle  Fälle  scheint  mir  der  Beweis  erbracht, 
daß  von  einem  Veraltet-  oder  Ungewohntsein  der  c?e- Konstruktion 
nicht  die  Rede  sein  kann.  Auch  dann  nicht,  wenn  sich  heraus- 
stellen sollte,  daß  es  ganze  Romane  gibt,  in  denen  sich  neben 
einer  mehr  oder  minder  großen  Zahl  von  Fällen  mit  d  auch  nicht 
ein  einziges  Beispiel  für  den  Infinitiv  mit  de  findet.  Ein  solcher, 
auf  den  ersten  Blick  befremdend  wirkender  und  anscheinend 
zugunsten  von  Plattners  Meinung  sprechender  Sachverhalt  liegt 
z,  B.  vor  in  R.  Bazin,  Le  hie  qui  live,  sowie  in  P.  Loti,  Aziyade, 
von  denen  der  erstere  27,  der  letztere  13  Fälle  mit  d,  aber  keinen 
einzigen  mit  de  enthält.  Das  könnte  allerdings  den  Gedanken 
nahelegen,  daß  die  zahlreichen  Infinitive  mit  de  (nach  commencer) 
in  Claude  Farrere's  Les  Civilises,  eine  SpeziaUtät  dieses  Autors, 
oder,  da  sein  nächstes  Werk,  Mlle  Dax  jeune  fille  auf  307  Seiten 
neben  5  Fällen  mit  ä  nur  noch  2  mit  de  aufweist,  gar  eine  stilistische 
Sonderheit  der  Anfangsperiode  dieses  Schriftstellers  sei,  der, 
ähnlich  wie  Loti,  erst  nach  mehrjährigem  Dienst  in  der  Marine 
zur  Feder  gegriffen.'^) 


^)  Eine  solche  „Anfängereigentümlichkeit"  scheint  mir  in  der 
Tat  in  der  auffallend  häufigen  Verwendung  des  „neutralen"  Relativ- 
pronomens (quoi)  statt  des  sonst  üblichen  „zweigeschlechtigen"  (lequel) 
nach  Präpositionen  vorzuliegen  (z.  B.  un  colossal  navire  aupres  de 
quoi  le  «Bayard<>  n'etait  qu'un  yacht  p.  215).  Im  nächsten  Roman 
findet  sich  keine  Spur  mehr  davon.  Irgend  ein  guter  Freund  hat  wohl 
den  jungen  Autor  auf  diesen  stilistischen  ,, Schönheitsfehler"  aufmerk- 
sam gemacht.  —  In  ähnlicher  Weise  wäre  ich  geneigt  mir  das  völlige 
Verschwinden  der  Vergleiche  mit  ,,tel  ohne  que''\  z.  B.  il  sautillait 
tel  un  chien  qui  fait  le  beau  (s.  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXXII  678  ff.)  bei 
L6on  Frapie  zu  erklären,  dessen  Erstlingswerke  davon  fast  überfließen. 


256  Theodor  Kalepky. 

Eine  solche  Annahme  wäre  jedoch  übereilt.  Gewichtige 
Gründe  sprechen  gegen  sie.  Einmal  braucht  man  auch  bei  anderen 
Schriftstellern  als  Claude  Fanere  keineswegs  lange  nach  Ver- 
bindungen von  commencer  mit  de  +  Infinitiv  zu  suchen.  Sie  finden 
sich,  wenn  man  den  Umstand  berücksichtigt,  daß  es  dafür  aller- 
hand konkurrierende  Ausdrücke  (z.  B.  se  mettre  ä)  gibt  —  während 
commencer  ä  in  seiner  Eigenart  unersetzlich  ist  —  noch  reich Kch 
genug,  sogar  in  Akademiereden.  So  sagt  R.  Doumic  in  seiner 
Antrittsrede  vom  7.  April  1910  mit  Bezug  auf  seinen  Vorgänger 
Boissier:  Jusque-lä,  il  n'avait  giiere  eu  le  temps,  cet  eleve  applique, 
de  lever  le  nez  de  ses  livres  ....  Des  lors  il  commenga  de  se 
meler  ä  la  societe,  au  monde.  Was  aber  das  ausschließliche  Vor- 
kommen der  d- Konstruktion  in  einzelnen  Romanen  betrifft, 
so  erklärt  es  sich  bei  genauerem  Zusehen  ohne  weiteres  aus  dem 
stilistischen  Charakter  derselben;  und  auch  die  Wandlung  in 
dem  numerischen  Verhältnis  der  Fälle  bei  Claude  Farrere  braucht 
nicht  auf  eine  Art  Selbstkorrektur  des  Autors  zurückzugehen, 
wie  es  sich  bezüglich  des  tatsächlich  ungewöhnlichen  und  dann 
mit  einem  Schlage  verschwindenden  quoi  (statt  lequel)  als  wahr- 
scheinlich erwies  —  sondern  sie  findet  in  der  Verschiedenheit 
des  Stoffes  und  der  Grundstimmung  der  beiden  Romane  eine 
ausreichende  Erklärung.  Ist  es  doch  bezüglich  des  Passe  defini 
eine  allgemein  bekannte  Tatsache,  daß,  während  es  in  rein  oder 
vorwiegend  erzählenden  Werken  vorherrschende  Verbform  ist, 
es  in  solchen  schildernden,  beschaulichen,  reflektierenden  Cha- 
rakters ganz  merkhch,  ja  gelegentlich  bis  zu  völHgem  Verschwinden, 
hinter  das  Imparfait  zurücktritt.  Vielleicht  liegt  darin  auch  in 
unserem  Falle  ein  Fingerzeig,  in  welcher  Richtung  der  Unter- 
schied zwischen  commencer  de  und  ä  zu  suchen  ist.  Gehen  wir 
nun  noch  einige  der  a-Fälle  durch.  Da  finden  wir  in  Bazin, 
Le  ble  qui  Uve  zunächst  Sätze  wie :  Le  bucheron  . . .  considera  les 
taillis  qui  commenQaient  ä  brunir  p.  10.  —  Au-dessus  des  branches, 
les  hauteurs  du  ciel  etaient  päles,  et  des  etoiles  commenQaient  ä 
poindre  p.  25.  —  II  y  eut  une  heure  fraiche  oii  les  herbes  commen- 
cerent  ä  boire  la  rosee  p.  202.  —  Bientöt  les  pluies  commencdrent  ä 
tomber  p.  290.  Handelte  es  sich  hier  überall  um  Naturvorgänge 
und  deren  naturgesetzliches  Eintreten,  so  finden  wir  in  den 
folgenden  Beispielen  Wandlungen  in  menschlichen  Wesen,  phy- 
sische wie  psychische,  aber  nur  Ergebnisse  der  organischen  Ent- 
wickelung,  Wirkungen  der  Situationen  und  Erlebnisse,  niemals 
bewußte  und  willkürliche  Entschheßungen  oder  auf  solchen 
beruhende  Handlungen.  So:  Seize  ans!  C'est  Vage  oü  vous 
commencez  ä  etre  des  petits  hommes!  p.  54.  —  . ,  Vage  oü  les  petits 
gars  . . .  commencent  ä  avoir  envie  de  faire  peur  aux  grosses  betes 
(dadurch,  daß  sie  auf  sie  losgehen,  sie  scheuchen  usw.)  p.  101.  — 
Les  larmes  . . .  commenQaient  ä  monier  du  fond  de  ces  coeurs  violents 
p.   152.  —  (Sie  haßten)   . .   VEtat  aussi,  qui  paye  mal,  et  qu'on 


Vom  Injinüiv  mit  de  und  ä.  257 

commengaü  ä  voiiloir  remplacer  par  un  autre  Etat  p.  177.  —  Je 
commence  ä  penser  qiie  mon  pere  a  iine  conversation  tout  ä  fait 
importante  avec  monsieiir  de  M.  p.  142. 

Hiernach  könnte  man  anzunehmen  geneigt  sein,  daß  com- 
mencer  mit  ä  -{-  Infinitiv  das  Eintreten  von  Zuständen  und  Vor- 
gängen ausdrücke,  die  sich  als  Produkte  naturgemäßer  Ent- 
wickelung  —  im  Gegensatz  zu  bewußtem  Tun,  absichtlichen 
Maßnahmen  —  darstellten.  So  einfach  jedoch  liegt  die  Sache 
nicht.  Man  begegnet  vielmehr,  auch  in  dem  genannten  Roman, 
einer  recht  erheblichen  Anzahl  von  Beispielen  mit  ä,  in  denen 
unzweifelhaft  von  dem  Beginnen  eines  Tuns  die  Rede  ist,  und 
nicht  bloß  dem  eines  rein  instinktiven,  wie  bei  Tieren  oder  bei 
ganz  naiven,  völlig  unter  der  Herrschaft  ihrer  Triebe  und  Emp- 
findungen stehenden  Menschen  (wie  z.  B.  Les  merles  co  mmen- 
g  ai  ent  d  s'eloigner  d'un  coin  de  foret  oii  on  parlait  si  haut  p.  105. 
—  Oder  in  P.  Loti,  Aziyade:  Toute  une  nichee  de  petits  chiens 
dernierement  nes  sur  le  seuil  de  ma  parte,  commencent  ä 
japer  et  ä  r emuer  la  queue  p.  234.  —  Ses  larmes  etaient  moins 
ameres  . . .  Elle  co  mmen  q  ait  ä  dire :  «Quand  tu  seras 
de  retour. .»,  p.  261  und  ähnl.)  —  sondern  auch  bei  dem  Beginne 
eines  völlig  bewußten  Tuns,  absichtsvollen  Verfahrens,  auf  Er- 
wägungen beruhenden  Handelns.  So  heißt  es  z.  B.  (bei  Schil- 
derung eines  Morgenspaziergangs  in  der  Türkei)  in  demselben 
Roman:  On  etait  comme  penetre  de  bien-etre.  Quelques  Turcs 
commenQaient  ä  circuler,  vetus  de  rohes  rouges  . .  p.  23 
(Vgl.  das  früher  zitierte  Beispiel  aus  Farrere,  Les  Civüises,  9, 
Voilä  qu'on  commence  ä  sortir  —  nach  der  Siesta).  —  ...  tant  de 
tetes  tomberent  sous  le  couteau  de  la  Revolution,  que  ceux  qui  con- 
serverent  la  leur,  comme  ncerent  ä  reflechir  p.  135.  —  Je  la 
regardais  faire  avec  etonnement:  eile  m'avait  prie  de  m'asseoir  entre 
eile  et  lui  (sc.  den  Dolmetscher),  et  comme  ngait  ä  lui  parier 
en  langue  turque,  p.  25.  —  Je  pense  que  j'ecris  beaucoup  trop.  Tant 
de  pages!  C'est  dur  ä  lirel  Mon  bien-aime  —  so  denkt  sie  — 
a  commence  d  hausser  les  epaules  p.  88.  —  Oder  aus  Bazin, 
Le  ble  qui  leve :  J'ai  travaille  pour  les  camarades,  et  ils  commen- 
cent ä  me  lächer  p.  89.  —  Marie  avait  nie  longtemps  ses  dettes. 
Elle  CO  mmen  Q  ait  ä  les  avouer,  en  venant  queter  le  pere,  chaque 
semaine  p.  93.  —  On  labourait  des  jacheres  ...  on  co  mme  n  g  ait 
ä  couper  ...  les  premiers  arpents  de  seigle  vert  p.  154.  —  Les  trois 
compagnons  remonterent  ensemble  l'avenue.  Ils  ne  c  o  mmen- 
c^r  ent  ä  parier  entre  eux  que  quand  ils  furent  dej'ä  hin  du  chäteau 
p.  197.  —  (Von  den  Vorbereitungen  zum  Begräbnis  des  Schloß- 
besitzers heißt  es  p.  346:)  Le  chäteau  demeura  pendant  vingt-quatre 
heures  entierement  dos,  vide  et  muet.  Puis  on  commenga  ätrans- 
former  le  Vestibüle  en  chapelle  ardente  (erleuchteten  Katafalk).  —  II 
fit  du  regard  tout  le  tour  de  la  colline  ronde oü  il  allait  recommencer 
ä  travaüler  demain  (laut  Verabredung  mit  dem  Besitzer)  p.  385. 


258  Theodor  Kalepky. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  es  angesichts  der 
Beispiele  dieser  dritten  Gruppe  ausgeschlossen  ist,  die  Verwen« 
düng  von  commencer  ä  auf  den  Beginn  einer  rein  naturgesetz- 
lichen, absichtslosen  Entwicklungsreihe  zu  beschränken,  wie  es 
nach  den  Beispielen  der  beiden  ersten  Gruppen  zulässig  erschien. 
Das  Moment  des   Bewußten  oder  Unbewußten,   Beabsichtigten 
oder  Unbeabsichtigten,  kann  das  entscheidende  nicht  sein.    Wohl 
aber  haben  sämtliche  Beispiele  der  letzten  Gruppe  mit  den  der 
beiden  vorhergehenden  das  gemein,  daß  es  sich  immer  um  Vor- 
gänge, Tätigkeiten  handelte,  die  in  einer  bestimmten  Situation, 
wenn  auch  nicht  als  sicher   eintretend  vorauszusehen,  so  doch 
wenigstens  zu  erwarten  waren,  in  dem  betreffenden  Zusammen- 
hange unbedingt  in  Frage  kamen,  sich  als  durch  die  Umstände 
mehr  oder  minder  gegeben  darstellten.     Daher  drängt  sich  bei 
der  deutschen  Wiedergabe   der   Fälle  mit  Present  und   Impar- 
fait  etc.  ein  „schon"  ganz  von  selbst  auf;  bei  denen  aber,  wo 
commencer  im  Passe  defini  steht,  läßt  sich  wenigstens  ein  ,,wie 
zu  erwarten  stand,  wie  es  nach  der  Lage  der  Dinge  nötig  war, 
wie  Sitte  und  Gewohnheit  es  mit  sich  brachten",  erläuternd  ein- 
schieben.    (Vgl.   Ils  ne  recommencerent  ä  parier  entre  eiix  que 
quand  ils  furent  dejä  hin  du  chäteau  —  sie  hatten  viel  auf  dem 
Herzen,  brannten  schon  darauf,  sich  auszusprechen.   Oder  —  im 
Trauerhause  —  Piiis  on  commeuQa  ä  transjormer  le  vestihule  en  .  .  . 
womit  gesagt  wird:  ,,Dann  kam  die  weitere,  durch  die  Sitte  vor- 
geschriebene Maßnahme  des  Umwandeins  .  .  .)     Nur  wo  ein  ein- 
tretendes Tun  oder  Handeln  als  ganz  außerhalb  der  Sphäre  des 
zu    Erwartenden,    des    Vorauszusehenden,    durch    die    Sachlage 
Gegebenen   bezeichnet   werden   soll,    also   namentlich   bei    Ein- 
führung von  völlig  willkürlichen  Handlungen,  greift  die 
Sprache  nach  commencer  zum  Infinitiv  mit  de.     Und  das  ist  es 
meines  Erachtens  auch,  was  jenem  französischen   Journalisten 
beim  Lesen  des  erwähnten  Bismarckschen  Satzes  das  „sie!"  in 
die   Feder   gegeben:   Wer   leidend   ist,    oder   wen   Aufregungen, 
Bekümmernisse   irgend   welcher   Art   mitgenommen   haben,   für 
den  ist  Besserung,  Beruhigung  etwas,  worauf,  womit  er  rechnen 
darf,  bei   dessen   Eintreten  er  unwillkürHch   ausruft:    „So  nun 
wird's  ja  schon  —  oder:  endlich  —  besser"  und  das  eben 
besagt  das  französische:  Je  commence  ä  me  remettre.     Ein  de  me 
remettre  würde  dem  Satze  die  Färbung  geben,  als  handle  es  sich 
bei   dem   Mitgeteilten   um   ein   willkürliches,   unvorhergesehenes 
Tun,  wovon  ja  im  vorhegenden  Falle  gar  keine  Rede  sein  kann, 
wie  es  denn  überhaupt  recht  selten  sein  wird,  daß  jemand  an 
sich  selbst  eine  präsentische  Aussage  mit  commencer  de  zu  machen 
hat.^)  —  Bemerkt  sei  übrigens  noch,   daß   die  hier  dargelegte 

*)  Vielleicht  in  dem  Bericht  eines  Erlebnisses,  z.  B.  der  Klage 
über  einen  lästigen,  zudringlichen  Menschen:  Je  commence  de  siffler 
une  petite  chanson,  il  siffle  aussi.     Je  commence  de  chanter  —  il  en  fait 


Vom  Infinitiv  mit  de  und  ä.  259 

Auffassung  von  commencer  ä  sich  einigermaßen  berührt  mit  der 
vor  langen  Jahren  schon  von  Ploetz  gegebenen  Formulierung, 
wonach  die  Verbindung  mit  ä  bei  Handlungen  gebraucht  wird, 
,,die  einen  Fortschritt,  eine  Vergrößerung  erwarten  lassen."  An 
den  Anfang  einer  sich  im  natürlichen  Verlauf  der 
Dinge  einstellenden  Tätigkeit  wird  sich  ja  unwillkürlich  die 
Erwartung  einer  Weiterführung,  eines  Fortschritts  anschließen. 
Es  ist  jedoch  bei  allen  feineren  Differenziierungen  von  der 
Art  der  uns  hier  beschäftigenden  zweierlei  zu  beachten.  Einmal, 
daß  die  große  Zahl  der  sprachlich  weniger  Geschulten  oder  weniger 
Feinfühligen  oder  weniger  Sorgsamen  durch  Vernachlässigung 
des  bestehenden  und  von  hause  aus  wohlberechtigten  Unter- 
schiedes, durch  Verwechselung  und  Vertauschung  der  Ausdrucks- 
formen leicht  eine  gewisse  Verdunkelung  und  Abschleifung  der 
Verschiedenheit  des  Sinnes  be\^^rkt,  die  dann  zu  völüger  Unter- 
schiedslosigkeit  werden  kann,  aber  nicht  zu  werden  braucht. 
Wo  immer  sich  in  Büchern  Ausdrucksweisen  finden,  die  zu  dem 
als  Regel  Nachgewiesenen  in  unvereinbarem  Gegensatz  stehen, 
wird  man  die  stilistischen  Qualitäten  des  betreffenden  Autors 
zu  prüfen  haben  und  erst,  wenn  das  Gesamturteil  unbedingt 
anerkennend  ausfällt,  in  dem  von  ihm  geübten  Verfahren  einen 
Beweis  dafür  sehen  dürfen,  daß  der  Unterschied  aufgehört  hat 
zu  existieren.  So  lassen  sich  leicht  Fälle  des  Infinitivs  mit  de 
nach  demander  im  Sinne  von  ,,die  Erlaubnis  zu  einem  Tun  er- 
bitten", oder  nach  prendre  garde,  wenn  durch  die  Negation  beim 
Infinitiv  der  Zielpunkt  des  Achtgebens  ausgedrückt  \sird,  bei- 
bringen, ohne  daß  man  darum  schon  das  Vorhandensein  einer 
entschiedenen  Tendenz  zum  Gebrauche  der  Präposition  ä  in 
diesen  Fällen  wdrd  in  Abrede  zu  stellen  brauchen.  Das  Vor- 
kommen der  unter  Einfluß  von  se  Souvenir  de  entstandenen 
Konstruktion  se  rappeler  de  qu.  eh.  beweist  nicht,  daß  die  ,, Sprache" 
d.  h.  die  gesamte  Gemeinschaft  der  sie  Sprechenden,  das 
Gefühl  für  den  eigentlichen  Sinn  von  rappeler  verloren  hat  (wie 
sie  es  z.  B.  für  den  von  souvenir  getan)  und  daß  nicht  durch 
plötzlich  wach  werdende  Aufmerksamkeit,  der  sich  bereits  an- 
bahnenden Sinnesverschleierung  wieder  ein  Ende  gemacht  wird. 
So  könnte  doch  auch  im  Deutschen  das  sehr  üblich  gewordene 
,,Am  Donnerstag,  den  23.  Juni"  oder  ,,Da  sieh  mal  einer 
an"  für  den  auf  Genauigkeit  und  Richtigkeit  des  Ausdrucks 
Bedachten   niemals   ein    Hindernis    zum    Gebrauche    des   einzig 


autant  usw.  —  Einer  ausdrücklichen  Ablehnung  scheint  mir  die  Be- 
merkung Plattners  (a.  a.  O.)  zu  bedürfen,  daß  commencer  de  auch 
hieße  ,, anfänglich  etwas  tun"  und  dann  ,,dem  commencer  par  ziemlich 
nahe  stände."  Das  Letztere  involviert  bekanntlich  immer  eine  Gegen- 
überstellung von  zwei  oder  gar  mehreren  Tätigkeiten,  die  als  einander 
ablösend,  aufeinander  folgend  hingestellt  werden.  In  commencer  de 
ist  von  einer  solchen  Gegenüberstellung  keine  Spur. 


260  Theodor  Kalepky. 

korrekten    ,,Am    Donnerstag,    dem..."    (oder    „Donnerstag, 
den  ...")  bezw.  ,,Da  seh'  mal  einer  an"  werden. 

Und  noch  eine  andere  Erwägung  muß  zur  Vorsicht  mahnen 
und  davon  abhalten,  selbst  wenn  sich  gelegentlich  Vernach- 
lässigung des  Unterschiedes  zwischen  der  Infinitivkonstruktion 
mit  d  und  der  mit  de  bei  commencer  nachweisen  lassen  sollte, 
gleich  von  einem  definitiven  Schwinden  desselben  zu  sprechen. 
Ich  habe  mir  schon  früher  {Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXV,  339)  in 
einer  kleinen,  der  Erörterung  des  Unterschieds  zwischen  Vor- 
und  Nachstellung  des  attributiven  Adjektivs  angefügten  Be- 
trachtung darauf  hinzuweisen  erlaubt,  daß  es  sich  bei  sprach- 
lichen Differenziierungen  nicht  um  konträre  Gegensätze  (schwarz- 
weiß), sondern  um  kontradiktorische  (schwarz-nichtschwarz) 
handelt,  d.  h.  also,  daß  von  zwei  einander  gegenüberstehenden 
Formen  oder  Verfahrungsweisen  immer  nur  die  eine  in  ihrer 
Bedeutung  klar  ausgeprägt,  scharf  um,grenzt  ist,  die  andere  hin- 
gegen zur  Wiedergabe  aller  nicht  klipp  und  klar  unter  jene  Vor- 
stellungsweise, jenen  Begriff  fallenden,  also  auch  aller  indifferenten 
Fälle  bestimmt  sein  wird,  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  die 
auszudrückenden  Fälle  sich  zum  großen  Teil  garnicht  in  konträr 
gegenüberstehende  Kategorien  bringen  lassen,  weil  vielmehr 
immer  eine  Anzahl  solcher  übrig  bleibt,  die  mit  nahezu  gleichem 
Rechte,  sowohl  der  einen  wie  der  anderen  zugewiesen  werden 
können.  Das  bedeutete  für  die  dort  erörterte  Frage,  daß  nur  die 
Nachstellung  des  Adjektivs  eine  besondere  Auffassung  des 
Sprechenden  bewußt  und  deutlich  markiere,  nämhch  ,, logische 
(verstandesmäßige)  Distinguierung"  (vgl.  Gröber,  Grundriß  /.  rom. 
Phil,  r-  273),  während  Voranstellung  in  allen  Fällen  statt- 
finde, in  denen  dem  Sprechenden  eine  bestimmt  distinguierende 
Absicht  nicht  innewohnt,  unter  anderem  auch  bei  ,, affektischer 
Attribuierung".  —  Auf  die  Moduslehre  angewandt,  würde  es 
besagen,  daß  nur  der  Indikativ  eine  bestimmte  Aussage  über 
das  Reahtätsverhältnis  in  sich  schlösse,  nämhch  im  ausdrückhch 
bejahenden  Sinne,  der  Konjunktiv  hingegen  nicht  nur  da  seine 
Stelle  fände,  wo  Reahtät  nicht  vorhanden  ist,  sondern  auch  da, 
wo  der  Sprechende  sie  „ignoriert",  wo  er,  von  ihr  absehend, 
sich  damit  begnügt,  die  ihn  beschäftigenden  Vorstellungen 
auszudrücken  (z.  B.  Je  suis  charme  qu'il  ait  obtenu  cette  place). 
—  Für  die  Frage  nach  dem  Unterschiede  zwischen  Imparfait 
und  Passe  defini  ergäbe  sich  bei  Anwendung  des  Prinzips  des 
kontradiktorischen  Gegensatzes,  daß  lediglich  das  Passe  defini 
eine  scharf  ausgeprägte  Bedeutung  hätte,  insofern,  als  es  die 
betreffenden  Vergangenheitstatsachen  in  ihrer  Totalität  —  in 
ihrem  vollen  Verlaufe  durch  die  Stadien  des  Anfangs,  der  Mitte, 
des  Endes  hin  —  vorführte  (d.  h.  den  Hörer  sie  sich  so  zu  ver- 
gegenwärtigen anregte),  während  das  Imparfait  danach  nicht 
bloß  bei  schon  längst  bestehenden,  schon  im  Verlauf  gedachten. 


Vom  Injinüiv  mit  de  und  ä.  261 

also  nur  partiell  für  die  Erzählung  in  Betracht  kommenden 
Zuständen  oder  Vorgängen  Verwendung  zu  finden  hätte,  sondern 
gelegentlich  auch  bei  neu  eintretenden,  solchen  nämlich,  bei  denen 
der  Erzähler  auf  Markierung,  Erregung  jener  Totalitätsvorstellung 
keinen  Wert  legt,  wo  es  ihm  genügt,  daß  der  Hörer  sich  —  ge- 
mäldeartig —  eine  Situation  vorstellt,  statt  sich,  wie  beim  Passe 
defini  —  kinematographisch  —  den  Hergang  von  Anfang  bis  zu 
Ende  zu  vergegenwärtigen,  z.  B.  also  überall,  wo  er  in  schildernde, 
malende  Darstellung  verfällt.  —  In  dem  uns  beschäftigenden 
Falle  der  Präpositionen  ä  und  de  vor  dem  von  commencer  ab- 
hängigen Infinitiv  nun,  ließe  sich  unter  Verwendung  jenes  Prinzips 
etwa  sagen,  daß  nur  durch  ä  eine  ausgeprägte  Charakterisierung 
der  Sachlage  gegeben  wird,  nämlich  so,  daß  die  durch  den  Infinitiv 
ausgedrückte  Tätigkeit  bei  Anwendung  dieser  Präposition  als 
eine  im  naturgesetzlichen  Entwickelungsverlaufe  zu  erwartende 
{l'enfant  commence  d  marcher)  oder  nach  der  bereits  bekannten 
Gesamtlage  der  Dinge  vorauszusehende,  sich  von  selbst  ergebende 
{on  commenga  d  transformier  le  Vestibüle  en  chapelle,  Zurüstung 
zur  Leichenfeier)  markiert  wird,  während  sowohl  da,  wo  eine 
solche  Charakterisierung  den  Umständen  nach  nicht  am  Platze 
wäre,  als  auch  da,  wo  sie  vom  Sprechenden  nicht  für  nötig  gehalten, 
nicht  beliebt  wird,  de  seine  Stelle  findet. 

Dieses  Verfahren  der  Sprache  scheint  mir  nun  —  und  damit 
komme  ich  auf  die  eingangs  dieser  Erörterung  von  mir  beanstandete 
Behauptung  Haas'  (daß  die  Bemühungei\,  eine  Gesetzmäßigkeit 
im  Gebrauche  von  de  und  ä  zu  finden,  gescheitert  seien)  zurück  — 
in  vollstem  Einklang  mit  der  Grundbedeutung,  sowie  der  sonstigen 
Gebrauchsweise  unserer  beiden  Präpositionen  zu  stehen.  Was  ist 
der  Sinn  der  Präposition  ä?  In  welches  Verhältnis  setzt  sie  das 
durch  das  vorhergehende  Wort  Bezeichnete  zu  dem  durch  das 
nachfolgende  Benannten,  seien  es  nun  räumlich-körperliche  (bezw. 
als  solche  vorgestellte)  Seiende  oder  Fälle  von  (zeitlichem) 
Sein  oder  Geschehen  ?  Zweifellos  doch  in  dasjenige  örtlicher 
Gemeinschaft,  so  nämUch,  daß  das  eine  als  d a  seiend  gekenn- 
zeichnet wird,  wo  sich  das  andere  befindet.  Die  Frage  könnte 
höchstens  die  sein,  ob  durch  ä  nur  die  schon  vorhandene,  ein- 
getretene oder  auch  die  sich  erst  vollziehende,  erst  eintretende 
Ortsgemeinschaft  bezeichnet  \wd;  oder:  ob  es  nur  den  Ruhe- 
zustand oder  auch  die  dazu  führende,  sie  vorbereitende  Bewegung 
bezeichnet  —  oder,  in  der  elementarsten  Fassung:  ob  es  nur 
auf  die  Frage  ,,wo  ?"  oder  auch  auf  die  ,, wohin  ?"  antwortet. 
Müßte  eine  solche  Zwdefachheit  der  Bedeutung  zugestanden 
werden,  dann  ergäbe  sich  eine  kleine  Erschwerung  unserer  Auf- 
gabe insofern,  als  bei  commencer  ä  noch  z\^ischen  diesen  beiden 
Möghchkeiten  entschieden  werden  müßte.  Ich  gestehe,  daß  es 
mir  trotz  allem,  was  ich  in  den  Grammatiken  und  Wörterbüchern 
über  d  als  „Bezeichnung  des  Ortes  und  des  Zieles"  lese,  mehr 


262  Theodor  Kalepky. 

als  fraglich  erscheint,  ob  eine  solche  Zwiefachheit  der  Bedeutung 
als  vorhanden  anzuerkennen  ist.     In  feiner  und  treffender  Weise 
hat  Meyer-Lübke  in  seiner  Romanischen  Syntax  p.  468  gezeigt, 
wie  schon  im  späteren  Latein,  vor  allem  aber  bei  dessen  Ent- 
wicklung zum  Romanischen  hin,  die  Kategorie  des  ,, wohin"  in 
derjenigen  des   ,,wo"   aufgegangen  ist.     ,,Man  kann  wohl  nur 
sagen,"  heißt  es  da,  ,,in  der  römischen  Psyche  hätte  sich  bei 
Angabe  des  Ortes,   auf  welchen  eine   Bewegung  gerichtet  war, 
die  Ankunft  und  die  folgende  Ruhe  an  dem  Ort  lebhafter  darge- 
stellt als  die  im  Verbum  selber  ausgedrückte  Bewegung."^)    Noch 
genauer  wäre  es  vielleicht  zu  sagen:  die  römische  (und  romanische) 
Psyche  hätte  den  Begriff  der  Bewegung  nur  noch  im  Verbum 
empfunden    (bezw.    ausgedrückt),   in   der   Präposition   hingegen 
lediglich  das  (aus  jener  Bewegung  resultierende)  Lokalverhältnis. 
Die  Vorstellungen,  die  etre  dans  la  maison  und  entrer  dans  la 
maison  beim   Franzosen  auslösen,  entsprechen  also  nicht  voll- 
kommen den  deutschen  ,,im  Hause  sein"  und  ,,i  n  das  Haus 
eintreten";  es  wäre  etwa:   „im  Hause  sein"   und   „*im   Hause 
eintreten".     Dementsprechend  etre  ä  l'eau  und  se  jeter  d  l'eau: 
„im  Wasser  sein"  und  „*sich  im  Wasser  stürzen",  d.  h.  sich  so 
stürzen,   daß   man  schließlich  im  Wasser  ist.     Diese,  wie  mir 
scheint,  durch  eine  genaue  Prüfung  des   Sachverhalts  gebotene 
Auffassung,  wird  auch  keineswegs  durch  die  bekannten  „ellipti- 
schen" Wendungen  wie  au  voleur^  au  feu  widerlegt.    Diese  brauchen 
eben  gar  nicht  Bewegungen  (,,zum  Diebe  h  i  n")  auszudrücken, 
sondern    können   sehr  *  wohl    auch    bloße    Aufforderungen    zum 
Erscheinen    „beim    Diebe",    „beim    Feuer"    sein.      Die    Er- 
weiterung, Vervollständigung  würde  ja  doch  lauten:  Qu'on  coure 
au  voleur!    Qu'on  se  precipite  au  feu!     Und  da  läge  dann  die 
Bewegung  wieder  ledighch  im  Verb   ausgedrückt:    „*Man  eile 
hin  —  beim  Feuer."     Das  „man  eile  hin"  wäre  als  entbehrlich 
unausgesprochen  gelassen. 

So  ergibt  sich  denn  für  commencer  ä  der  Sinn  „anfangen 
bei,  in  einer  Tätigkeit",  was  völlig  logisch  und  angemessen 
da  ist,  wo  es  sich  um  naturgemäße  oder  durch  die  Umstände 

6)  Kämen  da  nicht  schon  die  bekannten  Verben  der  Elementar- 
grammatik „pono,  loco,  colloco  etc."  mit  ihrem  ,,in  +  Abi."  in  Betracht? 
Aber  freilich,  man  braucht  ponere  nur  durch  „niederlegen"  (vgl.  frz. 
poser  la  plume),  locare  mit  „unterbringen"  zu  übersetzen,  dann  schwmdet 
sofort  alles  Anormale.  —  An  den  weiteren,  sehr  ansprechenden  und 
gründlichen  Darlegungen  des  Verfassers  hätte  ich  nur  die  eine  Aus- 
stellung zu  machen  —  nicht,  daß  eine  Erörterung  der  Präpositionen 
strenggenommen  ins  Wörterbuch,  in  die  Wortlehre  gehört,  da  ich  mich 
ja  (Bd.  XXXV  p.  15  dieser  Zeitschr.)  selbst  gegen  allzustarkes  Be- 
tonen der  formal-systematischen  Seite  in  der  syntaktischen  Forschung 
ausgesprochen  habe  —  sondern,  daß  Verf.  diesen  meiner  Ansicht  nach 
treffenden  Standpunkt  nicht  immer  energisch  genug  wahrt,  manch- 
mal (z.  B.  §§  437,  438,  505  etc.),  wohl  aus  praktischen  Gründen,  doch 
von  ,, wohin"  und  ,,Ziel",  ,, Zweck"  spricht. 


Vom  Injinüw  mit  de  und  ä.  263 

gegebene  Tätigkeiten  (bezw.  Zustände)  handelt.  Bei  jedem 
kleinen  Kinde  stellen  sich  im  Laufe  der  Entwickelung  die 
Tätigkeiten  des  Gehens,  Spreciiens  usw.  ein.  Da  heißt  es  denn 
durchaus  treffend:  „Jetzt  fängt  es  beim  Gehen  an",  d.  h.  in 
der  Tätigkeit  des  Gehens  ist  für  das  Kind  das  Anfangsstadium 
eingetreten,  „es  ist  Anfänger  i  m  Gehen",  il  commence  ä  marcher. 
Die  Vorstellung  wird  sofort  eine  ganz  andere,  wenn  von  einem 
Knaben,  dem  etwa  wegen  einer  Fußverstauchung  anbefohlen  ist, 
auf  dem  Sofa  zu  liegen,  ausgerufen  wird  „Was  fällt  ihm  denn 
ein  ?  Was  soll  denn  das  heißen!  Er  fängt  an  zu  gehen  ?!"  Daher 
denn  in  diesem  Falle  //  commence  de  marcher  mit  derselben  Be- 
rechtigung gesagt  wird,  wie  vorher  il  commence  ä  marcher. 

Was  für  ein  Verhältnis  wird  nämhch  durch  de  bezeichnet? 
Gehen  wir,  wie  vorher  bei  a,  auch  wieder  auf  die  Grundbedeutung 
zurück,  so  werden  wir  sagen  müssen,  daß  de  nur  das  (negative) 
Seitenstück,  Korrelat  zu  ä  ist,  und  dieses  zu  seiner  Voraussetzung 
hat.  Bezeichnet  ä  örtliche  Gemeinschaft,  so  drückt  de  die  Auf- 
hebung, Lösung  derselben  aus,  w^omit  dann  eben,  impHzite,  voraus- 
gegangenes, früheres  Vorhandensein  einer  solchen  und  damit  auch 
die  Möghchkeit,  unter  Umständen  sogar  die  Gewißheit  ihrer  so- 
fortigen Wiederherstellung  gegeben  ist.  Le  livre  de  Charles  ist  das 
Buch,  das  jetzt  von  Karl  räumlich  getrennt  ist  (oder  doch  so 
vorgestellt  ^vird),  aber  vorher  b  e  i  ihm  war  und  jederzeit  mit  ihm 
wie  der  vereinigt  werden  kann  (und  es  sicher  auch  wird).  Daß  in 
diesem  Falle  ä  mit  de  konkurriert,  in  der  Volkssprache  sogar  vor- 
herrscht, beruht  darauf,  daß  bei  einem  Besitztum  die  Vorstellung 
der  örtlichen  Gemeinschaft,  mit  dem  Besitzer  ebenso  berechtigt, 
vielleicht  sogar  natürlicher,  angemessener  ist,  als  die  der  Los- 
lösung (wenn  auch  nur  momentaner)  mit  der  Nebenidee  der 
Möghchkeit  jederzeitiger  Wiedervereinigung.  —  Un  homme  de 
bien  ist  ein  Mensch,  der  früher  beim  «biem  war,  mit  der  Neben- 
vorstellung, daß  er  davon  untilgbare  Einwirkungen,  Spuren  mit- 
gebracht hat.  —  Partir  de  Paris  bedeutet  eine  Bewegung, 
bei  welcher  Lösung  einer  vorhanden  gewesenen  örthchen  Gemein- 
schaft mit  «Paris»  stattfindet,  also  eigenthch  „fortgehen,  so 
daß  man  nicht  mehr  «d  Paris»  ist".  Wie  bei  d  nach  Verben  der 
Bewegung,  muß  auch  bei  de,  in  Verbindung  mit  einem  solchen 
Verb,  betont  werden,  daß  der  Begriff  der  Bewegung  ledighch  durch 
das  Verbum  ausgedrückt  wird,  daß  also  de  nie  das  Kommen, 
Sich  entfernen  von  einem  Punkte  bezeichnet,  sondern  nur  die 
mit  einer  solchen  Bewegung  verbundene  „Negierung",  Tilgung, 
Aufhebung  der  vorangegangenen  Gemeinschaft,  so  daß  es  leicht 
zu  immer  abstrakterer  Bedeutung,  schließlich  zu  derjenigen  „in 
bezug  auf,  hinsichthch"  kommen  konnte.  —  So  findet  es  denn 
überall  da  Verwendung,  wo  der  Ausgangspunkt  einer  Handlung 
bezeichnet  werden  soll,  sei  es  —  ähnhch  wie  bei  homme  de  bien  — 
zur  Charakterisierung  der  Art  und  Weise   (daher  bei  maniere, 


264  Theodor  Kalepky. 

fagon)^  sei  es  zur  Angabe  des  Materials  {parier  d'aventures,  cou- 
ronner  de  fleurs)  oder  des  Instruments  [tirer  d'un  arc)^  oder  des 
Anlasses,  der  Ursache  {mourir  de  faim^  pleurer  de  joie)  usw.  — 
wobei  überall  durch  de  ein  zuerst  Genanntes  zu  einem  weiterhin 
Genannten  in  das  Verhältnis  einer  dereinst  vorhandenen,  nun- 
mehr aber  —  vorübergehend  oder  dauernd  —  gelösten  Gemein- 
schaft gesetzt  wird. 

Von  all  den  eben  berührten  Ausstrahlungen  der  Grund- 
bedeutung von  rfe,  den  eigenartigen  Verwendungen  dieser  Präpo- 
sition, scheint  mir  nun  für  commencer  am  meisten  diejenige  in 
Betracht  zu  kommen,  die  wir  vorhin  bei  couronner  de  fleurs 
konstatierten:  die  gedachte  Gemeinschaft  ist  hier  nach  der  Seite 
des  Materials  hin  bedeutsam  geworden.  ,, Bekränzen"  kann  ver- 
knüpft sein  mit  verschiedenen  Dingen:  Blättern,  Perlen,  Blumen 
usw.  Couronner  de  fleurs  besagt  nun,  daß  der  Ausübende  das 
früher  mit  Blumen  verbunden  gedachte  Bekränzen  gewählt  hat, 
dessen  Herkunft  nun  sichtbar  zutage  tritt  —  wie  beim  homme 
de  hien.^)  Danach  hieße  commencer  d'arriver  genau  genommen: 
„vom  Ankommen  das  Material  zum  Anfangen  entnehmen,"  nicht 
(wie  commencer  ä  arriver)  ,,b  e  i  m  (erwarteten,  in  Frage  stehen- 
den, virtuell  in  der  Vorstellung  schw^ebenden)  Ankommen  einen 
Anfang  machen",  sondern  ,, anfangen  vom  Ankommen  her" 
(,,von  ankommen"),  dem  Hörer  eine  Stoffquelle  mitteilend,  ihm 
von  einem  Sein  oder  Tun  sprechend,  an  das  er  noch  gar  nicht 
gedacht  hatte.  So  wird  man  denn  sagen  dürfen,  daß  in  der 
commencer  d- Konstruktion  der  Schwerpunkt  der  Aussage  mehr 
oder  minder  fühlbar  auf  dem  Begriff  des  Anfangens,  bei  der 
Verbindung  mit  de  dagegen  auf  der  durch  den  Infinitiv  aus 
gedrückten  Vorstellung  liege. 

11. 
Nach  der  ausführlichen  Erörterung  des  Falles  mit  commencer 
ä  und  rfe,  sowie  aller  dabei  in  Betracht  kommender  Faktoren, 
werden  sich  nunmehr  eine  Reihe  verwandter  Fälle  rasch  abtun 
lassen. 

Auch  continuer  weist  Infinitivanschluß  sowohl  mittels  d  als 
mittels  de  auf.  Continuer  ä  faire  qu.  eh.  heißt  ,,b  e  i  m  Tun  von 
etwas  fortfahren";  das  Tun  selbst  schwebt  schon  in  der  Vor- 
stellung, der  Nachdruck  wird  wieder  auf  continuer  gelegt,  so  daß 
dies  die  Bedeutung  von  ,, verharren,  (mehr  oder  weniger  hart- 
näckig) verbleiben  bei  etwas"  erhält.  II  a  goute  ä  tout  et  s'est 
degoüte  de  tout.  II  continue  cependant  ä  vivre.  Gl.  Farrere,  Les 
Civilises  54  ( =  Obgleich  er  alles  gekostet  und  alles  satt  bekommen 

^)  Die  Vorstellung  beibehaltener,  weiter  dauernder  Gemeinschaft 
zwischen  Tun  und  verwendetem  Gegenstand  führt  zum  Gebrauch 
von  d  z.  B.  ecrire  ä  la  plume,  au  crayon.  —  Genau  so :  un  homme  ä  (la) 
barbe  noire  —  denn,  ist  der  Bart  beim  Mann,  dann  ist  auch  der  Mann 
beim  Bart.    (Vgl.  bei  Strafe  verbieten,  d.  h.  so,  daß  Strafe  dabei  ist.) 


Vom  Infinitiv  mit  de  und  ä.  265 

hat,    verharrt   er   im,   beim   Leben).   —   Continuer  d  e  faire 
qu.  eh.  heißt  wiederum:  ,,von  einem  Tun  das  Material  zum  Fort- 
fahren nehmen",  der  Nachdruck  liegt  auf  diesem  Tun,  das  zwar 
schon  einmal  erwähnt  und  in  der  Vorstellung  des  Hörers  vor- 
handen sein  muß,  aber  doch  —  inmitten  anderer  ebenfalls  in 
Betracht  kommender  Tätigkeiten  —  eine  ge\^^sse  Hervorhebung 
zuläßt,  wenn  nicht  geradezu  erfordert.    Ils  descendirent  de  voitiire 
Sans  savoir  pourquoi  et  marcherent  au  hasard  en  continuant  de 
chanter  ib.  42.  —  Was  das  Zahlenverhältnis  bei  diesem  Verbum 
betrifft,  so  zeigt  sich  —  im  Gegensatz  zu  commeiicer,  aber  ebenfalls 
wohl  begreiflich  —  entschiedenes  Überwiegen  der  rfe- Verbindung. 
In  Farreres  Civilises  finden  sich  neben  7  Fällen  mit  de  nur  2 
mit  ä,  in  Mlle  Dax  jeune  fille  neben  7  mit  de,  gar  nur  1  mit  d, 
in  Bazin,  Le  hie  qui  leve  steht  14  Fällen  mit  de  nur  ein  einziger 
mit  ä  gegenüber.    Und  doch  scheint  mir  aus  diesem  numerischen 
Verhältnis,  in  dem  die  d- Konstruktion  eine  anscheinend  so  kläg- 
liche Rolle  spielt,  eine  Befürchtung  hinsichthch  der  Fortexistenz 
der  letzteren  sich  noch  nicht  zu  ergeben.     Findet  sich  doch  in 
Loti,  Aziyade,  das  eine  statthche  Anzahl  Fälle  von  commencer  ä 
(keinen  mit  de!)  brachte,  ebensowenig  ein  Beleg  für  continuer  de 
wie  für  continuer  ä.     Die   Seltenheit  des  letzteren  erklärt  sich 
eben  hinreichend  durch  die  relative   Seltenheit  der  Umstände, 
die  zu  seiner  Verwendung  Anlaß  geben  könnten,  insbesondere 
der  Fälle,  in  denen  (nach  dem  Prinzip  vom  kontradiktorischen 
Gegensatze)  sich   die   Vorstellung  des   ,, Verbleibens,   Verharrens 
bei  etwas"  so  lebhaft  aufdrängt,  daß  der  Sprechende  die  charak- 
teristischere Anknüpfung  mit  d  wählt  und  wiederum  nicht  so 
lebhaft,  daß  er  gleich  zu  den  konkurrierenden  Verben  persister, 
perseverer  greift.^)     Wenn   Plattner  mit  seiner  Leugnung  eines 
Unterschiedes  nur  das  meinte,  daß  die  meisten  sich  der  sprach- 
lichen   Kundgabe   darbietenden   Fälle   sowohl   die   eine   wie   die 
andere  Ausdrucks  weise  ,, zuließen",  dann  könnte  man  ihm 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  beistimmen.     Gibt  es  eine  solche 
Zwitterhaftigkeit  nicht  auch  oft  genug  für  Impar'fait  und  Passe 
defini,  für  Indiratif  und  Subjonctif,  für  Voran-  und  Nachstellung 
der  attributiven  Adjektive  ?    Aber  wie  niemand  für  die  genannten 
Kategorien  auf  Grund  solcher  indifferenten  Fälle  die  innere  Be- 
rechtigung zur  Aufstellung  eines  Bedeutungsunterschiedes  leugnen 
wird  —  mag  man  über  Einzelheiten  der  Formulierung  auch  noch 
so  verschiedener  Meinung  sein  —  ebensowenig  wird  der  Umstand, 

')  Ähnlich  dürfte  für  commencer  de  das  Verbum  se  meUre  ä  eine 
gewisse  Konkurrenz  bieten,  oder  —  bei  Vergangenheitsangaben  — das 
Passe  defini,  dem  man  ja  für  manche  Verben,  z.  B.  avoir,  etre,  savoir, 
connaitre  etc.  geradezu  inchoative  Bedeutung  zuschreibt.  —  Übrigens 
scheint  mir  das  numerische  Verhältnis,  das  ich  unlängst  in  L^on  Frapie, 
L' institutrice  de  province  antraf,  einigermaßen  als  normaler  Ausdruck 
der  Sachlage  gelten  zu  dürfen:  commencer  ä  4,  de  1,  continuer  de  3,  ä 
1  Mal. 


266  Theodor  Kalepky. 

daß  sich  häufig  genug  ein  und  derselbe  Sachverhalt  bei  commencer 
und  continuer  sowohl  durch  den  Infinitiv  mit  ä  wie  durch  den  mit 
de  in  einer  das  Denken  zufriedenstellenden  Weise  zum  Ausdruck 
bringen  läßt,  als  Beweis  dafür  in  Anspruch  genommen  werden 
können,  daß  der  Sinn  in  beiden  Fällen  absolut  der  gleiche 
sei.  Vielleicht  tritt  die  Tatsache,  daß  ein  und  derselbe  Sach- 
verhalt sich  zwar  manchmal  in  gleich  befriedigender,  aber  niemals 
genau  gleichbedeutender  Weise,  durch  zwei  verschiedene  Kon- 
struktionen wiedergeben  läßt,  nirgends  so  deutlich  zutage,  wie 
bei  avoir  honte,  von  dem  Plattner  {Schulgrammatik  p.  228)  ,,rein 
praktisch"  sagt,  daß  es  sich  ,,ohne  Bedeutungsunterschied"  sowohl 
mit  de  wie  mit  d  +  Infinitiv  finde.  Es  ist  ohne  weiteres  klar, 
daß  hier  ä  faire  qu.  eh.  temporal  ist:  ,,b  ei  einem  Tun"  und  de 
faire  qu.  eh.  kausal:  ,,v  o  n"  einem  Tun,  wegen  eines  Tuns. 

In  ähnlicher  Weise  wäre  ich  —  um  hier  noch  ein  paar  andere 
naheliegende  Fälle  mit  ab  zutun  —  geneigt,  auch  für  die  Verben 
des  Zwingens  {forcer,  obliger,  contraindre  etc.)  mit  folgendem 
Infinitiv,  den  Unterschied  zwischen  der  d-  und  der  c?e- Konstruktion 
dahin  zu  bestimmen,  daß  bei  der  ersteren  der  Nachdruck  wieder 
auf  dem  Begriff  des  ,, regierenden"  Verbums,  also  auf  der  Idee 
des  Zwanges,  bei  der  letzteren  aber  auf  der  erzwungenen  Hand- 
lung liegt.  La  garnison  se  defendait  bien,  pourtant  on  la  forga 
ä  se  rendre  (,,Sie  wollte  sich  nicht  ergeben,  aber  man  zwang 
sie  dazu").  Dagegen  Menace  par  la  cille,  on  la  cerna  et  la  forga 
de  se  rendre  (ohne  daß  sich  eine  ernstliche  Schwierigkeit,  ein 
nachhaltiger  Widerstand  gezeigt  hätte).  Genau  genommen  (im 
ersteren  Falle):  ,,Man  übte  Zwang  aus  beim  (deutsch  ,,zum") 
Kapitulieren",  (im  zweiten):  Man  bewirkte,  erreichte  (selbstver- 
ständlich nicht  durch  Bitten)  die  Übergabe  der  Stadt.  Daß 
sich  die  letztere  Auffassung  besonders  häufig  in  passivischen 
Sätzen  findet  —  denn,  wenn  man  den  Nachdruck  auf  das  Zwingen 
legt,  wird  man  naturgemäß  auch  die  Person  des  Zwingenden  in 
den  Vordergrund  rücken,  sie  zum  Subjekt  des  Handelns  machen 
(also  aktiven  Ausdruck  wählen),  statt  sie  durch  eine  adverbiale 
Bestimmung  (mittels  par)  erst  nachträglich  anzudeuten  —  scheint 
zu  der  ,, Regel"  geführt  zu  haben,  daß  im  Passiv  de  ,,erforderUch" 
sei.  Plattner  hat  das  Unzutreffende  derselben  erkannt.  Er  fügt 
der  Angabe:  ^Jorcer  nimmt  passivisch  gebraucht  in  der  Regel 
de  zu  sich,  "sofort  die  Einschränkung  hinzu  ,,doch  findet  d  sich 
auch  im  letzteren  Falle"  und  gibt  zwei  Beispiele,  unter  denen  mir 
das  letzte  von  besonderer  Anschaulichkeit  erscheint:  Et  qui  sait 
si,  forcee  ä  tromper  le  monde,  la  tete  de  ce  petit  etre  ne  peut  pas 
y  prendre  plaisir.^) 


^)  Wie  sich  forcer  ä  faire  qu.  eh.  den  Verben  pousser,  exhorter, 
encourager,  engager  ä  an  die  S-ite  stellt,  so  hat  forcer  d  e  die  Ausdrücke 
sommer  und  presser  qn.   d  e  faire  qu.  eh.  neben  sich.    Auch  hier  handelt 


Vom  Infinüw  mit  de  und  ä.  267 

In  ähnlicher  Weise  gibt  bei  finir  der  Infinitiv  mit  de  die 
„Stoff quelle"  an,  d.  h.  das  Tun,  womit  ein  Ende  gemacht, 
geendet  wird;  hingegen  derjenige  mit  ä  das  Tun,  b  c  i  dem  jemand 
oder  etwas  endet,  bezw.  ,, nicht  endet",  wozu  Plattner  die  beiden 
hübschen  Beispiele  gibt:  Je  ne  jinirais  pas  d  voiis  raconter  .  .  und 
(7a  finira  ä  couter  aussi  eher  qiie  Vafjichage  d'une  lettre  de  general. 

Und  noch  einleuchtender  ist  die  Sache  bei  dem  Verb  reussir, 
das  ich  hier  anführen  möchte,  weil  ich  seine  Infinitivkonstruktion 
mit  de  noch  in  keiner  Grammatik,  auch  nicht  in  der  mehr  alä 
hundert  Verba  umfassenden  fleißigen  Liste  Plattners  erwähnt 
gefunden  habe.  Ihr  Sinn  ist:  mit  einem  Tun  eine  Wirkung, 
einen  Erfolg  erzielen  (wobei  also  de  die  Infinitivtätigkeit  wiederum 
als  Herkunftsort,  Stoff,  Mittel,  Werkzeug  u.  s.  w.  bezeichnet, 
während  sie  bei  Verwendung  von  ä  die  Stelle  ist,  bei  der  ein 
erfolgreiches  Schaffen,  Mühen  stattfindet).  II  a  hien  reussi  de 
leur  acheter  la  «Comedie  enfantine»  ruft  eine  Mutter  mit  Bezug 
auf  ein  ihren  Kindern  von  einem  Freunde  gemachtes  Geschenk 
aus.  ,,Da  hat  er  was  Schönes  angerichtet,  daß  er  ihnen  die 
Kinderkomödie  gekauft  hat"  (L.  Frapie,  Les  obsedes  125).  — 
J'ai  hien  reussi  d'avoir  bougonne  apres  Brunetiire  id.,  La  mater- 
nelle  50.  Die  scheltende  Bemerkung  über  B.  ist  gehört  worden 
und  hat  für  die  Sprechende  nun  allerhand  unliebsame  Folgen; 
deutsch  etwa:  ,,0  weh,  das  bekommt  mir  nun  übel,  daß  ich  ..." 
oder  etwas  burschikoser:  ,,Na,  da  bin  ich  schön  mit  meiner  Äuße^ 
rung  über  B.  hineingefallen".  Aber  auch  nicht-ironisch  findet 
sich  die  Wendung  in  populärer  Ausdrucksweise:  Vous  auriez 
mieux  reussi  d'etre  entretenue  par  des  etudiants  ib.  48  ,,Beim  Zu- 
sammenleben mit  Studenten  hätten  Sie  es  besser  gehabt,  etwas 
Besseres  erzielt"  oder  ,,es  wäre  für  Sie  etwas  Besseres  heraus- 
gekommen (als  bei  der  mühseligen  und  schlecht  bezahlten  Arbeit 
in  der  Kleinkinderschule).  Das  mag  Weiterführung  alten  Brauches 
sein  —  Haase,  Franz.  Syntax  des  XVII.  Jahrh.  zitiert  aus  Boileau: 
//  semble  que  VArioste  ait  mieux  reussi  d  e  la  faire  faire  par  Joconde 

—  doch  wäre  solcher  Brauch  wie  so  viele  andere  jener  Zeit  (z.  B. 
apprendre,  eher  eher,  reduire  d  e  faire  qu.  eh  usw.)  sicher  längst 
geschwunden,  wenn  er  nicht  eben  in  vollster  Übereinstimmung 
mit  dem  das  heutige  Verfahren  regelnden  allgemeinen  Prinzip 
stände. 

Zum  Schluß  sei  noch  die  bekannte  Ausdrucksweise  c'est 
ä  qn.  ä  und  de  faire  qu.  eh.  berührt,  bei  der  der  Sinnesunterschied 

—  praktisch  wieder  ziemlich  irrelevant,  daher  von  Plattner  als 
nicht  vorhanden  bezeichnet  —  etwas  anderer  Art  ist,  als  in  den 
früher  besprochenen  Fällen.     Die  Verbindung  von  ä  mit  einem 


es  sich  um  Andeutung  des  Materials,  des  Stoffes:  ,, einen  auffordern, 
bedrängen  m  i  t  etwas,  inbezug  auf  etwas"  (nicht  ,,z  u  etwas"  was 
nach  französischer  Auffassung  ein  ,,bei"  (ä)  ergeben  müßte). 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  18 


268  Theodor  Kalepky. 

Infinitiv  hat  nämlich  außer  der  üblichen  Bedeutung  lokaler 
(temporaler)  Gemeinschaft  (,,b  e  i  einem  Tun")  auch 
noch  die  (auf  lateinisches  Gerundivum  zurückgehende)  der 
Notwendigkeit  eines  Tuns.  Lateinischem  habeo  epistolam 
scrihendam  entspricht  frz.  j'ai  une  lettre  ä  ecrire,  lat.  mihi  est 
scribendum:  j'ai  d  icrire  (oder  c'est  ä  moi  d  ecrire)  (vgl.  Diez  III, 
236  f.  und  Meyer-Lübke  §  328).  So  hegt  denn  nun  eine  eigen- 
artige Zwiefachheit  der  Gebrauchsweise  und  des  Sinnes  von 
Infinitiven  mit  d  vor.  Bezeichnet  eile  eine  Person,  dann  heißt 
eile  est  d  ecrire  ,,sie  ist  beim  Schreiben",  ist  mit  eile  aber  ein  Brief 
gemeint,  dann  bedeutet  derselbe  Satz,  ,,er  ist  zu  schreiben,  muß 
geschrieben  werden."  Das  syntaktische  Verhältnis  ist  natürlich 
in  beiden  Fällen  etwas  verschieden:  Im  ersteren  ist  d  die  ge- 
wöhnliche lokale  (temporale)  Präposition,  die  die  Beziehung 
des  Seins  zum  Schreiben  kennzeichnet,  im  zweiten  bildet  d  mit 
icrire  zusammen  eine  Ausdruckseinheit  mit  dem  Sinne:  ,,Schreib- 
notwendigkeit."^)  Die  letztere  Verwendung  liegt  nun  (wie  bei 
j'ai  d  ecrire^  je  donne,  je  laisse  d  deviner  u.  ähnl.)  auch  in  der 
Wendung  c'est  d  moi  d  jaire  qii.  eh.  vor,  deren  genauer  Sinn  also 
etwa  durch  lat.  mihi  jaciendum  est,  deutsch  durch:  ,,mir  liegt  die 
Notwendigkeit  des  und  des  Tuns  ob"  (noch  präziser:  ,,sie  liegt 
mir  ob  —  die  Notwendigkeit,  Pflicht  des  Tuns)  wiederzugeben 
wäre.  Demgegenüber  besagt  ein  c'est  d  moi  d  e  faire  qu.  eh.  ledig- 
lich, daß  das  und  das  Tun  mir  zukommt,  meine  Sache, 
meine  Angelegenheit  ist,  ohne  zugleich  den  Begriff  der  pflicht- 
gemäßen Obliegenheit,  der  Notwendigkeit  auszudrücken,  gleich- 
sam *mihi  est  facere.  Daraus  ergibt  sich  ohne  weiteres,  daß 
überall,  wo  das  c'est  d  moi  den  Sinn  hat  ,,es  ist  die  Reihe  an 
mir"  —  ein  Fall,  der  von  den  meisten  Grammatikern  besonders 
erwähnt,  vielfach  sogar  als  Sonderfall  behandelt  wird  —  nur 
d  faire  qu.  eh.  in  Frage  kommt,  da  das  ,, Anderreihesein"  doch 
immer  den  Begriff  einer  VerpfHchtung  involviert,  insofern  jeder, 
der  sich  zu  gemeinsamem  Spiele,  Tun  usw.  mit  anderen  zu- 
sammengesellt, damit  eo  ipso  gewisse  PfHchten  übernimmt.  — 
Plattner  will  nun  auch  bei  den  in  Rede  stehenden  Wendungen 
eine  Sinnesverschiedenheit  nicht  anerkennen.  Er  sagt  1.  c.  p.  126: 
,,Das  Unberechtigte  einer  Unterscheidung  geht  am  besten  aus 
Beispielen  hervor,  die  beide  Präpositionen  nebeneinander  auf- 
weisen: C'est  d  notre  coeur  d  regier  le  rang  de  nos  interets  et  d  notre 
raison  de  les  conduire  (Vauvenargues)".  Mag  auch  wie  in  vielen 
Fällen  bei  commencer,  continuer,  avoir  honte  etc.  der  Unterschied 


')  Etwas  Ähnliches  zeigt  sich  bei  de,  sofern  diese  Präposition 
sowohl  zwei  Seiende,  bezw.  Geschehnisse  zueinander  in  Beziehung 
setzen  als  auch  (beim  sogenannten  Teilungsartikel)  nur  zur  Charak- 
terisierung eines  (oder  mehrerer)  Seiende  (als  zu  einer  größeren  Einheit 
gehörig)  dienen  kann.  Vgl.  Nous  sortons  de  Veau  und  Nous  buvons 
de  Veau. 


Vom  Injinüw  mit  de  und  d.  269 

sachlich  oder  praktisch  belanglos  sein  —  sprachlich,  sprach- 
wissenschaftlich ist  er  unleugbar  vorhanden  und  sollte  darum 
in  gründlichen  Lehrbüchern  nicht  völlig  beiseite  gesetzt  werden. 
Der  genaue  Sinn  des  zitierten  Satzes  wäre:  „Die  Abwägung 
unserer  Interessen  ist  eine  Obliegenheit  (Pflicht)  unseres 
Herzens,  Sache  unserer  Vernunft  ist  es,  sie  zu  fördern."  Ähnlich 
bedeutet  der  (als  Antwort  auf  die  Frage  En  quoi  ma  proposition 
est-elle  contraire  ä  la  Constitution?)  gesprochene  Satz:  C'est  ä 
vous  de  le  chercher  et  non  pas  ä  nous  ä  vous  l'indiquer  sprachlich 
genau:  ,,Das  zu  suchen  ist  Ihre  Sache,  wir  haben  nicht  die 
Verpflichtung  es  Ihnen  anzugeben."  Oder:  C'est  aux 
electeurs  ä  savoir  hien  ne  pas  se  laisser  dominer  par  autre  chose 
gue  par  l'interet  public.  C'est  ä  eux  de  faire  un  grand  programme 
politique,  clair  et  net).  ,,Es  ist  Pflicht  der  Wähler  dafür  zu 
sorgen  (es  dahin  zu  bringen),  daß  sie  sich  durch  nichts  anderes 
als  das  öffentliche  Interesse  leiten  lassen.  Ihnen  steht  es 
z  u ,  ein  bedeutsames,  klares  und  unzweideutiges  politisches 
Programm  aufzustellen."  ^°)  Natürlich  kommt  dieses  ,, Ihnen 
steht  es  zu"  (ähnlich  wie  ,,Ihre  Sache  ist  es)  einem  ,,Ihre  Pflicht 
ist  es"  ganz  nahe,  aber  für  die  sprachwissenschaftliche 
Betrachtung  scheint  mir  der  Unterschied  immer  noch  erkennbar. 

Schlachtensee  bei  Berlin.  Theodor  Kalepky. 


^®)  Gelegentlich  wird  auch  noch  ausdrückUch  af faire  eingeschaltet: 
Cest  affaire  aux  Naguet,  aux  Laguerre,  aux  Deroulede  de  former 
ä  Vecart  un  petit  conseil  de  guerrc.  Le  reste  —  une  joyeuse  chambree 
de  soldats.  M.  Barres,  Vappel  au  soldat  450  ,,Die  übrigen  sind  untauglich 
zu  solchem  Geschäft,  kommen  daher  nicht  in  Betracht;  nur  Männern 
wie  N.,  L.,  D.  steht  es  zu,  nur  deren  Sache    ist  es  .  ,  . 


18* 


Wortgeschichtliches. 


1.  apoistume. 

II  Dict.  gen.  vi  vede  apostema  "corrompu,  dans  sa 
terminaison  et  son  genre,  sous  Taction  du  suffixe  fem.  turne 
(c  0  u  t  u  m  e  ,  etc.)".  Non  se  se  altri  abbia  contradetto  a  questa 
spiegazione  o  siasi  altrimenti  occupato  della  nostra  forma;  ma 
io  non  potrei  sottoscrivere  alla  spiegazione  del  Dict.  gen.  Quanto 
al  genere,  bastava  forse  di  rimandare  a  Meyer-Lübke,  Rom. 
Gramm.  II  371,  e,  ad  abundantiam,  si  puö  soggiungere  che  anche 
l'a  iniziale  poteva  condurre  al  feminlie,  vista  la  facilitä  che  un 
l'a-  venisse  interpretato  come  la  p-.  Ma  piü  importa  la  disinenza 
-ume,  la  cui  genesi  dovrebbe  apparire  chiara  da  quanto  segue.  Nei 
dialetti  dell'Italia  meridionale  (Napoli,  Avellino)  occorre,  per 
apostema,  la  forma  posteoma  (e  pi-).^)  L'uscita  -eoma  ricorda 
reoma  reuma,  e  anche  *fleoma,  *fleuma  phlegma,  che  e 
provato  dal  tar.  fioma,  'la  parte  vischiosa  o  mucosa  che  hanno 
neiresterno  i  molluschi  e  certi  pesci',  e  anche  dall'a.  franc.  fleugme 
(Dict.  gen.  s.  'flegme'),  che  sarä  in  realtä  fleume,  dovendosi  il  g, 
forse  meramente  grafico,  alla  forma  piü  dottrinale.  E  v.  del 
resto,  Meyer-Lübke  I  §  403^.  —  E  evidente  che  questi  nomi 
esotici  di  malattie,  potevan  facilmente  assimilarsi  V-ema  di  apo- 
stema, del  nome  cioe  d'un'  altra  malattia.  Dove  e  da  ricordare 
che  flegmone  aveva  un  significato  ben  affine  a  apostema. 
Se  dunque  Tit.  merid.  posteoma  va  con  *fleoma,  reoma,  potremo 
asserire  che  apostume  va  con  *fliime  e  rhume. 

3.  Ancora  opiniatre. 

Alla  dichiarazione  da  me  tentata  di  opiniatre  in  questa  Ztschr. 
(XXX VII,  147),  P.  Barbier  fils  muove  (Revue  d.  dial  rom.  II  170), 
delle  obbjezioni  la  cui  portata  mi  sfugge.  Non  capisco  cioe  perche 
opiniatre  vada  messo  sulla  stessa  linea  di  acariätre,  folätre,  ecc. ; 
quando  quello  ha  a  base  un  sostantivo,  qucsto  (di  acariätre,  visto 
l'incerto    etimo,    nulla   si    puö   affermare)   un   aggettivo.      Non 

^)  L'i  forse  per  dissimilazione  dall'e  tonico;  cfr.  il  nap.  liquera, 
accanto  a  lo-,  loquela. 


Worigeschichüiches.  271 

voglio  negare  la  possibilitä  della  cosa,  ma  chi  Tasserisce  dovrebbe 
pur  cercar  di  spiegarcela ;  poiche  l'invocazione  di  opiniable  nulla 
vale,  questa  voce  connettendosi  direttamente  col  lat.  o  p  i  n  a  r  i 
(franc.  opiner)  e  risententesi  di  opinion  solo  nella  sua  forma 
esteriore. 

3.  avacilir. 

L'etimo  vulgato,  difeso  da  ultimo  dal  Meyer-Lübke  (Histo- 
rische Gramm,  der  franz.  Sprache  I  §  155),  ci  porterebbe  a  una 
base  germanica  {waikjan).  L'ostacolo  che  a  questa  sorge  dal  v, 
il  Meyer-Lübke  tenta  di  smuoverlo  mandando  con  avachir  due 
altri  esempi,  in  cui  si  ripeterebbe  il  fenomeno,  ma  che  a  me  pajon 
soggetti  a  cauzione,  e  sono  in  ogni  modo  diversamente  conformati. 
Siccome,  dato  l'etimo  germanico,  Va-  potrebbe  difficilmente 
rappresentare  altro  che  non  il  latino  ad,^)  cosi  il  solo  ragguaglio 
possibile  e  quello  di  aguet  ecc.  —  Da  avachir  sembrami  non  si 
possa  staccare  il  lomb.  svacä  avvihre,  indebolire,  (detto  princi- 
palmente  dei  mestieri  e  del  prezzo  delle  merci),  guastare,  svesciare 
(al  figurato),  e  il  piem.  svache  dissolversi,  svanire,  mancare. 
Per  i  quali,  come  quindi  per  la  voce  francese,  la  luce  ci  viene  forse 
dal  Mezzogiorno  d'Italia.  G'e  qui,  nell'Abruzzo,  un  verbo  bacu- 
larse  -irse  divenir  debole,  allentarsi  di  una  parte  di  un  congegno, 
di  una  machina,  (cfr.  il  nap.  shacoliare  tentennare ;  detto  soprattutto 
dei  denti),  e  un  aggettivo  participiale  sbaciilaie  sv-  debole  per 
eccessive  perdite  corporali.  Quest'ultima  significazione  e  assai 
preziosa  e  va  posta  in  relazione  con  quella  di  'svesciare'  che  ha 
il  lomb.  svacä\  significazione  che  oggi  e  solo  traslata,  ma  che 
nulla  impedisce  fosse  un  giorno  vera  e  propria,  cosi  come  nel 
lomb.  cagä  c'e  il  valore  proprio  e  quello  traslato  di  'palesare  tutto'. 
Ora,  la  voce  abruzzese  si  connette  direttamente  col  nap.  vacolare 
evacuare,  che  ben  rende  o  evacuare  o  vacuare.  E  alla 
stessa  base  radicale  riverranno  pure  la  voce  alto-italiana  e  la 
francese^) :  dove  si  moverebbe  da  un  *v  a  c  c  a  r  e  ,  in  cui  o  k  m 
sia  ridotto  a  kk  come  t  u  e  ridotto  a  ^^  in  *f  u  1 1  i  t  -e  b  a  t  ;  o,  e 


^)  Si  potrebbe  certo  pensare  anche  al  germanico  ab-  (abweichen); 
ma  cosa  avrebbe  dato  -bw-  al  francese?  Dei  resto  in  etä  antico-alto- 
tedesca,  ab  era  aba. 

^)  L'a-  francese  e  potrebbe  essere  direttamente  da  un  prefisso 
ad-  (cfr.  affaiblir,  s'affaisser),  o  anche  continuare  o  Ve-  di  *evacc-,  assi- 
milato  allora  all'a  della  successiva  sillaba.  Anche  potremmo  avere 
la  sostituzione  di  ad-  a  e-;  nel  quäl  caso,  come  pure  in  quello  della 
diretta  prefissione,  saremmo  ad  *avvachir  (cfr.  avertir,  ecc).  Quanto 
alla  voce  alto-italiana,  e  potrebbe  essere  *ex-vacc-,  e  potrebbe 
continuare  *v  a  c  c  -  con  s-  successivamente  prefisso.  —  Quanto  all' 
evoluzione  semantica,  aggiungerö  qui  in  nota  che  del  resto  i  concetti 
di  'vuoto'  e  di  'molle'  si  toccano  anche  per  altra  via:  si  pensi,  p.  es., 
alla  vescica  sgonfiata  paragonata  colla  vescica  gonfia,  o  a  un  acino 
da  cui  sia  stato  succhiato  il  contenuto. 


272  Wilhelm  Tavernier. 

questa  soluzione  mi  garba  meglio,  in  cui  sia  da  ravvisare  un 
*vacicare  (da  v  a  c  a  r  e*),  con  -cicare  in  -ccare 
come  nei  non  pochi  esempi  analoghi  messi  insieme  dal  Nigra  e 
da  altri  (Arch.  glott.  it.  XV  107—8,  Miscellanea  Ascoli  93, 
Rendic.  Ist.  lomb.,  ann.  1906,  pp.  584,  620;  dove  sarebbe  da 
avvertire  che  di  straccare  tocca  veramente  giä  il  Nigra  nel  passo 
di  cui  qui  sopra). 

Milan 0.  C.  Salvioni. 


*)  V  a  0  a  r  e  si  continua  nel  sardo  gallur.  svacä  votare. 


Zn  Roland  3995:   tere  d'Ebire. 

Die  vielumstrittene  tere  d'Ebire  (so  liest  Stengel  mit  Recht) 
ist  aus  der  Zeitgeschichte  des  Rolandsepos  zu  erklären.  Wahr- 
scheinlichkeit und  Analogie  von  tere  de  France  1861  sprechen 
zunächst  dagegen,  daß  der  Eigenname  einen  Fluß  (so  K.  Hof- 
mann; vgl.  Stengels  Namenverzeichnis)  oder  eine  Stadt  bezw. 
ein  Dorf  bezeichnet  (einige  Deutungen  dieser  Art  haben  wir 
S.  166  Anm.  unserer  ,Vorgeschichte'  zusammengestellt);  viel- 
mehr ist  ein  Ländername  zu  suchen.  Am  nächsten  liegt  E  p  i  - 
r  u  s  ,  und  nichts  anderes  meint  der  Rolandsdichter.  Er  spricht 
hier  (wie  noch  öfter)  durch  die  Blume;  gedacht  ist  an 
Bohemunds  Kriegszug  nach  Epirus,  1107/08,  gegen  den  griechi- 
schen Kaiser.  Der  Kreuzzugsheld  hat  selbst  im  Jahre  1106 
in  Frankreich  für  sein  Unternehmen  geworben,  vor  allem  auf 
der  Synode  von  Poitiers  (näheres  s.  in  unserem  Beitrag  zur 
Festschrift  für  Vollmöller,  ,Über  einen  Terminus...'  S.  16), 
Unser  Ebire  bestätigt  also  den  im  gleichen  Beitrag  aufgestellten 
terminus  ante  quem:  das  Rolandsepos  kann  nicht  nach  1108 
(da  Bohemund  seinen  Frieden  mit  dem  griechischen  Kaiser 
gemacht  hatte)  und  wird  nicht  vor  1106  gedichtet  sein.  — 
Das  provenzalische  b  in  Ebire  entspricht  sonstigen  Provin- 
zialismen im  Roland  {Rosne  usw.),  über  die  wir  noch  handeln 
werden;  das  e  am  Ende  ist  gelehrt,  auch  durch  die  Assonanz 
aufgenötigt. 

Oppenheim  a.  Rh.  Wilhelm  Tavernier. 


Zeitschrift 


für 


tranzösisclie  Sprack  unJ  litteratur 


begründet  von 


Dr.  G.  Koerting         und       Dr.  E.  Koschwitz 

Professor  a.  d.  Universität  z.  Kiel  weil.  Professor  a,  d.  üniTers.  i.  Königsberg  i.  Pr. 


herausgegeben 
von 

Dr.  D.  Behrens, 

Professor  an  der  Universität  zu  Giessen. 


Band  XXXTII. 

Referate  und  Rezensionen. 


Chemnitz  und  Leipzig. 

Verlag    von    Wilhelm    Gronau. 


INHALT. 


Referate  und  Rezensionen.  g^j^^ 

Ageorges,  J.    L'enclos  de  Gge.  Sand.    (VV.  Haape) 56 

Annales  de  la  Sociale  Jean-Jacques  Rousseau  (M.  J.  M  i  n  c  k  - 

w  i  t  z)      41 

Armaingaud,   Dr.     Montaigne  pamphletaire   (H.   S  c  h  o  e  n)  .    .  20 

Bernhardt,  F.  W.  Auswahl  aus  Alfred  de  Musset  (W.  Haape)  282 
Blanchon,  P.    Lettres  de  George  Sand  ä  Eugene  Fromentin  (W. 

Haape) 56 

Boewe,  Heinrich  et  Delauney,  Auguste.     Manuel  de  lectures  cou- 

rantes.     (Wolfgang  Martini)      293 

Boillot,  F.     Le  patois  de  la  commune  de  La  Grand'Combe  (D. 

Behrens) 280 

Bornecque,  H.  et  Röttgers,  B.    La  France  d'aujourd'hui  (August 

S  t  u  r  m  f  e  1  s) 285 

Bourciez,  E.  Elements  de  linguistique  romane  (C.  S  a  1  v  i  o  n  i)  239 
Breimeier,  H.     Eigenheiten   des   französ.   Ausdruckes  und   ihre 

Übersetzung  in  das  Deutsche  (W.  K  ü  c  h  1  e  r)  ....  130 
Buckeley,    Joseph.      Prüfungs-Aufgaben    für    das    Lehramt    der 

neueren  Sprachen  in  Bayern  (August  Sturmfels)  288 

Le  Chat  volant  de  Verviers  p.  p.  J.  Feller  (O.  G  r  o  j  e  a  n)   .    .  104 

Claretie,  J.     A  Venise  (W.  Haape)        56 

Closset,  J.    Table  alphabetique  des  ouvrages  litteraires  wallons  (O. 

G  r  0  j  e  a  n) 98 

Cretin,   P.  M.     La  France,  Passe,  Präsent,  Avenir  (August 

Sturmfels)       285 

Daire,  Dictionnaire  picard  gaulois  et  frangois  (D.  Behrens)  280 
Delauney,    Auguste.      Französische   Aufsatzlehre    (W  o  1  f  g  a  n  g 

Martini) 293 

Doumic,  R.    George  Sand  (W.  Haape) 56 

Dupuy,  Ernest.     Alfred  de  Vigny.     Ses  amities,  son  röle  litte- 

raire.  I  Les  amities  (L  u  d  w  i  g  K  a  r  l) 223 

Faguet,  E.    Michel  de  Bourges  (W.  Haape) 56 

George  Sand  (W.  Haape)       56 

Fetter,  J.  und  Ullrich,  K.    la  France  et  les  Fran^ais  (August 

S  t  u  r  m  f  e  I  s)       289 

Gaiffe,  F.    Le  Drame  en  France  au  XVIIle  siecle  (W.  Martini)  35 

Ginisty,  P.  Le  Baron  Haussmann  et  George  Sand  (W.  Haape)  56 
Glaser,  Kurt.  Le  sens  pejoratif  du  suffix  -ard  en  frangais  (K.  E  1 1  - 

m  a  y  e  r)      • 115 

Golther,  Wolfgang.  Tristan  und  Isolde  in  den  Dichtungen  des  Mittel- 
alters und  der  neuen  Zeit  (E  r  n  es  t   M  u  r  e  t) 167 

Gourmont,  J.  de.     George  Sand  (W.  Haape) 56 


Seite 
Grasserie,  Raoul  de  la.    Des  parlers  des  diff6rentes  classes  sociales 

(K.  M  0  rg  en  r  0  th)       117 

Guiard,  Amedee.    Virgile  et  Victor  Hugo  (H.  H  e  i  s  s) 227 

Haberlands  Unterrichtsbriefe  für  das  Selbststudium  lebender 
Fremdsprachen.  Französisch  von  H.  Michaelis  und  P. 
Passy.  Kursus  II.  (August  S  t  u  r  m  f  e  1  s)  .  .  .  .  289 
Herrig,  L.  La  France  Litteraire  (August  Sturmfels)  .  284 
Hilka,  Alfons.  Das  Leben  und  die  Sentenzen  des  Philosophen  Se- 
cundus  des  Schweigsamen  in  der  altfranzösischen  Literatur 
nebst  kritischer  Ausgabe  der  lateinischen  Übersetzung 
des  Wilhelmus  medicus,  Abtes  von  Saint-Denis  (F.  R  e  c  h  - 

nitz) 205 

Hinstorff,  C.  A.     Die  Archives  litt^raires  de  l'Europe  und  ihre 

Stellung  zur  deutschen  Literatur  (H.  H  e  i  s  s) 51 

Järnström,  Edw.     Recueil  de  chansons  pieuses  du  XIII«  siecle  I. 

(J.  Ach  er)        13 

Jullian,  C.    Histoire  de  la  Gaule  III  (M.  L.  S  t  r  a  c  k) 1 

Kiene,  Paul.     Der  unheilvolle  Konflikt.     Zur  Reform  des  fran- 
zösischen   Sprachunterrichts    (August    Sturmfels)     286 
Küchler,  W.     Französi.sche  Romantik  (H.  S  c  h  n  e  e  g  a  n  s)  .    .       45 
Lanson,  G.     Manuel  bibliographique  de  la  litterature  fran^aise 

moderne  II  (W.  K  ü  c  h  1  e  r) 18 

Laumonier,  Paul.    La  vie  de  P.  Ronsard  de  Claude  Binet  (1586) 

H.  Vagan  ay) 215 

Ronsard  poete  lyrique  (H.  Va  g  a  n  a  y) 215 

Lecomte,  Ch.    Le  parier  dolois  (D.  B  e  h  r  e  n  s) 280 

Lefranc,  Abel.     Maurice   de   Guerin   (J.   Haas)        95 

Le  Pileur,  L.    Les  maladies  de  Venus  dans  l'oeuvre  de  Frangois 

Villon  (W.  von  Wurzbach) 214 

Löseth,  E.    Notes  de  syntaxe  frangaise  (Theodor  Kalepky)     264 
Lovinesco,   E.     Jean- Jacques  Weiss  et  son  oeuvre  litteraire  (W. 

Baldensperger) 96 

Luxenburger,  H.    Die  verbalen  Praefixe  der  französ.  Sprache  (D. 

Behrens) 126 

Maugain,  Gabriel.    Documenti  bibliografici  e  critici  per  la  storia 

della  fortuna  del  Fenelon  in  Italia  (P.  T  o  1  d  o) 31 

Meyer,    Paul.     Documents   linguistiques  du  Midi   de   la  France 
recueillis   et   publies   avec   glossaires   et   cartes.    (Emil 

Levy) 258 

Millardet,  Georges.    Recueil  de  textes  des  anciens  dialectes  landais 

(E  m  i  1  L  e  V  y)      260 

Münch,  W.     Didaktik  und   Methodik  des  französ.   Unterrichts. 

3.  Aufl.  (A.  S  t  u  r  m  f  e  1  sl        127 

La  Noble  Legonp.  p.  A.  de  Stefano  [E.  S  t  eng  e\) 207 

Nyrop,   Kr.     Grammaire  historique  de  la  langue  frangaise   III 

(K.  E  ttmay  er) 110 

Odain,  Louise.     Glossaire  du  patois  de  Blonay  (D.  Behrens)     280 
Pf  ister.    Fr.      Kleine    Texte    zum    Alexanderroman    (Alfons 

Hilka)       203 

Pfohl,  Ernst.    Neues  Wörterbuch  der  französischen  und  deutschen 

Sprache  (C.  T  h.  L  i  o  n) 294 

Pitollet,  C.  La  querelle  calderonienne  de  Johan  Nicolas  Bohl  von 

Faber  et  Jose-Joaquin  de  Mora  (L.  P.  T  h  o  m  a  s)    .   .    .       39 
Prou,  Maurice.  Manuel  de  paleographie  latine  et  frangaise  (Jean 

Ach  er)      230 

Ravanat,  Albert.    Dictionnaire  du  patois  des  environs  de  Grenoble 

(D.  B  ehr  ens) 280 

RochebM'e,  S.    George  Sand,  Lettres  k  Poncy  (W\  H  a  a  p  e)  .    .       56 


Seite 
Rod,  E.  George  Sand  et  le  public  d'aujourd'hui  (W.  H  a  a  p  e)  56 
Rock,  Hubert.  Worte  Montaignes.  (Josef  Frank)  .  .  .  .  218 
Rossmann,  Ph.  und  Schmidt,  F.   Lehrbuch  der  französ.  Sprache  auf 

Grundlage  der  Anschauung  (August  S  t  u  r  ni  f  e  1  s)  .  289 
Rousselot,  Vabhe.     Principes  de  phonetique  experimentale  I.  II 

(A.  Franz) 104 

Sand,  G.  —  Neuere  Arbeiten  über  Georges  Sand  (W.  H  a  a  p  e)  56 
Sandfeld,  Jensen,  Kr.   Bissetningerne  i  Moderne  Fransk  (A.  S  t  e  n- 

hagen)      123 

Schenk,  A.     Table  comparee  des  observations  de  Callieres  sur 

la  langue  de  la  fin  du  XVIIe  s.  (M.  J.  M  i  n  k  w  i  t  z)  .  .  124 
Schiff,  Mario.    La  fille  d'AUiance  de  Montaigne  Marie  de  Gournay 

(J.  Fr  ank) 28 

Schroeder,  Leopold  v.     Die  Wurzeln  der  Sage  vom  heiligen  Gral 

(E.  Brügge  r) 163 

Seche,  A.  et  Bertaut,   J.     La  vie   anecdotique  et  pittoresque  des 

grands  ecrivains.     George  Sand  (W.  H  a  a  p  e) 56 

Simon  de  Crepy.     Deux  anciens  poemes  inedits  sur  saint  Simon 

de  Crepy  \>.  p.  E.  Walberg  {J.  Ach  er] 9 

Steward,  H.  F.  and  Tilley,  A.    The  romantic  movement  in  French 

literature  (W.  K  ü  c  h  1  e  r)      50 

Sturel,   R.     Jacques  Amyot,   traducteur  des  Vies  Paralleles  de 

Plutarque  (W.  Martini)      19 

Thiergen,  O.     Methodik   des  neuphilologischen  Unterrichts  (A. 

Sturm  f  eis)       128 

Thorn,  A.   Chr.     Les  verbes  parasvnthetiques  en  Fran(^ais  (Fj. 

Richter)         ' 109 

Traube,  Ludwig.    Vorlesungen  und  Abhandlungen  II:  Einleitung 

in  die  lateinische  Philologie  des  Mittelalters,  herausgegeben 

von  Paul  Lehmann  (JeanAcher) 228 

Vossler,  K.  Die  Kunst  des  ältesten  Trobadors  ( J.  A  c  h  e  r)  .  .  .  6 
Wechssler,  Eduard.     Das  Kulturproblem  des  Minnesangs  (W  a  1  - 

ther  K  üchler)        176 

MiSZELLE. 

Steinweg,  C.  Einige  merkwürdige  Beispiele  von  Kompositions- 
Übertragungen.  Corneille,  Racine,  La  Fontaine  und  Lio- 
nardo  da  Vinci 295 

Novitätenverzeichnisse 135.  310 


Eeferate  und  Rezensionen. 


•Iiilliiin,  Camillc.  Ilisioire  de  la  Gaule.  III  la  conquete 
romaine  et.  les  premieres  invasions  gennaniqiies .  607  S. 
Paris,  Hachotte  et  Cie.,  1909. 

Die  Frühgeschichte  eines  Landes  ist  im  allgemeinen  mit 
wenigen  Strichen  zu  zeichnen.  Wer  das  Werk  Jullians  in  die 
Hand  nimmt,  wird  meinen,  Gallien  bilde  die  bekannte  Ausnahme 
der  Regel.  Ein  Jahrtausend,  von  600  v.  Chr.  bis  400  n.  Chr., 
soll  zur  Darstellung  gelangen.  Drei  große  Bände  liegen  bis  jetzt 
vor  mit  zusammen  fast  1700  Seiten,^)  am  Ende  lesen  wir  erst 
die  Übergabe  der  alten  Griechenstadt  Massalia  an  Caesar  im 
September  des  Jahres  49  v.  Chr.!  Und  dabei  sind  die  Farben 
späterer  Zeiten  nicht  mehr  als  unbedingt  nötig  zur  Kolorierung 
der  gezeichneten  Bilder  verwendet,  ist  das  Material  des  provin- 
zialen  Galliens  nur  zur  Aushilfe  für  das  freie  Gallien  herangezogen. 

Drei  weitere  Bände,  also  wohl  ein  alterum  tantum  sind  an- 
gekündigt,^)  die  für  die  Schilderung  des  römischen  Galliens  diese 
gleichzeitigen  Quellen  erst  ausschöpfen  werden.  Man  sollte 
meinen,  wir  schwelgten  im  Nachrichtenüberfluß. 

Tatsächlich  steht  es  um  die  Frühgeschichte  Galliens  nicht 
anders  als  um  die  anderer  Länder.  Nur  für  das  letzte  Jahrzehnt 
vor  der  Einverleibung  in  das  römische  Reich  haben  wir  zusammen- 
hängende Kunde,  auch  diese  noch  einseitig  auf  den  Krieg  orien- 
tiert. Was  vorher  Frankreichs  Völker  erstritten  und  erlitten, 
das  ist  vergessen  bis  auf  wenige  Einzelheiten.  Und  ihr  Handel 
und  Wandel,  ihr  Leben  und  geistiges  Streben  ist  noch  schlechter 
bekannt.  Wohl  gibt  es  ja  von  dem  gallischen  Volksstamm  mehr 
zusammenhängende  größere  Schilderungen  als  von  allen  andern 
alten  Völkern  —  Polybios,  Caesar,  Diodor,  Strabon,  Athenaeus, 
Ammian  vor  andern  sind  zu  nennen  —  aber  das  Fazit  entspricht 

1)  Bd.  I  les  invasions  gauloises  et  la  colonisation  grecquc,  530  Seiten, 
erschienen  1908;  Bd.  II  la  Gaule  independante,  557  Seiten,  erschienen 
1908;  Bd.  III  la  conquete  romaine  et  les  premieres  invasions  germaniques , 
007  Seiten,  erschienen  1909. 

-)  Bd.  IV  le  gouvernement  de  Rome;  Bd.  V  la  civilisatinn  gallo- 
romaine;  Bd.  A''I  Ic  Bas  Empire. 

Ztsclir.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  1 


2  Referate  and  Rezensionen.     Max  L.  Strack. 

den  vielen  Rechnungsposten  nicht.  Die  genannten  Autoren 
Jiängen,  Polybios  und  vielleicht  Caesar  ausgenommen,  alle  von 
der  Schilderung  des  Poseidonios  ab,  und  liefern  so  mehr  oder 
minder  ausführhch  Kopien  desselben  Bildes.  Und  dieses  Original, 
an  sich  von  packender  Wirkung,  hat  noch  dazu  so  manche  Züge, 
die  wenige  Worte  des  Nacherzählers  fordern,  für  die  wir  gern 
andere  uns  wichtigere  gemalt  sähen. 

Bei  diesem  Tatbestand  der  literarischen  Quellen,  deren 
Dürftigkeit  für  die  Zeit  vor  49  v.  Chr.  nur  um  ein  weniges  durch 
Münzen,  Inschriften  und  sonstige  Funde  gemildert  wird,  geht 
man  mit  einigem  Zweifel  an  die  Julliansche  Darstellung  auf 
1700  großen  Seiten,  auf  denen  noch  dazu  kleingedruckte  An- 
merkungen einen  nicht  unbeträchtlichen  Raum  einnehmen.  Jahr- 
hunderte lang  schon  arbeiten  Berufene  und  Unberufene  an  dem- 
selben Thema  und  öfters  hat  ihre  Arbeit  in  dickleibigen  Werken 
ihren  Niederschlag  gefunden,  was  kann  Jullians  sechsbändige 
histoire  de  la  Gaule,  wo  können  insonderheit  die  drei  ersten  Bände 
viel  neues  bieten  ?  Ist  sie  nur  ein  ungeheures  Sammelbecken 
von  Gutem  und  woniger  Gutem  ? 

Die  Enttäusclmng  ist  äußerst  angenelim.  Prof.  Jullian  ist 
ein  Gelehrter,  der  wie  kaum  einer  der  Lebenden  das  Thema 
beherrscht.  Seit  mehr  als  zwei  Dezennien  hat  er  die  Fragen 
immer  wieder  durchdacht  und  durchgearbeitet.  Die  dritte  Auflage 
von  Fustel  de  Goulanges  histoire  des  institulions  poliiiqiies  de 
Vancienne  France  1891  stammt  von  ihm,  ,,Gallia"  {tableau  som- 
maire  de  la  Gaule  saus  la  doniination  romaine)  ließ  er  1892  er- 
scheinen, in  der  revue  historique  stehen  seine  Berichte  über  die 
antiquites  nationales  igauloises  et  galloromaines) ,  ein  eigenes  Buch 
ist  dem  Nationalhelden  Vercingetorix  gewidmet,  und  diese 
Liste  ist  leicht  zu  erweitern.  .So  steht  Jullian  als  Meister  über 
der  Materie,  und  da  ihm  auch  die  Sprache  willig  gehorclit,  so 
ist  es  ein  Vergnügen,  ihm  auf  seinen  Wanderungen  zu  folgen, 
die  häufig  auch  für  den  Fachmann  zu  ungeahnten  und  schönen 
Ausblicken  führen. 

Freilich,  Zeit  muß  der  Leser  haben,  und  auf  seinen  Schein, 
eine  Geschichte  Galliens  zu  lesen,  darf  er  nicht  zu  engherzig 
bestehen.  Ganze  Kapitel  wie  etwa  la  guerre  d'Hannihal  (I,  440 
bis  503),  les  Cimbres  et  Teutons  (III,  39 — 92)  geben  für  Gallien 
nur  wenig  aus,  und  auf  vielen  Seiten  steht  nichts  auf  das  Land 
und  seine  Geschichte  Bezügliches.  Manch  andere  wieder  — 
reichlicli  viele  —  sind  ausgefüllt  mit  Betrachtungen  über  Dinge 
und  Zustände,  von  denen  wir  so  gut  wie  nichts  wissen,  und  alle 
Läuschen  der  alten  Autoren  werden  nacherzählt.  Die  mit  Ketten 
im  Gefechte  verbundenen  Cimbern  (S.  91)  erscheinen  ebenso  wie 
die  Hundemassen  des  märchenhaften  Königs  Bituit,  die  mit  den 
Menschenleibern  einer  römisclien  Armee  niclit  zu  sättigen  waren 
(S.  17). 


Jullian,  CdDiillc     JliUoire  de  la  Caiüe.  3 

Die  Freiheit,  zu  sagen  was  beliebt,  der  so  manches  wissen- 
schaftHche  Buch  in  Frankreich  jetzt  sein  embonpoint  verdankt, 
ist  hier  in  vollen  Zügen  ausgekostet.  Ist  sie  wie  manchenorts 
aucli  ein  Fehler  Jullians  ? 

Man  wird  die  Antwort  von  der  Fiagc  nach  dem  Leserkreis 
abhängig  machen,  für  den  das  Werk  gedacht  ist.  Und  dieser  ist 
nicht  klar.  Sind  es  dilettanti,  denen  die  Liebe  zum  Vaterlande 
die  Ausdauer  zw  solcher  Lektüre  gibt  ?  Wir  werden  Frankreicli 
beglückwünschen,  das  ein  solches  Werk  nach  manchem  ähnlichen 
^^orgänger  aufzunehmen  vermag.  Aber  wozu  dann  der  ungeheufr 
gelehrte  Ballast  aller  Belegstellen,  wozu  die  Seiten  voll  Literatur 
von  Dupleix  memoires  de  Gaules  1639  und  Althamer  commentaria 
Germaniae  1536  an  bis  auf  die  Einzeluntersuchungen  des  Jahres 
1909  ?  Selbst  dilettantissimi  werden  die  mit  Lokalliteratur  ge- 
spickten Anmerkungen  über  diesen  oder  jenen  Punkt  im  Terrain 
nicht  zu  würdigen  vermögen. 

Und  wieder,  wenn  das  Buch  auf  die  Fachgenossen  im  engeren 
Sinn  berechnet  ist,  dann  fehlt  bei  aller  Anmerkerei  und  aller 
Breite  die  Auseinandersetzung  mit  entgegenstehenden  Meinungen 
und  die  Berücksichtigung  ihrer  Ergebnisse.  Ich  für  meine  Person 
z.  B.  freue  mich  des  Glaubens  Jullians  an  Caesars  Glaubwürdig- 
keit und  halte  seine  Abweisung  der  modernen  Hyperkritik  für 
durchaus  zutreffend,  wie  sie  bei  uns  etwa  Delbrück  treibt,  wie 
sie  gelegentlich  auch  bei  Ferrero  zum  Durchbrucli  kommt  bei 
seinem  Streben,  Neues  zu  sagen.  Aber  in  einem  Buche  für 
Fachgenossen  können  gegenteilige  Meinungen  so  schwerwiegender 
Art  nicht  in  wenigen  Zeilen  abgetan  werden.  Die  Frage  nach 
der  Entstehung  des  bellum  gallicmn  ist  nicht  erledigt  mit  dem 
Satze  «son  livre  (Caesars)  a  ehe.  improvise,  je  crois,  au  cours  de 
l'hwer  de  52 — 51  a.  Chr.»  (S.  151).  Das  muß  bewiesen  werden, 
wenn  das  Buch  für  die  Fachgenossen  geschrieben  ist.  So  gut 
wie  der  Zweck  der  Publikation  der  commentarn  Caesaris  und  ihre 
Stellung  in  der  Literatur  erörtert  sein  wollen.  Und  andrerseits, 
dem  Fachgenossen,  auch  dem  geduldigsten,  dürfte  die  Paraphrase 
der  Caesarischen  Denkwürdigkeiten  auf  388  Seiten  (III,  175 — 563; 
bei  Teubner  umfaßt  das  bellum  galUcum  225  halb  so  große  Seiten) 
zu  viel  sein.  Statt  der  Reden  und  Listen  des  Ambiorix,  statt 
der  langen  Beschreibung  von  Ciceros  Belagerung  hätte  ich  dann 
doch  lieber  eine  längere  Erörterung  über  Ferreros  bestechende 
Hypothese  gesehen,  nach  der  Caesar  nach  dem  zweiten  Kriegs- 
jahr die  Römer  mit  der  Erklärung  Galliens  zur  Provinz  düpierte. 
Wie  denn  ein  Eingehen  auf  diese  neueste  überraschende 
Darstellung  der  Caesarischen  Politik  wohl  am  Platz  gewesen 
wäre. 

Der  dritte  Band  stellt  dem  Verfasser  eine  andere  Auf- 
gabe wie  die  vorhergehenden  zwei  und  wie  die  nachfolgenden 
drei.    Es  ist  der  einzige,  in  dem  gallische  politische  Geschichte  zu 

1* 


4:  Referate  und  Rezensionen.      Max  L.  Sirack. 

erzählen  und  historische  Personen  zu  scliildern  waren.  Vorher 
wissen  wir  nur  Einzelheiten,  nachher  gibt  es  keine  gesonderte 
galüsche  Geschichte.  Die  Schlachten,  die  man  auf  Galliens 
Boden  schlug,  gehören  der  Reichsgeschiciito  an;  für  Jahrhunderte 
ist  nach  49  v.  Clir.  mit  der  Selbständigkeit  aucli  die  selbständige 
Geschichte  7ai  Ende. 

Ist  Jullian  der  Aufgabe  gerecht  geworden?  Nicht  su  gut 
wie  sonst.  Vielleicht  ist  dieser  Band  für  die  Leser,  die  doch 
wohl  in  den  Gebildeten  eines  weiteren  Kreises  zu  suclien  sind, 
iler  amüsanteste.  Aber  Jullians  Stärke  ist  die  des  Kulturhislori- 
kers  mehr  als  die  des  Historikers.  Die  Hauptfigur  des  ganzen 
Bandes  ist  stark  verzeichnet.  Gaiiis  Julius  Caesar  amoureux  de 
la  victoire  jusqu'ä  la  folie  (S.  473),  acec  une  folie  de  gloire  (S.  282) 
r/ui  a  hesoin  des  victoires  itnpossibles  et  des  gloires  inconnues  (S.  321), 
der,  mehr  als  Alexander  und  Napoleon,  immerfort  das  Opfer 
einer  unerbittlichen  Kraft,  von  dem  Ehrgeiz  zu  herrschen,  be- 
jühmt  zu  sein  in  aller  Welt,  berühmter  als  alle  Toten,  geschüttelt 
wurde  ohne  Maß  und  Rast  (S.  168)  —  d  e  i'  Caesar  ist  ein  Fratz. 

Und  es  freut  nicht,  7.ur  Unterstützung  dieses  Bildes  die  alte 
Anekdote  vom  tränenvergießenden,  vor  Alexanders  Statue 
stöhnenden  Caesar  wieder  zu  lesen.  Tyrannische  Kraft  der 
Machtträume  soll  seinen  Verstand  umnebelt  haben,  und  er  kämpfte 
gegen  die  Naturgewalten,  um  es  dem  Herkules  gleich  zu  tun. 
Natürlich,  auch  Jullian  erkennt  große  Züge  im  Wesen  Caesars: 
starke  Intelligenz,  großes  Organisationstalent  und  ungeheure 
Arbeitskraft.  Aber  des  Diktators  Mensclienkenntnis  ging  nicht 
über  die  Erfahrung  des  Arbeiters,  der  seine  Werkzeuge  kennt, 
seine  militärisclie  Kapazität  war  nicht  von  der  Originalität  eines 
Hannibal  oder  Napoleon.  Kriege  wie  Kriegsbeschreibung,  sie 
sind  korrekte  Werke,  die  die  Schule  spüren  lassen  nicht  das 
Genie.  Für  Gallien  war  Caesar  ein  Ungeheuer  —  il  na  laisse, 
de  son  passage  en  Gaule,  aucun  souvenir  qui  le  fasse  estimer  — 
und  zur  Niederlegung  seiner  Ausnahmegewalt  im  Jalu'e  50  v.  Clu-., 
wie  er  es  nach  dem  Gesetze  gemußt  hätte,  fehlte  ihm  ck-r  Mut 
und  die  Ehrbarkeit  (vertu). 

Man  braucht  nicht  auf  Mommsens  ,, ersten  und  doch  auch 
einzigen  Imperator  Caesar"  eingescliworen  zu  sein,  um  Jullians 
Cliarakteristik  für  ganz  verfehlt  zu  Jialten.  Die  Tatsaelie  allein, 
die  er  selbst  zu  Anfang  der  zusammenhängenden  Schilderung 
anführt  (S.  167),  daß  Caesar  43  Jahre  alt  wurde,  ehe  er  sich  über 
den  Durchschnittsmenschen  erhob,  hätte  ihn  vor  dem  Zerrbild 
des  ruhmtollen  Caesar  behüten  sollen.  Wenn  außerordentliche 
Taten  das  Genie  bezeugen,  so  kündet  Caesars  KriegsfiUirung' 
laut  seine  Größe.  Ihm  hat  kein  Gegner  im  Norden  oder  im 
Süden,  mit  welcher  Macht  auch  immer  er  sich  ihm  entgegenstellte 
in  Afrika  oder  Europa,  auf  die  Dauer  widerstanden.  Aus  jeder 
Gefahr  ging  schließlich  er  als  Sieger  hervor  und  das  nur  durch 


JulIüiN^   CnmiUc.      Ilisinirc  de  l<i  (ittulc  5 

t'igene  Strategie  und  Taktik.  Und  wenn  man  die  Größe  eines 
Mannes  aus  der  Herrschaft  seiner  Ideen,  aus  dem  Fortleben 
seines  Einflusses  messen  soll,  so  gehört  Caesar  zu  den  ganz  Großen. 
Manches  auch  großen  Mannes  Gedäclitnis  liat  die  Gescliiclite  Ix'- 
wahrt,  das  man  tilgen  könnte,  t»hne  sie  unverständlich  zu  machen. 
Wer  Caesars  Namen  ei'adierl,  z(>rbricht  die  Kontinuität  des 
weltgeschichtlichen  Verständnisses.  Napoleons  Geschichte  Caesars 
ist  kein  Meisterstück  im  einzelnen,  aber  die  Vorrede,  die  der 
Kaiser  in  den  Tuilcrien  1862  schrieb  und  die  sich  gegen  die  Hei'alv 
siMzung  des  Genies  richtet,  liätte  sein  Tjiindsiiiann  .Tullian  wohl 
in   Überlegung  zielten  dürfen. 

Es  ist  noch  ein  anderes  Urteil,  das  Verwunderung  erregt: 
\"  e  r  c  i  n  g  e  t  o  rix  ebenbürtig  dem  f  I  a  n  n  i  b  a  1 ! 
(S.  535).  Der  gallische  lläupthng,  (h^r  im  eigenen  Lande  von 
allen  Galliern  unl erstützt  während  einer  Sommerkampagne  dem 
Caesar  kräftigen  Widerstand  zu  leisten  wußte,  um  nach  der 
ersten  schweren  Niederlage  die  Sache  des  Vaterlandes  verhiren 
und  sich  gefangen  zu  geben,  ebenbürtig  dem  Punier,  der  Italien 
und  Rom  in  der  Zeit  ihrer  besten  Wehrkraft  siebzehn  Jahre  in 
Angst  und  Schrecken  bangen  ließ  und  den  Weltkrieg  entfesselte 
im  Feindesland  als  Führer  eines  buntsclieckigen  Söldnerheeres, 
wo  einer  den  andern  nicht  verstand,  beargwöhnt  und  schlecht 
unterstützt  von  der  Heimat  ?  Man  staunt,  aber  vielleicht  er- 
klären sich  diese  zwei  falschen  Urteile  gegenseitig.  Der  retro- 
spektive Patriotismus  hat  sie  diktiert:  Der  ritterliche  Held  der 
sterbenden  Freiheit  der  geliebten  Heimat  und  der  fremde,  beute- 
gierige Imperator  —  die  Versuchung  war  zu  groß,  und  Jullian 
ist  ihm  erlegen. 

Um  Manches  —  Großes  und  Kleines  —  ließe  sich  noch  mit 
dem  Verfasser  rechten;^)  die  Natur  der  Quellen  bringt  es  mit 
sich.  Das  Gesamturteil  wird  durch  alle  ab w^eichenden  Meinungen 
nicht  beeinträchtigt  werden,  und  das  hat  dahin  zu  lauten,  daß 
.Tullians  Werk  eine  hervorragende  Stellung  in  der  überreichen 
Literatur  über  Gallien  einnimmt  und  auf  lange  einnehmen  wird. 
Wir  freuen  uns  aufrichtig  auf  die  angekündigten  Fortsetzungen, 
und  fügen  nur  den  mehr  an  den  Verlag  gerichteten  Wunsch 
liinzu,    dem   großen   Werke   noch   größere    Brauchbarkeit   durch 

^)  Recht  fraglich  ist  die  erst  ultramontane,  dann  nationale  Rolle 
der  Druiden  im  großen  Kampfe  (S.  374),  —  Ariovists  Prahlrede,  mit 
der  Caesar  in  Rom  schrecken  und  seine  Politik  verteidigen  wollte, 
darf  nicht  ernsthaft  für  politische  Pläne  des  Germanenkönigs  in  An- 
spruch genommen  werden  (S.  234),  —  die  römischen  Legionen  sind 
nicht  wie  Akrobaten  auf  das  Schilddach  der  Germanen  in  der  ^lül- 
liauser  Schlacht  hinauf  gesprungen  (S.  238),  —  der  Rhein  ist  zu 
Tiberius  Zeit  links  und  rechts  von  Germanen  bewohnt,  i.st  wirklich 
Deutschlands  Strom,  nicht  Deutschlands  Grenze,  wie  Jullian  (S.  240) 
sagt,  —  die  gemeinsame  origo  von  Germanen  und  Kelten  ist  sehr 
liestritten  (S.  40  und  Verweise).     U.  a.  m. 


6  Referate  und  Rezensionen.     Jean  Acher. 

Hinzufügen  von  Karten  zu  geben,  wie  etwa  sie  Desjardins  Geo- 
graphie historique  et  administrative  de  la  Gaule  romaine  in  so 
holiem  Maße  auszeichnet. 

Gießen.  Max  L.   Strack. 

Vossler.  Karl.  Die  Kunst  des  ältesten  Trobadors  (Estr. 
dalla  MisceUanea  di  studi  in  onore  di  Attilio  Hortis). 
Trieste,   G.  Caprin,   1910.     (p.  419  ä  440.  in  4'\) 

Dans  son  beau  livre  sur  Die  göttliche  Komödie,  M.  Vossler 
a  consacre  quelques  pages,  necessairement  un  peu  sommaires 
mais  pleines  de  finesse,  aux  troubadours,  et  ce  premier  essai 
de  remplacer  les  banalites  d'usage  par  une  critique  digne  de  ce 
nom  nous  a  fait  ardemment  desirer  que  M.  Vossler  se  decidät 
ä  publier  un  livre  entier  sur  ce  sujet  maltraite  entre  tous.  La 
presente  etudo  nous  annoncerait-elle  la  venue  prochaine  de  ce 
livre  ?  Je  ne  sais.  Toujours  est-il  que  M.  Vossler  s'y  attaque 
aux  debuts  de  la  poesie  des  troubadours,  ä  Tart  de  Guillaume  VIL 

Je  ne  dirai  aucun  bien  de  cette  etude.  Les  qualites  de 
M.  Vossler  sont  connues,  et  il  serait  peu  utile  de  redire  une  fois 
de  plus  ce  que  tout  le  monde  repete  ä  propos  de  chaque  ouvrage 
nouveau  du  distingue  critique.  II  me  semble  que  je  rendrai 
plus  dignement  hommage  au  talcnt  de  M.  Vossler  en  lui  sou- 
mettant,  en  toute  franchise,  les  doutes  et  les  objections  qui  me 
sont  venus  lors  de  la  lecture  de  sa  plaquette. 

Le  but  de  cette  brochure  est  de  contribucr  ä  nous  faire 
mieux  comprendre  l'histoire  des  origines  de  cc  que  l'auteur  croit 
etre,  ä  tort,  d'ailleurs,  parce  qu'il  oublie  la  poesie  latine  du  moyen 
äge,  ,,la  plus  ancienne  des  poesies  lyriques  modernes".  Son 
moyen  est  Tanalyse  esthetique  des  poesies  conservees  du  comte 
de  Poitiers,  et  sa  conclusion,  c'est  que  Guillaume  VII  hesite 
enfre  un  art  ancien  et  un  art  nouveau,  ä  savoir  entre  la  poesie 
po|)ulaire  et  la  poesie  courtoise. 

C'est  donc  une  conclusion  purement  historique  tiree  d'une 
etude  esthetique.  On  s'en  rejouirait,  si  les  analyses  de  M.  Vossler 
apportaient  une  confirmation  ä  la  theorie  qui  fait  deriver  l'art 
raffine  des  poetes  courtois  des  naives  ou  grossieres  chansons 
au  son  desquelles  les  gars  de  campagne  et  les  filles  de  ferme  sont 
sui)poses  avoir  fete  le  printemps  anterieurement  ä  la  seconde 
moitie  du  XP  siecle.  II  n'en  est  malheureusement  ricn.  Die 
Kunst  des  ältesten  Trobadors  n'apporto  pas  le  moindre  argument 
en  faveur  de  cette  these  pour  la  raison  bien  simple  qu'elle  la 
supposc  etablie.  Que  Tart  des  troubadours  procede  de  l'art  du 
peuple,  c'est  un  fait  pour  M.  Vossler.  II  racceptc  pour  certain. 
et  en  fait  la  base  de  ses  anah^ses,  qui  ont  pour  but,  comme  je 
Tai  dit  tout  ä  l'heure,  de  contribuer  ä  nous  eclairer  sur  les  origines 
de   la   poesie   lyriquo   provencale    (Entstehungsgeschichte  p.    419). 


Vo>'sk/\   Karl.      Die  Knnsi  des  ülicsleii  Trobadors.  7 

Ccttc  Petition  de  principe  nc  surprendra  personne:  outre 
que  c'est  lä  le  procede  ordinaire  en  histoire  conjecturale,  et  pour 
une  fois  M.  Vossler  s'cst  fait  historien  conjecturist(\  il  ne  faut 
pas  perdre  de  vue  que  Tanalyse  esthetique  est  un  pietre  moyen 
d'investigation  historiqne,  car  la  valeur  esthetique  de  la  poesie 
n'est  pas  d'ordre  historique.  ,,In  Walirheit,  avons-nous  lu  dans 
un  petit  Mvre  dont  M.  Vossler  est  seul  ä  avoir  perdu  le  souvenir, 
kann  nur  der  Stoff  zeitlich  und  räumlich  bedingt  sein,  die  Form 
aber,  welche  das  Wesen  der  Dichtung  und  der  Sprache  überhaupt 
<>rst  ausmacht,  bleibt  ewig  die  freie   Schöpfung  des   Geistes".^) 

N'exagerons  pas  la  portee  de  cette  meprise.  Si  la  theorie 
lies  origines  populaires  de  la  lyrique  courtoise  est  vraic,  M.  Vossler 
n'aura  pas  contribue  ä  nous  convaincre  de  sa  justesse.  Si  par 
contre  ce  sont  les  idees  prönees  par  M.  M.  F.  Novati,  Wilh.  Meyer 
(de  Spire),  F.  M.  Warren  et  J.-B.  Beck  qui  doivent  triompher 
un  jour,  il  n'aura  pas  ä  se  reprocher  d'en  avoir  rendu  le  succes 
plus  difficile.  De  toute  fagon  le  mal  n'est  pas  grand.  La  fausse 
conclusion  d'un  livre  importe  peu  si  eile  n'en  est  que  la  conclusion. 
Mais  Ic  plus  souvent  il  n'en  est  pas  ainsi.  Le  danger  des  petitions 
de  principe  n'est  pas  de  tromper  les  lecteurs  —  l'auteur  en  est, 
pour  la  plupart,  la  seule  dupe,  —  mais  de  gäter  le  livre  par  le 
fait  que  la  conclusion  ä  demontrer,  acceptee  d'emblee  pour 
certaine,  regne  en  maitresse  souveraine  dans  l'ouvrage  entier 
et  en  commande  toutes  les  propositions  en  qualite  de  premisse 
necessaire. 

L'etude  de  M.  Vossler  n'echappe  pas  completement  ä  cette 
regle.  Assurement,  il  y  a,  dans  cette  plaquette,  des  remarques  fort 
justes  et  tres  fines.  M.  Vossler  a  beau  vouloir  ferrailler  dans 
l'histoire,  il  n'y  arrive  pas;  son  temperament  se  montre  absolument 
rebelle  ä  cet  exercice.  Mais  on  ne  mime  pas  le  geste  d'autrui 
Sans  changer  quelque  peu  ses  fagons  ä  soi.  Les  premiers  chapitres 
de  M.  Vossler  ne  se  ressentent  pas  encore  outre  mesure  de  ses 
preoccupations  d'historien  conjecturiste :  nous  sommes  au  debut 
de  l'ouvrage,  et  le  besoin  de  häter  la  conclusion  n'est  pas  pressant. 
Mais  au  für  et  ä  mesure  qu'on  approche  de  la  fin,  sa  critique 
esthetique  perd  ses  qualites  habituelles  de  penetration  et  de 
finesse.  Elle  devient  tout  ä  fait  insuffisante  dans  l'analyse  de 
la  pieco  Compaigno,  tant  ai  agiitz.  A  propos  du  vers  Non  m'azauta. 
rons  gardatz  ni  gorcs  ses  peis,  M.  Vossler  observe :  gemeine  Natiir- 
moral.  C'est  vrai,  mais  nous  en  avions  quelque  pressentiment 
en  nous  apercevant  que  M.  Jeanroy  avait  du  neghger  de  traduire 
cette  piece,  dans  son  edition,  pour  ne  pas  mettre  notre  pudeur 
ä  une  trop  rüde  epreuve.  Senker  Dieus,  qiiez  es  del  mon  capdels 
e  reis,  Qui  anc  premiers  gardet  con,  com  non  esteis?  L'invocation 
ä   la   divinite,    forme,    nous   revele-t-on,    avec   la   grossierete   de 

1)  Sprache  als  Schöpfung  and  EnUvicklung  (Heidelberg  1905)  p.  95. 


8  Referate  und  Rezensionen.     Jean  Acher. 

l'idee  exprimee,  un  penible  contraste.  G'est  encore  vrai,  mais 
les  miss  et  las  mistress  anglaises  que  nous  avous  eues  pour  cama- 
rades  d'etudes  nous  ont  par  trop  souvent  assure  que  cette  piece 
etait  shocking,  awjally  shoch^ng  pour  que  nous  nous  permissions 
de  concevoir  le  moindre  doute  ä  cet  egard.  Le  contraste  entre 
la  grossierete  cynique  et  le  pieux  pathos,  qu'il  soit  intentionnel 
ou  non,  est  toujours  le  signe  d'un  art  barbare,  ajoute  M.  Vossler, 
et  avec  cette  phrase  il  est  au  bout  de  son  latin.  G'est  tout  ce 
qu'il  sait  nous  apprendre  au  sujet  de  cette  piece.  Mais  ou  cette 
phrase  n'est  qu'une  nouvelle  manifestation  de  Thumcur  que 
M.  Vossler  eprouve  ä  la  Iccture  de  notre  chanson,  et  alors  olle 
n'ajoute  rien  aux  revelations  precedentes,  ou  bien  eile  constitue 
un  jugement  esthetique,  et  dans  ce  cas  eile  serait  assez  singuliere. 
Gar  outre  qu'au  point  de  vue  esthetique  un  contraste  accidentel 
differe  un  peu  d'un  contraste  intentionnel,  il  convient  de  se 
rendre  compte  que  lä  oü  la  grossierete  devient  cynique,  l'intention 
est  necessairement  presente.  Est-il,  au  surplus,  bien  certain 
que  le  procede  qui  agace  M.  \' ossler  eüt  souri  ä  un  ostrogot  ? 
Voici  deux  couplets  pleins  de  Witz  des  Zynikers  et  qui  ne  manquent 
])as  de  Pathos  des  Predigers: 

Meum  est  propositum  in  taberna  mori; 

Sit  uinum  appositum  morientis  ori, 
Ut  dicant,  cum  uenerint,       angelorum  chori: 

,,Deus  sit  propicius  huic  potatori". 

Magis  quam  ecclesiam  diligo  tabernam; 

Ipsam  nullo  tempore  spreui,  neque  spernam, 

Donec  sanctos  angelos  uenientes  cernam 

Gantantes  pro  ebriis  requiem  eternam. 

Ges  vers  sont  librcs,  mais  ils  nc  sont  pas  d'un  rustre.  11s  peuvent 
offusquer  un  devot  et  provoquer  l'indignation  d'un  adherent 
de  la  Groix  Bleue,  mais  ils  ne  denotent  nullement  la  main  d'un 
sauvage  naivement  brutal  de  l'epoque  des  invasions. 

Si  les  poesies  licencieuses  de  Guilluume  n'ont  pas  trouve 
gräce  devant  M.  Vossler,  la  chanson  Pos  de  chantar  oü  le  comte 
prend  conge  du  monde  n'a  guere  ete  jugee  moins  severement  par  lui. 
Gette  piece  deplait  a  M.  Vossler,  et  il  nous  en  dit  ses  raisons.  Gela 
nous  nmseigne  sur  ses  goüts  poetiques,  et  nous  ne  nous  en  plaignons 
pas.  Mais  l'opinion  de  M.  Vossjer  lui  est  personnello;  la  plupnrt 
des  lecteurs  d(;  Guillaume  de  Poitiers,  ä  commencei'  })ar  Diez, 
se  sont  trouves  emus  par  cette  chanson.  M.  Vossler  le  sait, 
mais  il  n'en  a  eure.  II  a  tort  parce  que  la  fonction  de  la  critique 
<'stlietique  n'est  pas  de  motiver,  meme  avec  ingeniosite,  des 
predilections  ou  des  aversions  individuelles,  mais  bien  d'etudier 
les  moyens  gräce  auxquels  le  poete  a  produit  sur  ses  lecteurs 
l'effet  esthetique  voulu  par  lui.  M.  Vossler  me  repondra  sans 
doute  qu'il  n'est  pas  facile  d'expliquer  ;i  d'autres  ce  qu'on  ne 


Deux  ancicns  poeoies  iiirdils  siir  saint   Simon   de   Cr/'py.       9 

coniprend  pas  soi-meme,  et  quo,  n'entendant  rii'n  a  notrc  emotion, 
il  est  cmbarrasse  de  nous  on  expliquor  les  causes.  C'est 
une  opinion.  Ce  qui  m'y  inquiete,  c'est  que  M.  Vossler,  qui 
tient  aux  etiquettes,  veut  que  la  critique  esthetique  porte  celle 
de  la  science,  et  que  je  ne  suis  pas  bien  certain  que  les  termino- 
logistes,  qui  sont  des  gens  pedants,  consentent  ä  faire  cet  innocent 
lidnneur  ä  uno  critique  impressioniste.  Car  des  goüts  et  des 
eouleurs  on  no  dispute  pas,  et  les  raisons  de  nos  preferences 
personnelles  n'ont  pas  la  force  convaincante  necessaire  pour 
s'imposer  ä  autrui.  Elles  nous  eclairent  sur  l'etat  d'esprit  du 
critique  plutot  qu'elles  ne  contribuent  ä  nous  faire  mieux  com- 
prendro  Toeuvre  critiquec.  Je  sais  fort  bien  que  tout  notre 
savoir  est  plus  ou  moins  subjectif,  et  que,  quoi  que  nous  fassions, 
notre  moi  deteindra  toujours  sur  notre  science.  Mais  il  ne  faut 
pas  eriger  en  principe  ce  qui  n'est  qu'une  infirmite  de  notre 
entendement.  Le  goüt  des  hommes  est  variable,  mais  il  n'en 
est  pas  moins  vrai  que  notre  sens  du  beau  repose  sur  un  certain 
nombre  de  notions  communes  ä  tous.  La  critique  esthetique 
gagnerait  ä  faire  abstraction  de  ce  qui  est  particulier  au  critique 
pour  n'operer  qu'avec  le  sens  esthetique  commun.  A  defaut 
de  raisons  theoriques,  le  simple  souci  de  requite  lui  commanderait 
d'agir  ainsi.  Car  les  troubadours,  je  le  dis  sans  mauvaise  Intention, 
ne  composaient  pas  leurs  chansons  pour  le  deduit  particuHer  de 
M.  Vossler,  mais  pour  le  plaisir  de  tous  les  amis  de  leur  art,  et 
il  est  peu  equitable  de  tancer  vertement  le  comte  de  Poitiers 
parce  qu'il  manque  un  succes  qui  n'entrait  pout-etre  pas  dans 
ses  previsions. 

Paris.  Jean  Acher. 

l>eiix  ancienii*  poemes  inedits  sur  saiut  Simon 
de  Crepy,  publies  avec  une  introduction,  des  notes 
et  deux  glossaires  par  E.  W  a  1  b  e  r  g.  Lund,  1909. 
(Extrait  des  Ann.  de  V Universite  de  Lund,  nouv.  serie, 
section  I,  vol.  6.)     93  pages  in  8*^. 

Dans  ce  volume,  imprime  avec  un  rare  soin,  M.  Walberg 
public  deux  petits  poemes  sur  s.  Simon  de  Crepi:  \^  D  o  u  conte 
S  y  mo  n  ,  en  alexandrins  accouples  deux  par  deux,  incomplet 
de  la  fin ;"  2 '  L'h  istoire  du  filz  du  conte  de  C  r  es  p  i 
en  vers  de  huit  syllabes,  extrait  du  Tombel  de  Chartrose. 

L'introduction  comprend,  outre  une  etude,  sobre  mais  precise, 
sur  le  Saint  et  sa  legende,  des  notices  detaillees  sur  la  tradition 
manuscrite,  la  langue,  la  versification  et  la  date  des  deux  poemes. 
Le  seul  reproche  qu'on  puisse  faire  ä  M.  Walberg,  c'est  d'avoir 
mis  un  peu  de  pedanterie  dans  la  composition  de  ces  notices. 
Je  ne  vois  vraiment  pas  l'interet  de  citer,  p.  ex.,  ä  propos  de  la 
rime  bien  connue   Pere  (Petrum):  pere  (patrem),  de  nouveaux 


iO  Referate  und  Rezensionen.     Jean.  Acher. 

exemples  de  ce  traitement  ni  de  repeter,  ä  l'occasion  de  la  forme 
femier,  une  explication  banale  de  la  forme  moderne  furnier,  ni 
d'appuyer  par  l'autorite  de  MM.  Rydberg  et  Nyrop  la  forme,  si 
frequente  ä  la  hasse  epoque,  du  pron.  pars.  ton.  masc.  dat.  /i,  ni 
d'observer  au  sujet  du  mot  niisere:  „inutile  de  dire  que  c'est 
un  mot  savant."  Oui,  c'est  parfaitement  inutile,  et  c'est  pourquoi 
cette  plirase,  comme  bien  d'autres  encore  dans  l'introduction  de 
M.  Walberg,  est  de  trop.  Cette  reserve  faite,  je  n'ai  qu'ä  louer 
Tauteur.  Son  etude,  claire  et  precise,  est  tres  bien  conduite. 
11  s'y  est  pourtant  glisse  quelques  erreurs  assez  fächeuses.  P.  18. 
aisius  {plus  aigres  qu'aisius  28)  est  le  nom.  non  de  l'adjectif  aisif, 
mais  du  substantif  aisil,  vinaigre.  —  P.  20  n.  4.  afaire  n'est 
pas  souvent  masc.  en  vieux  frangais  (M.  Walberg  eprouve  le 
J3esoin  d'en  citer  des  exemples!),  il  Test  toujours.  —  P.  22.  i^oir, 
poir  du  ms.  doivent  s'interpreter  non  comme  les  formes  amuies 
par  le  copiste  de  vle]oir,  p{o]oir,  mais  comme  coir,  po'ir,  formes 
usuelles  dans  le  Nord.  —  P.  22.  La  conservation  parfaite  de  la 
declinaison  dans  un  texte  qu'on  attribue  ä  la  Picardie  n'autorise 
pas  ä  le  dater  de  la  premiere  moitie  du  XIIP  sieclc  ou  ,,peut- 
etre  dejä  de  la  fin  du  XIF-  siecle",  la  persistance  tardive  de  la 
declinaison  etant  precisement  caracteristique  pour  cette  region. 

L'etude  de  la  versification  est  exempte  de  ces  negligences, 
mais  on  est  surpris  que  M.  Walberg  n'ait  pas  eprouve  le  besoin 
de  nous  renseigner  sur  la  maniere  dont  se  comporte  ki  cesure 
dans  le  poeme  Dou  conte  Symon,  lequel  est  ecrit  en  alexandrins. 
Un  vers  oü  la  coupe  ne  pourrait  etre  faite  qu'en  separant  des 
mots  etroitement  lies  ensemble,  comme  p.  ex.  Ou  eil  soiit  dont 
li  sains  /  ei>angile  raconte  20  est-il  isole  ou  frequent  dans  le  poeme  ? 
II  importerait  d'ctre  renseigne  ä  ce  sujet. 

Les  deux  textes  sont  edites  avec  soin.  La  tradition  manu- 
scrite  du  poeme  en  octosyllabes,  qui  date  de  la  premiere  moitie 
du  XIV*^  s.,  etant  fort  satisfaisante,  M.  Walberg  n'a  pas  eu 
beaucoup  de  peine  ä  en  etablir  le  texte  critique.  II  n'en  a  pas 
ete  de  meme  du  poeme  en  alexandrins,  dont  le  manuscrit  uniquc, 
du  ä  un  copiste  assez  negligent,  avait  frequemment  besoin  d'etre 
emende.  M.  Walberg  s'est  acquitte  avec  beaucoup  de  tact  et 
de  goüt  de  cette  täche  delicate.  Je  n'ai  que  tres  peu  de  remarques 
ä  presenter  sur  cette  partie  de  son  travail.  V.  23.  je  maintiendrais 
la  legon  manuscrite  Que.  C.  dohles  li  erl,  .son  bien  guerredonnes, 
qui  est  aussi  correctc  que  la  le^on  conjecturale  de  Tediteur: 
Qu'a.  C.  dohles.  —  V.  84.  Lisez:  Que  par.  I.  poi  qu'il  n'est  de 
puor  (ms.  paor)  entouchiez,  en  entendant:  ,,que  pour  un  peu  il 
serait  empoisonne  par  la  puanteur.''  —  V.  100.  /.  crapaut  enchan- 
cous,  lisez:  enchauQOUs.  Sauf  erreur,  ce  mot  n'a  encore  ete  Signale 
dans  aucun  texte.  Sa  formation  .et  sa  signification  sont  pourtant 
transparentes:  c'est  un  adjectif  forme  sur  le  subst.  enchaus; 
son  sens  ne  peut  etre  que  ,,agressif".  —  V.   104.  desouz,  lisez: 


Delix  anciens  poemes  inklits  siir  saiiit  Simon  de  Crepy.     1 1 

desoiir  cf.  v.  120.  —  V.  112.  ejjue^  quo  M.  Walberg  est  si  embarrasse 
(rexpliquer,  est  le  participc  passe  d'un  verbe  dont  la  forme  nor- 
male est,  a  rinl'initif,  esfo'ir;  onsait  que  la  conjugaison  de  ce  verbe, 
comme  celle  de  beaucoup  de  verbes  en  -ir,  est  fortement  influencee 
par  Celle  des  verbes  en  -er  (cf.  Risop,  Stiid.  z.  Gesch.  der  frz.  Konjiig. 
auf  -iV,  aux  endroits  indiques  ä  l'index  h.  v.)\  le  verbe  desfoer, 
un  doublet  d(>  desfdir,  a  exerce  ici  en  particulier  son  influence. 
Le  sens  du  passage  est:  ,,j'ai  eu  grand  tort  de  deterrer  le  cadavn; 
de  votre  perc  (cf.  v.  97,  19);  le  sergcnt  qui  vous  a  dit  tantot  la 
verite,  ne  vous  a  point  conte  une  fable." 

Le  texte  de  chacun  des  deux  poemes  est  suivi  de  notes 
explicatives  et  d'un  glossaire.  Dans  les  ,, notes",  il  y  a  de  nouveau 
des  remarques  bien  pedantes,  comme  p.  ex.  celles  oü  l'on  nous 
apprend  que  l'emploi  d'awi'r  morl  =  avoir  tue  ,,se  retrouve 
encore  de  nos  jours  aussi  bien  en  Italien  qu'en  espagnol",  que 
l'omission  du  regime  pronominal  direct  3''  ps.  devant  un  regime 
pronominal  indirect  3*^  ps.  {li  seul  pour  le  li)  est  frequente  en 
vieux  francais,  qu'eAre,  ailleurs  oirre  iter,  est  une  forme  modifiee 
sous  l'influence  d'errer  (pourquoi  pas  un  substantif  forme  directe- 
ment  sur  errer?)^  que  fr.  mod.  miroir  n'a  pas  le  meme  suffixe 
que  le  v.  fr.  mireor  etc.  etc. 

Les  glossaires  sont  assez  copieux,  mais  on  ne  saisit  pas  le 
principe  dont  l'auteur  s'est  inspire  pour  les  composer.  Ce  ne 
sont  ni  des  glossaires  des  mots  rares  ou  difficiles  ni  des  glossaires 
complets.  II  serait  vraiment  temps  que  les  editeurs  des  anciens 
textes  prissent  Tliabitude  de  mettre  un  peu  plus  de  discernement 
dans  Faccomplissement  de  cette  partie  de  leur  travail.  Les 
personnes  qui  lisent  les  textes  vieux  francais  n'ont  pas  besoin 
qu'on  leur  explique  la  signification  des  mots  tels  que  ainc,  ainz, 
cwi ender,  andeiis,  aparant,  apendre,  apert,  auciin,  bon,  chaloir  etc. 
Par  contre,  elles  ne  seraient  pas  fächees  de  connaitre  l'etendue 
du  vocabulaire  des  poetes  qu'ils  lisent,  et  quand  il  s'agit  de  textes 
aussi  courts  que  les  deux  poemes  publies  par  M.  ^^'alberg,  elles 
pourraient  meme,  semble-t-il,  demander  ä  l'editeur  de  relever  tous 
les  vocables  en  indiquant  tous  les  passages  oü  ils  se  rencontrent. 
L'exemplo  donne  si  heureusement  par  M.  de  Boer  dans  son  edition 
de  Phüomena  meriterait  d'etre  suivi. 

Le  livre  se  termine  par  une  copieuse  ,, Bibliographie".  En 
contemplant  cette  longue  liste  (trois  pages  de  petit  texte),  un 
lecteur  non  prevenu  pourrait  etre  tente  de  croire  que  le  mince 
sujet  de  la  legende  de  s.  Simon  de  Crepi  avait  fait  couler  des 
flots  d'encre  depuis  le  XVI F  siecle  jusqu'ä  MM.  Meyer-Lübke  et 
Nyrop.  II  n'en  est  evidemment  rien,  et  la  ,, Bibliographie"  de 
M.  Walberg  n'est  qu'une  liste  des  ouvrages  consultes  par  lui  ä 
un  titre  quelconque.  Aussi  son  utilite  est-elle  mediocre.  D'autant 
plus  mediocre  que  M.  Walberg  cite  les  coUections  comme  le 
Journal  des   Savants^    la    Romania   ou   les    Acta  Sanctorum   des 


12  Fiejeralc  und  Rezensionen.     Jean   Acher. 

Bollandistes  sans  indiquer  le  volume  et  la  page  auxquels  il  se 
r«';fere.     Le  but  de  Tauteur,  qui  etait  de  nous  montrer  l'etendue 

precise  de  ses  lectures,  sp  troiive  ainsi  raanque. 

Paris.  Jean  Acher. 


Vorstehender  Besprechung  sei  mir  verstattet  einige  Be- 
merkungen über  die  Reimkunst  des  Alexandriner-Textes  hinzu- 
zufügen: Über  die  Reime  des  ersten  Textes  bemerkt  der  Heraus- 
geber nur,  daß  42  der  161  (richtig  162)  Reime  weibhcli  und  52 
der  männhchen  Reime  „leonimisch"  seien,  die  anderen  seien  bis 
auf  wenige  Ausnahmen  ,, reich"  und  hebt  hervor,  daß  plusieurs 
exeniples  der  Bindung  eines  Reimwortes  mit  sich  selbst  begegneten. 
Demgegenüber  ist  zu  konstatieren,  daß  der  Dichter  sichtlich 
bestrebt  war  homonyme  oder  derivative  Reime  zu  verwenden. 
Ich  zähle  im  ganzen  91,  welche  so  bezeichnet  werden  müssen. 
iJavon  sollen  nach  W.  55  a  .1.  cop  und  203  diex  voiis  delivrera 
dem  Kopisten  zur  Last  fallen.  Weitere  homonyme  Reime  sind 
161  gens  (Leute),  193  munde  (Welt),  255  departirent:  se  d.,  107, 
197  grant:  en  g.,  93  a  gre:  de  §■. ;  25  avoir  sb:  inf.,  121  ho(i)che 
(Mund):(3s.c.v.&o«^er;,97co/?,^e(Erzäh]img):  (Graf),  191  conte{?,h.): 
(p.  p.),  273  main  (Hand):  (Morgen),  53  mains  (Hände):  (weniger), 
181  m.anoir  (inf):  (sbst.),  265  mis  (blos):  (keiner),  167  oie  (pp.): 
(sbst.),  199  poings  (Fäuste):  (Punkt),  321  ne  point:  a  p.,  33  roliers 
(sbst.):  (adj.),  37  saus  (Sou):  (sahos),  l  savoir  {M):  (sbst.),  91 
sori  (3s.):  (sbst.);  65  aperte:  ä  perte,  35  apris:  ä  pris,  231  faut  riens: 
fauriens,  135  la  tour:  l'atour,  187  navres:  n'avrez.  unter  den  deri- 
vativen Reimen  reimt  entweder  Simplex:  Kompositum:  225 
malaise:  nise,  307  mesaises:  aises,  283  hatre:  comb.,  141  chief: 
nieschief,  115  cole:  escole:  (3  s.),  211  desconfortez:  conf.,  17  conter: 
}nesc.,  165  confe:  rac,  9  contee:  rac,  95  raconis:  c,  147  croive: 
mesc,  41,  227,  237  faif:  meif.,  m  faiie:  parj.,  ^03fist:forf.^  235  jure: 
parj.,  157  lessier:  esL,  201  lii>re:  del.,  47  demetre:  m..  195  munder: 
esmonder,  77  oi'rir:  descovrir,  79  overs:  desco.,  313  purtir:  dep. 
213  parLi:  dep.,  317  departie:  p.,  315  departirent:  p.,  185  esperdu: 
p.,  7  prandre:  ap.,  201  pris:  apris,  119  seoir:  ras.  125  seri>i:  des. 
101  torne:  atorne,  49  tout:  partout,  311  vint:  conv.,  137  aviegne: 
veigne;  19  conte  (sbst.):  rac.  (3  s.),  81  fiere  (adj.):  afiere  (3  s.  c), 
67  dejois  (Schutz):  fois  (Mal),  69  eforce  (3  s.):  force  (sbst.),  123 
eonfus:  jus  (2s.),  45  gieu:  Mongieu,  207  delai  (sbst.):  lai  (1  s.), 
179  demandez  (2  pl.):  mandez  (pp.)-.  H"  esmerveille  (3  s.):  meri^eiUe 
(sbst.),  269  peüssent  (v.  peoir):  repeuissent  (v.  paistre),  243,  271 
semble  (3  s.):  ensemhle  (adv.),  177  fort  (sbst.):  retort  (3  s.  c),  43, 
131  (^ie  (sbst.):  renvie,  233:  renvie;  oder  Kompositum  mit  Kern- 
positum:  159  devant:  avant,  5  enbracier:  reb.,  23  guerredoner: 
adonner,  245  aprist:  esprist,  3  maintenir:  retenir,  75  convint: 
avint,  135  desvoloir:  hienvohir  135.     Unter  den  von  W.  als  leo- 


JäntsIröiH,  FaUv.     ftcciicH  de  cliansDiis  picuses  du  XIIP  siede.    13 

nimische  oder  reicho  Reime  au  Ige  faßten  linden  sich  zweifellos 
noch  manche,  die  der  Dichter  als  homonyme  oder  derivative  Reime 
aufgefaßt  hat  z.  B.:  39  menu:  (com)me  nu,  51  estote:  toute,  109, 
293  merci:  ci,  21  nioi:  amoi.  Beachtung  verdient  aucii,  daß  er 
öfter:?  nicht  einfach  li'onimisch  (vom  Vokal  vorletzter  Silbe  aus), 
sondern  reich  leonimisch  (vomCons.,  der  dem  vorletzten  Vokal  vor- 
aufgeht, an)  reimt,  151  acoiisummes:  son  mes,  215  vestement:  juste- 
ment,  279  conscience  :  pacience.  Interessant  sind  ferner  Reime, 
die  ich  als  doppelt  reiche  bezeichnen  möchte  (bei  Verschieden- 
heit des  Vokals  vorletzter  Silbe  reimt  der  diesem  voraufgehende 
Konsonant):  13  Simons:  semons,  71  moustier:  niestiei\  85  Vacoit: 
le  voit,  127  faussetes:  assotes.  Auch  die  grammatischen  Reime 
17_20,  49  bis  52,  77—80,  193—196,  201—204,  313—318  sind 
beabsichtigt,  und  zu  ihnen  gesellen  sich  analoge  Spielereien  im 
Innern  der  Verse. 

Greifswald.  E.   Stengel. 


Järiiüitröiii,  Edw.  Reaieil  de  chansons  pieuses  du  XIIP 
siede.,  tome  I.  (Annales  Academiae  Scientiarum  Fen- 
nicae.  Ser.  B.  Tom.  III.  no.  1.)  Helsinki  [=  Helsingfors] 
1910.  Suomalaisen  Tiedeakatemian  Toimituksia.  176 
-1-   IV  pages  in  8*^. 

M.  Järnström  public  ici  la  premiere  partie  d'un  recueil  de 
chansons  pieuses  qu'il  a  entrepris  de  former  sur  le  conseil  de 
M.  Bedier.  Les  poesies  reunies  dans  ce  volume  ne  donnent  pas 
une  idee  bien  avantageuse  du  talent  des  trouveres  devots  qui 
les  ont  composees.  Elles  sont,  sauf  de  tres  rares  exceptions, 
d'une  mediocrite  desolante,  et  comme  la  plupart  d'entre  elles  ont 
dejä  ete  publiees  ailleurs,^)  on  peut  se  demander  si  MM.  Bedier 
et  Järnström  n'ont  pas  presume  un  peu  de  l'interet  de  ce  pitoyable 
fatras  en  le  jugeant  digne  d'une  edition  collective. 

L'utilite  de  cette  publication  est  d'autant  plus  restreinte 
que  la  partie  musicale  en  est  completement  bannie.  Ce  n'est 
pas  que  M.  Järnström  juge  la  musique  des  trouveres  depourvue 
d'interet.  Bien  au  contraire,  il  professe  d'excellentes  idees  ä 
son  endroit,  mais  il  s'excuse  de  ,,ne  pas  posseder  les  dispositions 
et  les  connaissances  necessaires"  (p.  17)  pour  aborder  Tetude 
melodique  des  chansons  publiees  par  lui.  Je  crains  bien  que 
M.  Järnström  ne  prejuge  trop  de  son  ignorance.  Les  trouveres 
dont  il  edite  les  a^uvres  etaient,  pour  la  plupart,  des  imitateurs, 
comme  il  l'a  fort  bien  reconnu  lui-meme.  II  s'agissait  donc 
d'identifier  les  melodies   qu'ils  avaient  empruntees  en  les  com- 


soixante 
et  LX\ 


1)  11  n'v  a  que  dix  pieces  inedites  dans  ce  recueil,  qui  en  compte 
ite  cinq.     Ce  sont  les  nos:   XXV  ä  XXIX,  LVI  k  LVllI,  LXIV 


14  Referate  und  Rezensionen.     Jean  Acher. 

parant  ä  Celles  qiii  se  lisent  au-dessus  du  texte  des  chansons 
dont  la  structure  strophique  a  ete,  eile  aussi,  imitee  par  nos 
pieux  rimeurs.  Et  ectte  comparaison  n'exigeait  que  des  connais- 
sances  tres  sommaires ;  M.  Järnström  les  aurait  acqiiises  facile- 
ment  en  Tespace  d'une  demi  heure.  Les  intervalles  musicaux 
sont,  en  effet,  indiques,  dans  les  Chansonniers  francais  et  pro- 
vengaux,  par  des  ecartements  en  hauteur  qui  correspondent  au 
mouvement  ascendant  ou  descendant  de  la  melodie  et  qui  sont 
aisement  mcsurablcs  gräce  aux  lignes,  munies  de  clefs,  des  portees 
musicales.  Rien  n'est  donc  plus  simple  que  de  comparer  le 
contour  de  deux  melodies.  L'aide  d'un  musicien,  qui  n'a  nullc- 
ment  besoin  d'etre  musicologue,  suffirait  au  besoin  pour  apprecier 
la  valeur  des  variantes  qu'on  pourrait  reucontrer  dans  l'orne- 
mentation  de  certaines  notes  du  modele,  plus  riebe  ou  plus  pauvre 
par  rapport  k  celle  des  notes  de  la  chanson  imitee. 

Cette  remarque  faite,  il  convicnt  de  rendre  bommage  ä  la 
maniere  dont  M.  Järnström  a  congu  sa  publication.  Apres 
une  courte  introduction,  qui  contient  une  description  des 
manuscrits  et  une  appreeiation  sommaire  des  poesies  publiecs 
(une  etude  litteraire  plus  substantielle  semblc  etre  reservee  pour 
le  tome  II),  M.  Jänström  publie  les  textes  en  faisant  preceder 
cbaque  piece  d'une  notice  divisee  en  paragrapbes  suivants: 
Manuscrits,  Editions,  Versification  et,  s'il  y  a  lieu,  Classement 
des  mss.,  Origine  [=  dialecte  dont  se  servait  Tauleur],  Auteur. 
Des  notes  explicatives,  qu'on  soubaiterait,  ä  la  verite,  un  peu 
moins  maigres,  suivent  le  texte. 

Le  morceau  de  re^istance  des  noticos  preliminaires  constitue 
l'etude  de  la  versification.  On  regrette  que  dans  cette  etude 
M.  Järnström  ne  consacre  pas  la  moindre  remarque  ä  la  oesure 
des  decasyllabes,  qui  sont  pourtant  assez  nombreux  dans  le 
recueil.2)  Meme  quand  il  rencontre,  dans  une  piece  en  decasyl- 
labes ä  cesure  reguliere  sur  le  temps  fort  de  la  deuxiemc  mesure 
musicale,  un  vers  aussi  choquant  que  Qiiar  niis  ne  s'i  porroif 
tant  asservir  XXI,  5,  il  passe  sans  y  preter  attention. 

Le  texte  des  chansons  est  etabli  convenablement;  un  errata 
de  dimensions  inusitees  y  apportc,  au  surplus,  de  menues  ame- 
liorations.  Le  glossaire  est  venu  moins  bien.  Je  ne  parle  ni  d(i 
quelques  articles  defectueux  ni  meme  d'un  penchant  de  M.  Järn- 
ström de  se  contenter  par  trop  souvent  de  rendre  le  sens  des 
vieux  vocables  grosso  m.odo^  par  des  ä  peu  pres,  parfois 
tout  a  fait  insuffisants ;  ce  sont  lä  des  defauts  d'execution  dont 
il  scrait  injuste  de  s'offusquer  outro  mesure.  Mais  ce  qu'on  ne 
peut  laisser  passer  sans  protestation,  c'est  l'amenagemcnt  meme 
du  glossaire.    On  cherchcrait  vainement  le  principe    qui   a   guide 

2)  Deux  i'ois  seulement  M.  Järnström  accorde,  par  exception, 
son  attention  a  la  cesure,  dans  les  notes  sur  les  vers  XXXVII,  9 
et  LIX,  29. 


JänisiröiN.  Edw.     Recucil  de  cliansons  pieimcf;  du  XIII'  siede.    15 

M.  Järnströiu  dans  raccomplissomcnt  de  cctte  partie  de  son 
travail:  c'est  son  bon  plaisir  seul  qui  seinble  avoir  decide  que 
tcl  mot  serait  cnregistre  au  glossaire  et  que  tel  autre  en 
serait  ecarte.  IVI.  Järnström  pouvait  evidcmmeiiL  sc  dispcnser 
de  munir  sa  publication,  qui  est  un  recueil  I'actioo  de  pieees  de 
l)rovenancos  diverses,  d'un  vocabulaire  oomplet  concu  sur  Je 
modele  de  l'index  de  Philomena  de  M.  de  Boer,  mais  au  lieu 
de  se  borner  ä  donner  la  traduction  plus  ou  moins  fidele  de 
vocables  choisis  au  petit  bonlieur,  il  aurait  pu  imiter  l'exemple 
donne  par  M.  Appel  cn  son  edition  de  Balaam  et  Josaphat  oA, 
faire  un  glossaire  qui  contribuät  reellement  ä  nous  renseigner 
sur  les  fagons  de  s'exprimor  des  poetes  publies  dans  le  recueil. 

Je  termine  par  quelques  observations  de  detail. 

P.  16.  C'est  moins  dans  les  sermons,  les  litanies  et  les  prieres 
que  dans  la  poesie  religieuse  latine  qu'il  faut  chercher  l'origine 
des  lieux  communs  que  devcloppent  les  trouveres  devots.  —  C'est 
aussi  a  tort  que  M.  Järnström  a  cru  pouvoir  s'attendre  ä  rencontrer 
dans  les  chansons  pieuses  des  ,,traits  se  rapportant  ä  la  vie  cour- 
toise  et  aux  moeurs  feodales".  La  devotion  n'a  rien  ä  faire  avec 
la  courtoisie  ni  avec  l'organisation  feodale  de  l'ancienne  France. 

Piece  II.  M.  Järnström  semble  employer  les  termes  syrma 
et  pedes  dans  un  sens  absolument  oppose  ä  celui  que  Dante 
attribuait  ä  ces  vocables.  —  V.  15.  La  lecon  de  C  est  preferable 
ä  Celle  adoptee  dans  le  texte. 

Pieco  III.  Dans  les  vers  dont  il  s'agit  il  n'y  a  pas  de  coupe, 
mais  bien  pause  apres  la  cinquieme  syllabe.  —  Un  decasyllabe 
ordinaire  n'a  rien  de  commun  avec  le  vers  forme  par  la  reunion 
de  deux  vers  de  cinq  syllabcs,  voy.  Beck,  Melodien  der  Trouba- 
dours p.  183,  sqq.,  un  ouvrage  dont  la  connaissance  est  indispensable 
aux  editeurs  des  poesies  lyriques. 

Piece  XIX,  31.  En  abandonnant  Ja  legon  de  F,  l'editeur 
perd  de  vue  que  mes  (magis)  est  älteste  par  Faccord  des  deux 
mss.,  qu'il  donne  un  sens  satisfaisant  et  que  le  texte  critique 
obtenu  par  le  melange  confus  des  lecons  des  deux  mss.  est  d'un 
frangais  bien  contestable  et  passablement  obscur. 

Piece  XXI,  4.  En  separant  convenablement  les  lettres,  on 
obtient  la  lecon  irreprochable  Or  ai  mespris,  mes  eniend  reservir, 
garantie  par  l'accord  des  deux  mss.,  que  M.  Järnström  abandonne 
pour  proposer  une  legon  conjecturale  dont  le  moindre  defaut 
est  de  repeter  la  rime  du  vers  2. 

Piece  XXV,  9.  La  Vierge  est  appelee  ici  Mere  sanz  acointier 
pareil.  M.  Järnström  fait  lä-dessus  l'observation  suivante: 
,^pareil  est  neutre",  sans  dire  comment  il  entend  ce  vers  oü  il 
n'y  a  pas,  semble-t-il,  de  place  pour  un  neutre.  J'entends  par 
pareil  (acc.  sg.  masc.)  le  mari  de  Notre  Dame,  et  je  traduis: 
Mere,  sans  avoir  connu  (textuellement:  sans  connaitre)  charnelle- 
ment  le  mari. 


16  RefercUe  und  Rezensionen.     Jean  Acher. 

Piece  XXVI.  Toute  la  remarque  est  ä  biffer.  11  n'est  pas 
question  d'engager  quoi  que  ce  soit  en  fief  dans  cette  Strophe.  On 
y  fait  rhommage  lige,  ce  qui  est  tres  loin  d'etre  la  meme  chose. 
—  L'auteur  de  la  piece  n'y  proteste  nullement  de  son  Intention 
de  ne  pas  prier  devant  l'image  de  la  Vierge.  La  lijance  qu'il 
lui  fait  comporte,  comme  on  le  pense  bien,  ce  ,,servise".  —  Con- 
bateor  du  v.  26  sont  evidemment  des  champions  et  non  des  Jon- 
gleurs. Sur  la  coutume  de  faire  raser  le  chef  des  champions  avant 
le  combat  voy.  Ducange-Henschel,  v^  campio  t.  II,  p.  66,  un 
autre  ouvrage  que  M.  Jänström  a  le  grand  tort  de  bouder. 

Piece  XXVIII,  8.  La  correction  de  M.  ^Vallensköld  (p.  III) 
est  ä  rejeter.  II  faut  lire  Que  mes  ciiers  muet  de  pesance.  La 
3^  pers.  sg.  pres.  ind.  de  movoir  a  ete  fautivement  lue  par  le 
copiste  du  ms.  ou  par  l'editeur  miies.  Le  sens  du  vers  est:  que 
mon  coeur  se  departit  de  sa  tristesse,  textucllement:  qu'il  s'en 
eloigne,  s'en  separe. 

Piece  XXXII,  4  sq.  II  faut  conserver  l'excellent  texte  du 
ms.,  en  ponctuant:  Ki  s'onor  ait^  en  honor  et  en  pris  Serait  moneis 
el  graut  jor  del  jiiis.  Moneis.,  que  l'editeur  n'a  pas  compris,  est 
la  forme  lorraine  du  part.  pas.  du  verbe  dont  l'equivalent  francais 
est  niener. 

Piece  XXXIV.  A  la  liste  des  imitations  de  la  melodie  Quant 
voi  la  glaie  meure  (Ray.  2107)  il  convient  d'ajouter  une  chanson 
latinc  d'Adam  de  la  Bassee  publiee  dans  les  Analecla  hijmnica 
XLVIII  n«  313  p.  303. 

Piece  XXXV.  La  nute  est  ä  biffer.  Le  sens  du  vers  est: 
et  encore  je  ne  faiblis  point  dans  mon  peclie,  je  continue  d'y 
demeurer. 

Piece  XLMI,  11.  J'ai  les  plus  grands  doutes  sur  l'exactitude 
de  l'interpretation  proposee  dans  la  note  sur  ce  vers.  Je  crains 
que  l'idee  d'un  ciel  ,,ombreux,  agreable  par  la  fraicheur"  ne 
soit  plus  musulmane  que  chretienne,  et  je  propose  de  voir,  dans 
le  vers  11,  une  incise  venant  interrompre  la  suite  des  idees  ex- 
primees  dans  les  vers  10  et  12  (,,De  qui  la  douceur  rassasie  tout 
le  monde,  cette  douceur  oü  Ton  prend  d'autant  plus  grande 
part  qu'on  s'humilie  davantagc")  et  signifianl:  gräce  ä  vous 
l'enfer  nous  perd. 

Piece  XLIX,  28.  La  note  est  ä  biffer.  Mairier  son  grant 
duel  est  une  expression  stereotype  ä  laquelle  il  n'y  a  rien  ä 
changer,  voy.  p.  ex.  Por  ces.  IL  fix  son  grant  dael  inaine  et  maire 
RCambr.  2634  (incompris  par  l'editeur  au  gloss.  v*^  maire).  L'idee 
du  moyen  äge  semble  avoir  ete  qu'en  epanchant  sa  douleur, 
on  la  ramollissait  comme  de  la  cire  [mairier  est  le  mot  technique 
pour  designer  l'action  de  petrir  la  cire,  action  envisagee,  bien 
entendu,  au  point  de  vue  de  l'effet  produit),  qu'on  l'epuisait 
en  quelque  fiorte  comme  si  l'on  la  macerait  ou  mortifiait. 


Jäni.strön/^  Edw.     liecueil  de  cJiaii'ioiis  pieiises  dn  XI IF  siede.    17 

Piece  L.    L'etude    que    M.   Järnström   consacre  a  la  versi- 
fication  do  cetlc  piece  est  ä  rayer.     Voici  comment  j'entends  la 
structure  rythmique  et  strophique  de  cette  chanson.'^) 
7  -  ^  +  6  -  -  -   De  la  mere  Jesucrisf,  chansonette  voil  faire, 

id.  Qui  par  sai  bontei  conquif  lou  regne  et  lou  dowaire 

8-  -  Et  lou  siege  de  paraidix; 

id.  De  son  chant  tous  mc  resbaudis. 

6  -  -  +  6  ^  -     An  joie  et  an  desduf  dovons  nous  estre  tuit, 

id.  Car  bien  nos  puet  aidier'  et  metre  an  son  condut. 

Les  deux  premiers  vers  sont  formes  cliacun  par  la  reunion  de 
deiix  vers  courts,  ä  savoir  7-- et  6---.  G'est  une  imitation 
du  vers  latin  medieval  Chorus  prömit  uirginüm'  iam  gaüdid 
millend,  qui  lui-memc  n'est  qu'une  variete  du  vers  dit  des  vagants: 
Meum  est  propösitüm  in  taberna  möri,^)  variete  oü  la  syllabe 
anacrousique  du  deuxieme  hemistiche  {iam)  occupe  la  place  de 
la  pause  separant  les  deux  hemistiches  du  vers-type.^)  Les  vers 
de  huit  syllabes  n'appellent  pas  d'observation.  Pour  ce  qui  est 
des  alexandrins,  je  les  rythme,  ici  comme  ailleurs,  en  premier 
mode  6  -^  -  +  6  "  -,  bien  que  M.  Beck  propose  de  les  lire,  en 
principe,  en  troisieme  mode.^) 

L'auteur  de  notre  piece  recherche  la  rime  ä  l'hemistiche  sans 
pourtant  vouloir  s'en  faire  une  Obligation.  Ce  sont  surtout  les 
alexandrins  qui  le  tentent;  aussi  la  licence  qu'il  se  permet  dans 
les  deux  dernieres  stropbes,  oü  ces  vers  riment  chacun  avec  son 
hemistiche   et   avec  son   hemistiche   seulement,   ne   ehoque-t-elle 

3)  Je  marque  la  place  de  la  cesure  par  im  point  mis  au-dessus  de 
ia  ligne.  J'indiqne  la  structure  rythmique  de  chaque  vers  en  notant, 
ä  gauche  du  texte,  le  nombre  de  syllabes  et  la  cadence  finale  de  chaque 
membre,  ce  qui  suffit,  meme  pour  les  personnes  les  moins  familieres 
avec  la  theorie  de  l'interpretation  modale,  ä  reconnaitre  le  ryth  e 
du  vers. 

*)  Les  deux  vers  apparaissont  en  effet  simultanement,  voy. 
W.  Mever  (de  Spire),  Gesammelte  Abhandlungen  z.  mittellat.  Rythmik 
(1905)  I  p.  304  et  p.  308. 

^)  Cette  pause  se  reduit  donc  necessaii'ement,  dans  notre  vers, 
ä  une  cesure  (coupe).  —  Avec  la  terminaison  masculine,  notre  vers 
se  rencontre  dans  un  motet  de  Wolffenbüttel  (Stimming  XXXI) 
Quant  froidure  trait  a  fin'  encontre  la  saison,  ce  qui  correspond  au  latin 
Agminä  militie-  celeslis  ömniä,  voy.  Beck,  Melod.  der  Troubadours, 
p.  188.  —  D'autres  exemples  de  ce  vers,  avec  une  explication  singuliere, 
dans  Jeanroy,  Origines  de  la  poesie  lyrique  p.  352. 

^)  op.  cit.  p.  188.  J'avoue  ne  pas  comprendre  comment  M.  Beck, 
qui,  d'accord  avec  les  Leys  d-amors,  decompose  tres  exactement  l'alexan- 
drin  en  deux  vers  courts  de  six  syllabes  chacun,  a  pu  s'aviser  de  le 
comparer  au  vers  de  neuf  syllabes.  Pour  moi,  l'alexandrin  frangais 
est  inseparable  de  l'alexandrin  latin  du  moj^en  äge,  lequel,  ayant 
l'antepenultieme  syllabe  de  chaque  hemistiche  obligatoirement  accen- 
tuee  (les  infractions,  peu  nombreuses,  ä  cette  regle  sont  des  licences), 
ne  peut  etre  rythme  qu'en  premier  mode:  expönens  pr(>fer^fm'  süb 
Ml  dum  WiVis. 

Ztsclir.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII^  2 


18  Heferate   und  Rezensionen.      Walther  Küchler. 

pas  outre  mesure.  —  Le  premior  hemistiche  de  str.  II,  v.  2  est 
trop  court,  mais  la  corroction  proposee  dubitativemcnt  par 
M.  Järnström  est  peu  heureuse.  Je  lirais:  Bien  lai  dov\e\roit 
avoir'  chascuns  en  rememhrance.  —  Le  premier  vers  de  la  str.  III 
est  correct;  c'est  M.  Järnström  qui  l'a  defigure  en  se  meprenant 
sur  la  place  de  la  coupe.  II  laut  lire:  Quant  Dens  voit  ke  sa 
meire  est'  a  genoiis  por  loii  monde.  —  Au  lieu  de  lire  ravant-dernier 
vers  de  la  str.  IV:  Bien  avez  siaz  rescous'  ke  venut  au  dezous  et 
de  proposer,  en  note,  la  correction:  ke  venut  sont  dezous,  qui 
n'ameliore  guere  le  texte,  je  lis,  sans  rien  changer  au  manuscrit, 
mais  en  en  interpretant  convenablement  la  graphie:  k' Eve  mit 
au  dezous. 

Piece  LI,  5.  La  note  est  ä  biffer.  Querele  ne  signifie  pas 
,,tort",  mais  designe  le  proces  qui  se  plaidera  au  jugement  dernier. 
Le  sens  du  vers  est:  augmentera  les  chances  du  ealut  eternel. 
—  De  meme  la  note  du  v.  8  est  ä  rayer. 

Paris.  Jean  Acher. 

l<aiiKOii,  CriiKtave.  Manuel  bibliographique  de  la  litterature 
franQaise  moderne  1500 — 1900,  t.  II  dix-soptieme  siede, 
in  8'\  XIX  +  S.  239—529.  Paris,  Haclietto  et  Cio. 
1910.     4  fr. 

In  dankenswerter  Weise  hat  bald  nach  dem  Erscheinen 
des  ersten  Bandes  Lanson  den  zweiten  Band  seines  bibliographischen 
Handbuches  zur  neueren  französischen  Literaturgeschichte  folgen 
lassen.  Wie  im  ersten  Bande,  so  ist  auch  hier  Vollständigkeit 
nicht  erstrebt.  Das  Werk  richtet  sich  nach  des  Verfassers  Ab- 
sicht in  erster  Linie  an  die  Studenten  und  Lernenden.  Aber 
auch  dem  Forscher  wird  es  eine  willkommene  und  schätzens- 
werte Basis  für  seine  Arbeiten  werden.  Neuerscheinungen  der 
literarhistorischen  Forschung  und  Kritik  sind  bis  zum  Jahre 
1909  einschließlich  berücksichtigt. 

Die  Benutzung  wird  mit  Hilfe  des  Inhaltsverzeichnisses 
auch  dem  Anfänger  nicht  allzuviel  Schwierigkeiten  bereiten; 
immerhin  wird  eine  gewisse  Vertrautheit  mit  der  Literatur  des 
Jahrhunderts  vorausgesetzt. 

Die  Anordnung  ist  zu  billigen.  Nicht  ganz  verständlich 
ist,  warum  in  Kapitel  VII  Libertins  und  Jansenisten  zusammen- 
geworfen sind.  Der  Nichteingeweihte  könnte  zu  der  Annahme 
verleitet  werden,  er  habe  es  hier  mit  gleichen  oder  ähnlichen 
Stimmungen  zu  tun;  auch  die  Anschauungen  des  schon  etwas 
Fortgeschrittenen  möchten  leicht  in  Verwirrung  geraten.  Der 
Gedanke  etwa,  daß  der  Jansenismus  ganz  besonders  geeignet 
gewesen  ist,  die  Libertinagc  des  Jahrhunderts  zu  bekämpfen, 
würde  noch  nicht  die  von  Lanson  getroffene  Disposition  rechl- 
l'ertigen. 


Siniel,  Helle.  Jaeqnes  Amyn(,  Iraducteiir  des  Vies  Paralleles  (^'c.    19 

In  erfreulichem  Gegensatz  zu  elcin  ersten  Bande  sind  nur 
sehr  wenig  Fehler  im  Druck  deutscher  Namen  und  Büchertitel 
zu  verzeichnen.  No.  3418  heißt  es  Scliutz  Gora  statt  Schullz- 
Gora. 

Ein  allerdings  nicht  vollständiges  \'erzeichnis  cUt  Errata 
des  ersten  Bandes  ist  dem  zweiten  Bande  beigegeben. 

Gießen.  Walther  Küchler. 


Htiirel.  Rene.  Jacques  Amyol,  tradiicleiir  des  Vies  Paralleles 
de  Pliitarque.  Avec  quatre  fac-similes.  Paris,  H.  Cham- 
pion, 1909.  (Bibliotheque  Litteraire  de  la  Renaissance, 
dirigee  par  P.  de  Nolhac  et  L.  Dorez.  Premiere  serio, 
tome  huitieme).     XVI,  646  S. 

Diese  aus  Studien  an  der  Pariser  Universität  hervorge- 
gangene, G.  Lanson  zugeeignete  Arbeit  ist  ein  Muster  philo- 
logischer Akribie.  Ein  erster  ,,bio-bibliographischer"  Teil  (1 — 148) 
arbeitet  sich  durch  den  Wust  von  Anekdoten  und  falschen  An- 
gaben hindurch,  der  das  Leben  Amyots  umsponnen  hat,  und 
stellt  unter  Benutzung  aller  Hilfsmittel,  der  Ausgaben,  kollatio- 
nierten Exemplare  und  Handschriften  Amyots  mit  möglichster 
Genauigkeit  alle  Tatsachen  und  Daten  fest,  die  für  die  einzelnen 
Stadien  seiner  lebenslangen  Arbeit  an  der  Plutarchübersetzung 
von  Wert  sind.  Der  zweite  Teil  (149 — 594)  untersucht  die  Über- 
setzung selbst  nach  Inhalt,  Sprache  und  Stil,  stellt  die  Ausgaben 
und  Hilfsmittel  fest,  deren  sich  Amyot  bedient  hat,  vergleicht 
sie  mit  den  verschiedenen  Redaktionen  der  Übersetzung  seit  den 
ersten  Manuskripten  von  1542 — 46,  studiert  an  den  aufeinander 
folgenden  Ausgaben  (1559,  1565,  1583  und  der  posthumen  von 
Morel  1619)  immer  unter  Heranziehung  der  Vorlagen  und  Hand- 
schriften die  Fortschritte  des  Übersetzers  und  Stilisten  und 
liefert  der  selbständigen  Nachprüfung  ausreichendes  Material 
durch  Anführung  der  zeitgenössischen  griechischen  Texte.  Ver- 
schiedene Anhänge,  darunter  ein  Stammbaum  der  Ausgaben, 
Fac-similes,  Wörter-  und  Namenverzeichnisse  erhöhen  die  Brauch- 
barkeit des  Buches.  Die  sprachUch-grammatischen  Unter- 
suchungen, die  durch  einen  besonderen  Index  zusammengefaßt 
werden,  sind  wertvoll,  aber  noch  nicht  als  abschließend  zu  be- 
trachten. 

Die  Ergebnisse  sind  sehr  vielseitig,  ^^'ir  heben  nur  weniges 
heraus.  Die  ersten  Franz  I.  gewidmeten  Manuskripte  (1542 — 46), 
die  Verf.  entdeckt  hat,  zeigen  noch  den  Anfänger,  der  häufig 
seinem  Bestreben  nach  Klarheit  die  Genauigkeit  opfert.  Auf 
einer  vierjährigen  Reise  in  Italien  vergleicht  Amyot  die  Hand- 
schriften der  Markusbibliothek  in  \^enedig  und  des  Vatikans 
und  benutzt  die  so  gewonnenen  Varianten  für  seine  erste  Ausgabe 

2* 


20  Referate  und  Rezensionen.     JI.  Sehoeii. 

(1559),  die  zugleich  einen  großen  Reichtum  neuer  Erklärungen, 
stilistischer  Besserungen  und  das  Studium  aller  zur  Zeit  zu  er- 
langenden Hilfsmittel  aufweist.  Mit  unermüdlichem  Fleiße 
setzt  Amyot  in  den  folgenden  Jahren  seine  Arbeit  in  demselben 
Sinne  fort,  indem  er  alle  neu  erscheinenden  Werke,  auch  die 
deutscher  Gelehrter,  für  die  Ausgabe  von  1565  berücksichtigt. 
Einer  neuen  Durchsicht,  bei  der  alle  inzwischen  erschienenen 
Hilfsmittel  benutzt  wurden,  unterzog  er  seine  Arbeit  1580 — 83, 
wo  die  dritte  und,  bei  seinen  Lebzeiten,  letzte  Ausgabe  erschien. 
Den  großen  Wert  der  Plutarchübersetzung  Amyots,  die,  wie 
das  Buch  von  Zangroniz  über  Montaigne  (1906)  bewiesen  hat, 
auf  einen  der  berühmtesten  Zeitgenossen  großen  Einfluß  übte, 
findet  St.  in  der  trotz  aller  gelehrten  Mittel  populären  Anpassung 
des  antiken  Geistes  an  die  moderne  französische,  aus  der  Re- 
naissance aufsteigende  Kultur.  Seine  sorgfältig  gefeilte  Spraciie 
entwickelt  sich  immer  mehr  zum  reinen  klassischen  Französich. 
So  hat  er  durch  Inhalt  und  Form  seines  Lebenswerkes  das  große 
Zeitalter  der  französischen  Literatur  lieraufführen  helfen. 

Dresden.  Wolfgang  Martini. 


I>r.    Ai'maing^aud.      Montaigne    pamplüctaire,    Venigme    da 
Contr'un,  XVI,  341  p.    Paris,  Hachctte,  1910.    Fr.  3,50. 

Un  Probleme  fort  interessant  passionne  depuis  quatre  ans 
les  critiques  qui  s'occupent  de  la  litterature  frangaise  du  seizieme 
siecle.  Apres  avoir  publie  plusieurs  travaux  importants  sur 
Montaigne,  un  medccin  bordelais,  le  docteur  Armaingaud,  a 
entrepris  de  prouver  que  Touvrage  intitule  «Discoiirs  de  la  Servi- 
tude  volontaire>>  ou  «Le  Contr'un>>,  attribue  jusqu'ä  present  a 
La  Boetie,  est  en  realite,  du  moins  dans  ses  parties  essentielles, 
Toeuvre  de  l'auteur  des  Essais,  qui  en  aurait  fait  un  pamphlet 
contre  Henri  III. 

Le  savant  admirateur  de  Montaigne  a  tout  d'abord  soumis 
sa  these  au  public  dans  deux  articles  de  la  Revue  politique  et 
pariementaire  (mars  et  mai  1906).  II  en  a  ensuite  defendu  vigou- 
reusement  les  differents  points  contre  ses  nombreux  contra- 
dicteurs.  II  vient  de  reunir  tous  ses  arguments  dans  un  volume 
fort  bien  ecrit  et  tres  bien  compose,  suivi  de  nombreux  docu- 
ments  et  du  texte  du  Contr'un,  d'apres  l'edition  de  1577. 

II  soutient  sa  these  avec  tant  de  conviction  et  d'enthousiasjne 
qu'il  a  seduit  de  prime  abord  non  seulement  la  plupart  des  lecteurs 
non  inities,  mais  aussi  des  critiques  avertis  et  experimentes. 
Tels  M.  Henri  M  o  n  o  d  ,  dans  un  article  recent  de  la  Revue 
de   Paris})  intitule  «Montaigne  apris  la  Saint-Barthelemy»,   M. 

1)  1.  Mars  1910. 


Dr.  Armaingaud    Moiildigne  p(i/nj)lilel(iir(\  l'eiiigmc  iluConlr'un.  21 

L  e  ()  n  S  ö  c  h  e  ,  le  savant  directeur  de  la  Revue  de  la  Renaissance, 
M.  Edmund  Huguet,  professeur  ä  l'Universite  de  Caen, 
M.  P  a  u  I  S  l  ;i  p  f  e  r  ,  dont  on  connait  les  beaux  ouvrages  sur 
Montaigne  et  les  Essais,  M.  EdmeChampion,  dont  Vlntro- 
duction  ä  Vetiide  des  Essais  a  jete  une  lumiere  nouvelle  sur  la 
Psychologie  de  Montaigne,  M.  E.  C  o  u  r  b  e  t  ,  l'auteur  de  la 
derniere  edition  achevee  des  Essais,  et,  tout  recemment,  M. 
Henri  Labroue,  dans  la  Revolution  frangaise  (14.  Sept. 
1910).-)  Et,  comme  il  etait  naturel  dans  un  debat  qui  touche 
ä  l'histoire  de  la  Saint-Barthelemy,  les  theologiens  so  melerent 
aux  debats:  mon  cousin,  M.  N  a  t  h  a  n  a  e  1  W  e  i  s  s  ,  le  savant 
bibliothecaire  de  la  Sociele  de  l'histoire  du  protestantisme  franfais, 
accueillait  avec  Sympathie  l'hypothese  nouvelle  et  se  rejouissait 
de  voir  le  röle  joue  par  Montaigne  dans  la  lutte  ardentc  entre 
les  huguenots  persecutes  et  la  tyrannie  detestee.'^) 

En  face  de  ces  partisans  convaincus  de  M.  Armaingaud  se 
sont  leves  des  adversaires  non  moins  ardents.  Citons  parmi  eux: 
M.  Paul  B  0  n  n  e  f  o  n  ,  auteur  de  livres  sur  La  Boetie  et  sur 
Montaigne,  qui  attaqua  la  nouvelle  hypothese  dans  la  revue  oü 
eile  fut  emise  pour  la  premiere  fois  ;*)  M.  Pierre  V  i  11  e  y  , 
qui  preparait  un  iraportant  ouvrage  sur  les  sources  de  Montaigne, 
dans  la  Revue  d'Hisioire  litteraire  de  la  France ;''')  M.  F.  S  t  r  o  w  s  k  i , 
qui  travaillait  ä  l'edition  municipale  des  Essais,^)  M.  R  e  i  n  - 
li  o  1  d  D  e  z  e  i  m  e  r  i  s  ,  dans  une  seance  de  FAcademie  des 
Sciences  et  Belles-Lettres  de  Bordeaux,  M.  H  e  n  r  i  B  a  r  c  k  - 
hausen,  dans  la  Revue  historique  de  Rordeaux,"')  M.  J  o  s  e  p  h 
B  a  r  r  e  r  e  ,  dans  une  etude  sur  La  Boetie  et  Machiavel,*^)  M. 
D  e  1  a  r  u  e  11  e  ,  dans  la  Revue  d'histoire  litteraire,^)  et  surtout 
le  savant  professeur  de  l'Universite  de  Clermont,  M.  Henri 
Hauser,  dans  la  Revue  historique  (nov.-dec.  1910)  et  dans  la 
Revue  Critique  (7  juillet  et  10  novembre  1910). 

En  presenco  de  cette  polemique  ardente,  essayons  d'indiquer, 
aussi  impartialement  que  possible,  quelle  est  la  these  de  M.  Ar- 
maingaud dans  son  livre  recent  et  quels  sont  les  arguments  de 
ses  adversaires. 

-)  De  meme,  parmi  les  savants  allemands,  M.  Elkan,  dans 
une  lettre  particuliere  encore  inedite  et  fort  interessante  ä  M.  Ar- 
maingaud. 

3)  Bulletin  de  la  Societe  de  VHisioire  du  Protestantisme  jrancais, 
mars-avril,   1910,  p.   187—189. 

*)   Revue  politique  et  parlementaire ,   janvier,   1907. 

5)  Oct.-Nov.  1906. 

6)  Sur  rohjectif  reel  du  Discours  de  la  Servitude  volontaire,  Bor- 
deaux,  1907. 

'^)  mars-avril   1907. 

^)  Etienne  de  La  Boetie  contre  Nicolas  Machicwcl,  Bordeaux 
1908. 

9)   Janvier-mars  1910. 


22  Heferate  und  Rezensionen.     H.   Sehoen. 

Le  point  de  depart  de  la  demonstration  de  M.  Armaingaud 
est  le  fait  quo,  d'apres  lui,  le  tyran  attaque  dans  le  Contr'un 
est  posterieur  ä  la  mort  de  La  Boetie. 

Le  roi  que  cet  ecrivain  a  pu  connaitro  est  un  prince  beau 
et  vigoureux,  adroit  et  agile,  d'une  stature  imposante  et  habile 
a  tous  les  sports  de  son  temps.  Henri  II  est  proclame  loi  alors 
que  La  Boetie  avait  dix-sept  ans.  11  succombe  dans  un  tournoi 
peu  avant  la  mort  de  l'ecrivain.  11  est  repute  comme  ecuyer 
dans  le  monde  entier;  il  est  l'amant  de  Diane  de  Poitiers  et  il  a 
eu  de  son  epouse  legitime  une  dizaine  de  fils  et  de  filles.  Le 
tyran  du  Contr'un.,  faible  et  chetif,  sans  courage  comme  sans 
energie,  «le  plus  lasche  et  femelin  de  la  nation»,  incapable  de 
resister  ou  de  lutter,  «ä  grand  peine  accoustume  au  sable  des 
tournois  et  empesche  de  servir  ä  la  moindro  femmelette>>,  ne  peut 
donc  etre   Henri  II. 

M.  Armaingaud  ne  voit  pas  davantage  auquel  des  i)rede- 
cesseurs  de  ce  monarque  pourrait  s'appliquer  le  celebre  portrait 
du  tyran  dans  le  pamphlet  (p.  3). 

II  est,  par  contre,  un  \'alois  ä  la  physionomie  duquel  s'a- 
dapte  en  tous  points,  selon  lui,  le  portrait  que  nous  etudions: 
c'est  Henri  III,  d'abord  duc  d'Anjou,  roi  de  Pologne  au  moment 
ou  paralt  le  premier  fragment  du  Contr'un  (1574),  roi  de  France 
dopuis  plus  de  deux  ans  au  moment  oü  Ton  en  public  le  texte 
integral  (1577).  M.  Armaingaud  est  donc  arrive  ä  la  conclusion 
que  ce  portrait  du  tyran,  qui,  d'apres  lui,  de  peut  etre  q  u'u  n 
portrait  i  n  d  i  v  i  d  u  e  1  ,  «est  celui,  non  du  \'alois  qui 
regnait  quand  La  Boetie  aurait  pu  le  composer,  mais  du  Valois 
(jiii  allait  regner,  ou  qui  regnait  en  France,  au  moment  oü  le 
Contr'un  a  ete  public,  c'est-ä-dire  en  l8(74  et  en  1^77»  (p.  5 — 6). 
Car  ce  prince  etait  tout  le  contraire  de  son  vaillant  pere.  Tous 
les  historiens  dignes  de  foi  le  decrivent  comme  un  jeune  homme 
de  sante  delicate,  affaibli  quant  au  physique  et  plus  faible  encore 
<|iiant  au  moral,  epuise  par  la  luxure  et  par  des  vices  trop  precoces. 
Autant  Henri  1 1  etait  inl'atigable  et  amateur  de  jeux  et  d'exercices 
en  plein  air,  autant  son  fils  etait  craintif  et  lache.  II  passait 
pour  l'homme  le  moins  courageux  et  le  plus  effemine  (\\\  pays 
de  France. 

Non  seulement  le  portrait  du  Contr'un  ressemblf»  donc  ä 
I'original  historique,  mais,  dit  M.  Armaingaud,  ce  sont  precisement 
les  traits  les  plus  inattendus  chez  le  despote  type,  qui  corres- 
pondent  le  mieux  a  la  realite.  L'ocuvre  n'est  donc  pas  «un 
traite  theoriqu(>  contre  la  tyrannie  en  general:  c'est  un  pamphlet 
politique»  (p.  -iO).  Beaucoup  de  faits  importants  qu'elle  fletrit 
sont  posterieui's  ä  la  mort  de  La  Boetie,  etant  survenus  dans 
les  cinq  annees  qui  ont  precede  la  publication  integrale  de  la 
celebre  satire   (1577). 


I)r.  Aniiaiii<^ait(J.  Montaigne  paniphlclaire,  l'eiiignie  duCoiilr'iiit.  23 

Des  lors,  il  faut  cesscr  d'attribuer  lo  Discours  de  la  Serviliide 
voloniaire  a  La  Boetie,  qui  est  mort  plusieurs  annees  avanl 
que  Henri  111  ait  ete  proclame  roi  de  France  (p.  90).  El 
M.  Armaingaud  se  voit  ainsi  amene  ä  en  chcrcher  l'auteur 
parmi  los  ennemis  naturels  d'Henri  III,  dans  les  cercles  pro- 
tostants  et  parmi  les  philosophes,  plus  enclins  pcut-ctre  que 
(l'autres  citoyons  ä  se  faire  les  apötres  de  la  toleranre  et  de 
riiumanite. 

Une  l'ois  lanee  dans  eette  voie,  notre  auteur  devait  inime- 
diatement  songer  ä  Montaigne  (1533 — 1592),  dont  la  mere  etait 
protestante,  ami  lui-meme  des  huguenots,  et  qui  fut  precisement 
eontomporain  d'Henri  III,  ayant  atteint  un  äge  beaucoup  plus 
avance  que  La  Boetie. 

Cependant,  une  objection  tres  forte  se  presentait  ici  ä  notre 
historien. 

Montaigne  lui-meme  nous  donne  le  Contr'un  comme  un 
discours  redige  par  un  jeune  homme  de  dix-huit  ou  meme,  selon 
une  correction  posterieure,  de  seize  ans,  en  l'honneur  de  la  liberte 
opprimee  par  la  tyrannie.  D'apres  lui,  ce  pamphlet  litteraire 
aurait  ete  trouve  au  milieu  des  notes  que  La  Boetie,  sui'  son 
lit  de  mort,  legua  a  son  fidele  ami.^*^) 

Si  cette  affirmation  devait  etre  prise  ä  la  lettre,  il  faudrait 
renoncer  ä  voir  en  Montaigne  l'auteur  de  la  satire. 

Mais  il  suffit  d'y  regarder  de  pres,  pour  constater  qu'elle  est 
sujette  ä  caution.  Montaigne  s'est  bäte  de  faire  paraitre  les 
ecrits  laisses  par  son  ami.  Or,  le  fameux  Discours  ne  s'y  trouve 
pas.  Comment  expliquer  cette  Omission  ?  Pourquoi  Montaigne 
eüt-il  differe  la  publication  de  l'oeuvre  qui  a  ete  consideree  comme 
Touvrage  capital  de  son  ami  et  qui  correspondait  si  bien  ä  ses 
propres  sentiments  ? 

Et,  quelques  annees  plus  tard,  dans  les  Essais,  lorsquo 
Montaigne  redige  le  beau  cbapitre  sur  VAmitie,  qu'il  nous  donne 
tout  d'abord  comme  une  occasion  de  faire  connaitre  le  pampblet 
de  son  ami,  on  se  demande  pourquoi  il  renonce  ä  nous  donner 
la  Satire  promise.  S'il  ne  tient  pas  sa  promesse,  c'est  donc  qu'il 
en  est  empeche  , qu'il  n'a  pas  trouve  l'ouvrage  en  question  pai-mi 
les  papiers  de  La  Boetie. 

De  toute  facon,  un  doute  surgitdans  notre  esprit  relativeniont 
ä  l'affirmation  de  Montaigne. 

M.  Armaingaud  suppose  donc  que  ce  que  dit  Montaigne  n'est 
qu'une  ruse  de  guerre.^^)  Si,  comme  nous  le  faisait  pressentir 
l'etude  bistorique  du  Contr'un  et  du  milieu  qui  l'a  certainement 
inspire,  l'auteur  des  Essais  est  aussi  celui  des  parties  les  plus 
importantes  du  Discours,  on  comprend  qu'il  ait  eprouve  le  besoin 

1**)  V.  Armaingaud,   p.  42  scj. 
11)   |).  71—74.' 


24  Referate  und  Rezensionen.     H.  Schoen. 

de  se  mettre  k  couvert  sous  Tautorite  de  son  ami.  Celui-ci,  en 
effet,  n'avait  plus  rien  ä  craindre  de  personne,  ayant  echappe 
par  ]a  mort  aux  poursuites  du  tyran  abhorre. 

Des  lors,  il  est  permis,  selon  M.  Armaingaud,  de  supposer 
qu'il  y  avait,  en  effet,  parmi  les  papiers  de  La  Boetie,  une  note, 
une  esquisse  ou  une  breve  dissertation  contre  la  tyrannie,  et  c'est 
cette  courte  ebauche  que  l'auteur  des  Essais  aurait  remaniee, 
developpee,  illustree  d'allusions  historiques  aux  evenements  de 
snn  temps. 

Dans  cette  liypothese,  on  comprend  les  analogies  d'idees 
et  meme  de  style  entre  les  Essais  et  le  Contr'un.  Retire  dans 
son  habitation  du  Perigord,  Montaigne  lance  l'anatheme  contre 
le  tyran.  Mais,  conformement  ä  son  caractere,  il  le  fait  pru- 
demment,  sans  se  decouvrir.  II  veut  bien  rendre  Service  ä  ses 
amis  huguenots,  mais  ä  la  condition  de  ne  pas  s'exposer  au 
feu  de  Tennemi. 

En  cela,  il  ne  fait,  du  reste,  que  suivre  la  methode  qui  lui 
avait  reussi  precedemment.  De  meme  qu'il  s'etait  efface  derriere 
les  noms  veneres  d'un  Plutarque  et  d'un  Seneque  pour  lancer 
dans  le  public  les  jugements  les  plus  hardis,  de  meme  il  se  sert 
du  nom  respecte  de  La  Boetie  pour  venir  en  aide  ä  ses  amis 
persecutes. 

Teile  est,  brievement  resumee,  la  theso  interessante  et 
nouvelle  du  docteur  Armaingaud. 

Si  habilement  presentee  qu'elle  soit,  Targumentation  serree 
du  savant  medecin  n'a  pas  reussi  a  faire  diparaitre  tous  les 
doutes. 

M.  B-o  n  n  e  f  o  n  ,  dont  Tattaque  fut  la  premiere  en  date, 
ne  peut  admettre  que  le  tyran  du  pamphlet  soit  Henri  III,  et 
veut  que  le  Contr'un  soit  tout  entier  et  La  Boetie. 

M.  S  t  r  o  w  s  k  y  accorde  ä  M.  Armaingaud  que  le  tyran 
du  Contr'un  pourrait  etre  un  tyran  determine,  mais  il  pretend 
que  ce  tyran  est  Charles  IX  et  ne  peut  aucunement  etre 
Henri  III  de  Valois. 

M.  D  e  z  0  i  m  e  r  i  s  veut  y  voir  le  portrait  du  roi 
Charles  VI. 

M.  V  i  1 1  e  y  reconnait  que,  si  le  Discours  de  La  Boetie  a 
subi  des  remaniements  importants,  c'est  Montaigne  qui  doit 
etre  designe  comme  l'auteur  ou  tout  au  moins  le  complice  de  ces 
interpolations,  mais  il  nie  ces  remaniements. 

M.  B  a  r  c  k  h  a  u  s  e  n  cherche  ä  etablir  que  les  contem- 
porains  de  la  publication  du  Contr'un  n'y  ont  jamais  reconnu 
les  allusions  ä  Henri  111  et  ä  sa  politique;  et  son  eleve,  M.  J  o  - 
seph  Barrere,  s'efforce  de  demontrer  que  l'auteur  du  Dis- 
cours de  la  Servitude  a  a^ouIu  ecrire  la  contre-partie  du  Prince 
de  Machiavel. 


Dr.  .[rnuiiiiiiuud.  Montaigne  pnmphletairi',  ('ciiigine  (hiCont.r'uu.  25 

A  tous  ces  critiqucs,  M.  Arinaingaud  a  vaillamment  repondu, 
d'abord  dans  des  articles  de  revues  ou  dans  des  brochurcs  isolees, 
puis  dans  son  livre  recent. 

Mais,  le  mieux  arme  de  ses  adversaires  est,  sans  eontredit, 
^I.  le  prol'eHseur  Henri  Häuser  qiii,  dans  la  Revue  critiqiie,^-) 
reprond  ses  arguments  un  ä  un  et  le  poursuit  jusque  dans  ses 
derniers  retranchements. 

M.  Hauser  montre  que  les  fragments  du  Contr'an,  anterieurs 
ä  la  publication  du  texte  definitif  en  1577,  doivent  etre  pris 
1 1)  u  t  d'abord  en  consideration.  Or,  ils  ont  paru  des  les 
Premiers  mois  de  1574,  dans  l'edition  fran^aise  complete  en  deux 
dialogues,  et  dans  la  seconde  edition  latine  —  complete  eile 
aussi  —  du  Reveüle-matin  des  Frangais. 

A  cette  epoque,  c'est  Charles  IX  et  non  Henri  III  qui  regnait 
sur  la  France.  Et,  comme  la  plupart  des  passages  oü  M.  Armain- 
gaud  croit  demeler  un  tyran  reel  sont  dejä  dans  le  texte  de  1774, 
ils  ne  peuvent  se  rapporter,  d'apres  M.  Hauser,  ä  Henri  III. 
«Pas  une  seule  fois,  dit  le  savant  critique,  ni  dans  les  pieces  limi- 
naires du  Receille-matin,  ni  dans  les  159  pages  du  premier  dialogue, 
ni  dans  les  192  du  second,  p  a  s  une  fois  1  e  «tyran»  n'e  s  t 
identifie  avec  le  roi  de  Pologne,  couramment 
appele  le  «frere  du  tyran».  Partout,  sans  aucune  excep- 
tio n  ,  ces  mots :  «le  tyran»,  designent  Charles  IX, 
e  t  1  u  i  s  e  u  I.  Et  c'est  contre  Charles  «que  les  auteurs  provo- 
quent  le  poignard  des  Brutus».  Ils  detestent  tout  autant,  je 
l'accorde,  son  frere  Henri.  Mais  ce  frere  est  loin;  les  Polonais 
Tont  conduit,  lui  et  ses  serviteurs,  «captifs  sous  les  lois  de  leur 
patrie»;  ils  veilleront  ä  ce  que  «jamais  plus  ces  bestes  farouches 
ne  retournent  pour  mordre»  les  Frangais.  La  bete  qu'il-faut 
abattre,  c'est  l'homme  que,  par  un  anagramme  transparent, 
Eusebe  Philadelphe  appelle  le  «Chasseur  deloyal»,  Charles  de 
Valois,  ou,  comme  il  dit,  en  un  energique  raccourci,  Charles 
le  Tyran.»^'"') 

De  plus,  M.  Hauser  pretend,  apres  M.  Delaruelle,^^)  que  les 
principales  phrases  du  Contr'un  contre  la  tyrannie  sont  in- 
spirees  par  des  textes  antiques.  La  oü  M.  Armaingaud  croit 
voir  Henri  III,  il  n'y  a  que  Neron;  lä  oü  l'on  croit  reconnaitre 
Madame  du  Guast,  il  faut  hre  Poppee.^^) 

II  resulte  donc  pour  M.  Hauser  que,  lorsque  les  huguenots 
firent  pour  la  premiere  fois  usage  des  fragments  du  Contr'un 
dans  les  premiers  mois  de  1574,  ils  ne  pouvaient  songer  ä  les 
appliquer  et  ne  les  ont  appliques  en  effet  qu'ä  Charles  IX.  Quel- 
que  haine   qu'ils  aient  eprouvee  ä  cette  epoque  pour  le  roi  de 

12)  p.  1—10,  No.  27.     lOlO. 

13)  p.  4-5. 
1*)  p.  6  sq. 
15)  p.   8. 


26  Referate  und  Rezensionen.     //.  Schoen. 

Polognc,  c'est  bien  le  roi  de  France,  «le  chasseui'  deloyal»,  qui  est 
pour  eiix  le  tyran. 

Quoique  transforme  par  l'usage  qu'ils  en  fönten  un  pamphlet 
politique  et  revolutionnaire,  Ic  Discours  de  la  Boetie  reste  pour 
M.  Hauser  l'oeuvre  d'un  rhetoricien,  une  Imitation  de  textes 
antiques. 

A  ces  arguments  si  serres  M.  Armaingaud  repond  dans  la 
Revue  critique  du  13 — 20  octobre  1910  que,  meme  en  1574,  le 
tyran  designe  par  le  Conir'un  est,  non  le  roi  de  France,  malade 
et  presque  mourant,  mais  bien  Henri  de  Valois,  alors  roi  de  Po- 
lognc, qui  allait  nionter  sur  le  trone  de  France. ^^)  II  montre 
combien  peu  les  details  de  la  description  du  «hommeau»  concordent 
avec  ce  que  nous  savons  de  Neron  par  Tacite^^)  et  par  Suetone,^^) 
et  combien  la  mention  de  la  P  1  e  i  a  d  e  et  celle  de  la  F  r  a  n  - 
ciade  de  Ronsard  (publiee  en  1572)  ressemblent  ä  des  inter- 
polations  qu'on  ne  peut  attribuer  ä  La  Boetie. ^^) 

Et  M.  Hauser,  qui  pretend  terminer  la  lutte,  replique,  le 
10  novembre,  toujours  dans  la  Revue  critique,  que  dans  le  texte 
du  Reveille-matin,  le  tyran  malmene  est  89  fois  Charles  IX. 
On  ne  comprend  donc  pas  comment  l'auteur  de  ces  dialogues 
qui  contiennent  les  premiers  Fragments  connus  du  Contr'un, 
aurait  pu  utiliser  et  ins  er  er  un  texte  qui,  tout-ä-coup, 
aurait  introduit  dans  le  corps  de  son  ouvrage  un  autre  tyran 
que  celui  qu'il  attaque.  C'est  lä,  peut-etre,  l'argument  le  plus 
fort  en  faveur  de  la  these  de  M.  Hauser.  Cependant,  la  psychologie 
d'un  homme  qui  utilise  et  remanie  des  textes  au  seizieme  siecle 
est,  pour  lo  critique  moderne,  une  chose  si  delicate  et  si 
mysterieuse  que  Ton  ne  saurait  voir  dans  cet  argument  une 
preuve  absolument  decisive. 

On  voit  que  l'interessant  tournoi,  dont  nous  n'avons  pu 
indiquer  que  les  phases  principales,  est  loin  d'etre  entierement 
termine.  Bien  des  polemiques  surgiront  encore  autour  du  nouveau 
Probleme  avant  qu'une  Solution  definitive  inteivienne  —  si  tant 
est  qu'elle  s'impose  jamais. 

En  attendant  la  lumiere  plus  complete  qui  doit  jaillir  de  la 
discussion,  que  doit  penser,  a  c  t  u  e  1 1  e  m  e  n  t ,  le  critique 
objectif  et  impartial  de  Tetat  present  de  la  question. 

II  est  bien  difficile  de  prendre  parti  des  aujourd'hui  d'une 
fa§on  absolument  definitive.  Personnellement,  j'ai  tout  d'abord 
ete  tres  frappe  des  arguments  de  M.  Ai'maingaud;  mais  une 
etude  plus  approfondie   du  Conir'un  m'a  montre  que  sa  Solution 

1«)  p.  263—265. 
1')  Annales  XVI,  15. 
^^]  N  e  r  o  ,  51. 

i^i  p.  272—274.  Cf.  H.  Monod,  Mmünignc  nprcs  la  Sainl- 
Barthelemy,  Revue  de  Paris,  1  mars  1910. 


/);•.  Annain^awL  Montaigne  patnphlHaire^  l'enigmc  (UiConlr'iin.  27 

nc   resolvaiL   pas    toutos  les  difficultes  suulevees   par   lo   celebre 
discours. 

Ce  qui  l'ait  la  l'orco  de  M.  Armaingaud,  ce  sont  les  divergences 
de  vues  de  ses  adversaires.  La  force  de  ses  contradicleurs  reside 
dans  le  fait  qu'ils  oublient  leurs  propres  divisions  pour  inonter 
ä  l'assaut  de  sa  thes(\ 

Ce  qui  parait  certain,  c'est  quo  le  probleme  des  (jrigines 
du  Contr'un  est  plus  complique  qu'on  ne  l'a  cru  jusqu'ici.  II 
semble  bien  que  sa  redaction  trahisso  au  moins  deux  mains 
differentes.  L'oeuvre  contient  de  la  rhetorique  et  meme  des 
puerilites  qui  n'auraient  pas  echappe  ä  Montaigne,  du  moins 
(laus  un  ouvrage  oi'iginal  qu'il  aurait  lance  dans  l'arene  sous  son 
propre  nom.  D'autre  part,  il  y  a  des  pages  qu'un  garcon  de 
seize  ou  dix-huit  ans  n'a  guere  pu  ecrire. 

La  part  de  La  Boetie  ou  d'un  autre  ecrivain  anterieur  ä  la 
redaction  definitive  pourrait  etre  plus  considerable  que  ne  le 
pense  le  docteur  Armaingaud,  celle  de  l'auteur  des  Essais  doit 
etre  plus  importante  qu'on  ne  l'a  cru  jusqu'ici. 

Tous  deux  auraient  eu  unc  part  importante  dans  la  redaction 
de  l'oeuvre.  Cela  ne  les  diminuerait  ni  l'un  ni  l'autre;  car,  comme 
le  dit  fort  bien  M.  Henri  Monod,  une  teile  collaboration  et  une 
teile  amitie  «elevent  ceux  qu'elles  possedent  .  .  .  Ces  deux  belles 
ämes  se  sont  en  quelque  sorte  amalgamees.  Ou  encore,  ce  sont 
des  vases  communiquants:  on  ne  les  imagine  pas  ä  des  niveaux 
differents>>.20) 

Arrivera-t-on  jamais  ä  faire  le  partage  exact  de  ce  qui  appar- 
tient  ä  chacun  des  auteurs  presumes  du  Contr'un?  Cela  n'est 
pas  certain.  Les  questions  de  remaniements  et  d'interpolations 
sont  parmi  les  plus  delicates  qui  existent,  surtout  quand  il  s'agit 
d'artistes  aussi  habiles  que  Montaigne. 

Quoi  qu'il  en  soit,  ]\L  Armaingaud  a  le  tres  grand  merite 
d'avoir  attire  I'attention  sur  les  origines  mysterieuses  du  Contr'un. 
sui'  les  difficultes  qu'il  souleve,  sur  la  maniere  dont  travaille 
Montaigne,  sur  sa  facon  de  juger  la  Saint-Barthelemy  et,  en 
general,  sur  l'une  des  periodes  les  plus  dramatiques  et  les  plus 
captivantes  de  l'histoire  politique,  religieuse,  sociale  et  litteraire 
de  la  France. 

Paris.  H.   Schoen. 

P.  S.  L'auteur  de  ces  lignes  manquerait  ä  tous  ses  devoir 
s'il  omettait  de  remercier  M.  Armaingaud  de  l'extreme  obligeance 
avec  laquelle  il  a  bien  voulu  mettre  ä  sa  disposition  tous  les 
documents  qui  pouvaient  lui  etre  utiles.  —  Dans  une  lettre 
recente,  l'aimable  docteur  nous  annonce  qu'il  va  repondre  ä  la 

-")  Voir  rarticle  cife.  p.  12.5.  dans  la  Revue  de  Paris,  XVIL  5. 
du  ler  mars  1910. 


28  Referate  und  Rezensionen.     Josef  Frank. 

seconde  critique  de  M.  Hauser  dans  Tun  des  prochains  numeros 
de  la  Revue  critique.  II  montrera  comment,  «dans  les  premiers 
mois  qui  precedent  la  publication  du  Contr'uti,  Charles  IX  etant 
tres  malade,  sa  mort  etait  prevue  commc  prochaine  .  .  .  On 
redoutait,  nous  ecrit-il,  le  retour  en  France,  pour  lui  succeder, 
de  son  frere  Henri,  roi  de  Pologne,  et  alors  on  a  introduit  dans 
le  Reveille-j\fatin  deux  morceaux  capitaux  qui  occupent,  Tun 
les  dernieres,  l'autre  les  premieres  pages  du  volume  et  ont  tres 
vraisemblablement  ete  composes  les  derniers  et  revelent  les 
preoccupations  dominantes  des  auteurs  du  pamphlet  au  moment 
de  la  publication.»  H.   Seh. 

NcliilT,  Mario.  La  Fille  d'Alliance  de  Montaigne  Marie  de 
Gonrnay.  Essai  suivi  de  ,,L'egalite  des  liommes  et  des 
femmes"  et  du  ,.Grief  des  Dames" .  Avec  des  variantes, 
des  notes,  des  appendices  et  un  portrait.  Paris.  Librairie 
Honore  Champion,  Editevu-.     1910. 

Marie  de  Gournay,  die  ,,fille  d'alliance"  Montaignes, 
verstand  es  durch  ihren  hervorragenden  Anteil  an  der  Herausgabe 
seiner  Essais  und  durch  eine  schwunghafte  Selbstreklame 
ihren  Namen  durch  ein  unlösliches  Band  mit  dem  Michel 
Montaignes  zu  verbinden  und  sich  so  einen  Teil  seiner  Unsterb- 
lichkeit zu  sichern.  Es  ist  also  zweifellos  eine  verdienstliche 
Arbeit,  ihre  Persönlichkeit,  besonders  aber  ihren  Anteil  an  der 
PubUkation  der  Essais  genauer  zu  untersuchen  und  zu  fixieren. 
M.  Schiff  hat  dies,  so  weit  wir  urteilen  können,  mit  redlichem 
Flei(3e.und  vielem  Geschick  getan. 

Es  seien  hier  die  allerwdchtigsten  Ergebnisse  in  aller  Kürze 
mitgeteilt.  Als  Marie  de  Gournay  die  1580  zum  ersten  Male 
erschienenen  Essais  kennen  lernte,  war  sie  kaum  19  Jahre 
alt.  Sie  war  von  dem  Inhalte  derselben  so  entzückt,  daß  sie 
nach  ihrem  eigenen  Geständnisse  darüber  ganz  aus  Rand  und 
Band  kam.  {,fin  estoit  prest  ä  me  donner  de  Vhellehore.")  Um  ihrem 
nunmehrigen  Ideal,  dem  Autor,  persönhch  näher  zu  treten  (sie  hatte 
ihn  nämlich  bisher  noch  nicht  kennen  gelernt),  wollte  sie  mit 
ihm  brieflich  verkehren.  Da  hörte  sie,  er  sei  soeben  gestorben. 
Bald  darauf  aber  erfuhr  sie  in  Paris,  daß  diese  Todesnachricht 
sich  nicht  bestätige  und  nun  überschüttete  sie  ihn  mit  so  viel 
überschwänghchem  Lobe,  daß  er  sie  aus  Dankbarkeit  besuchte  und 
ihr  seinen  väterlichen  Freundschaftsbund  anbot,  den  sie  selbst- 
verständlich mit  größter  Begeisterung  und  Schwärmerei  annahm. 
Bei  einem  bald  darauf  erfolgten  Besuche  Montaignes  in  Gournay- 
sur-Arronde,  dem  Wohnsitze  Maries,  wurde  diese  Freundschaft 
befestigt.  Zweifellos  hat  nun  Marie  d.  G.  Montaigne  bei  seinen 
unaufhörlichen  Verbesserungs-  und  Ergänzungsarbeiten  an  den 
Essais  kräftig  unterstützt,  was  sie  um  so  besser  konnte,  als  es 


Sc/iiff,  Mario.  Ld  Flllc d' AHiancc  de  Monlaiguc  Marif  dcdournaij.  29 

(las  höchste  Ziel  ilircs  Eiirgvizes  bildete,  sich  in  das  Derdcen  und 
Fühlen  ihi'es  Meisters  wahlverwandt  zu  vertiefen  und  zu  einer 
-Vi't  Inkarnation  seines  Geistes  zu  werden.  Sie  verwuchs  aufs 
innigste  mit  seinen  Interessen,  wobei  sie  allerdings  nicht  zu  kurz 
kam.  In  diesem  Sinne  wirkte  auch  der  von  ihr  1594  veröffentlichte 
.,Proumenoir  de  M.  de  Montaigne  par  sa  fille  d'alliance"'.  Ihre 
Korrespondenz  mit  Montaigne  ist  leider  verloren  gegangen.  Den 
am  13.  September  1592  eingetretenen  Tod  Montaignes  erfuhr 
Marie  de  G.  erst  am  25.  April  1593.  15  Monate,  nachdem  Mon- 
taigne gestorben  war,  erhielt  sie  die  von  seiner  Mutter  gesammelten 
und  von  P.  de  Brach  durchsiebten  Papiere.  Sie  wurde  so  ge- 
wissermaßen die  literarische  Testamentsvollstreckerin  ihres  ,,/?ere 
d'alliance"  und  gab  nun  eine  neue,  sehr  erweiterte  Auflage  der 
Essais  heraus.  Sie  unterzog  sicii  der  von  ihr  übernommenen 
Pflicht  mit  aller  nur  möglichen  Hingabe.  Es  ist  diese  Ausgabe  der 
Gournay  1595  erschienen  und  gilt  bis  heute  als  die  ^.Viilgata" 
der  Essais.  Wenn  man  auch  mehrere  von  ihr  bei  der  Redaktion 
vorgenommene  Textveränderungen  heute  als  Unzukömmlich- 
keiten und  Willkür  rügen  müßte,  so  verfuhr  sie  dabei  doch  bona 
fide  und  nicht  ohne  gebührende  Pietät.  Von  Bedeutung  ist  folgender 
Umstand:  In  der  von  Marie  de  G.  1595  veröffentlichten  Ausgabe 
der  ,, Essais"  findet  sich  das  erstemal  (am  Ende  des  17.  Kap. 
des  2.  Buches)  die  Lobrede  des  Verfassers  auf  seine  ,, fille 
d'alliance",  die  sich  dann  in  der  von  Marie  de  G.  1635  (dem 
Kardinal  von  Richelieu  gewidmeten)  publizierten  Ausgabe  in 
verkürzter  und  modifizierter  Form  wiederfindet.  Woher  kommt 
nun,  so  fragt  Schiff,  die  Unstimmigkeit  dieser  beiden  Lobreden  ? 
Daß  diese  Lobrede  ganz  und  gar  eine  Fälschung  der  Marie 
de  G.  gewesen  sei,  ist  nicht  anzunehmen,  da  Montaignes  An- 
erkennung für  seine  Freundin  über  allen  Zweifel  erhaben  ist.  Dafür 
spricht  auch  folgender  Umstand:  Das  ,,exemplaire  de  Bordeaux" 
(darunter  versteht  man  bekanntlich  das  von  Montaigne  selbst 
mit  reichlichen  Zusätzen  versehene,  noch  heute  erhaltene  Exem- 
plar der  Es-^aw- Ausgabe  von  1588)  enthält  nämlich  am  Ende 
des  17.  Kap.  des  2.  Buches  ein  von  dem  Paläographen  Cagnieul 
als  von  Montaignes  eigener  Hand  herrührendes  Kreuzeszeichen, 
das  deutlich  auf  einen  hier  einzusclialtenden  Zusatz  verweist. 
S  t  r  o  w  s  k  y  erwähnt  dieses  auf  einen  Einschub  hinweisende 
Zeichen  ebenfalls  und  bemerkt  dazu,  auch  der  fleckige  Rand 
lasse  vermuten,  daß  er  mit  einem  Nachtrage  beklebt  war,  der 
aber  im  Laufe  der  Zeit  abgefallen  ist.  Das  von  der  Gournay 
als  Vorlage  für  ihre  Edition  von  1595  benützte  Exemplar  der 
Ausgabe  von  1588  (das  aber  mit  d  e  m  ,,e  x  e  m  p  l  a  i  r  e 
de  Bordeaux"  nicht  identisch  i s  t)  ist  nicht  mehr  vor- 
handen. Es  kann  also  nur  als  sicher  gelten,  daß  Montaigne  an  der 
in  Rede  stehenden  Stelle  eine  Interpolation  angebracht  habe;  ob 
diese  aber  die  Lobrede  auf  Marie  de  G.  gewesen  sei,  ist  mindestens 


;50  Referalc  und  Hezensionen.      Josef  Frank. 

nicht  ausgemaclit.  Es  gibt  nachzudenken,  daß  diese  Lobrede 
in  der  1635er  Ausgabe  gegen  den  Wortlaut  in  der  1595er  Aus- 
gabe stark  restringiert  erscheint.  Strowsky  will  gefunden  haben, 
daß  die  ängstliche  Befangenheit,  mit  der  Marie  de  G.  diese  an- 
gebliche Lobrede  Montaignes  wiedergibt,  ihr  sclilechtes  Gewissen 
verrate,  was  aber  Schiff  nicht  herausfühlen  will. 

Sehr  aufgefallen  ist  es  mir,  daß  wedei'  Schiff  noch  Strowsky 
ein  Illustrationsfaktum  herangezogen  haben,  welches  Marie  de  G.'s 
Unverfrorenheit  und  Gewissenslosigkeit  in  literarischen  Dingen 
besonders  grell  beleuchtet  und  ganz  danach  angetan  ist.  ihi'  die 
unverschämtesten  und  frechsten  Fälschungen  zuzumuten.  Ich 
meine  nämlich  das  Attentat,  das  sie  auf  die  Dichtungen  Ronsards 
versuchte,  dessen  Gelingen  nur  durch  ihre  Entlarvung  von 
Seiten  Colletets  vereitelt  wurde.  Ich  entnehme  dies  folgendem 
(bei  Schiff  S.  34  A.  2  zitierten)  Berichte  Colletets:  ,,.4  ce  propos 
il  fallt  qiie  je  dise  que  je  n'ay  jamais  approiwe  le  bizarre  dessein 
de  Marie  le  Jars  de  Gournay,  qui  avoit  entrepris  de  corriger  les 
plus  nobles  poesies  de  Ronsard,  pour  les  adoucir,  disoit-elle,  et 
les  accommoder  ä  notre  style.  Et  de  faict,  eile  eul  la  hardiesse  de 
mettre  les  mains  sur  celles-cy  et  de  les  publier  mesmes  avee  quelques 
autres  oeuvres,  precedees  d'un  avertissernent  par  lequel  eile  donnoit 
advis  au  lecteur,  quelle  avoit  heureusement  trouve  nri  eocemplaire 
de  tous  les  ceuvres  de  Ronsard,  revues  et  corrigees  par  l'autear 
et  de  sa  main  propre;  ce  qui  estoit  absolument  faux,  comnie  eile 
nie  Vadvoua  elle-mesme,  en  nie  donnant  cet  eschantillon  d'oeuvres 
corrigees.  Aussi  luy  dis-je  des  lors  tant  qu'il  resteroit  un  Colletet  au 
nionde,  on  scauroit  par  luy  l'erreur  et  la  vanite  de  cette  siipposition ." 
Ich  kann  hier  aus  Raumrücksichten  diese  Frage  nicht  weiter 
verfolgen!  Wer  sich  dafür  interessiert,  findet  das  einschlägige 
Material  bei  Schiff  (1.  c.)  weiter  ausgeführt,  wo  er  auch  nach- 
lesen kann,  daß  Marie  de  G.  die  eherne  Stirne  hatte,  ihre  Lügen 
in  einer  Widmung  an  Ludwig  XIII.  zu  wiederholen. 

Auch  was  wir  sonst  von  ihr  hören,  khngt  nicht  sehr  erbaulich, 
obgleich  Justus  Lipsius  in  einem  Anfalle  von  exzessiver  Galanterie 
sich  zu  dem  Komplimente  versteigt,  daß  er  in  der  Bewunderung  ihrer 
geistigen  Überlegenheit  es  bedauere,  als  Mann  und  nicht  als  Weib 
auf  die  Welt  gekommen  zu  sein.  An  eine  persönliche  Begegnung 
.Maries  mit  Justus  Lipsius  in  Belgien  will  Schiff  (im  Gegensatz 
zu  Bonnefon)  nicht  glauben,  da  sie  bei  ihrer  Selbstgefälligkeit 
und  Ruhmredigkeit  ein  solches  Ereignis  gewiß  nicht  unerwähnt 
gelassen  hätte.  Im  allgemeinen  w^urde  sie  als  Schriftstellerin 
nicht  sehr  ernst  genommen  und  viel  verlacht,  obzwar  sie  in  alle 
y.eitbewegenden  Fragen  mit  ihrer  Feder  eingriff  und  als  alte 
.lungf(H'  sogar  pädagogische  Direktiven  geben  wollte.  In  keinem 
Falle  vergaß  sie  aber  ihre  Solbstberäuclierung.  Jedenfalls 
hatte  sie  auch  böse  Feinde:  Balzac  bedauert  in  einem  Briefe 
an  Chapelain,  daß  Marie,  trotzdem  sie  ihm  dies  vor  kurzem  in 


Mdugain,  (jübricl.      hocnnieitli  hiblio'^rafici  cl  rrilici  elc.     31 

Aussicht  gestellt  habe,  noch  iiinuor  nicht  gestorben  sei,  und  einige 
ihrer  Gegner  haben  sie,  da  sie  eifrig  alchimistische  Studien  he- 
ti'ieb,  sogar  als  Hexe  ausgeschrieen.  Unter  ihren  zahlreichen 
hintiM'iassenen  Werken  finden  sicli  auch  viele  kleine  Gedichte 
an  ihre  Katzen.  Die  äußerliche  schriftstellerische  Eigenart 
Montaignes  hat  sie  ihm  auch  gut  abgeguckt,  besonders  die  Derb- 
heit, mit  der  er  alle  Natürlichkeiten  beim  wahren  Namen  nennt; 
ihr  fehlt  aber  außer  anderen  hervorragenden  Begabungen  ihres  Vor- 
bilds die  schon  infolge  ihrer  maßlosen  Eitelkeit  unmöghch  gemachte 
Unbefangenheit  der  Selbstbeobachtung  und  Selbsterkenntnis. 
Sehr  interessant  ist,  daß  Mari(>  auch  als  feministische  Frauen- 
rechtlerin auf  den  Kampfplatz  tritt.  Sie  hatte  sich  in  dieser 
Eigenschaft  schon  in  ihrer  ersten  großen  Vorrede  zu  den 
E.ssais  (die  in  den  Ausgaben  von  1598,  1600,  1602  und  1604 
auf  zehn  Zeilen  zusammengeschrumpfte)  betätigt.  Am  kräftigsten 
aber  macht  sie  sich  in  dieser  Richtung  geltend  in  der  ,,Egalite 
des  Hommes  et  des  Femmes"  (1622)  und  in  dem  ,,Grief  des  Dames" 
(1626);  beide  Schriften  sind  bei  Schiff  nebst  manchem  anderen 
beachtenswerten  Anhange  abgedruckt  und  werden  gewiß  ihre 
Leser  finden.  Ich  schließe  diese  Besprechung  des  sehr  dankens- 
werten Schiffsclien  Buches  mit  seinen  \A'orten:  ,, Marie  deGournay 
a  donne  trois  preuves  de  hon  sens  qiii  siiffiraient  ä  lui  assiirer  la 
Sympathie  d'iin  lecteur  attentif  et  inparfial:  eile  a  ete  devouee  ä 
la  memoire  de  Montaigne;  eile  ä  admire  Ronsard;  eile  a  eu  son 
avis  siir  toiiles  sortes  de  questions  et,  en  depit  de  sa  jiipe,  eile  a  sii 
le  dire  liautemenl." 

\\  i  0  n  -  H  i  e  t  z  i  n  y.  Josef  Frank. 


^laiigam,  lil-abriel.  Documenti  hibliograjici  e  critici  per  la 
storia  della  fortuna  del  Fenelon  in  Italia.  Paris,  Cham- 
pion,  1910.     pp.  XXI.  229. 

'E,  come  il  titolo  l'indica,  uno  studio  assolutamente  biblio- 
grafico,  che  deve  esser  costato  parecchia  fatica  all'  egregio  suo 
autore  ed  un  pochino  anche  ai  trentatre  bibhotecari  che  l'aiu- 
tarono  in  tale  compilazione.  Non  e  possibile,  a  chi  scrive,  a 
meno  di  rifare  la  via  percorsa  dal  M.,  raddoppiando  magari  il 
numero  delle  lettere  circolari  alle  biblioteche,  l'asserire  che  qui 
sia  riunita  tutta  la  fortuna  italiana  del  degno  arcivescovo  di 
Cambrai.  Non  trovo,  per  esempio,  II  mentore  cristiano  tradotto 
dal  Fenelon  (Telemaco)  ecc,  Modena,  tipi  dell'  Immacolata  Con- 
cezione,  1872,  opera  di  un  corto  Fiuti,  ne  l'altra  traduzione  stam- 
pata  in  Germania,  ma  di  penna,  credo,  italiana:  Ermanni 
S  i  n  c  e  r  i  ,  Fata  Telemachi  latine  versa  cum  explicationibus 
germanicis  etc.  Stuttgardiae,  Erhard,  1758.  So  che  alla  Palatina 
esiste  una  versione  del  Telemaco  in  italiano  publicata  a  Parigi 


32  Refcralt'   und  Rezoisioneii.      Pietro   Toldo. 

e  che  reca  la  segnatura  22.  4.  2.  1,  ma  non  lio  indieazioni  piü 
esatte,  ne  potrei  dichiarare  se,  come  pare  probabile,  il  M.  Tabbia 
ricordata.  Trattasi,  ad  ogni  modo,  di  piccolissime  dimenticanze 
delle  quali  occorre  appena  di  tenere  parola. 

II  M.,  con  retto  senso  critico,  ha  bene  impostato  e  diviso 
il  proprio  Ubro,  evitando  cosi  di  smarrirsi  nell'  ampia  e  intricata 
foresta  delle  citazioni.  Dopo  una  sobria  e  utile  prefazione  — 
l'opera  tutta  e  scritta  in  italiano  e  dimostra  sicura  conoscenza  della 
lingua  nostra  — ,  in  cui  si  discorre  della  fortuna  delle  opere  del 
Fenelon  nella  Penisola,  constatando  come  la  massima  rinomanza 
dello  scrittore  francese  abbia,  piü  particolarmente,  abbracciato 
un  periodo  che  va  dal  1785  al  1845  e  dopo  aver  indagato  acuta- 
mente  le  ragioni  di  tale  rinomanza,  TA.  esamina  il  diffondersi 
in  edizioni  o  in  versioni  delle  singole  opere,  le  imitazioni  che 
se  ne  fecero  e  i  giudizi  che  se  ne  recarono.  Alcune  volle  codesta 
suddivisione  e  ancora  piü  minuta,  come  nel  capitolo  III,  che 
si  riferisce  al  Telemaco: 

«Parte  prima  della  bibliografia.  —  Traduzioni  in  prosa  italiana. 

Elementi  delle  edizioni  in  prosa  ritrovate. 

Parte  seconda  della  bibliografia.  —  Traduzioni  poetiche. 

Parte  terza  della  bibliografia.  —  Edizioni  in  lingua  francese 
stampate  in  Italia. 

Elementi  delle  edizioni  81 — 105. 

Parte  quarta  della  bibliografia.  —  Edizioni  in  duc  lingue.  ■ — 
Edizioni  poliglotte. 

1*^  Edizioni  in  francese  ed  italiano. 

2^  Ediziono  in  inglese  ed  italiano. 

3*^  Edizione  in  inglese  e  francese. 

4^  Edizione  in  tedesco  ed  italiano. 

5'^  Edizioni  poliglotte. 

Elementi  delle  edizioni  in  due  lingue.» 

Ne  tale  metodo  parmi  inopportuno,  perche  risparmia  molte 
fatiche  al  ricercatore,  come  pure  al  ricercatore  provvedono  le 
lavole  bibliografiche  o  gli  indici  e  taluni  cenni  biografici  intorno 
agli  autori  di  cui  si  notano  e  riferiscono  le  traduzioni,  lo  riduzioni, 
le  imitazioni  e  i  giudizi.  Qualche  appunto  puö  tuttavia  muoversi 
al  diligente  raccoglitore.  Apro  a  caso  il  libro  e  trovo  l'elenco 
delle  traduzioni  poetiche  del  Telemaco,  con  questo  somplice 
N.  B.  ,,Quanto  alle  traduzioni  poetiche,  sono  generalmente  cosi 
libere  che  ogni  ricerca  sul  testo  adottato  come  modello  riesce 
vana"  e  del  testo  seguito  c'importa  sino  ad  un  certo  punto; 
quello  che  si  vuol  sapere  piuttosto  gli  e  per  esempio,  se  il  Telemaco 
in  ottava  rima  di  Flaminio  Scarselli,  professore  di  eloquenza 
nella  Universitä  di  Bologna  sia.scritto  con  garbo,  se  modifica  e 
in  cosa  modifica  il  testo  francese  e  sc  aggiunge,  come  pare  proba- 
bile e  come  il  M.  accenna,  qualcosa  di  suo;  infine  se  adatta  al 


Maugaiii,  (inhiicl.      DocKii/rn/i  l>i.hUi)'f^riifici  d  vi'iUci  eic      33 

proprio  paesc  e  al  tempo  in  cui  vivc  I'opej'a  dclJo  seritlort^  straniero. 
II  M.  riferisce  un  giudizio  delle  Novelle  della  Hepubblica  letteraria. 
Avremmo  perferito  intendere  il  suo  e  cosi  ci  sarebbe  piaciuto  di 
conoscere  cosa  sia  certo  ,,Telemaco  in  verso  sciolto,  illustrato 
da  moltissime  annotazioni  geografiehe,  mitologiche  (^  storiche" 
dovuto  alla  penna  di  Francesco  Herman  (e  clii  e  questi  Herman 
di  cui  invano  cerco  notizia  nelle  note  biografiche;  ilaliano  o 
tedesco  almeno  di  origine  ?),  come  il  (;onte  Girolamo  Polcastro 
rechi  in  rima  le  avventure  del  figlio  di  Ulisse  e  cosa  valga  la 
vita  e  l'analisi  dell'  opera  del  Fenelon  fatta  dall'  avvocato  Pietro 
Balducci.  Capita  talvolta  —  ed  ebbi  occasione  d'osservarlo  in 
altre  ricerche  —  cbe  codesti  traduttori  altro  non  facciano  che 
copiarsi  e  capita  pure  che  certe  versioni  rivedute  e  corrette 
possano  interessarci  come  indice  dei  tempi  e  degli  autori.  Figu- 
rarsi  con  quali  criteri  e  con  quali  intenti  doveva  purgarsi  il  pur- 
gatissimo  Telemaco!  Cosa  sono  divenuti  gli  amori  di  Calipso  e 
di  Eucaride  ?  E  poiche  quest'  opera  piii  dell'altro  c'interessa, 
osserviamo  subito  come  il  cap.  IV  del  M.  liunisca  un  mazzo  di 
Giudizi  diversi  intorno  ad  essa,  che  spiegano  realmente  la  ragione 
della  sua  lortuna.  Prende  le  messe  dall'  Andres,  il  quäle,  meglio 
deir  Arteaga  c  perche  come  questo  straniero,  seppe  divulgare 
nella  Penisola  la  conoscenza  degli  scrittori  d'Oltr'  Alpe  e  giu- 
dicarli  con  quell'  acume  di  cui  spesso  i  gesuiti  diedcro  prova: 
,,La  lode  di  dare  buoni  romanzi  morali  era  riservata  agli  scrittori 
moderni;  ed  il  primo  che  Tabbia  meritata  e  statu  nel  suo  Tele- 
maco il  Fenelon,  al  cui  sublime  talento  fortunatamente  e  riuscito 
di  fare  d'un  romanzo  un  Hbro  classico  di  soda  dottrina  e  di  bella 
letteratura/'  E  un  giudizio  non  meno  benevolo  aveva  giä  espresso 
in  certa  sua  lettera  il  Muratori:  ,,'E  un  romanzo  fatto  per  inspi- 
rare  la  virtü."  Non  tutti  tuttavia  furono  di  tale  parere;  gli 
amori  cosi  detti  inverecondi  delle  protagoniste  parvero  insidie 
alle  anime  innocenti;  altri  considerarono  il  libro  utile  esercizio 
per  lo  studio  della  mitologia,  altri  —  e  fra  questi  Cesare  Cantü  — 
attribui  ad  esso  persino  meriti  divinatori.  II  Fenelon  avrebbe 
intuito  cive  1'  89  e  cercato  di  consigliare  al  duca  di  Borgogna  una 
specie  di  governo  costituzionale,  idea  questa  che,  cosi  espressa, 
non  passö  nemmeno  per  la  mente  dell'  autore  della  Henriade. 
Con  piü  retto  criterio,  il  Falchi  gli  assegna  un  posto  vicino  al 
vescovo  di  Meaux  senza  negargli  tuttavia  relazioni  d'idee  cogli 
enciclopedisti ;  il  Fenelon  segue  la  tesi  teocratica,  non  ammette 
autoritä  in  terra  superiore  a  quella  dei  sovrani  ma  vuole  che 
la  ragione  li  guidi,  ne  appare  troppo  persuaso  della  giustizia  e 
della  bontä  dell'  ereditarietä.  Ad  ogni  modo  non  sembra  possa 
.attribuirsi  a  lui  un  ideale  superiore  a  quelli  del  dispotismo 
illuminato. 

Spiacquero,  ad  altri  critici  itaHani,  i  troppi  elementi  didattici 
che  invadono  codesto  poema  in  prosa,  e  l'avrebbero  preferito  in 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  3 


34  Referale  und  Rezensionen.      Pieiro   Tokio. 

versi  —  ed  in  versi  per  rappunto  lo  traducono  —  come  se  il 
Fenelon  avesse  scelta  la  prosa  per  puro  Capriccio  e  come  se  il 
divenir  poeta  fosse  dipeso  soltanto  dal  suo  volere.  Romanzi 
imitati  dal  Telemaco  non  pare  ve  ne  sieno,  almeno  stando  al  M.; 
rammcnto  perö  di  aver  letto,  molti  anni  or  sono,  certo  scrittarello 
nostro  in  due  volumi  di  avventure  armene  e  turche  che  ricordava, 
non  foss'  altro  nel  titolo,  Topera  dell'  arcivescovo  francese.  Eccolo:. 
«Ermanno  alla  posteritä  ossia  il  Telemaco  italiano»,  Firenze, 
stamperia  Luchi,  senza  data  e  senza  nome  di  autore. 

II  trattato  dell'  Education  des  filles  ebbe,  esso  pure,  influsso 
notevole  sul  pcnsiero  italiano.  Gino  Capponi,  nei  suoi  Pensieri 
suir  educazione,  imputa  ad  esso  il  difetto  di  sensi  aristocratici : 
,,J1  Fenelon  . . .  cercava  di  provvedere  alla  virtü  delle  duchesse 
francesi",  mentre  oggi  ,,niuno  si  porrebbe  a  scriver  libri  pe'  gen- 
tiluomini  (come  il  Locke)  o  pei^  le  duchesse:  si  scrive  per  l'uomo: 
e  l'educazione  ch'  era  per  lo  innanzi  un  privilegio  di  pochi, 
dci  prediletti  della  fortuna,  si  riconobbe  alla  line  . . .  come  un 
diritto,  un  bisogno,  un  vincolo  dell'  umanitä.  ,,Altri,  col  Siciliani, 
si  ribella  alla  subordinazione  d'un  sistema  pedagogico  al  misti- 
cismo  ed  altri  inneggia  alla  proclamazione  dei  diritti  intellettuali 
della  donna  che  il  libro  dell'  Arcivescovo  propugna.  La  signora 
Paci  aggiunge  che  lo  scrittore  francese"  molto  prima  del  Rousseau, 
ha  voluto  che  si  consultasse  la  natura,  che  non  s'imponesse  ai 
fanciulli  una  disciplina  forzata  che  ne  ammortisce  le  attivitä, 
dimenticando  esser  quelle  dottrine  ormai  di  vecchia  data,  pro- 
clamate  in  Italia  dal  Vegio  e  dal  Feitrense  ed  in  Francia  dal 
Rabelais,  dal  Montaigne  e  da  cento  altri. 

Notizie  interessanti  il  M.  roccoglie  intorno  alle  relazioni 
fra  il  Fenelon  e  la  Chiesa  ed  al  processo  da  questa  intentatogli 
per  le  sue  Dissertazioni  sulle  massime  dei  santi,  che  parvero 
quietiste  e  quel  ch'ero  peggio,  pei  censori  romani  d'Innocenzo  XII, 
iiioliniste  e  fra  coloro  che  in  Italia  discorsero  del  vivo  dibattito 
c  dell'esemplare  ubbidienza  dell'  insigne  prelato,  vuol  ricordarsi 
con  il  M.  il  Manzoni,  il  quäle  nelle  Osservazieni  sulla  morale 
cattolica,  esce  in  queste  parole:  ,,La  sua  (del  Fenelon)  pronta 
e  costante  sommissione  alla  condanna  delle  sue  proposizioni, 
l'altre  sue  opere,  e  tutta  la  sua  vita  sono  una  prova  della  sin- 
ccritä  con  cui  non  cessö  mai  di  protestare  che  non  intendeva, 
ne  di  proporre,  ne  d'accettare  cosa  alcuna  che  deviasse  meno- 
mamente  dalla  fede  della  Chiesa",  giudizio  un  po'  sbrigativo 
sul  quäle  c'  e  parecchio  da  ridirc,  sebbene  non  possa  credersi 
che  il  pio  arcivescovo  seguisse  le  dottrine  di  Molinos  e  il  mi- 
sticismo  della  Guyon.  Queste  e  molte  altre  cose  insegna  il  libro 
del  M.  che  perü  mai  discute  e  raramente  sintetizza  le  opinioni 
le  quali  corsero  in  Italia  intorno  allo  scrittore  da  lui  studiato, 
ed  in  questo  non  possiamo  dargli  ragione,  tanto  piü  sapendo 
ch'egli  era  in  grado  di  farlo  ottimamente. 


C.aijje,    F.      I.c    Dra/nc  cii    Frainr  <iu   XV IW  siele.         35 

Oltrc  all'  oleneo  doli'  opere  drainmatiche  tratte  dal  Tolomaco, 
Ic  quali  interessano,  in  modo  particolare,  la  storia  del  melodramma 
italiano  e  che  presenta  poche  lacune,  il  lottorc  troverä  nello 
studio  del  M.  l'indico  dellc  lettere  del  Fenelon  ritrovate  e  pub- 
bUcate  in  ItaUa  e  in  appendice,  documento  inedito  e  notevolc, 
una  epistola  lalina  autografa,  diretta  dal  prelato  francese  al 
eardinale  Enrico  Noris  e  conservata  nella  ricca  c  bene  ordinata 
biblioteca  coniunale  di  Verona.  Queste  epistola  si  riferisce 
al  processo  teste  citato  (1697)  e  come  osserva  giustamente  il  M. 
costituisce  una  nuova  prova  dell'  abilitä  colla  quäle  l'arcivescovo 
sostenne  la  contesa  ed  anche  della  vivacita  con  cui  rispondeva 
alle  contumclie  degli  avversari. 

PlETRO    TOLDÜ, 


4iiaitYe*  F".  Le  Drame  en  France  au  XVI IT'  siede.  Ouvrage 
orne  de  16  planches  hors  texte,  en  phototypie.  Paris, 
Armand  CoHn,  1910.     600  S.  8'^     Broche  10  fr. 

Dieses  umfangreiche  Werk  löst  eine  beschränktere  Aufgabe, 
als  es  nach  dem  Titel  zunächst  den  Anschein  hat:  es  untersucht 
das  „Drame"  A'on  seiner  Begründung  in  Frankreich  durch  Diderots 
,,Fils  Natiirel"  im  Jahre  1757  bis  zu  seinem  vorläufigen  Ende 
oder  seiner  Umformung  im  Jahre  1791,  in  dem  die  Assemblee 
Nationale  am  13.  Januar  das  ^.decret  solennel  et  peremptoire" 
von  der  Freiheit  der  Theater  erließ.  Der  Ausdruck  ,, Drame" 
ist  im  Deutschen  kaum  wiederzugeben,  da  er  in  Frankreich  eine 
bestimmte  historische  Bedeutung  angenommen  hat.  Wir  pflegen 
unter  dem  viel  weiteren  Begriff  ,, Drama"  sämtliche  nicht  musi- 
kalischen Theaterstücke  zusammenzufassen,  eine  Bedeutung, 
die  das  französische  Wort  gelegentlich  auch  hat.  Man  könnte 
den  engeren  französischen  Begriff,  wie  er  in  obigem  Titel  ge- 
braucht ist,  höchstens  durcli  die  Bezeichnungen  ,,  Schauspiel", 
..bürgerliches  Trauerspiel"  und  ,, Rührstück"  übersetzen,  die 
im  Deutschen  eine  ähnliche  Bedeutung  haben.  Es  handelt  sich 
um  diejenige  populäre  dramatische  Gattung,  die  sich  in  Frank- 
reich im  Anschluß  an  Diderots  ^,Fils  Naturel"  1757  zuerst  im 
Gegensatz  zur  klassischen  ,,Tragedie"  und  ,,Comedie"  hohen 
Stils  herausbildete  und  im  19.  Jahrhundert  als  ,,drame  roman- 
tiqiie"  fortgesetzt  wurde. 

Der  Verf.  hat  seine  Aufgabe  für  das  Drittel  des  18.  Jahr- 
hunderts, das  für  ihn  in  Betracht  kam.  vollständig  gelöst.  Er 
hat  Hunderte  von  gedruckten  und  ungedruckten,  aufgeführten 
und  nicht  aufgeführten  Dramen  gelesen,  die  meist  schon  kurz 
nach  ihrer  Entstehung  in  die  verdiente  Vergessenheit  versunken 
sind,  und  sucht  daraus  ein  objektives  Bild  der  ganzen  Gattung 
und  ihrer  Entwicklung  in  jener  Zeit  zu  entwerfen.  Das  sehr 
wertvolle    Verzeichnis    aller    zitierten    Dramen    (557 — 577)    aus 


36  Referate  und  Rezensionen.     Wolfgang   Martini. 

jenen  34  Jahren,  das  auch  die  ,^comedies  serieiises"  und  die  ,,operas- 
comiqiies  laniioyants"  mit  umfaßt  und  außer  dem  Verweis  auf 
die  Seitenzahlen  für  jedes  Werk  Gattung,  Aktzahl,  sprachliche 
Form,  Autor,  erste  Aufführung  und  Druck,  in  strittigen  Fällen 
sogar  die  verschiedenen  Hypothesen  angibt,  führt  340  Titel  auf. 
Auch  das  sehr  genaue  Autorenregister,  das  überall  zugleich  auf 
den  Dramenindex  verweist,  ist  dankenswert  und  erleichtert 
neben  dem  ausführhchen  Inhaltsverzeichnis  die  Benutzung  des 
grundlegenden  Buches.  Eine  einleitende  „Notice  bibliographique" 
(5—13)  liefert  eine  kritische  Auswahl  aus  den  benutzten  Werken, 
die  durchgängig  das  Wertvolle  vom  Unwichtigen  somlert,  auch 
die  deutschen  einschlägigen  Arbeiten  eingehend  berücksichtigt, 
was  in  französischen  Büchern  immerhin  selten  ist,  und  die  von 
gründlicher  Sachkenntnis  und  sicherer  Beherrschung  des  Stoffes 
Zeugnis  ablegt.  Eine  Anzahl  guter  Lichtdrucke  von  Theater- 
szenen aus  Werken  des  18.  Jahrhunderts  schmückt  das  vornehm 
ausgestattete  Buch. 

Deir  Verfasser  behandelt  in  vier  Hauptteilen  den  Ursprung, 
die  Entwicklung,  den  Stoff  und  die  Form  der  Gattung,  indem 
er,  um  ein  allgemein  zutreffendes  Bild  zu  zeichnen,  mehr  auf 
die  Durchschnittsware,  als  auf  die  aus  der  Masse  durch  größeren 
literarischen  Wert  hervorragenden  Theaterstücke  Gewicht  legt. 
Es  sei  mir  gestattet,  einige  der  wichtigsten  Ergebnisse  heraus- 
zuheben. 

Das  ,, Drama"  geht  aus  der  großen  sozialen  Umwälzung, 
die  sich  im  Frankreich  des  18.  Jahrhunderts  vollzieht,  hervor 
und  stellt  sich  als  die  theatrahsche  Verwirklichung  des  bürger- 
lichen Ideals  jener  Zeit  dar.  Seine  Entstehung  wurde  durch 
den  Verfall  der  klassischen  Gattungen  der  Tragödie  und  Komödie 
iiolien  Stils  und  durch  den  Einfluß  der  auswärtigen  Literaturen 
begünstigt.  Es  hat  weniger  ästhetisclie  als  moralische  Ziele  und 
vernachlässigt  deshalb  auch,  mit  geringen  Ausnahmen  (Sedaine), 
(lio  Wahrheit  der  psychologischen  und  sozialen  Zeichnung  bis 
zur  Lächerlichkeit.  Kühne  Neuerungen  gegenüber  den  veralteten 
klassischen  Konventionen  wagt  es  mehr  theoretisch  als  praktisch. 
Aus  dem  Zwiespalt  zwischen  den  Regeln,  die  es  z.  T.  doch  befolgt, 
und  einer  mißverstandenen  Romantik  des  Inhalts  ergibt  sich  eine 
Zwittergeburt,  die  von  der  Unfähigkeit  zeugt,  einen  neuen  Stil 
zu  schaffen.  Der  einzige  künstlerische  Fortschritt  zeigt  sich  in 
der  szenischen  Darstellung;  das  Lesedrama  verschwindet  mehr 
und  mehr.  Mit  der  fortschreitenden  Demokratisierung  des  sozi- 
alen Milieus  geht  eine  Anpassung  an  immer  tiefere  Volksschichten 
und  damit  ein  Verfall  der  Gattung  Hand  in  Hand:  vom  bürger- 
lichen Schauspiel  in  Versen  bei  de  la  Chaussee  zu  dem  in  Prosa 
bei  Diderot  und  Sedaine  bis  zum  Volksschauspiel  in  niederster 
Prosa  bei  Mercier  und  Pixerecoürt.  Beim  Beginn  der  Revolution 
sinkt  es  vollends   und  geht  im  wesentlichen  im   ,,Melodrame" 


(Utifj(%  F.     Lc    Drainc  rn    Fniiicc  an  XVI IT  siede.       37 

unter.  Seine  Wirkung  auf  verwandte  Gattungen  ist  am  geringsten 
bei  der  Tragödie,  am  größten  beim  Lustspiel,  in  das  sich  eine 
Neigung  zur  Behandlung  ernster  moralischer  und  sozialer  Probleme 
lünüberrottet.  Aus  dem  historischen  Drame  ist  das  liisLorischo 
Lustspiel,  aus  dem  ^, Drainc  ä  arkttes"  des  18.  Jahrhunderts  die 
Operette  des  19.  hervorgegangen.  Im  Ausland  hat  das  ,, Drame" 
am  meisten  auf  Deutschland  gewirkt,  ist  aber  als  Rührstück 
zu  einer  europäischen  Gattung  geworden.  Der  Einfluß  auf  die 
beiden  wichtigsten  französischen  Gattungen  des  19.  Jahrliunderts, 
das  romantische  Drama  und  das  Lustspiel,  ist  gering,  da  iiier 
als  vermittelndes  ZwischengUed  hauptsäcldich  das  Melodramo 
in  Betracht  zu  ziehen  ist,  das  wiederum  mindestens  ebensovielo 
Elemente  der  Tragödie  als  des  Drame  in  sich  vereinigt. 

Die  Methode  des  Buches  ist  wesenthch  deskriptiv.  Ruliige 
Sachlichkeit  und  vorurteilslose  Kritik  führen  überall  die  Feder. 
Besonders  wertvoll  ist  der  wiederholte  Hinweis  darauf,  daß  soziale 
Wandlungen  den  Ursprung  und  die  Entwicklung  der  neuen 
Gattung  bedingt  haben.  Auch  die  auf  denselben  Weg  weisenden 
Neuerungen,  durch  die  Voltaire  dem  alternden  Klassizismus 
neue  Lebensfrische  verleihen  möchte,  werden  in  das  richtige 
Licht  gerückt  (25  ff.).  Man  könnte  wünschen,  daß  diesem  höheren 
Gesichtspunkte  eine  allgemeinere  Deutung  gegeben  worden  wäre. 
Dadurch  wäre  z.  B.  auch  der  innere  Zusammenhang  mit  i\ev 
späteren  Romantik  deutlicher  herausgetreten.  Es  scheint  mir 
zweifelhaft,  ob  die  sozialen  Umwälzungen  als  primäre  Ursaclien 
anzusehen  sind.  Eine  Wandlung  der  ganzen  Volkspsyche  ging 
in  jener  Zeit  vor  sich.  Die  verfallende  aristokratisch-rationa- 
listische Kultur  machte  einem  neuen,  demokratischen,  vom 
Gefühl  beherrschten  Geiste  Platz,  der  sich  auf  allen  Gebieten 
des  Kulturlebens  gleichmäßig  durchsetzte.  Er  begann  in  der 
Literatur,  das  Wort  im  weitesten  Sinne  gefaßt.  Eine  seiner 
vielen  Schöpfungen  ist  hier  das  Drame.  Dann  erfaßte  er  das 
Staatsleben.  Die  große  sozial-politische  Revolution,  die  alle 
Gemüter  ins  öffentliche  Leben  riß,  ließ  für  literarische  Bestre- 
bungen keinen  Raum.  Deshalb  bricht  hier  die  literarische  Tra- 
dition plötzlich  ab,  nicht  aber  wegen  der  Erklärung  der  Freiheit 
der  Theater  durch  die  Nationalversammlung  am  13.  Januar 
1791  (241  ff.);  dieses  Dekret  ist  bloß  als  ein  nebensächliches 
Symptom  in  der  Gesamtent^^dcklung  zu  betrachten;  sein  größter 
Wert  liegt  darin,  daß  es  zugleich  das  Recht  auf  das  geistige  Eigen- 
tum garantiert.  Das  Drame  hatte  schon  vor  diesem  Datum 
keine  Lebenskraft  mehr.  Aber  als  der  große  Sturm  der  Revo- 
lution vorüber  ist,  setzt  auch  die  literarische  Entwicklung  wieder 
ein;  mit  zeitgemäßen  Wandlungen  natürlich,  doch  im  großen 
ganzen  mit  denselben  Tendenzen:  der  ,,Exotisme"  und  die  Ver- 
herrlichung des  Mittelalters  geht  wieder  vorauf,  der  Schrei  nach 
Natur  und  Wahrheit  ertönt  von  neuem,  die  Nachahmung  Shake- 


38  Referate  und  RezensioiwjK      Wolfgcuig  Martini. 

speares  und  der  deutschen  Klassiker  setzt  sich  fort,  und  das 
,.,Drameromantique"  entsteht.  Daß  hier  kein  „wesentlicher  Unter- 
schied" besteht,  wie  Gaiffe  beweisen  möchte  (47  ff.,  438  ff.,  553), 
sondern  daß  die  Reform  des  19.  Jahrhunderts  einfach  eine  ver- 
stärkte und  zeitgemäß  modifizierte  Fortsetzung  der  des  18.  ist, 
scheint  mir  zweifellos.  Diese  erste  Reform  war  natürlich  drama- 
tisch noch  nicht  so  radikal,  den  Klassikern  noch  nicht  so  unbe- 
dingt feindlich,  Shakespeare  noch  nicht  so  unbedingt  freundlich 
gesinnt  (obwohl  z.  B.  Mercier  theoretisch  den  Romantikern  an 
Schärfe  nicht  nachstellt),  sie  war  ferner,  weil  v  o  r  der  Revolution, 
mehr  sozial  gerichtet:  aber  all  das  sind  nur  Grade,  keine  Wesens- 
unterschiede. Gaiffe  sieht  sich  daher  auch  häufig  veranlaßt, 
das  \^'ort  ,;ro}7iantique"  anzuwenden,  ja,  er  entdeckt  genug- 
romantische Züge  im  18.  Jahrhundert  (vgl.  322  ff.,  400,  410, 
421,  436  etc.).  Die  Bestrebungen  beider  Zeiten  decken  sicli 
(eilweise  so,  daß  man  oft,  was  G.  über  das  18.  Jahrhundert  sagt, 
ebensogut  auf  die  Reform  des  19.  anwenden  könnte  (z.  B.  311). 

Die  Gründe  für  den  ,,Exotisme'\  für  die  so  plötzlich  ein- 
tretende Achtung  vor  den  bis  dahin  als  barbarisch  verachteten 
auswärtigen  Literaturen,  ergeben  sich,  wie  ich  hier  nicht  weiter 
ausführen  kann,  in  beiden  Perioden  (ebenfalls  aus  der  völker- 
psychologischen Wandlung.  Sie  werden  bei  G.  nicht  ausreichend 
erörtert.  Bei  Anpassungen  ausländischer  Werke  an  den  fran- 
zösischen Zeitgeschmack  wäre  statt  der  Fülle  von  unbekannten 
Titeln  gelegentlich  eine  genauere  Angabe  der  charakteristischen 
Ai't  der  Veränderungen  zu  wünschen  gewesen,  wenigstens  wenn 
es  sich  um  Werke  von  durchschlagendem  Erfolg  handelt.  Solche 
sind  für  den  Zeitgeschmack  immer  bezeichnend.  Ich  will  nur  ein 
Beispiel  nennen.  Von  den  „Amants  genereux"  (G.  hat  die  Sehrei- 
bung ,,amans"  etc.  durcligängig  modernisiert)  des  Rocbon  de 
Chabannes,  die  am  13.  Oktober  1774  einen  entscheidenden  Erfolg 
errangen  und  zwölfmal  mit  vielem  Beifall  gegeben  wurden, 
wird  nur  gesagt,  daß  alles  spezifisch  Germanische  der  Vorlage 
„Minna  von  Barnhelm"  darin  unterdrückt  worden  sei,  und  daß 
der  Verfasser  von  der  Kritik  gerade  wegen  der  von  ihm  ange- 
brachten Veränderungen  gelobt  wurde  (62  f.,  189,  430  f.,  551). 
Das  gil)t  kein  richtiges  Bild.  Die  Veränderungen,  die  dem  Stücke 
den  Ei'folg  sicherten,  sind  derartig,  daß  aus  dem  feinen,  liefen 
deutschen  Lustspiele  hohen  Stils  eine  mit  oberflächlichsten 
Witzeleien  gespickte  lächerliche  Posse  wird,  in  der  sich  die  wenigen 
beibehaltenen  Originalszenen  unorganisch  genug  ausnehmen. 
Eini;  Hauptperson  ist  der  Onkel  comte  de  Bruxhal  geworden, 
dei'  bekannte  polternde  Alte  der  früheren  Komödie,  der  durch 
seine  ahnenstolze  Großmäuligkeil  und  seine  unersättliche  Ge- 
fräßigkeit die   Kosten   der  Lächerlichkeit  bestreiten   muß. 

Abgesehen  von  solchen,  bei  der  Fülle  des  Materials  nicht  zu 
vei'ineidenden   Mäng(dn    zeichmm   sich   gerade   die    liäufigen   Be- 


Pifollct,  ('(iniillc     l.it  (/iicrcllc  cahleronieniie  ^-c.  39 

merkungen  über  Lossing  durch  größte  Sachliclikoit  aus.  Das 
ist  bemerkenswert,  weil  Lessing  sonst  in  Frankreich  wegen  seiner 
überscharfen,  wenn  auch  historisch  wohl  begründeten  Angriffe 
auf  die  französischen  Klassiker  noch  heute  wenig  beliebt  ist. 
Der  Einfluß  Diderots  auf  seine  Theorien  wird  trotz  der  verstän- 
digen Bemerkungen  über  bei(hM-  Verhältnis  (61)  doch  noch  etwas 
überschätzt,  da  niclit  nur  ..Miss  Sara  Sampsou"  dem  ,,Füs 
Naturer  vorausgeht,  sondern  auch  Lessings  Theorien,  wie  S.  444  f. 
und  464  zugegeben  wird,  über  die  Diderots  hinausweisen,  über- 
haupt ist  der  Einfluß  des  Drame  auf  die  europäische  Gattung 
des  Rührstücks  nicht  so  groß,  wie  es  nach  (1.  scheinen  könnte, 
da  diese,  wie  schon  ,,.Miss  Sara  Sanijtsoii".  m<>hr  auf  englische 
Anregungen  zurückzuführen  ist. 

Daß  die  psychologische  Unzulänglichkeit  des  Drame  großen- 
teils bewußt  und  gewollt  sei  (340),  ist  doch  wohl  eine  zu  kühne 
Annahme.  Sie  erklärt  sich  natürlich  genug  aus  der  Unfähigkeit 
der  meisten  Autoren  und  liat  ihre  Parallelen  in  jeder  auf  das 
niedere  Volk  und  seine  primitive  Psychologie  bereclineten  Kunst. 

Im  ganzen  fällt  das  vom  Drame  entworfene  Bild  recht  düster 
aus;  vielleicht  doshalb  um  einige  Schatten  zu  dunkel,  weil  der 
Verf.  den  erwähnten  Grundsatz  befolgt,  hauptsächlich  das  Mittel- 
gut zu  berücksichtigen.  Über  die  Berechtigung  dieses  Prinzips 
ließe  sich  streiten.  Jede  Blüteperiode  der  Kunst  würde  als  minder- 
wertig erscheinen,  wenn  man  nur  die  der  Zahl  nach  stets  über- 
\Aiegenden  Durchschnittsleistungen  in  Betracht  zöge.  Wie 
viel  mehr  eine  Zeit  des  Verfalls.  In  Wirklichkeit  hat  G.  seinen 
Grundsatz  mit  Reclit  nicht   allzu  streng  durchgeführt. 

Dresden.  Wolfgang  Martini. 


Pitollet,  Camille.  La  quereUe  calderonienve  de  Johaii  Aikohis 
Bohl  von  Faber  et  Jose-Joaquin  de  Mora,  reconstitiiee 
d' apres  les  documents  originaux.  Paris,  Felix  Alcan, 
1909.     8«,  LV  +  272  p. 

Ce  livre  qui  interesse,  ä  plus  d'un  point  de  vuc  riiistoire 
de  la  litterature  et  du  goüt  francais,  debute,  apres  une  intro- 
duction  tres  touffue,  par  une  etude  biographique  sur  les  doux 
protagonistes  de  la  querelle  calderonienne.  M.  Pitollet,  qui 
a  retrouve  ä  Hambourg  la  correspondance  inedite  de  Bohl  von 
Faber,  presente  ensuite  un  resume  tres  complet  des  polemiques 
elles-memes. 

L'auteur  bien  connu  de  la  Floresla  de  Rimas  antiguas  castel- 
lanas  et  du  Teatro  espahol  anterior  ä  Lope  de  Vega,  Johan  Nikolas 
Bohl  von  Faber,  ne  a  Hambourg  en  1770,  fixe  ä  Cadix  des  1785, 
commergant  distingue,  puis  consul  des  villes  hanseatiques,  s'etait 
fait  bientöt  le  defenseur  enthousiaste  de  la  litterature  ancienno 


40  Referate  und  Rezensionen.     Lucien-Paul  Thomas. 

et  autochtone  de  l'Espagne,  de  ces  osuvres,  pleines  d'audace 
et  de  fougue,  et  si  peu  en  rapport  avec  les  tendances  alors  domi- 
nantes. II  ne  remporta  guere  qu'un  demi  triomphe,  si  meme 
Facademie  en  vint  ä  raccueillir  dans  ses  rangs  comme  membre 
honoraire. 

Ce  fut  toul  particulierement  Calderön  qui  lui  servit  de 
bouclier  dans  ses  longues  polemiques  contre  les  partisans  des 
litteratures  classiques,  et  surtout,  de  celle  de  la  France,  dont 
l'influence  sur  la  peninsule  etait  alors  preponderante. 

Le  principal  adversaire  du  critique  allomand  fut  un  Espagnol, 
don  Jose  Joaquin  de  Mora,  dont  la  vie,  moins  connue,  parait 
egalement  moins  digne  d'attention.  Les  idees  de  Schlegel 
sur  le  theätre,  incompletement  et  maladroitement  presentees 
aux  lecteurs  du  Merciirio  Gaditano,  provoquerent,  en  1814, 
la  premiere  riposte  de  Mora  qui  s'eleve  contre  la  mode 
de  desacrediter  les  "'regles  eternelles  du  goüt"  et  de  "secouer 
le  joug  des  precepts".  II  represente  ces  tendances  comme  favo- 
rables  aux  mediocrites  et  voit  un  grave  danger  dans  Fabandon 
des  etudes  classiques,  si  violemment  battues  en  breche  par  l'ecole 
'■'romanesca".  Celle-ci  so  targue  d'avoir  ,,amalgame  la  nature 
et  l'art  qui  sont  pourtant  ses  pires  ennemis,  alors  que  c'est  le 
genre  antique  et  classique  qui  a  su  realiser  cette  fusion.  Mora 
remarque  enfin  que  Schlegel  admire  precisement,  en  Calderön, 
le  lyrisme  exalte  et  le  manierisme  que  tous  les  Espagnols  vitu- 
perent.  Mora  et  ses  amis  defendront  cette  maniere  de  voir,  en 
de  longues  dissertations  qui  me  semblent  le  plus  souvent  deplo- 
rablement  creuses,  si  meme  on  y  trouve,  de  temps  en  temps, 
quelqu'  Observation  ingenieuse  et  originale. 

Les  nombreux  articles  et  pamphlets  de  Bohl  von  Faber, 
parfois  A^raiment  interessants,  sont  egalement  de  valeur  tres 
inegale.  Sa  pretention  de  ranger  les  classiques  parmi  les 
„materiaistes"  et  de  reserver  le  titre  de  ,,spiritualistes" 
pour  les  romantiques;  l'insuffisance  de  ses  arguments  contre 
les  pretendues  regles  eternelles  du  goüt;  le  cöte  factice  de  son 
enthousiasme  pour  Calderön;  son  singulier  appel  au  patriotisme 
espagnol,  ses  allusions  personnelles  et  politiques,  nous  le  fönt 
apparaitre  comme  un  polemiste  plus  habile  et  plus  decide  que 
profond.  Pourtant,  Bohl  n'etait  pas  un  homme  sans  valeur, 
lui  qui  ecrivait  avec  une  aisance  et  un  brio  remarquables  en  sa 
langue  adoptive,  et  savait  faire  de  söveres  le(:ons  aux  Espagnols 
qui  pechaient  contre  la  purete  de  leur  parier  natal.  Son  essai 
intitule  Del  gusto  en  la  poesia,  qui  tend  ä  separer  lo  chnnaine 
poetique  de  celui  de  la  raison,  est  loin  d'etrc  banal. 

L'article  de  Mora,  public  par  M.  Pitollet,  aux  pages  101 — 103 
de  son  etude,  presente  une  defense  interessante  des  regles;  selon 
Mora,  elles  ont  ete  tirees  de  la  nature  olle-mcme,  dont  on  s'ecarte 


Aiiiiales  de  la  Socielc  Ji' an- Jacques;  fioiisseaii.  41 

t'atalement  quaiid  on  Ics  csquivc.  Je  signalerai  encore,  sur  les 
notions  de  "goüt  classique"  et  de  "goüt  frangais",  les  reflexions 
de  D^  Francisca,  l'emme  de  Bohl,  et  Celles  d'Alcalä  Galiano, 
reproduites  respectivement  aux  pages    144  et    149 — 151. 

La  conclusion  de  M.  Pitollet  s'attaelie  ä  preciser  le  rang  qui 
revient  ä  la  defense  calderoniennc  dans  l'evolution  de  la  critique 
litteraire  en  la  peninsule,  et  cherche,  par  un  curieux  resume 
de  ses  titres  de  gloire,  a  rehabiliter  la  culture  espagnole  au  XVIIP 
siecle. 

J'aurais  prefcre  voir  la  querelle  presentee  sous  une  forme 
plus  synthetique,  plus  degagee  des  nombreux  extraits  qui  l'en- 
combrent  de  discussiuns  souvent  oiseuses  et  de  fastidieuses 
redites.  Je  ne  chercherai  donc  pas  ä  signaler  des  lacunes  dans 
ee  livre  si  consciencieux,  dont  la  documentation,  tres  etendue, 
me  parait  phitAt  excessive. 

Lucien-Paul  Thomas. 


Aiiualc$$  de   la  ^ocicte  Jeau-Jacquex  Kou»!iMeau. 

t.   Viöme.      1909.      Geneve.     [A.    Julien.      8«.      344   S. 

Auch  der  fünfte  Band  der  „Annales  de  la  Societe  Jean- Jacques 
Rousseau,"  (die  seit  1905  in  nicht  ganz  regelmäßigen  Intervallen 
erscheinen)  ist  äußerst  reichhaltig.  Er  erweist  von  neuem  wie 
lehenskräftig  sicli  die  Societe  J  e  a  n  -  J  a  c  q  u  e  s  Rous- 
seau   bewährt. 

Die  ersten  117  Seiten  des  neuesten,  genau  in  der  früheren 
geschmackvollen  Weise  ausgestatteten  Bandes  sind  der  kom- 
plizierten Vorarbeit  zur  Herstellung  einer  kritischen  Textaus- 
gabe der  Nouvelle  Heloise^)  gewidmet.  Der  Verfasser  dieses 
äußerst  sorgsamen  Artikels  (Daniel  Mornet)  verbindet  mit  dieser 
ausführlichen  Publikation  den  Appel  an  hilfsbereite  Unter- 
stützung aller  Sachverständigen:  Notre  etude n'a  nullement 

la  pretention  d'etre  complete.  Preliniinaire  ä  une  edition  critique 
et  historique  de  la  Nouvelle  Heloise  qui  ne  saurait  etre  achevee 
avant  plusieurs  annees,  eile  pourra  heneficier  de  toutes  les  corrections 
et  additions  que  la  bienveillance  des  lecteurs  et  des  bibliothecaires 
voudra  hien  faire  paruenir  d  l'auteur." 

An  Material  zur  Herstellung  einer  kritischen  Ausgabe  ist 
nach  den  vorliegenden  Angaben  bereits  überreiche  Fülle  vor- 
handen. Der  künftige,  gut  orientierte  Herausgeber  hat  einen 
sehr  schweren  Stand,  vor  allem,  wenn  er  pietätvoll  gegen  Rous- 
seau's  Andenken  verfahren  ^^■ill.  Der  Briefwechsel  Rousseau's 
mit  seinem   Buchhändler   Rey  legt  bereits  hinreichend   Zeugnis 

1)  Die  Societe  J.-J.  Rousseau  hat  sich  bekannthch  in  Art.  3b 
ihrer  Statuten  die  Aufgabe  gestellt  de  publier  une  edition  critique  de 
ses  Oeuvres.  l(Cf.  Annales  I,  1905,  p.  I.) 


42  Referate  und  Rezensioiioi.      M.  J.   Minckwitz. 

aJ),  von  den  Widersprüchen,  die  den  Verfasser  selbst  bei 
der  wiederholten  Veröffenthchung  der  Nouvelle  Heldise  be- 
wegten. Rousseau's  wechselnden  Ansichten  gegenüber  fallen 
die  eigentlichen  Errata  und  ,,coniresens''  gar  nicht  so  schwer 
ins  Gewicht.  Aber  er  selbst  korrigiert  sich,  bessert  nicht 
bloß  aus  richtiger  Erkenntnis  falsche  frühere  Angaben,  sondern 
bietet  auch  Anmerkungen,  die  er  später  wieder  aus  nicht  immer 
ersichthchen  Motiven  gestrichen  wünscht.  Dazu  treten  die  Be- 
schränkungen der  Zensur,  die  trotz  Malherbes  Wohlwollen 
unter  dem  zwingenden  Einflüsse  höherer  Mächte  erfolgen  mußten. 
Psychologisch  ist  der  Einblick  in  Mornet's  Werkstatt  außer- 
ordentlich gewinnbringend:  Rousseau's  selbstquälerische  Be- 
anlagung  erfährt  neue  Beleuchtung.  Sprachhch  ist  dieser  Ein- 
blick ebenfalls  lehrreich.  S.  20  ff.  führt  Mornet  Beispiele  von 
Rousseau's  Orthographie  und  Syntax  an,  die  ein  zähes,  eigen- 
sinniges Festhalten  am  älteren  Sprachfonds  bekunden.  Wichtig 
ist  (p,.  30)  der  Ausspruch:  qnand  il  compose,  Jean-Jacques  est 
im  auditif  et  non  iin  visuel. 

Mögen  die  sorgsamen  Beschreibungen  und  Angaben  übei- 
die  editio  princeps,  die  späteren  Ausgaben,  die  Manuscripte 
allgemeine  Aufmerksamkeit  erregen  und  noch  rechtzeitig  zur 
Beisteuer  an  etwaigem  Material  und  wichtigen  Angaben  auf- 
muntern! 

Jean  Morel  (p.  119 — 198)  ])ietet  Quellenforschungen  zum 
Disconrs  de  Vlnegalüe.  Auch  diese  Aufgabe  ist  heikel.  Rousseau 
selbst  mit  seinen  krankhaften  widerspruchsvollen  Angaben  in 
Briefen  und  den  Confessions  liat  di(^  Forschung  oft  in  die  Irre 
geführt.  In  dem  ersten  Abschnitte  seiner  Studie:  Diderot  et  le 
Disconrs  de  l'Inegalite  hat  sich  Morel  erfolgreich  gemüht,  die 
Hypothese  von  der  ,,collahoration  precise"  Diderot's  endgültig- 
zu  entkräften;  Rousseau's  durcli  die  Angriffe  auf  den  ,, Emile" 
genährter  Verfolgungswahn  hat  auch  in  dieser  Frage  viel  Unheil 
gestiftet.  Sciiwieriger  zu  widerlegen  war  eine  zweite  Hypothese: 
Influence  generale  de  Diderot.  Morel's  Standpunkt :  Une  influence 
siihie  ä  la  fois  par  les  deiix  ecrivains  est  soiwent  plus  probable  fördert 
auf  alle  Fälle  nicht  den  Ruhm  Rousseau's  als  durchweg 
selbständiger  und  origineller  Denker  zu  gelten.  Es  ist  ganz  gut 
möglich,  daß  Rousseau  direkt  und  nicht  bloß  durcli  das  Medium 
Diderot  an  Shaftesbury's  Quelle  geschöpft  hat,  sogar  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  Diderot  den  Freund  zur  Lektüre  von  Grotius, 
l'ufendorf  und  Locke  angeleitet  hat.  Wertvolle  Fingerzeige 
bietet  Morel  mit  der  gelegentlich  eingestreuten  Behauptung: 
C'est  qu'il  (Rousseau)  subit,  plus  (ju'il  ne  le  dii,  Vinjluence  des 
moralisles  chretiens  und  mit  der  eigentlich  selbstverständhch 
klingenden  Erklärung:  le  Discours  de  l'Inegalite  est,  en  partie, 
une  oeiwre  d'esprit  encyclopedique.  Im  zweiten  Abschnitt  wird 
der    EinfluB    (' o  n  d  i  1  1  a  c's     auf    Rousseau    geprüft.      Dieser 


Annale.s  de  la  Socielc  Jcan-Jacqui's   Honsseau.  43 

Einfluß,  der  durch  direkto  Lektüre  Montaigne's  ergänzt  wird, 
ist  von  fruchtbringender  Wirkung.  Cf.  p.  150:  Sans  Condillac^ 
Rousseau  n'auraü   pu   elaborer  soii  Idee  de  l'homme  de  la  Jiature, 

plus  proche   de   l' anthropoide   que   de   l'honinie Als 

selbständiger  Denker  löst  sich  Rousseau  dagegen  von  Condillac's 
und  Locke's  Spui'cn  stellenweise  im  Essai  sur  Vorigine  des  langues. 
—  Feine  Fäden  des  inneren  Zusammenhanges  mit  Ideen  von 
Grotius,  Pufendoi'f,  Locke,  Hobbes,  Sidney  werden  im  dritten 
Kapitel  erörtert.  Im  Schlußsatz  wird  die  Information  scienli- 
fique  da  Discours  analysiert.  Hierher  gehört  ein  früherer  treffender 
Ausspruch  Morel's:  Ces  idees  scienfifiques  devaient  etre  plus  precises 
diez  Diderot  que  chez  Rousseau.  Der  letztere  schöpft  fleißig 
bei  Buffon,  forscht  an  den  verschiedensten  Orten  nach  Auskunft 
über  die  Naturvölker,  so  bei  Montaigne,  le  P.  Dutertre,  in  der 
Histoire  generale  des  voyages,  bei  Coreal  (?),  wahrscheinlich  in 
der  Relation  du  voyage  de  La  Condamine,  aber  so  anerkennens- 
wert sein  Streben  nach  wissenschaftlicher  Begründung  ist,  da 
seinem  Geist  in  der  ersten  Jugendentwickelung  jede  heilsame 
Disziplin  gefehlt  hat,  wird  der  Vorwurf  Grimm's  {Corr.  1 1  f.  p.  56ff.) 
nicht  entkräftet:  Le  citoyen  de  Geneve  vanle  beaucoup  le  bonheur 
de  l'homme  sauvage.  Qu'en  sait-il?  II  se  plaint  avec  raison  de 
nos  voyagenrs  qui  n'ont  pas  su  Vobsen^er :  cest  donc  de  son  imagination 
qu'il  tire  les  idees  qu'il  a  de  cet  etat.  Mais  il  faut  se  defier  de  son 
imagination  autant  que  des  relations  des  voyageurs,  surtout  quand 
on  est  un  peu  entiche  d'un  Systeme;  car  alors  cette  sorciere  men- 
songere  vous  peint  tout  suivant  vos  idees;  eile  vous  cache  les  malheurs 
de  la  vie  sauvage.,  et  transjorme  ses  moindres  avantages  en  autant 
de  delices. 

Mit  dem  Artikel  ^^Roniantique"  überschreitet  Alexis  Francois 
die  engeren  Grenzen  der  Rousseauforschung.  Dieses  wichtige 
Thema  kann  nicht  oft  genug  und  nicht  vielseitig  genug  in  An- 
griff genommen  werden,  denn  es  bietet  immer  neue  Verwickelungen 
und  Probleme.  Francois  entwickelt  seinerseits  beachtenswerte 
neue  Gesichtspunkte.  Rousseau  verharrt  im  Bi'ennpunkt  seiner 
Untersuchung,  da  in  seiner  Feder  ,,romantique'  eine  wichtige 
Phase  seiner  Begriffsentwickelung  angetreten  hat.  Immerhin 
bleibt  ,, wortgeschichtlich''  Vieles  noch  unaufgeklärt,  obwohl 
viel  wesentliches  Material  beigebracht  ist.  Es  hat  neuerdings 
den  Anschein,  als  ob  etwas  einseitig  und  allzuschnell  auf  eng- 
lisches Ursprungsgebiet  abgelenkt  würde.  Die  bisher  zugänghchen 
Zitate  aus  der  französischen  Literatur,  so  das  früheste  aus  den 
Lettres  d'un  Frangais  ä  Londres  von  Abbe  Leblanc,  1745,  Letour- 
neur^)  und  Girardin  scheinen  allerdings  diesen  Weg  zu  weisen. 

-}  FranQois  hat  sich  seiner  eigenen  Angabe  zufolge  die  charak- 
teristischen Stellen  ans  Letourneur's  Vorrede  zu  seiner  Shakespeare- 
Übersetzung  abschreiben  lassen  (cl.  S.  p.  212).  Dieselben  Zitate  finden 
sich  bereits,  bequem  banrlürh  in  M.  G.  Cushing's  fleißiger  Studie  über 


44  Referale  und  Rezensionen.     M.  J.   MinckwUz. 

Immerhin  ist  aber  ,,rofnantic"  düch  echt  romanischen  Ursprungs 
und  dem  ,,romanesque"  mit  dem,  wie  Frangois  ganz  plastisch 
nachweist,  stark  in  Konkurrenz  tritt,  einigermaßen  stamm-  und 
sinnverwandt.  Die  beiden  Suffixe  geben  zu  denken,  ^^'enn  in 
der  älteren  französischen  Literatur  noch  eingehender  nach- 
gegraben wird,  stößt  man  vielleicht  auf  Funde,  die  der  enghschen 
Einwirkung  günstig  den  Boden  vorbereiten  und  veranlassen, 
daß  man  nicht  mehr  von  ^,mot  noiiveau"  sprechen  darf,  sondern 
höchstens  von  einer  bedeutsamen  Erscheinung  der  Semasiologie. 
Der  erwachende  Sinn  für  Naturscliönheit.  insbesondere  in  ihrer 
wilden  Ursprünglichkeit  hat  jedenfalls  in  allen  Ländern  die 
Geburt,  oder  Neugeburt  des  malerischen  Ausdruckes  mächtig 
unterstützt.  Auch  in  Frankreich  hat  sich  diese  modern  sensitive 
Naturempfänghchkeit  jedenfalls  ohne  direkt  fremdländischen 
Anstoß  entwickelt.  Die  schüchtern  schwankenden  Tastversuche 
der  älteren  französischen  Übersetzer  von  Pope,  Thomson  und 
Whately,  die  über  ,,romanesqiie''  und  ,,pittoresque"  nicht  hinaus- 
können, hebt  Frangois  mit  Recht  hervor.  Mit  Dank  wird  man 
auch  seinen  glücklichen  Einfall  begrüßen,  Fenelon's  behutsames 
,,/e  ne  sais  quoi"  heranzuziehen.  Trotzdem  bleiben  Lücken  auf 
französischem  Literaturgebiet:  der  Kampf  zwischen  romanesque 
und  romantique  zieht  sich  in  die  Länge,  wie  früh  er  begonnen 
hat,  wissen  wir  nicht,  wann  er  endete  auch  nicht.  Denn  die 
Periode  der  .^^romantiques  franQais"  setzt  neu  ein  auf  rein  literari- 
schem Gebiet  und  wird  —  wie  Francois  richtig  betont  —  noch 
durch  deutschen  Strom  nachhaltig  befruchtet.^)  Das  ,, romantique' 
der  Garten-,  überhaupt  der  Naturschilderung  und  das  spätere 
,, romantique'  der  Dichtergruppe  fließen  nicht  unmittelbar  in- 
einander über. 

Jeder  Lcsej'  wird  aber  Frangois  dankbar  sein,  daß  seine 
ausgedehnten  Orientierungserfolge  immer  neue  Fragen  anregen. 
Meisterhaft  kennzeichnet  er  bereits  die  beiden  Hauptquellen  der 
großen  romantischen  Vorströmung,  die  Europa  durchdringt:  la 
source  anglaise  et  la  source  helvetique  (wobei  der  Hinweis  auf 
Rousseau's  griffe  du  genie  und  Vempreinte  plus  moUe  de  Gessner 
nicht  fehlt). 

Pierre  L;  e  'V  o  u  r  u  e  u  r  (New  York  1908,  p.  184—185)  inil  der 
Schlußangabe:  Cited  also  hy  Michiels,  Lacroix,  Jusserand,  Louns- 
hurg.  —  Etwas  naiv  erscheint  allerdings  ihre  zuversichtUche  Rand- 
bemerkung: A  noteworthy  thing  in  this  discours  is  Le  Taurneura  defi- 
iiition  oj  romantique,  a  term  which  he  uses  and  e.rplains  for  ihe  jirst  ( !) 
liine  in  ihe  history  of  literature.     (p.  184.) 

•')  Nous  n'avons  pas  de  raison  de  suivre  plus  loin  ruinantique 
dans  son  histoire.  Cette  hisloire  en  effet  entre  desormais  dans  une  nouvelle 
phase.  Le  mot  va  etre  emprunte  par  le  frangais  une  seconde  fois,  non 
plus  ä  r Angleterre,  mais  ä  l  Allemagne,  pour  caracteriser  non  plus 
V Impression  produite  par  la  nature  sauvage,  mais  un  genre  litteraire, 
une  grande  ecole  d'arl. 


Kiichlcr,    Wallhcr.      Französiyrl/c   Hnniaiitik.  45 

Roussoau's  Werko  erfahren  durcli  A.  M.  de  Bonac:  Une 
Lettre  inedite  de  Jean-Jacques  Rousseau  (237 — 240)  und  Pierre- 
Maurice  Masson:  Rousseau  d  la  Grande  Chartreuse  (Epitre  inedite) 
p.  247 — 258  einige  Bereiclierung.  Für  biographische  Einzel- 
lieiten  bietet  Philippe  Gudet  (241 — 245)  mit  dem  Abdrucke  einiger 
Brieffragmente  des  Fräulein  de  Marval  aus  den  Jahren  1764 
und  1765  interessante  Auskunft.  Masson  liefert  außerdem  noch 
einen  wertvollen  Beitrag  (p.  259 — 271)  Contribution  ä  V Etüde 
de  la  Prose  metrique  dans  la  Nouvelle  Heldise. 

Für  den  Urheber  des  Titelbildes:  /.  /.  Rousseau  et  la  vue 
du  Pavillon  qu'il  habitoit  ä  Ermenon  ville  (d'apres  le  dessin  de 
G.  F.  Mayer )  gewährt  ein  Brief  des  bekannten  Verfassers  der* 
Iconographie  de  J.  J.  Rousseau,  des  Grafen  Girardin  erwünschte 
Auskunft. 

Sehr  reich  ist  auch  die  nach  Ländern  geordnete  Bibliographie 
für  die  Jahre  1907  und  1908  ausgefallen.  Sie  umfaßt  45  Seiten. 
Unter  den  kurzen  kritischen  Anzeigen  deutscher  Veröffentlichun- 
gen heben  wir  diejenige  von  W.  Küchler,  Französische  Romantik, 
Heidelberg  1908,  durch  A.  F(ran5ois)  hervor  (p.  282—283).  Es 
liandelt  sich  um  die  anerkennende  Besprechung  von  Kap.  I: 
Rousseau,  Saint- Pierre,  Madame  de  Stael. 

Die  Chronique  verzeichnet  verschiedene  Todesfälle.  Für 
Albert  Jansen  hat  E.  Ritter  einen  sympathischen  Nachruf  in  der 
Generalversammlung  vom  17.  Juni  1909  gehalten.  Der  Abdruck 
dieser  Gedächtnisworte  findet  sich  S.  326 — 329.  Die  durch 
seinen  Tod  entstandene  Lücke  im  Comite:  die  Vertretung  der 
,,rousseauistes  de  langue  allemande"  hat  Prof.  Dr.  H.  Morf  (Berlin) 
bereitwillig  angenommen. 

München.  M.    J.  Minckwitz. 


14üeiBlei%   Waltlier.     Französische   Romantik.      Heidelberg 
1908.     Carl  Winters  Universitätsbuchhandlung. 

Obiges  Büchlein  ist  zwar  schon  vor  zwei  Jahren  erschienen. 
Durch  die  Kritik  von  Olaf  H  o  m  e  n  im  Literaturblatt  für 
germanische  und  romanische  Philologie  1910  Nr.  3/4  Spalte  106  ff. 
sowie  durch  die  Entgegnung  von  W  a  1 1  h  e  r  K  ü  c  hier  in 
dieser  Zeitschrift  Bd.  XXXVI  Heft  1  und  3  p.  116  ff.  ist  es  aber 
wieder  aktuell  geworden,  so  daß  eine  Besprechung  wohl  noch 
Berechtigung  haben  dürfte.  Und  zwar  um  so  mehr  als  die  oben 
erwähnte  Kritik  und  Küchlers  Antikritik  einige  hochwichtige 
Fragen  über  Literaturbehandlung  überhaupt  sowie  im  besondern 
über  Auffassung  des  19.  Jhdts.  im  Vergleich  zum  18.  und  über 
den  Gegensatz  zwischen  der  ersten  und  zweiten  Hälfte  des 
19.  Jlidts.  aufgeworfen  haben.    Geht  die  Romantik  auf  Rousseau 


.46  Jipjeratr  und  Rezensionen .     Heinrich  Schneegans. 

zurück?    Hörl  die  Romantik  mit  den  50er  Jahren  des  19.  Jlidts. 
auf?     Homen  verneint  diese  Fragen.     Küchler  bejaht  sie. 

Der  Zufall  wollte,  daß  ich  gerade  mit  den  Vorbereitungen  zu 
Seminarübungen  über  J.  J.  Rousseau  in  diesem  S.-S.  beschäftigt 
war,  als  die  Kritik  von  Homen  erschien.  Sie  reizte  mich  dazu, 
die  Rousseau  betreffende  Frage  in  den  Mittelpunkt  der  Übungen 
zu  rücken.  Wir  stellten  uns  die  Aufgabe,  zu  untersuchen,  was 
uns  in  Rousseau's  Werken  berechtigen  könnte,  ihn  als  Schöpfer 
der  romantischen  Bewegung  anzusehen.  Freilich  mußten  wir  uns 
zur  Lösung  dieser  Frage  zuerst  eine  klare  \^:)rstellung  machen 
von  dem,  was  Rousseau  von  seinem  Jahrhundert  trenn  t. 
Und  so  kamen  wir  denn  gerade  dazu,  die  Punkte  zu  erörtern, 
die  Homen  und  Küchler  in  gegensätzlicher  Weise  besprochen 
haben.  Es  ist  ganz  klar,  daß  verschiedene  Fäden  Rousseau 
mit  seinem  Jahrhundert  verbinden,  aber  wenn  man  den  Ursprung 
einer  neuen  Bewegung,  wie  die  Romantik,  untersucht,  so  ist 
d  a  s  nicht  das  Interessante.  Verschiedene  Seminarmitglieder 
begingen  in  ihren  Arbeiten  den  Fehler,  daß  sie  bei  einer  Charak- 
teristik der  hervorstechenden  Merkmale  des  18.  Jhdts.  vor 
Rousseau  unter  anderm  auch  die  ,,sensiblerie"  hervorhoben.  Bei 
solchen  Aufgaben  muß  man  aber,  auf  die  trennenden, 
nicht  auf  die  verbindenden  Momente  achten.  So  stimme  ich 
denn  Küchler  vollständig  zu,  wenn  er  p.  121  sagt:  ,, Unsere 
heutige,  so  eifrig  auf  die  Quellen  und  Einflüsse  zurückgreifende 
Betrachtungsweise  läuft  leicht  Gefahr,  das  Originelle  zu  ver- 
wischen, das  Eigenkräftige  in  seiner  Bedeutung  zu  unterschätzen, 
die  Eigenwerte  einer  Zeit,  die  sie  aus  sich  selber  hervorgebracht 
hat  und  die  in  ihrer  momentanen  Besonderheit  mit  ihr  ver- 
schwinden, zu  übersehen  oder  mißzuachten  .  .  .  Wir  studieren 
die  Zeiten,  ihre  Persönlichkeiten  und  Werke  nicht  mehr  genügend 
um  ihrer  selbst  willen  etc."  Wo  sollte  man  die  Geschichte  der 
Romantik  anfangen,  wenn  man  nicht  Rousseau  als  Ausgangs- 
punkt annähme  ?  Es  würde  alles  ins  Vage  zerfließen.  Ganz 
mit  Recht  meint  Küchler,  daß,  wenn  man  etwa  Fenelon  als 
Vorläufer  der  Romantik  ansähe,  man  ebensogut  Fran^ois  de  Sales, 
den  Verfasser  der  Nachfolge  Ciiristi,  ja  jeden  Gottesmann,  der 
Abkehr  von  der  Welt  gepredigt  hat,  als  solchen  ansehen  könnte. 

Und  bringt  denn  nicht  Rousseau  ganz  hervorragende  neue 
Momente  in  die  Literatur,  ja  in  das  Leben  seiner  Zeit  ?  Mit 
ihm  befreit  sich  das  Individuum  von  den  Fesseln  der  Gesell- 
schaft, die  im  18.  Jhdt.  sonst  unter  der  höflichen  Glätte  des 
guten  Tones  alles  Selbständige  zu  nivelHeren  verstand.  Und 
da  dieser  Befreier  ein  Mann  aus  dem  Volke  ist,  der  in  den  niedrig- 
sten Stellungen  gelebt  hat  und  um  sein  tägliches  Brot  hat  kämpfen 
müssen,  so  bringt  er  in  das  bis  dahin  aristokratische  Zeitalter 
einen  demokratischen  Zug  hinein,  der  sich  aufbäumt  gegen  die 
alles  beherrschende  feine  Form  und  Convention  der  societe  mon- 


Kiic/Ucr,   W'allhvr.     Fraiizösi^cke   ItDiiumtil».  47 

daine.  Und  da  dieser  Demokrat  aus  einer  dei-  landschaftlich 
schönsten  Gegenden  stammt,  da  er  als  \'agabund  in  der  freien 
Natur  von  Ort  zu  Ort  gewandert  ist,  so  erweckt  er  zu  neuem 
Leben  das  Naturgefühl,  das  in  der  parfümierten  Luft  der  Salons 
erstickt  war.  Und  da  dieser  Wanderer  zugleich  ein  abenteuer- 
licher Mensch  ist,  dei"  schon  in  der  frühesten  Jugend  das  Wunder- 
barste und  Seltsamste  erlebt  hat,  da  er  sich  schon  als  Kind  an 
der  Lektüre  der  Romane  den  Kopf  A^erwirrt  Itat,  so  bringt  er  die 
Phantasie  mit  allen  ilu'on  träumeiischen  und  exaltierten  Vor- 
stellungen, die  unter  der  Herrschaft  der  Vernunft  und  des  Ver- 
standes eingeschlummert  war,  wiederum  zu  Ehren.  Und  mit 
dieser  Phantasie  zugleich  auch  das  Gefühl.  Denn  dieser  Aben- 
teurer ist  zugleich  auch  ein  gefiihlvoller,  schwärmerischer, 
sentimentaler  Mensch,  der  im  grellsten  Gegensatze  steht  zu 
trockenen  Naturen  wie  Fontenelle  und  \'oltaire.  Und  diese 
Empfindsamkeit  rührt  vor  allem  die  Frauen  und  führt  zu  einer 
Vorherrschaft  des  weiblichen  Elements  in  Literatur  und  Gesell- 
schaft, wie  sie  früher  noch  nie  in  gleicher  Stärke  vorgekommen 
war.  So  führt  denn  dieser  eine  Mensch  geradezu  eine  Revolution 
im  ganzen  Geistesleben  seiner  Zeit  herbei.  Und  ein  unglaub- 
licher Stolz  bemächtigt  sich  seiner,  als  er  dessen  gewahr  wivA. 
Er,  der  lange  Zeit  zu  den  Niedrigsten  im  Volke  gehört  hat,  der 
als  Diener,  Schreiber,  Musiker  mühsam  sein  Brot  verdient  hat, 
der  das  Leben  der  Landstraße  kennt,  der  oft  genug  unter  freiem 
Himmel  hat  schlafen  müssen,  er,  der  Kleine,  Verachtete,  Un- 
bekannte ist  plötzlich  durch  eine  einzige  Schrift  der  bedeutendste 
Schriftsteller  Frankreichs  geworden.  Er  ist  mehr  als  ein  Diderot, 
mehr  als  ein  d'Alembert.  Getrost  kann  er  sich  neben  Voltaire 
stellen.  Alles  vergöttert  ihn.  Alles  hängt  an  seinen  Lippen. 
Wahrhaftig,  das  genügte,  um  den  unerträglichsten  Hochmut  bei 
ihm  aufkommen  zu  lassen.  Dieser  Größenwahn  zieht  aber  die 
Empfindlichkeit  nach  sich.  Wer  ihn  niclit  ganz  anerkennt,  ist 
sein  Feind.  Und  die  Empfindlichkeit  führt  zum  Argwohn  und 
dank  der  krankhaft  erregten  Phantasie,  dank  dem  Übermaß 
des  Ichgefühls  zum  Verfolgungswahn,  der  nur  eine  Etappe  zum 
Spleen,  zum  Weltschmerz  bedeutet. 

Wenn  man  sich  Rousseau's  Wesen  und  \^'irken  so  vergegen- 
wärtigt, müßte  man  mit  Blindheit  geschlagen  sein,  sollte  man 
in  ihm  nicht  den  Vater  der  Romantik  erblicken.  Die  Elemente, 
die  wir  bei  Chateaubriand,  Lamartine,  V.  Hugo  finden,  sie  sind 
in  niice  hier  alle  schon  in  Rousseau  enthalten.  Seine  Persönlich- 
keit ist  der  Ausgangspunkt.  Gewiß,  in  dem  einen  oder  andern 
Punkt  hat  er  schon  Vorläufer.  Das  wird  kein  Mensch  bestreiten. 
Aber  das  ist  nicht  das  Wesentliche.  Wenn  man  die  Geschichte 
einer  bestimmten  Epoche  schreibt,  kann  man  doch  nicht  jedes- 
mal bis  auf  Adam  und  Eva  zurückgehen.  Das  scheint  aber 
Olaf  Homen  zu  verlangen.    Und  ganz  mit  Recht  hat  ihn  Küchler 


48  Referate  und  Rezensionen..     Heinrich  Schneegans. 

in  seiner  vortrefflichen  Antikritik  ad  absurdum  geführt.  Ebenso 
scharf  wie  er  den  Ausgangspunkt  erfaßt  hat,  vermag  er  auch 
an  der  richtigen  Stelle  die  Grenzen  abzustecken.  Ich  will  nicht 
in  extenso  darauf  zurückkommen.  Man  lese  nur,  was  Küchler 
von  dem  Unterschied  zwischen  Taine  und  der  früheren  Zeit  sagt. 
Das  ist  alles  so  schlagend,  der  Nagel  ist  so  geschickt  auf  den 
Kopf  getroffen,  daß  man  nur  seine  Freude  daran  haben  kann. 
Wenn  Olaf  Homen  von  einer  Romantik  spricht  (p.  109),  die 
dem  Geiste  des  Positivismus  ihr  Opfer  darbringt,  so  zeigt  er 
eben,  daß  er  keine  klare  Vorstellung  von  der  Romantik  hat. 
,,Es  gibt  keine  positivistische  Romantik,  ebenso  wie  es  keinen 
Romantisnie  Bourgeois  gibt,"  sagt  p.   123  Küchler  treffend. 

Und  nun  zu  seinem  Büchlein  selbst.  Eine  Geschichte  der 
Romantik  ist  es  nicht  und  will  es  nicht  sein.  Es  sind  aneinander 
gereihte,  durch  den  Faden  der  Romantik  miteinander  ver- 
bundene, geschickt  entworfene  farbenreiche  Bilder  der  bedeutend- 
sten Schriftsteller  der  betreffenden  Zeit.  Küchler  versteht  es 
auch  vorzüglich,  in  die  romantische  Stimmung  zu  versetzen;  er 
hat  im  reichsten  Maße,  was  Lasserre  abgeht,  er  hat  Sinn  für 
Romantik.  Man  lese  nur,  wie  er  p.  21  ff.  z.  B.  den  Inhalt  des 
Rene  angibt.  Liebe  zum  Gegenstand  ist  die  erste  Vorbedingung 
zu  der  treffenden  Schilderung  einer  Periode. 

Ich  hätte  an  Küchler's  Büchlein  nur  einige  wenige  Aus- 
stellungen zu  machen.  Zunächst  was  die  Gliederung  des  Stoffes 
betrifft.  Warum  wird  Mme  de  Stael  kein  ganzes  Kapitel  ge- 
widmet, wie  es  für  Chateaubriand  der  Fall  ist  ?  An  drei  ver- 
schiedenen Stellen  ist  von  ihr  die  Rede.  Dadurch  kommt  sie 
als  Persönhchkeit  nicht  genügend  zur  Geltung.  Ihr  Wirken  und 
ihr  Einfluß  wird  verzettelt.  Sie  erscheint  nicht  als  einer  der 
,, Pfeiler  der  Romantik",  wie  Morf  sie  nennt,  der  sie  sogar  für 
,, moderner,  entschiedener,  umfassender"  ansieht  als  Chateau- 
briand (p.  301  der  romanischen  Literatur  in  der  Kultur  der 
Gegenwart).  Das  ist  um  so  auffallender,  als  Küchler  Victor 
Cousin  ein  ganzes  Kapitel  widmet.  Achtzehn  Seiten  für  ihn, 
fünf  für  Mme  de  Stael  im  Ganzen.  Das  ist  entschieden  ein  Miß- 
verhältnis. Die  Bedeutung  Cousins  wird  auch  dadurch  sehr 
überschätzt.  Er  ist  nach  meiner  Ansicht  kein  führender  Geist 
in  der  Geschichte  der  Romantik.  Er  tut  nur  auf  dem  Gebiete 
der  Philosophie,  was  Chateaubriand  und  Mme  de  Stael  auf  dem 
Gebiete  der  Poesie  tun.  Dadurch  zeigt  er  aber  gerade,  daß 
seine  Rolle  sekundär  ist.  An  die  Spitze  des  Reahsmus  kann  man 
einen  Philosophen  als  führenden  Geist  stellen,  Auguste  Comte, 
aber  V.  Cousin  hat  lange  nicht  seine  Bedeutung.  Mit  Recht  hat 
ihm  Morf  1.  c.  nur  14  Zeilen  eingeräumt.  Es  ist  nicht  richtig, 
wenn  Küchler  p.  50  sagt:  ,,Ehe  noch  ein  einziger  der  großen 
romantischen  Dichter  aufgetreten  war,  forderte  so  Cousin  theore, 
tisch,  was  ihr  ganzes,   künstlerisches  Wesen  war,  ein  fühlendes 


Knchh'i\   Walther.     Französische  h'on/ai/li/r.  49 

ja  ein  reizbares  Herz  und  besonders  eine  maclitvolle  Einbildungs- 
kraft/' Das  hatten  schon  Rousseau,  schon  Chateaubriand  getan; 
auch  sie  waren  Dichter,  wenn  sie  auch  in  Prosa  schrieben. 

Auch  an  dem  Kapitel  über  V.  Hugo  hätte  ich  etwas  aus- 
zusetzen. Warum  seiner  ,, Poesie"  nur  fünf  Seiton  und  seinem 
Theater  neun  einräumen  ?  Ist  das  Tlieater  bei  ihm  wichtiger 
als  die  Lyrik  ?  Und  ist  es  gut  als  Charakteristikuiri  V.  Hugo 's 
gerade  das  Gedicht  ,,la  pente  de  la  reverie"  auszuwählen  p.  66  ff., 
ein  Gedicht,  das  ihn  eher  Lamartine  nahe  bringt  ?  Die  unbe- 
stimmte, vage  Träumerei  ist  Hugo  nicht  eigentümlich.  Er  sieht 
in  sehr  scharfen  Umrissen  und  hat  besondern  Sinn  für  helle, 
grelle  Farben.  Aber  vom  ,, geschichtlichen  Kolorit,  vom  Sugge- 
stiven und  Silhouettenhaften  der  Personen,  Orte,  Taten  und 
Ereignisse  der  Vergangenheit"  spricht  Küchler  nur  beim  Theater 
p.  75.     Das  ist  entschieden  ein  Manko. 

Endlich  das  Schlußkapitel,  die  Abrechnung  mit  Pierre 
Lasserre.  Inhaltlich  stimme  ich  Küchler  durchaus  zu.  .Aber 
fällt  dieses  Kapitel,  diese  Kritik  nicht  aus  dem  Rahmen  der 
ganzen  Darstellung  heraus  ?  Als  selbständige  Rezension  wäre  sie 
ja  ganz  vorzüglich.  Aber  nicht  als  Schlußkapitel  zu  einer  Dar- 
stellung der  Romantik.  Sie  bringt  einen  polemischen  Zug  hinein, 
der  das  hübsche  Büchlein  statt  in  einem  feierhclien  Finale  in 
einem  schrillen  Diskant  auskhngen  läßt. 

Am  Schluß  noch  eine  tatsächhche  Berichtigung.  V.  hätte 
sich  vorsichtiger  ausdrücken  müssen,  als  er  sagte  p.  20:  ,, Chateau- 
briand geht  in  die  amerikanische  Wildnis  hinüber  und  schreibt 
Rene."  Bekanntlich  hat  Chateaubriand  die  wahre  Wildnis  nicht 
gekannt,  sondern  von  Amerika  nur  einige  Städte  des  Ostens 
(cf.  J.  Bedier,  Chateaubriand  en  Ameriqiie  in  seinen  Etudes 
critiques  1903). 

Aber  diese  wenigen  Bemerkungen  sollen  den  Wert  von 
Küchlers  Büchlein  nicht  schmälern.  Sie  sollen  nur  ein  Beweis 
sein,  mit  welchem  Interesse  ich  es  gelesen  habe.  Aus  dem,  w^as 
ich  Eingangs  ausgeführt  habe,  geht  übrigens  schon  zur  Genüge 
hervor,  wie  sehr  ich  im  wesentlichen  sonst  mit  ihm  überein- 
stimme. Nein,  wir  haben  es  hier  nicht,  wie  Olaf  Homen  recht 
wenig  freundlich  sagt,  mit  einer  Arbeit  von  ,,feuilletonistischem 
Gepräge"'  zu  tun,  nach  deren  Lektüre  ,, trotz  der  stilistischen 
Schminke  ein  ziemlich  blasser  Eindruck  bleibt",  sondern  mit 
einer  von  wirklichem  literarischem  Verständnis  und  sehr  an- 
erkennenswerter künstlerischer  Darstellungsgabe  zeugenden  ernsten 
Arbeit  zu  tun,  aus  der  Olaf  Homen  selbst  noch  manches  lernen 
könnte. 

Bonn.  Heinrich  Schnee  gans. 


Ztschr.  f.  frz.  Spr.  ii.  Litt.  XXXVII' 


50*  Heferate   und  /lezensionen.      Walther   Küchler- 

Stewart,  H.  F.  and  Tilley,  .4i*tliiir.  The  romantic 
movement  in  French  literature,  traced  hy  a  series  of  texts 
selected  and  edited.  Cambridge,  at  the  Universitv  Press 
1910,  in  80,  XI  +  242  S.     Price  4  sh.  net. 

Die  Verfasser  des  vorliegenden  Buches  sind  von  der  Absicht 
ausgegangen,  die  Sache  der  heute  gerade  in  Frankreich  so  heftig 
angefeindeten  Romantik  von  ihren  Schriftstellern  selbst  ver- 
treten, die  Geschichte  der  romantischen  Bewegung  in  Frankreich 
von  den  Romantikern  selbst  erzählen  zu  lassen.  Zu  diesem 
Zwecke  liaben  sie  aus  den  Werken  der  Romantiker  folgende, 
durch  erklärende  Bemerkungen  und  kurze  biographische  Mit- 
teilungen vermehrte  Textauswahl  getroffen:  Einige  Kapitel  aus 
Frau  von  Staels  Buch  ,,De  VAllemagne",  Lamartines  ,,Preface 
des  Meditations''  und  dem  Aufsatz  ,^Des  Desiinees  de  la  poesie'\ 
ein  Stück  aus  Sainte-Beuves  ,,Tableau  de  la  litteratnre  jrangaise 
au  XV P  siede",  sowie  Absätze  aus  seinen  Artikeln  über  Alfred 
de  Musset  und  Victor  Hugo,  ein  Fragment  aus  dem  in  der  ersten 
Nummer  der  Zeitschrift  ,,La  muse  frangaise"  veröffentlichten 
Artikel  Alexander  Guirauds  über  ,,Nos  doctrines" .  Weiterhin 
drei  Vorreden  Victor  Hugos  zu  seinen  Oden  und  Balladen  (1824, 
1826,  1828)  und  Teile  der  Vorrede  von  Emile  Deschamps  zu 
seinen  ,,Etudes  frangaises  et  etrangeres"  (1828).  Sodann  Victor 
Hugos  unvermeidliche  Vorrede  zu  Cromwell,  die  Alfred  de  Vignys 
zu  seiner  Bearbeitung  des  Othello  und  einen  Abschnitt  aus  Theo- 
phile Gautiers  .^Histoire  du  Romantisme".  Endlich  ein  Drittel 
von  Victor  Hugos  Artikel  über  W'alter  Scotts  ^^Quentin  Dun>ard'\ 
einige  Seiten  aus  Vignys  ,,  Journal  d'un  poete",  Mussets  ,, Premiere 
lettre  de  Dupuis  et  Cotonet"  und  als  Epilog  den  Anfang  von  Sainte- 
Beuves  Essay  über  Theodore  de  Banville.  In  den  verschiedenen 
mitgeteilten  Stücken  sollen  zum  Ausdruck  kommen  der  Einfluß 
Rüusseaus  und  Chateaubriands,  der  Einfluß  der  ausländischen 
Literaturen,  der  Kampf  der  Romantiker  gegen  den  Pseudo- 
klassizismus,  ihre  Bestrebungen  auf  dem  Gebiet  des  Dramas 
und  des  historischen  Romans,  schließlich  der  Verfall  der 
Romantik. 

Aus  dei'  mitgeteilten  Inhaltsangabe  geht  hervor,  daß  die 
Dichtungen  dei'  Romantiker  bei  dieser  Auswahl  gänzlich  unbe- 
rücksichtigt geblieben  sind.  In  ohne  Zweifel  gewollter  Ein- 
seitigkeit unterrichtet  das  Buch  lediglich  über  die  literarischen 
Theorien  der  Romantik,  gibt  es  ein  Bild  von  den  Absichten  und 
Tendenzen,  wie  sie  im  Kampfe  gegen  die  Gegner  oder  zur  Recht- 
fertigung und  Erklärung  der  eigenen  Werke  von  den  Verfassern 
geäußert  wurden.  Diese  Beschränkung  hätte  im  Titel  des  Werkes 
zum  Ausdruck  kommen  müssen.  Der  Titel  hätte  ankündigen 
müssen,  daß  es  sich  in  dieser  Veröffentlichung  um  romantische 
Theorie  und  Kritik  handelt  und  um  weiter  nichts. 


flinstorff,  C.  A.      Dir  A/diives  litleraires  de  rEurope  ^r.        51 

Im  übrigen  entbehrt  diese  IVeiwillige  Einseitigkeit  der  Aus- 
\vahl  durchaus  nicht  der  Berechtigung.  Es  ist  sehr  zu  wünschen, 
daß  auch  der  Unterricht  in  weitgehendstem  Maße  diese  Seite 
der  literarischen  Erzeugnisse  berücksichtigt.  Das  Studium  der 
Kritiken,  Vorreden,  Briefe,  Memoiren  etc.  muß  als  notwendige 
Ergänzung  zu  den  aus  der  sorgfältigen,  analytischen  Betrachtung 
der  Dichtwerke  selbst  gewonnenen  Kenntnissen  und  Erkennt- 
nissen hinzutreten.  Eins  darf  nicht  ohne  das  andere  bleiben. 
Und  so  bedarf  denn  die  Zusammenstellung,  die  Stewart  und 
Tilley  vorgenommen  haben,  noch  der  Ergänzung  durch  Texte 
aus  den  Dichtungen  selbst;  wenn  nicht  in  Form  eines  zweiten 
Büchleins,  so  doch  im  Unterricht  und  im  Selbststudium. 

Gießen.  Walther  Küchler. 


Hinstorfi*,  C.  A.  Dit  Ardiwes  lüteraires  de  l' Europe  und 
ihre  Stellung  zur  deutschen  Literatur.  Programmbeii.  d. 
Elisabethenschule  zu  Frankfurt  a.  M.     1907.    S».    63  S. 

Auf  Gärtners  Studie  über  das  Journal  Etranger  (Heidelb. 
Diss.  1905)  und  den  Aufsatz  von  P.  Hazard  über  den  Spectateur 
du  iXord  {Revue  d'hist.  litt.  1906)  hat  Hinstorf f  eine  Untersuchung 
der  Archives  liiteraires  folgen  lassen.  Die  Archives,  wahrscheinUch 
eine  Gründung  der  deutschen  Buchhändler  Cotta  und  Henrichs, 
an  der  auch  bekannte  Vermittler  deutschen  Geistes  wie  Degerando 
und  Vanderbourg  teilnahmen,  begannen  im  ersten  Jahrzehnt 
des  XIX.  Jahrhunderts  ihr  kurzes  Dasein.  Ihr  erstes  Monatsheft 
erschien  im  Januar  1804.  Im  April  1808  mußten  sie  bereits 
ihr  Erscheinen  einstellen,  nachdem  ihnen  eine  ^>rfügung  des 
Polizei -Präfekten  vorschreiben  wollte,  sich  nur  auf  Artikel  über 
französische  Literatur  zu  beschränken.  Die  Gründe  für  diesen 
Erlaß  sind  wohl  in  der  Wühlarbeit  des  brotneidisch  gewordenen 
Mercure  de  France  zu  suchen,  dann  vor  allem  in  politischen  Er- 
wägungen, in  der  Mißliebigkeit  des  Chefredakteurs  Suard,  der 
als  Royalist  anrüchig  war. 

Der  Titel  der  Archives  deutet  schon  an,  daß  ihren  Heraus- 
gebern ähnliche  kosmopolitische  Ideale  vorschwebten  wie  früheren 
Gründungen  derselben  Art:  durch  regen  Austausch  der  gegen- 
seitigen Arbeiten  eine  Völkerverbrüderung  auf  dem  Gebiet  der 
Kunst,  Literatur  und  Wissenschaft  anzubahnen.  Und  es  ist 
kein  bloßer  Zufall,  daß  das  von  Degerando  verfaßte  Programm, 
das  die  erste  Nummer  einleitet  («des  Communications  litt,  et  philos. 
entre  les  nations  de  VEurope»),  im  Gedankengang  auffallend  an 
das  Programm  erinnert,  das  seinerzeit  —  genau  ein  halbes  Jahr- 
hundert vorher  —  Grimm  für  das  Journal  Etranger  geschrieben 
hatte.  Hier  wie  dort  in  derselben  phrasenhaften  Einkleidung 
derselbe  unklare  Optimismus,  der  sich  von  solchem  internatio- 

4* 


52  Referate  und  Rezensionen.     Jlaniis  Heiss. 

nalem  Verkehr  Gott  weiß  was  alles  für  Segnungen  verspricht, 
dasselbe  oberflächliche  Lob  fremder  Nationen,  derselbe  Appell 
an  die  Franzosen,  endlich  ihre  intellektuelle  Isolierung  auf- 
zugeben und  sich  auch  für  die  Eigenart  ihrer  Nachbarn  zu 
interessieren. 

Nur  die  Situation,  die  die  Archives  vorfanden,  war  nicht 
mehr  ganz  dieselbe  wie  1754.  Sie  war  auf  der  einen  Seite  günstiger. 
Seit  d^r  Modebegeisterung  für  alles  ausländische,  wie  sie  in  den 
50er  und  60er  Jahren  um  sich  gegriffen  hatte,  war  das  Eis  ge- 
brochen, besonders  Dank  der  eifrigen  Vermittlertätigkeit  von 
Männern  wie  Huber,  Junker  etc.  Auf  der  anderen  Seite  un- 
günstiger: Denn  dieser  erste  Versuch  war  nach  schnell  ver- 
gessenen Scheinerfolgen  gründlich  mißglückt  und  zudem  war 
der  Augenblick  zu  seiner  Wiederholung  recht  schlecht  gewählt. 
Von  oben  herab  wehte  kühlste  Luft.  Napoleon  machte  kein 
Hehl  aus  seiner  Abneigung  gegen  die  deutschen  "Ideologen". 
Die  kosmopolitische  Schwärmerei  der  vorrevolutionären  Tage 
war  beim  PubUkum  schon  verflogen.  Der  kriegerische  Geist, 
der  Expansionsdrang  und  das  Selbstbewußtsein  der  Nation 
waren  neu  und  stärker  denn  je  erwacht.  Und  gegen  das  lebhafte 
Interesse,  das  die  Siegesnachrichten  von  der  «Grande  armee» 
erregten,  konnte  die  deutsche  Literatur,  wie  sie  die  Archives 
feilboten,  so  wenig  als  die  französische  ankämpfen. 

Daß  die  Archives  unter  so  schwierigen  Verhältni.ssen  nicht 
viel  für  die  Verbreitung  deutscher  Literatur  tun  konnten,  ist 
klar.  Wie  viel  sie  getan  haben,  das  wollte  Hinstorff  untersuchen. 
Aber  leider  muß  man  seiner  Arbeit  denselben  Vorwurf  machen 
wie  der  Dissertation  Gärtners.  Sie  bleibt  zu  sehr  im  beschreiben- 
den stecken.  Von  ganz  seltenen  schüchternen  Anläufen  abge- 
sehen vermeidet  sie  es  durchaus,  kritisch  Stellung  zu  nehmen, 
während  uns  doch  gerade  mit  einer  kritischen  Auseinandersetzung 
gedient  gewesen  wäre,  mit  einer  eingehenden  Beurteilung  der 
Art,  wie  die  Archives  ihre  Vermittlerrolle  auffaßten,  wie  sie  ihre 
Auswahl  trafen  und  wie  sie  übersetzten.  Was  Hinstorff  gibt, 
ist  nur  eine  fleißige  Inhaltsangabe,  aus  der  der  Leser  di(>  Scldüsse 
sich  erst  selber  ziehen  muß. 

Man  gewinnt  aus  dieser  Inhaltsangabe  vor  allem  den  Ein- 
druck, daß  sich  in  dem  Verhältnis  Frankreichs  zur  deutschen 
Literatur  seit  der  Mitte  des  vorhergehenden  Jahrhunderts  so 
gut  wie  gar  nichts  geändert  hat.  Man  iiat  seitdem  nichts  gelernt 
und  nichts  vergessen.  In  Frankreich  herrscht  immer  noch  der 
gleiche  nationale  Eigendünkel,  der  dem  Lob  fremder  Literatur 
(und  was  sind  das  für  vage,  allgemein  gehaltene  Lobsprüche!) 
einen  unangenehmen  Beigeschmack  gönnerhafter  Herablassung 
gibt  und  der  jede  ausländische.  Kritik  an  der  eigenen  Literatur 
entrüstet  als  Majestätsverbrechen  empfindet.  Einige  Ausfälle 
gegen   die    französische   Literatur,   die   sicli    Bouterweck  erlaubt 


Hinstorf f,  C.  .1.      Die  Archivos  litteraires  de  ]' Europe  ^'c-       53 

hatte,  lehnen  die  Archives  mit  der  stolzen  Bemerkung  ab:  «Quant 
aiix  heresies  attentoires  ä  l'honneur  de  notre  litterature  . . .  nous 
pejisons  (jii'elles  ne  pourront  scandaliser  que  les  petits.»  Und  bei 
den  Übersetzern  herrscht  noch  immer  die  gleiche  Angst  den 
Franzosen  zu  mißfallen,  das  gleiche  Bemühen,  die  fremden 
Autoren  erst  anzuschminken  und  aufzufrisieren,  ehe  man  sie 
vorstellt.  Vanderbourg  z.  B.  überträgt  stark  verstümmelt 
Schillers  Abhandlung  über  das  Erhabene,  entschuldigt  sich  aber 
noch  eigens  in  einer  Einleitung,  daß  er  vielleicht  nicht  energisch 
genug  verstümmelt  habe,  daß  noch  manches  stehen  geblieben 
sei,  was  in  Frankreich  chokieren  könne.  Wenn  man  bei  Hinstorff 
solche  Zitate  liest,  drängen  sich  einem  Analoga  in  Hülle  und 
Fülle  aus  der  früheren  Zeit  auf.')  Vor  allem  ajjer  erinnert  man 
sich  mit  Vergnügen  an  die  treffende  Bemerkimg  Nicolais:  «Das 
Journal  Etranger  ist  ...  ein  großer  Saal  in  einer  Schule,  wo- 
rinnen  die  Gelehrten  aller  Nationen  auftreten,  die  Franzosen 
liingegen  sitzen  und  dieselben  examinieren,  inwieweit  sie  ihnen 
ähnlich  geworden  sind.»  Und  man  findet,  daß  sie  auch  für  die 
Archives  noch  den  Nagel  auf  den  Kopf  trifft. 

Die  Übersetzer  sind  aber  nicht  bloß  zaghaft.  Sie  stellen  es 
auch  immer  noch  möglichst  dumm  an,  den  Franzosen  die  deutsche 
Literatur  zu  vermitteln.  Obwohl  der  Mitai'beiterstab  der 
Arch.  sich  wohl  mit  dem  des  Journal  Etr.  messen  kann,  sind  die 
Kostproben  hier  genau  so  ungeschickt  ausgesucht  wie  dort. 
Der  große  Vorteil,  daß  die  deutsche  Literatur  vor  und  nach  dem 
Tode  Schillers  einen  ganz  anderen  Reichtum  bot  als  in  der  Mitte 
des  XVIII.  Jahrhunderts,  ist  durchaus  nicht  ausgenützt.  Noch 
immer  werden  die  guten  interessanten  Autoren  über  sehr  obskuren 
vernachlässigt,  für  die  die  Übersetzer,  wie  es  scheint,  zu  allen 
Zeiten  eine  besondere  Vorliebe  gehabt  haben  (und  noch  heute 
haben).  Man  wird  ganz  ärgerlich,  wenn  man  Namen  liest  wie 
Bronner,  J.  G.  Jacobi,  C.  Pichler,  Frau  Harmes,  Fr.  W.  von  Ram- 
dohr,  mit  denen  die  Franzosen  wahrhaftig  nichts  anfangen  konnten, 
die  sie  nur  in  ihren  hochmütigen  Anschauungen  über  deutsche 
Literatur  bestärken  mußten. 

Am  besten  sind  noch  die  deutschen  Gelehrten  berücksichtigt, 
deutsche  Wissenschaft  und  Philosophie,  überhaupt  die  Schrift- 
stellerei  mit  philosophischer  Färbung.  Vom  Göttinger  Heyne, 
von  anderen  Philologen  und  Historikern  werden  Übersetzungen 
gebracht,  der  Phrenologe  Gall  scheint  starke  Neugier  zu  erregen, 
auch  von  Lavater  ist  die  Rede.  Lichtenberg  kommt  zum  Wort, 
ebenso  Schiller  als  Aesthetiker  und  Herder,  dieser  z.  B.  mit 
einem  Auszug  aus  den  Ideen  zur  Philosophie  der  Geschichte  der 
Menschheit.  Der  Elsässer  Schweighäuser  veröffentlicht  einen 
Aufsatz:    aSur  l'etat  actuel  de  la  philosophie  en  Allemagne'>,    der 

1)  vero'l.  meine  Arlieit  über  iNIicliael  Huber.  Rom.  Forsch.  Bd.  XXV. 


5-1:  Referale  und  Rezensionen.     Hanns  Heiss. 

über  Kant,  Ficlite,  Schelling  und  F.  H.  Jacobi  orientiert.  Kant 
ist  auch  durch  Übersetzungen  vertreten  und  außerdem  widmet 
ilim  Ch.  de  Villers  einen  Nachruf,  der  bei  aller  Kritik  sympathisch 
gehalten  ist. 

Aber  sonst  ?  Unsere  dramatische  Produktion  wird  nur 
in  Einzelrezensionen  berührt,  in  denen  gelegentlich  auch  mit 
Kotzebue  abgerechnet  wird.  Von  unserer  Erzählungskunst 
soll  außer  Ramdohr  und  zwei  anonymen  Verfassern  ein  einziges 
Märchen  des  Musaeus  Begriff  geben.  Unsere  Lyrik  und  Didaktik 
paradiert  mit  ein  paar  Stücken  von  Claudius  und  dem  Grafen 
Fr.  von  Stolberg.  Das  ist  alles.  Und  unsere  Großen?  Relativ 
gut  kommt  Klopstock  weg  mit  einem  Fragment  aus  dem  Messias, 
drei  Oden  und  ein  paar  sehr  lobenden  Artikeln.  Für  Lessing* 
findet  sich  nur  einmal  im  Vorbeigehen  ein  Hinweis  auf  Laokoon, 
den  1802  Vanderbourg  übersetzt  hatte.  Für  Schiller  findet 
sich  ein  aus  dem  Deutschen  übertragener  Nekrolog,  der  ganz 
kluge  Bemerkungen  enthält  und  einige  verstreute  Rezensionen 
seines  Theaters.  Übertragen  sind  von  ihm  nur  drei  ästhetische 
Abhandlungen  (mit  welcher  Vorsicht,  das  ist  schon  gesagt 
worden).  Von  Goethe  ist  auch  nicht  eine  Zeile  übertragen. 
Nur  seines  Theaters  wird  im  kritischen  Teil  mehrmals  an- 
erkennend gedacht. 

Die  Sinnlosigkeit  dieser  Art  von  Vermittlung  wird  am 
augenfälligsten,  wenn  man  nachsieht,  wie  Wieland  vertreten  ist, 
aus  dessen  Werken  zwölfmal  übersetzt  wird,  der  also  in  den 
Archives  den  breitesten  Raum  einnimmt.  Man  höre:  L  Inhalts- 
angabe der  schon  übersetzten  Grazien  und  Vergleich  mit  einem 
[justspiel  von  Sainte-Foix.  ■ —  2.  Übersetzung  von  «Hann  und 
Gulperche»  (in  Versen  oder  in  Prosa  ?).  ■ —  3.  Wielands  Übersetzung 
der  1.  Satire  von  Horaz  mit  seiner  Einleitung  und  seinen  An- 
merkungen. - —  4.  Übersetzung  des  Aufsatzes:  »Die  pythagoreischen 
Frauen.»  —  5.  Übersetzung  des  Aufsatzes:  «Über  die  ältesten 
Zeitverkürzungsspiele,»  den  Wieland  einfach  aus  den  «Melanges 
lires  d'une  gründe  bibliotheque»  und  der  «Acudeniie  des  Jeux» 
kompiliert  hatte  (vgl.  Ausgabe  der  Werke.  Berlin,  Hempel. 
i^d.  XXXV  p.  98).  —  6.  Prosaübersetzung  von  «Das  Sommer- 
märchen», worin  der  Übersetzer  selbst  sein  französisches  Publi- 
kum (hirauf  aufmerksam  macht,  das  Wielands  Gedicht  die  treue 
Nachahmung  einer  französischen  Erzählung  in  der  «Bibliotheque 
des  Romans»  sei.  —  7.  Übersetzung  des  Aufsatzes:  «Über  den 
Charakter  des  Maecenas.»  —  8.  Eingehende  Inhaltsangabe  eines 
Gediclites  unter  dem  Titel:  «Le  Proces  de  VAmour»  (Hinstorff 
spriclit  vom  «Liebesprozeß».  Icli  kenne  kein  so  betiteltes  Gedicht 
Wielands.  Es  wird  sich  wohl  um  den  «Verklagten  Amor»  handeln). 
—  9.  Hypothese  de  Wieland  sur  l'art  poetique  d'Horace.  —  10. 
Übersetzung  aus  den  Briefen  an  einen  jungen  Dichter.  —  IL 
Des  jugements  humains.   —   12.    Junon  et   Livie.     Übersetzung 


Ilinslorjj,   C.  A.     Die  Arclm'cs  liltcraires  de  l' Eiirope  df-c.       55 

eines  Stückes  aus  Wielands  Übersetzung  der  Göttorgespräche 
Lucians.  —  Armer  Wieland!  Ai'me  deutsche  Literatur!  Das  soll 
in  Frankreich  ein  Bild  geben  von  dem  bunten  Werk  eines  der 
besten  deutschen  Dichter  von  damals:  Inhaltsangaben,  ein  paar 
Aufsätze,  die  wirklich  keine  internationale  Aufmerksamkeit  be- 
anspruclion  dürfen  und  von  denen  einer,  der  unbedeutendste, 
noch  dazu  auf  französische  Quellen  zurückgeht,  und  —  als  Gipfel 
des  Unsinns  —  Übersetzungen  von  Übersetzungen,  als  ob  die 
Franzosen  ilire  «Bibliotheque  des  Romans»  nicht  selber  lesen  und 
die  Alten  nicht  selber  übersetzen  könnten!  Mir  scheint,  der 
Ausschnitt  aus  der  deutschen  Literatur,  den  die  Archives 
bieten,  ist  noch  klaglicher  als  der  im  Journal  Etranger 
servierte.  Von  einem  Fortschritt  in  der  Vermittlung  kann 
keine  Rede  sein. 

Vielleicht  liegt  ein  solcher  B'ortschritt  in  der  Art,  \v  i  e 
übersetzt  wurde.  Ich  kann  das  leider  nicht  sagen,  da  mir  die 
Archives  momentan  nicht  zugänglich  sind  und  da  die  eine  Probe, 
die  Hinstorff  abdruckt  (\^ersübersetzung  eines  Gedichts  von 
Claudius),  natürlich  keine  genügende  Grundlage  für  ein  Urteil 
gibt.  Es  ist  sehr  schade,  daß  Hinstorff  diesen  Teil  seiner  Auf- 
gabe ganz  übersieht  und  gar  keine  Kritik  versucht.  Es  wäre 
interessant  gewesen  zu  erfahren,  wie  man  in  den  Archiv,  ver- 
dolmetschte, vor  allem,  ob  man  noch  so  frei  und  häufig  liederlich 
übertrug  wie  im  XVIII.  Jahrhundert  oder  ob  man  dem  Beispiel 
von  Villers  folgend  sich  größerer  Treue  befleißigte.  Das  wäre 
jedenfalls  wichtiger  gewesen  als  die  Höhe  des  Abonnementspreises 
und  der  Honorare,  die  uns  Hinstorff  gewissenhaft  mitteilt.  Denn 
wie  will  man  die  Aufnahme,  die  eine  Literatur  im  Ausland  findet, 
die  Meinungen  der  Franzosen  über  die  unsere  beurteilen,  wenn 
man  sich  nicht  klar  macht,  wie  sie  in  der  fremden  Sprache  aus- 
sieht, inwieweit  ihr  Geist  und  ihr  Geschmack  bewahrt  oder  dem 
fremden  Geist  und  Geschmack  assimiliert  sind  ?  Alle  Unter- 
suchungen über  Hterarische  Vermittlung  müßten  m.  E.  an  diesem 
Hauptpunkt  einsetzen. 

Trotz  der  gerügten  Mängel  ist  Hinstorffs  Programm  will- 
kommen zu  heißen  wie  jede  Arbeit,  die  zu  unserer  besseren  Kennt- 
nis der  Beziehungen  zwischen  deutscher  und  französisclier  Literatur 
beiträgt.  Auf  diesem  Gebiet  ist  noch  so  viel  zu  erforschen. 
Süpfles  Buch  ist  heute  in  manchem  überholt  und  veraltet,  aber 
noch  immer  niclit  ersetzt.  Das  Buch  von  Rössel  war  von  jeher 
unzureichend.  Man  kann  deshalb  nur  wünschen,  daß  sich  die 
Zahl  der  Einzeluntersuchungen  rasch  vermehre,  besonders  die 
der  Monographien  über  die  Zeitschriften,  die  im  XVIII.  Jahrh. 
im  gegenseitigen  hterarischen  Austausch  eine  so  große  Rolle 
spielten.  Hier  klafft  überhaupt  noch  eine  bedauerliche  Lücke. 
Wieviel  Funde,  Winke  und  Aufklärungen  nicht  bloß  für  den 
literarischen  Kosmopolitismus,  sondern  auch  für  die  Geschichte 


56  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haupe. 

der  national-französischen  Literatur  wären  allein  schon  aus  dem 
Mercure  de  France  zu  holen,  mit  dem  sich  noch  niemand  näher 
beschäftigt  hat! 

B  o  n  ]i.  Hanns  Heiss. 


]K^eiiei*e  Arbeiten  über  Oeorg^e  ^and: 

1.  R  e  n  e  D  0  u  111  i  c  ,  George  Sand.  Avec  quatrc  portraits  et  iiu 
facsimile  d'autographe.  Paris,  Librairie  academique,  Perrin  et 
Cie.,   1909.     3  fr.  50. 

2.  Emile  Faguet,  George  Sand  in  I^a  Revue  vom  1.  Sep- 
tember 1909. 

3.  A  1  p  h  0  n  s  e  Seche  et  Jules  B  e  r  t  a  u  t ,  La  vie  anec- 
dotique  et  pittoresque  des  grands  ccrivains.  George  Sand.  Paris, 
Louis  Michaud. 

4.  Jean  de  G  o  u  r  m  o  n  t  ,  George  Sand.  Mercure  de  France 
vom  16.  September  1909. 

5.  Edouard  Rod,  George  Sand  et  le  publie  d'aujoard'hui. 
Figaro  vom  20.   Januar  1909. 

6.  S.  R  0  c  h  e  b  1  a  V  e  ,  George  Sand  Lettres  ä  Poncy.  Revue  des 
deux  mondes  vom  1.  und  15.  August  1909. 

7.  Pierre  Blanchon,  Lettres  de  George  Sand  a  Eugene 
Fromentin.  Revue  de  Paris  vom  15.  September  und  1.  Oktober 
1909. 

8.  Jose  p  h  A  g  e  o  r  g  e  s  ,  L'enclos  de  Gge.  Sand.  Paris,  Grasset, 
1910. 

9.  Jules   Claretie,   A    Venise.     Le   Temps   16.   April    1909. 

10.  Paul  G  i  n  i  s  t  y  .  Le  Baron  Haussmann  et  George  Sand. 
Journal  des  Debats  31.  März  1909. 

11.  Emile  Faguet,  Michel  de  Bourges.  Revue  des  deux 
mondes  1.  November  1909. 

I. 

,,0/?  ne  lit  plus  George  Sand,  nous  dil-on'  sagt  C  a  r  o  in 
seiner  gedankenreichen  Studie  über  George  Sand,  und  Edouard 
Rod,  der  jüngst  verstorbene  namhafte  Schriftsteller,  bestätigt 
in  dem  oben  angeführten  Aufsatz,  daß  die  Lesewelt  gegen  die 
berühmte  Dichterin  gleichgültig  geworden  ist.^)  Er  erklärt  dies 
damit,  daß  G.  Sand  zwar  eine  große  Erzählungsgabc  besitze, 
aber  weder  durch  ein  eigentliches  persönliches  Gepräge  noch 
durch  neue  große  Gedanken  sich  auszeichne  und  nur  durch  die 
wirksame  Verkörperung  der  passion  romantique  eine  besondere 
Bedeutung  erlangt  habe.  Die  Zeit  der  Romantik,  die  übrigens 
literarisch  eine  üble  Epoche  gewesen,  sei  längst  vorüber.  (Aber 
Cyrano  von  Rergerac  ist  doch  ganz  romantisch!) 

*)  Bei  uns  in  Deutschland  werden  nach  meinen  Erhebungen  bei 
öffentlichen  und  Privatbibliotheken'  George  Sands  Schriften  sehr  wenig 
mehr  verlangt. 


Neuere  Arbeiten   über  George  Sand.  57 

Ich  kann  Rod's  Ansicht  nicht  l)eipfUchfen.  Es  l'olilt  George 
Sand  weder  an  neuen  bedeutenden  Gedanken,  noch  an  einer 
starken  persönliclien  Eigenart;  ihre  Werke  hätten  sonst  auch 
nicht  wohl  solche  Stürme  der  Begeisterung  und  der  Entrüstung 
entfesseln  können.  Es  gibt  kaum  eine  große  Angelegenheit  der 
Menschheit,  über  welche  sie  nicht  nachgedacht  hätte,  und  man 
erstaunt  zuweilen,  bei  ihr  Geibinkon  zu  begegnen,  die  uns  ganz 
modern  anmuten.  WVnn  sie  wenig  mehr  gelesen  wird,  so  ist 
dies,  wie  ich  glaube,  in  einem  allgemeinen  Gesetz  begründet,  in 
(h'ni  Wechsel  des  Geistes  und  Geschmacks  der  Zeit.  Namentlich 
die  erzählende  Prosadichtung  ist  diesem  Wechsel  unterworfen, 
mehr  als  die  in  strenge  Formen  gegossenen  poetischen  Werke. 
Nur  die  allergrößten  Erzähler  überdauern  den  Wechsel  der  Zeiten. 
Wie  viele  Leute  lesen  heute  noch  Chateaubriand  oder  bei  uns 
Jean  Paul  ?  George  Sand's  Idealismus  wurde  durch  den  Realis- 
mus und  Naturalismus  verdrängt.  Die  heutige  unruhevolle  Zeit 
kann  die  ,,Longueurs"  und  ,,Digressions'",  die  George  Sand  selbst 
an  sich  tadelt,  die  langen,  liäufig  eintönigen  Reden  und  Be- 
trachtungen am  allerwenigsten  ertragen.  Aber  es  ist  nicht  aus- 
geschlossen, daß,  wie  Doumic  hofft,  die  Welt,  übersättigt  vom 
Naturahsmus,  einmal  zu  George  Sand  zurückkehrt.  Allerdings 
wird  ein  Teil  ihrer  Werke  als  unrettbar  veraltet  ausgeschieden 
werden,  aber  es  winl  genug  des  Schönen  und  Wertvollen  übrig 
bleiben. 

Mit  der  Person  und  dem  Leben  unserer  Dichterin  hat 
man  sich  bis  auf  die  neueste  Zeit  stets  sehr  viel  beschäftigt. 
Die  Romane,  die  sie  gelebt  hat,  haben  ein  nachlialtigeres 
Interesse  erregt  als  die  von  ihr  geschriebenen.  Die  Wissen- 
schaft, auch  die  deutsche,  hat  freilich  nie  aufgehört,  ihren 
Werken  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  wofür  eine  Reihe  ge- 
diegener Einzelschriften  Zeugnis  ablegt. 

Rene  Doumic,  einer  der  jüngsten  Akademiker,  hat  es  nun 
versucht,  für  ein  größeres  gebildetes  Publikum  ein  zusammen- 
fassendes Bild  der  Persönlichkeit  und  schriftstellerischen  Tätig- 
keit George  Sands  zu  bieten,  um  dadurch  die  Teilnahme  für  sie 
neu  zu  erwecken.  Sein  Buch  enthält  die  zehn  mit  außerordent- 
lichem Beifall  aufgenommenen  Vorträge,  die  er  auf  Einladung 
der  Societe  des  Conferences  vom  27.  Januar  1909  an  gehalten  hat 
und  die  zuerst  in  der  Revue  hebdomadaire  von  1909  No.  6 — 15 
erschienen  sind. 

Seine  Aufgabe  war  nicht  leicht.  Man  könnte  beinahe  von 
einem  Embarras  de  richesse  sprechen.  G.  Sand  hat  bekanntlich 
unglaublich  viel  geschrieben.  Man  hat  von  ihr  gesagt,  sie  habe 
ein  Schreibzeug  an  der  Stelle  des  Herzens.  Es  mochten  innere 
oder  äußere  Stürme  toben:  sie  schrieb;  teure  Liebesbande  mochten 
mit  wildem  Weh  zerreißen,  neue  sich  knüpfen:  sie  schrieb;  Kriege 
und  Revolutionen  mochten  die  Welt  erschüttern  und  Frankreichs 


58  Referate  und  Rezensionen.     W    Haape. 

Boden  röten:  sie  schrieb.  Über  hundert  Bände  Romane,  Novellen, 
Theaterstücke,  Aufsätze  verschiedener  Art  hat  sie  geschrieben, 
wozu  noch  zehn  (in  anderer  Ausgabe  vier)  Bände  Selbstbiographie, 
sechs  oder  mehr  Bände  Korrespondenz  und  zahllose  ungedruckto 
Briefe  kommen.  Und  nun  sagt  uns  Josef  Ageorges  in  dem  oben 
angeführten  Buch:  George  Sand  n'est  pas  encore  morte.  Elle 
publie  toiijours!  Das  klingt  unheimlich;  man  denkt  an  die  greise 
Hussitin  Wanda  in  der  Comtesse  de  Riidolstadt,  die  immer  wieder- 
kehrt, wenn  man  glaubt,  sie  habe  Ruhe  gefunden.  Ageorges 
deutet  an,  daß  in  einem  Schloß  bei  Nohant  noch  reiche  unge- 
hobene Schätze  von  Briefen  verborgen  liegen. 

Noch  weit  mehr  aber  als  G.  Sand  selbst  geschrieben  hat, 
ist  über  sie  geschrieben  worden.  Über  das  venetianische  Aben- 
teuer allein  ist  eine  Literatur  erwachsen,  die  eine  ganze  Bibliothek 
füllen  würde.  Wehe  dem,  der  diese  Bihliothek  ganz  durchlesen 
müßte! 

G.  Sand  hat  aber  nicht  bloß  geschrieben,  sie  hat  auch  ge- 
handelt, erlebt,  in  die  Bewegungen  der  Zeit  persönlich  ein- 
gegriffen. 

Doumic  war  mit  Erfolg  bestrebt,  das  überreiche  Material  zu 
sichten  und  nur  das  Wesentlichste  seinen  Zuhörern  und  Lesern 
in  klarer  Übersicht  vorzutragen.  Er  erklärt  von  vornherein, 
(laß  er  keine  abgeschlossene  wissenschaftliche  Studie,  sondern 
nur  eine  Reihe  von  Betrachtimgen  über  Gge.  Sands  Leben,  ihren 
geistigen  Entwickelungsgang,  ihre  Werke,  ihre  zeitgeschichtlichf 
Bedeutung  darbieten  wolle.  Durch  Mitteilung  einiger  unge- 
druckten Briefe  Gge.  Sands  —  l'inedit  est  la  manie  du  jour,  wie 
er  sagt  —  gibt  er  manche  wertvolle  Aufschlüsse.  Gourmont's 
Vorwurf,  daß  Doumic  nichts  Neues  biete,  ist  unberechtigt.  Von 
hesonderem  Interesse  ist  es,  das  Urteil  eines  Mannes,  der  in  der 
vordersten  Reihe  der  literarischen  Kritik  steht,  über  G.  Sands 
f>igenartige  Persönlichkeit  zu  vernehmen. 

Doumic's  Darstellung  ist,  dem  Charakter  des  miindlichen 
Vortrags  vor  einem  gemischten  Publikum  entsprechend,  nicht 
im  strengen  Lehrton  gehalten,  sondern  mehr  im  Stil  einer  geist- 
reichen Plauderei,  die  aucli  den  Humor  und  die  Satire  nicht 
verschmäht,  ohne  daß  deshalb  der  ernste  Grundton  fehlte.  Dei- 
tniindliclie  Vortrag  liebt  es,  Licht  und  Schatten  scharf  zu  betonen, 
bei  Gelegenheit  einen  Effekt  mitzunehmen  und  sicii  auch  zu- 
weilen in  der  Form  etwas  gehen  zu  lassen. 

Emile  Faguet  (im  obigen  Aufsatz)  tadelt  es,  daß 
Doumic  dem  biographischen  Teile  einen  zu  breiten  Raum  ge- 
währe; dadurch  erscheine  Gge.  Sand  als  eine  ,, sentimentale 
Grisette".  Allerdings  hat  Doumic  die  J  ebensgeschichte  G.  Sands 
stärker  berücksichtigt  als  z.  B.  Caro;  doch  hat  er  die  Analyse 
und  Beurteilung  ihrer  Werke  keineswegs  außer  acht  gelassen. 
Zudem  ist  das  Leben  der  Dichterin  in  seinen  einzelnen  Phasen 


X euere  Arbeiten  über  George  Sand.  59 

so  innig  mit  ilircm  schrii'lstollerisclien  Wirkon  verbunden,  es  ist 
zugleich  ein  so  anziehendes  psychologisches  Problem  und  ein  so 
fesselndes  Kulturbild,  und  es  ist  auch  schon  so  vielfach  zum 
Gegenstand  der  Besprechung  gemacht  worden,  daß  Doumic 
näher  auf  dies  Leben  eingehen  m  u  ß  t  e.  Seinem  ganz  richtigen 
\'orsatz:  .yJ'Hudierai  la  biographie  dans  la  mesiire  du  eile  est 
indispensable  pour  la  complete  intelligence  des  cpuvres"  ist  er  damit 
nicht  untreu  geworden.  Vielleicht  hätte  er  das  Charakterbild 
von  G.   Sand  noch  mehr  vortiefen  können. 

II. 

Als  Hauptquelle  gibt  Düumic  an  das  Work  v(.in  Wladimir 
Karenine  (Frau  Komarow  geb.  Stassow),'-^)  ein  Werk  von  be- 
wundernswürdigem Fleiß,  großer  Genauigkeit  und  umfassender 
Literaturkenntnis.  Leider  reicht  es  nur  bis  zur  Reise  Gge.  Sands 
nach  Majorca  (1838). 

Eine  besondere  Würdigung  erheischt  G.  Sands  ^Jdstoire  de 
ma  vie" .  Sie  ist  geschrieben  von  1847 — ^1855  und  reicht  bis  zum 
Jahr  1847.  Das  W^erk  wird  vielfach  abfällig  beurteilt.  Julian 
Schmidt,  doi'  heute  noch  öfters  angefülu't  wird,  so  aucli  von 
Karenine,  hat  es  als  eine  reine  Geldspekulation  bezeichnet.^) 
Allerdings  wollte  G.  Sand  Geld  mit  demselben  vordienen,  es  ist 
aber  deshalb  nicht  wertlos.  Es  ist  ungleich  vmd  lückenhaft. 
Die  drei  ersten  Bände  (in  der  zehnbändigen  Ausgabe  von  1856) 
geben  die  Geschichte  der  Vorfahren  von  Gge.  Sand;  erst  am 
Ende  des  dritten  Bandes  tritt  sie  selbst  auf  den  Schauplatz. 
Ihre  Jugend  wird  sehr  ausführlich,  ihr  späteres  Leben  zum  Teil 
sehr  flüchtig  erzählt.  Die  chronologischen  Angaben  sind  nicht 
immer  zuverlässig.  Gleichwohl  ist  das  Buch  eine  wertvolle  L^r- 
kunde  für  die  Erkenntnis  des  Geistes  und  W'esens  der  Verfasserin. 
Es  enthält  Meisterstücke  der  Charakterisierungskunst  und  macht 
im  gan'^en  aucli  den  Eindruck  der  Wahrheitsliebe. 

Nicht  ohne  bewußte  Absicht  hat  G.  Sand  die  Geschichte 
ihrer  Eltern  und  Voreltern  und  ihrer  eigenen  Jugend  so  aus- 
führlich geschildert.  Sie  wollte  offenbar  manche  ihrer  eigenen 
Charakterzüge  und  Handlungen  auf  \^ererbung  und  auf  die  eigen- 
tümhchen  Vorhältnisse  zurückführen,  aus  denen  sie  hervor- 
gegangen ist.  Mit  Recht  haben  auch  die  Biographen  Gge.  Sands 
die  Vorgeschichte  ihrer  Heldin  mehr  oder  weniger  eingehend 
berücksichtigt.  Den  Büchern  von  Seche  und  Bertaut  und  von 
Karenine  ist  sogar  eine  Stammtafel  beigegeben,  durch  welche 
bewiesen  werden  soll,  daß  Gge.  Sand  nicht  nur  mit  Ludwig  XVI., 

2)  Wladimir   Karenine  George  Sand,  sa  vie  et  ses  oeuvres.     Paris, 
Ollendorf.     2  Bde.,  448  und  458  S. 

3)  J.  Schmidt,  Geschichte  der  franz.  Literatur  seit  der  Revolution 
1789.     Leipzig  1858.     IL   S.  509. 


60  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haape. 

Ludwig  XVIII.  und  Karl  X.  von  Frankreich,  sondern  auch  — 
qiii  mieux  est,  wie  Seche  sagt  ■ —  mit  unserem  Kaiser  Wilhelm  II. 
verwandt  ist!  Diese  sog.  Verwandtschaft  wird  auf  ganz  ,, natür- 
lichem" Wege  vermittelt  durch  den  Marschall  Moritz  von  Sachsen, 
den  natürlichen^ Urgroßvater  Gge.  Sands.  Der  Marschall  war 
der  Sohn  Friedrich  Augusts  I.  von  Sachsen,  Königs  von  Polen, 
und  der  Maria  Aurora  von  Königsmark.  Friedrich  August  I. 
stammte  von  der  Kurfürstin  Magdalene  Sibylle  von  Sachsen, 
geb.  Prinzessin  von  Baireuth,  und  indirekt  von  Johann  Georg, 
Kurfürsten  von  Brandenburg.  Die  Genealogie  ist  an  sich  nicht 
zu  beanstanden;"*)  es  ist  eine  Spielerei,  die  immerhin  wieder  zeigt, 
daß  Kaiser  Wilhelm  bei  den  Franzosen  etwas  gilt. 

In  der  Revue  hebdomadaire,  sowie  in  dem  Buch  von  Seche 
und  Bertaut  ist  auch  eine  Anzahl  Bildnisse  der  Ahnen  Gge.  Sands 
nach  Gemälden  und  Statuen  veröffentlicht.  Es  ist  in  manch- 
facher  Beziehung  nicht  ohne  Reiz,  diese  Ahnengalerie  zu  durcli- 
wandern. 

Den  Reigen  eröffnet  Moritz  von  Sachsen,  nach  dem  Bild 
ein  energischer  offener  Kopf  mit  einem  liebenswürdigen  sinnenden 
Zug.  Bekanntlich  hat  sich  der  berühmte  Marschall  nicht  nur 
mit  Siegen  über  feindliche  Heere  und  über  Frauenherzen,  sondern 
auch  mit  sozialen  und  humanitären  Plänen  beschäftigt  und 
großes  Interesse  für  die  Schauspielkunst  gehabt.  Seine  Geliebte, 
George  Sands  Urgroßmutter,  war  die  Schauspielerin  Marie 
Rinteau,  genannt  de  ^^errieres.  Ihre  Tochter  war  Marie  Aurore 
de  Saxe,  Gge.  Sands  Großmutter,  die  in  zweiter  Ehe  mit  Dupin 
de  Francueil  verheii'atet  war.  Dupins  ansprechende  Gesichts- 
züge zeigen  einige  Ähnlichkeit  mit  seiner  Enkelin  Gge.  Sand, 
während  das  Bild  seiner  Gattin  Marie  Aurore  lebhaft  an  deren 
Vater,  den  Marschall  von  Sachsen,  erinnert,  mit  welchem  Gge. 
Sand  gar  keine  Ähnlichkeit  hat.  Dupin  war  ein  Universalgenie, 
ausgezeichnet  als  Musiker,  Komponist.  Maler.  Dichter,  Architekt, 
Schreiner,  Dreher  usw.  ,,/e  ne  sais  pas  ce  quil  n'etait  pas." 
Er  konnte  sogar  prachtvoll  sticken!  Sein  Sohn,  Maurice  Dupin, 
Gge.  Sands  Vater,  war  literarisch  und  künstlerisch  begabt,  dabei 
gemütvoll;  die  Briefe,  die  er  von  seinen  Feldzügen  aus  an  seine 
Mutter  schickte,  sind  trefflich  geschrieben,  voll  Empfindung  und 
Humor  und  haben  zum  Teil  geschichtlichen  Wert.  Über  seine 
Abenteuer  mit  deutschen  Stiftsdamen  und  dergl.  berichtet  er 
der  Mutter  gewissenhaft.  Wenig  erfi-eulich  für  diese  war  es, 
daß  er  schon  als  ganz  junger  Mensch,  der  Tradition  seines  Hauses 
getreu  —  auch  sein  \'ater  war  dieser  Tradition  gefolgt  — ,  Vater 
eines  natürlichen  Sohnes  wurde,  der  Hippolyt  Chätiron  hieß  und 
als  Bruder  von  Gge.  Sand  einen  wiclitigen  Platz  in  ihrem  Leben 

"*)  Vgl.  das  Genealogische  Handbuch  von  Ottokar  Lorenz,  bearbeitet 
von  Ernst  Devrient.     Stuttgart  und  Berlin  1908.     Taf.  38,  45. 


Neuere  Arbeiten  über  George  Sand.  61 

einnalnii.  M'iv  äuL'ere  Ähnlichkeit  George  Sands  mit  iliioin  Vater- 
Maurice  Dupin,  von  welcher  sie  in  ihrer  Lebensgeschichte 
spricht,  ist  in  der  Tat  auffallend;  auch  in  ihrer  geistigen  und 
gemütlichen  Veranlagung  bestanden  viele  gemeinsame  Züge. 

Maurice  Dupins  Gattin,  Sophie  Delaborde,  die  Mutter  George 
Sands,  von  der  kein  Bildnis  gegeben  ist,  war  die  Tochter  eines 
Pariser  Vogelhändlers;  sie  war  eine  geschickte  Putzmacherin, 
eine  Zeitlang  Statistin  an  einem  kleinen  Theater  und  folgte  dann 
einem  alten  General  in  den  Krieg.  Sie  hatte  eine  Tochter  ,,de 
provenance  indecise'\  Sophie  Dupin  -  Delaborde  war  hübsch, 
von  lebliaflem  Charakter,  nicht  ohne  Geschmack  und  Mutter- 
witz, aber  ungebildet,  derb  und  launenhaft.  Mit  ihrem  Gatten 
lebte  sie  sehr  glücklich.  Nach  seinem  Tode  soll  sie  zu  ihren 
früheren  lockeren  Sitten  zurückgekehrt  sein.  George  Sand  be- 
streitet dies  entschieden,  und  sie  selbst  hat  feierlich  versichert, 
daß  sie  in  ihrer  Witwenschaft  vorwurfsfrei  gelebt  und  das  An- 
denken ihres  Gatten  in  Ehren  gehalten  Iiabe.  Ob  Doumics 
Äußerung:  ,,£//e  etait  tout-ä-fait  galante"  nicht  zu  hart  ist,  muß 
hiernach  dahingestellt  bleiben;  Tatsachen  sind  dafür  nicht  an- 
geführt worden. 

Auch  Gge.  Sands  Gatte  Casimir  war  ein  natürlicher  Sohn 
des  Obersten  Dudevant.  ,,Est-ce  qiie  toiis  les  enjants  ne  sont 
pas  naturels?''  fragt  Doumic  mit  Pailleron  in  ,,Le  Monde  oii 
l'oji  s'ennuie". 

Von  der  ganzen  oben  geschilderten  etwas  leichtfertigen 
Gesellscliaft  hebt  sich  George  Sands  Großmutter,  Marie  Aurore 
Dupin,  ,,/a  femme  infiniment  respectable" ,  durch  ilir  feines  Be- 
nehmen und  ihre  strenge  Sittlichkeit  scharf  ab. 

Zwischen  ihre  vornehme  Großmutter  und  ihre  plebejisch 
derbe  Mutter  war  die  junge  Aurora  nach  dem  frühen  Tod  ihres 
Vaters  mitten  hineingestellt.  Beide  Frauen  kämpften  um  das 
Herz  des  Kindes  und  um  seine  Erziehung.  Aurora  schloß  sich 
viel  inniger  an  die  Mutter  an  als  an  die  strenge,  förmliche  Groß- 
mutter. Die  leidenschaftliche  wilde  Boheme-Natur  der  Mutter 
war  ihr  wahlverwandt.  Erst  in  reiferem  Alter  lernte  sie  ihre 
Großmutter  schätzen.  Der  Widerstreit  ZN\ischen  den  beiden 
Frauen  konnte  natürlich  der  Erziehung  und  namentlich  der 
Charakter-  und  Gemütsbildung  des  Kindes  nicht  förderlich  sein. 
Es  war  auch,  wie  es  sich  zeigte,  kein  Glück  für  das  erregbare, 
schwärmerische  junge  Mädchen,  daß  man  es  dem  Kloster  zur 
Erziehung  übergab,  um  es  den  sich  entgegenwirkenden  häus- 
lichen Einflüssen  zu  entziehen. 

In  George  Sands  Natur  lagen  große  Widersprüche.  Sie 
war  im  Kloster  la  plus  triste  et  la  plus  enjouee.  Zuerst  einer  der 
wildesten  unter  den  ,.diables'\  verfiel  sie  mit  einem  Male  in 
eine  ekstatische  religiöse  Schwärmerei.     Sie  schildert  sich  selbst 


62  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haape. 

als  träge,  und  doch,  wer  liat  lleiBiger  gearbeitet  als  sie  ?  Sie 
bezeichnet  sich  als  eine  passive,  wenig  energische  Natur,  aber 
wie  leidenschaftlich  konnte  ihr  Herz  aufflammen,  zu  welchen 
gewagten  Entschlüssen  ist  sie  fähig!  Sie  sehnt  sich  nach  Freiheit, 
nach  Ungebundenheit,  und  doch  wdll  sie  geleitet,  beeinflußt 
sein.  Von  Jugend  auf  liebt  sie  es,  sich  in  phantastischen  Träu- 
mereien zu  verlieren,  und  dabei  kann  sie  doch  wieder  in  Ange- 
legenheiten des  praktischen  Lebens  recht  viel  gesunden  Menschen- 
verstand entwickeln.  Sie  sagt  selbst:  La  natiire  hnmaine  (vielleicht 
insbesondere  la  nature  des  femmes)  nest  qu'iin  tissu  d'inconse- 
qiiences  et  je  ne  crois  point  du  tout  ä  ceux  qui  pretendent  d'etre 
trouves  d'accord  avec  le  moi  de  Ja  veüle. 

Man  könnte  beinahe  glauben,  diese  Wandelbarkeit  habe  sich 
auch  auf  ihr  Äußeres  erstreckt.  Häufig  denkt  man  sich  George 
Sand  als  eine  verführerische  Schönheit;  die  Berichte  lauten  aber 
sehr  verschieden.  Sie  selbst  sagt,  sie  habe  als  Kind  versprochen, 
sehr  schön  zu  werden,  promesse  que  je  n'ai  pas  tenue.  Ma  pauvre 
mere,  qui  estimait  la  beaute  avanl  tout.,  m'en  faisait  souvent  de 
na'ifs  reproches.  Sie  fügt  bei,  sie  habe  frülizeitig  das  air  bete 
gehabt,  das  ihr  während  ihres  ganzen  Lebens  geblieben  sei.  Ihr 
späterer  Gatte  Dudevant  sagte,  als  er  um  sie  anhielt:  J'ai  ete 
frappe  ä  la  premiere  vue  de  votre  air  bon  et  raisonnable.  Je  ne 
vous  ai  trouvee  ni  helle  ni  jolie.  Auch  Pietro  Pagello,  ihr  vene- 
tianischer  Freund,  bewundert  zwar  ihre  merkwürdigen  Augen 
(gli  occhi  stupendi),  fügt  aber  bei,  ihre  Lippen  seien  dick  und 
häßlich.  Heinrich  Heine  dagegen  ist  von  ihrer  Schönheit  seiir 
entzückt  und  preist  diese  wiederholt;  er  findet  aber  auch  den 
Mund  nicht  anziehend.  Bemerkenswert  ist  die  genaue  Be- 
schreibung, welche  die  englische  Dichterin  Elizabeth  Barret 
Browning,  eine  eifrige  Verehrerin  Gge.  Sands,  auf  Grund  einer 
Begegnung  vom  12.  Februar  1852  von  ihr  gibt:  Sie  ist  ziemlich 
stark  gebaut,  nicht  groß,  Augen  und  Stirn  edel,  die  Nase  von 
etw'as  jüdischem  Schnitt;  das  Kinn  fällt  ein  wenig  ab,  der  Mund 
ist  nicht  angenehm,  obwohl  ausdrucksvoll  und  blitzartig  durch 
die  vorstehenden  weißen  Zähne  zu  einem  Lächeln  erhellt.  Das 
Gesicht  hat  nichts  Liebliches,  verrät  aber  große  moi'alische  und 
geistige  Fähigkeiten;  nur  kann  es  niemals  schön  gewesen  sein.^) 

Dem  Vortrag  Doumics  sind  in  der  Revue  hebdomodaire 
zahlreiche  Bildnisse  von  George  Sand  beigegeben  (der  Buchaus- 
gabe nur  vier),  ebenso  dem  Buch  von  Seche  und  Bertaut.  Auch 
diqse  Bilder  sind  unter  sich  erstaunlich  verschieden.  Die  Bild- 
nisse von  Charpentier  und  Calamatta  (welcher  der  Dichterin 
nahestand)  stimmen  unter  sich  und  mit  den  obigen  Angaben  am 
meisten  überein.     Die  Zeichnung  von  Calamatta  gibt  auch  jenen 

^)  S.  den  Aufsatz  von  M.  J.  Minckwitz  in  den  Grenzboten  1902, 
No.  46. 


Neuere  Arbeiten  über  George  Sand.  63 

träumerisch  schläfrigen  Zug,  den  G.  Sand  als  air  bete  öfters 
erwähnt. 

Auf  die  Gegensätze  in  George  Sands  Natur  und  auf  ihre 
mangelhafte  Erziehung  weisen  so  manche  Miüklänge  hin,  die 
uns  an  ihren  Werken  und  in  ihrem  Leben  auffallen.  Es  beleidigt 
unser  Gefühl,  wenn  sie,  die  sonst  soviel  Herzensgute  besitzt,  in 
der  histoire  de  nia  vie  ihre  Eltern  und  Verwandten  vielfach 
tadelt  und  bloßstellt.  Es  verletzt  uns,  wenn  sie  die  letzten  Worte, 
die  ihre  Großmutter  auf  dem  Sterbebett  zu  ihr  gesprochen: 
,,Tu  perds  ia  meilleure  amie,"  in  ,, Indiana"  der  sterbenden  Mutter 
Raymons  in  den  Mund  legt.  Es  verletzt  uns,  wenn  sie  Balzac 
ermuntert,  über  ihren  Freund  Liszt  und  die  einst  von  ihr  ver- 
götterte Comtesse  d'Agoult  einen  Roman  zu  schreiben:  ,Jes 
Galeriens  ou  les  amoiirs  forces."^)  Sie  konnte  offenbar  nicht 
dem  Drange  widerstehen,  alles,  was  sie  erlebte  und  erfuhr,  lite- 
rarisch zu  gestalten  und  zu  verwerten. 

In  ihren  Werken  wie  in  ihren  Briefen  ist  sie  keineswegs 
zimperlich;  sie  spricht  von  geschlechtlichen  Dingen  mit  großer 
Offenheit")  und  scheut  sich  auch  nicht,  reclit  unsaubere  Anek- 
doten zum  Besten  zu  geben  (z.  B.  jenes  Gesciiichtchen  aus  Venedig 
in  bist.  d.  m.  vie  V.  3).  Dagegen  haßt  sie  die  Zote,  die  Freude 
am  Gemeinen.  Beyle  (Stendhal),  den  sie  auf  der  Reise  nach  Italien 
trifft,  ist  ihr  zuwider,  comme  Je  fond  de  son  esprit  trahii  le  goüt 
de  l'obscenite.  Ihren  Freund  Balzac,  der  ihr  einiges  aus  seinen 
contes  drolatiques  vorliest,  schilt  sie  einen  gros  indecent  und 
wirft  ihn  beinahe  zur  Tür  hinaus,  worauf  er  ihr  von  der  Treppe 
aus  zuruft:   Vous  n'etes  qu'iine  bete. 

III. 

Über  George  Sands  sittliches  Verhalten  und  ihre  Ansichten 
iiber  Sittlichkeitsfragen  hat  man  sehr  hart  geurteilt.  Man  spricht 
von  der  Frau,  die  sich  so  vielen  hingegeben,  die  bald  durch  ihre 
glühende  verzehrende  Sinnlichkeit,  bald  durch  ihre  Treulosigkeit 
ihre  Liebhaber  zugrunde  richtete.  Stärkere  Ausdrücke  als  Faguets 
,,Grisette"  wurden  über  sie  gebraucht.  Rien  de  plus  large  que 
l'amoiir  tel  que  l'auteur  d\Jndiana"  le  comprenait,  tel  qu'il  l'intro- 
duisait  dans  ses  romans  et  aussi,  helas!  dans  sa  vie,  sagt  Bire. 
Das  ungünstige  Urteil  über  ihr  Privatleben  hat  auch  die  Meinung 
des  großen  Publikums  über  ihre  Schriften  beeinflußt.  Ich  bin 
mehr  als  einmal  selbst  bei  gebildeten  Leuten  folgendem  Gedanken- 
gangbegegnet: George  Sand  war  unsittlich,  ergo  sind  ihre  Schriften 

^)  Karenine,  Gge.  Sand  II,  S.  451.  Balzac  schrieb  an  Mme. 
Hauska:  Gardöz  bien  ce  secret-läl  Man  sieht,  wie  derartige  literarische 
Geheimnisse  bewalirt  werden. 

')  So  auch  in  dem  von  Doumic  (  S.  52)  mitgeteilten  Briefe  an 
ihren  Nachbar  Duplomb,  in  den  Briefen  an  Boucoiran  (s.  z.  B.  Kare- 
nine II,  S.  79). 


64  Referate  und  Rezensionen.     11'.  Ilaape. 

unsittlich,  ergo  lese  ich  sie  nicht  (^vobei  ich  es  dahingestellt  lasse, 
ob  diese  Schlußfolgerung  auch  dann  gezogen  worden  wäre,  wenn 
es  sich  um  einen  Modeschriftsteller  handeln  würde).  Auch  Kare- 
nine,  die  George  Sand  verehrt  und  bewundert,  kann  an  ihren 
., zahlreichen  Liebeshändeln"  nicht  ohne  Tadel  und  schmerz- 
liches Bedauern,  Doumic  nicht  ohne  bitteren  Spott  vorüber- 
gehen. A.  und  L.  Seche  erwähnen  allerlei  skandalöse  Ge- 
schichtchen, die  über  sie  umliefen.  Auch  Karenine  glaubt, 
daß  ihr  anstößiges  Privatleben  viele  zu  der  Annahme  verleite, 
daß  sie  in  ihren  Schriften  die  ünsittlichkeit  predige.  Wenn 
Julian  Schmidt  einst  gesagt  hat,  daß  bei  George  Sand  die  Leiden- 
schaft zum  Laster  werde,  daß  bei  ihren  Heldinnen  sich  sinnliches 
Verlangen  mit  Ohnmacht  des  Gemüts  paarte,  daß  ihrer  idealen 
Sehnsucht  eine  entzündete  Sinnlichkeit  zugrunde  liege;  wenn 
man  ihr  vorwirft,  daß  sie  das  Heiligste  in  den  Staub  gezogen, 
die  Bande  der  Familie  zerrissen,  der  ausgelassensten  Prostitution 
die  Perlen  der  Tugend  um  den  schamlosen  Busen  gelegt  habe,^) 
so  richten  sich  diese  Vorwürfe  auch  gegen  die  Persönlichkeit 
und  den  Charakter  der   Schriftstellerin. 

Wie  man  auch  sonst  über  Gge.  Sand  urteilen  mag: 
Aufrichtigkeit  und  Wahrheitsliebe  wird  man  ihr  im  all- 
gemeinen nicht  absprechen  können.  Sie  hat  sich  oft  nur 
zu  offen  ausgesprochen  und  den  Schein  allzu  wenig  gemieden. 
Elle  avait  un  grand  besoin  de  sineerite  (Doumic).  Musset  schreibt 
ihr  einmal  (nach  dem  Bruch):  Je  ne  m'ahiise  sur  uucnn  de  tes 
defoiifs;  tu  ne  mens  pas,  voilä  pourquoi  je  t'aime. 

In  dem  Bilde  des  jungen  Mädchens,  das  uns  in  der  histoire 
de  ma  vie  entgegentritt,  verrät  sich  kein  sinnlicher  Zug,  wohl 
aber  überschäumende  Jugendlust  abwechselnd  mit  schwer- 
mütiger Träumerei,  das  Bedürfnis  eines  Ideals,  seien  es  Kloster- 
frauen oder  Mitschülerinnen,  oder  seien  es  höhere  Wesen,  die 
ihre  Phantasie  geschaffen  (Corambe);  zuletzt  nimmt  religiöse 
Schwärmerei  ihr  ganzes  Denken  und  Fühlen  gefangen.  Wir 
dürfen  wohl  ihrer  Versicherung  glauben,  daß  auch  nach  ihrem 
Austritt  aus  dem  Kloster  alles,  was  sich  auf  Liebe  und  Ehe  be- 
zieht, lettre  close  für  sie  war.  ,^Aucune  de  ces  fibres  n'avait  encore 
vibre  en  moi" .  Mit  Casimir  Dudevant  hatte  sie  wie  mit  einem 
Kameraden  verkehrt;  als  solchen  sah  sie  ihn  auch  an,  als  sie 
mit  ihm  in  die  Ehe  trat.  Erst  nach  längerem  Zusammenleben 
trat  der  Gegensatz  zwischen  ihrer  idealistischen  und  seiner  prak- 
tisch materiellen  Natur  zutage.  Doumic  hält  es  nach  Andeutungen 
in  einem  unveröffentlichten  Briefe  Gge.  Sands  für  möglich, 
daß  ihr  Gatte  sie  gleich  anfangs  durcli  zu  h(>fliges  Verlangen 
verletzte. 

**)  Vgl.  Dr.  Ferdinand  Haas,  Französische  Stoßseufzer  und  deutsche 
Reflexionen.     Mainz   1871. 


Neuere  Arbeiten  über  George  Sand.  65 

George  Sand  selbst  nennt  sicli  iine  personne  auslere  et  serieuse 
au  fond  de  l'äme  (bist.  d.  m.  v.  1X2).  Das  ,,Austere" und  der  Kampf 
zwiscben  Austeritc  und  Genußsucbt  spielen  ja  aueb  in  ibren 
Werken  eine  große  Rolle  (vergl.  ,,Lelia"  —  einerseits  Leba  und 
TrtHimor,  anderseits  Pulcberia,  Stenio,  Magnus  — ;  ^,Mauprat''  — 
Edmee  und  Bernard  — ;  .ßecretaire  intime''  —  Quintiba  und 
St.  Julien  —  ferner  besonders  Consuelo,  eine  Gestalt  von 
idealer  Reinbeit,  Yseult  und  die  Marquise,  anderseits  Pierre 
Iluguenin  und  der  Coryntbien  in  Le  conipagnoii  da  tour  de  France 
u.  s.  f.).  Balzae,  der  mit  George  Sand  befreundet  war  und  dem 
es  nicbt  an  Menscbenkenntnis  feblte,  sagt  von  ibr:  Elle  est 
garQon,  eile  est  artiste,  eile  est  grande,  genereuse,  devouee,  chaste, 
eile  a  les  traits  d'un  komme,  eile  n'est  pas  femme.  . . .  La  femme 
attire,  eile  repousse  (au  Mme  Hanska  v.  2.  März   1838). 

Alexandre  Dumas  Sobn  sagt:  C'est  une  curieuse  excessive, 
trompee,  degue  dans  ses  incessantes  recherches,  mais  non  une  pas- 
sionnee,  und  A.  Secbe  fügt  bei:  .4  defaut  de  sensualite,  il  y  avait 
en  eile  un  besoin  d'affection  qui  ne  pouvait  rester  sans  emploi.^) 
Aucb  Jules  Sandeau,  der  sie  ja  genau  kannte,  sagt  in  dem  Bilde, 
das  er  in  „Marianne"  von  ibr  entv.irft:  Son  intimite  elait  d'un 
facile  acces,  mois  sa  fiere  chastete  et  son  instinctive  noblesse  melaient 
au  laisser  aller  de  toute  sa  personne  des  airs  de  vierge  et  de  duchesse 
qui  contrastaient  d'une  fuQon  etrange  avec  son  mepris  des  convenances. 
L'expression  des  yeux  brülante,  maladive  accusait  des  lutfes  infe- 
rieures,   terribles,    incessantes,    inavouees. 

Man  denkt  bei  dieser  Scbilderung  an  Leba.  Etwas  Krank- 
baftes  lag  offenbar  in  George  Sands  Natur;  dafür  sprecben  jene 
Überreizung  der  Pbantasie,  an  der  sie  scbon  in  früber  Jugend 
litt,  und  die  sieb  bis  zu  förmlicben  Halluzinationen  steigerte, 
der  jäbe  Wecbsel  der  Stimmungen,  ibre  Neigung  zum  Selbst- 
mord. Ob  jene  Congestion  cerebrale  espece  d'apoplexie,  von  der 
sie  aus  dem  Jabre  1831  bericbtet,  ibre  Krankbeit  in  Venedig, 
ibre  beständigen  Kopfscbmerzen  damit  zusammenbingen,  ent- 
ziebt  sieb  der  Beurteilung.  Aucb  ibre  Lebensweise,  welcbe  die 
Nacbt  zum  Tag  macbte,  war  nicbt  normal.  Übrigens  lag  etwas 
Krankbaftes  in  jener  ganzen  Zeit  der   Romantik. 

Daß  G.  Sand  der  weiblicbe  Stolz  nicbt  mangelte,  daß  ibr 
unter  Umständen  aucb  die  airs  de  duchesse  zu  Gebote  standen, 
und  daß  sie  ibre  Umgebung  in  Respekt  zu  balten  wußte,  wird 
aucb  von  anderen  Zeugen  bestätigt. 

Aber  nun  steben  wir  ^^ieder  vor  einem  scbwer  zu  lösenden 
Widersprucb.  Wie  reimt  sieb  zu  jener  fierte  das  Leben,  das 
G.  Sand  fübrte  ?  War  sie  ja  docb  nacb  allgemeiner  Annabme, 
der  aucb  Doumic  buldigt,  die  Geliebte  von  J.  Sandeau,  Merimee, 
Alfred  de  Musset,  Pietro  Pagello,  Micbel  von  Bourges,  Cbopin- 

^)  Seche  et  Bertaut  G.  S.,  S.  G8. 
Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  5 


66  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haape. 

Tn  (lor  Tat  ein  stattliches  Häuflein.  Und  im  Hintergrund  stehen 
noch  der  Gatte  und  Vater  Casimir  und  der  brave  Aurelien  de 
Seze.  Von  Mallefille,  der  auch  unter  ihren  Liebhabern  angeführt 
wird,  will  icli  absehen.  Doumic  und  Seche  nennen  ihn  nicht, 
und  die  Angaben  bei  Karenine  genügen  nicht  zur  Begründung 
eines  Urteils. 

Ohne  für  die  Tugend  der  Frau  Dudevant  eine  Lanze  brechen 
und  ohne  anderseits  mit  Doumic  den  längst  im  Grab  ruhenden 
Urgroßvater  Moritz  von  Sachsen  für  die  Sünden  seiner  Urenkelin 
verantwortlich  machen  zu  wollen,  halte  ich  es  für  eine  Forderung 
der  Gerechtigkeit  und  Genauigkeit,  zu  prüfen,  was  über  alle 
diese  Beziehungen  e  r  wiesen  ist.  Ein  Blick  auf  die  Psycho- 
logie dieser  Verhältnisse  rechtfertigt  sich  auch  dadurch,  daß 
sie   einen  wichtigen  Teil   der    Geschichte    George    Sands   bilden. 

IT. 

liirem  Landsmann  Jules  Sandeau  trat  Gge.  Sand  im 
Jalire  1831  in  Paris  nälier.  Sandeau  war  damals  20,  Gge.  Sand 
27  Jahre  alt  und  seit  9  Jahren  verheiratet.  Sie  hatte  sich  ihr 
Verhältnis  als  eine  association  litteraire  gedacht;  Sandeau  sollte 
sie  in  die  Literatur  einführen.  George  Sand  war  nach  Paris  ge- 
kommen, glücklich,  vom  Zwang  des  Zusammenlebens  mit  einem 
ungeliebten  Gatten  befreit  zu  sein.  Das  Boheme-Blut  wallte 
mächtig  in  ihr  auf;  fröhlich  und  ungebunden  schweifte  sie  durch 
die  Weltstadt  am  Arme  des  kleinen  Sandeau,  umgeben  von 
einem  Kreise  jugendlicher  Landsleute,  ,, Artisten".  Die  burschi- 
kose Wirtschaft  in  ihrem  Studentenheim  gefällt  ihr  ■ —  eine 
Zeitlang,  sie  schildert  sie  drastisch  in  einem  Brief  an  Emile 
Regnault  (mitgeteilt  von  Doumic):  Celle  petite  chamhre  siir  le 
gnai,  ou  je  vois  Jules  en  redingole  d'arlisle  crasseuse  et  deguenillee, 
sa  crcwate  sous  son  derriere  et  sa  chemise  debraillee,  etale  snr  trois 
chaises,  tapant  du  pied  ou  cassant  la  pincette  dans  la  chaleur  de 
la  discussion,  le  Gaulois^^)  dans  im  coin,  tramant  une  grande  con- 
spiralioii.,  el  vous  sur  une  table.    Wirklich  sehr  anmutig! 

Der  kleine  Sandeau  faßte  ihre  Association  in  weiterem  Sinne 
auf,  und  er  war  nicht  blöde.  G.  Sand  schreibt  (an  Regnault): 
,.,Pendant  trois  mois  je  lui  ai  resiste."  Diese  Studentenliebe 
Gge.  Sands  endigte  mit  einem  ungeheuren  Katzenjammer.  Es 
war  eine  starke  Verirrung. 

Weniger  klar  als  dieses  Verhältnis  sind  die  ßezieliungen 
George  Sands  zu  P  r  o  s  p  e  r  M  e  r  i  m  e  e  ,  von  welchen  Doumic 
sagt:  elles  furent  courtes  et  mauvaises.  Sie  hatte  Merimee  im 
Juli  1833  nach  dem  Bruch  mit  Sandeau  kennen  gelernt.  Sie 
fühlte  sich  damals  tief  unglücklich;  sie  war  irre  geworden  an 
ilu-em  religiösen  Glauben,  an  der  Menschheit  und  an  sich  selbst; 

^^)  Alphonse  Fleury. 


Neuere  Arbeilen   über  George  Sand.  67 

das  Leben  hatte  ilif  niic  Enttäuscliunoen  gebracht.  Merimee 
mit  seinem  starken  klai-en  Geiste  und  seiner  überlec,'enen  Ruhe 
erschien  ihr  wie  ein  Retter  und  Befreier.  Sie  sah  sicli  getäuscht. 
Statt  Neigung  und  Trost  liatte  er  niii'  ätzenden  Spott  für 
sie.  So  wurde  die  Verbindung  gelöst,  beinahe  noch  che  sie 
geknüpft  worden  war.  Sie  schrieb  an  Sie  Beuve:  Si  P.  Merimee 
m'avait  coniprise,  il  meüt  peut-etre  aimee  et  s'il  m'eüt  aiiyiee,  il 
meut  soiimise,  et  si  j'avais  pii  me  soumettre  ä  iin  homme^  je  serais 
saiivee,  car  iine  liberte  me  ronge  et  me  tue.  Mais  il  ne  me  coiinut 
pas  assez  et  au  Heu  de  lui  eii  doiiner  le  temps  je  me  decourageai 
tout  de  suite^  et  je  rejetai  la  seule  condition  qui  put  l'attirer  ä  moi." 
Sie  erklärt  Ste  Beuve,  daß  sie  keine  Verschwiegenheit  über  ihre 
Mitteilung  von  ihm  verlange.  „Pourquoi  aurais-je  honte  d'etre 
ridicule,  si  je  nai  pas  ele  eoupable?" 

Der  ganze  ziemlich  lange  Brief  an  Ste  Beuve  ist  etwas  orakel- 
haft dunkel  und  zweideutig.  Daß  sie  die  einzige  Bedingung, 
unter  den  sie  Merimee  hätte  an  sich  fesseln  können,  verwarf, 
kann  sehr  wohl  zu  ihren  Gunsten  ausgelegt  werden.  Jeden- 
falls war  sie  Merimee  in  blindem  Vertrauen  zu  weit  entgegen- 
gekommen und  die  tiefe  Beschämung  über  ihren  Irrtum  ist  ver- 
ständlich. ,, Apres  cette  änerie  je  suis  plus  consternee  que  jamais."ii) 

Auf  die  häßlichen  Anekdoten  über  ihr  Verhältnis  zu  Merimee, 
die  Seche  mit  allem  Vorbehalt  erwähnt,  ist  kein  Wert  zu  legen. 
Man  weiß,  wie  solcher  Klatsch  entsteht. 

Über  das  Verhältnis  zu  M  u  s  s  e  t ,  das  bald  nach  jener 
Episode  begann,  hat  man  bekanntlich  sehr  verschieden  geurteilt. 
Maxime  Du  Camp  sagt,  es  habe  1  e  d  i  g  1  i  c  li  auf  Sinnenreiz 
beruht. ^2)  Das  ist  gewiß  nicht  richtig.  Neben  der  Anziehung 
der  Sinne  bestand  doch  ein  geistiges  Band,  daß  sich  zwischen 
zwei  verwandten  dichterischen  Ingenien,  zwei  Größen  der  Literatur 
geschlungen  hatte.  Als  eine  Art  Association  litter aire  hatten  sie 
es  sich  offenbar  auch  gedacht,  und  es  fehlte  nicht  jene  leichte 
odeur  d'encre,  die  nach  dem  Wort  eines  französischen  Schrift- 
stellers die  Liebe  entre  gens  de  lettre  begleitet.  Auch  die  gemein- 
same innige  Liebe  zur  Musik  bildete  einen  Berührungspunkt 
zwischen  beiden. ^^)  Vielleicht  waren  sie  geistig  in  mancher 
Beziehung  einander  sogar  allzu  ähnlich,  und  Musset  hatte  vielleicht 
in  diesem  Sinne  recht,  wenn  er  sagte:  C'est  un  inceste  que  nous 
commettions. 


")  Karenine,   G.   S.  I,  S.  397. 

^^)  La  destinee  a  rarement  reuni  deux  etres  plus  disparates  et 
plus  disseinblables.  Ils  n^avaient  entre  eux  aucun  point  de  rapport  .  .  . 
seules  les  sensations  ont  pu  les  rapprocher.  Souvenirs  htteraires 
II,  S.  348. 

^^)  Dafür,  daß  Musset  die  Musik  nicht  bloß  par  dandysme  liebte, 
wie  Doumic  als  mögüch  vmterstellt,  sondern  daß  sie  ihm  Herzens- 
sache war,  darf  ich  mich  auf  meinen  Aufsatz  über  A.  Musset  in  Bd.  34 
Heft  No.  I  und  3  d.  Ztschr.  S.  78  berufen. 

5* 


68  Referate  und  Rezensionen.     W.   Ilnupe. 

Beide  waren  iclealistiscli  ül^erspannte  Naturen,  keins  von 
beiden  zur  Ruhe  und  Abklärung  gelangt,  beide  suchten  ein  Ideal, 
dem  sie  ihre  Liebe  weihen  könnten.  Nous  cherehons  le  ciel  dans 
une  creature  semhlable  ä  nous.  Quand  tombe  le  volle  divin  et  que  la 
creature  se  montre,  chetive  et  itnparfaite,  derriere  ces  nuages  d'encens, 
derriere  cette  aureole  d'amour,  nous  sonimes  effrayes  de  notre  illusion., 
so  schrieb  G.  Sand  in  Lelia,  und  sie  läßt  daselbst  Pulcheria  über 
das  Verhältnis  zwischen  Mann  und  Weib  sogar  sagen:  Ces  etres 
si  semblahles  et  si  dissemblables  sont  jaits  de  teile  sorie  qu'il  y  a 
loujonrs  entre  eux  de  la  haine  meme  dans  l'amour  qu'ils  ont  l'un 
pour  l'autre.^^)  Und  in  ,,£'Z/e  et  lui'  sagt  Therese  (Gge.  Sand) 
von  Laurent  (Musset):  Cet  enfant  voudrait  avoir  pour  maitresse 
quelque  cJiose  comme  la  Venus  deMilo  animee  du  souffle  de  ma 
paironne  Sie  Therese.  (Man  vergleiche  damit  Musset,  conj.  d'un 
enfant  du  siecle:  Vouloir  chercher  dans  la  vie  reelle  des  amours 
eternels  et  absolus  c'est  la  meme  chose  que  de  chercher  sur  la  place 
publique  des  femmes  aussi  belles  que  la  Venus.) 

Die  Charaktere  waren  allerdings  sehr  verschieden,  in 
George  Sands  Natur  lag  von  Jugend  auf  trotz  ihrer  sonstigen 
Wandelbarkeit  ein  Bedürfnis  nach  Tätigkeit  und  regelmäßiger 
Arbeit.  Mit  der  Zeit  entwickelt  sich  bei  ihr  der  häusliche,  sinnige 
Zug  immer  mehr,  der  zuletzt  bei  der  bonne  dame  de  Nohant  so  an- 
sprechend hervortritt.  Musset  dagegen  liebte  die  Freiheit  und  Un- 
regelmäßigkeit; er  arbeitete  nur,  wenn  ihn  die  Laune  anwandelte. 

Unverkennbar  ist  es  ja,  daß  die  sinnliche  Seite  eine  be- 
deutende Rolle  bei  dem  Verhältnis  spielte;  das  gilt  besonders 
von  Musset.  Bezeichnend  ist  schon  jenes  liochpoetische,  von 
Leidenschaft  durchzitterte  Gedicht  über  die  Episode  der  Noun 
in  ,, Indiana",  das  Musset  bei  Beginn  ihrer  Bekanntschaft  an 
Gge.  Sand  schickte. ^^)  Musset  war  damals  23,  Gge.  Sand  29  Jahre 
alt.  Sie  mag  sich  in  der  Tat  anfangs  in  die  Rolle  einer  mütter- 
lichen Freundin  geträumt  haben.  Der  verwöhnte  Lebemann  fand 
in  ihr  nicht  den  Reiz,  den  er  erwartet  hatte;  er  fand  kein  tem- 
peramentvolles, feuriges  Weib,  sondern  eine  fleißige,  geordnete 
Frau:  er  nennt  sie  im  Unmut  l'ennui  petrifie,  une  prüde,  une 
bete,  une  religieuse,  une  reveuse.  Wie  sie  in  einem  Brief  an 
Musset  schreibt,  hat  er  ihr  vorgeworfen,  de  n'avoir  su  donner 
les  plaisirs  de  l'amour.^^)  Sie  schreibt  auch  an  ihn:  Sa?is  ta 
jeanesse  et  la  faiblesse  que  tes  larnies  m'oni  causee  un  inatin,  nous 
serions  restes  frere  et  soeur. 

^*)  Nietzsche  hat  bekanutlicli  einen  ähnlirluMi  Gedanken  uu.s- 
gesprochen.  Auch  an  ,, Jenseits  von  Gut  und  Böse''  werden  wir  erinnert, 
wenn  es  in  Lelia  heißt:  Le  bien  et  le  mal,  ce  sunt  des  distinctions  que 
nous  acous  creees.     Dieu  ne  les  connait  pas. 

^^)  Corresp.   S.  4. 

^"j  Laurent  zu  Tiiörese  in  Elle  et  Lui:  Je  Cai  reproche  d'ainier 
Irop   chastement  et  d'etre  plus  faite  pour  le  couvent  que  pour  Vamour. 


Ä'euerc  A  rhrilcn   über  George  Sand.  69 

George  Sand  liattc  keine  Spur  von  Koketlerie;  sie  konnte 
sich  nie  entschliel.^en,  viel  auf  ilir  Äußeres  zu  halten,  während 
Musset  großen  Wert  auf  Eleganz  legte.  George  Sand  erscheint 
in  der  Tat  als  der  männliche,  Musset  als  der  weibliche  Charakter. 
Dies  zeigt  sicii  auch  darin,  daß  Gge.  Sand  ernste  Unterhaltungen 
über  Fragen  allgemeiner  Art,  über  politische,  soziale,  gemein- 
nützige Angelegenheiten  liebt,  während  Musset  für  Dinge,  die 
außerhalb  seiner  Einzelsphäre  liegen,  wenig  Interesse  hat.  Gge. 
Sand  hatte  auch  eine  Alinung  gehabt,  daß  sie  nicht  zueinander 
passen  würden. 

So  kam  es,  daß  sie  sich  gegenseitig  bald  anzogen,  bald  al)- 
stießen.  Die  Liebe  wächst  bei  ihnen,  sobald  sie  voneinandtn^ 
getrennt  sind  und  die  Entfernung  die  Gegenstände  mit  einem 
verklärenden  Schimmer  umgibt.  Sobald  sie  wieder  beisammen 
sind,  beginnt  der  alte  Kampf  aufs  neue.^^) 

Musset  hat  einmal  an  George  Sand,  die  er  ,,7W«  saiiite  fiancec' 
nennt,  geschrieben,  aus  ihrem  Liebesbundc  würden  reine  Lilien 
hervorsprießen.  Lilien  sind  nicht  daraus  erblüht,  wohl  aber 
Rosen,  leider  auch  recht  viele   Klatsch  rosen. 

Am  meisten  literarischen  Staub  hat  bekanntlich  der  Dritte 
im  Bunde,  Pietro  Pagello,  aufgewirbelt.  Karenine  nennt 
diesen  Dreibund  etrange,  idealement  sublime.  Aber  bekannt- 
lich ist  vom  Erhabenen  zum  Lächerlichen  nur  ein  Schritt.  Wenn 
Musset  die  Hände  der  beiden  in  einanderlegt,  mit  den  Worten: 
Voiis  voiis  aimez  et  vous  maimez  pourtant,  wenn  er  über  die  Liebe 
Pagellos  zu  George  Sand  Tränen  vergießt,  wenn  G.  Sand  sagt, 
sie  habe  Pagello  geliebt  wie  einen  Vater  (er  war  3  Jahre  Jünger 
als  sie!)  und  Musset  sei  ihrer  beider  Kind  gewesen,  so  ist  es  für 
uns  Angehörige  einer  nüchterneren  Zeit  schwer,  ernst  zu  bleiben. 
Doumic  versteht  es  sehr  gut,  das  Lächerliche  dieser  Überspannt- 
heiten hervorzuheben. 

G.  Sand  schreibt  von  Pagellos  reiner,  zärtlicher  Liebe,  er 
bekränze  sie  mit  Sternen  wie  eine  jungfräuliche  Seele  und  sie 
lasse  ihn  auf  diesem  Glauben.  Je  me  laisse  regenerer  par  cette 
ajfection  doiice  et  tendre.  Poiir  la  premiere  fois  j'aime  sans  passion. 
Sie  nennt  ihn  einmal  im  ange  de  vertu.  Ein  späterer  Brief  läßt 
aber  durchblicken,  daß  er  ihr  doch  melu'  war  als  ein  Vater  (Corr. 
S.  163). 


^'^)  Über  die  Darstellung  des  Verhältnisses  in  G.  Sands  Roman 
„Elle  et  lui''  vgl.  die  fleißige  Untersuchung  in  K.  Wolter,  Aljred 
de  Musset  im  Urteil  George  Sands.  Berlin,  Weidmann,  1907.  Zu  den 
Übereinstimmungen  des  Romans  mit  der  Korrespondenz  möge  noch 
beigefügt  werden  die  Stelle  in  Elle  et  ^z/?'  (Brief  Laurents  an  Mite  Jacques) 
S.  10:  ,,7e  vous  jure  de  ne  pos  boire  de  Champagne  sans  me  le  reprocher 
amerement."  Vgl.  Brief  Mussets  an  Pagello  (Corr.  S.  123):  Je  vous 
promets  que  jamais  je  ne  boirai  plus  de  cette  maudite  boisson  sans  me 
faire  les  plus  grands  reproches. 


70  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haape. 

Die  obwHltenden  Umstände  dienen  einigermaßen  zur  Er- 
klärung dieses  seltsamen  Treibens.  G.  Sand  erkrankte  alsbald 
nach  ihrer  Ankunft  in  Venedig  und  litt  später  noch  wiederholt 
an  neuralgischen  Kopfschmerzen,  welche  ärztliche  Behandlung 
nötig  machten.  Während  sie  selbst  noch  leidend  war,  kam  bei 
A.  de  Musset  jene  furchtbare  Krankheit  zum  Ausbruch,  die  mit 
Tobsuchtsanfällen  verbunden  war  und  sein  Leben  gefährdete. 
(Es  war  angeblich  Delirium  tremens,  euphemistisch  typhöses 
Fieber  genannt. )^^)  Trotz  ihrer  körperlichen  Schwäche  pflegte 
George  Sand  den  Kranken  in  aufopfernder  Weise.  Es  wird  von 
allen  Biographen,  auch  von  Paul  Musset,  anerkannt,  daß  nur 
ihre  hingebende  Pflege  und  die  sorgsame  Behandlung  durch  den 
Arzt  Pagello  ihm  das  Leben  retteten. ^^)  Dazu  kamen  die  seeli- 
schen Erschütterungen  durch  den  Riß  in  ihrem  Verhältnis  zu 
Musset. 

Bei  Doumic  erscheint  übrigens  Dr.  Pagello  in  zu  ungünstigem 
Licht,  wenn  er  sagt:  Elle  l'aimait.,  parce  qii'il  etait  stupide.  G.  Sand 
hatte  auf  den  Brief,  in  dem  sie  ihm  mit  poetisch  begeisterten 
Worten  sagte,  daß  sie  ihn  liebe,  geschrieben:  ,,Au  stupide  Pagello", 
weil  dieser  gefragt  hatte,  wem  der  Brief  zuzustellen  sei.  Tn 
Wirklichkeit  war  Pagello  kein  unbedeutender  Mensch.  Er  war 
ein  tüchtiger  Arzt,  nicht  ungebildet,  auch  dichterisch  veranlagt; 
er  verfaßte  z.  B.  jene  Gondellieder  in  venetianisclier  Mundart, 
die  in  No.  2  der  Lettres  d'un  voyageur  veröffentlicht  sind.  Auch 
gab  er  ihr  mannigfache  Auskunft  über  venetianische  Volkssitten 
und  Verhältnisse  und  war  ihr  bei  der  Abfassung  der  ersten  Lettres 
d'un  voyageur  behilflich.  Auch  hier  spielte  also  etwas  Curiosite 
litteraire  mit!  Die  Angabe  Doumics,  daß  man  ihn  von  Paris, 
wollin  er  George  Sand  begleitet  hatte,  Hals  über  Kopf  fortge- 
schickt habe  —  il  fut  pousse  dehors  — ,  weil  er  lästig  wurde,  ist 
nicht  wörtlich  zu  nehmen.  Er  blieb  noch  einige  Zeit  in  Paris 
und  beschäftigte  sich  dort  mit  chirurgischen  Studien;  er  wurde 
nachmals  einer  der  ersten  Chirurgen  Italiens  und  war  viele 
Jahre  Oberarzt   am  Spital   zu  Belluno,   wo  er  hochbetagt  starb. 

Ich  habe  keine  Veranlassung,  auf  den  immer  noch  fort- 
glimmenden Streit  zwischen  Sandisten  und  Mussetisten  näher 
einzugehen.  Gewiß  ist  die  Geschichte  mit  Pagello  kein  Ruhmes- 
blatt für  G.  Sand;  in  ihren  histoire  de  ma  vie  schweigt  sie  sich 
wohlweislich  darüber  aus.  Anderseits  ist  nicht  zu  verkennen, 
(laß  manche  der  gegen  sie  erhobenen  Beschuldigungen  grundlos 
sind.  So  erzählt  z.  B.  Bire  in  seiner  neuen  Musset- Ausgabe  mit 
Entrüstung,    sie    habe    anfangs   März    1834    wieder    die    Tlieater 

^*)   Karenine  II,   S.   67. 

")  Musset  selbst  sclu-eibt:  Je  le  verrai  tongtemps,  man  George, 
ce  visage  päll  par  les  veitles,  qui  ä'est  penclic  dix-huit  nuits  .^ur  man 
chcvet!  Je  te  verrai  tongtemps  dan.-:  cctie  chaiulve  junestc  aü  taut  de 
lannes  ont  coule  ( Corr.  S.  25). 


Neuerp  Arbeiten  über  George  Sand.  71 

besuclit,  ol)o|(>ioli  Miissets  Krankheit  in  jener  Zeit  ilu'en  Höhe- 
punkt erreicht  liabe.  Musset  war  aber  damals  längst  außer 
Gefahr;  schon  unterm  13.  Februar  konnte  George  Sand  an  Buloz 
schreiben:  Alfred  est  sauve.-*^) 

Auch    Doumics    Behauptung    (S.    IGi),    der    Aufenlhalt    in 
Venedig  habe  eine  völlige  Umwandhmg  A.  de  Mussets  zur  Folge 
gehabt,  bedarf  der  Berichtigung.     Doumic  sagt:  Qiiand  iL  Hau 
parii  pour  Venise^  il  elait  le  plus  eharmanl  des  poetes  et  le  plus 
jeune,  fantaisiste  et  espiegle.     Quand  il  rei)int,  il  etait  le  poete  le 
plus  douloureux.     Aber   Musset   war   schon   als   junger   Mensch 
pessimistischen    Stimmungen   unterworfen   und    hatte    frühzeitig 
Zerstreuung  in   berauschenden    Getränken   gesucht.      Schon   im 
Jahre  1831  hatte  er  in  den  voeux  steriles  gesagt: 
//  n'existe  qu'un  etre 
Sur  qui  nion  jugement  puisse  au  inoins  faire  foi, 
Un  seul!  .  .  .  je  le  mcprise.     Et  cet  etre  c'est  moi. 

Auch  Rolla,  La  coupe  et  les  levres  und  so  manches  andere 
der  früheren  Gedichte  verraten  düstere  Schwermut,  die  ja  bei 
Musset  mit  übermütiger  tieiterkeit  abwechselte.  Juste  Olivier, 
der  ihn  im  Jahre  1830  sah,  erhielt  von  ihm  den  Eindruck  d'nne 
belle  jleur  cueillie  et  fanee  avant  le  soir.  Seine  erste  größere  Arbeit, 
die  Übersetzung  der  Confession  of  an  English  opium  eater,  ist 
bezeichnend  für  seine  Sinnesrichtung. 

Auch  später  haben  ja  wieder  heitere  und  traurige  Stimmungen 
J)ei  ihm  gewechselt.  Ende  1834  schrieb  er  das  sonnige  Gedicht 
,,Une  bonne  fortune'%  1835  ,,Lrt  quenouille  de  Barberine",  ,,Le 
chandelier"  u.  a.  Allerdings  wäre  es  wohl  ein  Irrtum  zu  glauben, 
daß  die  Seelenstimmung  eines  Dichters  sich  immer  im  Gedichte 
spiegle.  Der  Dichter  vermag  es  wohl,  sich  durch  seine  Kunst 
vorübergehend  aus  einer  trüben  Stimmung  tierauszureißen. 
Musset  hat  aber  auch  durch  sein  Leben  bewiesen,  daß  die  Lebens- 
und Liebeslust  nicht  in  ihm  zerstört  war. 

Über  George  Sand  hat  er  sich  lustig  gemacht  in  der  heiteren 
Plauderei  ,,Le  capriee'\  wo  er  von  einem  Artikel  von  Mme  Sand 
über  die  Orang-Utangs  spricht,  in  dem   Scherzgedicht  Le  songe 
du  Reviewer  (aus  dem  Jahre  1836  oder  1837): 
George  Sand  est  abbesse 
Dans  un  pays  lointain; 
und  im  „Merk  blan&\^^) 

Doumic  nennt  die  Reise  nach  Venedig  le  eoup  de  folie  roman- 
tique.  Er  erklärt  sie  aus  dem  Wesen  des  Romantismus.  Nach 
seiner  Definition  besteht  dieser  in  einer  Verquickung  des  Lebens 

20)  Der  Brief  ist  abgedruckt  bei  Doiuiiic  S.  141. 

21)  Die  auf  G.  Sand  l^ezügUche  Stelle  in  der  histoire  d'un  tnerle 
hlanc  ist  nicht  ganz  so  harmlos  wie  Bire  meint:  Aucun  effort  ne  coütait 
ä  son  esprit,  aucun  (nur  de  force  a  sn  pudeur.  Cetait  le  type  de  la  meriette 
lettree  etc. 


72  Referate  und  Rezensionen.     TT.  Haape. 

und  der  Literatur.  Der  Romantiker  stellt  einerseits  seine  Freuden 
und  Leiden  öffentlich  zur  Schau  —  er  wandelt  sie  in  Bücher  um  — ^ 
so  schreibt  Gge.  Sand  nach  ihrer  Trennung  von  Musset  einen 
wehmütigen  Brief  an  den  verlorenen  Geliebten  und  —  an  die 
Abonnenten  der  Revue  des  deux  niondes  (in  den  lettres  d'un 
voyageur).  Anderseits  durchwirkt  der  Romantiker  sein  Leben 
mit  den  Ideen  der  Literatur  und  gestaltet  seine  Handlungen  nach 
der  neuesten  literarischen  Mode.  Emile  Faguet  billigt  diese 
Theorie  mit  einer  scheinheiligen  \'erbeugung  vor  Doumic,  zeigt 
aber  deutlich,  daß  er  sie  im  Ernste  nicht  billigt.  In  der  Tat 
kann  man  sie  als  eine  erschöpfende  Bestimmung  des  Begriffs 
der  Romantik  gewiß  nicht  gelten  lassen:  sie  trifft  das  Wesen 
der  Sache  nicht,  sondern  einen  begleitenden  Umstand,  der  ni:ht 
unbedingt  da  sein  m  u  ß.  Turgeniew,  der  feine  Beobachter,  hat 
von  den  ihm  befreundeten  französischen  Schriftstellern  Zola, 
Flaubert,  Maupassant  etc.  gesagt:  Ils  sentent  (oder  ih  puent) 
la  litteralare.     Das  waren  meist  keine  Romantiker! 

Richtig  aber  ist,  daß  nach  den  Anschauungen  der  Romantiker 
die  Liebe  eine  ganz  ausnahmsweise  Stellung  einnimmt.  Sie  ist 
göttlichen  Ursprungs  und  steht  über  allen  menschlichen  Ein- 
richtungen. Es  ist  bemerkenswert,  daß  diese  Idee  auch  in  unserer 
deutschen  Romantik  wunderbare  Blüten  getrieben  hat.  Die 
Gattin  von  A.  \Y.  v.  Schlegel,  Karoline,  die  man  als  die  Muse 
der  deutschen  Romantik  gepriesen  hat,  hat  eine  ähnliche  Stufen- 
leiter der  Empfindungen  durchgemaclit  wie  George  Sand.  Nach- 
dem ihre  erste  Ehe  durch  den  Tod.  die  zweite  (mit  A.  W.  v.  Schlegel) 
durch  frei\\illige  Scheidung  gelöst,  ein  schwärmerisches  Liebes- 
verhältnis in  die  Brüche  gegangen,  ein  kurzer  Sinnenrausch  ver- 
flogen war,  fand  sie  das  ersehnte  Glück  an  der  Seite  ihres  dritten 
Gatten  (Schelhng). 

T. 
Die  durchlebten  Stürme  hatten  G.  Sand  in  ihrem  tiefsten 
Innern  erregt,  wenn  sie  auch  ihre  Ai'beitskraft  und  Arbeitslust 
nicht  lähmen  konnten.  Sie  überhäufte  sich  selbst  mit  den  heftig- 
sten Vorwürfen  und  fluchte  den  Menschen  und  den  Büchern, 
die  ., durch  ihre  Sophismen  sie  der  Leidenschaft  und  dem  Genuß 
in  die  ,\i'me  getrieben  hätten"  (Brief  an  Ste  Beuve  vom  4.  April 
1835).  In  der  6.  lettre  d'un  voyageur  (vom  18.  April  1835)  sagt 
sie:  J'ai  mal  vecu,  j'ai  mal  use  des  hiens  qui  me  sont  echus;  j'ai 
jieglige  les  oeuvres  de  charite,  j'ai  passe  mes  jours  dans  la  mollesse, 
dans  l'ennui,  dans  les  larmes  vaines,  dans  les  folles  amours.  Dieser 
Brief  ist  an  E  verard  gerichtet.  So  nannte  George  Sand  den 
Advokaten  Michel  von  B  o  u  r  g  e  s  ,  zu  dem  sie  längere  Zeit 
in  Beziehung  stand. 

In  der  histoire  de  ma  vie  entwirft  sie  von  ihm  folgende  ver- 
lockende Schilderung:  Er  war,  als  sie  ihn  kennen  lernte,  38  Jahre 
alt,  sah  aber  aus  wie  ein  Sechziger.     Er  trug  zu  Hause  und  in 


Neuere  ArJx'iien   über  Ceorge  Sand.  73 

der  Stadt  einen  dicken  groben  ÜJ)errock  und  plumpe  flolzschuhe. 
Er  war  klein,  häßlicli,  hager,  kurzsichtig,  kahlköpfig;  es  fror  ihn 
immer  und  er  trug  deshalb  drei  Halstücher  übereinander  ge- 
knüpft. Er  war  leidend;  Brust,  Magen  und  Leber  waren  ange- 
griffen. Die  armselige  Gestalt  war  gekrönt  von  einem  mächtigen 
Schädel  (ü  semblait  avoir  cleux  cränes  solides  l'iin  ä  Vautre).  Unter 
der  Brille  blickte  ein  Paar  gutmiitiger  Augen  hervor.  Faguet, 
in  dem  oben  angefülu'ten  Aufsatz,  ergänzt  diese  Beschreibung 
durch  eine  Aufzeichnung  seines  Vaters,  der  Michel  persönlicli 
kannte  und  ihn  als  laid  et  eommuii  schildert,  zugleich  aber  seinen 
Geist,  seine  vielseitige  Bildung  und  seine  hinreißende  Beredsam- 
keit rühmt.  Als  Sohn  eines  alten  Republikaners  schwärmte 
Michel  für  die  Ideale  der  Republik,  für  die  Befreiung  der  Unter- 
drückten und  für  die  Verbesserung  der  Lage  der  Unbemittelten. 
Im  Grunde  hatte  er  gemäßigte  Anschauungen,  aber  im  Feuer 
der  Rede  verstieg  er  sich  manchmal  dazu,  den  Umsturz  alles 
Bestehenden  zu  predigen. 

Zu  George  Sand  trat  er  noch  dadurch  in  nähere  Beziehungen, 
daß  er  sie  in  ihrem  Scheidungsprozeß  vertrat. 

Auf  den  empfänghchen,  wißbegierigen,  nacli  Neuem  und 
Originellem  verlangenden  Geist  G.  Sands  machte  diese  eigen- 
artige Persönlichkeit  einen  starken  Eindruck.  Der  Mann  war  so 
ganz  anders,  wie  die,  welche  sie  bisher  kennen  gelernt  hatte. 
Sie  bewundert  seinen  Republikanismus,  seine  Menschenliebe,  die 
Fülle  seiner  Gedanken,  seine  zündende  Beredsamkeit.  Ander- 
seits reizt  er  sie  zum^  Widerspruch,  wenn  er  der  ganzen  modernen 
Kultur,  insbesondere  der  Kunst,  den  Krieg  erklärt.  Er  erscheint 
ihr  wie  eine  antike  Größe,  wie  eine  Verkörperung  altrömischer 
Tugend,  und  doch  findet  sie  so  manches  an  ihm,  w^as  ihr  seltsam 
und  lächerlieh  erscheint.  Er  ist  ihr  eine  Art  Wundertier,  sie 
neckt  sich  mit  ihm  wie  ein  mutwilliges  Kind  —  sie  sagt  ja  selbst, 
daß  sie  nie  aufgehört  habe,  ein  Kind  zu  sein  — ,  so  in  dem  an- 
geführten Brief  an  Everard,  der  eine  Mischung  von  Scherz  und 
tiefsinnigem  Ernst  enthält.  Ich  kann  es  wenigstens  nur  scherz- 
haft auffassen,  wenn  sie  ihn  König  und  Majestät  tituliert,  wenn 
sie  zu  ihm  sagt:  iSzVe,  le  foiilard  doiit  voiis  coiis  coiffez  en  giiise 
de  toiipet  est  la  coiironne  des  Aqiiitaines,  Fleiiry,  le  Gaulois,  est 
votre  capitaine  des  gardes,  Planet  votre  fou.  (Doumic  sagt  von  der 
Erwähnung  der  Krone:  Teiles  sont  les  illiisions  de  Vamoiir!) 
Sie  nennt  ihn :  Citoyen  austere,  Marius,  Herciile.,  Sicamhre^  Vandale, 
dann  wieder  Frere^  Confesseur  de  Dieu  et  de  la  verite.^  aber  auch 
Ennenii  des  dieiix;  „Charlatan  que  tu  es."  Sie  sagt,  er  habe  ihr 
versprochen,  sie  guillotinieren  zu  lassen,  sobald  die  Republik 
proklamiert  sei.  Michel  schreibt  ihr  einmal:  A  present  tu  ie 
reprends  toi-meme  dans  wie  vie  d'aiisterite  que  j'approiwe.  .  .  . 
En  verite  je  ne  connais  de  toi  que  le  son  de  ta  voix  qui  est  sourd 
et  qui  ne  nie  rap pelle  pas  la  flute  melodieuse  d'iine  femme. 


74  Referate  und  Rezensionen.      TT.   Ilaape. 

George  Sand  selbst  sagt  von  ihren  Bezieliungen  zu  Michel: 
La  pnrete  de  nolre  ajjection  me  les  rendail  plus  precieuses  encore. 
II  m'etait  assez  indifferent  quo  Von  put  se  ineprendre  sur  la  nature 
de  nos  relations.  Nos  amis  la  connaissaient  et  leur  presence  con- 
tinuelle  la  sanclifiait  encore  plus. 

Wenn  wir  der  allgemeinen  Meinung  i'olgen.  wonacli  ein 
Verhältnis  erotischer  Art  bestand,  mfissen  wir  lüernach  wohl 
oder  übel  annehmen,  daß  G.  Sand  bewußt  die  Unwahrheit  gesagt 
hat.  Es  sprechen  aber  gegen  jene  Annahme  manche  psycho- 
logische Momente.  Einmal  die  Ausführlichkeit  und  Unbefangen- 
heit, mit  der  sie  in  ihrer  Lebensgeschichte  von  Michel  de  Bourges 
und  ihren  Beziehungen  zu  ihm  spricht  und  dabei  auch  die  lächer- 
lichen Seiten  S6;iner  Persönlichkeit  erwähnt.  Über  Sandeau  und 
Musset  ist  sie  schnell  hinweggegangen,  Pagello  erwähnt  sie  gar 
nicht!  Ferner  die  ganze  zwanglose,  kameradschaftliche  Art  ihres 
Verkehrs.  Denen,  die  sie  leidenschaftlich  liebte,  hat  sie  keine 
Scherznamen  gegeben,  wie  ihren  Ereunden  Michel,  Neraufl  (,,/e 
Malgache"),  Floury  (,,/e  Gaulois")  u.  a. 

Man  beruft  sich  auf  die  ,,lettres  de  femme" ,  Briefe,  die  George 
Sand  an  Michel  geschrieben  haben  soll.  Doumic  (wie  auch 
Faguet  und  Seche)  gibt  Auszüge  aus  diesen  Briefen  und  sagt 
von  diesen,  sie  seien  die  glühendsten  Liebesbriefe,  die  George 
Sand  geschrieben,  und  hätten  ,,/e  ne  sais  quelle  magnifique  impu- 
deur".  Über  diesen  lettres  de  femme  schwebt  oin  gewisses  mysti- 
sches Halbdunkel.  Sie  wurden  in  den  Jahren  1890 — 91  in  der 
Revue  illustree  von  einem  Ungenannten  veröffentlicht,  waren 
angeblich  in  der  Bretagne  gefunden,  vom  Jahre  1832  datiert 
und  von  einer  unbekannten  Dame  an  einen  ,, Marcel'  gerichtet. 
Über  ihre  Herkunft  und  Bedeutung  entspann  sich  ein  Streit. 
Manche  wollten  in  ihnen  eine  gelungene  Parodie  des  romantischen 
Briefstils  der  30cr  Jahre  erblicken,  andere,  worunter  Karenine. 
sind  zur  Ansicht  gelangt,  daß  es  die  Briefe  Gge.  Sands  an  Michel 
de  Bourges  vom  Jahre  1837  sind. 

Es  fragt  sich  nun:  sind  diese  mysteriösen  Briefe  der  be- 
stimmten Erklärung  George  Sands  gegenüber  ein  vollwertiges 
Beweismittel  ?  So  weit  man  nach  den  Mitteilungen  darüber 
und  den  vorliegenden  Auszügen  urteilen  kann  —  die  Briefe  selbst 
waren  mir  nicht  zugänglich  — ,  möchte  ich  die  Frage  nicht  be- 
jahen. Woher  kommen  diese  Briefe,  die  zuerst  vom  Jahre  1832 
und  dann  vom  Jahre  1837  sein  sollen?  Wenn  sie  wirklich  von 
G.  Sand  geschrieben  sind,  ist  es  erwiesen,  daß  sie  wirklich  an 
Michel  de  Bourges  geschickt  wurden  ?  Könnten  es  nicht 
luftige  Gebilde  der  stets  geschäftigen  Phantasie  Gge.  Sands  sein, 
die  sie  in  langen  Arbeitsnächten  schuf,  ähnlich  wie  die  von 
Karenine  erwähnten  Unterhaltungen  mit  dem  Doktor  Piffoel: 
Briefe  an  einen  idealisierten  Everard  ?  Gerade  die  Überschweng- 
lichkoit  der  Briefe  marlit  mir  sie  verdächtig.     Es  ist  schwer  zu 


Neuere  Arbeiten   über  George  Sand.  75 

glauben,  daß  sie  sieh  liir  einen  Mann,  den  sie  selbst  als  Karikatur 
schildert,  der  in  seinem  Äußeren  sogar  etwas  unsauber  war, 
sinnlich  berauscht  habe.  Wenn  sie  sagt,  sie  wolle  dem  Geliebten 
entgegengehen,  wie  die  Braut  im  Hohenlied  Salomos,  sie  werde 
in  seinen  eisernen  Armen  (der  Mann  war  ein  Schwächling!)  auf- 
hüpfen vor  Freude,  wenn  sie  ihn  mit  Jupiter  vergleicht,  dessen 
Schönheit  sich  dem  gewöhnlichen  Menschen  nicht  offenbare, 
kann  man  da  im  Ernste  an  Michel  mit  den  drei  Halstüchern 
denken  ?  Der  Ton  der  Hriefe  erinnei't  ein  wenig  an  jene  scherz- 
liaften  Briefe,  die  sie  an  Fleury  und  andere  Bekannte  schrieb. 
(,,Homme  aux  pattes  immenses,  a  la  barbe  effrayante,  homme 
des  Premiers  siecles,  des  siecles  de  fer"  u.  dgl.) 

Die  objektive  Wahrheit  über  derartige  intime  \'erhältnisse 
zu  ermitteln,  ist  natürlich  schwierig.  Goethes  Verhältnis  zu 
Frau  von  Stein,  über  das  so  viel  geschrieben  wurde,  wird  ja 
auch  in  neueren  \'eröffentlichungen  anders  beurteilt  als  früher. 

VI. 

l)oumic  nennt  George  Sands  Beziehungen  zu  C  li  o  p  i  n 
Uli  eas  de  maternite  amoureiise.  Als  G.  Sand  den  genialen  Künstler 
kennen  lernte  — im  Jahre  1837  — ,  war  Chopin  27  Jahre,  G.  Sand 
33  Jahre  alt.  Er  war  zart  und  kränklich  und  der  Pflege  be- 
dürftig. George  Sand,  die  ihn  als  Künstler  vergötterte,  fühlte 
fiH'  ihn,  wie  sie  sagt,  iine  tendre  amitie.  .Sie  hatte  immer  das 
Bedürfnis,  für  andere  zu  leben,  anderen  zu  dienen  und  ihnen 
wohlzutun.  In  der  Krankenpflege,  die  sie  schon  unter  ihrem 
Lehrer  Deschartres  gelernt  und  geübt  hatte,  leistete  sie  Hervor- 
ragendes. Garde-malade,  teile  jui  ma  mission  pendant  une  notable 
portion  de  ma  vie. 

Als  der  kranke  Mann  sich  ihrem  Schutze  anvertraute,  über- 
kam sie  une  sorte  d'effroi  en  presenee  d'un  devoir  nouveau  ä 
contraeter.  „Je  n'etais  pas  ülusionnee  par  une  passion."  Aber 
sie  begrüßt  die  Schwere  ihrer  Aufgabe  als  ,,une  c/iance  de  plua 
pour  l'austerite  vers  laquelle  je  me  sentais  attiree  avec  une  sorte 
d' enthousiasme  religieux.''  „Chopin  m'accordait,  et  je  peux  dire, 
m'honorait  d'un  genre  d'amitie  qui  jaisait  exception  dans  sa  vie. 
II  ne  me  jaisait  jamais  redescendre  dans  son  estime." 

Doumic  veröffentlicht  ein  Bruchstück  aus  einem  Brief,  den 
G.  Sand  im  Mai  1847  an  Grzymala,  einen  vertrauten  Freund 
und  Landsmann  Chopins,  schrieb.  Sie  sagt  darin:  ,,//  y  a  sept 
ans  que  je  vis  comme  une  vierge  avec  lui  (die  Zeitangaben  sind 
bei  George  Sand  häufig  nicht  ganz  genau).  Je  suis  que  hien 
des  gens  niaccusent  les  uns  de  l'avoir  tue  par  la  violence  de  mes 
sens,  les  autres  de  l'avoir  desespere  par  mes  incartades  ete. 

Doumic,  der  an  ein  intimes  Verhältnis  glaubt,  weist  auf 
Gge.  Sands  Roman  Lucrezia  Floriani  hin,  der  allerdings  in  mancher 


76  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haape. 

Beziehung  an  George  Sand  und  Chopin  erinnert.  G.  Sand  stellt 
indessen  jede  Analogie,  wenigstens  in  wesentlichen  Dingen,  in 
Abrede.  L'histoire  du  prince  Karol  etait  si  peu  la  nöire!  Elle 
en  etait  tont  Vinverse.  II  ny  avait  entre  nous  ni  les  memes  enivre- 
ments  ni  les  memes  soujfrances.  Notre  histoire  n'avait  rien  d'un 
rom,an.  Nous  ne  nous  sommes  donc  jamais  adresse  un  reproche 
mutuel,  sinon  une  seule  fois  qui  fut,  helas,  la  premiere  et  la  deniiere. 
Une  affection  si  elevee  devait  se  briser  et  non  s'user  dans  des  com- 
hats  indignes  d'elle. 

Dieser  entschiedenen  Erklärung  gegenüber  wird  man  dem 
Roman  Lucrezia  Floriani  nicht  allzuviel  Gewicht  beilegen  dürfen. 
Auch  hier  stehen  wir  vor  der  Frage:  Ist  anzunehmen,  daß  G.  Sand 
die  Unwahrheit  gesagt  hat  ?  Ich  trage  Bedenken,  die  Frage  zu 
bejahen.  Auch  hier  spricht  zugunsten  ihrer  Aussage  der  psycho- 
logische Grund,  daß  sie  sich  über  ihren  Verkehr  mit  Chopin  so 
eingehend  öffentlich  geäußert,  außerdem  spricht  dafür  die  lange 
Dauer  ihrer  Beziehungen.  Derartige  Verbindungen  währen  meist 
nicht  so  lange,  wenn  den  sinnlichen  Wünschen  stattgegeben  wird. 

Es  mögen  ja  auch  hier  noch  andere,  mir  nicht  bekannte 
Beweise  vorhanden  sein,  die  zu  einem  anderen  Schlüsse  be- 
rechtigen.    Auf  unverbürgte  Anekdoten  ist  kein  Wert  zu  legen. 

VII. 

Doumic  führt  uns  das  Leben  Gge.  Sands  in  klaren  Umrissen 
vor:  ihre  verträumte  Jugend,  ihre  Lehrjahre,  sodann  ihr  Heraus- 
treten aus  der  Einsamkeit,  ihre  Teilnahme  an  den  humanitären 
und  politischen  Bewegungen  der  Zeit,  ihren  Verkehr  mit  mar- 
kanten Persönlichkeiten  von  Ste.  Beuve,  Balzac,  Liszt,  der 
Schauspielei'in  Dorval  bis  zu  Lamennais,  Peter  Leroux,  Barbes. 
Dabei  kommt  Doumics  humoristisch-satirische  Ader  nicht  selten 
zum  Durchbruch.  Satirisch  beleuchtet  ^^^rd  die  Stellung  der 
Dichterin  zu  den  Saint- Simonisten,  deren  mystische  Ideen  einigen 
Einfluß  auf  sie  hatten.  Der  Saint- Simonismus  war  äimlicli  wie 
eine  Kirche  gegliedert.  Das  Haupt  war  der  Vater  Enfantin,  dem 
Bazard  zur  Seite  stand.  Nun  suchten  sie  auch  eine  ^lutter. 
Zu  dieser  hohen  Stellung  wurde  die  gefeierte  Dichterin  erkoren. 
George  Sand  war  vernünftig  genug,  die  Ehre  abzulehnen,  doch 
blieb  sie  in  Beziehung  zur  Saint-Simonistischen  Gesellschaft  und 
wohnte  einer  ihrer  Versammlungen  bei.  Zum  Dank  erhielt  sie 
auf  Neujahr  1836  eine  wunderbare  Sammlung  von  Etrennes, 
deren  Auswahl  dem  Geschmack  der  Saint-Simonisten  nicht 
gerade  viel  Ehre  macht.  (Es  waren  59  Gegenstände,  darunter 
eine  Kleiderschachtel,  ein  Paar  Stiefel,  ein  Paar  Herrcnbeinkleider, 
ein  Thermometer,  mehrere  W^esten,  ein  Korsett  usw.) 

An  der  Revolution  von  .1848,  die  sie  mit  Jubel  begrüßte, 
nahm  sie  leidiaften  Anteil.  Sie  veröffentlicht  zwei  ..Briefe  an 
das  Volk",  redigiert  eine  Zeitung  „La  cause  du  pcuple",  schreibt 


Neuere  Arbeiten,  über  Geor<^e  Sand.  77 

ein  Theaterstück  ,,Le  roi  atlend'".  Sie  verfaßt  im  Dienst  der 
provisorischen  Regierung  —  des  Ministeriums  des  Innern  — 
melirere  der  Bulletins  de  la  Republique  (herausgegeben  im  Auf- 
trag von  Lodru-Rollin).  Aber  auf  den  Enthusiasmus  folgt  sehr 
bald  eine  herbe  Enttäuschung.  Die  blutigen  Stra Benkämpfe, 
die  Verwilderung  der  Massen  erfüllen  sie  mit  Trauer  und  Ent- 
setzen. Entmutigt  zieht  sie  sich  vom  politischen  Schauplatz 
zurück  in  die  friedliche  Welt  der  Poesie  und  der  Träume. 

Das  Stilleben  zu  Nohant  erlitt  eine  schmerzliche  Störung 
durch  die  Ereignisse  von  1870  (Doumic  und  Seche  erwähnen 
diese  Episode  nicht).  Der  Ausbruch  des  Kriegs,  die  Siege  der 
deutschen  Heere,  ihre  Folgen  für  Frankreich  —  all  dies  mußte 
die  lebhaft  fühlende  Frau  tief  erregen.  Daß  sie  ihren  Empfin- 
dungen und  Gedanken  schriftlichen  Ausdruck  gab,  ist  selbst- 
verständlich. Sie  schrieb  das  Journal  d'un  voyageur  pendant 
la  guerre,  welches  in  der  Revue  des  deux  niondes  vom  1.  und 
15.  März  und  1.  April  1871  erschien  und  ebensoviel  Aufsehen  als 
Ärgernis  erregte.  Sie  wendet  sich  in  diesen  merkwürdigen  Schrift- 
stücken weniger  gegen  den  äußeren  Feind  als  gegen  die  Macht- 
haber in  Frankreich,  die  nach  der  Vernichtung  der  französischen 
Feldheere  den  Krieg  bis  zum  äußersten  verkünden,  aber  durch 
verkehrte  Maßnahmen  und  Mangel  an  Ordnung  den  Erfolg  von 
vornherein  in  Frage  stellen  und  es  zudem  unterlassen,  allgemeine 
Wahlen  auszuschreiben  und  die  Nation  über  ihr  Geschick  ent- 
scheiden zu  lassen.  Die  Stimmung  des  Landvolks  ist,  wie  sie 
sagt,  der  Fortsetzung  des  Krieges  abhold.  Über  die  Deutschen 
äußert  sie  sich,  wenn  auch  mit  Groll,  so  docli  maßvoll  und  mit 
anerkennenswertem  Gerechtigkeitsgefühl.  Sie  hofft,  daß  die  herbe 
Erfahrung,  die  Frankreich  macht,  ihrem  Vaterlande  nützlich 
sein  werde,  und  tröstet  sich  mit  dem  Gedanken:  Nous  resterons 
le  peuple  initiateur  qui  recoit  une  lefon  et  ne  la  subit  pas  .  .  . 
Nous  reconnaitrons  qu'il  y  a  chez  ce  peuple  (dem  deutschen  \"olk) 
un  stoicisme  devolonte  qui  nous  manque,  une  persistance  de  caraetere, 
une  patienee,  un  savoir  etendu  ä  tout,  wie  vertu  etrange  jusque 
dans  le  mal  qu'il  croit  devoir  conimettre.  Si  nous  gardons  contre 
lui  un  ressentiment  anier,  notre  raison  lui  rendra  justice  ä  un  point 
de  vue  plus  eleve  ....  C'est  une  nation  differente  de  nous,  mais 
eclairee  comme  nous  pur  la  civilisation  et  notre  egale  devant  Dieu. 

Allerdings  glaubt  sie  dem  Gerede,  daß  die  deutschen  Offiziere 
nicht  nur  Uhren  stehlen,  sondern  auch  Kleider  und  Stiefel  für 
ihre  Frauen  und  Bräute. 

Einige  Zeit  vorher  hatte  Gge.  Sand  eine  weniger  leiden- 
schaftslose Kundgebung  an  die  Deutschen  erlassen  in  Form 
eiens  offenen  Briefes  an  eine  Freundin,  der  in  einer  großen  Zeitung 
erschienen  sein  soll.  Ich  entnehme  dies  der  oben  erwähnten 
Schrift  von  Ferdinand  Haas  {,, Französische  Stoßseufzer  und  deutsche 
Reflexionen,  AntKVOvt  an  George  Sand  ■ — ■  Aurore  Dudevant  — "), 


78  Referate  und  Rezensionen.      IT.  Haape. 

die  auf  jene  Erklärung  Bezug  nimmt.  Darnach  hätte  Gge.  Sand 
ihre  Entrüstung  darüber  ausgedrückt,  da(.>  die  Deutschen  den 
Ki'ieg  nach  Sedan  nocli  fortsetzten,  von  der  ungeheuerUchen 
Gefühlsverirrung  einer  großen,  zivilisierten,  protestantischen, 
philosophischen  Nation  gesprochen  und  gegen  den  Raub  zweier 
französischer  Provinzen  Einsprache  erhoben.  Näheres  konnte 
ich  über  die  bezügliche  Schrift  von  Gge.   Sand  nicht  ermitteln. 

Bemerkenswert  ist  es,  daß  einer  der  Luftballons,  die  in 
Paris  während  der  Belagerung  aufgelassen  wurden,  um  die  Ver- 
bindung mit  der  provisorischen  Regierung  in  Tours  herzustellen, 
den  Namen  George  Sand  trug.  So  ist  ihr  Name  auch  mit  der 
Geschichte  der  Luftschiffalirt  verknüpft. 

Es  ist  um  so  mehr  bedauerlich,  daß  die  Dichterin  am  Abend 
ihres  Lebens  Veranlassung  hatte,  mit  Bitterkeit  an  Deutschland 
zu  denken,  als  sie  von  Jugend  auf  lebhafte  Sympathien  für  das 
deutsche  Volk,  die  deutsche  Literatur  und  Kunst  hatte  und 
diese  Sympathie  auch  in  ihren  Schriften  bekannte.  Da  ihre 
geistigen  Beziehungen  zu  Deutschland  weder  von  Doumic,  noch 
von  einem  anderen  der  mir  bekannten  Biographen  näher  beachtet 
worden  sind,  darf  ich  sie  vielleicht  im  nachstehenden  kurz  berühren. 

VIII. 

George  Sand  verstand  ebenso  wenig  Deutscli  als  Alfred 
de  Musset.  Nous  ne  scwous  mcüheiireusement  poiir  noiis  pas  lui 
iraiire  mot  aUemand.,  sagt  sie  im  avertissement  zur  Nuit  de  Noel 
im  Theätre  de  Nohant.  Aber  der  deutsche  philosophierende 
Geist  übte  unverkennbar  eine  starke  Anziehungskraft  auf  sie 
aus.  Bezeichnend  für  ihre  Sinnesart  ist  es,  daß  sie  vor  allem 
Ij  e  i  b  n  i  z  verehrt.  Schon  in  ihrer  Jugend  ist  er  ihr  der  größte 
aller  Philosoplien,  und  in  ihrem  späteren  Leben  nimmt  sie  stets 
gerne  zurTheodicee  ihre  Zuflucht,  wenn  Zweifel  und  innere  Kämpfe 
sie  heimsuchten.  C'etait  ma  derniere  ancre  de  salut  que  Leibniz; 
je  ne  l'ai  jamais  ouvert  sans  trouver  la  regle  saine  de  Vesprü  humain. 
Am  Scliluß  ihrer  histoire  de  ma  vie  nennt  sie  unter  ihren  Führern 
und  Leitsternen  L  e  i  b  n  i  z  ,  L  e  s  s  i  n  g  ,  Herder  und  wieder 
L  e  i  b  n  i  z.^^) 

Mit  L  a  V  a  t  e  r  beschäftigte  si(>  sich  eingehend  und  mit 
großem  Genuß.    (Siehe  7"''"^  Lettre  d'iin  voyayeur  —  ä  F.  Liszt.) 

Bis  zu  dem  tiefsinnigen  Mystiker  und  Schuhmacher  Jakob 
B  ö  h  m  e    reicht    die   erstaunliche    Kenntnis    der  wißbegierigen 

22)  Leibniz  Essais  de  theodicee,  im  Jahre  1710  erschienen,  waren 
in  Frankreich  sehr  angesehen  und  wurden  noch  gegen  Ende  des  letzten 
Jahrhunderts  auf  den  Lyzeen  gelesen.  S.  Süpfle,  Gesch.  des  d.  Kultur- 
einfl.  I,   1.   101. 

Lessing  mag  ihr  bekannt  geworden  sein  durch  die  Abhandlung 
über  die  Erziehung  des  MenschengesclUechts,  übersetzt  in  der  Schrift 
Lettres  sur  la  rellgion  et  la  poUüque  par  E.  Rodrigues,  suivies  de  l'Fdu- 
cation  du  genre  humain,  traduit  de  l'Allemand  de  Lessing  1829,  später 


Neuere  Arbcilcii  iihrr  George  Saud.  79 

IVaii;  in  (\Qi\,Cofnlessc  de  JladolsUidt"  ist  er  das  Orakel  des  sonder- 
h.iicii  Schwärmers  Gottlieb.  Überhaupt  enthält  dieser  Roman 
\i('l(>  Beziehungen  auf  deutsche  Verhältnisse  und  Persönlichkeiten. 
Geschichtliche  Gestalten  wie  Friedrich  der  Große  und  seine 
'raiVliunde,  seine  Schwester  Amelie,  der  Abenteurer  Trenk, 
Ailain  Weishaupl,  der  Stifter  des  Illuminatenordens,  Baron 
Ivnigge  und  andere  Illuminaten  spielen  eine  mehr  oder  weniger 
große  Rolle. 

fn  der  4ten  Lettre  d'nn  baehelier  es  miisique  (ä  Pictet)  schildert 
LiszL  das  Leben  und  Treiben  im  Kreise  von  G.  Sand  in  Nohant 
im  Sommer  1837.  Am  Abend  las  man  die  philosophisch  mystischen 
AV'erke  von  Ballanche,  deutsclie  Philosoplien,  Shakespeare, 
\'i(tLoi'  Hugo  und  Schiller,  ganz  besonders  aber  E.  Th.  A. 
11  off  m  a  n  n. 

Hoffmann  wird  in  ihivn  Schriften  sehr  oft  erwähnt.  Seine 
Ej'zähhmgen  vprsetzen  sie  in  ein  Gebiet  berauschender  Poesie.^^) 
In  dem  Brief  an  Herbert  (Didier)  —  der  10.  Lettre  d'iiii  voya^enr  — 
widmet  sie  Hoffmann  einen  förmlichen  Panegyricus  und  im 
Journal  de  Pijfo'el  eine  ausführliche  geistvolle  Betrachtung,  die 
genau  übereinstimmt  mit  der  Kritik,  welche  G.  Brandes  später 
in  seinem  Buch  über  die  romantische  Schule  in  Frankreich  (Kap.  5 
fremde  Einflüsse)  über  den  deutschen  Erzähler  abgegeben  hat. 
Sie  rühmt  besonders  die  Erzählung:  ^.Meister  Martin  der  Küfer 
und  seine  Gesellen'  und  gibt  damit  einen  Beweis  ihres  guten 
Geschmacks,  weiter  die  Geschichte  vom  Nußknacker  und  Mäuse- 
könig (7/  n'u  a  rien  de  plus  vrai  au  monde  que  cette  folle  et  poetique 
histoire). 

Literargeschichtlich  bemerkenswert  ist  eine  Stelle  über 
Hoffmann  und  dessen  Einfluß  auf  die  junge  Welt  in  der  Novelle 
,,Cora" .  Les  adorables  poesies  d'LIoffmann  rufen  in  dem  Städtchen, 
in  dem  die  Geschichte  spielt,  eine  förmUche  Revolution  hervor, 
die   ergötzlich   geschildert   wird. 

Ohne  Frage  haben  Hoffmanns  phantastisclte  Dichtungen 
auf  George  Sand  eingewirkt.  Im  Vorwort  zum  Secretaire  intime 
deutet  sie  dies  selbst  an.  Die  Traumvision  des  Magnus  in  Lelia 
XXIII  erinnert  an  Hoffmanns  ,, goldenen  Topf."  In  der  ,, Gräfin 
von  Rudolstadt'",  ,,Spiridion"  und  sonst  begegnet  man  Hoff- 
manns Spuren.  Eine  seiner  seltsamsten  Geschichten  ,, Meister 
Floh"  hat  sie  für  ihr  Tlieater  in  Nohant  bearbeitet;  dabei  ver- 
stand   sie    es    geschickt,    den    poetischen    Kern    herauszuschälen 

Tinter  dem  Titel  U Education  de  Vhumanite.  Paris  1841.  Süpfle  II, 
1.  25. 

Herders  Hauptwerk,  Ideen  zur  Philososphie  der  Geschichte  der 
Menschheit,  wurde  von  E.  Guinet  1826 — 1827  herausgegeben  (2  Bände, 
Paris  und  Straßburg).     Süpfle  II,  1,  S.  173. 

Lavaters  physiognomische  Fragmente  erschienen  1781 — 1786 
als  Essais  sur  la  physiognomie  destines  ä  faire  connaitre  Vhomme. 

2^)  Avertissement  zur  Nuit  de  Noel  im   Theätre  de  Nohant. 


80  Referate  und  Rezensionen.      W.  Haape. 

und  den  Zauberspuk  zu  beschneiden  und  iluer  kleinen  Biilim- 
anzupassen. 

Vielleicht  hat  George  Sand  durch  Henri  de  Latouche,  einen 
ihrer  ersten  literarischen  Beratei",  Hoffmann  kennen  gelernt. 
De  Latouche  hat  den  gefeierten  deutschen  Erzähler  zuerst  — 
im  Jahre  1823  —  durch  eine  Bearbeitung  des  ,, Fräulein  von 
Sciidery"  in  Frankreich  eingeführt,  wobei  er  allerdings  den 
Namen   des    Verfassers   verschwieg.-^} 

Altmeister  Goethe,  der  in  Frankreicli  —  namentlicli 
zur  Zeit  der  Romantik  —  so  große  Verehrung  fand,  muüte  auf 
den  empfänglichen  Sinn  der  Dichterin  einen  starken  Eindjuck 
machen.  Sie  sieht  in  ihm  die  Verkörperung  des  denkenden  und 
dichtenden  Deutschlands.  Nach  verschiedenen  Äußerungen  in 
ihren  Werken  liaben  besonders  P'aust  und  Wilhelm  Meistei- 
auf  sie  gewirkt.  In  manchen  ihrer  Reflexionen  und  Betrachtungen 
ist  Goethe'scher  Einfluß  nicht  zu  verkennen.  Lelia  ist  eine  Art 
weiblicher  Faust,  und  von  Les  sept  cordes  de  la  lyre  sagt  Doumic 
nicht, ohne  Grund,  daß  sie  ein  Abklatsch  von  Faust  seien.  In 
.,.,Teverino'  nimmt  Leonce  den  Wilhelm  Meister  mit  auf  die 
^y\'ursC  —  den  Reisewagen,  in  dem  die  Gesellschaft  ihre 
abenteuerliche  Fahrt  antritt  - — ,  und  Sabina  tröstet  sich  avec 
cet  adorable  conte.  Gestalten  aus  Goethes  Roman  schweben 
ihr  vor.  Die  Heldin  der  Novelle  ,, Metella",  Lady  Mowbray, 
ist  begeistert  von  Goethe;  der  junge  Genfer  Olivier,  der  Goethe 
gesehen  hat,  muß  ihr  vom  vieiix  Faust  erzählen;  ihr  Verehrer 
Buondelmonte  soll  eigens  nach  Weimar  reisen,  um  ihr  die  Maße 
von  Goethes  Schädel  zu  bringen.  Goethe  ist  der  Lieblings- 
dichter Andre's  im  gleichnamigen  Roman,  und  Genevieve,  Andres 
Geliebte,  ist  eine  rührende   Gestalt   svie   Gretchen. 

Es  ist  J)ekannt,  daß  Heinrich  II  e  i  n  e  mit  George  Sand 
befreundet  war  und  zeitweise  in  regem  Verkehi'  mit  ihr  stand. 
Sie  nennt  ihn  mou  ami,  auch  cousin  und  führt  mit  ihm  angeregte 
Gespräche    über    Philosophie,    Literatur    und    Kunst. ^^) 

George  Sand  erwähnt  auch  die  rührenden  Drames  ä  senti- 
ment  von  K  o  t  z  c  b  u  e  ,  welche  eine  Zeit  lang  in  Frankreich 
sehr  beliebt  waren  (insbesondere  ,, Menschenhaß  und  Reue"). 
Eine  gewisse  Vorliebe  für  deutsches  Wesen,  la  sensibilite,  la 
honte  naive,  la  confiance  der  Deutschen  tritt  manclimal  hervor. 
In  Andre  rühmt  sie  sogar  die  Poesie  der  deutschen  Kneipe.  Ihren 
Höhepunkt  erreicht  jene  Vorliebe  in  der  Begeisterung  für  deutsche 
Musik,  besonders  Beethoven,  Mozart,  Schubert,  Haydn  (dem 
sie  ja  auch  in  ,,Consue]o"  ein  Denkmal  gesetzt  hat). 

^*)  Breuillac  Hoffinanii  eii  France.  Revue  dlii^toirc  liUeraire, 
13me  annee  No.  3  S.  427. 

25j  Vergl.  Lettres  d'uii  voijageur  VI  (ä  Everard)  S.  162.  Betz, 
Heine  in  Frankreich,  S.  137.  G.  Karpeles,  Heine,  und  Laube  bei  George 
Sand.     Gegenwart  1885.     S.  231. 


Neuere  Ai  heilen  über  George  Sand.  81 

IX. 

Mit  dem  Urteil,  das  Doumic  über  die  einzelnen  Werke  George 
Sands  fällt,  kann  man  in  wesentlichen  Punkten  einverstanden 
sein.  Das  Lob,  das  er  der  ^Jndiana"  in  rein  künstlerischer  Be- 
ziehung zollt,  hätte  ich  noch  etwas  wärmer  gewünscht,  wenigstens 
was  den  ersten  Teil  des  Romans  anlangt.  Ich  finde,  daß  die 
dichterische  Kraft  Gge.  Sands  sich  nirgends  glänzender  zeigt  als 
hier.  In  hinreißender  wahrhaft  dramatischer  Steigerung  schreitet 
die  Handlung  fort  bis  zum  Höhepunkt,  der  Katastrophe  mit 
Noun.  Die  Charaktere  und  Situationen  sind  meisterhaft  ge- 
zeichnet. Von  da  an  fäjlt  der  Roman  bis  zum  Schlüsse  stark 
ab.  Es  ist  ja  überhaupt  ein  Fehler  der  Dichterin,  daß  der  im 
Anfang  prachtvoll  einherflutende  Strom  ihrer  Poesie  häufig  im 
weiteren  Verlaufe  ins  Stocken  kommt  und  sich  bald  in  nebel- 
haften Phantasien,  bald  in  weitschweifigen  Erörterungen  verliert. 
Es  wdrkt  geradezu  komisch,  wenn  Ralph  und  Indiana  mit  der 
größten  Seelenruhe  in  langen  Reden  darüber  beraten,  wo  und 
wie  sie  gemeinsam  in  den  Tod  gehen  wollen  —  ^,C'est  iine  affaire 
de  quelque  itnportarce,"  meint  Ralph  bedächtig  — ,  wenn  sie 
dann  die  weite  Seereise  nach  der  Insel  Bourbon  machen,  wo  eine 
besonders  angenehme  Gelegenheit  zur  Ausführung  ihres  Vor- 
habens geboten  ist,  und  wenn  sie  schließlich,  an  Ort  und  Stelle 
angekommen,  sich  eines  Besseren  besinnen  und  es  vorziehen, 
miteinander  zu  leben  anstatt  zusammen  zu  sterben. ^^) 

George  Sand  hat  es  in  Abrede  gestellt,^^)  daß  ihre  Erstlings- 
romane Indiana,  Valentine,  Jacques  gegen  die  Ehe  gerichtet  seien. 
Indiana,  die  Heldin,  leidet  ja  allerdings  durch  ihre  eigene  Torheit 
und  Verblendung,  Valentinens  ehebrecherisches  Glück  verfällt 
dem  Verhängnis.  Aber  in  beiden  Romanen  ist  doch  die  Ehe 
als  ein  Zwang  dargestellt,  gegen  den  sich  die  ,, unterdrückte", 
,, gedemütigte"  Frau  auflehnt.  George  Sand  ist  eine  der  ersten, 
die  den  Typus  der  ,, unverstandenen  Frau"  —  nicht  selten  gleich- 
bedeutend mit  der  ,, unverständigen  Frau"  —  in  die  Öffentlich- 
keit einführen,  jenen  Typus,  der  seither  in  der  internationalen 
Literatur  sein  Wesen  treibt. 

Noch  entschiedener  feindselig  gegen  die  Ehe  ist  „Jacques". 
Hier  bekämpft  der  Ehegatte  Jacques  selbst  die  Ehe  als  une  des 
plus  barbares  institutions.  Die  Liebe  dagegen  ist  göttüchen  Ur- 
sprungs. Im  Widerstreit  zwischen  beiden  hat  die  Liebe  recht. 
Jacques  zieht  die  Schlußfolgerung  aus  diesen  Ansichten,  indem 
er  in  rücksichtsvollster  Weise  ganz  im  Stillen  aus  der  Welt  geht, 
um  das  Glück  der  Liebenden  nicht  zu  stören.  Doumic  behandelt 
diesen  Mustergatten  mit  köstHcher  Ironie;  er  ist  ihm  der  ,, reine 
Tor"'   (le  pur  niais)  von  Richard  Wagner. 

^^)  So  wenigstens  in  der  zweiten  Bearbeitung. 

2'^)  Besonders  im  Brief  an  Nisard,  12me  lettre  d'un  voyageux. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVIP.  6 


82  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haape. 

In  ,,Lelia"  findet  Doumic  das  „Leitmotiv"  der  Hoffnungs- 
losigkeit, des  Weltschmerzes,  der  Verzweiflung.  Man  könnte  ihr 
allerdings  die  Verse  Fausts  als  Motto  geben: 

Was  kann  das  Leben  mir  gewähren  ? 

Entbehren  sollst  du,  sollst  entbehren. 

Aber  Lelia  ist  überhaupt  ganz  George  Sand  in  ihrem  damali- 
gen Zustand;  die  verschiedensten  Züge  ihres  Wesens  sind  wie 
entfaltet  in  diesem  Roman,  und  man  könnte  das  religiöse 
Motiv,  das  Liebesmotiv,  das  Freiheitsmotiv,  das  philosophische, 
das  soziale  Motiv,  selbst  das  ,,Mutter"motiv  (in  der  Liebe  der 
älteren  Frau  zu  dem  Enfant  Stenio)  herausfinden.  Lelia  wurde 
denn  auch  stets  als  besonders  charakteristisch  für  die  Dichterin 
angesehen. 

Das  religiöse  Motiv  tritt  hier  besonders  hervor,  das  heiße 
Sehnen  und  Suchen  nach  Gott.  Gott  wird  ja  bei  G.  Sand  außer- 
ordentlich viel  genannt,  aber  ihr  Verhältnis  zur  Gottheit  ist 
namentlich  in  Leha  merkwürdig  naiv  und  kindhch.  Bald  sieht 
sie  in  Gott  ein  allgütiges  Wesen,  bald  macht  sie  ihn  verant- 
wortlich für  alles  Böse,  jeden  Fehler,  jede  Willensschwäche  und 
zankt  ihn  aus  wie  einen  Schulknaben,  wie  jener  Bauer  seinen 
Schutzpatron  auszankt,  weil  er  ihm  den  Spelz  nicht  geraten  ließ. 
Warum  kann  keine  reine  Liebe  unter  den  Menschen  bestehen  ? 
Ist  die  Geslleschaft  schuld?  Nein,  Gott  ist  schuld.  Sie  zürnt 
ihm  giiHl  se  tienne  lä-bas  ou  lä-haut,  je  ne  sais  oü,  assis  dans  sa 
gloire  et  dans  sa  sardite,  au-dessizs  de  tous  les  efforts  de  ma  pcnsee. 
Sie  sagt  ihm  ins  Gesicht:  Voiis  ne  me  suffisez  pas,  Dien,  vous 
le  savtz  hien.  Um  was  soll  ich  Gott  bitten  ?  Daß  er  mein  Ge- 
schick ändert  ?  Er  würde  mich  auslachen  (il  se  rirait  de  moij. 
Ein  anderes  Mal  sagt  sie  ihm:  Wenn  du  soviel  Ungerechtigkeit 
zulassest,  will  ich  lieber  glauben,  daß  du  nicht  existierst.  Ralpli 
sagt  zu  Indiana:  Wenn  es  ein  Verbrechen  war,  daß  ich  fluch- 
beladener Mensch  mein  Auge  zu  dir  erhob,  so  ist  Gott  allein  schuld. 

Das  Verhältnis  der  älteren  Frau  zum  jüngeren  Manne  spielt 
im  Leben  George  Sands  (man  denke  an  Sandeau,  Musset,  Chopin, 
Liszt,  Poncy  und  andere  ihrer  Freunde),  wie  in  üiren  Werken 
eine  große  Rolle.  Lelia  spielt  mit  dem  jungen  Stenio,  ebenso 
kost  im  Secretaire  intime  die  Fürstin  mütterlich  mit  dem  Jüng- 
ling St.  Juüen,  was  der  arme  Junge  mißversteht.  In  Frangois 
le  champi  wandelt  sich  die  kindliche  Liebe  des  Knaben  zu  der 
Frau,  die  ihm  eine  Mutter  war,  in  leidenschaftUche  Liebe  u.  s.  f. 
Ich  kann  nicht  umhin,  das  Gefühl  Doumics  zu  teilen,  den  die 
Wiederholung  dieses  Motivs  peinhch  berührt.  Geradezu  wider- 
lich und  wie  eine  Entweihung  des  heiligen  Namens  Mutter  wirkt 
es,  wenn  Metella  zu  dem  JüngUng,  dem  sie  sich  hingibt,  sagt: 
Nenne  mich  Mutter!  Das  ist,  wie  mir  scheint,  einer  jener  Miß- 
klänge, jener  krankhaften  Züge,  von  denen  oben  die  Rede  war. 


Neuere  Ärbeiteit  über  George  Sand.  83 

Doiimic  bringt  Lölia — Stenio  in  einen  inneren  Zusammen- 
liang  mit  George  Sand — A.  de  Musset,  obgleich  Lelia  vor  dem 
Abenteuer  von  Venedig  geschrieben  wurde.  Die  Beziehung  auf 
Musset  drängt  sich  in  der  Tat  auf;  sie  tritt  schon  äußerlich  hervor, 
wenn  Stenio  folgendermaßen  geschildert  wird:  //  ai>aU  quelque- 
chose  de  hautain  et  de  preoccupe.  Ses  yeiix  depoiirvus  de  cils 
iiavaient  plus  cette  lenteur  voilee  ....  Son  regard  vous  arrivait 
droit  au  nsage  brusque,  fixe  et  presque  arrogant.  Man  vergleiche 
dies  mit  der  Schilderung,  welche  Pauline  Garcia  von  Musset 
gegeben  hat:  Soti  regard  etait  tres  arrogant^  repoussant  meme, 
surtout  quand  il  regardait  les  femmes;  il  avait  les  paupieres  rouges 
Sans  cils  et  navait  pas  de  sourcils.  Jene  Beschreibung  von  Stenio 
findet  sich  nicht  erst  in  der  späteren  Bearbeitung  von  Lelia, 
sondern  schon  in  der  Ausgabe  von  1833.  Auffallend  ist  es  auch, 
daß  Stenio  ,,enfant  du  siecle"  genannt  wird  (Kap.  I)  in  der  Be- 
deutung ,,Weltkind  ".  Darauf  hat  wohl  Musset  mit  seinem  Roman 
Confession  d'un  enfant  du  siecle  (hier  in  der  Bedeutung:  Kind 
des  Jahrhunderts)  angespielt.  Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  daß 
der  ^Jnno  ebrioso'%  jenes  geniale  wein-  und  liebestrunkene  Zecher- 
lied, das  in  Lelia  vorkommt,  von  Musset  verfaßt  ist,  wie  ja  auch 
Verse  von  Musset  dem  dritten  Teil  des  Romans  als  Motto  voran- 
gestellt sind.  Musset  selbst  hat  sich  in  Stenio  erkannt;  dies 
zeigt  ein  merkwürdiger  Brief  an  George  Sand  aus  dem  Jahre 
1835  (Corr.  S.  173),  in  dem  er  sagt:  Toii  Stenio  .  .  c'est  moi, 
tu  rn'as  pressenti.  Une  main  invisible  m'amenait  ä  toi  etc.  In 
der  zweiten  Ausgabe  der  ,, Lelia"  sind  die  Beziehungen  auf 
Musset  sehr  deutlich,  besonders  in  dem  Kapitel:  Lelia  au 
rocher.  Lelia  sagt:  je  pleure  une  illusion  et  non  pas  un  komme; 
sie  beklagt  den  Dichter,  den  sie  geliebt,  und  wendet  sich  dann 
in  Gedanken  zornerfüllt  gegen  den  Stenio,  aus  dem  die  Aus- 
schweifung ein  Zerrbild  gemacht  hat.  Et  toi,  spectre!  leve  ton 
bras  chancelant!  Bois  par  defi  ä  la  sante  de  Lelia!  raillet'or- 
gueilleuse  ins  ensee ,  qui  tneprise  tes  lei>res  charmantes  et 
la  cheifelure  varfumee  d'un  si  beau  jeune  komme.  Eine  deut- 
liche Antwort  auf  die  Nuit  de  decembre  {Ak!  faible  femme, 
orgueilleuse  insensee  etc.)  Ernest  SeilHere  hat  hierauf 
aufmerksam  gemacht. 

Trotz  seiner  Schwächen,  Mängel  und  Seltsamkeiten  macht 
der  Roman  durch  seine  hochpoetischen  Natur-  und  Stimmungs- 
schilderungen, den  kraftvollen  Ausdruck  der  Gefühle,  den  hohen 
Flug  der  Gedanken  im  ganzen  doch  den  Eindruck  eines  be- 
deutenden Dichterwerkes,  den  ja  auch  z.  B.  Sainte-Beuve  emp- 
fand. Leider  ist  der  Roman  durch  die  Umarbeitung  sehr  ver- 
dorben. 

Die  Urteile  über  die  Werke  von  Gge.  Sand  gehen  teilweise 
sehr  auseinander.  Der  persönliche  Geschmack  spielt  dabei  eine 
Rolle.     Leone  Leoni,    von  Doumic   getadelt,   wird   von   Faguet 

6* 


84  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haape. 

ein  Meisterwerk  genannt.  Icli  muß  gestehen,  daß  ich  diesen 
Roman  entschieden  für  veraltet,  die  Charaktere  und  die  Handlung 
für  unnatürlich  und  übertrieben  halte.  Dem  Lobe,  welclics 
Doumic  dem  Roman  Mauprat,  dieser  Verherrlichung  der  treuen 
Liebe  und  der  Ehe,  erteilt,  kann  man  beipflichten.  In  dieser 
Erzählung  ist  ein  großer  Zug,  sie  erinnert  an  Walter  Scott,  Edmec 
an  Diana  Vernon  (in  Roh  Roy),  eine  Lieblingsgestalt  von  Gge. 
Sand;  nur  finde  ich  die  Grausamkeit,  mit  der  Edmee  den  armen 
Bernard  quält,  ,,um  ihn  zu  erziehen",  übertrieben  und  weder 
,,noble"  noch  ,,delicieuse" .  —  ,, Andre",  ein  Gedenkblatt,  das  die 
Dichterin,  in  Venedig  vom  Heimweh  ergriffen,  ihrer  Heimat 
widmet,  hat  mich  besonders  angesprochen  durch  die  liebevolle 
Schilderung  des  Lebens  und  Treibens  in  der  Kleinstadt  La  Chätre 
und  ihrer  ländlichen  Umgebung.  Das  erste  Erwachen  der  Liebe 
in  der  Brust  des  weltfremden  versonnenen  jungen  Edelmanns, 
sein  dreister  und  derber,  aber  gutherziger,  immer  fröldicher, 
plebejischer  Freund  Joseph,  dessen  landwirtschaftliche  Unter- 
redungen mit  dem  alten  Landjunker,  der  Besuch  der  Arbeiterinnen 
auf  dem  Herrenschloß,  dies  alles  ist  lebendig  und  reizvoll  ge- 
schildert. Doumic  findet  den  Roman  mittelmäßig,  Karenine 
dagegen  findet  ihn  ausgezeichnet;  ich  schließe  mich  der  Russin 
an.  Dagegen  kann  icli  es  nicht  billigen,  wenn  sie  die  kleine 
Erzählung  „Cora"  für  wertlos  erklärt;  die  Geschichte  ist  so 
hübsch  und  humorvoll  erzählt,  daß  man  sie  mit  Genuß  liest; 
auch  der  ernste  Akademiker  Caro  ist  entzückt  von  ihr.  Auch 
Matlea  und  die  anderen  venetianischen  Novellen  sind  immer 
noch  lesenswert;  nur  darf  man  nicht  zu  viele  nacheinander 
genießen.  Der  phantastische  Teverino,  der  ganz  hübsche  Ein- 
zelheiten enthält,  wird  durch  die  peinlich  langen,  zum  Teil  sehr 
ausgeklügelten  Erörterungen  über  Freundschaft,  Liebe  usw. 
verdorben.  Doumic  erwähnt  diese  kleineren  Erzählungen  nicht. 
Le  Secretaire  intime,  geschrieben  1833,  hätte  genannt  werden 
dürfen  als  Gegenstück  zu  Lelia. 

Über  die  Handwerker-Romane,  die  einen  Teil  der  sozial- 
politischen Tendenz- Romane  der  zweiten  Schaffensperiode  von 
George  Sand  bilden,  Compagnon  da  toiir  de  France,  Meunier 
d'AngibauU,  Peche  de  Mr.  Antoine  —  urteilt  Doumic  meines 
Eraohtens  zu  ungünstig:  Ce  sont  lä  de  maiivais  romans.  Ich 
möchte  wenigstens  den  Compagnon  du  iour  de  France  ausnehmen, 
wenn  er  auch  hinsiclitlich  der  Komposition  mangelhaft  ist.  Der 
erste  Band  dieser  Erzählung  entrollt  ein  lebensvolles  Bild  der 
alten  Gesellenvereinigungen,  ihrer  Sitten,  Gebräuche,  Bestrebun- 
gen und  Kämpfe;  auch  die  Charakterzeichnung  fesselt.  Im 
zweiten  Band  ermattet  die  Erzählung;  breite  Erörterungen  über 
politische,  soziale  und  humanitäre  Fragen  treten  in  den  Vorder- 
grund. Bemerkenswert  ist  es,  wie  die  Anschauungen,  der  Gesichts- 
und Gedankenkreis  der  Verfasserin  sich  verändern.    Die  religiösen 


Neuere  Arbeiten  über  George  Sand.  85 

und  mctaphysisclu^n  Spekulationen  trclon  zurück;  selbst  di(^ 
romantische  Ansicht  von  der  absolut  göttliclien,  alleinselig- 
machenden Liebe  wird  berichtigt:  ,,L!amoiir,  sagt  sie,  qiii  elend 
tegoisme  ä  deiix  etres  fondus  en  im.  seiU,  ne  siiffit  point  pour  le 
legitimer.  II  est  beaii  et  divin  comme  moyen,  comme  secours  et 
comme  egide;  iL  est  petit  et  malheureux  comme  hiit  et  comme  uni- 
que  fin." 

,.La  comtesse  de  Ihidoistadt,''  deren  zwei  Bände  bekanntlicii 
eine  Fortsetzung  der  dreibändigen  Consiielo  bilden,  hätte  wohl 
auch  eine  bessere  Note  verdient.  Doumic  sagt  darüber:  Nos 
grands-parents  avaient  un  pouvoir  de  s'ennuyer  qiii  fait  honte  a 
notre  frivolite.  Aber  der  erste  Teil,  der  am  Hofe  Friedrichs  d.  G. 
spielt,  ist  geistvoll  und  spannend  geschrieben,  wenn  auch  die 
geschichtliche  Wahrheit  nicht  immer  strenge  beachtet  wird.  Im 
zweiten  Teil  mit  seinem  Illuminatenschloß,  seinen  feierlichen 
Reden  und  den  endlosen  Prüfungen,  denen  die  arme  Consuelo 
unterworfen  wird,  drängt  sicli  allerdings  die  Vergleichung  mit 
der  ,,Zaiiberflöte"  unwillkürlich  auf. 

Den  eigentlichen  Dorfgeschichten  zollt  Doumic  mit  Recht 
]i ochste  Anerkennung.  La  mare  au  diable,  das  Teufelsmoor, 
Francois  le  Champi.,  Franz  der  Findling,  La  petite  fadette,  der 
kleine  Kobold,  Les  maitres  sonneurs  (die  Meister  Dudelsacks- 
pfeifer  —  nicht  Glöckner,  wie  es  manchmal  übersetzt 
wird  — )  werden  mit  Recht  zu  den  schönsten  Perlen  der  fran- 
zösischen erzählenden  Dichtkunst  gerechnet.  Einen  besonderen 
Reiz  erhalten  diese  Geschichten  noch  durch  die  Mundart  der 
Landschaft  Berry,  die  in  den  Gesprächen,  allerdings  in  verfeinerter 
Form,  verwendet  ist.  Eine  Probe  dieser  Mundart  ist  auch  bei 
Doumic  wiedergegeben  in  einem  bisher  nicht  veröffentlichten 
Brief  G.  Sands  an  Adolphe  Duplomb,  der  an  urwüchsiger  Derb- 
lieit  nichts  zu  wünschen  übrig  läßt  (S.   185). 

In  der  ,,il/are  au  diable"  tritt  wieder  der  echt  Sandschc 
Zug  der  mütterlichen  Überlegenlieit  der  Frau  über  den  Mann 
hervor.  Die  16jährige  Marie  ,, bemuttert'"'  den  28jährigen  Germain. 
Was  die  Werke  der  letzten  Periode  anlangt,  so  kann  ich 
Doumics  Vorliebe  für  den  Marquis  de  Villemer  nicht  teilen. 
Der  Roman  verläuft  ganz  hübsch  bis  etwa  zur  Mitte;  von  da  an 
häufen  sich  die  Unwahrschcinlichkeiten  und  inneren  Unwahr- 
heiten, und  der  Schluß  ist  geradezu  an  den  Haaren  herbeigezogen. 
Denkwürdig  ist  La  tour  de  Percemont  als  die  letzte  Arbeit 
von  George  Sand,  die  in  der  Revue  des  deux  mondes  erschien. 
Im  Jahre  1833  hatte  die  Revue  Lelia  veröffentlicht;  am  1.  Januar 
1876  —  wenige  Monate  vor  dem  Tode  G.  Sands  —  fand  ihr 
letzter  Roman  in  der  Revue  seinen  Abscliluß.  43  Jahre  mit 
einigen  Unterbrechungen  hatte  ihre  Verbindung  mit  der  Revue 
gedauert.  La  tour  de  Percemont  überrascht  durch  eine  wahrhaft 
jugendliche  Frische.    Die  Handlung  ist  spannend,  die  Charaktere 


86  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haape. 

sind  mit  leicliter,  sicherer  Hand  gezeichnet,  namentlich  der  alte 
Anwalt  Chantebel,  der  alles  ins  Geleise  bringt.  George  Sand 
ze,igt  bei  diesem  Anlaß,  daß  sie  auch  juristisches  Talent  besitzt. 

Besondere  Erwähnung  verdienen  nocii  die,  wie  es  scheint,  wenig 
bekannten  Contes  ctiine  Grancfmere.  Es  befinden  sich  darunter 
reizende  Erzählungen  (z.  B.  le  chene  parlant,  Ce  qiie  disent  les 
fleurs,  Le  chäteau  de  Pictordii),  in  denen  sich  George  Sands  Talent 
zum  Fabulieren,  die  Liebe,  mit  der  sie  die  Natur  umfaßt  und 
zu  beseelen  weiß,  ihre  Kunst,  sich  in  die  Seele  des  Kindes  zu 
versenken,  in  einer  für  Alte  wie  für  Junge  erfreulichen  Weise 
offenbaren.  Manches  Seltsame  muß  man  freilich  mit  in  den  Kauf 
nehmen.  So  spielt  z.  B.  die  Seelenwanderung,  die  für  G.  Sand 
immer  einen  großen  Reiz  hatte,  eine  gewisse  Rolle.  Man  muß 
lächeln,  wenn  Monsieur  Lechien  sehr  ernsthaft  erzählt,  was  er  in 
einem  früheren  Dasein  als  Hund  erlebt  habe,  oder  wenn  Mr. 
William  berichtet,  wie  er  und  seine  Mutter  als  weiße  Elefanten 
auf  der  Halbinsel  Malacca  gelebt  und  welche  erhabenen  Gefühle 
da  ihre  Brust  geschwellt  hätten. 

Am  Schlüsse  seines  Buches  faßt  Doumic  unter  dem  Titel 
Le  genie  de  l'ecrivain  die  hervorragenden  Züge  der  schriftstelleri- 
schen Persönlichkeit  George  Sands  nochmals  kurz  zusammen. 
Er  vergleicht  sie  mit  den  Sängern  der  Vorzeit,  die  der  lauschenden 
Menge  wunderbare  Mären  von  Lust  und  Leid  der  Menschen 
verkünden.  Sie  verherrlicht  die  e\\-igen  Gegenstände  aller  Poesie, 
die  Liebe,  die  Natur,  die  hohen  Gefühle  der  Begeisterung  und 
des  Mitleids.  Ihre  Sprache  ist  das  unfehlbare  Werkzeug  ihres 
Erfolgs;  sie  ist  nicht  immer  begrifflich  scharf  bestimmt,  aber 
blühend,  reich  und  melodisch;  Worte  und  Bilder  von  köstlicher 
Frische  stellen  sich  ungesucht  in  Fülle  ein.  Elle  deroule  avec 
quelque  lenteui\  niais  sans  embarras  cetle  aniple  periode  qui  est 
la  vraie  phrase  franQaise. 

Wer  unbefangen  und  vorurteilslos  sich  mit  den  Werken 
Gge.  Sands  beschäftigt,  wird  trotz  aller  Bedenken,  die  er  im 
einzelnen  haben  mag,  sich  nicht  dem  Zauber  ihrer  Poesie  ent- 
ziehen können,  und  wenn  wir  ihr  Leben  bis  zum  Schluß  ver- 
folgen, werden  wir  bekennen:  die  „gute  Frau  von  Nohant"  war 
eine  bedeutende,  eine  außerordentUche  Frau. 


Einige  kleine  Versehen  in  Doumics  Buch  seien  in  folgendem 
berichtigt : 

Zu  S.  6:  Der  volle  Name  George  Sands  lautete  nach  dem 
Eintrag  ins  Taufbuch  Amandine  Lucie  Aurore  Dupin  (nicht  Liicile). 

Zu  S.  10:  Nicht  la  petite  fille  de  Maurice  de  Saxe  war  während 
der  Revolution  im  Couvent  des  Anglaises  eingesperrt,  sondern 
la  fille,  die  Großmutter  von  George  Sand,  Marie  Aurore  Dupin. 


Neuere  Arbeiten  über  George  Sand.  87 

Zu  S.  185:  Die  Verhandlung  vor  dem  Gericht  von  La  Ghätre 
fand  nicht  am  10.  und  11.  März,  sondern  am  10.  und  11.  Mai 
1836  statt. 

Zu  S.  190:  Liszt  spielte  die  Orgel  nicht  in  Lausanne,  sondern 
in  Freiburg  i.  Schw. 


Zu  der  oben  angeführten  Literatur  über  George  Sand,  die 
ja  teilweise  schon  in  dem  vorstehenden  Bericht  besprochen 
wurde,  gestatte  ich  mir  noch  folgendes  zu  bemerken: 

Zu  3. 

Das  Buch  von  S  e  c  li  e  und  B  e  r  t  a  u  t  enthält,  wie  sein 
Titel  besagt,  Anekdoten,  Mitteilungen  über  einzelne  \^orgänge 
aus  dem  Leben  G.  Sands.  Sie  sind  meist  gut  gewählt,  wenn 
ihre  geschichtliche  Treue  auch  nicht  immer  über  allen  Zweifel 
erhaben  ist. 

Ein  anerkennenswerter  Vorzug  des  Buches  ist  es,  daß  sehr 
viele  Aussprüche  von  Gge.  Sand,  Stellen  aus  ihren  Werken  und 
aus  ihren  Briefen,  im  Wortlaut  angeführt  werden.  Man  gewinnt 
dadurch  ein  lebendiges  Bild  von  ihrer  Persönlichkeit.  Bezeich- 
nend ist  z.  B.  der  letzte  Ausspruch,  der  von  ihr  mitgeteilt  wird: 
„II  y  a  des  heures,  ou  je  me  sens  herbe.,  oiseaii,  äme  d'arbre,  nuage, 
eau  coiirante^  horizon.  coiileiir,  forme  et  sensations  changeantes, 
mobiles,  infinies." 

Zu  6. 

Samuel  Rocheblave,  einer  der  feinsten  Kenner  des 
Lebens  und  der  Werke  von  G.  Sand,  bespricht  die  sehr  bemerkens- 
werten Briefe,  welche  die  Dichterin  anCharlesPoncy,  den 
Maurer  und  Volksdichter  von  Toulon,  gerichtet  hat.  George 
Sand  war  von  jeher  für  das  Volk,  die  arbeitenden  Klassen,  be- 
geistert und  wurde  besonders  durch  Pierre  Leroux  für 
soziale  Ideen  gewonnen.  Vom  Volk  erwartete  sie  alles  Heil  für 
die  erschlaffte  Gesellschaft,  namentlich  auch  eine  neue  jugend- 
kräftige Literatur.  In  Charles  Poncy,  der  im  Jahre  1842  eine 
Sammlung  Gedichte  „Marines''  erscheinen  ließ,  glaubte  sie  den 
ersehnten  Dichter  von  Gottes  Gnaden  zu  finden.  Sie  ist  von 
seinen  Gedichten  entzückt  und  schreibt  ihm,  ohne  ihn  zu  kennen, 
mit  der.  ihr  eigenen  Überschwenglichkeit:  3Ion  enjant  (wieder 
der  Standpunkt  der  Mütterlichkeit  der  38jährigen  Frau  gegen- 
über dem  20jährigen  Dichterjüngling),  voiis  etes  im  grand  poete, 
le  plus  inspire  et  le  mieux  doue  parmi  tous  les  poetes  proletaires. 
Vous  pouvez  etre  le  plus  grand  poete  de  la  France  etc.  Dieser 
Brief  bildete  den  Anfang  einer  Reihe  von  226  Briefen,  die  Gge. 
Sand  im  Laufe  der  Zeit  an  Poncy  schrieb  und  von  denen  bis  jetzt 
39  in  der  Korrespondenz  von  G.  Sand  veröffentlicht  sind.  Er 
war   zugleich   der   Beginn   einer  innigen   Freundschaft    zwischen 


88  Referate  und  Rezensionen.     W.  IJaape. 

der  berühmten  Frau  und  dem  schlichten  Arbeiter,  einer  Freund- 
schaft, die  bis  zum  Tode  Gge.  Sands  dauerte.  Poncy  war  ein 
Mann  von  reinem,  redlichem  Charakter.  Für  Gge.  Sand,  in  deren 
Natur  ja  eine  Neigung  zum  Lehren  und  Erziehen  unverkennbar 
ist,  war  es  eine  Freude,  den  strebsamen  und  empfänglichen  jungen 
Mann  auf  seinem  Wege  zu  leiten.  Es  mißfällt  ihr,  daß  er,  der 
junge  Gatte  einer  reizenden  Frau,  eine  Juana  rEspagnolo  besingt. 
Si  voiis  voiilez  Hre  iin  vrai  poete,  soyez  un  saint.  Er  soll  seine 
Frau  lieben,  nicht  alle  Frauen!  Aimez-la,  et  voiis  verrez  qii'on 
aime  toiijours  plus  quand  on  n'aime  qu'une  seule  femme.  Das 
klingt  anders  als  die  früheren  Liebestheorien. 

Im  Vertrauen  auf  seine  Verschwiegenheit  spricht  sie  sich 
über  Dinge  und  Personen  rückhaltlos  aus.  Beranger  nennt  sie 
grand  poete  et  komme  de  hien^  meint  aber,  seine  Bescheidenheit 
sei  ,,un  peu  jouee";  er  habe  kein  Entrainement  „pou?-  rien.  ni 
pour  personne'\  Von  Victor  Hugo  sagt  sie,  er  habe  den  Fehler, 
unpassende  Bilder  zu  wählen.  Großes  mit  Kleinem  zu  vergleichen. 
Ce  sublime  et  absurde  Victor  Hugo,  conipose  de  magnijique  et  de 
mesquin,  de  grandiose  et  de  ridicule,  komme  de  genie  que  la  louange 
a  perdu  et  qui  s'en  va  droit  ä  l'höpital  des  fous,  monte  sur  un 
Pegase  debride  qui  a  pris  le  vertigo ...  Je  l'ai  beaucoup  admire 
et  sa  folie  me  fait  grand' peine  (Brief  vom  7.  Mai  1843,  2  Monate 
nach  den  ^^Burgraves"). 

In  einem  Brief  von  12  Seiten  zollt  sie  Poncys  neuen  Gedichten, 
veröff enthebt  1844  unter  dem  Titel  Le  ckantier,  enthusiastisches 
Lob.  Sie  versichert  ihn,  daß  sie  auch  zum  Volk  gehöre  par 
le  sang  autant  que  par  le  coeur,  erzählt  ihm  von  ihrem  Großvater, 
dem  Vogelhändler,  und  ihrer  Mutter,  der  Statistin;  von  der 
letzteren  sagt  sie:  Depuis  le  jour  oü  eile  a  aime  mon  pere  eile  a 
ete  exemplaire  par  sa  conduite.  Der  Flug  ihrer  Phantasie  reißt 
sie  zu  Saint- Simonistischen  Ideen  von  Wiederkehr  nach  dem 
Tode  hin.  Jedes  Dasein  ist  die  Belohnung  oder  Strafe  für  ein 
früheres.  Soyez  sür  que  vous  avez  dejä  vecu  de  tout  temps  sur 
la  terre,  et  que  votre  genie  poetique  est  la  recompense  de  quelque 
belle  action,  de  quelque  devouement  dont  vous  ne  vous  souvenez  pas! 
In  einem  Briefe  von  14  Seiten  vom  26.  Januar  1844  ermahnt  sie 
ihn  zur  Bescheidenheit.  Le  genie  ne  grandit  qu'ä  la  condition 
d'etre  modeste.  Sie  warnt  ihn  vor  der  Nachahmung  und  tadelt 
es,  daß  er  ein  Exemplar  seiner  Gedichte  an  A.  de  M  u  s  s  e  t 
senden  will.  //  yneprise  profondement  les  ouvriers  poetes.  II 
crackera  sur  votre  volume.  II  est  devenu  talon  rouge  et  conservateur, 
marquis  et  juste  milieu.  Aussi  n'a-t-il  plus  le  feu  sacre  qui  lui 
inspirait  autrefois  des  chants  sublimes.     II  est  mort. 

Zum  Besuche  seiner  Gönner  und  Freunde  in  Paris  im  Jahre 
1845  sendet  sie  ihm  ein  100  Fr.-Billet  als  Beitrag  zum  Reisegeld 
und  schreibt  dazu:  Voyez  donc  Paris,  puisque  vous  l'avez  tant 
reve.     Je  crains  pour  vous   une  grande  deception.     Moi  je  kais 


Xcuere  Arheiten  über  George  Sand.  89 

Celle  ville  de  boiie  el  de  vices.  Mais  cnjiii  cest  la  rapitale  du  monde 
poiir  les  arts  el  poiir  l'esprit.  Poncy  war  in  der  Tat  von  Paris 
sehr  bald  übersättigt.  Um  so  befriedigender  war  für  beide  Teile 
sein  mehrtägiger  Aufenthalt  in  Noliant.  George  Sand  gebraucht 
von  da  an  in  ihren  Briefen  das  vertrauliche  Du.  Sie  sucht  Poncy 
auch  für  die  politische  Entwickelung,  die  der  Republik  entgegen- 
treibt, zu  erwärmen.  Am  3.  März  1848  erliält  er  von  ihr  unter 
der  Aufsciirift  Aa  ciloyen  Charles  Poncy  einen  jauchzenden  Brief: 
Vive  la  Repnhlique!  on  est  fou,  an  est  ivre,  on  est  heureiix  de 
s'etre  endormi  dans  le  fange  et  de  se  reveüler  clans  les  cieux. 

Über  die  fieberhafte  journalistische  Tätigkeit,  welche  G.  Sand 
während  der  Revolution  entfaltete,  werden  nähere  Aufschlüsse 
gegeben.  Auch  Poncy  nimmt  am  politischen  Leben  teil;  er 
stellt  seine  Kandidatur  für  die  Nationalversammlung  auf,  fällt 
aber  durch.  Nach  den  Straßenkämpfen  und  Mordtaten  vom 
Juni  zieht  sich  G.  Sand  nach  Nohant  zurück.  ,J'ai  honte 
anjourd'hiii  d'etre  Frangaise"  sclireibt  sie  an  Frau  Marliani. 

In  einem  Brief  an  Poncy  vom  1.  August  1848  entwirft  sie 
eine  Art  von  sozialpolitisclicm  Glaubensbekenntnis.  Sehr  ver- 
nünftig und  nüelitern  setzt  sie  sich  mit  dem  radikalen  Kommu- 
nismus auseinander.  Nur  jene  Güter,  die  dem  allgemeinen  Ge- 
brauch dienen,  die  Straßen,  Eisenbahnen  etc.  sollen  Eigentum 
der  Allgemeinheit  werden,  im  übrigen  soll  das  Privateigentum 
fortbestehen.  —  George  Sand  bleibt  in  \^erbindung  mit  politischen 
Persönlichkeiten,  insbesondere  mit  Barbes  und  Mazzini.  Letzterem 
läßt  sie  durch  Poncy  einen  Brief  übermitteln.  Sie  korrespondiert 
auch  mit  dem  Prinzen  Jeröme  Napoleon.  Nach  dem  Staats- 
streich vom  2.  Dezember  1851  ist  sie  mit  Erfolg,  selbst  durch 
persönliche  Fürsprache  bei  dem  Prinzen  Louis  Napoleon,  bemüht, 
ihre  Freunde  der  Verbannung  oder  dem  Gefängnis  zu  entziehen. 
Den  nachmahgen  Kaiser  Napoleon  lernen  wir  bei  diesem  Anlaß 
als  Gemütsmenschen  kennen,  der  bei  dem  Lesen  einer  Bittschrift 
von  George  Sand  Tränen  vergießt. 

Poncy  dichtete  weiter,  vermochte  aber  niclits  Bedeutendes 
mehr  hervorzubringen.  Als  G.  Sand  sich  dem  Theater  zuwandte 
und  mit  mehreren  Stücken  Erfolg  hatte,  wollte  er  es  auch  mit 
der  Bühne  versuchen.  Er  bearbeitete,  vermutlich  auf  G.  Sands 
Rat,  Goethes  Geschwister,  konnte  das  Stück  aber  nicht  zur 
Aufführung  bringen.  Fünf  Bände  Contes  et  Noiivelles  waren  un- 
bedeutend. Zum  Glück  war  er  nicht  bloß  Dichter,  sondern  auch 
ein  tüchtiger  Geschäftsmann.  Er  wurde  Bauunternehmer,  Sekre- 
tär der  Mairie  und  der  Handelskammer  von  Toulon  und  erwarb 
sich  ein  hübsches  Vermögen  und  eine  angesehene  Stellung  in  der 
Stadt.  Leider  wurde  sein  Glück  durch  häusliches  Mißgeschick 
getrübt;  er  mußte  seiner  ganzen  Familie  ins  Grab  sehen.  Er 
starb   am   30.    Januar   1891,    15    Jahre   nach   seiner  berühmten 


90  Referate  und  Rezensionen,     W.  JJaape. 

Freundin.  Ihre  schöne  Freundschaft  hatte  34  Jahre  unverbrüch- 
lich fortgedauert;  die  Erinnerung  an  sie  verklärte  sein  Alter. 

Eine  der  anmutigsten  kleineren  Erzählungen  von  George 
Sand,  Marianne,  trägt  die  Widmung:  ,,A  mon  ami  Poncy." 

Rocheblave  hebt  hervor,  wie  G.  Sand  stets  bestrebt  war, 
das  Gute,  das  Göttliche  und  Unvergängliche  im  Menschen  auf- 
zusuchen, ohne  nach  Rang,  Stand  und  Wissen  zu  fragen.  Elle 
eut  de  la  sorte  des  amities  qni  au  vulgaire  paraissent  etranges, 
inexpliquSes.  Les  expliquera  facilement  au  contraire  quiconque 
aura  penitre  cette  nahire  d'exception,  ä  la  jois  male  et  feminine, 
qui  a  ioujoars  dierche  ce  qui  ne  passe  pas  dans  ceux  qui  passen!. 

Zu  7. 

Eugene  Fr  omentin,  geb.  1820  in  La  Rochelle,  hatte 
sich  als  ausgezeichneter  Maler  der  Wunderwelt  des  Orients  einen 
Namen  gemacht.  Im  Jahre  1857  trat  er  als  Schriftsteller  hervor 
mit  einem  Buch  Un  ete  dans  le  Sahara.  Ein  Exemplar  sandte  er 
an  George  Sand.  Das  Buch  erregte  ihre  Bewunderung.  Sie 
sprach  ihm  dies  mit  der  ihr  eigenen  Wärme  aus  und  ermunterte 
ihn  zu  weiterem  Fortschreiten  auf  der  so  glückhch  von  ihm 
betretenen  schriftstellerischen  Laufbahn.  Es  entspann  sich  ein 
Briefwechsel,  der  bis  zum  Mai  1866  dauerte  und  31  Briefe  von 
George  Sand,  30  von  E.  Fromentin  umfaßt.  Die  Briefe  von 
G.  Sand  waren  bisher  nicht  veröffentlicht  mit  Ausnahme  von  vier, 
die  in  dem  Werke  von  Gonse  über  Fromentin  (Paris  bei  Quantin 
1881)  abgedruckt  sind.  Blanchon  hat  nun  die  Briefe  von  G.  Sand 
mit  Erläuterungen  in  der  Revue  de  Paris  veröffentlicht;  sie 
bilden  einen  schätzbaren  Beitrag  für  die  Kenntnis  des  Wesens 
und  der  Denkweise  der  Dichterin. 

George  Sand  lernte  in  Fromentin  einen  ebenso  begabten 
als  bescheidenen  und  charaktervollen  Mann  kennen,  und  es  ist 
nicht  zu  verwundern,  daß  ihre  Bekanntschaft  zur  Freundschaft 
führte.  Sehr  bald  wich  das  förmliche  Monsieur  in  den  Briefen 
dem  Mon  eher  ami  und  mon  eher  enfant.  George  Sand  liatte 
wieder  ein  Kind  gefunden,  das  sie  bemuttern  konnte. 

Das  zweite  Buch,  das  der  junge  Schriftsteller  vcröffenlhchte. 
,,une  annee  dans  le  Saher '  war  nach  G.  Sands  Urteil  noch  bessiM- 
geraten  als  das  erste.  Über  beide  Bücher  schrieb  sie  anork('unend(; 
Artikel  in  die  „Presse."'  Im  Jahre  1862  gab  Fromentin  einen 
Roman ,, Dominique"  heraus.  George  Sand  hielt  einige  Änderungen 
an  demselben  für  geboten  und  besprach  sich  darüber  eingehend  mit 
dem  Verfasser,  der  zu  diesem  Zweck  nach  Noliant  kam.  Fromentin 
konnte  sich  niclit  entschließen,  die  angeregten  Änderungen 
vorzunehmen.  Die  Briefe  enthalten  noch  interessante  Be- 
merkungen über  Gge.  Sands  Roman  Mademoiselle  la  Quiniinie, 
der  für  Gge.  Sand,  wie  sie  sagt,  einen  Bruch  mit  lieben  Erinne- 
rungen bedeutet,  über  den  Marquis  de  Villemer,  der  als  Theater- 


Neuere  Arbeiten  über  George  Sand.  91 

stück  bei  der  Aufführung'  im  Odeon  am  1.  März  1864  viel  Beifall 
fand.  Der  letzte  Brief  ist  vom  9.  Mai  1866,  wenigstens  sind  von 
da  an  keine  Briefe,  außer  ein  paar  Billetten,  erhalten.  Ihre  Be- 
ziehungen blieben  aber  immer  die  freundschaftlichsten.  George 
Sand  schrieb  über  ihn  an  Jules  Claretie:  //  jouit,  d'uiie  consi- 
deration  meritee^  sa  vie  6tant,  comme  soii  esprit  un.  modele  de  deli- 
catesse,  de  gout,  de  pcrsherance  et  de  distinction  ....  Heureux 
ceiix  qui  peuvent  vivre  dans  l'inlimite  de  cet  hotnme  exquis  ä  toiis 
igards.  G.  Sand  starb  am  8.  Juni  1876,  72  Jahre  alt.  Zwei 
Monate  später,  am  19.  August  1876,  folgte  ihr  Fromcntin  im 
Tode;  er  war  56  Jahre  alt  geworden. 

8.  A  g  e  0  r  g  e  s  L'enclos  de  George  Sand. 

Eine  Reihe  von  Aufsätzen  ist  hier  zu  einem  anziehenden 
Büchlein  vereinigt.  Es  sind  meist  Schilderungen  von  Örtlich- 
keiten und  Personen,  die  zu  George  Sand  in  näherer  oder  ent- 
fernterer Beziehung  stehen,  insbesondere  anheimelnde  Bilder 
aus  dem  Berry,  ihrer  geliebten  ländlichen  Heimat,  die  (h^r  Ver- 
fasser, selbst  Berrichon,  sehr  genau  kennt.  Eine  reizende  Be- 
sclireibung  des  Gartens  von  George  Sand  in  Nohant  von  Marguerite 
Ageorges  d'Escola  leitet  die  Sammlung  ein.  ,,C/«  jardin  original 
et  IUI  peil  litteraire",  vor  allem  aber  ein  rechtschaffener  Bauern- 
garten mit  Gemüse  und  Obst  und  herrlichen  Rosen. 

Der  zweite  Aufsatz  ,,£//?e  amitie  de  Joiirnalistes''  ist  ein 
Lebensbild  des  aus  dem  Berry  stammenden  Henri  de  Latouchc 
und  seines  Landsmanns  und  Freundes  Honore  de  Lourdoueix. 
Henri  de  Latouche,  eigentlich  Hyacinthe  Joseph  Alexandre 
Thabaud,  war  geboren  1785,  trat  in  den  Staatsdienst,  widmete 
sich  aber  bald  ganz  der  Schriftstellerei  und  wurde  Direktor 
des  „Figaro",  damals  eines  kleinen  Blattes.  Er  erwarb  sich  ein 
Verdienst  durch  Herausgabe  der  Werke  von  Andre  Chenier. 
Die  Bearbeitung  des  Fräulein  von  Scudery  von  E.  Th.  A.  Hoff- 
n\ann  brachte  ihn  in  den  Verdacht  des  Plagiats. 

Latouche  führte  Gge.  Sand  in  die  Literatur  und  Journalistik 
ein;  sie  schrieb  unter  seiner  Leitung  Artikel  in  den  Figaro  die 
Spalte  zu  7  fr.  Ageorge  veröffentlicht  einen  bisher  unbekannten 
Brief  von  George  Sand  an  de  Latouche  vom  21.  September  1831. 
In  humoristisch  burschikosem  Ton  dankt  sie  ihm  für  seine  Be- 
lehrungen und  Ratsclüäge.  Si  je  ne  viens  pas  ä  bout  d'ecrire, 
i'ai  une  ressoiirce  de  me  faire  cuisiniere.  J'ai  dans  l'idee  que 
cäait  lä  ma  vocation  et  que  je  Vai  manquee.  Me  prendrez-vous 
ä  votre  Service?  Der  Schluß  des  Briefes  ist  echt  ,, Sandisch'" : 
Adieu,  mon  bon  Latouche;  du  diable,  si  je  vous  appelle  Monsieur. 
.Fe  vous  aime  trop  pour  cela.  Dites-moi  que  vous  n'dtes  pas  souffrant 
et  que  vous  m'aimez:  Je  crois  que  l'usage  est  de  dire  „un  peu". 
Mais  je  ne  suis  pas  modeste.  Je  voudrais  que  vous  niaimassiez 
beaucoup.      Votre  devoue  camarade  Aur.   Dud. 


92  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haape. 

De  Latouclie  war  bei  den  Frauen  beliebt  trotz  seiner  hypo- 
chondrischen Grillen.  Pauline  de  Flaugergues  widmete  ihm 
eine  rührende  selbstlose  Neigung  bis  zum  Tode.  Der  Verfasser 
bemerkt  dazu:  Le  XIXieme  siede  qiii  fiit  cn  France  im  siecle  de 
morcde  trop  libre  .  .  .  fnl  cependant  un  siecle  de  bonte.  Les  femmes 
y  fureni  plus  genereuses  qu'en  aucun  autre  temps.  Comme  les 
vieux  meubles  Louis- Philippe,  les  amours  romantiques  soni  passes 
ä  l'etat  rococo.    L'automobilisme  les  a  tues. 

Honore  de  Lourdoueix  w^ar  ebenfalls  Journalist,  zuerst 
Mitarbeiter,  dann  Eigentümer  der  Gazette  de  France.  Er  wurde 
in  angesehene  Staatsstellungen  berufen  als  Directeur  des  beaux- 
arts,  Sciences  et  lettres,  später  als  Direktor  der  Zensur.  Er  war 
streng  konservativ,  Latouche  liberal,  was  ihrer  Freundschaft 
keinen  Eintrag  tat. 

Der  dritte  Aufsatz  George  Sand  paijsan  ist  eine  hübsche 
Studie  über  das  Verhältnis  Gge.  Sands  zum  Landleben  und  zum 
Landvolk  ihrer  Heimat.  Manche  Züge  ihres  Charakters  werden 
aus  der  Umgebung  erklärt,  in  der  sie  aufwuchs.  A  la  placidite 
des  choses  qui  V entouraient  eile  emprunta  un  peu  de  placidite, 
d  leur  rusticite  un  peu  de  rusticite.  Sie  liebt  die  Natur,  sie  reitet 
und  fährt  durch  die  stille  Landschaft,  sie  wirft  sich  mit  ihren 
Kleidern  in  den  Bach,  sie  macht  die  weitesten  Fußwanderungen, 
dabei  geht  sie  langsam  vor  sich  hin  „bete  comme  un  cJwu"  (Flaubort). 
Sie  liebt  die  Arbeit,  das  häusliche  Leben.  „C'etait  un  temperament 
assez  froid,  presque  tres-calme,  avec  des  crises  violentes  de  passion. 
Ainsi  en  esi-il  du  paysan  berrichon. 

Sie  hat  den  Berrichon  in  seinen  Sitten  und  seinem  Leben 
belauscht  und  ihn  ihren  Dorfgeschichten  getreu  geschildert. 
Sie  hat  ihm  auch  seine  Sprache  abgelauscht  und  sie,  dem  Be- 
dürfnis   des    Lesers    angepaßt,    wiedergegeben.^^) 

Es  mögen  hier  noch  einige  von  Ageorges  angeführte  Verse 
in  dieser  etwas  verfeinerten  Bauernsprache  Platz  finden,  die  von 
manclien    George    Sand    zugeschrieben   werden. 

Lettre   d'un   frere   a  son  frere  soldat. 
Mon  frere,  sais-tu  gu'j'm'marie 
A  la  fille  au  maitre  Grapin? 
Tu  sais  qu'a  n'est  guere  jolie, 
Mais  son  pere  a  d'si  bon  bien ! 


28)  Ageorges  (M-\vähnt  die  Arbeit  von  Dr.  iM.  Born,  George  Sands 
Sprache  in  dem  Roman  Les  maitres  sonneurs  in  den  Berliner  Bei- 
trägen etc.  (Berhn,  Ehering,  1901).  Wenn  er  sagt:  c'est  plutöt  un 
lexique  etahli  ä  Vaide  des  travaux  dejä  exlstants,  so  ist  dies  nicht  genau. 
Born  behandelt  in  seiner  fleißigen  Schrift  auch  die  syntaktischen 
Eigentümlichkeiten  dieser  Sprache  sehr  eingehend  (S.  52 — 98).  Vgl. 
auch  Caro,  Syntaktische  Eigentümlichkeilen  der  f ranzösischen  Bauern- 
sprache.    Berliner  Dissertation   1891. 


Neuere  Arbeil cn  über  George  Sand.  93 

J'ai  bien  carciile  mann  affaire, 
Ces  gens-lä  deiwent  rin  du  tout. 
I'aim'rais  mieux  Vbien  qu'la  droliere^ 
Mais  pour  l'avoir  faut  prend'el  toutl 

Ein  Aufsatz  Une  partie  de  campagne  au  theätre  berichtet  über 
eine  sehr  beifällig  aufgenommene  Aufführung  des  Bauerndramas 
Claudie  von  George  Sand. 

Weitere  Aufsätze  ,,Pessimisme  et  litterature"  ,,Les  tendances 
sociales",  liüerature  et  maitres  d'ecole'%  freimütige  Äußerungen 
eines  konservativen  Mannes  über  die  literarischen  und  politischen 
Strömungen  in  Frankreich,  haben  keinen  unmittelbaren  Bezug 
auf  George  Sand  und  können  deshalb  hier  unbesprochen  bleiben. 

9»  Jules  Claretie:  ä  Venise. 

D' Alfred  de  Musset  ä  l'Empereur  Guillaume. 

Jules  Claretie  weilt  in  Venedig  und  denkt  angesichts  der  im 
Hafen  liegenden  deutschen  Panzerschiffe  an  Kaiser  Wilhelm  und 
angesichts  des  Hotel  Danieli  an  A.  de  Musset  und  G.  Sand. 
Seine  Gedanken  führen  ihn  von  Venedig  nach  Nohant  und  er- 
innern ihn  an  eine  Geschichte,  die  sich  einmal — wann,  wird  nicht 
gesagt  —  dort  zutrug.  George  Sand  hatte  einen  sehr  begabten 
jungen  Mann  als  Erzieher  ihres  Sohnes  vorübergehend  in  ihr 
Haus  und,  wie  üblich,  in  ihr  mütterliches  Herz  aufgenommen. 
Der  Jüngling  war  eine  aufgeregte,  leidenschaftliche,  verbitterte 
Natur  und  schien  dadurch  auf  Maurice  einen  ungünstigen  Ein- 
fluß zu  üben.  Es  kam  zu  einer  Auseinandersetzung  mit  ihm  und 
zur  Entlassung  des  Lehrers.  In  seiner  Erregung  schrieb  dieser 
an  einen  Freund  einen  Brief  voll  von  jugendlichem  Trotz,  Eigen- 
dünkel und  Menschenhaß.  Gge.  Sand  verlangte  und  erhielt  Ein- 
sicht in  den  Brief:  ,,/e  vous  ai  traite  en  fils,  je  voudrais  lireT'' 
Sie  war  vom  Inhalt  des  Briefs  so  schmerzlich  verwundet,  daß  sie 
das  Bedürfnis  fühlte,  sich  gegen  die  beiden  jungen  Leute  aus- 
zusprechen. Sie  tat  dies,  indem  sie  dem  Brief  einen  Zusatz  von 
zehn  Seiten  beifügte  und  ihn  so  an  den  Adressaten  abschickte. 
In  bewegten  Worten  beschv,ört  sie  die  Jünglinge,  ihren  Egoismus 
zu  bekämpfen  und  sich  zur  Menschenliebe  durchzuringen.  Ne 
haissez  personne,  n'ecrasez  personne,  cor  apres  vingt  ans  de  souffrance 
il  se  trou^era  que  vous  avez  ecrase  votre  propre  cceur.  0  mes  enfants, 
ecrivez  avec  votre  sang,  non  avec  votre  bile!  Die  guten  Lehren 
haben,  wie  es  scheint,  gefruchtet;  die  beiden  jungen  Leute,  deren 
Name  nicht  genannt  wird,  sind  nach  Versicherung  J.  Clareties 
ernste  Männer  geworden  und  haben  in  der  Literatur  und  im 
Leben  Tüchtiges  geleistet. 

Jules  Claretie  veröffenthcht  bei  diesem  Anlaß  noch  einen 
originellen  Brief  G.  Sands  vom  24.  März  1869  an  einen  Zeichner 
A.  Lorentz,  der  sie  gebeten  hatte,  selbst  oder  durch  ihre  reichen 


94  Referate  und  Rezensionen.     IF.  Haape. 

Freunde  ihn  zu  ,, retten''.  Sie  erklärt  in  einem  sehr  aurführlichen 
Schreiben  dem  Gesuchsteller,  den  sie  duzt,  was  bei  ihr  nicht 
gerade  ungewöhnlich  ist,  aber  doch  auf  eine  ältere  Bekanntschaft 
hinweist,  sie  sei  nicht  imstande,  seine  Bitte  zu  erfüllen.  Sie  habe 
nur  zwei  oder  drei  reiche  Freunde,  die  schon  über  Gebühr  in 
Anspruch  genommen  seien.  Sie  selbst  habe  keine  Mittel  zur 
Verfügung;  sie  erhalte  jeden  Tag  etwa  20  Briefe,  von  denen 
19  Unterstützung  oder  Dienste  von  ihr  verlangen.  Sie  könne 
unmöglich  alle  befriedigen.  Tu  ne  te  doiites  pas  des  liorreurs 
de  la  celehrite.  II  est  possible  que  je  sois  devenue  marhre,  que  mon. 
cceur  se  soit  atrophie  ou  que  je  n'aie  Jamals  rien  valu.  Je  ne  me 
connais  plus  moi-nieme  ...  Je  te  dis  cela  pour  que  tu  saches  que 
dans  mon  silence  et  mes  empechements  il  n'y  a  rien  qui  doive  te 
blesser  et  qui  veuillc  faffliger,  toi.     Voilä.    G.  Sand. 

lO.  P.  G  i  n  i  s  t  y  Le  baron  Haußmann  et  George  Sand. 
Den  Memoiren  des  Barons  Haußmann,  des  Seine-Präfekten 
unter  Napoleon  III.,  der  einen  Teil  von  Paris  niederriß  und 
neu  erbaute,  entnimmt  P.  Ginisty  einen  Bericht  über  eine  Be- 
gegnung des  Genannten  mit  G.  Sand.  Die  letztere  hatte  be- 
kanntlich im  Jahr  1835  eine  Klage  auf  Separation  de  corps 
gegen  ihren  Gatten  eingereicht.  Dudevant  erschien  nicht  zur 
Verhandlung  und  das  Gericht  erließ  darauf  ein  Erkenntnis, 
welches  der  Klage  stattgab,  die  Trennung  aussprach  und  die 
Kinder  der  Mutter  zuwies.  Auf  die  Einsprache  des  Ehemanns 
wurde  vor  dem  Zivilgericht  von  La  Chätre  nochmals  am  10.  und 
11.  Mai  1836  verhandelt  und  das  erste  Urteil  bestätigt.  Nun 
appellierte  Dudevant  an  den  Gerichtshof  von  Bourges  und  die 
Sache  kam  am  25.  und  26.  Juli  1836  zur  Verhandlung.  Eine 
Entscheidung  wurde  nicht  gefällt,  weil  die  Stimmen  des  Gerichts- 
hofs geteilt  waren  und  sich  keine  Mehrheit  ergab.  Die  \cv- 
liandlung  wurde  auf  1.  August  1836  vertagt.  Inzwischen  kam 
es  zu  einem  Vergleich.  Dudevant  zog  die  Appellation  zurück 
gegen  eine  jährhche  Rente,  die  ihm  George  Sand  zu  zahlen  ver- 
sprach. Wenige  Monate  darauf  entführte  Dudevant  seine  Tochter 
Solange  und  brachte  sie  auf  sein  Gut  Guillery  bei  Nerac,  von 
wo  aus  er  sie  nach  Spanien  zu  verbringen  gedachte.  Vermutlich 
hoffte  er  noch  weitere  materielle  Vorteile  zu  erpressen.  George 
Sand  hatte  von  seinem  Vorgehen  Kenntnis  erhalten;  wenige 
Tage  darauf  erschien  sie  wie  eine  gereizte  Löwin  bei  dem  Unter- 
präfekten  von  Nerac,  Haußmann,  in  Begleitung  eines  Pariser 
Avoue  und  versehen  mit  einer  vollstreckbaren  Verfügung  und 
einem  Schreiben  des  Ministers  des  Innern.  Haußmann  stellte 
sich  ihr  sofort  zur  Verfügung,  setzte  die  Gendarmerie  in  Be- 
wegung und  holte  mit  George  Sand  die  kleine  Solange  in  Guillery 
ab,  Dudevant  leistete  keinen  Widerstand.  Mutter  und  Kind 
fanden  bis  zum  folgenden  Tag  Aufnalime  in  der  Untcrpräfektur. 


Lefranc,  Abel.      Maurice  de  Guerin.  95 

George  Sand  überströmte  von  Dankbarkeit  und  ließ  sich  von 
HauBmann  versprechen,  daß  er  sie  in  Paris  besuchen  würde. 
Er  sprach  auch  bei  der  ersten  Gelegenheit  bei  ihr  vor,  wurde 
aber  nicht  empfangen.  Am  folgenden  Tag  erhielt  er  einige  Zeilen 
von  G.  Sand:  Je  suis  visible  comme  les  etoiles  de  minuit  ä  qiiatre 
/teures  du  matin.  Herr  Haußmann  antwortete  darauf  ziemlich 
witzig,  eine  Zusammenkunft  werde  unter  diesen  Umständen 
schwerig  sein.  Er  sei  kein  Stern,  sondern  gleiche  der  Sonne 
<larin,  daß  er  am  Abend  zu  Bett  gehe  und  am  Morgen  wieder 
aufstehe.  Die  Korrespondenz  scheint  mir  in  dieser  Form 
nicht  ganz  glaubwürdig  zu  sein. 

W.  Haape. 


l--ef  ranc,  Abel.  Maurice  de  Guerin.  D'apres  des  documents 
inkiits.  Ouvrage  orne  d'un  portrait  et  de  cinq  gravures. 
(Les  Lettres  et  les  idees  depuis  la  Renaissance.)  Paris, 
Champion,  1910.     II  und  321  ss.     5  frs. 

Die  schöne  Biographie,  die  uns  Lefranc  von  dem  feinsinnigen 
Dichter  Maurice  de  Guerin  gibt,  ergänzt  die  Kenntnis,  die  man 
bisher  von  ihm  hatte,  nach  mehr  als  einer  Richtung;  leider  läßt 
sie  noch  mit  Absicht  einiges  im  Dunklen,  das  die  Bewunderer 
Guerins,  zu  denen  ich  mich  zähle,  noch  gerne  genauer  gekannt 
hätten.  Denn  das  Leben  —  das  intime  Leben  —  eines  Dichters, 
dessen  Briefe  und  Tagebuch  einen  wesentlichen  Bestandteil 
seines  bagage  litteraire  bilden,  zu  kennen,  wird  man  immer  die 
Notwendigkeit  fühlen;  und  wenn  dieses  Gefühl  nicht  ganz  be- 
friedigt vvird,  so  bleibt  immer  eine  gewisse  Unbehaglichkeit,  die 
die  Lektüre  der  schönen  Darstellungen  landschaftlicher  Bilder 
oder  der  zarten  Naturstimmungen  der  verschiedenen  Jahreszeiten 
nicht  ganz  bannen  kann.  Ich  spreche  dai'um  den  Wunsch  aus, 
daß  der  Schleier,  der  über  einigen  Ereignissen  dieses  unglücklichen 
Künstlerlebens  noch  gehalten  ^^^rd,  möglichst  bald  gelüftet  werde, 
und  unterstütze  weiterhin  lebhaft  das  Verlangen  des  Verfassers  der 
vorliegenden  Biographie  Guerins  nach  einer  vollständigen  Ausgabe 
der  Werke  von  Maurice  de  Guerin  und  seiner  Schwester  Eugenie. 

Lefrancs  Buch  gibt  in  vier  Kapiteln  eine  eingehende  Dar- 
stellung des  Lebensgangs  und  der  Entwicklung  Guerins,  w^obei 
er  wesentHch  darauf  ausgeht,  die  von  den  bisherigen  Darstellungen 
weniger  berücksichtigten  Beziehungen  eingehender  darzustellen, 
und  die  weniger  genau  oder  unrichtig  gegebenen  Darstellungen 
einzelner  Episoden  dieses  kurzen  Lebens  (außer  den  oben  an- 
gedeuteten) aufzuhellen.  Die  geistige  und  künstlerische  Ent- 
wicklung und  die  Geschichte  der  Werke  im  Zusammenhang  mit 
dem  Leben  Guerins  wird  sorgfältig  berücksichtigt. 

Im  Verlauf  der  Darstellung  sind  eine  Reihe  von  zum  Teil 
unveröffentlichten  Dokumenten,    die  sich  auf  Guerin  beziehen 


96  Rejenile  und  Rezensionen.     TT'.  BctUJens[. erger. 

oder  von  ilim  selbst  sind,  zum  Abdruck  gebracht.  Außerdem 
enthält  der  Anhang  noch  nicht  pubhzierte  Briefe  und  eine 
Anzahl  von  ebenfalls  meist  noch  nicht  herausgegebenen  Werken 
von  Maurice  de  Guerin,  sowie  einige  auf  ihn  bezügliche  Gedichte 
seiner  Schwester  Eugenie;  die  beiden  ersten  Teile  dieses  Anhangs 
sind  zwei  der  Erstlingsartikel  Guerins,  die  seit  ihrer  ersten  Ver- 
öffentlichung nicht  wieder  gedruckt  worden  w^aren. 

Dem  Buch  fehlt  ein  Index;  es  ist  das  sehr  schade,  weil  es 
die  Brauclibarkeit  des  Buchs,  das  nach  einer  ersten  Lektüre 
durchaus  nicht  wertlos  geworden  ist,  wesentlich  erhöhen  würde; 
wenigstens  ein  Index  der  Eigennamen  sollte  gegeben  sein;  ein 
Sachindex  könnte  wohl  entbehrt  werden. 

Tübingen.  J.   Haas. 


I>ovlne?*c«,  Eugcme.  Jean-Jacques  Weiss  et  son  ceuvre 
liUeraire  avec  une  preface  de  E.  F  a  g  u  e  t.  Paris  1909. 
X,  169  S.     8f>. 

Einen  scheinbar  so  offenen,  so  rückhaltlos  sich  gebenden  und 
doch  wieder  so  widerspruchsvollen,  komplexen  Geist,  wie  J.  J.  Weiss 
es  gewesen  ist,  zu  entziffern,  war  kein  gewöhnliches  Unter- 
nehmen. Der  Verfasser  hat  sich  seiner  Aufgabe  nicht  bloß  mit 
sichtlichem  Interesse  hingegeben,  sondern  auch  mit  innerer, 
liebevoller  Anteilnahme  an  dem  Gegenstand,  als  ob  er  mit  dem 
schon  vor  20  Jahren  verstorbenen  Schriftsteller  in  engerem 
Freundschaftsverhältnis  gestanden  hätte.  Er  gibt  uns  zuerst 
ein  in  lebendigen  Farben  gemaltes  und  durch  manche  glücklichen 
und  wirksamen  Zitate  aus  den  Weiss'schen  Werken  ausgestattetes 
Lebensbild  des  Mannes.  Wir  erfahren  hier,  daß  er  aus  einer 
Rassen-  und  Religionsmischung  (sein  Vater  war  ein  protestanti- 
scher Elsässer  und  seine  Mutter  eine  kathoüsche  Baskierin) 
hervorging.  Wir  hören  von  seiner  wanderfrohen  Jugend  durch 
ganz  Frankreich,  von  seinen  Studien,  seinen  ersten  literarischen 
Erfolgen  (darunter  seine  knappe,  aber  sehr  gehaltvolle,  viel- 
gepriesene Doktordissertation  über  Goethes  ,, Hermann  und 
Dorothea"),  seiner  Neigung  zur  militärischen  Laufbahn,  seiner 
Dozentenwirksamkeit  auf  dem  Gebiete  der  schönen  Literatur 
und  der  Geschichte  in  verschiedenen  Provinzstädten,  bis 
er,  in  der  Hauptstadt  ansässig  geworden,  seinen  Übergang 
in  die  Journalistentätigkeit  vollzog.  Dann  beginnen  seine 
pohtischen  Irr-  und  Kreuzwege,  da  er,  zuerst  ein  offener 
Gegner  des  Napoleonischen  Regimes,  zur  Aussölmung  mit 
demselben  und  zur  Übernahme  hoher  Staatsämter  gerade  den 
Moment  auswählte,  als  der  Sturz  des  Kaiserreichs  vor  der  Türe 
stand,  dann  einige  Zeit  wieder  die  Republik  bekämpfte,  um  sich 
nachher  von  Gambetta  als  Ministerialdirektor  berufen  zu  lassen 


Lovinesco,  Eugene.    Jean-Jacques  Weiss  et  son  ceuvre  liltiraire.    97 

bis  er  zuletzt  wegen  allen  diesen  \\'andlungen  überall  Mißtrauen 
erweckte  und  sich  ins  Privatleben  zurückzog.  An  die  biographische 
Skizze  schheßen  sich  eingehende  und  lichtvolle  Untersuchungen 
über  die  Geistesart,  die  Moral  (dies  Kapitel  ist  fälschUciier  Weise 
mit  V  statt  IV  bezeichnet),  den  Idealismus  von  J.  J.  Weiss,  über 
seine  Bevorzugung  der  ,, mittleren'"'  bürgerlichen  Lebensweise, 
über  den  sentimentalen  und  phantasiereichen  Zug  in  seinem 
Wesen,  über  seine  Literatm^,  Ivritik,  Geschichte  und  historisches 
Drama  betreffenden  Ideen.  Allen  diesen  Darlegungen  sind  reich- 
liche Belegstellen  aus  den  Weiss 'sehen  Schriften  und  überhaupt 
aus  der  ganzen  Literatur  des  19.  Jahrh.  beigegeben,  welche  den 
Wert  und  das  Interesse  der  Studie  erhöhen.  Wenn  es  dabei 
manchmal  zu  unliebsamen  Wiederholungen  kommt,  die  der  Ver- 
fasser selbst  mit  den  oft  eingestreuten  Sätzen:  comme  nous  Vavons 

dit,   nous  üvons  d'ailleurs  dejä  remarque,   nous  savons  que 

kenntlich  macht,  so  liegt  das  an  der  Gruppierung  des  Stoffes. 
Schon  die  obige  Kapitelaufzählung  zeigt,  daß  Dinge  auseinander 
gehalten  und  gesondert  besprochen  werden,  die  in  der  Wirklich- 
keit ineinander  greifen  und  sich  gegenseitig  bedingen.  Z.  B. 
wäre  manches  von  dem,  was  man  unter  der  Rubrik  ,,Ideahsmus" 
zu  lesen  bekommt,  ebensogut  auch  in  dem  Kapitel  über  die 
Moral  am  Platze.  Andererseits  steht  Kap.  VII  zu  weit  ab  von 
der  Erörterung  über  den  Idealismus,  denn  das  dort  behandelte 
sentimentale  Wesen  ist  eine  Form  des  demselben  Subjekt  eigenen 
Mitleids  und  eine  Hauptwurzel  seines  Idealismus.  Vielleicht 
hätte  die  ganze  Studie  an  Geschlossenheit  gewonnen  durch  eine 
Anlage,  die  nicht  sowohl  den  Geist  des  Mannes  in  seine  ver- 
schiedenen Bestandteile  zu  zerlegen,  als  vielmehr  sein  gesamtes 
geistiges  Wesen  der  Reihe  nach  in  den  verschiedenen  Lebens- 
gebieten zu  erfassen  suchte,  so  daß  uns  etwa  nacheinander  der 
Mensch,  der  Bürger,  der  MoraUst,  der  Schriftsteller,  der  Kritiker 
usw.  vorgeführt  worden  wären.  Doch  so  oder  so,  der  Gegen- 
stand, den  Herr  Lovinesco  behandelt  hat,  ist  so  farbenreich, 
die  geistige  Individuahtät  von  J.  J.  Weiss  bietet  so  merkwürdige 
Kontraste,  daß  der  Leser  diesem  Lebensbilde  mit  größter  Span- 
nung folgt.  Selten  dürften  so  ausgesprochene  Gegensätze  sich  in 
einer  Seele  harmonisch  zusammengefunden  haben:  ordnungs- 
hebend,  kleinbürgerlichen  Verhältnissen  zugetan,  verzehrt  sich 
Weiss  in  aufregender  jom'naUstischer  Tätigkeit  im  Lärm  der 
Millionenstadt;  er  bleibt  Junggeselle  sein  Leben  lang  und  schwärmt 
für  trautes  Familienleben,  für  die  Poesie  des  Herdes;  er  hat 
einen  ausgesprochenen  Hang  zu  morahschen  Betrachtungen, 
preist  Sittlichkeit  und  Ehrbarkeit,  und  läßt  sich  durch  seine 
Phantasie  zu  gewagten  und  zweideutigen  Behauptungen  hin- 
reißen, er  ist  ein  Mann  von  großer  Urteilskraft  von  feiner  Unter- 
scheidungsgabe und  kann  sich  selbst  nicht  führen  im  öffenthchen 
Leben;  er  ist  gleich  begeistert  für  Lessing  und  Boileau,  für  Goethe 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVIP.  7 


98  Referate  und  Rezensionen.     Oscar  Grojean. 

und  Moliere;  seine  Arbeiten  befassen  sich  mit  Hermann  und 
Dorothea,  mit  Epictets  Lehre,  mit  dem  römischen  Strafverfahren, 
mit  dem  sozialen  Einfluß  Molieres  usw.  Wie  er  in  seiner  zarten 
Jugend  mit  dem  Regiment,  dem  sein  Vater  angehörte,  durch 
das  ganze  Land  hindurchstreiftc,  so  bleibt  er  bis  zu  seinem 
Lebensabend  ein  Landstreicher.  Etwas  Unberechenbares  lebt 
in  ihm.  Seine  Arbeiten  sind  fragmentarisch.  Die  allgemeinen 
Gedanken  können  bei  ihm  nicht  ausreifen.  Er  ist  voller  Einfälle, 
voll  packender  Apercus,  man  möchte  ihn  als  Impressionisten 
kennzeichnen. 

Zur  Erklärung  der  Antinomien  in  der  Persönlichkeit 
von  .1.  .1.  Weiss  hat  der  Verfasser  mit  Recht  die  Verschie- 
denheit der  Abstammung  seiner  Eltern  herangezogen.  Das 
dürfte  aber  noch  insbesondere  dahin  ergänzt  werden,  daß  er 
schon  durch  seinen  elsässischen  Vater  eine  doppelte  Seele 
in  sich  trug.  So  wäre  auf  eine  weitere  ethnologische  Einwirkung 
zweiten  Grades  zu  rekurrieren,  um  die  aus  so  heterogenen  Elementen 
zusammengesetzte  Persönlichkeit  und  insbesondere  das,  was  der 
Verfasser  "l'esprit  m  o  y  e  n  de  J.  J.  Weiss"  nennt,  zu  erklären. 
Weiss  war  der  ausgeprägte  Typus  des  Elsässers  vor  dem  Jahre 
1870,  der  in  der  Gesinnung  ganz  französisch  geworden,  starken 
politischen  Patriotismus  hegte  und  dabei  doch  gewisse  Gemüts- 
seiten und  Geistesanlagen  germanischer  Art  festhielt,  ein  Typus, 
den  er  einmal  selbst  in.  trefflicher  Weise  so  charakterisierte: 
«Elsaß  ist  ein  deutscher  Dichter,  der  französischer  Soldat  ge- 
worden ist.  Wir  andere,  Kinder  jener  Provinz,  wir  lesen  lieber 
An  die  Freude  als  die  Oden  des  pindarischen  Lebrun,  und  der 
Verfasser  vom  Werther  wird  unserem  Herzen  immer  näher  stehen 
als  der  von  Zadig.»  Es  bewährt  sich  auch  in  diesem  Falle,  daß 
man  durch  biographische  Studien  Land  und  Leute  richtiger 
einschätzen  lernt,  als  mit  Hilfe  allgemeiner,  von  der  politischen 
Geschichte,  der  Rassentheorie  und  der  Geographie  abstrahierten 
Maßstäbe. 

W.    BaLDENSPERCtER. 


C'losset,  «f  osepla.  Table  alphahkique  des  ouvragcs  liUeraires 
wallons,  suivie  d'iine  Table  generale  par  noms  d'aiiteiirs 
( Theätre,  poesie,  prose,  travaux  divers)  publice  sous  les 
auspices  de  r«Association  des  auteurs  dramatiqucs  et 
Chansonniers  wallons».  Liege,  Imprimerie  «La  Meuse», 
1910,  8^  253  p. 

A  l'Exposition  universelle  et  internationale  de  Bruxelles, 
une  place  speciale  avait  ete  reservee  ä  la  Litterature  wallonne,  dans 
la  section  des  Lettres.  On  y  exposait  en  meme  temps  que  les 
portraits   de   quelques   hommes   de   lettres,   un  certain  nombre 


Closset,  Joseph.     Table  alphabeliqiU   ^'c.  99 

d'ceuvres  wallonncs.  C'cst  ä  l'uccasion  de  cctte  exposition  quo 
M.  Joseph  Gösset,  tresorier  de  TAssociation  des  auteurs  drama- 
tiques  et  Chansonniers  wallons,  secretaire  de  la  Federation 
wallonne,  a  compile  la  bibliograpliie  dont  j'ai  transcrit  le  titre. 
Cette  bibliographie  se  compose  de  deux  parties:  a)  une  table 
alphabetique  des  ouvrages;  b)  une  table  generale  par  noms 
d 'auteurs. 

La  premiere  partie  compte  quatre  subdivisions: 
1^)  les  Ouvrages  dramatiques  (pages  5  a  72), 
2'^)  les  Ouvrages  en  prose  (pages  73  ä  74), 
3^)  les  Recueils  d'ceuvres  poetiques  (pages  75  k  82), 
4P)  les  Travaux  divers  (pages  83  ä  88). 
Sous  cette  derniere  rubrique,rauteur  a  classe  tous  les  ouvrages 
qui  ne  rentraient  pas  dans  une  des  trois  categories  precedentes; 
ä  cote  des  almanachs  poetiques  on  y  trouve   l'enumeration  des 
travaux  de   philologie   et  d'histoire   publies   par  la    Societe    de 
litterature  wallonne. 

La  Table  alphabetique  consiste  surtout  en  une  liste  d'ouvrages 
dramatiques:  tandis  qu'il  ne  releve  que  34  titres  d'ceuvres  en 
prose,  et  190  de  recueils  en  vers,  M.  C.  enumere  1961  ouvrages 
dramatiques.  Ces  titres  ne  laissent  pas  que  d'etre  interessants 
ä  parcourir.  On  y  verra  qu' Amour  figure  dans  35  titres  de 
comedies  ou  de  drames,  voire  de  vaudevilles;  Cabaret  dans  7, 
de  meme  que  Diäle;  efant  dans  10,  comme  Heritedje  et  Vin- 
djince;  Farce  dans  12;  Mariedje  dans  15;  Rabroiihe  dans  18; 
Truc  dans  20;  je  laisse  aux  esprits  philosophiques  le  soin  de  tirer 
de  ces  chiffres  d'ingenieuses  conclusions. 

Aussi  bien,  trouve-t-on  de  tout  dans  ces  titres:  les  belles- 
meres,  le  "peket",  les  coqs,  les  pigeons,  les  "crapaudes",  inspirent 
egalement  l'ecrivain  wallon,  de  la  meme  maniere  que  le  soldat, 
^i^Togne,  le  "galant"  et  la  servante.  Des  chefs  d'oeuvre  de 
Moliere  s'y  discernent  (Le  medecin  malgre  lui  a  ete  imite  par 
trois  auteurs  differents)  et  il  n'est  pas  jusqu'aux  ecrivains  fran- 
cais  les  plus  recents  qui  n'aient  suscite  des  imitateurs:  Riyete 
traduit  BlancheUe  de  M.  Brieux,  et  Cyrano  di  Berdjirowe  rappello 
le  heros  fameux  de  M.  Edmond  Rostand. 

Plus  d'une  fois,  des  auteurs  differents  se  sont  rencontres 
dans  le  choix  d'un  titre.  G'est  le  cas  pour  les  Deüs  neveüs  et 
les  Deüs  sorodjes,  L' amour  et  l'ärdjint,  Destineye  et  Djalos'reye; 
Qwand  on  aime\  Li  peket  et  ^ou  qui  l'peket  fait  je.  II  y  a  deux 
Bastäd.  deux  Colebeü,  deux  Fördjeü^  deux  Djoweüs  d'coniMeye, 
deux  Parmiou  (ce  qui  est  peu)  et  trois  Somnambules  (ce  qui 
est  beaucoup).  Un  meme  proverbe  (Tot  gou  qui  r'lül  n'est  nin 
d'l'or)  ou  un  meme  "spot"  (Treüs  tchets  pon'  soris)  a  servi 
ä  plusieurs  auteurs,  pour  qui  la  sagesse  des  nations  n'a  pas  de 
secrets.  Trois  pieces  se  prenomment  Bertine.,  quatre  Louise^ 
trois  Nanete,  quatre  Ninie  et  deux  Ugene:  c'est  une  belle  famille! 

7* 


100  Referate  und  Rezensionen,    Oscar  Grojean. 

M.  C.  a  classe  les  oeuvres  dans  un  ordre  strictement  alpha- 
betique,  en  tenant  compte  de  l'adjectif.  Lorsque  le  titre  est 
double,  il  renvoie  au  second  titre.  Chaque  fois  qu'il  la  connait, 
il  indique  entre  parentheses  la  date  d'edition  de  l'ouvrage.  Si 
celui-ci  est  une  traduction,  mention  en  est  faite. 

Ge  serait  parfait,  si  la  table  ne  pretait  assez  souvent 
le  flanc  ä  la  critique. 

En  ce  qui  concerne  le  classement,  les  principes  appliques 
par  M.  G.  ne  me  semblent  pas  bien  rigoureux. 

Si  vous  classez  sous  la  lettre  A,  A  l'craquerie,  A  l'since, 
il  faut  traiter  de  la  meme  maniere:  A  Beyerloo,  A  l'blanke  since, 
A  Ghivrimont,  A  concours,  A  Gonseye,  A  redjimint,  A  l'ocäsion, 
A  l'pompe,  A  l'porsüte,  A  l'sälle,  Au  cabaret,  Au  cler  di  lune, 
Au  Gongo,  Aux  chonq  clotiers.  II  faut  classer  A  bon  tchet, 
bon  rat  et  A  cliaskeune  si  lot  comme  A  chaque  marihä,  s'clä; 
A  cäse  comme  Ä  t'fait;  Chez  Baptisse  comme  Chez  l'commissaire ; 
E  l'couleye,  e  fond  Pirette,  e  Tsalle,  En  villegiature  comme  e 
manedje;  Nos  djones  maries,  Nos  marcatchous,  Nos  paysans, 
Nos  tchanteüs,  Nosse  gärde-champete,  comme  Nos  p'tits  bordjeus; 
/  fät  de  songue  comme  /  faut  qui  säurte;  Mes  baceles.  Mi  belle- 
mere,  Mi  wezene,  Mes  saies,  Mds  tchansons  comme  Mes  pus 
bais  moumints;  Po  n'heritedje  comme  Po  n'cuisiniere ;  Po  l'djoü 
de  noye  comme  Po  l'djoü  de  tiredje;  Quene  kumeleye  comme 
Que  Disdü;  Si  feye  comme  Nosse  feye;  So  male  vöye  comme 
So  l'fagne;  Queques  cöps  d'penne  comme  Queques  boquets:  etc. 

Gertains  renvois  manquent,  par  exemple :  Deüs  soürs  (Gillai'd), 
Grisou  (Volont),  Mal'  etindou  (Quintin),  Once  di  Bonheur  (Etienne), 
Trompi  (Lahaye).  Page  61,  mentionner  Sous  scelles  de  Hespel; 
p.  17  biffer  la  seconde  mention  de  Come  i  fät  s'i  prindc. 

Dans  la  Table  alphabetique,  "trad.  X,  traduc.  X,  trad.  de  X" 
signifie  que  X  est  l'auteur.  Dans  la  Table  generale,  "trad.  X" 
(cf.  p.  99)  veut  dire  que  X  est  le  traducteur.  La  clarte  exigerait 
que  ces  formules  fussent  differenciees. 

Pendant  que  nous  en  sommes  aux  traductions,  ajoutons 
page  26  que  Eterr'mint  d' Credit  est  traduit  de  Hespel;  le  Med' ein 
maugre  lu  (p.  43)  de  Moliere;  Biec  di  Fier  (p.  69)  de  Henri  Simon; 
la  piece  de  Louis  Bodart  (p.  65)  a  ete  traduite  en  montois  par 
Maurice  Garez  et  Fernand  Dessart  sous  lo  titre  EI  trouvajje  du 
champdte. 

Dans  sa  transcription  des  titres,  M.  G.  ne  s'astreint  pas  a 
reproduire  Torthographe  des  auteurs.  II  use  generalement  de 
graphies  plausibles,  mais  non  pas  immuables;  il  eciüt  par  exemple, 
dans  un  meme  titre:  Francoes  (p.  21)  et  Francwes  (p.  107), 
Sorodjes  (p.  22)  et  Soroches  (p.  244).  Ge  qui  est  plus  grave,  c'est 
qu'il  ne  respecte  pas  les  varietes  dialectales  et  qu'il  trahit  une 
fächeuse  tendance  ä  tout  ramener  au  type  liegeois:  il  öcrit,  page  57, 
bidons  pour  bid^ons  (tournaisien),  et  l'oeuvre  que   Jos,  Dufrane 


Closset,  Joseph»     Table  alphabetique  SfC.  101 

intitulait:  Les  Tois  swhaiis  devient  ädeux  reprises,  sous  sa  plume: 
Les  treüs  sohaits  (p.  65  et  p.  110). 

J'en  viens,  ä  present,  ä  la  Table  generale.  Celle-ci  groupo 
497  noms  d'auteurs.  Cliaque  fois  qu'il  l'a  pu,  M.  Clossct  a  men- 
tionne  la  dato  de  naissance,  et,  le  cas  echeant,  celle  de  deces. 
A  defaut  de  ce  renseignement,  il  a  indique  la  localite  oü  l'auteur 
reside.  En  dessous  du  nom  figurent,  dans  un  ordre  plus  ou 
moins  alphabetique,  les  titres  des  ceuvres. 

A  la  suite  des  titres  d'ouvrages  dramatiques,  M.  G.  Signale 
oü,  quand  et  par  quelle  troupe  ou  societe  la  piece  a  ete  representee 
pour  la  premiere  fois. 

La  Table  ne  donne  pas  de  description  bibliographique  des 
Oeuvres  imprimees.  Elle  a  ete  congue  dans  un  but  pratique  et 
na  pas  de  visees  scientifiques. 

Elle  est  surtout  informee  de  la  production  dramatique, 
particulierement  de  la  liegeoise.  Mais  quant  au  reste,  eile  offre 
d'inexplicables  lacunes.  C'est  ainsi,  pour  prendre  un  exemple, 
que  ]VI.  Maurice  Wilmotte  n'est  mentionne  qu'en  raison  de  sa 
collaboration  avec  MM.  Tilkin  et  Vrindts:  les  nombreux  ecrits 
qu'il  a  consacres  au  wallen  et  ä  son  histoire  litteraire  sont  passes 
sous  silence.  On  lit  avec  stupeur  qu'il  a  transporte  ses  penates 
ä  Dison.  M.  C.  eüt  complete  ou  rectifie  sans  peine  ses 
renseignements  en  ouvrant  la  Bibliographie  academique  belge^) 
et,  de  meme,  il  eüt,  je  crois,  tire  profit  de  la  fr^quentation  des 
bibliographes,  de  Theux,  Weber,  Doyen,  etc. 

J'ai  examine  les  60  premieres  pages  de  la  Table  qui  enumerent 
188  auteurs  (Adolphy-Duysens). 

Voici  quelques  observations :  A  1  c  i  d  e  -  P  r  y  o  r:  les  editions 
Separees  des  Boutades  et  des  Chansons  ne  sont  pas  mentionnees.  — 
Alexandre  (A  n  t  o  i  n  e  -  J  o  s  e  p  h)  ,  ajouter  Virgile  ä 
Manche  (1855).  —  Bailleux  (Frangois),  ajouter  Disjinse 
(1842),  Mareie  (1889).  —  B  a  r  i  1 1  e  (F  r  a  n  g  o  i  s),  ne  le  19  no- 
vembre  1821,  ajouter:  Sov'nir  des  fiesses  di  Lige  (1861).  —  Baron 
(Henri),  ajouter:  Hoväte  et  Pastedji  (1895),  On  mät  d'Cocagne 
ä  St.  Phoyin  (1899);  Coiihenire  et  chervante  a  ete  ecrit  en  colla- 
boration avec  M.  Henri  Aerts.  —  B  a  r  t  h  o  1  o  m  e  z  (C  h  a  r  1  e  s), 
n6  le  24  janvier  1868,  ajouter:  Jacques  et  Colas  a  l'fiesse  (1885), 
On  peil  po  raii  n'fäve  (1891),  On  marüdje  di  pörgulaine  (1892), 
Qwand  Vbonheiir  vout  (1892).  —  Baurin  (Augustin),  n6  ä 
Gouylez-Pieton,  le  30  juillet  1868.  — Bauwens  (Frangois), 
Spitche,  Matche  et  Hasse,  supprimer:  coli.  J.  Willem.  —  B  e  r  t  h  a  - 
1  o  r ,  ä  la  traduction  de  Lermusiaux  ajouter  celle  de  Tilkin.  — 

^)  Academie  royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de 
Belgique.  —  Notices  biographiques  et  bibhographiques  concernant 
les  nembres,  les  correspondants  et  les  associes.  1907 — 1909.  5me 
Edition,  p.  652. 


102  Referate  und  Rezensionen.     Oscar  Grojean. 

B  0  d  a  r  t  (Louis)  a  traduit  Li  galant  da  Fijine  et  Li  novel  an 
de  J.  Willem;  sa  piece  Li  Trovaye  do  Champete  a  ete  traduite  en 
montois  par  Maurice  Carez  et  Fernand  Dessart.  —  B  o  1  a  n  d 
(Louis)  a  pour  pseudonyme:  Albin  Souldo.  —  Boncher 
(E  1  0  i),  ajouter:  In  mört  qiii  vike  (1901),  Poii  in  betche  (1902), 
Justine  Maclotte  (1902).  —  Bosquetia,  ajouter:  CEuvres 
clioisies^  2e  edition,  1898;  corriger:  Pierrot  vet  co,  Les  tois  swhaits. 
—  Bovy  (T  h  e  0  p  h  i  1  e),  ajouter:  Li  cusin,  Plaisir  des  vis 
(1890).  —  B  r  a  h  y  (C  h  a  r  1  e  s),  ajouter:  Li  comptäbe  et  Vbanqui 
(1889).  —  B  r  u  n  e  h  a  u  1 1.  Les  ouvrages  de  Pierre  Brunehault 
(Pseudonyme)  sont  classes  ä  Leroy  (Auguste),  mais  alors  pourquoi 
classer  ä  Bosquetia  les  oeuvros  de  Joseph  Dufrane  ?  —  B  u  r  y 
(D  i  e  u  d  0  n  n  e),  ajouter:  Bahioles  et  Respleüs  (1893);  Que 
Tricbal  a  ete  ecrit  avec  la  collaboration  de  Jean  Bury.  —  B  u  r  y 
(Je'an),  ajouter:  Novais  crätnignons  (1887),  Ine  amoür  inte 
deüs  ewes,  Li  Banste  d'oüs,  Botresse  et  niessedji  (1891),  Djote  po 
djote  (1890),  Les  deüs  droles  (1891),  Les  deüs  fiyous  (1892), 
Deüs  Flaminds  d'cins  des  laids  draps  (1893),  On  manedje  d'or- 
phulins  (1887),  Nos  bons  vis  (1894),  Li  r'viniche  d'on  riväl  (1892), 
On  sot  manedje  (1894);  en  collaboration  avec  Deforeit:  Ine  rivintche 
di  crapautes  et  Po  marier  Zabelle;  avec  D.  Bury:  Que  tricbal.  — 
Bury  (T  0  u  s  s  a  i  n  t),  ajouter:  Chaque  si  toür  (1905),  Cusin 
Eugene.,  Li  crapaute  d'on  piote  (1890),  Tchin  et  tchet.  —  B  u  r  y. 
Les  trois  Bury  ont  public:  P)  avec  Emile  Jeanne:  Po  je  rire 
(1894),  2°)  avec  Emile  Jeanne  et  Leon  Pirsoul:  Po  tchanter,  rire 
et  je  rire  (1894).  —  Carez  (Maurice),  ajouter  trois  monologues : 
El  pou  imbitieux,  El  petit  pichon,  C'est  l'Jeudi  saint.  —  C  e  r  k  o 
(Nestor  Serckx),  ne  ä  Jodoigne,  le  14  avril  1865,  ajouter:  Andje 
et  demon  (1899).  —  C  h  a  u  v  e  h  e  i  d  (Gilbert),  ne  ä  Stavelot, 
I(i  6  fevrier  1878.  —  C  o  1 1  a  r  d  (Victor),  Li  tindriye  ä  Vamou- 
rette  a  ete  traduit  en  wallon  liegeois  par  Henri  Baron.  —  Colli- 
gnon  (Constant),  ajouter:  El  potche  da  Noye.  —  C  o  1  s  o  n 
(Julien),  Chansons  patoises  (1862).  —  Cornet  (Louis), 
ajouter:  Neür  et  blanc.  —  Cornet  (V  i  c  t  o  r),  Berwete  et  Mant- 
chete  (1892)  a  ete  ecrit  en  collaboration  avec  F.  Massart.  —  D  e  - 
cleve  (Jules),  ajouter:  Le  wallon  montois  (1904);  sa  Biblio- 
graphie qui  remonte  ä  1895  compte  110  numeros.  —  Deforeit 
(Giemen  t),  ajouter:  Enne  plainte  au  r'ceveü  (1902).  —  Defo- 
reit (Eugene):  Questionnere  wcdlon  des  d' Jones  jiyes  (1903).  — 
Defrecheux  (Josep  h),  ajouter:  Details  anecdotiques  sur 
Nicolas  Dejrecheux  (1891),  en  collaboration  avec  Charles  Defre- 
cheux; Les  Prenoms  liegeois  (1890)  en  collaboration  avec  Leopold 
Chaumont;  Recueil  de  comparaisons  populaires  wallonnes  (1886).  — 
D  e  h  i  n  (Joseph),  ajouter:  Li  Baraque  a  l'bencye  martchandeye 
(1846),  On  d'meye  jranc  s'i  v' platt  (1847).  —  D  c  h  o  u  s  s  e  (C  o  n  - 
s  t  a  n  t),  ajouter:  Li  Tchässeye  (1904).  —  D  e  1  a  r  g  o  (G  u  i  1  - 
1  a  u  m  e),    ajouter:    Chansons   et    poesies    wallonnes    (1870).    — 


Closset^  Joseph.     Table  alphahetiqiie  Sfc.  103 

D  e  1  c  li  0  f  (A  n  d  r  e),  ajouter:  Pauline  Closoii  (1882).  —  D  e  o  m 
(Clement),  ajouter:  On  cöp  d'maisse  (1890).  —  Deprez 
(J  0  s  e  p  h),  ajouter:  Les  deüs  hons  wezins  (1879).  —  Derache 
(Charles),  ajouter:  Prumis  cöps  d'ele  (1900).  —  Derycke 
(E  d  m  o  n  d),  ne  ä  Watcrloo,  le  19  octobre  1877.  —  Dcspret 
(Emmanuel),  secretaire  communal  ü  Monstreux,  ajouter: 
.Les  maisses  sont  soürtis  (1897).  —  Dovigne  (Auguste), 
ajouter:  Les  deüs  Camerluches  (1894),  en  collaboration  avec 
Arthur  Pottier;  traduction  liegeoiso  par  Jean  d'Archambeau.  — 
D  o  u  f  f  e  t  (Jean),  ajouter:  Pierdoii  (1903),  Quhie  sise  (1901), 
Rapayon  (1904). 

Sous  la  rubrique  '"Travaux  divers"  M.  Closset  cite  des  al- 
manachs  et  recueils  de  melanges.  Je  m'etonne  de  n'y  pas  trouver 
la  liste  des  journaux  wallons,  des  annuaires  et  des  periodiques, 
entre  autres  rexcellente  rovue  Wallonia.  Mais,  dans  la  partie 
de  la  Table  generale  ä  laquelle  j'ai  borne  mon  examen,  manquent 
beaucoup  de  noms  d'ecrivains  qui  devraient  s'y  rencontrer,  si 
cette  table  pretendait  former  un  inventaire  complet. 

Je  pourrais  aligner  soixante-dix  noms  et  plus;  pour  ne  pas 
allonger  outre  mesure  ce  compte-rendu,  je  citerai  seulement: 
Thomas- Joseph  Angenot,  S.  Baron,  J.-F.  de  Bassompierre, 
Guill.  Bastin,  Bernard  Bellefontaine  (Bebe),  Leon  Bernus,  Arthur 
ßoccart,  Henri  Bonhomme,  G.  Borckmans,  Nicolas  Bosret, 
Aug.  Cader,  Felix  et  Leopold  Chaumont,  Maurice  Coupez,  Ad. 
Delmee,  Henri  Delmotte,  Astere  Denis  (A.  Delflüte),  Louis  Dufrane, 
Duvivier  de  Streel. 

Enfin,  n'eüt-il  pas  fallu  mentionner  les  Pseudonymes  qui 
dissimulent  les  auteurs  dont  on  donne  certaines  oeuvres  ?  Boiirleii 
est  le  Pseudonyme  d'Ad.  Wattiez;  Biscowitche,  celui  de  Clem. 
Deforeit;  Bocai^  celui  de  L.-J.  Jacob;  Gilles  Contribiilion,  celui 
de  Lohest.  Antoine  Bouhon  a  pour  pseudonyme  Lak-mouse; 
Theophile  Bovy,  Gille  Peto'ie,  L'homme  äs  hiettes,  Sizet;  Maurice 
Carez  signe  Jules  Lermusiaux]  Ch.  Dausias  Roial;  Emmanuel 
Despret,  Manu  du  Cou-r'iiaud. 

En  resume,  et  pour  conclure,  il  s'en  faut  que  Tceuvre  de 
M.  J.  Closset  soit  exempte  de  lacunes  ou  de  defauts.  Plus  pratique 
que  scientifique,  eile  est  particulierement  satisfaisante  en  ce 
qui  regarde  l'art  dramatique  liegeois,  mais  olle  laisse  ä  desirer 
pour  ce  qui  concerne  les  genres  autres  que  le  theätre  et  les  ecri- 
vains  de  dialectes  autres  que  le  liegeois.  Teile  quelle,  eile 
n'en  constitue  pas  moins  une  utile  contribution  ä  la  bibliographie 
de  la  production  litteraire  wallonne,  si  abondante,  si  dispersee 
et  si  difficile  ä  inventorier. 

B  r  u  X  e  1 1  e  s.  Oscar  Grojean. 


104  Referate  und  Rezensionen.     Oscar  Grojean. 

liC  Cliat  volant  de  Verviers,  satire  en  dialecte  ver- 
vietois  de  1641.  Textes,  introduction  et  notes,  par  Jules 
Feiler.  Verviers,  P.  Feguenne,  1910,  8»,  39  p.  (Extr. 
du  Bulletin  de  la  Societe  vervietoise  d' archeologie  et 
d'histoire,  t.  XI). 

A  la  fin  de  l'annee  1641,  une  curieuse  experience  reunissait 
les  bourgeois  de  Verviers  sur  la  place  du  Marche.  L'un  d'eux' 
avait  eu  l'idee  de  «faire  voler  un  chat»!  En  notre  temps  d'aerosta- 
tion,  voire  d'aviation,  il  n'y  a  la  rien  qui  nous  surprenne  et  nous 
concevons  sans  peine  qu'ä  l'aide  d'un  gaz  plus  leger  que  l'air, 
on  songe  ä  soustraire  un  corps  ä  l'action  de  la  pesanteur,  mais 
il  n'en  allait  pas  de  meme  il  y  a  trois  siecles,  et  l'experience  ver- 
vietoise  suscita  la  plus  grande  curiosite.  Les  plus  grandes  de- 
sillusions  egalement,  car  eile  subit  un  echec  lamentable:  lance  du 
haut  d'un  clocher,  le  pauvre  chat,  ä  qui  on  avait  attache  deux 
vessies  sur  le  dos,  vint  s'abattre  piteusement  sur  le  sol.  Le  Wallon, 
ne  malin,  s'en  gaussa,  et  l'aventure  finit  par  un  eclat  de  rire; 
eile  est  restee  proverbiale  au  pays  de  Verviers. 

L'equipee  du  Chat  volant  ne  laissa  pas  d'exciter  la  verve 
d'un  poete  du  crü  et  l'on  vit  paraitre  une  pasquille  de  130  vers, 
qui  tournait  en  derision  la  fameuse  experience  et  raillait  les 
personnalites  qui  y  avaient  ete  melees.  L'auteur,  dont  on  ignore 
le  nom,  etait  de  Stembert,  pres  de  Verviers.  En  ecrivant  son 
oeu\Te,  il  vengeait  ses  concitoyens  que  les  Vervietois  ne  s'etaient 
pas  fait  faute  de  blasonner  cruellement,  un  jour  que  les  Stam- 
bertains  s'etaient  avises  d'enterrer  vivante  une  taupe,  pour  la 
punir  de  ses  rnefaits  .  .  . 

De  cette  satire,  qui  constitue  la  plus  ancienne  oeuvre  connue 
en  dialecte  vervietois,  on  ne  possedait  qu'une  edition  defectueuse 
publiee  en  1880  par  Jules  Matthieu,  bibhothecaire  de  la  ville 
de  Verviers.  M.  Jules  Feller  a  eu  la  bonne  fortune  de  decou\Tir 
une  copie  plus  archaiquc  que  celle  dont  Matthieu  s'etait  servi 
et  de  ces  deux  copies  manuscrites,  qui  remontent  ä  des  traditions 
assez  incertaines  et  en  partie  orales,  il  a  tire,  ä  force  de  sagacite, 
un  texte  parfaitement  lisible,  correct  et  satisfaisant  ä  tous  egards. 
Litterairement,  notre  satire  est  mediocre  mais,  en  revanche, 
eile  est  importante  au  point  de  vue  dialectologique:  M.  Feller 
l'a  enrichie  de  notes  et  d'une  precieuse  introduction  oü  tous  les 
problemes  qu'elle  souleve  sont  savamment  elucides. 

B  r  u  X  e  1 1  e  s.  Oscar  Gro  jean.i 


Ii'abb^  Roii6iselot.     Principes  de  Phonetique  Experimentale. 
Paris,  Leipzig,  Welter.     I.  IL 

Rousselot  gilt  als  Begründer  der  experimentellen  Phonetik. 
Das  ist  die  Wissenschaft,  die  die  Ergebnisse  und  die  Methoden 


L'ahhe  Rousselot.     Principes  de  Phonkiqiie  Expkrimentale.     105 

der  exakten  Wissenschaften  auf  die  Phonetik  anwenden  will. 
Sein  erstes  größeres  Werk  darüber  erschien  1891  und  trug  den 
Titel:  Les  modificnlions  phonetiqiies  du  Langage  etudiees  dans  le 
patois  d'une  fajnille  de  Cellefrouin  (These).  Den  Lesern  dieser 
Zeitschrift  hat  Dietrich  Behrens  einen  Literaturbericht  über 
R.s  Vorläufer  und  eine  Beschreibung  des  Rüstzeuges  gegeben, 
der  Apparate,  die  R.  für  phonetische  Untersuchungen  verwendete.^) 
Jn  demselben  Heft  sprach  E.  Koschwitz  über  die  Hoffnungen, 
die  die  französisch -pro  venzalische  Philologie  auf  die  Experimental- 
phonetik  setzte.  —  Die  Methoden  der  graphischen  Darstellung 
der  Artikulationsbewegungen  und  der  Schwingungen  des  Luft- 
stroms, die  verschiedenen  Maßmethoden  der  akustischen  Ein- 
drücke haben  sich  wesentlich  vervollkommnet.  Auch  an  Gegnern 
hat  es  nicht  gefehlt,  und  zwar  kamen  sie,  wie  das  bei  Grenz- 
wissenschaften gewöhnlich  ist,  aus  den  Lagern  der  beiden  an- 
grenzenden Disziplinen.  Die  Einwände  waren  theoretischer  und 
praktischer  Art.  Die  Naturwissenschaftler  bezweifelten  die 
Exaktheit  einer  mit  allzu  einfachen  Mitteln  arbeitenden  Expe- 
rimentiermethode, und  betonten  die  möglichen  Fehlerquellen, 
die  Linguisten  dagegen  erkannten  zwar  theoretisch  den  Wert 
solcher  Experimente  meist  an,  hatten  aber  Bedenken,  schwierig 
zu  behandelnde,  kostspielige  Apparate  zu  benutzen. 

Das  vorliegende  W'erk  bildet  einen  Abschnitt  in  diesem 
Kampfe  und  ein  Teil  der  Entwicklung  der  \A'issenschaft  spiegelt 
sich  darin  \^•ieder.  1897  erschien  der  erste  Halbband.  1898 
wurde  für  R.  ein  Laboratorium  im  College  de  France  eingerichtet. 
Mit  den  immerhin  bescheidenen,  aber  doch  bedeutend  vermehrten 
Mitteln,  die  dies  ihm  bot,  konnte  R.  seine  Untersuchungen  in 
größerem  Maße  fortsetzen.  1902  war  der  erste  Band  vollständig, 
er  glaubte  sein  Lebenswerk  fast  beendet;  aber  erst  1908  erschien 
der  zweite  Band  (S.  639—1222). 

Diese  Entstehungsgeschichte  erklärt  die  Ungleichheiten  in 
den  verschiedenen  Teilen,  es  erkläi^t,  daß  sich  im  zweiten  Band 
andere  Apparate  und  Resultate  finden  als  im  ersten. 

Aber  es  bedingt  vielleicht  den  Wert  dieses  Buches  mit,  daß 
wir  seine  Entwicklung  verfolgen  können,  daß  es  uns  wie  ein 
wachsendes  Individuum  erscheint.  Wir  begleiten  den  Verfasser 
bei  seinen  Experimenten,  wir  erleben  mit  ihm  die  Umstände, 
unter  denen  die  Aufnahmen  gemacht  werden,  die  wissenschaft- 
lichen Resultate  werden  nicht  ganz  von  den  Affekten  losgelöst, 
die  die  einzelnen  Finderschritte  begleitet  haben:  er  gibt  das 
subjektive  Bild  der  Resultate,  an  deren  objektive  W'ahrheit  er 
glaubt:  vielleicht  ist  das  kein  Lob  eines  solchen  Buches,  vielleicht 
ist  es  die  Bedingung  der  Wahrheit. 

1)   Jahrg.   1892. 


106  Referate  und  Rezensionen.     Arthur  Franz. 

Das  Werk  soll  zum  Studium  der  lebenden  Mundarten  nach 
der  experimentellen  Methode  anleiten  und  die  wichtigsten  Ergeb- 
nisse dieser  Methode  zusammenstellen. 

Der  erste  Halbband  hat  eine  doppelte  Aufgabe.  Er  soll  die 
physikalischen  und  medizinischen  Grundlagen  der  Phonetik  auf 
Grund  der  bisherigen  wissenschaftUchen,  häufig  auf  experimen- 
tellem Wege  gefundenen  Resultate  übersichtlich  darstellen,  und 
die  Apparate  beschreiben,  die  bisher  (1897)  zu  speziell  phone- 
tischen Experimenten  mit  der  graphischen  Methode  angewandt 
worden  sind.  Die  erste  Aufgabe  ist  mehr  pädagogischer  Art.  Sie  wird 
in  folgenden  Kapiteln  meisterhaft  gelöst:  I.  Elements  acoustiques 
de  la  parole.  II.  Moyens  naturels  d' Observation  et  d'experinientation 
(Ohr).  IV.  Analyse  physique  de  la  parole  (timbre).  V.  Organes 
de  la  parole.  Das  dritte  Kapitel:  Moyens  artificiels  d'experinien- 
tation ist  der  Kern  des  Werks.  Die  älteren  Apparate  können 
als  bekannt  vorausgesetzt  werden.  Ich  erwähne  nur  einige  neue, 
die  zum  Teil  im  zweiten  Band  eine  veränderte  und  verbesserte 
Form  bekommen  haben. 

a)  Der  künstliche  Gaumen  dient  der  direkten  Aufzeich- 
nung der  Berührungsstellen  der  Zunge  an  dem  harten  Gaumen.  Eine 
praktische  Herstellungsart  dieses  einfachsten  Apparates  mittels 
Ouranine,  einer  schnelltrocknenden  Flüssigkeit,  wird  S.  1211 
angegeben;  übrigens  ersetzt  man  ihn  jetzt  häufig  wieder  durch 
die  Fäi'bung  des  Gaumens  selbst. 

b)  Die  Registrier-  und  Schreibapparate  weichen  nur 
wenig  von  denen  der  These  (s.  o.)  ab.  Neu  sind  vor  allem  die  zahl- 
reichen praktischen  Erfahrungen  des  gew^andten  Experimentators, 
die  bei  den  einzelnen  Experimenten,  die  später  folgen,  stets 
mit  angegeben  werden.  Neu  ist  die  Betonung  des  Unterschieds 
von  widerstandsfähigen  [rigide)  und  elastischen  Membranen  an  den 
Schreib-  und  Aufnahmetrommeln,  und  ihres  Größenunterschiedes, 
je  nachdem  man  die  Vibrationen  des  Luftstroms  oder  die  Quantität 
der  Luftmenge  und  der  artikulatorischen  Bewegungen  messen 
will.  Beides  vereinigt  für  manche  Fälle  die  ^^oreille  inscriptive'\ 
ein  dem  Ohr  nachgeahmter  Aufschreibeapparat.  S.  572,  576, 
580  finden  sich  die  Abbildungen  von  Apparaten,  die  es  ermög- 
lichen sollen  den  timbre  nasal  zu  isolieren.  Zu  diesem  Zweck 
werden  die  Luftströme  von  beiden  Nasenlöchern  einem  ^.^inscrip- 
teur  de  la  parole  ä  membrane"  zugeführt  (Fig.  363),  oder  der 
Luftstrom  aus  der  Nase  wird  zu  dem  aus  dem  Munde  ausströmen- 
den summiert  und  zugleich  allein  aufgezeichnet  (Fig.  367),  oder 
schließlich  Mund-  und  Nasenluftstrom  werden  beide  isoliert  und 
andrerseits  auch  summiert  aufgeschrieben.  S.  743  wird  eine 
Stimmgabel  mit  Gleitgewichten. abgebildet,  wie  solche  dann  bei 
den  Untersuchungen  über  den  Eigenton  der  Vokale,  wie  sie  der 
Linguist  braucht,  eine  so  große  Rolle  spielen.     Eine  wesentliche 


L'abbe  Rousselot.     Principes  de  Phoneliqiie  Expirimentale.     107 

Hilfe  dabei  war  für  R.  das  „Tonometer  von  König",  das  jede 
einzelne  ScliNvingungszahl  darzustellen  gestattet. 

S.  760  werden  10  Resonatoren  abgebildet,  im  Anscliluf.> 
daran  der  ,,Reson)iateur  universeV\  beschrieben,  der  Töne  von 
40  bis  6000  Doppelschwingungcn  verstärkt. 

S.  817  wird  der  neue  Registrierapparat,  wie  er  aucli  im. 
Handel  zu  haben  ist,-)  abgebildet.  Er  ist  mit  Federantrieb  und 
Schnelligkeitsregulator  versehen.  Die  Geschwindigkeit  läßt  sich 
leicht  verstellen.  Der  Zylinder  ist  dicker  als  es  früher  üblich 
war:  63  cm  Umfang,  25  cm  Länge.  Der  Schlitten,  auf  dem  die 
Schreibapparate  und  die  Schreibstimmgabel  befestigt  sind,  steht 
auf  derselben  Unterlage  wie  der  Zyhnder  und  wird  durcli  das 
gleiche  Uhrwerk  angetrieben.  Er  ist  verschieden  schnell  (7  mm 
bis  160  mm  bei  einer  Umdrehung  des  Zylinders)  beweglicli,  und 
man  kann  ])is  40  Alexandriner  ohne  Unterbrechung  aufnehmen. 

c)  Die  übrigen  Verbesserungen  an  den  Apparaten  sind 
im  Anhang  zusammengestellt: 

Der  Sclireibhebel  ist  aus  Rohr,  am  Ende  mit  einem  Scharnier 
versehen  und  mit  der  Membran  durch  eine  kleine  Platte  mit 
Stiel  oder  durch  einen  zum  Kreis  gebogenen  Kupferdraht  ver- 
bunden. Um  größere  Ausschläge  zu  geben,  wird  er  einfach 
auf  die  Membran  aufgeklebt.  Es  folgen  verschiedene  Arten  der 
Schreibfeder.  Dann  werden  der  ,,Ijiscripfeur  ä  plaque",  ein  Phono- 
graphenreproduktor  mit  Hebel  und  einige  andere  Schreibapparate 
beschrieben.  Von  den  Registrierapparaten  wird  außer  dem  er- 
wähnten einer  mit  Gewichten  (Weiß)  angegeben.  Es  folgen  der 
Explorateiir  de  la  langue  von  Atkinson  und  einige  andere  nicht 
von  R.  beeinflußte,  anderweits  veröffentlichte  Apparate.  — 

Das  sind  einige  der  wichtigsten  Apparate,  mit  denen  die 
„Analyse  physiologiqiie  de  la  parole"  ausgeführt  worden  ist. 
Dieser  bei  weitem  umfangreichste  Teil  des  Werkes  gliedert 
sich  in  folgende  Kapitel:  Elements  simples  de  la  parole;  Elements 
groupes  de  la  parole;  Qiialites  des  Clements  de  la  parole.  Ein 
Schlußteil  be'nandelt  die  Anwendungen  der  experimentellen 
Phonetik. 


-)  Da  das  Buch  seiner  Natur  nacli  auch  praktischen  Zwecken 
dient,  und  vor  allem  methodische  Anregung  zu  eignen  Experimenten 
geben  will,  ist  es  vielleicht  nicht  unnütz,  eine  ungefähre  Vorstellung 
von  dem  Kostenpunkte  zu  haben.  M.  JMontalbetti,  (4  rue  le  Goff, 
Paris  Ve)  hat  die  Lieferung  der  im  Pariser  Laboratorium  gebrauchten 
Apparate  übernommen,  z.  T.  konstruiert  er  sie  auch.  Er  sendet  auf 
Verlangen  eine  gedruckte  Preisliste.  Icli  greife  einiges  heraus.  Der 
beschriebene  ,,Enregistreur"  kostet  1200  frs.,  in  primitiverer  Ausführung 
für  die  Reise  600  frs. ;  ,,Tambou?-"  mit  auswechselbarer  harter  Membrane 
50  frs.,  Tambour  verschiedener  Größe  mit  Gummimembrane  20 — 30  frs., 
Gummibirnen  (Ampoules  exploratrices),  6  von  verschiedener  Form, 
10  frs.,  Aluminiummundstück  4.50  frs.;  Godiva  für  den  Abdruck  des 
Gaumens  4  fr.,  Ouraninr  (s.  o.)  Flasche  8  fr.,  Resonnateur  universel 
175  fr.  etc. 


108  Referate  und  Rezensionen.     Arthur  Franz. 

Über  die  reichen  Ergebnisse  dieser  Untersuchungen  kann 
nicht  auf  einigen  Seiten  berichtet  werden.  Besonders  die  vielen 
Hunderte  von  Abbildungen  der  Kurven  muß  man  selbst  sehen. 
Der  Wert  liegt  ja  auch  vor  allem  in  den  für  jeden  Fall  sinnreich 
angewandten  Untersuchungsmethoden.  Die  Gummibirne  kann  an 
verschiedenen  Stellen  angesetzt  werden,  sie  kann  Artikulations- 
bewegungen und  Vibrationen  gleichzeitig  registrieren  helfen, 
Atem-,  Zungen-  und  Kehlkopfbewegungen  können  gleichzeitig 
aufgeschrieben  werden,  und  aus  ihrem  zeithchen  Verhältnisse 
Schlüsse  auf  die  Natur  der  Laute  gemacht  werden.  Beliebige 
andere  Zusammenstellungen  zur  Erforschung  gleichzeitiger  Vor- 
gänge sind  möglich;  es  ist  die  Kunst  des  Experimentators,  die 
richtigen  auszuwählen.  Und  diese  Kunst  versteht  R.  wie  kaum 
einer,  und  er  versteht  sie  anderen  ^zu  lehren.  — 

Natürlich  kann  man  in  einem  solchen  Buch  auch  Mängel 
entdecken,  wenn  man  sucht.  Poirot  {Neuphilologische  Mitt.  1909 
S.  120  ff.)  stellt  einige  Kleinigkeiten  aus.  Störend  sind  die 
ziemlich  zahlreichen  |Drackfehler,  besonders  in  den  Legenden.^) 

Mancher  würde  wohl  auch  gern  mehr  Literaturangaben 
über  die  neuere  Forschung  sehen,  oder  eine  regelmäßige  Bezeich- 
nung der  Bedeutung  der  Kurven,  oder  einen  Index  über  die 
Abbildungen.  —  Doch  das  sind  alles  Nebensachen  im  Vergleich 
zu  dem  Haupteinwand,  den  man  gegen  die  Methode  der  Schreib- 
liebelbefestigung,  gegen  die  Fehlerquellen,  die  aus  den  Eigen- 
bewegungen der  Membran  entspringen,  erhoben  hat.  Seemann*) 
beschreibt  neue  Aufnahmen  der  menschlichen  Stimme  mit  Hilfe 
der  Frankschen  Spiegelkapseln  mit  optischer  Registrierung  und 
Luftübertragung,  die  an  Kurvenhöhe  selbst  die  stark  vergrößerten 
Phonogrammkurven  Hermanns  und  Scriptures  übertreffen;  das 
dabei  verwandte  Kymographium  für  photographische  Registrie- 
rung ist  das  von  Frank-'')  angegebene.  Weiß^)  teilt  Versuche 
über  die  Seifenlamelle  als  schallregistrierende  Membran  mit. 
Vielleicht  ist  es  gut,  auf  diese  Versuche  und  auf  ihre  Weiter- 
entN\'icklung,  sowie  auf  die  dort  angegebene  Literatur  bei  der 
Beurteilung  experimentalphonetischer  Methoden  ein  Auge  zu 
haben.  — 

Wenn  so  auch  die  Wissenschaft  —  hoffentlich  —  voll- 
kommenere Methoden  zur  Sprachaufzeichnung  findet,  so  ist  es 
doch  fraglich,  ob  die  aus  den  Bedürfnissen  des  Linguisten  her- 
vorgegangenen Apparate  und  Untersuchungsmethoden  des  Abbe 

3)  z.  B.  S.  335  zu  Fig.  117  lies  Fig.  116.,  337  Fig.  120  1.  (page 
86),  339  Fig.  124  statt  p.  316  1.  p.  136.;  S.  340  Fig.  125  Legende: 
l'-a-f-a  etc.  2.  Bd.  S.  746  Z.  25:  e  statt  e,  Z.  26:  3648  statt  4648, 
S.  747  Z.  1:  1  statt  e,  S.  755  Z.  17:  6  statt  e.    S.  777  Z.  11:  I  statt  6  etc. 

4)  Zschr.  f.  biolog.    Technik   und  Methodik.     Bd.   1.      Juli   1908. 

5)  ebenda  S.  103  ff. 
«    ebenda  S.  49. 


Thorn,  A.  Chr.     Les   Verbes  parasynthetiques  eii  Frangais.    109 

Rousselot  praktisch  leicht  zu  ersetzen  sein  werden.  Steht  doch 
Rousselot  in  der  Mitte  zwischen  dem  rein  deskriptiven  Verhalten 
des  Physiologen  und  den  Anwendungsbedürfnissen  nicht  nur 
der  Sprachwissenschaft,  sondern  auch  der  Sprachtherapie. 

Gießen.  Arthur  Franz, 


Tliorn,  A.  Clir.  Les  Verbes  parasynthetiques  en  Frangais. 
Lunds  Universitets  Arsskrift.  N.  F.  Afd.  1.  Bd.  6.  N.  2. 
1909.     33  S. 

Die  vorliegende  kleine  Schrift  ist  eine  Ergänzung  der  1907 
erschienenen  Etüde  sur  les  verbes  denominatifs  en  frangais. 
In  derselben  zuverlässigen,  sauberen  Manier  wie  dieser  erste 
ist  auch  der  neue  Beitrag  zur  Geschichte  des  französischen  Ver- 
bums gearbeitet;  wir  bekommen  das  ganze  Wortmaterial  vor- 
geführt, gesondert  nach  der  -er-  und  -i>-Konjugation,  nach  der 
transitiven  oder  intransitiven  Funktion,  nach  der  Bildung  mit 
Substantiv  oder  Adjektiv,  sogar  zahlenmäßig  geordnet,  so  daß 
v^ir  uns  von  der  Häufigkeit  der  besprochenen  Erscheinung  selbst 
überzeugen  können.  Danach  ist  rund  ein  Drittel  aller  Nominal- 
komposita parasynthetisch  gebildet.  Verf.  scheidet  sorgsam  die 
,,Parasynthetica"  von  den  zusammengesetzten  Verben;  so  ist  z.  B. 
engager  ein  Parasyntheticon,  da  es  aus  en  +  gage  (als  Stamm) 
-f-  Verbalendung  gebildet  wurde;  desengager  aber  ein  zusammen- 
gesetztes Verb  aus  des  +  engager.  Die  unter  die  Bezeichnung 
„Parasynthetica"  fallenden  Bildungen  sind  also  Ableitungen  aus 
Adverbialen;  ihr  Stamm  besteht  aus  „Präfix  und  Nomen".  Der 
Ausdruck  ,, Präfix"  ist  aber  in  allgemeinerem  Sinne  zu  verstehen: 
es  handelt  sich  um  Präpositionen,  die  auch  präfigiert  zu  werden 
pflegen.  Tatsächlich  liefern  ad  de  ex  in  die  große  Masse  der 
Zusammensetzungen;  daneben  werden  dann  noch  re-  sur-  er- 
wähnt. Hier  kann  man  dem  Verf.  wohl  eine  Einwendung  nicht 
ersparen:  sur  kann  zwar  neben  en-  a-  etc.  gestellt,  es  kann  als 
neufranzösisches  Material  zur  Bildung  neuer  Parasynthetica 
herangezogen  werden,  da  es  in  der  Bildung  adverbialer  Aus- 
drücke eine  Rolle  spielt.  Dasselbe  gilt  aber  nicht  von  re-,  das 
ein  so  geringes  selbständiges  Leben  führte  und  seit  Jahrhunderten 
ausschließlich  Präfix  ist.  Wenn  also  debarquer  kein  Parasyn- 
theticon ist,  sondern  ein  zu  parasynthetischem  embarquer  ge- 
formtes Kompositum  mit  de-.,  so  sind  rebuter,  recauser  etc.  eben- 
falls gar  keine  Parasynthetica.  Es  müßten  unter  den  Bildungen  mit 
re-  diejenigen  herausgestellt  werden,  die  nachweisbar  mit  selbstän- 
digem re  im  Altfranzösischen  existierten.  Überhaupt  findet  sich,  daß 
Verf.  an  seiner  ersten  Erklärung  der  Parasynthetica  als  Adverbial- 
bildungen in  der  Folge  nicht  festhält,  da  er  sonst  primäre 
eigentliche   Parasynthetica  von  sekundären,   ana- 


110  Referate  und  Rezensionen.     Karl  Ettmayer. 

logisch  gebildeten  scheiden  müßte.  So  sind  sämtliche 
Verben  mit  des-  gar  keine  primären  Parasynthetica  —  da  ihnen 
keine  Adverbialen  zugrunde  liegen  — ■  sondern  nur  die  mit  de, 
z.  B.  debiitir,  deriver.  Die  mit  dem  Präfix  des  gebildeten  sind 
entweder  Umformungen  alter  Parasynthetica,  wie  debarqiier  neben 
it.  sharcare,  wo  also  altes  e(x)-  vorliegt,  das  später  auf  west- 
romanischem Gebiete  mit  de  zu  des  verschmolz  (vgl.  Z.  R.  Ph. 
XXXII  645  ff.);  oder  Proportionsbildungen,  wie  detacher  (vgl. 
Meyer-Lübke,  Germanisch-romanische  Wortbeziehungon,  Unters, 
und  Quellen  zur  germ.-rom.  Phil.,  J.  v.  Kelle  dargebracht, 
I,  42  ff.,  1908)  und  alle  nicht  auf  kl.  lateinische  Stämme  rück- 
führbaren  Bildungen:  demenager,  depaqueter,  depecer,  depayser, 
desoxyder  usw. 

Wie  man  sieht,  wäre  die  Schichtung  der  Bildungen  noch 
genauer  darzustellen.  Nicht  anders  verhält  es  sich  bei  den  Para- 
synthetica mit  a  und  en.  Jedoch  ist  hier  die  Zahl  der  primären 
Bildung  natürlich  unendhch  überwiegend;  indessen  wären  auch 
hier  die  Proportionsbildungen,  wie  attacher  (vgl.  Meyer-Lübke 
a.  a.  0.)  und  die  den  Sinn  des  Simplex  nicht  verändernden 
Analogiebildungen,  wie  enjuponner  =  jiiponner  (vgl.  S.  10), 
prinzipiell  zu  scheiden  gewesen. 

Wien.  Elise  Richter. 


[X'ypop.  Kl*.  Grammaire  historiqiie  de  la  langiie  frangaise. 
T.  in.  Quatrieme  Partie.  Formation  des  mots.  Copen- 
hague,  Gyldendalske  Boghandel.   Nordisk  Forlag.   1908. 

Zwei  Dinge  hat  Ref.  zunächst  aufzuklären:  daß  er  den 
3.  Band  der  Nyrop'schen  Grammatik  gewissermaßen  als  ein 
selbständiges  Werk  behandelt,  und  daß  er  so  spät  die  Leser 
dieser  Zeitschrift  hierfür  in  Anspruch  nimmt.  Als  ihm  vor  gut 
1^/2  Jahren  der  ehrenvolle  Antrag  gestellt  worden  war,  dieses 
Werk  eines  Mannes  zu  besprechen,  dessen  mannigfache  Verdienste 
um  die  Romanistik  zu  bekannt  sind,  als  daß  ein  Wort  darüber 
zu  verlieren  wäre,  hatte  er  sich  sofort  an  die  Arbeit  gemacht, 
die  reichen  Materialien,  die  N.  hier  zum  erstenmal  zusammen- 
gestellt hat,  neuerdings  und  selbständig  durchzuarbeiten.  Wie 
es  das  große  Stoffgebiet  der  frz.  Wortbildung  begreiflich  macht, 
wuchsen  ihm  die  Tatsachen  bald  über  den  Kopf,  —  andere  Ge- 
danken, andere  Werke  kamen  dazwischen  und  verschoben  Nyrops 
Grundidee,  soweit  Ref.  dieselbe  erfaßt  zu  haben  glaubt,  auf  ein 
neues  Fundament.  Die  Rezension  wuchs  über  das  Maß  des  Mög- 
lichen hinaus  und  wurde  zu  einer  kleinen,  selbständigen  Broschüre, 
die  eine  ganz  andere  Richtung  nahm,  als  Ref.  selbst  früher  ge- 
meint hatte.  Daß  aber  alles  dies  sich  so  zugetragen  hatte,  ist  in 
erster  Linie  Schuld  von  Nyrop  selbst,  der  mit  dem  dritten  Bande 


Xyrop,  Kr.     Grammair e  historique  de   la  langiie  frangatse.     111 

seiner  frz.  Grammatik  eine  Wendung  gemacht  hat,  die  zu  den 
beiden  früheren  Bänden,  der  Laut-  und  Formenlehre,  in  schärf- 
stem Gegensatze  steht.  Seine  Wortbildungslehre  ist  nämlich 
kaum  mehr  historisch,  sondern  fast  rein  ,, semantisch"  gedacht; 
N.  gab  uns  in  ihr,  um  mich  kurz  auszudrücken,  keine  Stamm- 
bildungslehre, die  etwa  mit  der  deutschen  Kluge's  zu  vergleichen 
wäre  und  den  ganzen  frz.  Wortschatz  umfassen  müßte,  so  daß 
die  frz.  Formenlehre  zu  einem  Teile  dieses  Werkes  werden  müßte, — 
sein  Problem  ist  in  erster  Linie  und  fast  ausschließlich  der  frz. 
Neologismus.  ,,Le  vocahiilaire  iraditionnel  d'une  langiie  s'enrichit 
incessammcnt."  Damit  beginnt  er  sein  Werk  und  dieser  Gedanke 
beherrscht  das  ganze  Buch.  Er  hat  damit  sich  selbst  und  unserer 
Zeit  vielleicht  mehr  gedient  als  seiner  Grammatik.  Wir  wdssen 
ja,  wie  nachhaltig  gerade  N.  das  geniale  Büchlein  Darmeste- 
te r  s  über  das  Leben  der  Wörter  auf  sich  wirken  ließ,  nachdem 
schon  vor  ihm  B  r  u  n  o  t  in  seiner  Histoire  de  la  langiie  frangaise, 
nach  ihm  B  o  u  r  c  i  e  z  in  seinen  Elements  de  lingiiistique  romane 
die  Versuche  gewagt  hatten,  in  rein  eklektischem  Wege  die 
frz.  Lautgeschichte  mit  der  in  sich  unhistorischen  Semantik  zu 
kombinieren.  Ref.  kommt  nicht  deshalb  auf  diese  Tatsachen 
zu  sprechen,  weil  er  selbst  bestrebt  ist,  Lautgeschichte  und 
Bedeutungslehre,  Geschichte  und  Deskription  auseinanderzu- 
reißen,  sondern  weil  er  meint,  daß  die  reinliche  Scheidung  dieser 
Prinzipien  notwendig  ist,  wenn  man  dem  Buche  N.'s  gerecht 
werden  will. 

Der  Gedankengang  desselben  ist  kurz  folgender.  Eine  Neu- 
bildung von  Wörtern  kommt  (in  seltenen  Fällen)  durch  sog. 
,,Urschöpfung"  meist  durch  konventionelle  Bildung  {creation  conv.) 
zustande,  —  d.  i.  durch  Wortzusammensetzung,  durch  suffixale 
und  präfixale  Ableitung,  durch  Scheinableitung,  durch  Ableitung 
in  Form  der  Rückbildung  {derivation  regressive)  und  durch  Ab- 
kürzung. Diese  Kategorien  werden  nun  im  einzelnen  besprochen: 
die  Onomatopoesien,  die  Suffixe,  Präfixe  usw.  bis  zu  den  Wort- 
zusammensetzungen. Das  letzte  Drittel  des  Bandes  besteht  ge- 
wissermaßen aus  drei  ergänzenden  Exkursen:  VL  Buch  For- 
mation des  particules,  d.  i.  der  Adverbien  und  verwandten  Wort- 
klassen. Vn.  Buch  Derivation  impropre.  VI  IL  Buch  For- 
mation  du  genre,  also  jene  Suffixe,  die  von  vielen  Seiten  der 
eigentlichen  Formenlehre  Heber  zugerechnet  werden  als  der 
Suffixlehre  schlechthin.  Den  breitesten  Raum  nehmen  natür- 
hch  die  Suffixe  und  Präfixe  ein,  und  hier  zeigt  sich  am  klarsten, 
was  ich  die  ,, semantische"  Auffassung  genannt  hatte.  Für 
Nyrop  hat  ein  Suffix  eine  selbständige,  in  sich  geschlossene 
Existenz.  Es  ist  keine  sinnlose  Lautfolge,  die  in  gewissen  Wort- 
klassen an  den  Wortausgängen  besonders  häufig  wiederkehrt,  — 
es  ist  ihm  beinahe  ein  eigenes  Wort,  das  sich  von  andern  nur 
durch  die  notwendig  enklitische  Stellung  hinter  gewissen  Stamm- 


112  Referate  und  Rezensionen.     Karl  Ettmayer. 

Wörtern  unterscheidet.  Wie  sonst  bei  Wörtern  sucht  N.  bei  den 
Suffixen  Bedeutung  und  Bedeutungswandel  festzustellen,  die 
Suffixe  ,, leben"  ihm  oder  sind  „tot"  usw.  In  konsequenter 
Durchführung  dieser  Auffassung  kommt  N.  dazu,  die  historischen 
Stoff anordnungen  fast  ganz  außer  acht  zu  lassen.  Während  er 
früher  von  den  lat.  Lauten,  der  lat.  Konjugation  etc.  zu  den 
entsprechenden  frz.  Entwicklungsstufen  gelangte,  geht  er  im 
3.  Bande  von  den  neufrz.  Suffixformen  aus,  nicht  von  den  lateini- 
schen, auf  die  er  nur  insoweit  eingeht,  als  er  sie  als  Etymologien 
den  neufrz.  Formen  erklärend  beifügt. 

Darf  man  in  allen  Fällen  von  der  Etymologie  eines  Suffixes 
sprechen  ?  N.  nimmt  dies  als  Semantiker  ohne  weiteres  an, 
denn  ihm  ist  ja  ein  Suffix  ein  Ganzes.  Ref.  möchte  dem  zwar 
nicht  in  allen,  aber  doch  in  den  allermeisten  Fällen  widersprechen. 
Die  Entstehungsgeschichte  der  lat.-rom.  Suffixe  zeigt  uns  ja 
deutlich  durch  die  weitgehende  Agglutination  vorgeschlagener 
lautstarker  Vokale  und  Silben,  daß  gerade  die  Suffixe  durchaus 
nicht  als  quasi- Worte  gefühlt  wurden,  und  viel  weniger  semantische 
Einheiten,  viel  eher  tatsächlich  ,, sinnlose  Lautfolgen"  häufiger 
Wortausgänge  sind,  die  per  analogiam  von  einem  Worte  auf 
ein  anderes  übertragen  wurden.  In  diesen  weitaus  häufigeren 
Fällen  trägt  aber  nicht  das  Suffix  eine  Bedeutung,  sondern  nur 
das  ganze  Wort  besitzt  eine  solche;  nicht  dem  Suffixe  darf  man 
eine  einheithche  Etymologie  zulegen,  sondern  wieder  nur  den 
einzelnen  Wörtern,  welche  als  Suffixträger  auftreten.  Daneben 
ist  allerdings  festzustellen,  daß  nicht  bloß  genetisch  die  Suffixe 
vielfach  wirklich  selbständige  enklitische  Wörter,  also  Suffixe 
im  semantischen  Sinne  Nyrops,  gewesen  sind,  sondern  daß  auch 
den  frz.  Suffixen  ein  solcher  höherer  Charakter  manchmal  zu- 
kommt: so  bei  den  Zahlwörtern  auf  -ieme,  bei  den  Adverbien 
auf  -mente,  wo  mitunter  mehrere  Stammwörter  bloß  mit  einem 
Suffixe  versehen  werden  können  resp.  konnten,  bei  ,,Namen"- 
bildungen,  im  Infinitiv,  beim  Partizip,  bei  manchen  Diminutiven, 
bei  Aktors-  und  Aktionswörtern  etc.,  aber  meist  nur  zu  bestimmten 
Zeiten,  in  bestimmbarem  Umfange,  nicht  im  allgemeinen. 

An  einem  praktischen  Beispiele  sei  dargetan,  daß  Ref.  mit 
dieser  Unterscheidung  sich  nicht  etwa  damit  vergnügt,  Haar- 
spaltereien zu  betreiben,  sondern  eine  wichtige  prinzipielle  Tat- 
sache damit  zu  treffen  meint.  Das  neufrz.  Suffix  -ain  behandelt 
N.  von  §§  160 — 165.  Er  führt  im  wesenthchen  aus:  -ain  geht 
auf  -anus  zurück  (humain,  vilain,  hautaiii,  lointain  etc.),  -anus 
trat  an  die  Stelle  von  -aneiis  in  forain,  soiidain  etc.,  an  Stelle 
von  -inus  in  poulain.  -ain  findet  Verwendung  in  Ableitungen 
von  Adjektiven  und  Adverbien  (aubain,  prochain),  von  Sub- 
stantiven (chätelain,  hostelain,  toiiloiisainj,  in  gelehrten  Wörtern 
(iirhain,  napolitain).  Es  dient  zur  Personenbezeichnung  (chäte- 
lain,    avignonain),    zur     Bildung    von     Numeralkollektiven    in 


Ayrop,   Kr.     Gramnutirc  liislorique  de  la  langue  fran^aise.     113 

quatrain,  douzaine  etc.  Anologisch  ist  -ain  eingetreten  füi^  älteres 
-in  (acerin,  hauLin),  für  -enc  (lorrenc).  -ain  geht  weiter  zurück 
auf  lat.  -amen  (airain,  marrain),  ist  analogisch  in  nourrain  für 
nutrimen  usw.  Das  wäi'e  semantisch.  Betrachten  wir  nun  den 
gleichen  Stoff,  indem  wir  A-on  der  erwähnten  semantischen  Vor- 
aussetzung des  Suffixes  -ain  als  gegebener  Einheit  absehen. 

Es  gab  Latsächlicli  ein  uraltes  Suffix  -no,  das  schon  früh 
im  Latein  durch  Agglutination  betonter  Vokale  zu  vielen,  be- 
liebten Wortausgängen  führte,  wie  u.  a.  in  humanus,  Romaniis, 
fontana  etc.  Wir  haben  ein  ganz  anderes  Suffix  -io,  das  durch 
Suffixhäufung  u.  a.  zu  Wortausgängen  bei  Kollektivnamen  auf 
-auia,  bei  Adjektiven  auf  -aneiis  auf  verscldedenen  Wegen  führte. 
Da  auch  -anus  vornehmlich  bei  Adjektiven  gesprochen  wurde 
und  Adjektiva  auf  -ajius  und  -aneus  sich  manchmal  begrifflich 
nahe  standen,  wurden  beide  Wortausgänge  (wie  z.  B.  das  Italie- 
nische beweist)  schon  im  Latein  verwechselt:  etwa  ein  homo 
*foranus  nach  h.  Romanus  etc.,  woraus  frz.  forain,  weiteres 
souverain,  soiidain  etc.  Speziell  von  siibiumus  —  soudain  wurde 
ein  neuer  Wortausgang  -(})tänus  übertragen  auf  lointain,  soiitain 
u.  a.,  wobei  die  AhnUchkeit  von  solitariiis  und  *solitanus  zu 
beachten  ist.  So  wurde  der  Wwtausgang  -aneus  schon  in  vorfrz. 
Zeit  in  Nordgallien  offenbar  sehr  eingeschränkt,  zumal  afrz. 
grifain  fem.  grifaigne  (auf  das  schon  G.  Cohn,  Sufjixwandel  p.  161 
aufmerksam  gemacht  hatte)  und  afrz.  hargaing  neben  bargaigne 
dringend  prov.  Entlehnung  verdächtig  sind.  Sind  also  diese 
Adj.  auf  *-anus  wahrscheinlich  recht  alt,  so  ist  andrerseits  offen- 
bar rel.  jung  prochain,  da  es  nicht  zu  der  in  der  Provence  fort- 
lebenden Grundform  *propitanus  (neben  propinquus)  stimmen  will, 
obwohl  es  offenbar  nach  lointain  gebildet  wurde;  Ganz  anders 
sind  die  Einwohnerbezeichnungen  prov.  Städte,  wie  avignonain, 
toulousain  zu  verstehen,  die  nur  scheinbar  nach  dem  Muster 
von  Romanus,  Italianus  (spätlat.  auch  Italicianus)  gebildet  sind. 
Faktisch  sind  es  orthographische  Substitutionen  für  dasselbe 
germ.  -enc,  das  auch  in  lorrain,  vielleicht  auch  in  aubin,  älter 
aubain  vorliegt.  Wenn  wir  uns  nun  diesem  Wortausgange  zu- 
wenden wollen,  so  werden  wir  bemerken,  daß  das  Frz.  zweierlei 
lauthche  Reflexe  für  dasselbe  kennt:  neben  -ain  auch  -ä  {cham- 
bellan,  ferrant,  tisserant,  flamand  N.  §  174),  welches  (7  meist  (wie 
auch  in  alemand,  Normandie)  mit  dem  Wortausgang  in  grand 
zusammengeworfen  wurde.  Eine  genaue  Analyse,  inwieweit  die 
afrz.  Formen  paisenc,  gardenc  (N.  §  304  f.)  neben  ital.  paesano 
(nach  pagano  etc.),  guardiano  etymologisch  selbständig  stehen 
oder  bloß  orthographische  Varianten  nicht  erbwörtlicher 
Formen  darstellen,  würde  diese  etwas  verwickelten  Verhältnisse 
klären. 

In  ein  ganz  anderes  Gebiet  führen  uns  sodann  quatrain, 
dizain,  dizaine  etc.,  von  denen  im  Afrz.  trentaine,  quarantaine, 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  8 


lli  Referale  und  Rezensionen.     Karl  Ettmayer. 

centaine,  auch  quinzaine  und  douzaine  früher  belegt  sind  als  die 
meisten  Kollektivzahlen  unter  zehn.  Daß  sie  mit  den  prov.. 
oberital.,  span.  Distributivsuffix  -eni  resp.  -hia  zusammenhängen, 
ist  klar;  weist  doch  auch  A.  Thomas  {Essais  p.  64)  darauf  liin, 
daß  heute  noch  solche  Ausdrücke  im  Süden  beliebter  sind.  Ob 
sie  aber  im  Afrz.  geradezu  als  Lehnworte  aus  dem  rom.  Süden 
aufzufassen  sind  oder  auch  in  Nordfrankreich  als  erbwörtlich  zu 
betrachten  sind,  läßt  sich  ohne  genaue  Sachforschung  nicht 
feststellen.  Jedenfalls  kann  sich  hier  ein  *deceni  resp.  decena 
für  deni  erst  eingelebt  haben,  nachdem  mercedem.  zu  merci  ge- 
worden war. 

Wieder  eine  Welt  für  sich  ist  parrain  niarraine  (N.  §  263), 
die  wohl  mit  den  Deklinationsformen  noch  harhani  (vgl.  Meyer- 
Lübke,  Einf.'^  p.  168)  zusammenhängen,  wenn  nämUch  parrin 
(das  selbst  wohl  zunächst  dem  nach  privignus  gebildeten  *pa- 
trignus.  it.  patrigne,  lomb.  padren  nachklingt)  in  vorliterarischer 
Zeit  früher  gebildet  worden  war  als  parrain  (wozu  etwa  mhd. 
Steuer  zu  vergleichen  wäre).  *Palranus  müßte  unter  unmittel- 
barem Einflüsse  von  spätlat.  *barbanum  den  Suffixwechsel 
erduldet  haben  (wobei  allerdings  der  prov.  Wortschatz 
Schwierigkeiten  bereitet).  In  historischem  Zusammenhange 
könnte  damit  stehen  rum.  fin  (vgl.  Puscariu  Etym.  Wtb.) 
unter  ital.  ziano  altven.  ^etrana  und  das  weitverbreitete 
puttana.  Hingegen  wüßte  ich  nicht,  ob  ein  morphologischer 
Anhaltspunkt  anzunehmen  wäre,  um  mit  diesen  Formen  parrin, 
parrain,  auch  afrz.  poulin,  poulain  oder  poiitrain  zu  vergleiclien. 
So  könnte  man  die  Worte  auf  -ain  für  lat.  amen,  7men,  ümeti 
einzeln  analysieren,  so  könnte  die  ganze  Suffixlehre  durchgegangen 
werden.  Fast  immer  würde  uns  ein  Vergleich  zu  denselben 
Resultaten  führen:  der  Semantiker  stellt  jeden  durch  Analogie 
übertragbaren  und  übertragenen  Wortausgang  als  eine  selb- 
ständige, fast  wortartige  Einheit  hin,  die  aber  bei  näherem  Zu- 
sehen in  hundert  Einzelheiten  zerfällt,  welche  unter  sich  keinen 
anderen  historischen  Zusammenhang  besitzen,  als  eben  die 
schließhch  übereinstimmenden  Wortausgänge. 

Es  wäre  andrerseits  töricht,  wollte  man  deshalb,  weil  der 
Historiker  Nyrop  zum  Semantiker  geworden  ist,  vor  dem  großen 
Verdienste  seiner  Wortbildung  die  Augen  verschließen.  In  vielen 
Fällen  ist  ja  seine  semantische  Auffassung  die  bestdenkbare 
und  gerade  durch  seine  lebendige  Erfassung  des  Stoffes  wird  sein 
Werk  das  Verständnis  und  das  Interesse  für  die  frz.  Wortbildung 
wesentlich  fördern.  Wer  die  früheren  Bände  seiner  Grammatik 
kennt,  weiß  ja  von  vornherein,  wo  die  Lichtseiten  im  Schaffen 
Nyi^ops  liegen:  in  der  klaren  Diktion,  in  der  einheitlichen,  einfachen, 
ja  geradezu  klassischen  Gruppierung  des  Stoffes.  Es  kehren 
freilich  auch  dieselben  kleinen  Schatten  wieder,  die  wir  schon 
früher  beobachteten,  so  wenn  er  diesmal  §  130  behauptet,  nur 


Glaser,  Kurt.    Le  sens  pejoralif  du.  suffixe  -ard  eit  frnn^ais.     115 

lat.  Suffixe  mil  betonlem  Vokal  hätten  im  Romanischen  fort- 
existicren  können,  was  entschieden  unrichtig  ist  {-niiis  in  Sar- 
dinien und  Raetien,  jruUivendolo  in  ItaUen!).  Doch  kann  jeder 
Kundige  solche  Korrekturen  leicht  selbst  vornehmen. 

Karl  Ettmayer. 


iwlascr.   Ii.iu*t.     Le  sens  pe/oratif  du  suffixe  -ard  en  frangais. 
[Aus:  Roman.  Forschungen  XXVII  13  (1910).] 

Der  Aufschwung,  den  die  etymologischen  Untersuchungen 
im  letzten  Jahrzehnt  genommen  haben,  ist  auch  der  rom.  Wort- 
bildungslehre, die  bisher  etwas  abseits  vom  Wege  lag,  einiger- 
maßen zugute  gekommen.  Und  es  ist  zu  wünschen,  daß  sich  das 
Interesse  der  Gelehrten  ihr  noch  mehr  zuwenden  möge,  als  dies 
bisher  geschehen  ist.  In  diesem  Sinne  ist  es  zu  begrüßen,  daß 
G.  eines  der  schwierigsten  und  schicksalsreichsten  unter  den 
afrz.  Suffixen  zum  Gegenstande  einer  kurzen  Monographie 
gemacht  hat. 

Freilich  ist  Referent  mit  dem  ,, semantischen'"  Standpunkte, 
den  G.  in  seiner  Arbeit  durchführt,  durchaus  nicht  einverstanden. 
Wie  lehrreich  und  interessant  hätte  er  seine  Arbeit  gestalten 
können,  wenn  er,  —  statt  den  pejorativen  Sinn  als  etwas  fast 
primär  Gegebenes  hinzunehmen,  —  als  Historiker  vor- 
gegangen wäre,  und  gerade  die  rom.  Anfänge  des  Suffixes  unter 
die  Lupe  genommen  hätte.  Statt  die  Stellen  über  das  Suffix 
-ard  bei  Meyer-Lübke  und  Nyrop  abzuschreiben,  und  —  auf 
gut  Glück,  —  dem  einen  Recht,  dem  andern  Unrecht  zu  geben, 
hätte  er  es  so  leicht  gehabt,  eine  ergiebige  Quelle  wichtiger,  neuer 
Erkenntnisse  uns  zu  erschheßen.  Hätte  er  nur  einmal  Kluges 
Stammbildungslehre  §  32  oder  ausführhcher  Wilmanns,  Deutsche 
Grammatik  II,  p.  39  ff.  aufgeschlagen,  so  hätte  er  gesehen,  daß 
unser  Suffix  dem  Germanisten  ebensoviele  Rätsel  aufgibt  wüe 
dem  Romanisten.  Zu  verschiedenen  Zeiten  wurden  bei  den 
Germanen  Pejorative  aus  Personennamen  abgeleitet:  vgl.  mhd. 
biterolf,  nWuu%  trunkenholt,  später  Dummerjan,  Faselhans  etc. 
Gerade  die  im  Deutschen  nicht  früh  belegten  Pejorative  auf 
-hart  werden  aber  als  rein  germanische  Wortbildungen  ange- 
zweifelt und  ist  die  Möglichkeit  einer  Nachbildung  nach  den 
afrz.  Namen  auf  -ard  erwägenswert.  Damit  hätte  G.  gleich 
den  p.  976  zitierten  Bildungen  wie  fessart,  jambarz  eine  viel  größere 
Wichtigkeit  beizumessen  gehabt:  sind  die  Romanen  selbständig 
zu  solchen  Übernamen  gelangt,  oder  haben  wir  Übersetzungen 
und  Nachbildungen  altfränkischer  Worte  vor  uns  ?  Ein  ernst- 
liches Bestreben,  diese  Frage  nach  Möghchkeit  zu  beantworten, 
liätte  wohl  weiter  zu  einem  Versuch  einer  Geschichte  des 

8* 


116  Referate  und  Rezensionen.      Karl  Etimayer. 

Suffixes  geführt,  von  der  wenigstens  einige  Punkte,  die  Ref. 
gerade  gegenwärtig  sind,  hier  skizziert  sein  mögen.  Der  ur- 
sprünglich adjektivische  Grundzug  der  germ.  /^a^^Namen  muß 
bei  den  erobernden  Stämmen  in  Frankreich  noch  vollauf  lebendig 
gewesen  sein.  Diese  Namen  scheinen  geradezu  jenen  auf  -ing^  -ung 
in  mancher  Hinsicht  gleichwertig  gewesen  zu  sein,  denn  heute  noch 
werden  namentUch  im  ehemals  burgundischen  Gebiete  Familien- 
( Sippen-)  und  Einwohnernamen  auf  -ard  gebildet.  Doch  steht 
ßurgund  hier  nicht  allein;  —  auch  Ostfrankreich,  besonders 
die  Wallonen,  kennen  denselben  Brauch.  Weiter  sind  Ref. 
aus  der  Normandie,  dem  Poitou  und  dann  wieder  besonders 
häufig  aus  dem  Piemont  Fälle  bekannt  (vgl.  etwa  auch  Atlas 
hnguistique  Blatt  III).  Mit  dieser  ältesten  Schichte  von  -ard- 
Namen  hängen  wohl  auch  Farbenbezeichnungen  wie  haiart  dann 
rougeart  (p.  939)  unmittelbar  zusammen,  ebenso  gelangen  wir 
von  hier  aus  am  besten  zur  Bezeichnung  junger  Tiere  bichart, 
piart,  canard  (p.  934).  In  anderer  Richtung  entspricht  wieder 
dem  dtsch.  söldling  afrz.  soudard  und  hier  hätte  sich  nun  für  G. 
die  Frage  ergeben:  haftete  diesen  aus  Personeneigenschaften 
gebildeten  Adjektiv-Namen  ein  pejorativer  Sinn  schon  ursprüng- 
lich an,  oder  war  das  (wie  auch  Ref.  meint)  zunächst  nicht  der 
Fall,  —  weiter  dann:  ist  das  angesetzte  hypothetische  Zwischen- 
glied des  Augmentativs  wirklich  notwendig  oder  auch  nur  w^ahr- 
scheinlich  ?  Gerade  außerordentlich  früh  auftretende  Adjektiv- 
Namen  wie  gaillard,  bastard  haben  nichts  vergrößerndes  an  sich, 
—  sind  aber  trotzdem  gewiß  pejorativ.  Das  Wort  gaillard,  das 
bei  den  Katalanen  unseren  Reinecke  bedeutet,  hätte  G.  viel- 
leicht weiter  auf  das  große  Lebensglück  des  Wortes  renard 
in  Frankreich  gelenkt  und  ihm  etwa  denselben  Gedanken 
suggeriert,  der  Ref.  schon  vor  vielen  Jahren  von  anderer  Seite 
nahe  gelegt  worden  ist,  daß  nämlich  die  reinen  Adjektiva  auf 
-ard  der  afrz.  Zeit  (also  nicht  die  Adjektiv-Namen!)  wie  coart^ 
faussart,  lordart  etc.  vielleicht  unter  direktem  Einflüsse  eben 
von  renard  stehen.  Kurzum,  allerhand  historische  Probleme 
interessantester  Art  sind  mit  -ard  verknüpft  und  vielleicht  wird 
G.  ein  anderes  Mal  uns  das  vorläufig  noch  nicht  Gebotene  nach- 
holen. Jedenfalls  hat  er  mit  großem  Fleiße  ein  reichliches,  wenn 
auch  nicht  vollständiges  Material  gesammelt,  das  er  gewissenhaft 
belegt,  —  von  dem  er  die  etymologisch  nicht  zugehörigen  Fälle 
ausscheidet  (ich  vermisse  hier  nach  Schuchardt  Romanisches  und 
Baskisches  p.  49,  unser  Billard),  während  er  den  Rest  säuberUch 
in  Klassen  zusammenstellt,  deren  Nutzen  einem  Historiker 
allerdings  nicht  klar  wird.  Möge  uns.  wie  gesagt,  die  Zukunft 
weiter  führen. 

Karl  Ettmayer. 


Raoul  de  laGrasserie.  Des  Parier s  des  differentes  Classes  sociales.  1 !  7 

Kaoul  de  la  Gra&iscrie.  Des  Paiiers  des  differentes 
Classes  sociales.  Paul  Geuthnor,  Librairo-Editeur,  Paris, 
1909.     Prix  :  6  iranes. 

Durch  ein  dunkle  sprachphilosopliische  Vorhallo  führt 
uns  der  Verfasser  zu  seinen  sozinjos^isrhen  Retrachtungen  über 
die   Sprache.     Wir  lesen: 

C'est  cju'ä  cöle  du  langage  psychologique  o  u  d  e  p  u  r  e 
p  e  n  s  e  e  ,  il  cn  exisie  deux  aulres  :  le  langage  emotionnel  du 
sentiment  ei  du  vouloir,  et  le  langage  que  nous  appellerons  social, 
qui  depend,  de  la  Situation  relative.  Le  langage  de  la  pensee  est 
tout  objectif.  il  reste  le  meme  pour  tous,  il  cherehe  d  designer  le 
plus  exactoiient  les  ohjets  ou  les  idees,  il  n'emprunte  rien  ä  Vesprit 
de  celui  qui  en  fait  usage,  c'e  st  le  l  a  n  g  a  g  e  pur  et  s  im  p  l  e. 
Le  langage  du  sentiment  est  autre,  nous  en  avons  ecrit  une  m.ono- 
graphie  speciale-^  c'est  celui  qui  s'efforce,  avec  ou  saus  l'ohjet,  d'ex- 
primer  les  impressions^  la  reaction  de  la  personnalite,  c'e  st  l  e 
p  r  i  s  m  e  h  u  m  a  i  n.  ä  t  r  a  v  e  r  s  l  e  q  u  el  l  a  v  i  s  i  o  ii, 
d  e  l'o  h  j  e  i  p  a  s  s  e  a  v  a  n  t  de  p  ar  v  e  n  i  r  ä  n  o  t  r  e 
r  et  i  n  e  .  c'est  la  cjue  sont  situes  l'interjection,  le  vocatif,  l'impe- 
ratif,  le  subfonctif,  toutes  ces  categories  qui  relient  si  etroitement 
l'objectif  au  subjectif.  Le  langage  sociologique  est  tout  differeiit; 
il  a  j  0  Ute  s  a  q  u  alit  e  cl  c  eil  e  de  p  s  y  c  h  o  lo  g  i  q  u  e 
que    p  0  s  s  e  d  a  i  e  nt    les    den  x    a  n  tr  e  s. 

Es  Nvird  jedoch  bald  licht  und  wir  können  deutlich  drei 
Felder  sprachlicher  Tätigkeit  unterscheiden :  L'Anaglose  (glose 
superieurej,  La  Meso  glose  (glose  moyenne)  und  1  a  C  a  t  ;i  - 
glose.  Letztere  mit  den  drei  Unterabteilungen :  cecoglose  ou  parier 
familier^  demoglose  ou  parier  populaire  und  cleptoglose  ou  cryptoglose 
ou  langue  verte^  parier  des  malfaiteurs.  Also  L  Anaglose  =  parier 
des  classes  superieures.  2.  mesoglose  =  parier  gener al  ou  parier 
de  la  classe  moyenne  (Kennzeichen:  fortune  mobiliere  s.  p.  6), 
3.  cataglose  =  parier  inferieur,  parier  du  Proletariat  des  villes^ 
des  campagnes  et  du  Proletariat  attache  ä  la  personne. 

Streng  logisch  ist  schon  diese  Gruppierung  nicht,  weil  in 
allen  Ständen  sich  eine  besondere  familiäre  Sprechweise  aus- 
gebildet hat,  man  zum  Beispiel  im  Englischen  auch  von  einem 
High- Life- Slang  zu  sprechen  berechtigt  ist.  (Ecoglose  ou  parier 
familier  unter  Cataglose  gebracht,  ergibt  eine  Kreuzung  der 
Teilungsglieder.  Formalen  Anforderungen  muß  immerhin  nach 
Möghchkeit  entsprochen  werden,  selbst  dann,  wenn  sie,  wie  hier 
bei  Betrachtung  eines  komplizierten,  in  steter  Entwicklung  und 
im  lebhaften  Austausch  seiner  Elemente  befindlichen  psycho- 
physischen  Organismus,  nicht  vollkommen  zu  erfüllen  sind. 
Logical  division  falls  in  classifications  with  undefined  boundaries 
(A.  Bain  Logic  p.  198.)  Diese  in  der  Natur  des  Gegenstandes 
liegenden    Schwierigkeiten    vermehrt    nun    R.    de    la    Grasserio 


118  Referate  und  Rezensionen.     K.  Morgenroth. 

weiter  durcli  die  Masse  seiner  Unter-  und  Nebeneinteilungen^ 
ein  oft  springendes  Fortschreiten  und  die  Vermischung  ver- 
schiedener Einteilungsprinzipien,  ^^^e  sie  uns  beispielsweise 
in  der  Subsumierung  der  s.  g.  alethoglose  (langage  scientifiquej, 
der  calliglose  (parier  litteraire  oii  mondain)  und  der  cosmo-glose 
(ane  sorte  de  lingua  franca  entre  phisieiirs  nations)  unter  par- 
ana-glose  (les  parle  rs  speciaux  d' ordre  plus  eleve) 
entgegentritt.  Trotz  ihres  künstlichen  Ursprungs  können  wir  p.  17 
und  18  Sprachen  wie  Volapük  und  Esperanto  nicht  mit  dem  Ver- 
lüsser,  s.  S.  106 — 199,  als  aristokratische  anerkennen,  sie  der 
Sprache  der  Wissenschaft  und  der  Literatur  koordinieren.  Wie  kann 
man  sie  auch  unter  die  Klasse  'parlers  speciaux  d'ordre  plus  eleve' 
bringen,  wenn  sie  einerseits  nur  abstrakt  sein,  andrerseits  nur 
dem  allgemeinen  Verkehr  zwischen  den  Völkern  dienen  sollen. 
'La  langue  internationale  est  ou  doit  etre  depourvue  de  ces  idiotismes- 
gui  forment  encore  wie  autre  manijesiation  du  sensible  et  eile  ne 
renferme  que  des  manieres  de  converser  propres 
ä  tous  les  h  0  m  m  e  s.'  Letzterer  Anforderung  dürfte  nur 
ein  D  e  n  k  m  e  c  h  a  n  i  s  m  u  s  genügen,  wie  er  nach  Michelet 
und  Settembrini  {letteratura  italiana  IL  LVIIL  L'Italia  dopo  il 
Concilio.  I.  Gesuiti  p.  216)  in  der  jesuitischen  Erziehung  erstrebt 
wird.  Doch  dies  nur  nebenbei.  Herausheben  müssen  wir  \c>t 
allem  die  Einteilungsfehler  des  Systems,  weil  sie  es  dem  Belehrung 
Suchenden  unmöglich  machen,  einen  immerhin  anziehenden 
und  vielumfassenden  Stoff  zu  überschauen.  Störend  wirkt 
schon  am  Anfang  die  Mischung  einer  soziologischen  mit  einer 
pldlologischen  Einteilung,  (Anaglose,  Mesoglose,  Cataglose  und 
J)oublets,  Synonymes,  Procedes  ne  creant  pas  de  douhlets)  der  sich 
mit  den  Morphosen  (morphoses)  eine  psychologische  zugesellt. 
Damit  zerfällt  trotz  einer  großen  Geschickhchkeit  im  Syste- 
matisieren mit  nougeprägten  Kunstausdrücken  das  Ganze  in 
v'mG  Menge  lose  verbundener  ])hilülogischer,  philosophischer, 
psychologischer  und  soziologischer  Betrachtungen,  die  manch- 
mal mit  bunten  Steinchen  verziert  sind  und  worin  allerlei  aus 
dex).  Naturwissenscliaften  herbeigeholte  Analogien  die  wissen- 
schaftlichen Erklärungen  vertreten  müssen.  \Mr  begnügen  uns 
deshalb  damit,  einige  das  System,  den  Stil  und  die  Zuverlässig- 
keit des  Verfassers  beleuchtende  Stellen  hier  anzuführen  und 
bemerken  dazu,  daß  seine  linguistischen  und  sprachpsycho- 
Idgischen  Studien,  darunter  aucii  ein  Essai  d'une  semantique 
integrale  2  vol.  p.  1 — 658,  in  50,  seine  Studien  über  amerikanische 
Sprachen  in  13  und  seine  'Etudes  de  rythmique  comparee  in  elf 
Werken  niedergelegt  sind.  'Mönstruo  de  la  naturaleza'  nannte 
einst  Cervantes  den  fruchtbaren  Lopez  de  Vega,  den  'fenix  de 
los  ingeniös'  für  das  spanische  Volk.  —  P.  26.  De  l'orthoglosc 
A  insi  que  nous  l'avous  etabli  daiis  Vintroduction,  la  glose  ou  parier 
de  classe,  en  ce  qui  concerne  les  mots,  nnite  premiere  du  discours, 


Raoul  de  la  Grasserie.  Des  Parlers  des  difjerentes  Classes  sociales.  1 1 9 

les  modifie  semantiqiiement  suivant.  les  classes  priacipaleiHeiit, 
puls  suivant  les  professions,  et  meine  les  provinces.  Dans  le  premier 
cas  il  y  a  iin  phenomene  d'o  rthoglose,  dans  le  second  un 
de  paraglose,  dans  le  troisieme  d'idio  glo  s  e  .  Le  premier  mirite 
vis-ä-vis  du  second  le  nom  d'orthoglose,  dans  ce  sens  qu'il  s'a  p  p  l  i  - 
q  u  e  d  t  0  u  s  ohjets  et  constitue  u  n  parier  c  o  ni  - 
p  let .,  tandis  que  le  second  ne  s'applique  que  quand  il  s'agit  d'un 
certain  ordre  d'idees,  d'une  specialiie,  et  n'empec/ie  pas  le  parier 
ordinaire  d'orthoglose,  d'oü  le  nom  de  paraglose.  Les  mots  qui 
constituent  l'orthoglose  sont  des  mots  d'a  r  got  qui 
ne  portent  pas  toujours,  il  est  vrai,  cette  appellation,  mais  qui  pour- 
raient  et  devraient  meme  le  faire,  car  il  ij  a  l'argot  du  langage  eleve, 
ramme  il  y  a  celui  du  bas  langage. 

Es  wird  demnach  zuerst  nach  Gesellschaftsklassen  eingeteilt 
(aristocratie,  bourgeoisie,  peuple),  dann  in  jeder  nach  den  verschie- 
denen Beschäftigungen  und  den  Provinzen.  Ferner  soll  aber 
auch  jede  Klassensprache  mit  dem  Argot  zusammenfallen,  weil 
es  ja  ein  High- Life- Slang  gibt:  Les  mots  qui  constituent  l'ortho- 
glose sont  des  mots  d'argot. 

Von  dieser  Einteilung,  der  sogenannten  glose  absolue,  scheidet 
sich  die  glose  relative.  Von  hier  heißt  es:  Elle  constitue  le  langage 
de  classe  ä  classe,  ou  plus  exactement  d'inferieur  ä  superieur,  de 
superieur  ä  inferieur,  comme  il  y  a  encore  des  hierarchies  autres 
que  Celle  de  classe  ä  classe.  Plus  generalement,  c'est  le  parier  re- 
verentiel,  auquel  nous  donnerons  le  nom  de  seboglose. 

Daraus  ergibt  sich  die  Einteilung  p.  20: 

Glose    ä     Vinlerieur    cVune    classe       glose  ä  Vexterieur  ou  seboglose  ou 
ou  endoglose.  reverentiel   ou   exoglose. 

\^.    seboglose    directe 
seboglose    de  jemine  ä  hoinme. 
seboglose  d^enfants  ä  parents. 
seboglose     d'' komme     ä     puissances 

magiques 
seboglose  d^homme  ä  divinile. 
seboglose  de   classe   ä   classe. 
2^  seboglose  contraire. 
3^  seboglose  laterale. 

Die  Vermittlung  zwisclien  den  verschiedenen  Sprechweisen 
muß  die  Mkaglose  übernehmen.  Von  ihr  heißt  es:  Entre  les 
diverse  couches  horizontales  d'une  langue,  lesquelles  ne  sont 
pas  Separees  les  unes  des  autres  par  des  divisions  elo.nches,  il  se 
jait  des  infiltrations;  ce  qui  etait  au-dessus  descend,  ce  qui  etait 
au-dessous  monte.  Ce  double  phenomene  constitue  la  metaglose. 
A  la  longue  tous  les  mots  d'anaglose  jinissent  par  devenir  des  mots 
de  mesoglose  par  ce  procede.  p.  89.  Die  Einteilungsordnung  ist: 
Orthoglose.  I.  Anaglose,  II  Mesoglose,  III.  Cataglose,  IV.  Metaglose. 
Was  berechtigte  dazu  letztere,  von  der  gesagt  wird :  'Nous  nommons 


120  Referate  und  Rezensionen.     K.  Morgenroth. 

metaglose  le  p  a  s  s  a  g  e  de  Vii  n  des  p  a  r  l  e  r  s  d  Va  iiir  e 
et  Vinfluence  e  x  e  r  e  e  e  de  l'n  n  s  ii  r  l'a  u  t  r  e'  einom 
'parier'  gleichzusetzen  ? 

Diese  erste  Einteilung  {Chapitre  I)  Nvird  noch  mit  einem 
Anhängsel  versehen,  mit  der  glose  interjectwe.  P.  95:  En  d'autres 
termes  le  langage  du  sentiment  est  distinct  de  celiii  de  la  pensee 
et  se  condense  dans  iine  interjection.  Als  ob  nicht  jedes  Wort 
Begriffs-  und  Gefühlswert  besitze.  Dann  gibt  es  wieder:  inter- 
jection d'anaglose,  de  mesoglose,  de  cataglose  Stößt  ein  Glied 
der  höheren  Stände  einen  unanständigen  Fluch  aus,  so  erklärt 
R.  de  la  Grasserie  dies  durch  Endosmose  (p.  27.)  Wenig  klare 
Definitionen  sind:  p.  98.  Nous  avons  defini  au  commencement 
de  ce  livre  la  paraglose.  Tandis  que  l'orthoglose  est  le  parier  qui 
s'emploie  d'une  maniere  continue,  p  o  u  r  tous  le  s  o  b  /  e  t  s  ^ 
envers  toutes  personnes  et  dans  toutes  les  occasions  de  la  vie,  est, 
en  un  mot,  un  parier  general,  restreint  seulement  en  ce  qu'il  n'est 
pas  ä  l'iisage  de  toutes  personnes  et  de  toutes  classes,  la  p  ar  a  gl  o  s  e 
est  celui  qui,  lui  aussi,  n'est  ä  l'usage  que  d'une  classe,  mais  qui 

V  ar  i  e  s  u  i  v  a  nt  les  ohjets  d  o  nt  o  n  s'o  c  c  u  p  e. 
En  un  mot,  ce  sont  les  parlers  speciaux,  au  Heu  du  parier  general 
de  la  classe.  Wie  Orthoglose,  wird  auch  Paraglose  in  paranaglose, 
paramesoglose   und    paracataglose  geschieden. 

Paroecoglose.  L'argot  des  polytechniciens.  p.  127.  //  est 
certain  que  les  jeunes  gens  qui  le  parlent  ne  sont  pas  fäches  de  se 
savoir  incompris  de  ceux  qui  ne  sont  pas  du  melier  et  de  leur  petit 
cenacle.  D'ailleurs,  tous  les  argots  ont  plus  ou  moins  le  meme 
efjet.  II  en  est  ainsi,  meme  q  u  an  d  il  n  e  r  e  s  i  d  e  pas 
d  a  n  s   l  e   l  <i  n.  g  a  g  e  ,  m  a  i  s  d  a  n  s   le  s  u  j  e  t  de   l  a   c  o  n  - 

V  e  r  s  (t  t  i  o  ii.  Les  gens  du  monde  qui  forment  un  petit  cercle  ou  uae 
coterie  entre  eux  ont  Vhabitude  de  parier  de  c  e  u  x  {?)  et  de  ce 
(juils  ronnaissent  devant  les  etrangers  emharrasses  de  n'y  rien 
comprcndre,  et  cela  avec  un  malin  plaisir.  —  Des  l  an  gu  e  s  f  a  i  - 
santfonctionsde  cataglose  et  de  paracataglose. 
P.  129.  Toutes  les  gloses  ne  forment  au  fand  que  la  meme  langue, 
quoigue  les  parlers  qui  les  composent  soient  fort  differents,  et  il  en 
est  ainsi  meme  du  degre  le  plus  inferieur,  de  la  cryptoglose.  — 
Seulement,  il  y  a  parfois  des  langues  veritables  qui  ne  sont  nuUement 
de  simples  parlers  et  qui  peuvent  appartenir  ä  une  famille  lin- 
guistique  tout  ä  fait  etrangere,  ces  langues  ne  sont  pas  des  gloses, 
mais  fönt  pourtant  fonctions  de  gloses.  Nous  verrons,  au  chapitre 
suU'ant,  qu'il  en  est  de  meme  dans  le  parier  provincial  ou  geoglose. 
Les  divers  p  a  t  o  i  s  n  e  forment  q  uu  n  e  s  e  u  le  et 
meme  l  a  n  g  u  e  ,  tn  a  i  s  parfois  aussi  des  langues 
tout  ä  fait  distinctes,  co  mme  en  France,  le 
b  r  e  t  0  n  ,  l  e  b  a  s  q  u  e  et  le  f  l  a  m  a  n  d  fönt  f  o  n  c  t  i  o  n 
d  e    p  a  t  0  i  .v. 


BaoiiJ  de  laGrasserie.  Des  Parlers des differenles  Classes sociales.  121 

P.  130:  //  s'agit  d'uii  parier  qui  n'esl  ä  riisage  que  des  gens 
d'une  profession  envers  ceiix  de  la  meni.e,  mais  q  ii  i  s'a  p  p  l  i  q  u  e 
e  n  s  II  i  f  e    ä    f  o  ii  s    oh  j  et  s. 

A  n  a  glo  s  e  wird  S.  26  definiert:  C'est  celle  qui  est  en  iisage 
dans  V aristocratie  de  rintelligence,  laqiielle,  suivant  les  siecles, 
se  confond  avec  l' aristocratie  orddnaire  ou  s'en  detacfie.  S.  143 
heißt  es  von  der  Landesspraclie:  En  un  mot,  ce  n'est  plus  le  dialecte; 
mais  par  son  moi/en  de  formalion  et  son  triumphe,  il  y  a  lä  un 
dialecte  superieur,  c'est  de  la  geo-anaglose.  A  naglose 
(erhält  so  einen  ganz  anderen  Sinn.  Dann  wird  schlicßlicli  erklärt 
(p.  146):  L'anaglose  est  donc  double  ici:  celle  de  selection  par  laquelle 
on  a  eleve  un  des  nombreux  dialecles  ä  l'etat  de  langue  commune; 
celle  de  r  e  s  t  aur  ati  o  n  par  laquelle  on  a  repris  le  patois,  qui 
est  une  degener escence,  pour  rejormer  le  dialecte  primitif.  Auf  soIcJie 
Weise  wird  die  Sprache  zu  einer  Unmasse  von  glottischen  Atomen 
pulverisiert. 

S.  44.  L'äme  est  propre  ä  Vhoninie,  tandis  que  Vesprit  s'applique 
ü  fout  ce  qui  n'est  pas  materiel. 

S.  68.  L'emprunt  aux  patois  est  hien  de  l'a  naglose,  car 
on  n'y  releve  pas  ce  qu'ils  peiwent  avoir  d£  has,  c'est  un  procede 
qui  ressemhle  au  procede  a  r  c  h  a  i  q  u  e  et  replonge  l'homme 
en  pleine  nature,  mais  en  nature  idyllique. 

S.  66.  1^  l'archaisme.  Pour  rajeunir  la  langue,  il  la  reconduit, 
pour  ainsi  dire  d  Venfance\  c'est  la  fontaine  de  Jouvence,  eile  a 
aussi  peu  d'application  pour  les  langages  que  pour  les  hommes. 
D'ailleurs,  dans  un  etat  mental  plus  complique  les  moyens  primitifs 
ne  peuvent  suffire.     De  la  l'insucces  relatij. 

U  n  g  c  n  a  u  i  g  k  e  i  t  e  n . 

S.  58  werden  parcelle  und  incise  als  dem  Englischen  entlehnt 
aufgeführt,  acrimonieux  von  äcre  anstatt  von  acrimonie  ab- 
geleitet. Dann  heißt  es:  Ampleur  ne  se  dit  pas  d'une  etoffe  und: 
on  ecrase  physiqnement,  mais  ce  qui  est  ecrasant  l'est  moralement. 
S.  dagegen  im  Dictionnaire  gener al:  Manteau,  uetement  ample; 
l'ampleur   d'un   vetement,    d'une   robe:    un    poids   ecrasant. 

S.  59.  La.  louange  signifiait  le  merite,  c'etait  ohjectif,  le 
sens  est  devenu  suhjectif.  Gilt  nur  für  lat.  laus  (abundans  bellicis 
laudibus,  gloriam  laudum  adamare),  nicht  von  louange,  das  von 
louer  abgeleitet  wurde. 

S.  58.  Le  jnirage,  c'est  l'action  de  la  contemplation  p  ur  e  - 
m  ent  ideale,  meme  trompeuse.  Dagegen  Diel.  gen.  Illusion 
d'optique,   rejraction  etc. 

S.  50.  Trihord  emprunl  fait  ä  Vanglais.  Dict.  gen.  :  mot 
d'origine  scandinave. 

S.  71.  Aussi.  pendant  plus  de  deux  cents  ans,  ne 
parla-t-on,  d  la  cour  du  roi  d'Angleterre,  que  le  franco-normand, 
l'anglo-saxon  y  restait  totalement  inconnu.    Vgl.  damit  0.  Emerson 


122  Referate  und  Rezensionen.     K.  Morgenroth. 

Histonj  of  the  English  Language  p.  59  und  Freeman,  Norman 
Conquest,  IV.  Appendix  EE:  There  is  dislinct  evidence  that  in 
the  days  of  Henry  II,  men  of  high  rank  und  Norman  birth  could 
freely  speak  or  understand  English,  though  of  course  this  does 
not  exclude  their  speaking  French  also.  — 

S.  47.     Le  melange  des  deux  langues  est  du  parfois  ä  wie 
(lutre  cause   cju'ä  Vemprunt,  il  est  souvent  le  resultat  de  l'h  y  b  r  i  - 
d  i  t  e.     La  langue  du  vainqueur  et  celle  du  vaincu,  par  exemple, 
se  sont  f  0  n  d  u  e  s  e  n  s  e  mb  le  ,   c'est  ce  qui  a  eu  Heu  en  anglais, 
en  persan,   en   pehlevi,   en  hindoustani,   en  osmanli.     L'effet  est 
identique,    la   langue   surajoutee   exprime     le  s     i  d  e  e  s    s  u  p  e- 
ri  eures.     Vgl.  0.  Emerson  Hist.  of  the  E.  L.  p.  164  ,,But  it 
ivould  be  difficult  to  class  all  the  French  worcls  in  this  way,  since 
ivords  applicable  to  all  states  and  conditions  of  life  were  introduced 
almost  as  freely."     S.  auch  Behrens,  Beiträge  zur  Geschichte  der 
französischen   Sprache   in   England  und   das   ganze    10.    Kapitel 
von  Emerson's   Hist.    The  French  Element.     In  der  Arbeit  des 
Klassifizierens  und  Wortprägens  schreitet  M.  Raoul  de  la  Grasserie 
weiter  von  den  einzelnen  Wörtern  zu  den  festassoziierten  Wort- 
gruppen (locutions)  mit  den  Unterabteilungen  locutions  d'anaglose, 
locutions  d'cecoglose  und  locutions  de  cataglose,  dann  zu  ganzen 
Sätzen    (Holophrase.    Proverbes  d'anaglose,   de   mesoglose  und   de 
cataglose)    und    schließlich    zur  Li'tteratur  (Holalies,    Polylalie, 
liythmique).     Daran  anschließend  behandelt  er  noch  die  Sprache 
unter    dem    Gesichtspunkt    der    Grammatik    {Phonetique,    Mor- 
phologie,   Syntaxe,    Stylistique),    Kap.    IX    die   schön    erwähnte 
Seboglose,  langage  de  classe  relatif  und  Kap.  X  Gloses  ä  l'etat  dyna- 
mique  et  ä  l'etat  compare.     Wie  ein  tierischer  Organismus  endet 
(las  Ganze  mit  einem  Anhängsel  (Appendice:  mimisme,  lalisme, 
graphisme,  point  de  vue  statique  et  point  de  vue  dynamique).    Auf 
diese    Kapitel   (IV — X)   brauchen   wir  nicht  weiter  einzugehen, 
weil   Grundteilung,    Stil    und    wissenschafthche   Behandlung  die 
gleichen  bleiben.     Doch,  um  nicht  einseitig  nur  Mängel  hervor- 
zuheben, bemerken  wir,  daß  das  charakterisierte  Werk  ebenso 
wie  der  Essai  d'une  semantique  integrale  stellenweise,  —  z.  B. 
S.  147  und  in  einigen  Bemerkungen  über  Polarität  des  Geistigen 
und  Materiellen,   wozu  man  die  Begründung  bei  E.  Mach,   'die 
Analyse  der  Empfindungen   und  das    Verhältnis  des   Physischen 
zum   Psychischen'  suchen   mag  —  auf  dem    Sprachpsychologen 
wichtige    Unterschiede   hinweist,    daß    aber   der   Ausdruck   sehr 
häufig  den  Gedanken  nicht  vollständig  deckt,  viele  Weitschweifig- 
keiten und  die  Fülle  der  Gesichte  den  Leser  zu  keiner  aufrichtigen 
Freude    au    der   Arbeit   kommen   lassen.      Schätzenswert   bleibt 
bei  allem  das  reiche,  vom  Verfasser  mit  großem  Fleiß  gesammelte 
Sprachmaterial. 

Augsburg.  K.  Morgenroth. 


Jensen^  Kr.  Sandfeld.     Biscetningerne  i  Moderne  Fransk.      123 


Jenfiien,  ür.  i^andleld.  BisseUüngeme  i  Moderne  Fransk 
en  haandhog  for  studerende  og  leerere.  Gyldcndalske 
Bogltaii(1ol  ...  Nordisk  Forlag,  Kobenhavn  og  Kristiania 
1909. 

Mit  dem  größten  Vergnügen  liest  man  dieses  Buch,  in  dem 
sich  der  Verf.  als  einen  scharfen  Beobachter  sprachhcher  Er- 
scheinungen bewährt.  Von  ihm  gelten  keineswegs  die  Worte 
Gonan  Doyle's:  You  see,  but  you  don't  ohserve.  Im  Gegenteil 
bespricht  er  scharfsinnig  was  ein  jeder  manchmal  gesehen  hat 
ohne  es  zu  beobachten  und  zwar  auf  eine  nicht  ermüdende  Weise. 
Das  Buch  hat  einen  Umfang,  der  vielleicht  ein  wenig  hätte  be- 
schränkt werden  können,  wenn  nicht  der  Verf.  durch  eine  Fülle 
von  Belegstellen  bisweilen  des  Guten  zu  viel  gegeben  hätte.  Der 
Verf.  beschäftigt  sich  bis  auf  einige  einzelne  Fälle  nur  mit  ganz 
modernem  Französisch  und  geht  in  seinen  Untersuchungen 
nicht  über  das  Jahr  1870  zurück.  Dieses  Verfahren  gibt  dem 
Buch  einen  besonderen  \^'ert.  Gewisse  herkömmliche  gramma- 
tische Regeln  und  Bedeutungsdifferenzen,  die  in  eine  frühere 
Sprachperiode  paßten  und  trotzdem  von  einer  modernen  Gram- 
matik nach  der  andern  mitgeschleppt  worden  sind,  hat  der  Verf. 
demgemäß  ausgemerzt  und  auf  das  Gebiet  der  Märchen  ver- 
wiesen, z.  B.  den  vermeinthchen  Unterschied  zwischen  esL-il 
malade?  und  est-ce  qu'il  est  malade?  So  ist  auch  der  famose 
Satz:  ü  y  a  iine  edition  de  ce  livre^  laquelle  se  vend,  welcher  seit 
Menschengedenken  in  allen  ^Grammatiken  figuriert,  in  seine  rechte 
Beleuchtung  gesetzt  worden.  Das  Buch  hat  drei  große  Abschnitte, 
denen  die  Art  der  Nebensätze  zu  Grunde  liegt,  und  zwar  sub- 
stantivische, nous  avons  appris  qu'il  est  parti  (=  son  departj, 
adjektivische,  un  enfant  qui  est  sain  (^  un  enfant  sainj  dort 
tranqiiillement  und  adverbiale,  j'etais  parti  avant  qu'il  arrivdt 
(=^  avant  son   arrivee). 

Von  dem  reichen  Material  will  ich  nur  ein  paar  Kleinigkeiten 
hervorheben,  die  etwa  anders  aufgefaßt  werden  könnten. 

S.  5  wird  darauf  hingewiesen,  daß  que  nur  einmal  in  Sätzen 
wie:  Je  ne  demande  pas  niieux  que  ga  durc  gesetzt  wird.  Hierher 
dürfte  auch  gehören  ein  Satz  wie:  Aussi  vrai  qu'il  faitjour  (Acad.). 
S.  39  Je  ne  comprends  pas  comment  tu  epouses  une  fenime  qui  a 
deux  enfants.  In  diesen  Beispielen  komme  comment  einem  que- 
Satz  sehr  nahe,  sagt  der  Verf.  Zur  Stütze  seiner  Ansicht  hätte 
er  hinzufügen  können,  daß  sich  hier  bisweilen  sogar  der  Kon- 
junktiv einstellt. 

S.  58  sagt  der  Verf.,  daß  Sätze  wie  un  komme  pour  lequel 
viel  seltener  als  un  komme  pour  qui  seien.  Ich  glaube,  daß  dieser 
Sprachgebrauch  ganz  individuell  ist  und  daß  er  in  manchen 
Fällen   von  Rythmus   und  Meidung   von    Hiat   und   dergl.   he- 


124  Referate  und  Rezensionen.     M.  J.  Minckwitz. 

stimmt  wird.    So  scheint  z.  B.   Jules  Veriio  eine  gewisse  Vorliebe 
für  lequel  zu  hegen. 

S.  66  Die  beiden  Sätze  Un  soir  oü  il  etait  venu  faire  une 
visite^  il  dit  und  Elle  jura  de  venir  le  siirprendre  une  apres-midi 
oü  eile  n'irait  pas  lä-bas  ensuite  scheinen  mir  keineswegs  analog 
zu  sein.  In  jenem  ist  oü  auf  das  Gebiet  des  que  eingedrungen; 
in  diesem  kommt  m.  E.  ein  neues  Zeitmoment  hinzu.  Vielleicht 
liätte  Daudet  auch  une  apres-midi.^  quand  eile  n'irait  pas  lä-bas 
ensuite  schreiben  können.  Sonst  gehören  die  Beobachtungen 
des  Verf.  über  das  Relativpronomen  zu  dem  interessantsten  Teil 
des  Buches.  Der  letzte  Abschnitt,  der  den  Adverbialsätzen 
gewidmet  ist,  gewinnt  dem  Leser  ein  besonderes  Interesse  durch 
die  Sorgfalt  des  Verf.  ab,  den  modernen  Sprachgebrauch  von  dem 
älteren  sowie  den  literarischen  Stil  von  der  gebildeten  Umgangs- 
sprache scharf  zu  unterscheiden.  Dadurch  hat  er  den  Wert 
seines  Buches  sehr  erhöht.  Die  Behauptung  dürfte  nicht  zu 
kühn  sein,  daß  das  Buch  eine  Fundgrube  für  denjenigen  sein 
wird,  der  sich  auf  dem  betreffenden  Gebiete  der  modernen  fran- 
zösischen Syntax  orientieren  will.  Man  kann  dem  Buch  eine 
recht  weite  Verbreitung  wünschen.  Einige  Druckfehler  habe 
ich  bemerkt,  die  in  einer  neuen  Auflage  leicht  zu  beseitigen  sind. 

Norrköping.  Alfred  Stenhagen. 


^idienk.  Albert.  Table  Compar^^s  Observations  de  Calli^res 
sur  la  langue  de  la  fin  du  ^VIF  Siecle.  Kiel,  Robert 
Cordes.     1909,  XXIV,  168  S.  S^. 

Francois  de  Callieres  (1645 — 1717)  ist  neuerdings  wiederholt 
als  wichtiger  Zeuge  für  den  Sprachgebrauch  des  ausgehenden 
17.  .Jahrhunderts  in  den  Vordergrund  des  Interesses  getreten. 
Insbesondere  bildete  er  zweimal  das  Thema  für  philologische 
Festgaben:  1896  durch  Geyer  in  den  Melanges  de  philologie 
romane  dedies  ä  Carl  Wahlund  (Mäcon)  und  1904  durch  Mario 
Roques'  Musterbeitrag  zu  den:  Melanges  de  philologie  offerts 
ä  M.  Ferdinand  Brunot})  {Notes  sur  Fr.  de  Callieres  et  ses  oeuvres 
grammaticales,  29  p.) 

A.  Schenk  hat  dasselbe  Thema  mit  vorliegender  Studie 
noch  eingehender  in  Angriff  genommen  und  mit  dankenswertem 
Erfolge  spezialisiert.  Er  verheißt  uns  überdies  eine  weitere 
Studie  über  Vater  und  Sohn:  Jacques  de  Callieres  und  Frangois 
de  Callieres.     Aus   diesem    Grunde  beschränkt  er  sicli    für  die 

')  Bereits  1897  hatte  ich  Veranlassung  De  Callieres  in  meiner 
Züricher  Dissertation:  Beiträge  zur  Geschichte  der  französischen  Gram- 
matik (diese  Ztschrft.  XIX,  p.  153 — 154)  zu  zitieren,  freilich  nur  im 
Fluge,  da  er  als  Nachahmer  B  o  u  h  o  u  r  s  für  mein  Thema  nicht 
ausführlicli   in    Betracht   kam. 


Schenk^  Alherl.     Table  Comparee  des  Observaiions  ^"C.     125 

Leser  der  ^,Table''  vorläufig  aul'  die  ganz  uaeiitbclulichen 
biographischen  Angaben.  Immerliin  läßt  sich  innerhalb  der- 
selben eine  Lücke  konstatieren,  die  aus  Unkenntnis  der  verdienst- 
vollen Arbeit  von  Alexis  Fran^ois:-)  La  Grammaire  du  Piirism^- 
et  l'Academie  FranQuise  au  XV IIP  Siech  (Paris  1905)  entstanden 
zu  sein  scheint.  Francois  zitiert  de  Callieres  in  einer  Form,  die 
Aufmerksamkeit  heischt.  Einmal  im  2.  Kapitel  seiner  Studie: 
U Execution  du  Programme  (p:  80),  wo  er  ,, Urteile"  von  Zeit- 
genossen über  de  Callieres  anführt:  trop  flatte  par  Goujet 
au  gre  de  l'abbe  Desfontaines,  mais  dont  l'Annee  liUeraire  cite 
avec  eloge  le  petit  mais  excellent  ouvrage  intitule  Des  Mots 
ä  la  mode  (Aiinee  liUeraire^  1754,  Vll,  p.  225),  tandis  que  le  traite: 
Du  bon  et  du  mauvais  usage  du  meme  auteur  est  estime  par 
d'Alembert  un  livre :  v  r  a  i  m  e  n  t  a  c  a  d  e  m  i  q  u  e  (Eloge 
de  Fr.  de  Callieres,  Histoire  des  membres  de  l'Academie,  III,  p.  385.)^) 
Ein  zweites  Mal  kommt  Frangois  im  5.  Kapitel  des  gleichen 
Werkes:  Les  Auteurs  commentes  auf  de  Callieres  zu  sprechen, 
als  er  seine  Fluges  de  quelques  poetes  frangois  lus  ä  l'Academie 
le  jour  de  la  receptioii  de  La  Motte  (1710)  erwälmt  (p.  172 — 173). 
Ihr  Abdruck  erfolgte  1711  im  Recueil  de  plusieurs  piects  d'elo- 
quence. . .  .  Paris,  Coignard,  pp.  327 — 338.  ,,De  Callieres  divise 
ces  poetes  en  trois  „pleiades".  Dans  la  premiere,  il  ränge  Cor- 
neille, Racine,  Moliere,  La  Fontaine,  Voiture,  Sarrasin,  Chapelle; 
dans  la  seconde,  Despreaux,  Pavillon,  Pellisson,  Benserade 
Quinault,  Segrais,  le  duc  de  Nevcrs;  dans  la  troisieme,  un  certain 
nombre  de  femmes  auteurs." 

Augenscheinlich  müßte  sein  1710  in  der  Akademie  be- 
kundeter literarischer  Geschmack  bei  der  Beurteilung  seiner 
sprachlichen  Gesamt  leistungen  einigermaßen  in  die  Wag- 
schale fallen.  Deshalb  erlaube  ich  mir,  auf  diese  von  Schenk 
nicht  ausdrückhch  erwähnte  Schrift  noch  rechtzeitig  aufmerk- 
sam zu  machen.*)  Zu  den  unechten,  sowie  den  opuscules  aca- 
demiques,  saus  grande  iiriportance  (v.  Roques,  /.  c.  p.  4)  darf  sie 
nicht  gezählt  werden. 

Die  sorgsam  angelegte  ,, Table"  verdankt  ihre  Entstehung 
einer  ausdrücklichen  Anregung  Roques'  (s.  p.  XXIII).  Ver- 
dienstlich ist  der  Gedanke  an  jeden  Artikel  ,,une  ou  plusieurs 
citations  comparatives  dans  les  auteurs  qui  ont  ecrit  vers  la 
fin  du  XMF  siecle"  anzureihen.    Diesen  Angaben  wird  ein  eifriger 


2)  Frangois  wird  von  Schenk  nirgends  zitiert. 

^)  D'Al  e  m  b  e  r  t '  s  Eloge  de  Fr.  de  Callieres  wird  von  Schenk 
natürUch  öfters  erwähnt. 

■*)  Emile  Gassier  in  seiner  ungenauen  Notiz  [Les  cinq-cents 
Immorteis,  p.  258)  erwähnt  einzig  mit  Titelnennung  seine:  Histoire 
poetique  de  la  guerre  declaree  entre  les  anciens  et  les  modernes,  1688. 
(vol.  in-12.) 


126  Referate  und  Rezensionen.     D.  Behrens. 

Leser  noch  viele  andere  Vergleiche  anzuknüpfen  willens  sein. 
Insbesondere  wird  Bouhours  stärker  in  Betracht  kommen,  erst- 
lich mit  seinen  Entretiens  d'Ariste  et  d'Eugme  (3te  Auflage, 
Paris  1671),  zweitens  mit  seinen  Doutes  siir  la  langiie  frangoises, 
proposez  ä  Messieurs  de  VAcademie  frangoise  (A  La  Haye,  1674) 
und  endlich  auch  mit  der  Suite  des  Remarques  nouvelles 
sur  la  langue  frangoise  (Paris,  1675). 

Mit  Recht  schließt  sich  Schenk  der  Ansicht  Geyers  an,  daß 
die  Aufstellung  von  Categorien  etwas  mißliches  habe.  Aber 
bei  der  alphabetischen  Einordnung  wären  doch  vielleicht  die 
Aussprache-Angaben  besser  abgesondert  geblieben  und  mehr 
vom  modern-phonetischen  Gesichtspunkt  aus  zur  Besprechung 
gelangt.  Tliurot's  emsige  Arbeit  ist  in  dieser  Beziehung  längst 
überholt  und  nicht  bloß  durch  Heranziehen  neuen  Materials 
zu  ergänzen. 

Da  sich  Schenk  die  Mühe  genommen  hat.  Jaumin,  Les  Corn- 
plitnents  de  la  langue  Frangoise  (Lyon  1624)  heranzuziehen,  mit 
der  Motivierung  ,,parce  qu'il  recommande  l'emploi  d'une  foule 
d'expressions  qua,  en  1693,  Callieres  declare  inadmissibles  dans 
la  bouche  d'un  honnete  homme",  würde  es  sich  empfehlen,  auch 
Marguerite  Büffet,  Nouvelles  observations  sur  la  langue  frangoise 
(Paris,  1668)  etwas  genauer  zu  kontrollieren  als  ich  es  1897  für 
notwendig  erachtet  habe.  Unsere  Sprachforschung  zieht  mit 
recht  immer  engere  Kreise,  um  Positives  zu  Tage  zu  fördern. 
Briefe  jener  Zeiträume  verdienen  ebenfalls  noch  nähere  Berück- 
sichtigung. Insbesondere  bilden  die  Briefe  Madame  de  Sevignes 
in  ihrer  ungekünstelten  Frische  eine  Fundgrube,  die  nocli  in  vieler 
Beziehung   der  richtigen   sprachUchen   Ausnützung   harrt. 

Sclienk's  verdienstvolle  Forschung  eröffnet  ungeahnte  Aus- 
blicke auf  weites  Torrain,   das  noch   völlig  brach   Hegt. 

München.  M.   J.  Minckwitz. 


lilixenburgcr,  Hans.  Die  verbalen  Präfixe  der  französischen 
Sprache.  I.  R-Präfix  im  Französischen  und  Deutschen.  Straß- 
burg i.  E.  Eduard  van  Hauten  (C.  F.  Schmidts  Universitäts- 
Buchhandlung).     1910.     110  S.  8«.     Preis  3,50  Mk. 

S.  21:  ,,ln  re  verläßt  das  tätige  Individuum  noch  nicht  das  Meer 
des  Empfindens  und  der  Sympathie,  in  dem  es  geboren  wurde  (s.  pro), 
um  sich  in  seinem  eigenen  MiUeu  ans  zu  sondern,  es  tritt  noch  nicht 
auf  den  festen  Boden  eigenen  Wollens,  eigener  Zwecke,  sondern  es  ist 
noch  tätig  bewegt  in  der  sympathischen  Fhit,  sein  Wollen  ist  nur  die 
im  Rhythmus  des  Wellengangs  wieder  zerfließende  Welle,  seine  Akti- 
vität nur  die  sympathische  Wechselwirkung  zur  Passivität  im  rhyth- 
mischen Kraftausgleiche  des  ewig  tätigen  Lebens.  Re  also  überhaupt 
Buchstabe  und  Sinnbild  des  Lebensrhythmus,  und  die  re-Verben 
kennzeichnen  sich  überhaupt  als  passive  Verben,  als  Erkenntnis  und 
Anerkennung   der   sympathischen   Lebensbestimmung." 


Müiich,  Wilhelm.  Didaklik  u.  Methodik  des  franz.  Unterrichts.  127 

Ö.  35:  „Während  wir  in  i-e  eine  spiegelglatte  Wasserfläche  sehen, 
in  deren  Masse  alles  Individuelle  als  Gleiches  unter  Gleichem  lebte, 
sehen  wir  bei  pro  die  alles  Leben  bedeutende  Wasserfläche  sich  furchen, 
die  Wasserinasse  setzt  sich  in  Bewegung  in  großen  Wellenzügen,  Höhen 
und  Tiefen  bilden  sich,  und  aus  den  Wellen  können  wir  bestimmte 
Formenbilder  bilden." 

Die  Ausstattung  des  Schriftcliens  ist  gut,  der  Preis  desselben  in 
Anbetracht  der  darin  enthaltenen  Fülle  unbeabsichtigter  Komik  nicht 
zu  hoch. 

I).  Behrens. 


^lüncli^  If^ilhelm.  Didaktik  und  Methodik  des  französischen 
Unterrichts.  —  .'3.  verbesserte  und  ergänzte  Auflage. 
München  1910.  C.  H.  Beck'sche  Verlagsbuchhandlung. 
192  S.  Lex.  8*^.  —  Preis  geh.  4  Mk.,  in  Leinwand  geb. 
5  Mk.  [=  Handbucli  der  Erziehungs-  und  Unterrichts- 
lehre f.  höhere  Schulen,  herausgeg.  von  A.  Bau- 
meister.    III.  Bd.,  2.  Abteiig.,  1.  Hälfte]. 

Was  E.  Uhlemann  vor  sieben  .Jahren  in  dieser  Zeitschr. 
Band  XXVI,  S.  79  über  die  2.  Auflage  dieses  trefflichen  Werkes 
geurteilt,  gilt  auch  von  der  jetzt  vorliegenden  dritten.  Weit 
davon  entfernt,  über  die  einzelnen,  zum  Teil  noch  strittigen  und 
viel  erörterten  Fragen  der  Methodik  des  neusprachlichen  Unter- 
richts abschließend  oder  einseitig  urteilen  zu  wollen,  betätigt 
Münch,  nun  schon  seit  Jahren  dem  praktischen  Betrieb  und 
Kampf  in  unserem  Fache  entrückt,  überall  in  wahrhaft  edler 
und  vornehmer  Form  den  Wunsch,  nach  allen  Seiten  billig  zu 
sein,  eine  weitherzige  Entscheidung  zu  treffen  und  an  vielen 
Punkten  verschiedene  Wege  und  Mittel  als  zulässig  anzuerkennen. 
Mit  Recht  betont  er  auf  Grund  reiclier  und  vielseitiger  Erfahrung 
gegenüber  denen,  die,  für  Neues  unempfänglich  und  auf  den 
Paragraphen  ihres  Programms  ein  für  allemal  fest  beharrend, 
ihn  auf  frühere  abweichende  Äußerungen  festlegen  wollen: 
,,Die  fruchtbarsten  Geister  sind  es  nicht,  die  sicli  ihrer  steinernen 
Festigkeit  rühmen  können". 

Der  Text  ist  diesmal  nicht  einer  so  tiefgreifenden  Umge- 
staltung unterworfen  worden,  wie  es  bei  der  zweiten  gegenüber  der 
ersten  Auflage  der  Fall  war.  Der  Abschnitt  über  die  amtliche 
Organisation  des  Unterrichts  in  den  verschiedenen  Staaten 
(III  C)  ist  auf  Grund  der  jetzt  geltenden  Bestimmungen  neu 
ausgearbeitet.  Um  die  Verw-endbarkeit  dieser  3.  neben  der 
2.  Auflage  zu  erleichtern,  sind  die  neuen  Betrachtungen  in  be- 
sonders bezeichneten  Zusätzen  angefügt.  Als  die  interessantesten 
dieser  Zusätze  sind  wohl  die  folgenden  zu  vermerken:  S.  21  über 
die  Versöhnung  der  zwei  Methoden  und  die  Rechtfertigung  der 
vermittelnden  Stellung,  S.  39  über  phonetische  Texte,  Rezitatoren 
und   Grammophon,   S.  55  über  Sprechübungen,   S.  77  über  die 


128  Referate  und  Rezensionen.    Augast  Sturmjels. 

Stellung  der  Grammatik  und  Leygues'  tolerances  in  unserer 
Schule,  S.  92  über  das  Hinübersetzen,  S.  93  über  den  Aufsatz, 
S.  114  ff.  über  die  Überproduktion  neusprachlicher  Schulausgaben, 
die  Zerfahrenheit  in  der  Auswahl  der  Lektüre,  die  Tätigkeit  des 
Kanonausschusses,  die  Wahl  philosophischer  und  technischer 
Lektüre,  die  Frage  ob  Chrestomathie  oder  Einzelschriftsteller, 
S.  146  Synonymik,  S.  151  Stiüstik,  S.  156  Literaturgeschichte, 
S.  160  Behandlung  der  ReaUen,  S.  181  die  Einrichtung  des  neu- 
pldlologischen  Studiums  und  die  Frage  der  Trennung  von  Fran- 
zösisch und  Englisch,  die  letzthin  am  eingehendsten  auf  der 
Generalversammlung  des  Bayerischen  Neuphilologentages  be- 
handelt worden  ist. 

Münch  orientiert  überall  über  die  verschiedenen  Fragen 
und  die  Auffassung  der  Hauptvertreter  der  verschiedenen  Lager. 
Da  er  selbst  nun  schon  seit  zehn  Jahren  der  praktischen  Betätigung 
entrückt  ist,  so  läßt  er  häufig  die  neueren  methodischen  Schriften 
von  0.  T  h  i  e  r  g  e  n  (Methodik  des  neuphilologischen  Unter- 
richts, 2.  Aufl.  1910),  E.  Hausknecht  (in  Rethwischs  Jahres- 
berichten über  das  höhere  Schulwesen,  Weidmann,  Beriin  und 
in  Heins  ,, Deutsche  Schulerziehung")  und  G.  S  t  e  i  n  ra  ü  1 1  e  r 
(in  Breymanns  ,, Neusprachliche  Reformliteratur",  Bändchen  IIL 
1905  und  IV.  1909)  zu  Wort  kommen. 

Die  Neubearbeitung  der  Literaturangaben  S.  182  ff.  weist 
gegenüber  der  zweiten  Auflage  eine  größere  Beschränkung  auf, 
jedoch  nicht  zum  Nachteil  des  Buches:  viele  Stichproben  haben 
mir  ergeben,  daß  die  wertvollen  Bücher  und  Aufsätze  verzeichnet 
sind. 

Münchs  Buch  wird  auch  in  dieser  neuesten  Gestalt  allseitige 
Belehrung  und  Anregung  bieten  und  deshalb  zum  eisernen  Be- 
stand jeder  neusprachlichen  Hand-  und  Schulbibliothek  gerechnet 
werden  müssen. 

D  a  r  m  s  t  a  d  t.  August   Sturmfels. 


Tlaiergeii,  Oscar.  Methodik  des  neuphilologischen  Unter- 
jichls.  2.  Auflage  mit  4  Abbildungen  im  Texte.  1910. 
Leipzig,  B.  G.  Teubner.     159  S.     8^^. 

Im  Gegensatz  zu  Münchs  weitherziger  Ausführung  der  Be- 
stimmungen der  neuen  Lehrpläne  in  der  eben  besprochenen 
,, Didaktik  und  Methodik"  muß  auch  die  vorhegende  neue  Auflage 
von  Thiergens  Methodik  als  das  bezeichnet  werden,  w^as  Uhlemann 
in  dieser  Ztschr.  Band  XXVI,  S.  81  von  der  ersten  gesagt,  nämlich 
als  ,, einseitige  Interpretation  dieser  Lehrpläne  im  Sinne  der 
Reformer".  Es  soll  jedoch  damit  keineswegs  ein  Tadel  aus- 
gesprochen sein;  will  der  Verfasser  ja  doch  nicht  mehr  und  nicht 
weniger  geben  als  eine  praktische  Methodik,  die    Quin- 


Thiergen,   Oscar.      Methodik   des    neiiphilolog.     Unterrichts.     129 

tessenz  der  Erfahrungen  seiner  langen  und  reichen  Tätigkeit 
,,in  allen  Schulgattungen,  außer  Oberrealschulen".  Das  Buch 
trägt  durchaus  ein  konkretes,  subjektives,  individuelles  Gepräge. 
Sein  wertvollster  Bestandteil  ist  Abschnitt  IV,  den  Uhlemann 
schon  so  eingehend  gewürdigt,  daß  ich  mich  hier  auf  Einzel- 
heiten beschränken  kann. 

Die  Anordnung  des  Buches  ist  in  dieser  Auflage  im  ganzen 
dieselbe  geblieben.  Das  Kapitel  über  Auslandsreisen  ist  mit 
Hecht  gekürzt,  das  über  die  Transkription  und  Phonetik  er- 
weitert. Die  neuen  preußischen  Ausführungsbestimmungen  über 
den  höheren  Mädchenschulunterricht  sind  S.  92  ff.  berücksichtigt. 
Abschnitt  V,  ein  Vortrag  von  Cossack  über  Börner-Thiergens 
Lehrbuch  des  Englischen,  ist  vollständig  weggefallen,  vielleicht 
unter  dem  Einfluß  der  Kritik  der  ersten  Auflage.  Ob  jedoch 
die  berechtigte  Kritik  überall  beachtet  worden,  wie  der  Verfasser 
im  Vorwort  behauptet,  will  mir  zweifelhaft  erscheinen.  Die 
Wortfamilien  S.  54  ff.  geben  immer  noch  eine  Fülle  von  überaus 
seltenen  und  für  den  Schüler  ganz  wertlosen  Wörtern.  Ist 
Thiergen  immer  noch  der  Ansicht,  daß  die  sachliche  Belehrung 
im  Anschluß  an  die  Lektüre  so  weit  gehen  kann  und  soll,  wie 
er  S.  109  bei  Besprechung  des  Wechsels  in  Dickens'  Christmas 
Carol  bemerkt  ?  Der  Optimismus,  wie  er  S.  122  unten  nach 
Darlegung  der  Behandlung  des  Gedichts  von  Coppee  ,,r?zw  ou 
l'autre"  zum  Ausdruck  kommt,  würde  vielleicht  geringer  sein, 
wenn  der  Verfasser  an  Oberrealschulen  in  Städten  mit  allen 
Schulgattungen  gewirkt  hätte.  Die  übrigens  durchaus  dank- 
baren Beispiele  von  Skizzen  der  Entwicklung  der  zwei  Sprachen 
S.  123  ff.  sind  in  Einzelheiten  noch  unklar  oder  falsch:  warum 
ist  nicht  der  einfache  logische  Grund  dafür  angegeben,  daß  der 
Stamm  der  casus  obliqui  {pedem^  pontem,  florem.  =  pied,  pont, 
fleur  etc.)  die  Grundlage  der  französischen  Wörter  geworden  ist  ? 
Die  Stellen  S.  138  oben  "in  the  13th  Century  the  descendants  of 
the  Anglo-Saxons  knew  so  little  of  the  langiiage  of  their  forefathers 
that  they  were  scarcely  able  to  read  their  ancient  writers"  und  dann 
S.  138  Mitte  "English  had  remained  victorious"  stehen  im  Wider- 
spruch, da  man  nach  der  ersten  Stelle  annehmen  muß,  das  Angel- 
sächsische sei  in  allen  Kreisen  der  Bevölkerung  erloschen  ge- 
wesen, was  doch  gar  nicht  der  Fall  war,  da  ja  sonst  der  in  der 
zweiten  Stelle  konstatierte  endgültige  Sieg  der  germanischen 
Sprache  unerklärlich  wäre. 

Diese  Kleinigkeiten  sollen  natürhch  nicht  im  geringsten 
unser  Gesamturteil  abschwächen,  in  dem  wir  das  Buch  als  die 
beachtenswerteste  Didaktik  der  Reformer,  als  ein  sehr  anregendes 
und  gedankenreiches  Werk  bezeichnen. 

D  a  r  m  s  t  a  d  t.  August   Sturmfels. 


Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVIP 


130  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

Breliueier«  IfcJnricll.  Eigenheiten  dts  französischen.  Ausdrucks 
und  ihre  Übersetzung  ins  Deutsche.  (XVII.  Heft  der  Neu- 
sprachlichen Abhandlungen  aus  den  Gebieten  der  Phraseologie, 
Realien,  Stilistik  und  Synonymik,  herausgeg.  von  Dr.  Cle- 
mens K  1  ö  p  p  e  r  -  Rostock).  Dresden  und  Leipzig  1910. 
C.  A.  Kochs  Verlagsbuchhandlung  (H.  Ehlers)  in  S",  VI  +  72  S. 
L60  Mk. 

Das  vorliegende  Heft  enthält  zwar  eine  Reihe  von  Angaben  und 
Beispielen,  die  geeignet  sind,  dem  Schüler  bei  der  Übersetzung  aus 
dem  Französischen  ins  Deutsche  einige  Hilfe  angedeihen  zu  lassen 
und  in  gewissem  Sinne  die  Arbeit  zu  erleichtern,  aber  im  allgemeinen 
ist  die  Auffassung  des  Verfassers  von  sprachlichem  Leben  so  wenig 
wissenschaftlich  vertieft,  ist  überhaupt  sein  Sprachgefühl  so  eng  und 
unfrei,  daß  ich  mir  von  der  Benutzung  des  Büchleins  weder  für  Lehrer 
noch  Schüler  großen  Nutzen  verspreche. 

Der  Hauptirrtum  des  Verfassers  besteht  darin,  daß  er  glaubt, 
man  könne  aus  dem  Zusammenhang  gerissene  Wörter  und  Wortgruppen 
mit  Hilfe  von  mehr  oder  weniger  willkürlichen  Regeln  und  Hinweisen 
auf  einen  (oft  zu  Unrecht  angenommenen)  abweichenden  Sprach- 
gebrauch richtig  und  einwandfrei  aus  einer  Sprache  in  eine  andere 
übersetzen. 

Die  stilistische  Fixierung  jeder  Gedankenmitteilung  oder  Gefühls- 
äußerung erfolgt  zwar  auf  dem  Grunde  gewisser  normaler  Regeln  und 
Gesetze  des  sprachlichen  Ausdrucks,  ist  aber  im  einzelnen  von  einer 
Reihe  von  Faktoren  abhängig,  die  nur  aus  der  augenblicklichen  Ver- 
fassung des  redenden  oder  schreibenden  Individuums  abzuleiten 
sind.  Diese  Faktoren  können  sich  in  beliebigem  Grade  an  das 
Normale  anpassen  oder  sich  von  ihm  entfernen. 

Um  aus  einer  Sprache  in  eine  andere  zu  übersetzen,  muß  zunächst  ein- 
mal der  Sinn  der  zu  übersetzenden  Stelle  genau  geprüft  werden.  Es  muß 
genau  festgestellt  werden,  wie  sich  diese  Stelle  in  den  Zusammenhang 
der  Rede  einfügt,  was  etwa  die  besondere  Absicht  des  Redenden  oder 
Schreibenden  mit  dem  so  und  nicht  anders  formulierten  Ausdruck 
gewesen  ist,  aus  welcher  Stimmung  heraus,  in  welcher  Gefühlslage, 
unter  welchen  äußeren  und  inneren  Bedingungen  die  Worte  geflossen 
sind,  von  wem  zu  wem  die  Rede  geht  und  was  dergleichen  Erwägungen 
mehr  sind.  Erst  wenn  der  ganze  Habitus  der  zu  übersetzenden  Stelle 
erkannt  ist,  dann  kann  die  Übersetzung  beginnen;  die  Übersetzung, 
deren  Ziel  es  ist,  mit  Hilfe  anderssprachlicher  Symbole  Inhalt  und 
Form  des  fremden  Idioms  wiederzugeben.  Da  wird  sich  dann  ganz 
von  selbst  zeigen,  in  welchem  Umfange  man  etwa  Wortstellung,  Wort- 
und  Satzverbindung,  Verbalfunktion,  Präpositionsgebrauch  etc.  der 
einen  Sprache  in  der  anderen  Sprache  beibehalten  kann  oder  ändern 
muß.  Diese  Überlegungen  und  Übungen  sind  sekundärer  Art.  Die 
Ausdrucksformen,  zu  denen  sie  führen,  stellen  sich  ganz  von  selbst 
ein,  da  sie  ja  aus  dem  eigenen,  längst  vertrauten  Sprachgebrauche 
stammen.  Das  erste  Erfordernis  also  ist  den  stilistischen  Charakter 
der  zu  übertragenden  Phrase  festzustellen  und  sich  klar  zu  machen, 
was   man  zu  übersetzen  hat,  das  W  i  e  wird  sich  dann  schon  finden. 

Es  ist  die  Aufgabe  des  Sprachlehrers,  diese  intellektuellen  Opera- 
tionen, soweit  er  sie  durchführen  kann,  den  Schüler  vornehmen  zu 
lassen,  ihn  zu  lehren  den  fremdsprachlichen  Ausdruck  um  seiner  selbst 
willen,  in  seiner  eigenen  Verfassung  zu  begreifen  und  ihn  nachher 
erst  an  die  Übersetzung  der  als  Einheit  erkannten  und  gefühlten  Wort- 
gruppe herantreten  zu  lassen. 

Der  Verfasser  des  vorliegenden  Heftes  spricht  zwar  gelegentlich 
von  der  Notwendigkeit  des  Übersetzens  aus  dem  Zusammenhang  heraus, 


Breimeier ^  Heinrich.     Eigenheiten  des  franz.  Ausdrucks  etc.     131 

er  will  auch  nicht  immer  die  von  ihm  gegebenen  Beispiele  als  die  allein 
möglichen  hinstellen,  aber  dennoch  ist  die  ganze  Anlage  seiner  Schrift, 
die  Tendenz  seiner  Sprachauffassung  und  demgemäß  die  Art  seines 
Sprachunterrichtes  weit  von  dem  Gedanken  entfernt,  dem  diese  Be- 
sprechung zur  Anerkennung  verhelfen  möchte. 

Da  die  Schrift  an  anderer  Stelle  eine  wesentlich  günstigere  Beur- 
teilung erfahren  hat,  so  seien  aus  der  großen  Menge  der  zu  bean- 
standenden Beispiele  einige  besonders  bezeichnende  Fälle  heraus- 
gehoben. 

Gleich  im  ersten  Kapitel  über  die  Wortfolge  behauptet  der  Ver- 
fasser, man  dürfe  manchmal  beim  Übersetzen  die  französische  Wort- 
folge nicht  nachahmen  und  führt  nun  eine  Reihe  von  Beispielen  an, 
welche  die  Notwendigkeit  der  Veränderung  der  Wortstellung  erweisen 
sollen.  In  keinem  einzigen  der  von  ihm  angeführten  Fälle  kann  von 
irgend  einem  Zwange  die  Rede  sein.  So  soll  der  Satz  /e  Vaccueillerai 
nvec  joie  nach  des  Verfassers  Vorschrift  übersetzt  werden  durch  ,,mit 
Freuden  werde  ich  ihn  aufnehmen."  Unter  gewissen  Umständen  wird 
A'ielleicht  diese  Übersetzung  zu  empfehlen  sein,  aber  ,,ich  werde  ihn 
mit  Freuden  (oder  sehr  gern)  aufnehmen"  ist  in  der  Regel  ebenso  gut. 
genau  und  richtig.  //  arrü'ci  trop  tard  pour  sauver  son  ami  soll  werden 
,,zu  spät  kam  er  an,  um  seinen  Freund  zu  retten";  il  Vavait  dit,  la  i'oi.v 
elevee  mit  erhobener  Stimme  hatte  er  es  gesagt;  nul  ne  connaissait  la 
destination  de  ce  corps  die  Bestimmung  dieses  Korps  wußte  niemand. 
Warum  sollte  man,  um  nur  das  letzte  Beispiel  zu  besprechen,  im 
Deutschen  den  Satz  nicht  beginnen  dürfen  mit  ,, Niemand  kannte  .  ." 
Besonders  dann,  wenn  etwa  der  Autor  gerade  den  Nachdruck  auf  die 
Tatsache  legen  wollte,  daß  eben  niemand  wußte,  wohin  das  Korps 
marschieren  sollte.  II  avait  renforce  sa  cavalerie  übersetzt  der  Ver- 
fasser durch  ,, Seine  Kavallerie  hatte  er  verstärkt"  und  will  damit 
seinen  Schülern  die  Abweichung  der  französischen  Wortstellung  von 
der    deutschen    beweisen. 

Im  Kapitel  über  das  Substantiv  heißt  es  u.  anderem :  Der  durch  das 
Substantiv  ausgedrückte  Begriff  ist  näher  zu  bestimmen:  La  tentation 
die  Versuchung  zum  Bösen.  Für  Luthers  Sprachgefühl  genügte  be- 
kanntlich ,,und  führe  uns  nicht  in  Versuchung"  und  Flauberts  Novelle 
La  Tentation  de  Saint  Antoine  wird  man  sicher  nicht  wiedergeben  durch 
,,Die  Versuchung  des  hlg.  Antonius  zum  Bösen".  Der  Verfasser  doziert : 
Ein  franz.  Subst.  mit  Adj.  ist  durch  ein  neutrales  substantiviertes 
Adj.  oder  Partizip  wiederzugeben:  la  force  creatrice  das  Schöpferische 
(p.  19).  Jeder  Unvoreingenommene  wird  ohne  Zweifel  übersetzen 
.,die  Schöpferkraft".  De  grandes  choses,  Großes.  So  gewiß  in  manchen 
Fällen,  z.  B.  Der  Herr  hat  Großes  an  uns  getan,  aber  daneben  auch 
,,der  große  Dinge  tut".  Das  franz.  Subst.  bleibt  oft  unübersetzt, 
z.  B.  Au  milieu  des  applaudissements  de  la  foule  unter  dem  Beifalls- 
geschrei der  Menge.  Ich  kann  mir  Fälle  denken,  wo  ich  nur  übersetzen 
würde  ,, inmitten  des  Beifallsgeschreis",  etwa  wenn  ich  fortfahre  ,, blieb 
der  Gefeierte  unbeweglich".  //  composa  un  livre  ä  Vusage  des  ecoliers 
übersetzt  Breimeier  durch  ,,er  verfaßte  ein  Buch  für  die  Schüler", 
indem  er  ohne  Grund  das  Subst.  usage  ,, unübersetzt"  läßt.  In  Wirk- 
lichkeit übersetzt  er  es  natürlich  mit,  wenn  er  es  auch  nicht  durch  das 
entsprechende  deutsche  Substantiv  ausdrückt.  ,,Für  die  Schüler"  ist 
ihm  doch  die  dem  Sinne  entsprechende  Übersetzung  von  ,,d  Vusage  des 
ecoliers".  Ein  Grund  das  Substantiv  im.  Deutschen  zu  unterdrücken, 
ist  selbstverständlich  nicht  vorhanden.  ,,Für  den  Schulgebrauch" 
oder  ,,zum  Gebrauch  für  Schüler"  würde  besser  sein  als  nur  ,,für  die 
Schüler". 

Eine  Erklärung  wie  „U espritun^.  lecceur"  geben  oft  an,  nach  welcher 
Seite  hin  eine  Person  besonders  in  Betracht  kommt:  Vesprit  du  peupk 


132  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

das  Volk,   dans  Vesprit  de  nos  compatriotes  bei   unseren  Landsleuten, 
kann  wohl  nicht  gröber  und  vager  zugleich  gefaßt  sein. 

Bei  der  Lehre  vom  Adjektiv  heißt  es  u.  and.:  Das  attributive 
Adj.  wird  substantiviertes  Adj.  Ce  fait  louable  das  Löbliche  dieser  Tat. 
Würde  man  jemals  sagen:  Das  Löbliche  dieser  Tat  trug  dem  braven 
Manne  eine  hohe  Belohnung  ein  ?  Cette  question  indecise  das  Unbestimmte 
(lieser  Frage.  Würde  ein  Lehrer  einem  Schüler  antworten:  Auf  das 
Unbestimmte  dieser  Frage  kann  ich  dir  keine  Auskunft  geben  ?  —  Das 
Adjektiv  wird  übersetzt  durch  ein  Adverb  (p.  22):  Deux  regnes  successifs 
nacheinander.  So  braucht  man  doch  nicht  zu  übersetzen,  weil  man 
i^twa  en  plein  cceur  durch  ,, mitten  ins  Herz"  übersetzt. 

Sehr  pedantisch  ist  das  Kapitel  über  die  Konjunktionen  abgefaßt. 
Während  das  Verhältnis  der  einzelnen  Sätze  und  Satzteile  untereinander 
im  Französischen  häufig  nicht  durch  eine  Konjunktion  angegeben  ist, 
sei  im  Deutschen  die  Neigung  Bindewörter  zu  gebrauchen  gewöhnlicher. 
Diese  vermeintliche  Eigenart  des  Deutschen  zeigt  Verf.  am  kläglichsten  an 
folgendem  Beispiel:  Malgre  le  vent  qui  soujjle  et  la  jroid  qui  mord,  Mari- 
anne s'accoude  un  instant  ä  la.  jenetre.  Cela  lui  refraichit  la  tete.  Elle 
est  si  lasse:  depuis  le  matin  eile  n'a  pas  quitte  louvrage,  et  la  couture 
e'est  si  dur:  Trotz  des  wehenden  Windes  und  der  beißenden  Kälte 
lehnt  sich  Marianne  einen  Augenblick  ans  Fenster,  u  n  d  das  kühlt 
ihr  den  Kopf;  denn  sie  ist  müde  und  hat  seit  dem  Morgen  die  Arbeit 
nicht  aus  der  Hand  gelegt,  trotzdem  das  Nähen  so  sauer  ist.  Diese 
Übersetzung  zerstört  unerbittlich  den  stilistischen  Charakter  der  Vor- 
lage. Gerade  das  Fehlen  der  Konjunktionen  läßt  die  einzelnen  Momente 
der  Situation  so  schön  und  stimmungsvoll  hervortreten.  Das  ist  im 
Deutschen  ebensogut  möglich  wie  im  Französischen  .  .  .  Das  kühlt 
ihr  den  Kopf.  Sie  ist  so  müde.  Seit  dem  frühen  Morgen  hat  sie  die 
Arbeit  nicht  aus  der  Hand  gelegt  und  das  Nähen,  es  ist  so  sauer. 

Neben  manchen  richtigen  Bemerkungen  finden  sich  auch  in  dem 
Kapitel  über  das  Verbuni  eine  Reihe  von  verfehlten  Vorschriften. 
Es  wird  gewiß  häufig  ein  präpositionaler  Infinitiv  des  Französischen 
im  Deutschen  durch  eine  substantivische  Wendung  auszudrücken  sein, 
z.  B.  avant  de  partir  vor  der  Abreise.  Aber  deswegen  ist  es  doch  nicht 
nötig  den  Satz:  Quoi  qu'on  puisse  dire  en  effet  pour  justifier  le  deve- 
loppement  que  Napoleon...  zu  verdeutschen,  wie  Breimeier  es  tut: 
Was  man  auch  wirklich  zur  Rechtfertigung  der  Entwicklung  sagen 
mag,  die  Napolen.  .  .  Die  Übersetzung  von  //  doit  se  soumettre  durch 
Unterwerfung  ist  Pflicht,  ist  abstrakt  und  linkisch;  die  der  Wendung 
qui  a  persiste  jusquaubout  ä  se  fier  ä  lui  durch  ,,der  bis  zuletzt  im  Ver- 
trauen auf  ihn  ausgeharrt  hat"  jedenfalls  mißverständlich.  Im  Fran- 
zösischen heißt  es,  daß  einer  einem  anderen  unbedingtes  Vertrauen 
bewahrt  hat,  im  Deutschen  tritt  ohne  Not  das  Ausharren  in  den  Vorder- 
i^rund,  man  denkt  an  ein  wirkliches  Warten  oder  Ausdauern  in  einer 
bedrängten  Situation  etwa.  Davon  ist  im  französischen  Text  keine 
Rede.  Eine  i'alsche  Anwendung  des  Wortes  ,, kenntlich"  liegt  vor  in 
der  Übersetzung  von  un  endroit  qu'oji  va  lui  faire  connaitre  durch:  ein 
Ort,  den  man  ihm  kenntlich  machen  will.  Ein  franz.  Particip  wird 
durch  ein  Adjektiv  wiedergegeben.  Beispiel:  madame  est  sortie  die 
gnädige  Frau  ist  aus.  Wenn  ein  Dienstbote  so  spricht,  der  es  nicht 
besser  weiß,  mag  es  angehen.  Ein  Schüler,  der  aus  dem  Französischen 
möglichst  gut  ins  Deutsche  übersetzt,  darf  eine  solche  nachlässige 
Redensart  nicht  gebrauchen. 

Es  verrät  eine  recht  oberflächliche  Auffassung  von  syntaktischem 
Satzgefüge,  wenn  der  Verfasser  lehrt  (p.  47):  ,,Nach  il  ya  (il  est)  drückt 
der  Infinitiv  mit  ä  eine  Notwendigkeit  oder  Möglichkeit  aus.  Cette 
fois  il  li'y  avait  plus  ä  se  meprendre  dieses  Mal  konnte  man  sich  nicht 
mehr  täuschen."   Wie  sollte  der  Infinitiv  das  vermögen?     Sollte  die- 


Breimeier,  Heinridi.     Eigenheiten  des  franz.  Ausdrucks  etc.     133 

jMöglichkeit  oder  Notwendigkeit  nicht  vielmehr  in  dem  il  y  a  odei' 
il  est  liegen?  Ein  gleicher  Mangel  an  elementarstem  syntaktischen 
Sinn  liegt  zugrunde,  wenn  Breimeier  als  Beispiel  für  die  Übersetzung 
des  Infinitivs  mit  de  angibt:  //  feignit  de  ne  pas  comprendre  er  tat,  als 
ob  er  es  nicht  verstände.  Nicht  der  Infinitiv  mit  de  wird  so  übersetzt, 
sondern  der  Begriff  des  Sich-Verstellens.  Da  die  Übersetzung  einmal 
angefangen  wurde  mit  ,,er  tat",  so  blieb  nichts  anderes  übrig  als  fort- 
zufahren .,als  ob". 

Nebensätze  werden  durch  ein  Adjektiv  oder  Particip  übersetzt 
(p.  70):  Le  succes  que  nous  pouvons  esperer  der  zu  erhoffende  Erfolg. 
Wer  spricht  oder  schreibt  so?  Der  Erfolg,  den  wir  erhoffen  dürfen, 
ist  wolil  eine  bessere  und  getreuere  Übersetzung.  La  question  qui  s'agiie 
die  schwebende  Frage.  Den  Satz  ,,la  question  qui  s'agite  en  ce  moinent" 
würde  ich  ohne  weiteres  übersetzen:  ,,die  Frage,  um  die  es  sich  m 
diesem  Augenblick  handelt",  und  nicht  ,,die  in  diesem  Augenblick 
schwebende  Frage".  Qui  connait  le  monde  weltkundig.  In  sehr  vielen 
Fällen  werde  ich  den  mit  Nachdruck  gesprochenen  Relativsatz  ,,dei- 
die  Welt  kennt",  dem  einfachen  Adjektiv  ,, weltkundig"  ganz  sicher 
vorziehen.  Un  etat  qui  doit  durer  übersetzt  Breimeier  sehr  dürftig 
durch  ,,ein  dauerhafter  Staat".  Man  spricht  wohl  von  einem  dauer- 
haften Stiefel  oder  einem  dauerhaften  Regenschirm,  aber  auch  von 
einem  dauerhaften  Staat?  Abgesehen  davon,  daß  die  verschiedenen 
Möglichkeiten,  die  doit  je  nach  dem  Zusammenhang  der  Übersetzung 
gewährt,  ganz  unberücksichtigt  bleiben. 

,,Das  Relativpronomen  steht  oft  statt  einer  deutschen  Konjunktion" 
(p.  72)  La  inort  qui  u'epargne  personne,  est  la  veritable  egalite.  Da  der 
Tod  niemand  verschont,  so  erscheint  er  als  die  Verkörperung  der 
Gleichheit.  Sehr  exakt  und  umständlich  und  doch  nicht  gut.  Welcher 
Nachdruck  liegt  nicht  in  den  Worten  La  mort  qui  n'epargne  personne, 
der  Tod,  der  keinen  verschont.  Jedes  Wort  ist  an  seinem  Platze,  wirkt 
an  seiner  Stelle,  und  die  Umschreibung  durch  die  Kausalkonjunktion 
beraubt  den  Satz  seiner  ganzen,  feierlichen  Schwere. 

Relativsätze  werden  koordiniert:  II  partit  pour  VÄinerique,  oü  il 
mourut  peu  apres.  Er  reiste  nach  Amerika  u  n  d  starb  dort  bald  nach- 
her. Ganz  unnötig,  die  relativische  Anknüpfung  aufzuheben;  wo 
er  bald  darauf  starb,  ist  gerade  so  gut,  wenn  nicht  besser  und  unge- 
zwungener. Koordiniert  der  Verfasser  hier,  so  ordnet  er  bei  anderer 
Gelegenheit,  ebenfalls  ohne  zwingenden  Grund,  unter.  S.  65  gibt  er 
als  Beispiel:  Dans  ces  provinces  aussi,  la  reforme  avait  penetre,  et  ä 
Vabri  de  leur  liherte  d'etats  .  .  .  eile  avait  fait  de  sensibles  progres,  mit  der 
Übersetzung:  Auch  in  diese  Länder  war  die  Reformation  eingedrungen, 
wo  sie  . . .  Fortschritte  machte.  Es  ist  natürlich  möglich,  so  zu  schreiben, 
walirscheinlich_ ist  sogar  der  französische  Text  die  von  einem  Franzose)^ 
herrührende  Übersetzung  des  deutschen,  so  daß  die  Subordination 
in  dem  einen  Beispiel,  die  Koordination  im  anderen  dem  Verfasser 
der  vorliegenden  Schrift  nicht  zur  Last  fallen.  Er  fehlt  nur,  indem 
er  aus  diesen  Beispielen  verallgemeinernde  Schlüsse  zieht  und  sagt, 
so  muß  es  gemacht  werden,  oder  hier  kann  man  etwas  lernen  für  die 
Erkenntnis  von  Abweichungen  des  deutschen  vom  französischen 
Sprachgebrauche. 

Für  die  Übersetzung  des  nunmehr  als  letzten  anzuführenden 
Beispiels  wird  er  aber  wohl  selbst  verantwortlich  zu  machen  sein. 
Les  patrons  de  la  fabrique  oü  il  travaillait  etaient  de  braves  gens,  qui 
comprenaient  quHl  faut  que  le  iravail  nourrisse  son  maitre.  In  der  Über- 
setzung: Seine  Fabrikherrn  waren  brave  Leute  und  sahen  ein,  daß 
die  Arbeit  ihren  Herrn  ernähren  müsse.  Hier  ist  die  vorgenommene 
Koordination  statt  der  Relativkonstruktion  ganz  unstatthaft.  Der 
Relativsatz  gibt  nämlich   gewissermaßen   die   Erklärung,   warum   die 


134  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

Fabrikherrn  brave  Leute  waren  (ihre  Bearbeitung  zeigte  sich  nämlich  auch 
darin,  daß  sie  der  Ansicht  waren,  die  Arbeit  müsse  ihren  Herrn  ernähren). 
Indem  Breimeier  durch  ,,und"  koordiniert,  sagt  er,  daß  die  Fabrikherren 
brave  Leute  waren  und  außerdem  noch  einsahen,  daß  . . .  Die  Ab- 
weichung vom  Französischen  ist  hier  also  vom  Übel.  Will  man  schon 
einmal  nach  Finessen  in  der  Übersetzung  suchen,  so  könnte  man  sich 
eher  fragen,  ob  man  im  Deutschen  wohl  sagen  dürfe,  die  Arbeit  ernährt 
ihren  Herrn.  Man  sagt  wohl,  Untreue  schlägt  ihren  eigenen  Herrn, 
aber  z.  B.:  Jedes  Handwerk  nährt  seinen  Mann,  und  so  müßte  man 
wohl  auch  hier  statt  Herrn  Mann  schreiben. 

Gießen.  .  Walther  Küchler. 


Novitätenverzeichnis. 

(Abg'eschlossen  am   1.  Fohniar  1911.) 

1.  Bibliographie  und  Handschriftenkiinde. 

Aude,  Ä.-F.  Bibliographie  critique  et  raisonnee  des  Ana  frangais  et 
etrangers.     Paris,  H.  Daragon,  1910.     122  S.     8*^. 

Calaloguc  general  des  livres  imprimes  de  la  Bibliotheque  nationale. 
Auteurs.  T.  42:  Dript-Duchemin  de  Villiers.  Paris,  Impr.  nationale, 
1910.  In-8,  col.  1  ä  1262.  [Ministere  de  Finstruction  publique  et 
des  beaux-arts.] 

Catalogue  general  des  livres  imprimes  de  la  Bibliotheque  nationale. 
Actes  royaux,  par  M.  Albert  Isnard.  T.  ler.-  Depuis  l'origine  jusqu'ä 
Henri  IV.  Paris,  Impr.  nationale.  1910.  In-8  ä  2  col.,  I  ä  LVIII, 
col.  LIX  ä  CCXXII,  col.  1  ä  852.  [Ministere  de  Instruction  publi- 
que et  des  beaux-arts.] 

Catalogue  general  de  la  librairie  frangaise.  Continuation  de  l'ouvrage 
d'Otto  Lorenz.  (Periode  de  1840  ä  1885:  11  vol.)  T.  21  (periode 
de  1906  ä  1909).  Redige  par  D.  Jordell.  ler  fasc.  :  A.  Chamard. 
Paris,  D.   Jordell,  8,  rue  de  Louvois,  1910.     In-8  ä  2  col.,  240  p. 

Catalogue  des  manuscrits  de  la  collection  Mancel;  par  B.  N.  Sauvage. 

Paris,  PIon-Nourrit  et  Cie.   Caen,  libr.  L.  Jouan.    1910.    In-8,  316  p. 

[Extrait  du  «Catalogue  general  des  manuscrits  des  bibliotheques 

publiques  de  France».    T.  44,  publie  par  le  ministere  de  Finstruction 

publique  et  des  beaux-arts.] 
Prevost.     Inventaire   sommaire   des   documents   manuscrits   contenus 

dans  la  collection  Chatre  de  Cange,    au    departement  des  imprimes 

de  la  Bibliotheque  nationale.    Paris,  H.  Champion,  1910.   In-8,  240  p. 
Ricci,   Seymour  de.     Inventaire  sommaire  des   manuscrits   du   Musee 

Plantin,  ä  Anvers  [In:  Rev.  des  Bibliotheques.   Juillet-sept.  1910]. 

S.  Enzyklopädie,  Sammelwerke,  Oelehrteng^eschichte. 

Bulletin  de  la  Soc.  de  litterature  wallonne.  T.  52,  2me  partie  (Philologie). 
Liege,  H.  Vaillant-Carmanne,   1910. 

Bulletin  du  Dictionnaire  general  de  laLangue  wallonne.  5e  annee  (1910). 
Nr.  2:  Sommaire:  Les  machines  parlantes  et  la  dialectologie,  par 
Antoine  Gregoire.  —  Le  Musee  de  la  parole,  par  Ferdinand  Brunei. 
—  Les  Patois,  par  .Jean  Frollo.  —  Archives  dialectales:  16.  Le 
Beurre  et  le  Fromage  [dialecte  de  Thimister  (pays  de  Herve)],  par 
le  Dr.  S.  Randaxhe.  —  17.  Le  Matelassier  (dialecte  de  Namur), 
par  Paul  Marechal.  —  Notes  d'Etymologie  et  de  Semantique:  32. 
w.  tofer  ou  tot-fer,  par  Alphonse  Bayot  et  Jean  Haust.  —  33.  w. 
cirion,  claus  d'cirion,  par  Jules  Feller.  — •  34.  w.  öjermale;  35.  vv. 
djama;  36.  \v.  crämignon;  37.  w.  vinäve,  par  Jean  Haust.  —  38. 
Le  Suffixe  -aricius  en  wallon,  par  Jules  Feller.  —  Communications 
regues  (7^  liste). 


136  Novilätenverzeichnis. 

Bulletin  du  Dictionnaire  general  de  la  Langue  walloniie.  5e  annee  (1910). 
Nr.  3 — 4:  Sommaire:  Notes  d^ Etymologie  et  de  Semantique.  38.  Le 
Suffixe  -aricius  en  wallon  [Jules  Feller),  suite  et  fin.  —  Enquetes 
ä  faire.  —  Vocabulaire-Questionnaire  (7^  cahier):  Ginquieme  liste 
AB-;  Troisieme  liste  AB-;  Deuxieme  liste  AD-  AE-.  —  Liste  des 
Correspondants  qui  ont  repondu  au  3e  et  au  6e  Questionnaire.  — 
Livres  et  Revues  (Jean  Haust).  —  Chronique. 

Revue  des  Etudes  Rabelaisiennes .  VIII,  2e  et  3e  fascicules  [Sommaire. 
Charles  Charmois,  peintre  du  roi  Megiste,  par  Henri  Clouzot.  P.  113. 

—  Les  noueries  d'aiguillette  en  Poitou,    par  Henri  Gelin.    P.  122. 

—  Rabelaesiana,  par  Lazare  Sainean.  P.  134.  ■ —  La  Grande  salle 
de  Navarre,  par  G.  Pinet  (avec  trois  gravures).  P.  173.  —  Les 
cagots  au  XVIe  siecle,  par  Lazare  Sainean.  P.  180.  —  Un  lecteur 
de  Rabelais  entre  1540  et  1549.  P.  188.  —  Le  chapitre  XXXIII 
du  manuscrit  du  Ve  livre,  par  Lazare  Sainean.  P.  191.  —  Le  «trou 
de  sainct  Patrice»,  par  J.  Plattard.  P.  200.  —  Le  College  de  Mon- 
taigu  et  les  cuistres,  par  Alphonse  Roersch.  P.  204.  —  La  Sibylle 
de  Panzoult,  par  Henry  Grimaud  (avec  une  gravure).  P.  208.  — 
Notes  pour  le  commentaire,  par  P.  Dorveaux  et  E.  Galtier.  P.  209. 
Comptes-Rendus.  P.  220:  Henri  Hauser.  Etudes  sur  la  Reforme 
franQaise  (J.  B.).  —  P.  222:  V.-L.  Bourrilly.  Le  Journal  d'un 
bourgeois  de  Paris  sous  le  regne  de  Frangois  fer  (1515 — 1536) 
( J.  Plattard).  —  P.  225:  Henri  Clouzot.    Philibert  de  l'Orme  ( J.  B.). 

—  P.  226:  Aurelio  Stopoloni.  Francesco  Rabelais  (J.  B.).  —  P.  228: 
Paul  Lanmonier.  La  Vie  de  P.  Ronsard,  de  Claude  Binet  (1586); 
Ronsard  poete  lyrique.     Etüde  historique  et  litteraire  (J.  Plattard). 

—  P.  232:  Matiiieu  Auge-Chiquet.  La  vie,  les  idees  et  l'oeuvre  de 
Jean-Antoine  de  Baif ;  les  Amours  de  Jean-Antoine  de  Baif  (Amours 
de  Meline)  (V.-L.  Bourrilly).  —  P.  234:  Armand  Lebault.  La  table 
et  le  repas  ä  travers  les  siecles  (A.  L.).  —  P.  236:  Beatrix  Rava. 
L'art  de  Rabelais  (A.  L.).  —  P.  237:  Jean  Plattard.  L'oeuvre  de 
Rabelais  (sources,  invention  et  composition)  (J.  B.).  —  Chronique. 
P.  244 — 256.  —  Fac-similes:  Vue  de  l'ancien  College  de  Navarre  lors 
de  la  demolition  en  1876.  P.  174.  —  Vue  du  bätiment  de  la  theo- 
logie  sur  la  rue  Clopin.  P.  175.  —  L'escalier  conduisant  ä  la  biblio- 
theque.  P.  176.  —  La  grotte  de  la  Sibylle  de  Panzoult  (d'apres 
une  Photographie).     P.  208]. 


Breymann,  H.  von  H.  Schneegans  [In:  Zs.  f.  frz.  u.  engl.  Unterriciit 
IX,   6.     S.  529—540]. 

Nutt,  A.  —  E.  Clodd.  In  Memoriam:  Alfred  Nutt  [In:  Folk-Lore 
XXI,  ,3]. 

Picard,  Emile.  Biographie.  Bibliographie  analytique  des  ecrits  p. 
E.  Lebon.     Paris,  Gauthier-Villars  [Savants  du  jour]. 

Tobler,  Adolf.  In  memoriam.  Von  A.  Wallensköld  [In:  Neuphilo- 
logische Mitteilungen.    1910  Nr.  3/4]. 

3.  Sprachgeschichte.  Grammatik,  liCxikographie. 

Novicow,  J.  Le  frangais  langue  international  de  l'Europe.  Paris. 
B.  Grasset.     2  fr. 

Adolphi,    P.     Doppelsuffixbildung  und   Suffixwechsel  im   Englischen 

mit  besonderer  Rücksicht  auf  das  lateinisch-romanische  Element, 

Diss.  Marburg.     43  S.     8«. 
Gärtner,    Th.      Französische    Redensarten   in    unserem    Deutsch   [In: 

Wiss.  Beihefte  z.  Zeitschr.  des  A.  deutschen  Sprachvereins.  5.  Reihe. 

Heft  32.     S.  44—46]. 


Novüälenverzeichnis.  137 

Herthum,  P.    Die  germanischen  Elemente  im  altfranzösischen  Rolands- 

liede  [In:  Wissenschaf  tl.  Festschr.  des  K.  Realgymnas.  zu  Leer  1910]. 
Kaesebier,  K.     Französische  Fremdwörter  in  der  deutschen,  deutsche 

Fremdwörter  in   der  französischen   Sprache.     Progr.   Cöthen   1909. 

30  S.     8». 
Körting,    G.      Taschenwörterbuch    der    deutsclien    Sprache.      Teil    I: 

Etymologisches  Lehr-  und  Fremdwörterbuch.     Berlin-Schöneberg. 

Langenscheidtsche  Verlagsbuchhandlung  (Prof.  G.  Langenscheidt). 
Maydorn,  B.    Über  den  Wechsel  des  Geschleclits  bei  der  Eindeutschung 

fremder  Wörter  [In:  Wiss.  Beihefte  z.  Zeitschr.  des  A.  deutschen 

Sprachvereins.     5.  Reihe.     Heft  32.     S.  55—59]. 

ühlenheck,  C.  C.  Contribution  ä  une  phonetique  comparative  des 
dialectes  basques.  Traduit,  avec  revision  de  l'auteur,  par  Georges 
Lacombe.     Paris,  H.  Champion,  1910.     In-8,  99  p. 

Diehl,  E.  Vulgärlateinische  Ins(;hriften.  Bonn,  A.  Marcus  &  E.  Weber, 
191(».     176  S.     8".     Pr.  4.50  :\Ik. 

Vnrro.  —  M.  Terenti  Varronis  de  lingua  latina  quae  supersunt  Recen- 
suerunt  G.  Goetz  et  Fr.  Schoell.  Accedunt  Grammaticorum  Varronis 
libroruni  fragmenta.     Leipzig,  Teubner.     LIV,   352  S.     8". 

Vinceni,  C.  Le  Peril  de  la  langue  frangaise.  Dictionnaire  raisonnö 
des  principales  locutions  et  prononciations  vicieuses  et  des  princi- 
paux  neologismes.  Paris,  J.  de  Gigord,  1910.  In-18  Jesus  oblong, 
LVI-198  p. 

Bruiiol,  F.     Histoire  de  la  langue  frangaise  des  origiaes  ä  1900.     III   2 

Paris,  A.  Colin.     320  S.     8«.     7  fr.  50. 
Goedicke,    W.       Über    den    anglonormannischen     Schweifreimpsalter. 

Dissert.  Halle  1910. 
Hartmann,   St.     La   langue   de   Richepin.      Progr.    Kornenburg    1910. 

26  S.     8«. 
Müller,  R.    Über  die  Sprache  Corneilles.    Progr.  Stuttgart.    34  S.   4". 
Schultz-Gora,  O.     Altprovenzalisches   Elementarbuch.     2.   verb.   Aufl. 

Heidelberg  1911.     C.  Winter.     X,  189  S.     8*^. 


Aawik,   J.     L'insuffisance  de  la  derivation  francaise   [In:   Neuphilol. 

Mitteilungen  1910,  Nr.  3/4]. 
Anna,  de,  Lu.,  II  verbo  francese  e  la  sua  teoria  dal  XII  al  XIX  secolo: 

studio  critico,  storico,  filologico.    Vol.  III  (La  coniugazione  morta). 

Roma-Milano,  soc.  ed.   Dante  Alighieri,    di  Albrighi,   Segati  e  C. 

1911.     XXXIV,  576  S.     L.   12. 
Bebernitz,    Neubildungen    und    Neuerscheinungen    der    französischen 

Sprache  II  [In:  Zs.  f.  franz.  und  engl.  Unterricht  IX,  5.  6]. 
Brovarone,   Äng.     Remarques   de   phonetique   frangaise.     Casale,   tip. 

giä  fratelli  Torelli,  1910.     23  S.    16». 
Eltinayer,    K.    v.     Vorträge   zur   Charakteristik   des   Altfranzösischen. 

Freiburg  i.  Ue.  1910.     L^ommissionsverlag  O.  Gschwend.    132  S.    8**. 
Flain,  C.    Lautlehre  des  französischen  Textes  in  Codex  Vindobonensis. 

Hallenser  Dissert. 
Haberl,  B.    Zur  Kenntnis  des  Gallischen  [In:  Zs.  f.  celt.  Philol.  VIII,  1] 

(1.  Der  Wandel  von  e  zu  i,  bezw.  a  in  den  französischen  Ortsnamen 

gallischen  Ursprungs.     2.  Die  gallischen  Ortsnamen  mit  lern-  und 

brig-  in  der  ersten  Silbe.    3.  Die  Ortsnamen  frz.  Nimes  und  Blismes. 

4.  Der  franz.  Ortsname  Arras  <  gall.  Atrebates.     5.  Der  Name  des 

Flusses  Erlaj.     6.  Der  Wandel  von  gall.  u  zu  e,  i.     7.  Der  Wandel 

von  0  vor  /  zu  e.     8.  Die  Betonung  im  Gallischen). 


138  Novüälenverzeichnis. 

Luxenburger,  Hans.  Die  verbalen  Präfixe  der  französischen  Sprache. 
I.  R-Präfix  im  Französischen  und  Deutschen.  111  S.  gr.  8*^. 
Straßburg,  E.  van  Hauten,  1910.    3.50  Mk. 

Neumann,  C.  Der  Formenbau  des  Nomens  und  Verbums  in  den 
Dramen  Adams  de  laHale:  ,,Ligieus  de  Robin  et  de  Marion"  und 
,,Li  jus  Adan"  mit  Berücksichtigung  seiner  Canchons"  und  einem 
Wortindex  der  Dramen."     Diss.  Kiel  1910.     VI,  163  S.     8^. 

Schönenberger,  Fr.  Beiträge  zur  Geschichte  der  altfranz.  Nomina  mit 
wechselndem  Akzent  und  wechselnder  Silbenzahl  in  dem  Zeitraum 
von  1200  bis  1500.    Diss.  Heidelberg.    69  S.    8». 

Spitzer,  L.  Die  Wortbildung  als  stilistisches  Mittel  exemplifiziert  an 
Rabelais.  Nebst  einem  Anhang  über  die  Wortbildung  bei  Balzac 
in  seinen  ,,Contes  drolatiques".  Halle,  M.  Niemeyer,  1910  [Bei- 
heft zur  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  29].  Abonnementspreis  Mk.  4.—, 
Einzelpreis  Mk.  5. — . 

Wiumann,  Art.  Die  Flexion  in  den  altfranzösischen  Miracles  de  Nostre 
Dame.    Heidelberger  Diss.    82  S.    %^. 


Baist  quitte  [In:   Rom.   Forsch.    XXIX,   320]. 

—  proanee  [In:  Rom.  Forsch.  XXIX,  320]. 

—  Almosen  [In:  Zeitschr.  f.  deutsche  Wortforschung  XII,  4.   S.  299  f.]. 
Dangibeaud,   C.     Sur  l'orthographe    du   mot  xainctes.     La   Rochelle, 

impr.  Texier.    1910.    In-8,  22  p.  [Extrait  du  «Bulletin  de  la  Societe 

des  archives  historiques  de  la  Saintonge  et  de  l'Aunis-)  d'aoüt  1910]. 
Barbier   fils,    P.      Certaines   formes   latines    des   gloses   iatines-anglo- 

saxonnes  [In:  Rev.  de  dialectol.  romane  II,  181^ — 197]. 
Barbier  fils,   P.     Ghronique  etymologique  des  langues  romanes    [In: 

Rev.  de  dial.  rom.  II,  491  ff.]. 
Vryklund,   D.     Vergleichende   Studien  über  deutsche  Ausdrücke  mit 

der  Bedeutung  Musikinstrument.    Uppsala  1910.    Almquist  &  Wik- 

sels  Boktryckeri-A.-B.    38  S.     8^. 
Haust,  J.    Etvmologies  wallonnes  [In:  Rev.  de  dial.  romane  II,  375  ])is 

381]. 
Jeanjaquet,   J.     Etymologie.     Suisse  rom.   cetour,   ,,cellier"  [In:   Bull. 

du  Gloss.  des  pat.  de  la  Suisse  Romande  IX,  1 — 2]. 
McLaughlin,    W.    A.     Old   French    acoillir    [In:   Mod.     Lang.  Notes. 

XXV,  8.     S.  242  ff.]. 
Meyer-Lübke,  W.     Romanisches  Etymologisches  Wörterbuch.    Heidel- 
berg, C.  Winter  (Erscheint  in  etwa  11  Lieferungen  von  je  5  Bogen 

zum  Subskriptionspreis  von  2  Mk.  für  die  Lieferung). 
Onions,   C.    Talbut.    Bozzimacu,  esbat  [In:   Mod.  Lang.   Review  V,   4. 

S.  500  f.]. 
Vhlirz,  K.     Forestis  [In:  Zeitschr.  f.  deutsche  Wortforschung  XII,  4. 

S.  300]. 
Weekley,  E.     Englisch  'ca(u)lk\  French  "caljaler   [In:  The  Mod.  Lang. 

Review  V,  4.    S.  498—500]. 
Wiener,  L.     Byzantinisches  [In:    Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXIV,  6.  S.  651  bis 

674  (Fortsetzung  folgt)].     (I.  Ital.  rigattiere  und  pizzic.ario.     Span. 

sacar  etc.     Franz.  houcher,  ital.  beccajo  etc.) 

Löseth,  E.  Notes  de  syntaxe  frangaise.  (Videnskabs-Selskabets 
Skrifter.  II.  Hist.-Filos.  Klasse.  1910,  Nr.  4.)  Christiania.  En 
Commission  chez  Jacob  Dybwad  1910.  18  S.  8"  (Behandelt: 
Pronoms  personncls.  Pronoms  interrogatifs.  Constructions  relatives 
familieres.  Pronoms  ind^finis.  Tant.  Noms  de  nombre.  Futur 
dit  de  conjecture.     Subjonctif.     Infinitif.     Participes.    Negations). 

Lommatzsch,  E.  System  der  Gebärden,  dargestellt  auf  Grund  der 
mittelalterlichen     Literatiu'     Frankreichs     (Vorrede.       Kapitel     I). 


Novitätenverzeichnis.  139 

Berliner  Dissertation  1910.  (Die  ganze  Arbeit  wird  binnen  Jahres- 
frist in  Buchform  erscheinen.) 

Rubin,  D.  Beiträge  zur  Geschichte  der  Anrede  im  Altfranzösischen 
gegen  Ausgang  des  Mittelalters  (ca.  1350 — 1500).  Heidelberger 
Dissert.     130  S.     8"\ 

Schaefer,  C.  Der  substantivierte  Infinitiv  im  Französischen  [In:  Rom. 
Forsch.    XXIX,    S.    155—221]    (Auch    Kieler    Dissertation    1910). 

Zappulla,  Mary.  De  l'influence  de  la  sintaxe  italienne  snr  la  sintaxe 
frangaise.      Palermo,    tip.    fratelli   Vena,  1910.     23  S.     8". 

Lowes,  J.  L.  Simple  aiid  coy.  A  note  on  tourteenth  cenLury  poetic 
diction  [In:  Anglia  XXXIII,  4.     S.  440—451]. 

Angot,    A.   et   F.   Gaugain.      Dictionnaire   historique,    topographique   et 

biographique  de  la  Mavenne.    T.  4  (supplöment).    Laval,  V^  A.  Gou- 

pil.     1910.     In-8  ä  2  col,  952  p. 
Beszard,  L.     ßtude  sur  l'origine  des  noms  de  lieux  habites  du  Maine. 

These  pour  le  Doctorat  es  Lettres  present^e  ä  la  Fac.  des  Lettres 

de  l'Universite  de  Nancy.     Paris,  H.  Champion,  1910.     XXXIX, 

373  S.  8"  (Mit  einer  Karte). 
Bresson.      Remarques     toponymiques     [In:     La    Province    de    Maine. 

Avril  1910]  (Vgl.  ib  juin  1910  Beszard). 
Desormaux,  ./.     Onomastique  savoisienne.     I.  Sur  les  noms  du  Cheran 

et  du  Fier.     II.   Sur  les  prenoms  et  patronymiques    en    on  [In: 

Revue  Savoisienne,  1910,  3e  fasc.]. 
Uamy,    E.-T.      Quelques   nouvelles   additions   au  Dictionnaire   topo- 
graphique de  l'arrondissement  de  Boulogne  [In:  Bull,  de  la  soc. 

ac.  de  l'arrond.  de  Boulogne-sur-Mer,  t.  VIII  (1908—1909).    P.  267 

bis  270]. 
Lejeune,    J.,   E.   Jacquemotle  et  E.   Monseur.     Glossaire   toponymique 

(avec  carte)  de  la  commune  de  Beaufays    [In:  Bull,  de  la  Soc.  de 

litter.  wallonne  52.     S.  195—242]. 
Mader,  F.     Sur  quelques  noms  de  localites    des  Alpes-Maritimes  [In: 

Annal.  de  la  soc.  des  lettres,  sc.  et  arts  des  Alpes-Maritimes,  t.  XXI, 
[p.  43-62]. 

Prou,  M.  Manuel  de  paleographie  latine  et  fran^aise.  3e  edition. 
Entierement  refondue.  Accompagnee  d'un  Album  de  24  planches. 
Paris,  A.  Picard  et  fils.     1910.     509  S.     8". 

Nicholson,  G.  G.     A  practical  introduction  to  French  Phonetics.     For 
the  Use  of  English-speaking  students  and  teachers.   London,  Mac- 
l  millan  and  Co.     8".     3s.  6d.  ..   ^^     |  i    i     f 

Blondheim,  D.  S.  Contribution  ä  la  Lexicographie  frangaise  d'apres 
des  sources  rabbiniques  (Extrait  de  la  Romania,  t.  XXXIX). 
Dissertation  submitted  to  the  board  of  University  studies  of  the 
Johns  Hopkins  LTniversity  in  conformity  withe  the  requirements 
for  the  degree  of  Doctor  of  Philosophy.  June,  1910.  Paris,  H.  Cham- 
pion, 1910.     55  S.     8*>. 

Lacombe,  A.  et  P.  Rouede.  Nuovo  Dizionario  francese-italiano 
e  italiano-francese  contenente  tutti  i  vocaboli  della  lingua  usuale 
come  pure  i  vocaboli  nuovo  formazione,  i  termini  scientifici,  tecnici 
e  commerciali,  colla  pronunzia  figurata  di  tutte  le  parole.  Parte 
italiana-francese.  Paris,  Garnier  freres.  1911.  In-18  Jesus  ä 
2  col.,  VIII-659  p. 

Lacombe,  A.  et  P.  Rouede.  Nouveau  Dictionnaire  frangais-italien  et 
italien-frangais  contenant  tout  le  vocabulaire  de  la  langue  usuelle 


140  Novitätenverzeiclinis. 

et  dolinant,  ainsi  que  les  mots  nouveaux,  im  grand  nombre  de 
termes  scientifiques,  techniques  et  commerciaux,  la  prononciation 
figuree  de  toiis  les  mots.  Partie  frangaise-italienne.  Paris,  Garnier 
freres.    1911.     In-18  Jesus  ä  2  col.,  VIII-772  p. 

Levy,  E.  Provenzal.  Suppl.-Wrtrb.  25.  Heft.    Leipzig,  Reisland.   4  Mk. 

Marre,  A.  Petit  Vocabulaire  des  mots  de  la  langue  frangaise  d'impor- 
tation  hispano-portugaise.  Chalon-sur-Saöne,  impr.  E.  Bertrand, 
1910.  In-8,  68  p.  [Extrait  de  la  «Revue  linguistique  et  de  philologie 
comparee>>]. 

Vocabulaire  technique  de  l'editeur,  elabore  et  publie  i)ar  le  Gerde  de 
la  librairie  de  Paris.  Paris,  Cercle  de  la  Librairie,  de  l'imprimerie, 
de  la  papeterie,  du  commerce,  de  la  musique,  des  estampes,  etc., 
117,  boulevard  Saint-Germain,  1910.  In-8  ä  2  col.,  VII-130  p. 
[Congres  international  des  editeurs]. 

4.  Metrik,  Stilistik,  Poetik.  Rhetorik. 

C(ledat),  L.    Versification  frangaise  [In:  Rev.  de  Phil,  frang.  XXIV,  3. 

S.  238—240]  (Bemerkungen  über  Henry  Bataille's  Le  songe  d'un 

soir  cCamour). 
Houchart,    V.     Le  rythme   dans   la   versification   francaise.     Aix   en 

Provence,  Pourcel,  1910. 
Savarii,  C.-M.    Les  limites  de  la  poesie  libre.    Le  rythme  et  le  metre 

Selon  la  linguistique  [In:  Mercure  de  France.    1er  nov.  1910.    S.  54 

bis  67]. 

Bieser,   A.     Die  Metapher  bei   Jean  de  Mairet  verglichen  mit  ihrer 

Verwendung  bei  A.  Hardy  und  P.  Corneille.  Tübinger  Dissert.  1910. 
Reum,  A.     Guide-lexique  de  composition  francaise.     Petit  dictionnaire 

de  style  ä  l'usage  des  AUemands  publie  avec  le  concours  de  M. 

Louis  Chambille.    1911.     J.  .T.  Weber,  Leipzig.    VIII,  696  S.    Gr.  8». 

Mk.  7.50. 
Schütte,  Ernst.     Jean-Jaques  Rousseau.    Seine  Persönlichkeit  und  sein 

Stil.     XVI,  210  S.     8".     Leipzig,  Xenien-Verlag,  1910.     3,50  Mk. 
Strohmeier,  F.     Stil  der  franz.  Sprache.     Berlin,  Weidmann.     7  Mk. 


Habel,  E.  Die  Exempla  honestae  vitae  des  Johannes  de  Garlandia, 
eine  lateinische  Poetik  des  13.  Jahrhunderts  [In:  Rom.  Forsch. 
XXIX,   131—154]. 

Hörner,  R.  Die  Erstlingsdramen  des  jüngeren  Dumas  La  Dame  aux 
Camelias  und  Diane  de  Lys.  Ein  Beitrag  zur  Technik  des  Romans 
und  des  Dramas.     Diss.  Tübingen  1910. 

Reiss,  W.  Die  Theorie  des  Tragischen  im  17.  Jahrhundert  in  Deutsch- 
land und  Frankreich.     Diss.  Bern  1910.     95  S.     8». 

5.  Moderne  Dialekte  und  Volkskunde. 

Baudon,  H.    Le  patois  des  environs  de  Rethel.    IV,  39  S.    8*^.    Rethel, 

Huet-Thierard  1907. 
Boillot,   F.     Le  patois  de  la  commune  de  la  Grand'Combe  (Doubs). 

Ouvrage  illustre  de  63  gravures  et  de  2  cartes.    Paris,  H.  Champion. 

1910.     L,  394  S.     8«. 
Cotinet,  L.     Recueil  de  mots  nouveaux  [In:   Bulletin  de  la  Soc.  de 

litterat.  wallonne  52.    S.  251—252]. 
Demeur,  L.     les  Patois  wallons  [In:  Moniteur  des  Instituteurs  pri- 

maires.     23  et  30  juin  1910]. 
Desormaux,  J.    Bibliographie  dialectologique  [In:  Rev.  savois.    1910. 
i  S.    263—269]    (Betrifft   direkt   oder   indirekt   auf   die   Mundarten 

Savoyens  sich  beziehende  Neuerscheinungen). 


Novitätenverzeichnis.  141 

Feller,  J .    Notes  d'etymologio  et  de  semantique.  38.  Le  sul'fixe  -aricius 

en  wallon  (suite  et  t'in)  [In:  Bull,  du  Dict.  gön6r.  de  la  Langue 

wallonne  5e  annee  1910.     Nos  3—4.     S.  77—121]. 
Franck,  J.     Recueil  de  mots  nouveaux  de  Dison  [In:  Bulletin  de  la 

Soc.  de  litterat.  wallonne  52.  S.  246—250]. 
Frankhauser,  F.     Das  Patois  von  Val  d'Illiez  (üntenvallis)  [In:  Rev. 

de  dialectol.  rom.  II,  198—344]. 
Gaiichat,  L.     La  trilogie  de  la  vie  (avec  planche).     Articles-specimens 

du  glossaire  romand.  I.  Naissance  et  bapteme  [In:  Bull,  du  Gloss. 

des  pat.  de  la  Suisse  Romande  IX,  1 — 2]. 
Guerinol,  A.     Notes  sur  le  parier  de  Messon  (fin)  [In:  Rev.  de  pliilol. 

Iranc-.  et  de  litt^r.  XXIV,  3.     S.  161—174]. 
Hrkal,  Ed.     Grammaire  historique  du  patois  de  Demuin  (suite)  [In: 

Rev.  de  pliilol.  l'rang.  et  de  litterat.  XXIV,  3.     S.  175—204]. 
Huss,  R.     Vergleichende  Lautlehre  der  rumänischen  Dialekte  und  des 

Gascognisch-Pyrenäischen    [In:    Archiv    des    Vereins    für    sieben- 

bürgische  Landeskunde  N.  F.  37,  1]. 
Lurquin,  A.     Glossaire  de  Fosse-lez-Namur ;  edite  p.  J.  Feller  [Bulletin 

de  la  Soc.  de  litter.  wallonne  t.  52.    S.  105—170]. 
Minders,  G.-A.     Glossaire  de  Dour  et  de  Sirault  (Hainaut).     Extraits, 

edites  p.  J.  Haust  [In:  Bulletin  de  la  Soc.  de  litter.  wall.  52.    S.  171 

bis  178]. 
Odin,   Louise.      Glossaire   du   patois   de    Blonay.      Preface   de    Ernest 

Muret.     Public  avec  l'appui  de  la   Commission  du   Glossaire  des 

patois  de  la   Suisse  romande.     Lausanne,   Georges  Bridel  &  Cie. 

Editeurs.    1910.     XII,  714  S.    S^  [Memoires  et  documents  publies 

par  la  Societe  d'histoire  de  la  Suisse  romande]. 
Peschot,  Vocabulaire  des  mots  du  langage  rustique  usite  dans  le  Perche 

et  specialement  ä  Saint-Victor  de  Buthon  [In:  Bulletin  de  la  Soc. 

percheronne    d'hist.    et    d'archeol.,    t.    VIII    (1909)    S.    103—134, 

170—174]. 
Ravanat,  A.     Dictionnaire  du  patois  des  environs  de  Grenol)le.     Gre- 

noble,  Jules  Rev.     1911.     200  S.     4».     20  frcs. 
Remy,  Vabbe  S.     Le  patois  lorrain  [In:   Le  Pays  lorrain   et  le  pays 

messin.     20  octobre  1910]. 
Urtel,   H.      Lorraine.     Compte-rendu  retrospectif  jusqu'en    1908   [In: 

Rev.  de  dialect.  rom.  II,  437—455]. 
Velden,  Fr.  von  den.  Das  Patois  der  Westschweiz  als  Zeuge  völker- 
geschichtlicher Vorgänge  [Sonderabdruck  aus  der  Politisch-anthro- 
pologischen Revue.     IX.  Jahrgang.     Heft  9  und  10]. 

Praviel,  A.  et  J .  R.  de  Brousse.  Les  Poetes  languedociens  de  Toulouse. 
Toulouse,  Edouard  Privat,  14,  rue  des  Arts.  1910.  In-8,  7.  p. 
[Extrait  du  volume  «Documents  sur  Toulouse  et  sa  region»,  1910]. 

Biri,  Th.  Aus  der  Provenze.  Verlag  Deutsche  Bücherei,  Otto  Koobs, 
Berlin  W.  57  [Deutsche  Bücherei  112/113].     1  Mk. 

Armana  prouvengau,  per  lou  bei  an  de  Dieu  1911.  Adouba  e  publica 
de  la  man  di  Felibre.  Porto  joio,  soulas  e  passo-tems  en  tout  lou 
pople  döu  Miejour.  An  cinquanto-seten  döu  Felibrige.  Avignoun, 
J.  Roumanille.  Paris,  Fontemoing,  1911.  Petit  in-8,  100  p.  et 
annonces. 

Baroncelli- Javon.  Blad  de  Luno.  Recuei  de  pouesio  prouvengalo 
revist  e  aumenta.  Enie  la  traducioun  en  frances,  un  retra  de  l'autour 
e  la  musico  de  tres  pego.  Preface  per  Frederi  Mistral.  Ble  de 
lune.  Recueil  de  poesies  provengales.  Revu  et  augmente.  Avec 
la  traduction  frangaise  en  regard,  un  portrait  de  l'auteur  et  la 
musique   de   trois   pieces.     Preface   par   Fr^deric   Mistral.     Paris, 


142  Novitäienverzeichnis. 

A.  Lemerre.    Avignon,  chez  Mnie  RoumaniUe,  19,  nie  Saint- Agricol. 

1910.     In-18  Jesus,  214  p. 
Bessou,    J.     Countes   de  rouncle    Janet;    Rodez,    E.  Carrere.      In-16, 

240  p.    1  fr. 
Le  chai  volant  de  Verciers.    Satire  en  dialecte  vervietois  de  1641.   Textes, 

introduction  et  notes  p.  J.  Feller.     39  S.    8"^  [Aus:  Bulletin   de   la 

societe  vervietoise  d'Archeologie  et  d'Histoire  XI.  (1910)]. 
Desormaux,  J .    Melanges  savoisiens.    VII.  Discours  de  deux  Savoyards 

(1604)  (fin)  [In:  Rev.  de  phil.  franQ.  et  de  litterat.  XXIV,  3.    S.  210 

bis  225]. 
Gander,  S.     Le  duve  lävre  e  la  pedze.     Anecdote  en  patois  de  Van- 

gondry  (Vaud)  [In:  Bull,  du  Gloss.  des  pat.  de  la  Suisse  Romande 

IX,   \-2l 
Jeanjaquet,  J.    Le  tabeou,  conte  populaire  en  patois  d'Orsieres  (Valais) 

[In:   Bull,  du   Gloss.  des  pat.  de  la   Suisse  Romande  IX,   1 — 2]. 
Mistral,  F.    CEuvres  de  Frederic  Mistral.    Nerte.    Texte  et  traduction. 

Paris,  A.  Lemerre,   1910.     Petit  in-12,  335  p.  avec  portrait.  0  fr. 

[Petite  Bibliotheque  litteraire  (auteurs  contemporains)]. 
Rossat,  A.    Vieilles  chansons  de  France  recueillies  dans  le  Jura  bernois 

(ancien  Eveche  de  Bäle)  [In:  Schweizer  Arcli.  i.  Volkskunde  XIV,  2. 

S.   132—160]. 

Beauquier,  C.     Traditions  populaires  de  Franche-Comte.     La  Cuisine. 

BesauQon,  impr.  Dodivers,  1911.     In-8,  91  p. 
Boillot,   F.     Faune   et   flore   franc-comtoises   [In:    Bull,    de   dialectol. 

rom.    II,    105 — -122].      (Ausführl.   Anzeige   von    Ch.    Beauquier   La 

Faune  et  la  Flore  de  la  Franche-Comte). 
Caülard,  B.     Moeurs,  usages,  habitudes,    coutumes  et  fetes  publiques 

de  la  ville  de  Narbonne  [In:  Bulletin  de  la  Commission  archeol. 

de  Narbonne.  XI,  131—179]. 
Chastonay.  Otto  de.     Les  legendes  de  Vercorin  [In:   Schweiz.  Arch.  f. 

Volkskunde  XIV,  1.     S.  1—18]. 
Ifärd  af  Segerslad,  K.     Saint  Coisne  [In:  Rev.  de  dialectol.  rom.  II, 

273  f.]. 

6.  liiteratiirgeschichte. 

a)  Gesamtdarstellungen. 

Bolle,  J.    Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten  [In:  Zs.  des  Vereins 

für  Volkskunde  XX,  4.     S.  353—381]. 
Cohen,  G.     L'Evolution  de  la  mise  en  scene  dans  le  theätre  frangais. 

Lille,  impr.  Lefebvre-Ducrocq.  1910.     In-8,  19  p.  et  planches. 
Des  Granges,  Ch.-M.    Histoire  de  la  litterature  frangaise.    XVI,  927  S. 

kl.  8».    Paris  1910.    Freiburg  i.  B.,  .1.  Bielefeld.    4  Mk. 
Fehse,  W.    Das  Totentanzproblem  [In:  Zs.  f.  deutsche  Philol.  XLII,  3. 

S.  261—286]. 
Fischer,  O.     Die  mittelalterlichen  Zehnjungfrauenspiele  [In:  Arch.  f. 

n.  Spr.  CXXV,  S.  9—27]. 
Gendarme  de  Bevotte,  G.     La  legende  de   Don    Juan.     2  vol.     Paris, 

Hachette.     7  fr. 
Kaeujjer,  J.     Tierfabeln  im  Volksmunde  [In:  Rheinische  Geschichts- 
blätter 7]. 
Lanson,  G.   La  Methode  de  l'Histoire  litteraire  [In:  La  Revue  du  mois. 

10  oct.  1910]. 
Lieder,  F.  W.  C.    The  Don  Carlos  Theme  in  Literature  [In:  The  Journal 

of  English  and  Germanic  Philologie  IX,  4]. 
Rosset,  V.  et  H.-E.  Jenny.     Histoire    de   la  litterature  suisse.     2  vol. 

in-16.     Paris,  Fischbacher.     7  fr. 


Novitäterwerzeichnis.  Ii3 

Sie/nplitigcr,  E.     Die  Belruchliing  der  Weltliteratur  diircli  die  Antike 
[In:   Germ.-rom.  Monatsschrift  II,   10]. 

Aiinond,  Abbe  C.     Le  Theätre  ä  Verdun  ä  la  fin  du  moyen  äge.    Bar- 

le-Diic,   impr.   Contant-Laguerre,    1910.     In-8,   17  p.  [Extrait  du 

t.  7,  4e  Serie  (1909),  des  «M^moires  de  la  Societe  des  lettres,  sciences 

et  arts  de  Bar-le-Duc»]. 
Baist.     Der   dankbare   Löwe   [In:   Rom.   Forsch.    XXIX,   317 — ^319]. 
—  Dinasdaron  [In:  Rom.  Forsch.   XXIX,  319  1.]. 
Bediel,  J.     Reponse  ä  M.  Pio  Rajna  [In:  Annales  de  Midi  Oct.  1910. 

S.   538 — 552]   (Betrifft   P.   Rajna's   Besprechung  von   Bödiers  Les 

legendes  epiques  I  in:  Sludl  medievali  III,  B.  331 — 391]. 
Blount,  Ä.    Arthurian  onomasticon  [In:  Studies  in  English  and  com- 

parative  literatures  presented    to   Agnes  Invin.   dean  of  Radcliffe 

College.     Boston  1910.     Ginn]. 
Biockstedt.  Gust.     Von   mittelhochdeutschen  Volksepen  französischen 

Ursprungs.     1.  Tl.     III,   162  S.     Lex.  8».     Kiel,  R.  Cordes,   1910. 

8  Mk. 
Curdy,  A.  E.    Arthurian  Lilerature  II  [In:  The  Romanic  Review  I,  3]. 
Engel,  G.     Die  Einflü.sse  der  Arthurromane  auf  die  Chansons  de  geste. 

Diss.  Halle  1910.     97  S.     8  . 
Guesnon,  A.    Publica tions  recentes  sur  les  trouveres  et  les  troubadours. 

Comptes  rendus.     Paris,  H.  Champion,  1910.     In-8,  8  p.  [Extrait 

du  «Moyen  äge».     2e  serie.     T.   14.     Mars-avril   1910]. 
Lecureux,  L.     Une  legende  iconographique.     La  legende  d'Avenieres 

Contribution    ä    l'etude   des    procedes   de    formation    des   legendes 

[In:  Moyen  Age  t.  XXIII,  p.  245—252]. 
Male,   E.     Les  Rois  Mages  et  le  drame  liturgique  [In:   Gazette  des 

Beaux-Arts  1910.     Octobre]. 
Maniiius,  M.     Geschichte  der  lateinischen  Literatur  des  Mittelalters. 

1.  Tl.     München,  C.  H.  Beck.     15  Mk. 
Matzke,  J.  E.     The  lebend  of  the  eaten  lieart  [In:  Mod.  Lang.  Notes. 

January  1911]. 
Montier,  E.    Le  Pav  de  Palinod  ä  Ronen  [In:  Revue  de  la  Renaissance. 

Juillet-sept.  1910.     S.  125—134]. 
yeuberi.  Fr.     Die  volkstümlichen  Anschauungen  über  Physiognomik 

in    Frankreich    bis    zum    Ausgang    des    Mittelalters.      Münchener 

Dissertation.     Erlangen  1910.     XI,  118  S.     8». 
Oüding,  Fr.    Das  altfranzösische  Kreuzlied.    Diss.  Rostock.     119  S.    8*. 
Schroeder,  L.  von.     Die  Wurzeln  der  Sage  vom  heiligen   Gral.     Wien 

1910.      In    Kommission   bei   Alfred    Holder   [Sitzungsberichte   der 

Kais.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien.     Phil. -bist.   Klasse 

166.  Bd.  2.  Abhandl.].     2,30  Mk. 
Slevenson,   W.  M.     Der  Einfluß  des  Gautier  d'Arras  auf  die  altfran- 
zösische Kunstepik,  insbesondere  auf  den  Abenteuerroman.    Göttin- 
ger Dissert.   1910. 
Sellentian,  V .     Handel  und  Verkehr  in  der  altfranzösischen  Literatur. 

Dissert.   Göttingen  1910.     XIV,   144   S.     8"  [Aus:  Rom.  Forsch. 

XXXI,  1]. 
Wechssler,  E.     Der  heilige  Gral  [Aus:  Die  Religion  in  Geschichte  und 

Gegenwart.     Tübingen,   J.  C.  B.  Mohr.     Sp.  1618—1623]. 
Weydig,  O.     Beiträge  zur  Geschichte  des  Mirakelspiels  in  Frankreich. 

Das  Nikolausmirakel.     Jenenser  Dissertation.     Erfurt  1910. 
Zimmermann,  K.  L.    Die  Beurteilung  des  Deutschen  in  der  französischen 

Literatur   des   Mittelalters   mit   besonderer    Berücksichtigung   der 

Chanson  de  geste  [In:  Rom.  Forsch.  XXIX,  S.  222—316]. 

Backers,  H.    Boileaus  Einfluß  in  Deutschland  bis  auf  Lessing.    Greifs- 
walder  Dissert.  1910. 


144  Novitäten  Verzeichnis. 

Baldensperger,  F.     Joseph  de  Maistre  et  Alfred  de  Vignv  [In:  Mercure 

de  France  16  nov.  1910.     S.  256—268]. 
Bled,   V.  du.     Les  comediens  et  la  societe  polie  [In:  Rev.  des  deux 

mondes  15  nov.  1910.     S.  377—411]. 
Bornhausen,    K.      Das   religiöse   Problem   während   der    französischen 

Vorrevolution  bei  Bayle,  Voltaire,  Rousseau  [In:  Histor.  Zeitschr. 

105.  Bd.     3.  Heft.     S.  496—514]. 
Boyer,  A.     La  Litterature  et  les  Arts  contemporains.     Consultations 

de  MM.  Jules  Lemaitre,  Georges  Clemenceau,   Mme  Juliette  Adam, 

MM.  Maurice  Barres,  de  Bouhelier,  Doumic,  Emile  Fahre,  de  Vogüe, 

Maurice  Donnay,  Maurice  Le  Blond,  Capus,  Löon  Hennique,  Faguet, 

Georges    Lecomte,    Brieux,    Descaves,    Verhaeren,    J.    H.    Rosny, 

Anatole  France,  etc.     Paris,  A.  Mericant.     In-16,  224  p.    3  fr.  50. 
Bonnejon,    P.     Maxime   du   Camp   et  les   Saint-Simoniens   [In:   Rev. 

d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  XVII,  4]. 
Ckarasson,  H.    Les  origines  de  la  sentimentalite  moderne.    I.  D'Heli- 

senne  de  Crenne  ä  Jean  de  Tinan  (ä  suivre)  [In:  Mercure  de  France 

16  nov.   1910.     S.   193—216]. 
—  Les  Origines  de  la   Sentimentalite  moderne.     II.   Un  bätard   du 

romantisme:  Jean  de  Tinan  [In:  Mercure  de  France,   ler  Dec.  1910]. 
Cherhuliez,  V.     Le  roman  frangais.     IX.  Les  egotistes:  Rene,  Adolphe, 

Obermann  [In:  Revue  des  deux  mondes  15  oct.  1910  .  S.  807 — 835]. 
Chichemano)),   J.     fitude  critique  sur  les  Femmes  poetes  en   France 

au  XIXe  siecle.     Diss.  Bern  1910.     177  S.     8». 
Coulon,  M.     Temoignages.     Paris,  Mercure  de  France.     1  vol.  in-18. 

3  fr.  50.     (Handelt  von  Jean  Moreas,  Anatole  France  und  Remy 

de  Gourmont.) 
Dide,  A.     J.-J.  Rousseau,   le  protestantisme  et  la  revolution  Irangaise. 

Paris,  E.  Flammarion.     3  fr.  50. 
Dupont-Chatelain,   Marguerite.     Les   Encyclopedistes   et   les   Femmes. 

Diderot.    D'Alembert.    Grimm.    Helvetius.    D'Holbach.  Rousseau. 

Voltaire.    Ouvrage  orne  de  2  planches  gravees.    Paris,  H.  Daragon, 

1911.     In-8,  175  p.     6.  fr.  [Bibliotheque  du  vieux  Paris]. 
Friedrich,  H.     Die  literarischen  Theorien  der  Goncourt.     Diss.  Heidel- 
berg. 75  S.     S*'. 
Gaubert,  E.     Figures  franraises.    Critique  et  Documents.    (A.  de  Riva- 

rol;    Eugene    Fromentin;    Frangois   Coppee;    Emmanuel    Signoret; 

Charles  Guerin;  Maurice  Barres.)     Paris,  Nouvelle  Libr.  nationale, 

85,  rue  de  Rennes,   1910.     In-16,  X-241  p.     3  fr.  50. 
Glaser,  P.  E.     Le  Mouvement  littöraire  (Petite  Chronique  des  lettres), 

1909.  Preface  de  M.  Marcel  Prevost.     Paris,  P.  Ollendorff,  1910. 
In-18  Jesus,  X-433  p. 

Gleichen- Russwurm,  A.  v.  Das  galante  Europa.  Geselligkeit  der 
großen  Welt.  1600—1789.  XIX,  492  S.  8».  Stuttgart,  J.  Hoff- 
mann,  1911.     8,50  Mk. 

Gourmont,  J .  de.  Muses  d'aujourd'hui.  Essai  de  physiologie  poetique. 
Comtesse  de  Noailles.  Gerard  d'Houville.  Lucie  Delarue-Mardrus. 
Marie  Dauguet.  Renee  Vivien.  Elsa  Koeberle.  Helene  Picard. 
Jane  Catulle-Mendes.  Cecile  Sauvage.  Jeanne  Perdriel-Vaissiere. 
Laurent  Evrard.     Paris,  «Mercure  de  France»,  26,  rue  de  Conde, 

1910.  In-18  Jesus,  266  p.  avec  portraits  et  autographes.    3  fr.  50. 
Guy,  H.    L'^cole  des  rh^toriqueurs.    Paris,  H.  Champion.     390  S.    8". 

Frcs  10.     [Histoire  de  la  poesie  frangaise  au   XVIe  siecle  I.] 
Herold,    A.-F.     Les   anciennes   adoptations   frangaises   de   Romeo   et 

Juliette  [In:  Mercure  de  France  ler  janv.  1911]. 
Joret,   C.     D'Ansse  de  Villoison-  et  THellenisme  en  France  pendant 

le  dernier  tiers  du  XVIIIe  siecle.    Avec  1  portrait  d'apres  J.  Bailly 

et  le  fac-simile  d'une  lettre  ä  Wieland.    Paris,  H.  Champion,  1910. 


Novitätenverzeichnis.  145 

In-8,    XII-539    p.    [Bibliotheque    de    l'Ecole    des    hautes    etudes. 

Sciences  historiques  et  philologiques.     182e  fascicule]. 
Jung,  F.  J .    Anacreon  et  les  poetes  de  la  Pleiade.    Progr.  Graz  1910. 

17  S.  gr.-80. 
Kellen,  T.    Das  galante  Theater  in  Frankreich  im  18.  Jh.  [In:  Bühne 

und  Welt  12,  18]. 
Labarthe,  G.    Le  Th^ätre  pendant  les  jours  du  Siege  et  de  la  Commune. 

Juillet  1870  ä  juin  1871.    Paris,  Fischbacher.     143  S.    16».    2  fr.  50. 
Lanson,  G.    Manuel  bibliographique  de  la  litterature  frangaise  moderne 

1500—1900.  III.  dix-huitieme  siecle.     Paris,  Hachette.     5  fr. 
Lee,   S.     The  French   Renaissance  in   England.     An  account  of  the 

literary   rclations   of    England    and    France   in    the    16th   Century. 

Oxford,  Clarendon  Press  (London,  Henry  Frowde).    Geb.  Sh.  10.  6  d. 
Lunel,   E.     Le  Theätre  et  la   Revolution.     Histoire  anecdotique  des 

spectacles,  de  leurs  comediens  et  de  leur  public  par  rapport  ä  la 

Revolution    frangaise.      Ouvrage   orne   d'une   planche   hors    texte. 

Paris,  H.  Daragon,  1910.     In-8,  167  p.  6  fr.  [Bibliotheque  du  Vieux 

Paris]. 
Martinon,  Ph.     Note  complementaire  sur  Mavnard  et  Urfe  [In:  Rev. 

d'Hist.  litter.  de  la  France  XVII,  4]. 
Maugain,  G.     L'Italie  dans  quelques  publications  de  jesuites  Irangais. 

Paris,   H.  Champion,   1910.     62  S.     8^  [Bibliotheque  de  l'Institut 

frangais  de  Florence   (Universite  de   Grenoble).     Deuxieme   Serie. 

Collection  d'Opuscules  de  Critique  et  d'Histoire]. 
Michaut,  G.     Pages  de  critique  et  d'histoire  litteraire  (XIXe  siecle). 

Paris,  Fontemoing  et  Cie.,  1910.     In-18  Jesus.  313  p.     3  fr.  50. 
Pilon,  E.     Portraits  tendres  et  pathetiques.     Paris,  Ed.  du  Mercure 

de  France.     1  vol.  in-18.     3  fr.  50. 
Robert,  P.-Ä.     L'administration  de  la  ,,Comedie"  d'Aix  (1756 — 1788) 

[In:  Annales  de  Provence  VII,  Nos  4 — 5]. 
Rössel,   V.  et  H.-E.  Jenny.     Histoire  de  la  litterature  suisse.     I.  XV, 

360  S.     160.     Paris,  Fischbacher.     3  fr.  50. 
Rössel,  V.    Le  «Mal  romantique»  [In:  Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  France 

XVII,  4]. 
Seche,   Leon.      La  Jeunesse    doree   sous    Louis  -  Philippe:    Altred     de 

Musset.   De  Musard  ä  la  Reine  Pomare  —  La  Presidente.  Cinquante 

lettres  d'Alfred  Tattet  ä  Guttinguer  et  ä  Arvers  (Documents  inedits). 

Portraits  inedits  de  Tattet,  Musset,   Guttinguer,  Arvers,  la  Reine 

Pomare,   la   Presidente.      Paris,    Editions   du   Mercure   de   France. 

7  fr.  50. 
Singer,  S.     Mittelalter  und  Renaissance.     Die  Wiedergeburt  des  Epos 

und  die  Entstehung  des  neueren   Epos.     Zwei  akademi.sche  Vor- 
träge.    Tübingen,     .1.  C.  B.  Mohr  (Paul  Siebeck),  1910.     1,80  Mk. 

[Sprache  und  Dichtung.    Forschungen  zur  Linguistik  und  Literatur- 
wissenschaft, hrsgb.  von  H.  Maync  und  S.  Singer.     Heft  2]. 
Sorel,   A.   E.     Essais   de   psychologie   dramatique;   par  Albert   Emile 

Sorel,  Henry  Becque,  Paul  Hervieu,  Emile  Fahre,  Georges  de  Porto- 

Riche,  Maurice  Donnay,  Jules  Lemaitre,  Henri  Lavedan,  FranQois 

de  Curel,   Brieux.    Paris,    E.    Sansot   et   Cie.,    1911.     In-18  Jesus, 

242  p. 
Stewart,  H.  F.  and   A.    Tilley.     The  romantic  movement  in  French 

literature.    Cambridge:  at  the  University  Press  1910.   XI,  242  S.   8<>. 
Thomas,  L.     En    marge    de  la  litterature.     Recueil  d'anecdotes  par 

X.  L.  C.  B.     Paris,  L.  Vanier.     2  fr. 
Tornezy,  A.    La  Legende  des  philosophes.    Voltaire,  Rousseau,  Diderot 

peints  par  eux-memes.     Paris,  Perrin  et  Cie.,  1911.     In-8,  464  p. 
Vezinet,  F.     Le  XVIIle  siecle  juge  par  lui-meme.     Paris,  Belin  freres. 

1910.     167  p.  in-18.     1  fr.  50. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII^  10 


146  Novitäten  Verzeichnis. 

Villani.  M.     La  questione  degli  antichi  nel  preromanticismo.    Firenze, 

tip.   G.  Piccini,   1910.     4».    p.  76. 
Visan,   T.  de.     Le  Romantisme  allemand  et  Je   Symbolisme  frangais 

[In:  Mercure  de  France  16  decembre  1910]. 
Wells,  B.  W.    Modern  French  literature.    520  S.    8^.    London,  Pitman. 

b)  Einzelne  Autoren. 

Aneau,  Barlhelemy,  a  Study  in  Humanism  by  J .  L.  Gerig  [In:  The 
Romanic  Review  1,  3]. 

—  Aneau,  B.  p.  J.  Gerig  [In:  Revue  de  la  Renaissance.   Oct.-dec.  1910]. 
Balzac.      Studien.    I.    von  A.  Bettelheim    [In:    Deutsche    Rundschau. 

Oktober    1910.      S.    70—83]   (Aus:    Balzac:    Eine   Biographie   von 
A.  Bettelheim,  die  im  Verlag  der  Gebrüder  Paetel  (Berlin)  erscheint). 

—  Balzac  inconnu  [In:  Documents  d'histoire.     Mars  1910  (n"  1)]. 

—  Autour  de  la  correspondance  de  Balzac  [In:  Documents  d'histoire. 
Mars  1910  (n"   1)]. 

Baudelaire  et  M.  Emile  F'aguet  p.  M.  Andre  Gide  [In:  La  Nouvelle 
Revue  Francaise  l^i"  novembre  1910]. 

—  Le  Baudelaire  des  professeurs  [In:  La  Depeche,  11  sept.  1910] 
(Vgl.  E.  Faguet  in  La  Revue,  ler  sept.  1910). 

Bayle  s.  oben  p.    144   Bornhausen. 

Beaumarchais.  —  Bettelheim,  Ant.  Beaumarchais.  Eine  Biographie. 
2.  neubearb.  Aull.  XV,  530  S.  m.  1  Bildnis.  8".  München.  C.  H. 
Beck,  1911.     10  Mk. 

Bodin.  —  F.  von  Bezold.  Jean  Bodin  als  Okkultist  und  seine  Demo- 
manie [In:  Histor.  Zeitschr.  105.  Bd.  1.  Heft.     S.  1—64]. 

Boileau  s.  oben  p.   143   Backers. 

Bossuet  s.   Bourdaloue. 

—  H.  Souty.  Un  "Bossuetiste"  Manceau.  Charles  Riobe.  Preface 
de  Mgr.  Delmont.  —  Une  Conference  sur  Bossuet  au  Maus,  en  1851. 
Bossuet,  ses  Elevations  sur  les  Mysteres.  Charles  Riobe.  En  Marge 
d'un   Mariage.     Paris,   Honore  Champion.      77   S.     8^.     Pr.   2  fr. 

—  G.  Hardy.  Un  episode  de  la  ieunesse  de  Bossuet  [In:  Feuilles 
d'Histoire  1910.  No.   10]. 

—  E.  Longuemare.  Bossuet  et  la  Societe  frangaise.  Sous  le  regne 
de  Louis  XIV.     Paris,  Bloud  &  Cie.     3  fr.  50. 

Bourdaloue.   —   Problemes   et    questions   sur   Bossuet   et   Bourdaloue 

[In:  Documents  d'histoire  Mars  1910  (n^  1)]. 
Calvin,  J.,  and  Calvinisme  p.  .7.  M.  Sloan  [In:  Fortnightlv  Review. 

August    1910.     8.  290—301]. 
Chateaubriand  and  Milton.     By  W.  Wright  Roberts  [In:  The  Mod.  Lang. 

Review.  V,  4]. 

—  A.  Aulard.  Les  illusions  grecques  de  Chateaubriand  [In:  La  Revue, 
ler  octobre  1910]. 

Constant,  B.  ä  Colmar  p.  A.  M.  E.  Ingold  [In:  Feuilles  d'liist.  du 
XVIle  au  XXe  siecle.     Juin  1910]. 

Desportes.  —  L.  E.  Kastner.  Suckling  and  Desportes  [In:  The  Mod. 
Lang.  Review.  V,  4.    S.  497  f.). 

Diderot.  —  R.  Bitterling.  Johann  Friedrich  Schink,  ein  Schüler 
Diderots  und  Lessings  als  Dichter  und  Kritiker.  Diss.  Würz- 
burg 1910.     VI,  82  S.     8». 

—  S.  oben  p.   145    Tornezy. 

Dumas,  A.  et  Bonaparte  [In:  Feuilles  d'hist.  du  XVI le  au  XXe  siecle. 

Mai   1910]. 
Fenelon  et  ses  amis;  par  Albert  Delplanque.    Paris,  J.  Gabalda  et  Cie., 

1910.     In-18  Jesus,  338  p. 

—  Fenelon  terroriste  [In:  Feuilles  d'hist.  du  XVIIe  au  XXe  siecle. 
Avril  1910]. 


Novitätenverzeichnis.  147 

- —  Fenelon  en  1709  p.  J.  Durieux  [In:  Feuilles  d'histoire  du  XVIIe 
au  XXe  siecle.     Aoüt  1910]. 

—  Fenelon  p.  E.  Faguet  [In:  La  Revue,     ler  et  15  juillel  1910]. 

—  Ce  que  Fenelon  dirait  au  XXe  siecle  sur  l'education  des  Filles 
p.  L.  B.   Daguirre.     Paris,  Gabriel  Beauchesne  et,  Cie.     3  fr.  50. 

Girardin,  Mme  de.  —  L.  Seche.  Sur  la  mort  de  Mme  de  Girardin  [In: 
Annales  Romantiques  VII,  fasc.  7,  juillet-octobre  1910.    S.  292  f.]. 

Guerin,  M.  de  p.  A.  Counson  [Aus:  Revue  de  l'Instruction  publique 
en  Belgique  1910]. 

Guesdon.  —  C.  Ballu.  Curiosites  poetiques  du  XVI«  siecle  [In:  Rev. 
de  la  Renaissance.     Oct.-dec.  1910]. 

Guttinguer.  —  L.  Seche.  Le  chalet  de  Guttinguer.  Virginie  Gueudry 
[In:  Annales  Romantiques  VII,  iasc.  7,  juillet-octobre  1910.  S.  241 
bis  254]  (Aus  des  Verfassers  Buch  ,,.Teunesse  doree  sous  Louis- 
Philippe"). 

Hugo,  Victor  par  Jules  Bertaut.  45  portraits  et  documents.  Paris, 
Louis-Michaud.  In-16,  192  p.  2  fr.  25.  [La  Vie  anecdotique  et 
pittoresqup  des  grands  ecrivains.] 

—  La  Bible  dans  Victor  Hugo;  par  Mgr.  Theodore  Delmoni.  Lyon, 
impr.  Vitte,  18,  rue  de  la  Quarantaine,  1910.  In-8,  48  p.  [Extrait 
de  r<<Universite  catholique»]. 

• —  Monument  de  Victor  Hugo,  Medaillons  de  Charles  Hugo,  Frangois- 
Victor  Hugo,  Paul  Meurice,  Auguste  Vacquerie.  Ceremonie  d'inaugu- 
ration,  20  juin  1910.  Paris,  P.  Ollendorff,  1910.  Grand  in-8, 
35  p.  et  grav. 

—  La  Fonction  du  poete.  Etüde  sur  Victor  Hugo;  par  Amedee Guiard. 
Paris,  Bloud  et  Cie.,  1910.     In-16,  VIII-316  p. 

La  Fayette,  Madame  de;  par  C.  Lecigne.     Paris,  P.  Lethielleux,  1910. 

In-16,  115  p.  [Femmes  de  France,  n"  1]. 
Legrand,  Marc  Antoine.     Sein  Leben  und  seine  Werke  von  C.  Segitz. 

Diss.  Erlangen  1910.     VIII,  109  S.     8«. 
Lamartine.  —  Projet  de  bibliographie  lamartinienne  frangais-italienne 

p.  C.  Monnet,  preface  de  Charles  Thuriet.     Turin,  S.  Lattes  et  Cie. 

1  vol.  in-8f>. 
Lamennais  et  les  femmes  p.  M.  P.  Harispe  [In:  La  Nouvelle  Revue. 

15  nov.   1910]. 

—  Fr.  Calleri.  Les  idees  religieuses  de  Manzoni  et  de  Lamennais. 
Torino,  tip.  G.  B.  Pasavia  e  C,  1910.     47  S.     8*>. 

Leconte  de  Lisle.  —  Lacaussade  et  Leconte  de  Lisle  [In:  la  Depeche, 

8  decembre  1910]. 
Mainard.     S.  oben  p.  145  Marlinon. 
Maistre,  J.  de.  —  S.  oben  p.  144  Baldensperger. 
Mallarme,  St.  p.  de  Gourmont  [In:  Le  Temps,  12  oct.  1910]. 
Marot.   —    R.    Fromage   Clement   Marot.      Identification   d'Anne    (de 

Beauregard)  [In:  Soc.  de  l'hist.  du  Protestantisme  frang.    Bulletin. 

Mars-avril  1910.     S.  122—129]. 
• —  R.    Fromage.      Clement    Marot.      Son    premier    emprisonnement. 

Identification    d'Isabeau    [In:    Soc.    de   l'hist.    du    Protestantisme 

frang.  Bulletin.     Janvier-fevr.   1910.     S.  52—70]. 
Maupassant.  —  L.  Gistucci.    Le  pessimisme  de  Maupassant.     40  S.  8". 

Publications  de  l'Office  social,  Lyon.     Pr.  0,75. 
Merimee,  Prosper.    Le  caractere  et  l'ceuvre  litteraire  p.  J.  Polikoweky. 

Diss.  Bern  184  S.    8». 
Moliere  von  K.  Frenzel  [In:  Sonntagsbeilage  zur  Vossischen  Zeitung 

1910.    29.  30]. 

—  B.  Matthews  Moliere:  His  Life  and  Works.  398  S.  8".  London, 
Longmans. 

10* 


148  Novitätenverzeichnis. 

—  Moliere  contre  la  Science  p.  J .  L.  Charpentier  [In:  Revue  du  Mois, 
10  sept.  1910]. 

—  IFecÄssZer,  ^rfuard:  Moliere  als  Philosoph.  86  S.  Lex.  8".  Marburg, 
A.  Ebel.     1910.  ^Mk.  2.—  . 

Montaigne  apres  la  Saint-Barthelemy  p.  N.W(eiss)  [In:  Soc.  de  l'hist. 
du  Protestantisme  Iran?.  Bulletin.  Mars-avril  1910.  S.  187—189} 
(Im  Anschluß  an  Dr.  A.  Armaingauds  Veröffentlichungen   p.  20). 

—  Armaingaud.  Reponse  ä  M.  Henri  Hauser  [In:  Revue  Critique 
13—20  oct.  1910.     S.  261—274]. 

Montesquieu   et  l'esclavage.    fitude  sur  les  origines  de  l'opinion  anties- 

clavagiste  en  France  au  XVIIIe  siecle  p.  R.  P.  Jameson.     Paris, 

Hachette  et  Cie.     7  fr.  50. 
Montpensier,  Mademoiselle  de,  par  C.  Lecigne.    Paris,  P.  Lethielleux. 

1910.    In-16,  120  p.  [Femmes  de  France,  n»  2]. 
Moreau,  Hegesippe  p.  O.   Williams  [In:   Fortnightly  Review  August 

1910.     S.  281—289]. 

—  M.  de Noisay  UEspvit  de  Jean  Moreas  [In:  Mercure  de  Frances 
ler  janvier  1911]. 

Musset.  —  M.  Dumoulin.  Le  pere  d'Alfred  de  Musset  [In:  Le  Corre- 
spondent.     10  sept.  1910]. 

—  M.  Dumoulin.  Les  ancetres  d'Alfred  de  Musset.  D'apres  des 
documents  inedits.     Paris,  Emile  Paul.     3  fr.  50. 

—  A.  Ziegler.  Alfred  de  Mussets  Äußerungen  über  die  französische 
Literatur  seiner  Zeit.     Diss.  Heidelberg  1909.     110  S.     S». 

—  L.  Seche.  Trois  amis  d'Alfred  de  Musset,  lettres  d'Alfred  Tattet 
ä  Felix  Arvers  et  ä  Ulric  Guttinguer  [In:  Le  Gaulois.    13  nov.  1910]. 

—  Sur  quatre  lettres  inedites  d'Alfred  de  Musset,  p.  L.  Seche  [In: 
Le  Gaulois.     7  dec.  1910]. 

—  Le  Centenaire  d'Alfred  de  Musset.  Conference  faite  pai-  M.  Leon 
Seche,  au  theätre  de  la  Renaissance,  ä  Nantes,  le  9  dec.  1910  [In: 
Annales  Romantiques.     VII  (1910).     S.  321  ff.]. 

Nadaud,  G.,  sa  via  et  ses  ceuvres  p.  A.  Varloy.   Paris,  Daragon.    3  fr.  50. 

Pascal  inedit;  par  Ernest  Jovy.  III.  Les  Contemporains  de  Pascal  et 
leurs  sentiments  religieux,  d'apres  les  memoires  inedits  du  P.  Beurrier, 
son  dernier  confesseur.  Vitry-le-Frang.ois,  chez  l'auteur,  41,  rue 
Pavee.     1910.     In-8,  355  p. 

—  H.  Bremond.  Le  secret  de  Port.  Royal  [In:  Le  Correspondant 
10  sept.  1910]. 

—  Pascal.  Sa  vie  religieuse  et  son  apologie  du  christianisme;  par 
H.  Petitot.     Paris,  G.  Beauchesne  et  Cie.     1911.     I_n-8,  431  p. 

—  A.  Gazier.  Les  derniers  jours  de  Blaise  Pascal,  fitude  historique 
et  critique.    Paris,  H.  Champion.     1  fr.  50. 

Prarond.  —  A.  Ledieu.  A  la  memoire  de  M.  Ernest  Prarond  (1821  bis 
1909).     Abbeville,  imprimerie  Lafosse,  1  vol.  in-8<^. 

Puisieux,  Mme  de.  —  M.  Pellisson.  Une  femme  moraliste  au  XVIII^ 
siecle:    Mme    Puisieux    [In:    Revue    pedagogique    15    sept.    1910]. 

Rabelais.  —  P.-P.  Plan.  Une  reimpression  ignoree  du  Pantagruel 
de  Dresde  [In:  Mercure  de  France  ler  Dec.  1910]. 

—  H.  Schneegans.  Der  heutige  Stand  der  Rabelaisforschung  1  [In: 
Germ.-roman.   Monatsheft  II,  10]. 

Racine.  —  Masson-Forestier.  Autour  d'un  Racine  ignore.  Preface 
[In:  La  Grand  Revue  25  sept.  1910]. 

—  E.  Faguei.  La  däcouverte  de  Racine  [In:  Rev.  des  deux  niondes. 
15  d(^c.   1910]. 

—  Masson-Forestier.  Autour  d'un  Racine  ignore,  d'apres  des  docu- 
ments de  Familie.  Avec  le  portrait  de  Racine  ä  36  ans,  ä  la  veille 
de  Phedre,  portrait  dit  de  la  Champmesle,  public  pour  la  premiere 


Novitätenverzeichnis.  149 

fois  et  de  nombreuses  illuslrations,  fac-similes  de  lettres  de  Racine, 
etc.    Paris,  Editions  du  Mercure  de  France.     7  fr.  50. 

Rambervillers,  A.  de.  — ■  E.  Duvernoy,  R.  Harmand.  Un  auteur  lorrain: 
Alphonse  de  R.  (1552 — 1633).  Essai  d'hist.  litter.  provinciale 
[In:  Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  XVII,  4]. 

Ramond.  —  Un  grand  precurseur  des  romantiques,  Ramond  (1755  bis 
1827;  par  Jacques  Reboul.  Nice,  edition  de  la  «Revue  des  lettres 
et  des  arts».     1910.     In-8,  XVl-127  p.    4  fr. 

Renan.  —  Les  dechets  d'une  gloire:  Renan,  p.  G.  Fonsegrive  [In:  La 
Revue  hebdomadaire.  10  sepl.  1910]  (In  Veranlassung  von  H. 
Parigoi  Renan,  FEgoisine  intellectuel   ...). 

Rimbaud,  A.  Rhetoricien.  Reponse  ä  M.  Paterne  Berrichon  p.  G. 
Izamberd  [In:  Mercure  de  France  16  decembre  1910]. 

Ritter,  Charles.  Ses  amis  et  ses  maitres.  Choix  de  Lettres.  1859 — 1905. 
—  Sainte-Beuve,  Ernest  Renan,  H.  Gaine,  Victor  Cherbuliez, 
Paul  Bourget,  D.  Strauss,  George  Eliot,  William  James.  — •  Lau- 
sanne, Paiyot   &  Cie.     1911.    VII,  304  S.    Mit  Portrait. 

Roland,  Mme.  —  A.  Chuquet.  Buzot  et  Mme  Roland  [In:  Feuilles 
d'hist.  du  XVIIe  au  XXe  siecle.  Mai  1910]. 

Ronsard.  P.  de.  Von  C.  Rauer.  [In:  Germ.-rom.  Monatsheft.  Dez. 
1910]. 

— ■  C.  Gabillol.  La  tombe  de  Ronsard  [In:  Revue  de  Paris, 
ler  octobre   1910]. 

—  Tableau  chronologique  des  oeuvres  de  Ronsard,  suivi  de  poesies 
non  recueillies  et  d'une  table  alphabetique;  par  Paul  Laumonier. 
2e  edition,  remaniee  et  tres  augmentee.  ■  Paris,  Hachette  et  Cie. 
1911.     In-8,  XI-143  p. 

Rousseau  s.  oben  p.  144  Rornhausen,  p.  144  Dide,  p.  145  Tornezy. 
- —   Rousseau,  J ean- J acques .     Genevois;  par  Gaspard  Vallette.     Geneve, 
A.  Jullien,  edit.     1911.     In-8,  XXX-461  p.     7  fr.  50. 

—  La  Constitution  oorse  de  J.  J.  Rousseau  (these);  par  Ange  Moretti. 
Paris,  L.  Larose  et  L.  Tenin.     1910.     In-8,  191  p. 

—  Jean- Jacques  Rousseau  aviateur  p.  P.-P.  Plan  [In:  Mercure  de 
France  16  oct.  1910]. 

Sabatier  Mme_  —  X.  Seche.      La  presidente  [In:   Mercure  de  France 

16  nov.   1910.     S.  218—233]. 
Saint-Gelais,  Mellin  de  (1490?  ==  1518).     Etüde  sur  sa  vie  et  sur  ses 

ceuvres  p.  H.-J.  Molinier.    Paris,  A.  Picard  &  fils  1910.    frcs.  7.50. 
Saint-Gelais,  Octovien  de.  —  H.   J.   Molinier.     Essai   biographique  et 

litteraire    sur    Octovien    de    Saint-Gelais.      Eveque    d'Angouleme 

(1648—1502).     Paris,  A.  Picard    &  Fils.     1910.     Frcs.  4. 
Sainte-Reuve  et  le  prince  Napoleon  p.  J .  Troubat  [In :  La  Revue.    15  acut 

1910]. 
Sainte-Marthe,   Ch.   de.      (1512 — 1555)   by   Caroline   Ruutz-Rees.     New 

York,  The  Columbia  üniversity  Press  1910.     XIV,  664  S. 
Sales,  Fr.  de.  —  Vie  de  Saint  FranQois  de  Sales  p.  M.  Hamon.    Nouvelle 

edition  abregee,  entierement  revisee  p.  M.  Gonthier  et  M.  Letourneau. 

Paris,  Victor  Lecoffre.     3  fr.  50. 
Sand,  George;   par   C.   Lecigne.     Paris,    P.    Lethielleux,    1910.      In-16, 

121  p.  [Femmes  de  France,  n"  3]. 
Scarron.  —  J.  Frank.  Scarroniana  (Fortsetzung)  [In:  Arch.  f.  n.  Spr. 

CXXV,   128—153]. 
Stael,   Mme   de,    et   la    princesse    Koutouzov   [In:    Feuilles   d'histoire. 

Aoüt  1910]. 
Stendhal  Reyle  p.  L.  Spach  [In:  Feuilles  d'hist.  du  XVIIe  au   XXe 

siecle.     Juillet  1910]. 


1 50  N  ovilätcnverzeichnis . 

Tillier,  Cl.  —  M.  Cornicelius.  Claude  Tillier.  "  Halle  a.  S.  Max  Nie- 
meyer,  1910.     VII,  517  S.     8«. 

Tinan.  —   S.  oben  p.   144  Charasson. 

Tincin,  Madame  de.  —  Une  vie  de  femme  au  XVI Ile  siecle.  Madame 
de  Tencin  (1682 — 1749);  par  Pierre  Maurice  Masson.  3e  edition, 
augmentee  et  corrigee.  Paris,  Hachette  et  Cie.,  1910.  In-16,  345  p. 
3  fr.  50.     [Bibliotheque  variee.] 

Tourreil,  Jacques  de,  traducteur  de  Demosthene  (1656 — 1714).  These. . 
par  Georges  Duhan.     Paris,  H.  Champion  1910.     274  S.     8*^. 

Urfe.     S.  oben  p.  145  Martinon. 

Vigny,  A  de.  —  S.  oben  p.  144  Baldensperger. 

—  Vigny,  A.  de  p.  J .-N .  Nickels.    Esch-sur-l'Alzette,  Impr.  J.  Origer. 

—  E.  Esteve.  Gessner  et  Alfred  de  Vigny  [In:  Rev.  d'Hist.  litt,  de 
la  Fr.  XVII,  4]. 

—  Vigny,  A.  de,  ein  Urteil  seiner  Zeitgenossen,  von  E.  Kaufmann. 
Diss.  Heidelberg.     148  S.     8». 

Villiers  de  Vlsle-Adam  sous  la  Commune  p.  H.   Bernes  [In:  Mercure 

de  France  ler  nov.  1910.     S.  182—185]. 
Villon,  Frangois;  par  Gaston  Paris.    2e  edition.    Paris,  Hachette  et  Cie., 

1910.    In-16,  191p  .  avec  grav.  2  fr.  [Les  Grands  Ecrivains  francais]. 
Voltaire  s.  oben  p.  144  Bornhausen,  p.   145   Tornezy. 

—  Voltaire  p.  F.  Brünettere.  Troisieme  partie:  Cirey,  Versailles, 
Berlin    (1734—1754)   [In:    Rev.    d.    deux    mondes    ler   dec.    1910]. 

—  Labat,  L.  Le  Drame  de  la  rue  des  Filatiers  (1761).  Jean  Golas. 
Son  proces,  sa  memoire  defendue  par  Voltaire  et  par  la  soeur  Anne 
Julie  (de  la  Visitation).  Etüde  inedite  sur  documents  authenti- 
ques;  par  Leopold  Labat.  Toulouse,  E.  Privat.  Paris,  A.  Picard, 
1910.     In-8,   110  p. 

Weiss,    J.-J.      Conferencier.      Chroniqueur    de    theätre.      Journaliste. 

Portraitiste.     Ecrivain  epistolaire;  par  Georges  B.  Stirbey.     Paris, 

Calmann-Levy,  1910.     In-4,  114  p.  et  portrait. 
Z,ola  von   M.  Harden   [In:    Maximilian  Harden     Köpfe.      3.   Auflage. 

Berlin,  E.  Reiss,  1910.     S.  383—412]. 

7.  Anss:aben,  iErläntertmgssclirifteii,  Cbersetzang^eii. 

Calmette,  J .  et  E.-G.  Hurtebise.     Correspondance  de  la  ville  de  Per- 

pignan  (ä  suivre)  [In:  Rev.  d.  1.  rom.     Juillet-octobre  1910]. 
Bartsch,  K.     Chrestomathie  de  l'ancien  frangais  (Vllle — XVe  siecles). 

Accompagnee  d'une  grammaire  et  d'un  glossaire.    Dixieme  edition, 

entierement  revue  et  corrigee  par  Leo  Wiese.     Leipzig.  F.  C.  W. 

Vogel,  1910.     Preis  brosch.  14  Mk.,  geb.  15,50  Mk. 
Chrestomathie  du  moyen  äge.     Extraits  publies  avec  des  traductions, 

des  notes,  une  introduction  grammaticale  et  des  notices  litteraires; 

par  G.  Paris  et  E.  Langlois.     7^  edition,  revue.     Paris,  Hachette 

et  Cie.,  1910.    Petit  in  16,  XCIII-370  p.    3  fr.  [Classiques  francais]. 
Crescini,    V.     Canzone  francese  d'un  trovatore  provenzale.     Padova 

1910.     80  [Aus:  Atti  der  Acad.  von  Padua  Bd.  XXVI,  S.  63—103]. 
Mondän,  S.     La  Grande  Charte  de  Saint-Gaudens  (Haute-Garonne). 

Texte  gascon   du    XI le   siecle   avec   traduction   et   notes.     Paris, 

Paul  Geuthner. 
Poetes  (les)  de  la  Mort.     Anthologie  des  poesies  de  la  mort  du  XVe 

siecle  ä  nos  jours.     Morceaux  choisis,  avec  preface  et  notes;  par 

Leon  Larmand.     Illustre  de  9  grav.    Paris,   Louis-Michaud,   1910. 

In-16,  VIII-150  p.     1  fr. 
Poetes  (les)  de  la  Bipaille.    Anthologie  de  poesies  de  la  table  du  XVe 

siecle  ä  nos  jours.     Morceaux  choisis,  avec  preface  et  notes,  par 


Novitätenverzeichiiis.  151 

Leon  Larmand.  Illustre  de  8  grav.  Paris,  Louis-Michaud,  1910. 
In-16,  VI-154  p.  1.  fr. 
Poetes  (les)  humoristes.  .Vnthologie  de  poemes  humoristiques  du 
XIII«  siecle  ä  nos  jours.  Choix,  preiace  et  notes,  par  Georges  Nor- 
mandy. Illustre  de  9  grav.  anciennes  et  modernes.  Paris,  Louis- 
Michaud,   1910.     In-1(5,   IX-149  p.     1  fr. 


Adam  de  la  Haie.  —  S.  oben  p.  138  Neumann  und  p.  142  Härd  af  Seger- 

slad     Saint     Coisne. 
Aliscans.  —  S.  A.  Bacon.    The  source  of  Wolfram's  Willehaim.    Vlll, 

172  S.  in.  1  Taf.     1910.    6  Mk.  [In:  Sprache  und  Dichtung.   Forsch. 

zur  Linguistik  und  Literaturwissenschaft.     Hrsgb.  von  H.  Maync 

u.  S.  Singer.    Tübingen,  J.  C.  B.  Mohr]. 
Alre  perillos,   hrsgb.   von    W.   von  Zingerle  (In  Vorbei'eitung). 
Aucassin  et  Nicolette    and   other   Mediceval   Romances  and   Legends. 

Translated  from  the  French  bv  Eugene  Mason  (Evervman's  Library). 

12».     256  S.     London,  Dent. 
Austorc  de  Segret.  — ■   C.   Fahre.     Le  sirventes  d' Austorr  de   Segret   I 

[In:  Annales  du  Midi.     Oct.  1910]. 
Black  Prince.  —  Life  of  the  Black  Prince  by  the  Herald  o)  iSir  John 

Chandos  ed.   from  the  manuscript  in  Worcester  College  with  lin- 

guistique  and  historical  notes  bv  Mildred  K.   Pope  and   Eleanore 

C.  Lodge.    Oxford  at  the  Clarendon  Press  1910.     LXII,  256  S.    4,^. 
La  Changun  de  Guillelme.      Französisches    Volksepos    des    11.    Jahr- 
hunderts.     Kritisch   herausgegeben   von    Hermann    Suchier,    1911. 

8.    IX,  LXXVI,  195  S.     Max  Niemeyer,  Halle  a.  S.     5  Mk. 
La  Chastelaine  de  Vergi.     Poeme  du  Xllle  siecle  edite  p.  G.  Raynaud. 

Paris,  H.  Champion,  1910.     VIII,  31  S.    8    [Les  classiques  frangais 

du  Moyen  Age]. 
Crestien.  — •   S.  oben   p.   143  Baist. 
Daniel,    Arnaitt.   —    R.    Lavaud.      Les    poesies   d'Arnaud    Daniel    [In: 

Annales  du  Midi     Octobre  1910]. 
Deschamps,  E.  —  J.  L.  Lowes.     Chaucer  and  the  Miroir  de  Mariage 

[In:  Modern  Philologie  VIII,  2]. 
Disciplina  Clericalis.  —  W .  Söderhjelm.     Bemerkungen  ziu'  Disciplina 

Glericalis  und   ihren   französischen   Bearbeitungen   [In:   Neuphilol. 

Mitteilungen  1910,  No.  3/4]. 
Ecbasis  captivi.     Die  Flucht  eines  Gefangenen.     Das  älteste  Tierepos 

des  Mittelalters.     Im  Versmaß  der  Urschrift  ül)ers.  v.  Emil  Greßler. 

XII,  89  S.     8*>.     Dresden,  E.  Pierson,  1910.     2  Mk. 
L'enjant  sage   (Das   Gespräch   des    Kaisers   Hadrian   mit   dem   klugen 

Kinde  Epitus).     Die  erhaltenen  Versionen  hrsgb.  und  nach  Quellen 

und  Textgeschichte  untersucht  von  W.  Suchier.     Dresden.     Gesell- 
schaft f.  rom.  Literatur.     Halle,  M.  Niemeyer.     XIII,  612  S.     8". 

Epitre  farcie  pour  le  jour  de  Saint- Jean  [In:  Rev.  du  Traditionnisme. 

Juin  1910.     S.  93-^95]. 
Eulalia.  —  H.  Moretus.    Les  saintc^  Eulalies  [In:  Revues  des  Questions 

Historiques.      Janvier   1911]. 
Flores  oc   Blantzejlor.     Facsimile  de  l'edition  imprimee   par   Godfred 

Ghenen,  Copenhague.     1509.     In-12».  1910.     Paris,  J.  Gamber. 
Gautier  d' Ar  ras.     S.  oben  p.   143  Stevenson. 
Girard  d'Amiens.  —    E.    Krüger.      Das  Verhältnis  der   Handschriften 

von  Girards  d'Amiens  Roman  Cheval  de  tust.     Greifswalder  Disser- 
tation 1910. 
Guy  von  Warwick.  —   P.  Mau.     Gydo  und   Thyrus.     Ein  deutscher 

Ausläufer  des  altfranzös.-mittelengl.  Freundschaftsromans  'Guy  von 

Warwick'.     Diss.  Jena.     69  S.     8«. 


152  Novitätenverzeichnis. 

Höllenfahrt  und  Auferstehung.  — ■■  A.  Graj.  Die  beiden  engeren  Fassungen 
der  altfranzösischen  Dichtung  in  achtsilbigen  Reimpaaren  über 
Christi  „Höllenfahrt  und  Auferstehung".     Greifswalder  Diss.  1910. 

Jardin  de  Plaisance,  Le,  et  Fleur  de  Rethorique.  Reproduction  en 
facsimile  de  l'edition  publiee  p.  Antoine  Verard  vers  1501.  Paris, 
Firmin  -  Didot  et  lit.  Soc.  des  anc.  textes  frang. 

Jojroi  de  Watreford.  —  G.  L.  Hamilton.  The  sources  of  the  Secret 
des  Secrets  of  Jofroi  de  Watreford  [In:  The  Romanic  Review  I,  3]. 

Johannes  de  Garlandia.     S.  oben  p.  140  E.  Habet. 

Huon  de  Bordeaux.  —  M.  Kinney.  Possible  traces  of  Huon  de  Bor- 
deaux in  Bngiish  Ballad  Form  [In:  The  Romanic  Review  I,  3]. 

Lancelot.  —  The  Vulgate  Version  of  the  Arthurian  Romances  ed.  from 
Manuscripts  in  the  British  Museum  by  H.  Oskar  Sommer.  Vol.  III 
Le  livre  de  Lancelot  del  Lac.  Part  I.  Washington,  The  Carnegie 
Institution  of  Washington,   1910. 

Leodegar.  —  M.  Fischer.  Wie  zeigt  sich  im  Vokalismus  des  altfrz. 
Leodegarliedes  der  Einfluß  des  provenzalischen  Kopisten?  Progr. 
Iglau.   1909.     9  S.     8". 

Miracles  de  Nostre  Dame.     S.  oben  p.  138  Wittmann. 

Nicolausmirakel.  —  S.  oben  p.  143  Weydig. 

Passion.  —  G.  Bertoni.  i^  Correzioni  al  testo  della  ,,Passione"  [In: 
Rev.  d.i.  rom.    Nov.-dec.  1910.     S.  513-^514]. 

Psalter.  —  W.  Goedicke  über  den  anglonormannischen  Schweifreim- 
psalter.    Diss.  Halle  1910. 

Ogier.  — '  B.  Cerf.  The  Franco-Italian  Chevalerie  Ogier  [In:  Modern 
Philologie  VIII,  2]. 

Benard.  —  D.  Corbier.  Le  Roman  du  Renard,  renonvele  des  Trouveres. 
Paris.  Messein.     2  fr.  50. 

Bicaut  Bonomel.  —  G.  Bertoni.  II  serventese  di  Ricaut  Bonomel 
[In:  Zs.  f.  rom.  Phil.   XXXIV,  6], 

Bnland.  ■ —  S.  oben  p.   137  Herthuni. 

—  H.  Bourgeois.  Eine  baskische  Rolandsage  [In:  Zs.  d.  Ver.  f.  Volks- 
kunde XX,  2.     S.  213  f.]. 

—  Vgl.  E.  Hojjmann-Krayer.  Cysatiana.  Volkskundliches  aus  dem 
Kanton  Luzern  um  die  Wende  des  16.  Jahrhunderts  p.  238:  Die 
Bolandhörner  [In:  Schweizer.  Arch.  f.  Volkskunde  XIV,  3.  S.  198 
bis  245]. 

—  Das  Lied  von  Roland  und  Kaiser  Karl.  Deutsch  von  Werner 
Schwartzkopj .     Groß-Lichterfelde  1910. 

Bosenroman.  —  E.  Langlois  Les  Manuscrits  du  roman  de  la  Rose. 
Description  et  classement.  Paris,  H.  Champion.  548  S.  8*^.  12  fr. 
[Trav.  et  Mem.  Univ.  Lille.  Nou  velle  serie  I  Droit,  Lettres,  volume  7]. 

—  E.  Stange.  Manesse-Codex  und  Rosenroman  [In:  Anzeiger  für 
Schweiz.  Altertumskunde  N.  F.   XI,  4]. 

Sainte  Elisabeth.  —   Vie  de  sainte  Elisabeth  de  Hongrie  (Ms.:  Biblio- 

theque  royale  de  Belgique  ä  Bruxelles   10,  295 — '304)  [In:  Zs.   f. 

rom.  Phil.   XXXIV.  6.     S.   708-^733]. 
Saint  Franchois.  —  A.  Liedlojj.     Über  die  Vie  Saint  Franchois  [In: 

Rom.  Forsch.   XXIX,  72-^130]. 
Saint- Bichard.  —  Vie  de   Saint-Richard,     eveque  de  Chichester  [In: 

Revue  des  langues  rom.  juillet-octobre  1910.     S.  245 — 396]. 
Siege  d'Orange.  —  Baym.  Weeks.     Concerning  some  lines  of  the  Siöge 

d'Orange  [In:  The  Romanic  Review  I,  3]. 
Sponsus  s.  oben  p.  142  O.  Fischer. 
Stephansepistel.  —  Wahlgren,  E.  G.     Quelques  remarques  sur  la  forme 

creinent  dans  l'Epitre  de  Saint-Etienne  [In:  Rev.  de  phil.  frang. 

et  de  litter.   XXIV,  3.     S.  205-^209]. 


Novitälenverzeichnis.  153 

Tristan.  —  G.  Sckoepperle.  The  island  (oinput  in  Tristan  [In:  Studies 
in  English  and  comparative  literatures. . .  presented  to  Agnes 
Irwin,  dean  ol'  Radrlitfe  College.     Boston  1910.     Ginn]. 

—  ./.  Kelemina.  Untersuclmngen  zur  Tristansage.  Leipzig,  E.  Ave- 
narius.     3  Mk.   [Teutonia.     Hgb.  von  W.   Uhl   16]. 


Cahen,  A.  Morceaux  choisis  des  auteurs  l'ranyais  (XVl«",  XVI fe, 
XVIIIe  et  XIXe  siecles)  publies  conformement  aux  programmes 
de  l'enseignement  secondaire,  avec,  des  notices,  des  notes  et  un 
choix  de  textes  anterieurs  au  XVle  siede;  par  Albert  Gaben.  Pre- 
mier cycle.  Nouvelle  Edition,  entierement  ret'ondue.  Paris,  Hachette 
et  Cie.,  1910.     In-16,  XXVIII-847  p.  Cartonne,  4  ir. 

Contes  et  Faceties  galantes  du  XVIIle  siöcle.  Introduction  et  notices; 
par  Ad.  Van  Bever.  Paris,  L.  Michaud,  1910.  In-16,  287  p.  avec 
32  illustrations  d'apres  les  documents  de  l'epoque  et  couverture 
de  Geo  Dorival.  3  fr.  50  [Les  Moeurs  legeres  au  XVlIIe  siecle. 
ler  Serie]. 

Du  Lis,  C.  Recueil  d'inscriplions  et  poesies  en  l'honneur  de  la  pucelle 
d'Orleans.  Precede  d'une  introduction  par  P.  Le  Verdier.  Rouen, 
imprimerie  Gy.  1910.  Petit  in-8  carre,  XXXII-132  p.  avec  grav. 
et  1  plan  che. 

Leonard.  —  Idylles  et  poenies  cliampetres,  choisis  et  precedes  d'une 
introduction  p.  Emile  Henriot.     Paris,  Sansot.     1  vol.  in-12.    2  fr. 

Jeunes  (les)  Poetes  comtois.  Textes  choisis,  accompagnes  de  notices 
biographiques  et  bibliographiques,  Marcel  Andre,  Andree  Bonvalot, 
Laetitia  Bonvalot,  Henry  Cariage,  Edmond  Chapoy,  Alexandre 
Ghevassus,  Edouard  Goeurdevey,  Maurice  Collin,  Rene  Favre, 
Alphonse  Gaillard,  Marc  Liovet,  Maurice  Merillot,  Leon  Monnier, 
Ernest  Pennel,  Reconquista,  Leon  Roy,  Gaston  Strarbach.  Besan- 
gen, impr.  Jacques,  1910.  In-16,  124  p.  [Collection  de  la  Jeune 
Gomte]. 

d'Aubigne.  —  H.  Monod.  Quelques  pages  d'Agrippa  d'Aubigne  [In: 
Soc.  de  l'hist.  du  Protestantisme  franc.  Bulletin.  Mai-juin  1910. 
S.  210—223]  (Vgl.  ib.  Mars-avril  1910^.    S.   182). 

Balzac,  Honore.  Aus  dem  Grabe  zurück.  Erlebnisse  e.  französ.  Ober- 
sten des  1.  Kaiserreichs.  Nach  dem  Franz.  bearb.  v.  Susanna 
Rehtwisch.  80  S.  1910  [In:  Von  Buch  zu  Buch,  von  Blatt  zu 
Blatt.  Eine  Hausbücherei,  enth.  Erzählgn.,  Lebensbilder,  Dichtgn. 
u.  belehr.  Bücher  älterer  u.  neuerer  Schriftsteller.  Hrsg.  v.  Thdr. 
Rehtwisch.  kl.  8».    Leipzig,  Turm-Verlag.  77.    Jedes  Bdchn.  30  Pf.]. 

—  Tante  Lisbeth.  Übersetzung  von  Arth.  Schurig.  466  S.  8". 
Leipzig,   Insel-Verlag,  1910.     4,60  Mk. 

—  Pensees,  Sujets,  Fragments;  Edition  originale  avec  une  preface 
et  des  notes  de  Jacques  Crepet.  Portrait  grave  ä  l'eau-forte  par 
G.  Noyon.     Paris,  A.  Blaizot,  1910.     Grand  in-8,  XXXIX-172  p. 

—  H.  Clouard.  Balzac,  pages  sociales  et  politiques.  Paris,  Nouvelle 
librairie  nationale.     3  fr.  50. 

—  Le  Pere  Goriot.     Paris,  A.  Lemerre,     6  fr. 

Baudelaire,  Ch.     Pages  de  Garnet  p.  p.  M.  Feli  Gautier  [In:  Mercure 

de  France  16  dec.  1910]. 
Beaumarchais.  —   M.   Rouff.     ün   opera   politique  de   Beaumarchais 

(suite  et  fin)  [In:  La  Revolution  francaise  XXX,  4.    S.  333—358]. 
Bossuet.     Sermons    choisis.       Traite    de    la  concupiscence.      Notices, 

annotations,  par  Henri  Clouard.     14  grav.    Paris,  Larousse.     Petit 

in-8,  199  p.     1  fr. 

—  Oraisons  funebres.  Notices,  annotations,  par  Henri  Clouard. 
14  grav.  dont  2  hors  texte.    Paris,  Larousse.    Petit  in-8,  212  p.   1  fr. 


1 54  Novitätenverzeichnis. 

Bourdaloue.  —  Une  trente-septieme  lettre  de  B.  [In:  Documents 
d'hist.  Mars  1910  (n«.  1)]. 

Chapelain.  —  A.  L.  Bernhard.  Die  Parodie  „Chapelain  decoiffe'. 
XII,  46  S.  [Münchener  Beiträge  zur  rom.  ii.  engl.  Phil.  Hrsg.  v. 
H.  IBreymann  u.  J.  Schick]. 

Chateaubriand.  Viaggio  in  Italia  (1803 — ^1804),  aggiuntevi  pagine  dai 
Martiri  e  dalle  Memorie  d'oltretomba.  Traduzione,  prefazione  e 
note  di  Giovanni  Rabbizzani.  Lanciano,  R.  Carabba,  1910.  144  S. 
16*^.     L.   1  [L'Italia  negli  scrittori  stranieri,  n*^  1]. 

Chateaubriand,  Coriespondance  de,  publiee  avec  introduction,  indication 
des  Sources,  Notes  et  Tables  doubles  par  L.  Thomas.  Paris,  H. 
Champion.  (Sous  presse  et  en  souscription.  L'edition  paraitre  a 
raison  de  deux  volumes  par  an.  Elle  formera  environ  5  volumes 
in-8  raisin  de  400  pages  chacun  ä  10  fr.)  Aus  dem  von  der  Ver- 
lagshandlung versandten  Prospekt  sei  hier  der  folgende  Passus 
mitgeteilt  und  zur  Beachtung  empfohlen:  Un  Supplement  reunira 
les  lettres  encore  inconnues  de  l'editeur  et  qui  seront  venues  grossir 
le  recueil  pendant  l'impression  de  la  correspondance.  Et  ä  ce 
propos  nous  faisons  ici  un  dernier  appel  tout  special  aux  collection- 
neurs  d'autographes.  Nous  serons  tres  reconnaissant  pour  toute 
communication  qui  pourra  nous  etre  faite  ä  propos  de  lettres  inedites 
ou  dejä  imprimees  dans  des  publications  ignorees.  Chateaubriand 
appartient  au  patrimoine  de  la  France;  nous  esperons  que  les 
amateurs  et  lettres  auront  ä  coeur  de  nous  aider  dans  notre  täche 
difficile.     II  sera  fait  mention  de  leurs  genereuses  Communications. 

—  E.  Dick.  La  traduction  du  «Paradis  perdu»  de  Chateaubriand 
[In:  Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  XVII,  4]. 

—  Pages  choisies.  La  Correspondance.  Les  premiers  Essais.  Les 
Chefs-d'CEuvre.  Les  Ecrits  de  la  Restauration.  Les  dernieres 
Oeuvres.  Les  "Memoires  d'Outre-Tombe".  Avec  une  introduction, 
des  notices  et  des  notes  p.  Victor  Giraud.  Paris,  Hachette  et  Cie. 
3  fr.  50. 

Chenier.  A.  (Euvres  completes  p.  p.  P.  Dimoff.  II.  Poemes.  Hymnes. 
Theätre.     Paris,  Ch.  Delagrave.     3  fr.  50. 

Coppee,  Fr.  L'honneur  est  sauf  (drame  inedit)  [In :  Revue  de  Paris 
ler  juin   1910]. 

Cormenin.  —  Lettre  inedite  de  Maxime  du  Camp  [In:  Annales  Ro- 
mantiques  VII,  fasc.  7,  juillet-octobre  1910.     S.  277  ff.]. 

Cyrano  Bergerac,  Savinien  de.  L'autre  monde  ou  Les  etats  et  empires 
de  la  lune.  Nach  der  Pariser  und  der  Münchener  Hdschr.,  sowie 
nach  dem  Drucke  von  1659  zum  ersten  Male  kritisch  hsg.  von 
L.  Jordan.  Dresden.  Gesellsch.  f.  roman.  Literatur.  Halle, 
Niemeyer.     246  S.     Gr.  8». 

Delille.  —  L.  Maigron.  Un  manuscrit  inedit  de  Remard  sur  Delille. 
Remarques  sur  les  «notes»  des  «Georgiques»  [In:  Rev.  d'Hist.  litt, 
de  la  Fr.  XVII,  4]. 

Dumas  jils.  —  S.  oben  p.  140  Hörner. 

Du  Noyer,  Mme,  —  Memoires  et  Lettres  galantes  de  Mme  Du  Noyer 
(1663 — 1720).  Avant-propos  et  notes  par  Arnelle.  25  illustrations 
d'apres  les  documents  de  l'epoque.  Paris,  L.  Michaud,  1910. 
In-16,  288  p. 

Flaubert,  Gust.  Der  Roman  e.  jungen  Mannes.  (L'Education  senti- 
mentale.) Mit  e.  Vorrede  von  Hugo  v.  Hofmannsthal.  Deutsch 
V.  Alfr.  Gold  u.  Alphonse  Neumann.  2.  Aufl.  VII,  555  S.  8^ 
Berlin,  B.  Cassirer,  1910.     5  Mk. 

—  (Euvres  completes  de  Gustave  Flaubert.  Madame  Bovary.  Mceurs 
de  province.  Paris,  L.  Conrad,  1910.  In-8,  XXVI-631  p.  avec 
Portrait  et  fac-simile  d'autographes.     2  fr. 


Novitätenverzeichnis.  1 55 

Flaubert,  Gast.  (Euvres  completes.  Correspondance.  Ire  serie 
(1830—1850).  Paris,  L.  Conrad,  1910.  In-8,  XLI-475  p.  avec 
Portrait.     8  fr. 

—  La  premiere  ,,Ediication  sentimentale"  [In:  Rev.  de  Paris  15  nov. 
ler  et  15  decembre  1910.    1  janv.   1911]. 

—  Flaubert,  des  pages  inedites  de  [In:  La  Revue  ler   octobie  1910]. 
Gautier,  Th.  —  Zwei  Gedichte  von  Theophile  Gautier.     Ins  Deutsche 

übertragen  von    Johannes   Schürmann   [In:   München.   Allgemeine 

Zeitung.  3.  Sept.  1910]  (I.  Die  Turmuhr.    II.  Diamant  des  Herzens). 
Heredia,  J.-M.  de.  —  R.   Thauzies.     Etüde  sur  les  sources  de   J.-AI. 

de   Heredia  [In:  Rev.   d.  1.  rom.     Nov.-dec.    1910.     S.   461—512]. 
Heroet.  —  F.  Gohin.    Une  poesie  inedite  d'Antoine  Heroet:  «Description 

d'une  femme  de  bien»  [In:  Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  France  XVII,  4]. 
Hugo,  V.     Les  Chätini'i-nts;  par  Victor  Hugo.     Paris,  Impr.  nationale. 

P.  Ollendorff,  1910.     Grand  in-8.  545  p.  avec  portraits  et  tac-similes 

[CEuvres  completes.     Poesie.     IV]. 
Lamennais.  —  P.  Dudon.     Lettres  inedites  de  Lamennais  ä  Ventura 

(suite)  [In:  ßtudes  des  Peres  de  la  Compagnie  de  Jesus.     20  avril. 

5  juin  1910]. 

Le  Sage,  Alain  Rene:  Der  hinkende  Teufel.  In  der  Übersetzg.  von 
G.  Fink,  ntu  hrsg.  u.  eingeleitet  v.  Otto  F'ake.  Einband,  Titel- 
zeichnungen  u.  21  Initialen  v.  Emil  Preetorius.  VIII,  314  S.  m. 
Abbildgn.    8».     München,   G.  Müller,   1910.     9  Mk. 

—  Histoire  de  Gil  Blas  de  Santillane;  Avec  une  notice  biographique, 
un  vocabulaire  et  des  explications  grammaticales.  Varsovie. 
Karbasnikov.  E.  Wende  et  Cie.  In-16,  IX-128  p.  avec  grav. 
60  kopeks  [Editions  illustrees  Neygroud  et  Delacroix]. 

Mairel,  J.  de.,  s.  oben  p.  140  Rieser. 

Maupassant,  G.  de.  (Euvres  completes  de  Guy  de  Maupassant.  Theätre. 
Une  repetition.  Histoire  du  vieux  temps.  Musotte.  La  Paix  du 
menage.    Paris,  L.  Conrad,  1910.     In-8,  267  p.     5  fr. 

Merimee.  — ■  Lettres  de  Merimee  ä  Estebanez  Calderon  [In:  Rev.  bleue 
19  nov.   1910]. 

Mery.  — ■  Lettre  inedite  ä  Pitre-Chevalier  [In:  Annales  Romantiques 
VII,  fasc.  7,  juillet-octobre  1910.     S.  276]. 

Moliere.  —  L.  Tönse.  CoUey  Ciller's  Comedy  ,,The  Refusal,  or  the 
Ladies  Philosophy"  in  ihrem  Verhältnis  zu  Molieres  ,,Les  Femmes 
Savantes".     Diss.  Kiel  1910.     76  S.     S». 

Montaigne.  —  J.  de  la  Rouxiere.  Les  editions  des  ,, Essais  de  Mon- 
taigne" [In:  Rev.  de  la  Renaissance.     Oct.-dec.  1910]. 

Montesquieu.  CEuvres.  T.  ler;  Lettres  persanes;  t.  2:  Grandeur  et 
Decadence  des  Romains.  L'Esprit  des  lois.  Paris,  J.  Gillequin 
et  Cie.  2  vol.  in-16.  T.  ler,  254  p.;  t.  2,  207  p.  [Tous  les  chefs- 
d'ceuvre  de  la  litterature  frangaise]. 

Musset,  Ä.  de.  Lettres  inedites  p.  p.  J.  Monval  [In:  le  Correspondant. 
10  mars  1910]. 

—  Eugene  Philippe.  Du  Musset  inedit  [In:  Annales  Romantiques  VII, 
fasc.  7,  juillet-octobre  1910.   S.  284—287]  (Aus:  Journal  de  Geneve). 

—  (Euvres  complementaires.  Reunies  et  annotees  p.  M.  Allen. 
Paris.     Editions  du  Mercure  de  France.     3  fr.  50. 

Prevost,  Abbe.     Die  Geschichte  der  Manon  Lescaut  und  des  Chevalier 

des   Grieux.     2.   Aufl.   der  von   Jul.   Zeitler  besorgten  Übertragg. 

Die  [4  Voll]Bilder  zeichnete  Frz.  V.  Bayros.)    289  S.   kl.  8*^.   Leipzig, 

Insel-Verlag,  1911.     4,50  Mk. 
Rabelais.    CEuvres  T.  ler :  Gargantua.    Paris,  <<la  Renaissance  du  livre», 

libr.   J.  Gillequin  et  Cie.     In-16,  252  p.  [Tous  les  chefs-d'oeuvre 

de  la  litterature  frangaise]. 


156  Novitätenverzeichnis. 

Rabelais.  Lettres  ecrites  d'Italie  par  Frangois  Rabelais  (Decembre  1535 
bis  Fevrier  1536).  Nouvelle  edition  critique,  avec  une  introduction, 
des  notes  et  un  appendice  p.  V.-L.  Bourrilly.  Paris,  H.  Champion, 
1910  [Publication  de  la  Soc.  des  fitudes  Rabeiaisiennes]. 

—  Rabelais  pour  la  jeunesse.  Texte  adapte  p.  Marie  Butts.  lUustra- 
tions  en  noir  et  en  couleurs  de  Fernand  Fan.  3  vol.  Paris,  Librairie 
Larousse.     7  fr.  50. 

Racine.  —  ,,Dix  sonnets  attribues  ä  Racine,  publies  par  l'abbe  Joseph 
Bonnet,  d'apres  un  manuscrit  inconnu  de  la  bibliotheque  imperiale 
publique  de  Saint-Petersbourg"  [In:  Le  Correspondant.  10  sept. 
1910]  (Vgl.  auch  Claretie  im  Temps,  30  sept.  1910). 

Richepin  s.  oben  p.  137  Hartmann. 

Ronsard.  —  E.  Faral.  Sur  deux  manuscrits  du  Livre  II  de  la  «Fran- 
ciade»  [In:  Rev.  d'Hist.  litt,  de  la  Fr.  XVII,  4]. 

Rostand,  E.  CEuvres  illustrees.  Fase,  ler  ä  13.  Gyrano  de  Bergerac, 
comedie  heroique  en  cinq  actes  et  en  vers.  Fase.  14.  Gyrano  de 
Bergerac  (fin).  Les  Romanesques  (commencement).  lUustrations 
en  couleurs  et  en  noir,  dans  le  texte  et  hors  texte,  de  MM.  Frangois 
Flameng,  Albert  Besnard,  Aug.  F.  Gorguet  et  Paul-Albert  Laurens. 
Paris,  P.  Lafitte  et  Cie.  14  fasc.  in-4,  p.  1  ä  268  et  1  ä  12.  Ghaque 
fasc,  60  Cent. 

Rousseau,  J.-3.  s.  oben  p.  140  Schütte. 

—  Lettres  inedites  ä  Mmes  Boy  de  la  Tour  et  Delessert  comprenant 
les  lettres  sur  la  botanique  p.  p.  Ph.  Godet  et  M.  Boy  de  la  Tour. 
Paris,  Plon-Nourroit  et  Gie.     20  fr. 

—  Quelques  lettres  de  J.-J.  Rousseau  (1766 — 1769)  p.  p.  Th.  Dufour, 
Directeur  honoraire  des  Archives  et  de  la  Bibliotheque  de  Geneve. 
Geneve,  Imprimerie  Albert  Kündig,   1910. 

—  La  Nouvelle  Heloise  et  son  influence  sur  Goethe  p.  E.  Vermeil 
[In:  Revue  de  l'enseignement  des  langues  Vivantes.    XXVII]. 

Sales,  Frz.  v.  Philothea  od.  Anleitung  zu  e.  gottsei.  Leben.  Aus  dem 
Franz.  übers,  u.  m.  e.  Anh.  der  notwend.  Gebete  versehen  von 
D.  J.  Becker.  4.  neuverb.  Aufl.  672  S.  13,2X7  cm.  Sarlouis, 
F.  Stein  Nachf.,  1910.     1,20  Mk. 

Senancour,  Lettres  au  Directoire  p.  p.  ./.  Merlant  [In:  Rev.  d'Hist. 
litter.  de  la  Fr.   XVII,  4]. 

Taine,  H.  Les  Origines  de  la  France  contemporaine.  Index  general 
des  11  vol.    Paris,  Hachette  et  Gie.,  1910.    In-16,  140  p.     1  fr. 

—  Die  Darstellung  des  Individuums  in  den  ,, Origines  de  la  France 
contemporaine".  Ein  Beitrag  zur  Technik  der  historischen  Kunst 
von  Karl  Fritzsche.  Leipzig  1910.  R.  Voigtländers  Verlag  [Bei- 
träge zur  Kultur-  und  Universalgeschichte,  hrsgb.  von  K.  Lam- 
precht, XIII]. 

—  W.  Hentschel.  H.  Taines  Erkenntnistheorie  in  ,,De  l'InteUigence" 
(Darstellung  und  Beurteilung).     Diss.  Erlangen   1910.     60  S.     8». 

Tinayre.  —  Seydel.     Die  Hauptwerke  von  Marcelle  Tinayre  [In:  Zs.  f. 

frz.  u.  engl.  Unterricht.  IX,  4  u.  6]. 
Vrje,  Honore  d'   —   L'Astree  de  Messire   Honore  d'Urfe.     Nouvelle 

edition.     Specimen.     Premiere  partie.     Livres  I,  II  et  III.     Et  se 

donne  cliez  Huguez  Vaganay  3,  Rue  Aguste  Gomte,  Lyon.    120  S. 

8^  [En  Souscription]. 
Villon,  Fr.     (Euvres  p.  p.  Un  ancien  archiviste.     XVI,  124  p.  in-8*. 

Paris,  H.  Champion.     2  fr. 
Voltaire.     Lettres  philosophiques  p.  p.  H.  Labroue.     Paris,  Delagrave. 

3  fr.  50. 

—  Lettres  inedites,  de  Voltaire  ä  GoUini  et  ä  Marin  [In:  Rev.  d'Hist. 
litt^r.  de  la  France  XVII,  4]. 


Novitätenverzeichnis.  157 

Voltaire.  Merope.  Trauerspiel.  In  deutscher  Nachdichtg.  v.  Rieh. 
Rieß.  -Mit  dem  Bilde  Voltaires  u.  e.  Vorbemerkg.  des  Übersetzers. 
VIII,  53  S.  1910.  60  Pf.  [Bibliothek  der  Gesamtlit.  des  In-  u. 
Auslandes  2186]. 

—  Une  lettre  inedite  de  V.  p.  p.  C.  Latreille  [In:  Rev.  d'Hist.  litt, 
de  la  Fr.   XVII,  3.     S.  616]. 

—  Lettres  inedites  de  V.  [In:  La  Revue.    1«"  novembre  1910]. 

8.  Oeschichte  imd  Theorie  des  Unterriclits. 

Blocher,  E.     Über  Schädigungen  der  Schüler  durch  Fremdsprachen- 
unfug [In:  Pädag.  Archiv  LH,  10]. 
Boiwier,  B.    La  lecture  analytique  [In :  Die  neueren  Sprachen,  XVIII, 6]. 
Eidam.     Zur  Frage  der  Trennung  von  Französisch  und  Englisch  beim 

Studium  und  bei  der  Prüfung  der  Neuphilologen  [In:  Zs.  f.  franz. 

und  engl.  Unterricht,  IX,  5]. 
Flury,  Th.    Soll  an  den  oberen  Klassen  der  Mittelschule  der  Unterricht 

in  der  fremden  Literatur  systematisch  oder  im  Anschluß  an  die 

Lektüre  erteilt  werden  [In:  Die  neueren  Sprachen.    Oktober  1910]. 
Herlet,  B.  ■  Über  die  Verwendung  eines  neusprachlichen  Wortvorrats 

im  neusprachlichen  Elementarunterricht  [In:  Die  neueren  Sprachen 

XVIII,  4]. 
Jeanroy,  A.     Les  etudes  meridionales  ä  la   Sorbonne  de   1830 — 1905 

[Aus:  Revue  Bleue.     Febr.   1910]. 
KöUenberger,  B.     Sprachgeschichtliche  Fragen  im  französischen  Unter- 
richt an   lateinlosen    Schulen.     Progr.   Oberrealschule   Heidelberg. 

34  S...  4". 
Kuniz.    Ästhetik  und  Schule:  der  ästhetische  Wert  der  französischen 

Sprache   für   den   Unterricht   [In:    Zeitschr.    für   lateinlose  höhere 

Schulen  XXII,  1]. 
Münch,    W.      Lebende    Sprachen    und    lebendiger    Sprachunterricht 

[In:  Die  neueren  Sprachen  XVIII,  4]. 
Schiedermair ,  R.    Über  die  Ausbildung  der  bayerischen  Neuphilologen 

im  pädagogischen  Seminar  [In:  Pädagog.  Archiv  LH,  9]. 
Schmidt.     Freuden  und  Leiden  einer  assistante  allemande  [In:  Zs.  f. 

frz.  u.  engl.  Unterricht  IX,  6]. 
Terrin,  Ch.     La  methode  objective  et  la   Sorbonne  [In:  Mercure  de 

France  ler  janv.  1911]. 

».  liChrmittel  fiir  den  französischen  Unterricht. 

a)  Grammatiken,  Übungsbücher  etc. 

Auge,  C.  Deuxieme  livre  de  grammaire.  Regles.  Exceptions.  Re- 
marques. Syntaxe.  Exemples.  Questionnaires.  600  exercices. 
200  dictees  ou  poesies.  Analyse  grammaticale.  Analyse  logique. 
Synonymes.  Antonymes.  Homonymes.  Derivation.  Periphrases. 
Proverbes,  etc.  Narrations.  Redactions  d'apres  l'image.  Lettres. 
Livre  de  l'eleve.  Illustre  de  170  grav.  Paris,  Larousse.  In-12, 
p.  80  Cent. 

—  Troisieme  livre  de  grammaire.  Derivation.  Parties  du  discours. 
Analyse.  Syntaxe.  Redactions.  Litterature  frangaise.  1500  exer- 
cices.' 220  grav.  Livre  du  maitre.  Paris,  Larousse.  In-12,  886  p. 
4  fr. 

Baconnet,  G.  et  C.  Grillet.    Grammaire  frangaise  pour  toutes  les  classes. 

Lyon,  E.  Vitte.    Paris,  libr.  de  la  meme  maison.    In-18  Jesus,  357  p. 
Beck,  Christoph.     Französische  Orig. -Texte  zu  den  Stilübungen  nebst 

Hinweisen  auf  die  französische  Stillehre  und  Synonymik.  IV,  111  S. 

8^.     Nürnberg,   F.   Korn,   1910.     2,50   Mk. 


1 58  Novitätenverzeichnis. 

Beck,  Christoph.  Französische  Stillehre  nebst  Svnonvmik  für  höhere 
Lehranstalten.  VI,  114  S.    S».    Nürnberg,  F.  Korn,  1910.    1,50  Mk. 

Böddeker,  Ä.,  H.  Bornecque,  R.  Erzgraeber.  Französische  Schulgram- 
matik. (Böddeker-Bornecque-Erzgraeber:  Französisches  Unter- 
richtswerk. 143  S.  8^.  Leipzig,  G.  Frey  tag,  1910.  Geb.  2  Mk.; 
m.  e.  Anh.  f.  Lateinanstalten.     149  S.     Geb.  2  Mk. 

Übungsbuch  für  höhere  Mädchenschulen.  (Böddeker-Bor- 
necque-Erzgraeber: Französisches  Unterrichtswerk.)  1.  Tl.:  Kl.  IV. 
108  S.  m.  Abbildgn.    8".    Leipzig,  G.  Freytag,  1911.    Geb.  1,50  Mk. 

,  . —  Übungsbuch  für  höhere  Mädchenscliulen  und  Studien- 
anstalten. (Böddeker-Bornecque-Erzgraeber:  Französisches  Unter- 
richtswerk.) II.  Tl.:  Kl.  III  der  höheren  Mädchenschulen  (bezw. 
Illb  der  Studienanstalt).  99  S.  m.  Abbildgn.  8«.  Leipzig,  G.  Frey- 
tag, 1911.     Geb.  1,50  Mk. 

Boerner,  Otto.  Lehrbuch  der  französischen  Sprache.  Mit  besonderer 
Berücksicht.  der  Übgn.  im  mündl.  u.  schriftl.  freien  Gebrauch  der 
Sprache.  Unter  Mitarbeit  von  St.  v.  Napolski  und  M.  v.  Napolski. 
Vereinfachte  Bearbeitg.  der  Ausg.  B  f.  Mädchenschulen.  8*^.  Leipzig, 
B.  G.  Teubner.  V.  Tl.  (Syntax).  Mit  1  Hölzelschen  Vollbild: 
,, Paris",  8  Ansichten  v.  Paris,  1  (färb.)  Plane  v.  Paris,  1  (färb.) 
Karte  v.  Frankreich  u.  1  französ.  Münztafel.  Hierzu  als  Beiheft 
in  Tasche:  Abrege  d'histoire  de  la  litterature  frangaise.  2.,  fast 
unveränd.  Doppelaufl.  VIII,  272  u.  42  S.  1910.  Geb.  in  Leinw. 
u.  geh.  3,20  Mk. 

Boerner,  O.  —  R.  Dinkler.  Lehr-  und  Lesebuch  der  französischen 
Sprache.  Mit  besond.  Bercksicht.  der  Übungen  im  mündl.  und 
schriftl.  freien  Gebrauch  der  Sprache.  Ausg.  f.  preuß.  Mittelschulen, 
imter  Mitarbeit  v.  Bürgersch.-Dir.  Dr.  Herm.  Heller  neu  hrsg.  IL  Tl. 
1.  Aufl.  der  Neubearbeitg.  (Boerners  französ.  Unterrichtswerk.) 
Mit  4  Taf.,  1  färb.  Münztaf.  u.  9  Bildern  im  Text.  IV,  200  S.  8«. 
Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1910.     2.-.  Mk. 

Bouilloi,  V.  Le  Frangais  par  les  textes.  Lecture  expliquee.  Gram- 
maire.  Orthographe.  Vocabulaire.  Composition  frangaise.  Coure 
moyen,  certificat  d'etudes.  Paris,  Hachette  et  Cie.  1910.  In-16, 
IV-412  p.  avec  grav.  Cartonne,  1  fr.  50. 

Briet,  A.  L.  Französische  Sprachlehre.  Mäcon,  impr.  Protat  freres. 
1910.      In-8   oblong    non    pagine    [Moderne   sprach-lehr-Mebhode]. 

Buckelerj,  Jos.  Die  Absolutorialaufgaben  f.  die  französische  bezw. 
englische  Sprache,  gegeben  an  den  Oberrealschulen  Bayerns. 
Als  Übungsstoff  f.  d.  9.  Klasse  dieser  Anstalten  zusammengestelU. 
33  S.     8».    Nürnberg,  G.  Koch,  1910.    —.50  Mk. 

Cours  d'analyse  grammatfcale  et  logique  et  Exercices  d'analyse  et  de 
Synthese  grammaticales;  par  Une  reunion  de  professeurs.  Livre 
du  maitre.  Tours,  Mame  et  fils.  Paris,  Ve  C.  Poussielgue;  chez 
les  principaux  libr.  In-12,  XII-204  p.  [CoUection  d'ouvrages 
classiques  rediges  en  cours  gradues,  conformement  aux  programmes 
officiels]. 

Coindre,  A.  Cours  pratique  de  la  langue  frangaise,  grammaire  et 
composition.  Cours  elementaire,  Etüde  des  mots  et  de  la  phrase, 
Exercices  d'invention,  Exercices  de  langage.  Redactions  sur 
questions.  Redactions,  sur  Images.  Petites  compositions,  Textes 
pour  lectures,  dictees,  recitations,  explications,  redactions.  Livre 
du  maitre.  Paris,  G.  Beauchesne  et  Cie.  1910.  In-18  Jesus,  378  p. 
avec  grav.  [CoUection  A.  Coindre]. 
Crouzet,  P.,  G.  Berthet,  M.  Galliot.  Methode  frangaise  et  Exercices 
illustres.  6e  et  5e  (gargons).  Ire,  2e,  3e  annees  (filles).  Enseigne- 
ment  primaire  superieur.  ler  volume.  30  illustrations  de  Ber- 
nard   Naudin,    24    tableaux    du    musee   du    Luxembourg.     Paris, 


Nonläletwerzeichnis.  159 

H.  Didier,  1910.  In-Ki,  XVI-;n8  p.  2  fr.  flO  [Cours  simplo  et 
complet  de  langue  fran(^'aise]. 

Dessaint,  L.  et  C.  Jainarl.  La  Langue  Iran^'aiso.  Le  .\Iot.  La  Pro- 
position. La  Phrase.  Le  Paragraphe.  La  Compositioa.  Notions 
grammaticales,  Etymologie,  Orthographe  d'usage  et  de  regles, 
Vocabulaire,  Analyse  et  Synthese  de  propositions  et  de  phrases, 
Elociition  et  Composition  fran(,'aise.  Cours  rnoyen  et  snp<5rieiir. 
Paris,  A.  Lesot.     In-16,  IV-31     p.  aver  fig. 

Dodeman,  E.  L'Enseignement  du  fran(?ais  par  la  inetliode  directe. 
Premiers  exercices  ecrits:  Vocabulaire  et  Orthographe.  Phrases  ä 
composer.  Premiers  Elements  de  grammaire.  Livre  de  l'eleve. 
Paris,  Aleide  Picard.  1910.  In-12,  112  p.  60  cent.  [CoHection 
Edouard  Petit.     Cours  preparatoire]. 

Dubray,  G.  L'Allemand  a  son  frangais.  que  le  Frangais  ne  connait 
pas.  Liste  de  termes  d'apparence  frangaise,  et  qui  ne  sont  pas 
trangais.  2.  ed.  15  S.  8".  Vienne,  1910.  Wien,  Gerold  &:  Co. 
—  .50  Mk. 

Egli.  Konjugations-Tabelle.  —  Tableau  de  conjugaison.  Vergrößerte 
Wiedergabe  aus  Egli,  Bildersaal  f.  den  Sprachenunterricht,  Heft  2. 
1  Bl.  in  Rot-  u.  Schwarzdr.  74x100  cm.  Zürich,  Art.  Institut 
Orell  Füssli.     1910.     —.60  Mk. 

Fetter,  J.  und  K.  Ullrich.  La  France  et  les  Fran^ais.  I^ehrgang  der 
französischen  Sprache  für  Mädchenlyzeen  und  verwandte  Lehr- 
anstalten. 2.  Teil.  4.,  umgearbeitete  Auflage.  Mit  10  Abbildungen 
und  einer  farbigen  Karte  von  Frankreich.  Wien  1910.  A.  Pichlers 
Witwe   &  Sohn.     Preis  geb.  2  K. 

Gertach,  Rud.  Verzeichnis  der  französischen  unregelmäßigen  Verben, 
vollständig  conjugiert.  Ein  Lern-  und  Nachschlagheft  f.  Kaufleute, 
Beamte,  Schüler  u.  jeden  anderen  Interessenten  (!).  2.  Aufl.  32  S. 
kl.  8».     Apolda,   Selbstverlag,   1910.     (Nur  direkt.)     —.50  Mk. 

Gouin,  F.  Langage  objectif.  Les  Series  domestiques  et  champetres. 
Publication  du  cours  de  langue  etrangere  donne  en  1885  ä  l'Ecole 
normale  des  instituteurs  de  la  Seine  sous  les  auspices  du  ministre  de 
rinstfuction  publique.  Texte  francais.  Fascicule  l^r.  Paris, 
Fischbacher,  1910.  In-16,  X-147  p.  2  fr.  50.  [L'Art  d'enseigner  et 
d'etudier  les  langues.] 

Kehr,  Jos.  u.  Gisb.  van  Moll.  Lehrgang  der  französischen  Sprache  für 
Knaben-  und  Mädchen-Mittelschulen.  1.  Tl.  Elementarbuch  der 
französ.  Sprache.  XII,  221  S.  8^'.  Bielefeld,  Velhagen  &  Klasing, 
1910.     2.—  Mk. 

Larousse,  P.  Exercices  d'orthographe  et  de  syntaxe  appliques  numeros 
par  numeros  ä  la  grammaire  complete  et  ä  la  grammaire  supe- 
rieure.  Livre  du  maitre.  Paris,  Larousse.  In-12,  300  p.  2  fi'. 
[Methode  lexicologique  Larousse]. 

Letz,  K.  u.  L.  Limacher.  Französisches  Übungsbuch.  Zeichnungen 
(im  Text  u.  auf  1  färb.  Taf.)  v.  H.  Moser.  XII,  244  S.  8'\  Straß- 
burg, F.  Bull,  1910.     2.^  Mk. 

Maquet,  C.  et  L.  Fiat.  Cours  de  langue  frangaise.  Grammaire  et 
Exercices.  Redige  conformement  aux  programmes  du  31  mai 
1902,  aux  dernieres  instructions  ministerielles  et  ä  l'arrete  ministeriel 
du  25  juillet  1910  relatif  ä  la  nouvelle  nomenclature  grammaticale. 
Premier  degre  complementaire.  Gargons.  Classe  de  8^.  Jeunes 
filles.  3e  annee  primaire.  Paris,  Hachette  et  Cie.  1911.  In-16, 
144  p.  avec  illustrations.     Cartonne,  1  fr.  25. 

Maquet,  C.  et  L.  Flot.  Cours  de  langue  frangaise.  Grammaire.  Redige 
conformement  aux  programmes  du  31  mai  1902  et  aux  dernieres 
instuctions   ministerielles.      Troisieme      degre.      Gargons.      Classes 


160  Novitätenverzeichnis. 

de  66,  5P  et  4e.  Jeunes  filles.  3e  et  4e  annees  secondaires.  Paris, 
Hachette  et  Cie.     1910.     In-16,  239  p.     Cartonne,  1  fr.  50. 

Methode  Alvincy.  Enseignement  direct  et  rationnel  des  langues. 
Direkter  und  rationeller  Sprachunterricht.  Deutsch-Französisch  — 
Frangais-Allemand.  La  vie  intellectuelle  et  morale.  Das  geist. 
u.  sittl.  Leben.  VIII,  184  S.  kl.  S».  Leipzig,  O.  Holtzes  Nachf. 
1910.    2.40  Mk. 

Meyer,  F.  Grammatisches  Wörterbuch  der  Iranzösischen  Sprache. 
IV,   334  S.   .kl.   8«.     Hannover,  C.   Meyer,    1910.     geb.  2.50  Mk. 

Müller,  Aug.  Übungsbuch  zum  Obersetzen  aus  dem  Deutschen  in 
das  Französische.     141  S.    8».    Leipzig,  G.  Freytag,  1910.     1.80  Mk. 

Neyroud,  C.  et  iV.  Delacroix.  Cours  de  langue  frangaise  par  la  methode 
directe,  dispose  conformement  aux  nouveaux  programmes  du 
ministere  de  l'instruction  publique  et  du  ministere  des  finances. 
2e  partie.  Varsovie,  Karbasnikov,  E.  Wende  et  Cie.  In-8  187  p. 
avec  grav. 

Notions  usuelles  d^eiymologie,  suivies  d'exercices  pratiques  ä  i'usage 
des  classes  de  l'enseignement  secondaire  et  des  cours  complementaire 
et  superieur  de  Fenseignement  primaire;  par  Une  reunion  de  prol'es- 
seurs.  Tours.  A.  Marne  et  fils,  et  chez  les  principaux  libr.  In-16, 
112  p.  [Collection  d'ouvrages  classiques  rediges  en  cours  gradues. 
conformement  aux   programmes  olficiels]. 

Otto,  Emilio,  y  Gustavo  Kordgien.  Gramätica  sucinta  de  la  lengua 
francesa  acompanada  de  numerosos  ejercicos  de  traducciön  y  lectura 
para  el  uso  de  los  principiantes.  (Mt§todo  Gaspey-Otto-Sauer.) 
5.  ed.,  enteramente  rehecha  por  Lic.-Prof.  F.  Tanty.  VI,  185  S. 
mit  1  färb.  Karte  und  1  färb.  Plan.  8"^'.  Heidelberg,  .1.  Groos, 
1910.     geb.  2.—  Mk. 

Riha,  Ernst.  Französisches  Lehr-  u.  Lesebucli  f.  Mittelschulen.  Mit 
96  Abbildungen  und  1  färb.  Münztab.  Einteilige  Ausg.  2.,  von 
.1.  Ellinger  umgearb.  Aufl.  182  S.  8«.  Leipzig,  G.  Frevlag,  1910. 
1.80  Mk. 

Roßmann,  Ph.  u.  F.  Schmidt.  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  aut 
Grundlage  der  Anschauung.  Ausg.  C.  Für  höhere  Mädchenschulen. 
III.  Bd.:  Klasse  4—1.  X,  299  S.  m.  Abbildgn.  8».  Bielefeld, 
Velhagen    k  Klasing,  1910.     2.80  Mk. 

Sieblist.  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  1.  die  deutschen  Post- 
und  Telegraphenbeamten.  Zum  Selbstunterricht  in  der  französ. 
Umgangs-,  Schrift-  u.  Amtssprache,  sowie  namentlich  zur  Vor- 
bereitung auf  die  Assistenten-  und  Sekrelärprüfungen  der  Reichs- 
Post-  und  Telegraphenverwaltung.  In  2  Teilen  nebst  einem  Fremd- 
wörterbuch und  einem  Postlesebuch.  I.  einführ.  Tl.  3.,  verb. 
Aufl.  XIV,  285  S.  Nebst  Schlüssel.  50  S.  8".  Leipzig,  B.  G. 
Teubner,  1910.     3.—  Mk. 

Sokoil,  Eduard  u.  Ludw.  Wyplel.  Lehrbucli  der  französischen  Sprach;^ 
f.  Realschulen  und  verwandte  Lehranstalten.  V.  Tl.  Französische 
Sprachlehre.  Ausg.  A.:  Ungekürzte  Fassg.  3. —  7.  Scluilj.  XI, 
356  S.     gr.  8".    Wien,  F.  Deuticke,  1910.     4.—  Mk. 

—  dasselbe.  V.  Tl.  Französische  Sprachlehre.  Ausg.  B:  Gekürzte 
Fassg.    IX,  206  S.    gr.  8«.    Ebd   1910.    3.— Mk. 

—  dasselbe.  Ausg.  f.  Realgvmnasien,  bearb.  von  Dr.  Rieh.  Weinert. 
2.  Tl.     IV,  151  S.    gr.  8»."^  Ebd.  1910.    2.—  Mk. 

Tajel  zur  Einübung  der  französ.  Konjugation.  Von  R.  .Tahnke. 
60,5x85  cm.  Farbdr.  Mit  Text  auf  der  Rückseite.  Leipzig, 
B.  G.  Teubner,  1910.     Auf  Leinw.  m.  Stäben  3,20  Mk. 

Voelkel,  T.  Französisches  etymologisches  Lesebuch,  nach  Wort- 
familien geordnet  f.  den  Gebrauch  der  oberen  Klassen  höherer 
Lehranstalten  sowie  zum  Selbstunterricht.     1.  Heft.     Die  Familien 


Novitätenverzeichnis.  161 

der  unrogolmäß.  Vei'beii.    2.  uiivoränd.  Aiisg-.    88  S.    8".    Hannover, 

C.  Meyer,   1911.     1.25  Mk. 
Vogel,   Chr.     Manuel   de   conjugaison   des   verbes  irreguliers   l'rangais. 

5.  ed.,  revue  et  augnientee.     72  S.     8*^.     Leipzig,  G.  A.  Gloeckner, 

1910.     1.—  Mk. 
Werner,    A.      Gymnastiquo    du     voeabulaire    Irangais    (Französiscli- 

deutsches  Wörterverzeicluiis).      Ililfshiich   zum    Gebrauch    für   die 

oberen    Klassen    der    Mittelschulen.      Wien,    1911.      F.    Tempsky. 

Preis  geb.  Mk.  2.60  =  K.  3.20. 
Wolter,  Eug.     Französisch  in  Laut  u.  SchrifL     Ein  Lehrbuch  1'.  höhere 

Schulen.     \.  Tl.     Mit  1  MünztaT.    Nebst  Wörterverzeichnis.     XVI, 

II,  288  u.  t)S  S.    S".    Berlin,  Weidmann,  1910.    3.40  Mk. 

b)  Literaturgeschichte,  Realien,  Schulausgaben,  Lesebücher. 

Prrcis  d'hisloire  liUeraire.  Litterature  Irancaise  suivie  d'un  apergu  des 
litteratures  etrangeres  anciennes  et  modernes;  par  Une  reunion 
de  professeurs.  Tours,  A.  Marne  et  fils.  Paris.  Ve  G.  Poussielgue, 
et  chez  les  principanx  libi-.  1911.  In-16,  VIII-431  p.  [Collection 
d'ouvrages  classitiues  rödiges  en  coiirs  gradues,  conformement  aux 
programmes  oificiels]. 

Roustan,  M.  La  litterature  francaise  pai'  la  dissertation.  III:  Le  dix- 
neuvieme  siede.  Pairs,  P.  Delapkine.  5  l'r.  (Un  vol.  in-12,  conte- 
nant  1235  sujets  accompagnes  de  plans  de  developpements,  de 
conseils,  et  d'indications  de  lectures  recommandees). 

Lescar.  Ch.  La  divisinn  et  l'organisation  du  territoire  l'rancais.  Bei'lin, 
Weidmann.  1910.     X.  230  S.     8».     Mk.  4.—. 

Äuteurs  jrancais.  Wörterbuch.  8^*.  Trier,  J.  Liiitz.  XVIII  Wershoven: 
Conteurs  modernes.    45  S.    1910.    20  PL 

Bornecque,  Henri  et  Josejine  Weissei.  Le  l'rancais  parle.  Recueil  de 
morceaux  recapitulant,  d'une  maniere  systematique,  le  vocabulaire 
usuel.  84  8.  m.  33  Abbildgn.  8».  Vienne  1911.  Wien,  F.  Tempsky. 
—  Leipzig,  G.  Freytag,  1911.     Geb.  1,20  Mk. 

Collection  Te.ubner.  Publice  ä  l'usage  de  Fenseignement  secondaire 
par  F.  Doerr,  H.  P.  Junker,  M.  Walter.  8<\  Leipzig,  B.  G.  Teubner. 
3.  Moliere:  Les  temmes  savantes.  Comedie.  Publice  et  annotee  en 
collaboration  avee  H.  P.  Junker  par  Henri  Bornecque.  Texte  et 
notes.  IV.  78  u.  II,  72  S.  m.  Bildnis.  1910.  1  Mk.;  geb.  u.  geh. 
1,30  Mk.  4.  Flaubert,  Gust.  Un  coeur  simple.  Publie  et  annote  en 
collaboration  avec  Mme.  Meyer-Harder  par  J.  Anglade.  Texte  et 
notes.    Avec  3  gravures  et  1  carte.    IV,  41  u.  II,  28  S.    1910.    80  PL 

—  dasselbe.  Publice  par  F.  Doerr,  L.  Petry.  8".  Ebd.  5.  Cirot,  G. 
Le  midi  de  la  France.  I.  Le  midi  et  le  sud-ouest.  Morceaux  choisis 
et  annotes  en  collaboration  avec  L.  Petry.  Texte  et  notes.  Avec 
8  gravures  et  1  carte.  VI,  72  u.  II,  36  S.  1910.  1  Mk.;  geb.  u.  geh. 
1,30  Mk.  6.  Dasselbe.  IL  La  Provence  et  la  Corse.  Texte  et  notes. 
Avec  8  gravures  et  1  carte.  VI,  75  u.  II,  36  S.  1910.  1  Mk.;  geb. 
u.  geh.  1,30  Mk.  7.  Cointot,  H.  L'annee  terrible.  Morceaux 
choisis  et  annotes  en  collaboration  avec  A.  Sturmfels.  Texte,  et 
notes.  Avec  4  gravures  et  1  carte.  IV,  118  u.  IV,  52  S.  1910. 
1,30  Mk.;  geb.  u.  geh.  1,60  Mk. 

Cury,  Camille.  Le  petit  Frangais.  Livre  de  lecture  et  de  conversation 
.sous  la  forme  dialoguee,  ä  l'usage  des  ecoles  secondaires  d'AlIemagne, 
des  ecoles  normales  d'instituteurs  et  d'institutrices,  des  ecoles 
superieures  de  jeunes  filles  et  des  candidats  ä  l'examen  des  „Mittel- 
schulen". 145  S.  8".  Leipzig,  G.  Freytag.  —  Wien,  F.  Tempsky, 
1911.     Geb.  2  Mk. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII-.  1] 


162  Nocitätenoerzeichnis. 

Dieslerweg'?~  neusprachliche  Reformausgaben,  lirsg.  v.  Prof.  Dr.  Max 
Frdr.  Mann.  8».  Frankfurt  a.  M.,  M.  Diesterweg.  20.  Robert- 
Dumas,  A.,  u.  Ch.  Robert  Dumas.  Petites  Frangaises.  Scenes  de  la 
vie  familiere.     VII,  64  S.     1910.     Geb.  85  Pf. 

Jugendbücher,  fremdsprachliche,  illustrierte.  Hrsg.  v.  Fr.  Wittmann, 
G.  Schmidt,  kl.  8*».  Heidelberg,  Carl  Winter.  Geb.  jeder  Bd.  1  Mk. 
6.  Recits  du  moyen  age.  Hrsg.  v.  G.  Schmidt,  illustr.  v.  Fr.  Hein. 
IV,  77  S.  m.  6  Farbdr.     1910. 

La  Fontaine.  Fahles.  Edition  revue  et  corrigee,  enricliie  de  notes 
nouvelles;  par  M.  D.  S.,  dans  iaquelle  on  aper^oit  d'un  coup  d'oeil 
la  moralite  de  la  fable,  ä  l'usage  de  la  jeunesse.  Tours,  A.  Marne 
et  fils.     In-18,  340  p. 

Meyrac,  A.  Les  Romans  de  nos  aieux.  La  Clianson  de  Roland.  La 
Chanson  d'Antioche.  La  Bataille  de  Hastings.  Les  Aventures  de 
Girart  de  Roussillon.  Le  Roman  de  Tristan  et  Yseult,  etc.  Paris, 
Aleide  Picard,  1910.  Grand  in-8,  284  p.  avec  grav.  3  fr.  20  [Collec- 
tion  Aleide  Picard.     Bibliotheque  d'education  litteraire]. 

Morceaux  choisis  des  auteurs  frangais  du  moyen  äge  ä  nos  jours  (842 
bis  1900),  prepares  en  vue  de  la  lecture  expliquee;  par  Ch.  M.  des 
Oranges.     Paris,  A.  Hatier,  1910.     In-12,   XII-1411  p. 

Hötigers,  B.  Recueil  de  poesies  franyaises  du  19me  siecle,  precede 
d'un  choix  de  fahles  de  Lafontaine.  Für  den  Schulgebrauch  hrsg. 
309  S.  m.  19  Abbildgn.  8".  Leipzig,  G.  Frevtag.  —  W^ien,  F.  Tempsky 

1910.  2,50  Mk. 

S'andeau,  Jules.  Mademoiselle  de  La  Seigliere.  Lustspiel.  Für  den 
Schulgebrauch  hrsg.  v.  O.  F.  Schmidl.  9  u.  132  S.  8".  Leipzig, 
G.  Freytag.  —  Wien,  F.  Tempskv,  1910.  Geb.  1,60  Mk. ;  Wörter- 
buch. 40  S.   1910. 

Schindler,  C.    Choix  de  poesies  franyaises.   44  S.   8*^*.   Bei-ne,  A.  Francke, 

1911.  70  Pf. 

Schrijtsteller,  englische  und  französische,  der  neueren  Zeit.  Für  Schule 
und  Haus  hrsg.  v.  J.  Klapperich.  (Ausg.  A.  Einleitung  u.  Anmerkgn. 
in  deutscher,  Ausg.  B  in  engl.  od.  französ.  Sprache.)  8".  Berbii, 
C.  Flemming.  15.  Bdchn.  Lebrun,  A.  Quinze  jours  a  Paris.  Ed. 
ä  l'usage  des  ecoles,  annotee  par  Prof.  Dr.  Ph.  Rossmann.  Avec 
lOillustr.  et  1  plan  de  Paris.  (Ausg.  B.)    VII,  82  S.   1910.   Geb.  1,40. 


Referate  und  Rezensionen. 


IScIiroedei*,  l<eopold  v.  Die  Wurzeln  der  Sage  vom 
heiligen  Gral  (Sitzungsberichte  der  K.  Akad.  der  Wiss. 
in  Wien,  Bd.  166).       Wien  1910.     98  S. 

Abhandlungen  über  die  Gralsage  und  die  Gralromane  schießen 
in  jüngster  Zeit  wie  Pilze  aus  dem  Boden.  Leider  sind  die  auf 
diesem  Gebiete  erreichten  Fortschritte  nicht  ganz  im  richtigen 
"Verhältnis  zu  der  aufgewendeten  Arbeit.  Über  Hypothesen 
soheint  man  nicht  hinauszukommen;  und  man  muß  schon  zu- 
frieden sein,  wenn  die  Hypothesen  nur  plausibel  genannt  werden 
können.  Vertreter  ganz  verschiedener  wissenschafthcher  Fächer 
wagen  sich  an  die  Gralprobleme  heran.  Ich  habe  vor  einem 
Jahre  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  die  Abhandlung  eines  Semi- 
tologen,  nämlich  L.  E.  Iselin,  Der  morgenländische  Ursprung  der 
Grallegende^  angezeigt  (Bd.  36^  p.  74  ff.).  Die  jetzt  zu  besprechende 
Abhandlung  hat  zum  Verfasser  einen  bekannten  Sanskritisten 
und  vergleichenden  Mythologen.  Iselin  fand  die  ,, Wurzeln"  der 
Gralsage  in  der  semitischen  Literatur,  v.  Schroeder  in  der  alt- 
indischen. Aber  es  gibt  noch  einen  anderen  wesentlichen  Unter- 
schied zwischen  den  Standpunkten  der  beiden  Gelehrten.  Nacli 
Iselin  wäre  die  Gralsage  erst  im  Mittelalter  von  der  semitischen 
in  die  westeuropäischen  Literaturen  übergegangen,  wobei  man 
jedenfalls  an  den  Kontakt  der  westeuropäischen  Arier  und  der 
Semiten  in  Syrien  (während  der  Kreuzzüge),  in  Spanien  und 
Unter-Italien  zu  denken  hätte.  Ich  erklärte  diese  Hypothese 
für  gänzlich  unannehmbar,  da  die  entwicklungsgeschichtlich 
ältesten  Quellen  der  Gralsage  (die  aber  IseUn  nicht  zu  kennen 
schien)  nicht  die  geringste  Ähnlichkeit  mit  den  von  Iselin  ange- 
führten semitischen  Sagen  aufweisen,  v.  Schroeder  aber  nimmt 
nicht  eine  Wanderung  einer  indischen  Sage  nach  dem  Occident 
an,  trotzdem  ja  bekannthch  viele  indischen  Erzählungen  durch 
Wanderung  zu  uns  gelangt  sind.  Er  läßt  die  Gralsage  keltisch 
sein;  aber  er  glaubt,  daß  sie  alt-arischen  Ursprungs  sei,  und 
führt  uns  nun  nach  Indien,  um  uns  daselbst  eine  ältere  Form 
dieser  alt-arischen  Sage  oder  ihrer  Bestandteile  zu  zeigen.  Gerade 
wie  ein  keltisches  Wort  durch  ein  alt-indisches  Äquivalent,  das 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII».  12 


164  Referate  und  Rezensionen.      E.  Brugger. 

sich  von  der  Urform  noch  nicht  so  sehr  entfernt  hat,  aufgeklärt 
werden  kann,  so  ist  es  natürlich  sehr  wohl  denkbar,  daß  eine 
keltische  Sage  oder  ein  keltischer  Mythus,  deren  früheste  Über- 
lieferung in  das  12.  Jahrhundert  fällt,  durch  ein  alt-indisches 
Äquivalent,  dessen  Überlieferung  zwei  Jahrtausende  älter  sein 
mag,  aufgeklärt  wird.  Prinzipiell  läßt  sich  also  gegen  v.  Schroeders 
Methode  nichts  einwenden.  Dagegen  sind  seine  Folgerungen  doch 
nichts  weniger  als  zwingend.  In  dem  Gral  als  einem  Gefäß 
mit  speisegebender  Kraft  will  er  Sonne  oder  Mond  wiedererkennen, 
welche  die  Arier  als  wunderbare  Gefäße,  mit  köstlichem  Inhalt 
oder  Gaben  spendend,  aufgefaßt  haben  sollen.  Die  Sonne,  sagt 
V.  Schroeder,  werde  sowohl  im  Rigveda  als  in  dem  Ritual  des 
Pravargya-Opfers  als  ein  himmUscher  Milchtopf  oder  Kochtopf 
oder  Breitopf  gedacht.  Ich  bin  nicht  kompetent,  um  seine 
Argumentationen  zu  beurteilen;  doch  habe  ich  den  Eindruck, 
daß  die  Erklärungen  etwas  gezwungen  sind,  daß  die  heran- 
gezogenen Stellen  oft  nicht  eindeutig  sind,  und  daß  die  Möglich- 
keit der  rein  zufälligen  Übereinstimmung  nicht  in  Betracht 
gezogen  wird.  So  erwähnt  v.  Schroeder  (p.  16)  z.  B.  eine  Sage 
im  Mahabharata,  nach  welcher  Yudhishthira  ,,vom  Sonnengotte 
Vivasvant  einen  kupfernen  Kochtopf  zum  Geschenk  erhält,  der 
sich  auf  Wunsch  immer  wieder  von  selber  füllt".  ,, Dieser  kupferne 
Kochtopf  aber  ist  offenbar  ein  Abbild  der  Sonne  resp.  ur- 
sprünglich die  Sonne  selbst."  Offenbar  ?  ,,Die  Wunderdinge, 
über  welche  Sonnen-  und  Mondgötter  verfügen,  pflegen  ja  i  n 
der  Regel  diese  Himmelslichter  selber  zu  sein."  Daß  ein 
Sonnengott  einem  Menschen  zum  Lohn  für  seine  Gebete  einen 
nützlichen  Topf  schenkt,  der  nicht  gerade  die  Sonne  selbst  ist, 
scheint  mir  denn  doch  mindestens  ebensogut  möghch.  Wunder- 
bare Gefäße  kennt  der  Volksglaube,  das  Märchen,  die  Sage 
überall.  Müssen  sie  denn  wirkhch  alle  göttlichen  Ursprungs 
sein,  Sonne  oder  Mond  sein  oder  symbolisieren  ?  Der  Zauber- 
glaube entstand  unter  den  Menschen  ohne  Rücksicht  auf  die 
leuchtenden  Himmelskörper;  und  es  ist  bezeichnend,  daß  das 
genannte  Zeugnis  das  einzige  ist,  welches  v.  Schroeder  anführen 
kann  zum  Beweise  dafür,  daß  die  Sonne  von  den  Indern  als  ein 
von  sich  aus  Speise  gebendes  Gefäß  aufgefaßt  wurde.  So  viel 
auch  im  Rigveda  von  der  Sonne  die  Rede  ist:  dieser  Zug  fehlt. 
Die  Überlieferung  des  Mahabharata  dagegen  ist  wohl  nicht  sehr 
viel  älter  als  die  der  Gralsage;  und  daß  der  kupferne  Kochtopf 
die  Sonne  repräsentiert,  ist  eine  bloße  Vermutung.  Das  Motiv 
von  der  speisegebenden  Kraft  war  übrigens  so  verbreitet  (vgl. 
z.  B.  das  Märchen  vom  Tischlein-deck-dich  mit  seinen  zahllosen 
Varianten),  daß  es  sich  sehr  leicht  an  jedes  wunderbare  Gefäß 
anhängen  konnte.  Wenn  aber  die  Sonne  sonst  nirgends  als 
Wunschgefäß  vorkommt,  so  wurde  sie  wenigstens,  so  sagt  Verf., 
als  Wunschkuh  gedacht.     Von  einer  Wunschkuh  soll  nicht  nur 


Schroeder^  Leopold  v.  165 

im  Mahabharata,  sondern  auch  im  Atharva-veda  die  Rede  sein. 
,,Im  Grunde  ist  die  Wunschkuh  wohl  wesentlich  dasselbe  wie 
der  wunderbare  Kessel  des  Sonnengottes.  Nur  ein  anderes  Bild 
der  Sonne,  als  gabenspendendes  Wunderding  gedacht.  Die 
Sonne  wird  ja  nicht  nur  als  ein  Gefäß,  sondern  auch  —  um  von 
andern  Bildern  hier  zu  schweigen  —  als  ein  Tier,  ein  Rind,  ein 
Roß,  ein  Vogel  gefaßt"  (p.  20).  Das  letztere  ist  richtig.  P.  Ehren- 
reich  zählt  z.  B.  in  seinem  Buch  ,,Z)je  allgemeine  Mythologie  und 
ihre  ethnologische  Grundlage"  (Leipzig  1910)  über  30  Dinge  auf, 
mit  denen  die  Sonne  verglichen  wird  resp.  die  ihre  Symbole 
sind,  und  setzt  noch  ein  etc.  hinzu.  Aber  daß  die  zahlreichen 
Dinge,  mit  denen  die  Sonne  schon  verglichen  wurde,  nun  stets 
die  Sonne  bedeuten  sollen,  ist  offenbar  ein  Trugschluß.  Im 
Rig-veda  heißt  es  von  dem  Gott  Indra:  ,,Er  durchbohrte  den 
Gandharven  in  den  bodenlosen  Lufträumen  ....  Aus  den  Bergen 
schoß  er  heraus,  hielt  fest  den  garen  Brei  —  Indra  (schoß)  den 
gut  aufgelegten  Pfeil."  Mir  erscheint  dies  unverständhch.  Doch 
nach  V.  Schroeder  ist  die  Situation  ,,in  der  Hauptsache  vollkommen 
deutlich":  Indra  durchbohrt  den  Gandharven,  den  Hüter  des 
,, garen  Breies",  d.  h.  der  Sonne,  aus  den  Wolkenbergen  schießend 
(p.  21).  Nehmen  wir  nun  an,  der  gare  Brei  sei  wirklich  die  Sonne, 
so  müssen  wir  es  denn  doch  entschieden  ablehnen,  daß  ,,der 
süße  Brei"  des  nach  ihm  betitelten  Grimm'schen  Märchens  auch 
ohne  weiteres  mit  der  Sonne  identifiziert  wird  (p.  27 — 28). 
V.  Schroeder  gehört  noch  zu  jener  alten  Schule  von  Gelehrten 
(Kuhn,  Max  Müller,  z.  T.  auch  Grimm  etc.),  welche  alle  Märchen 
für  erstarrte  Himmelsmythen  halten,  und  also  glauben,  daß  alle 
Märchen  ursprünglich  vom  Himmel  abgelesen  wurden.  Wer  das 
Grimm'sche  Märchen  nicht  in  der  Erinnerung  hat,  denke  an 
Goethe's  Ballade  ,,Der  Zauberlehrling",  welche  ganz  dieselbe 
Geschichte  ist,  nur  mit  dem  Unterschied,  daß  dort  ein  Koch- 
topf immerfort  Brei  produziert,  hier  ein  Besen  immerfort  Wasser 
herbeiträgt.  Kann  sich  wirklich  Verf.  nicht  vorstellen,  daß  man 
so  ein  Geschichtchen,  ohne  an  die  Sonne  zu  denken,  erfinden 
konnte  ?  v.  Schroeder  zieht  nicht  nur  indische  Sagen  und 
Dichtungen  zum  Vergleiche  heran,  sondern  namentlich  auch 
germanische,  so  z.  B.  die  eddische  Lokasenna.  Hier  heißt  es 
von  dem  Gelage,  das  Ägir  den  Äsen  gab:  ,, Statt  des  Feuers 
diente  helles  Gold  zur  Beleuchtung;  das  Bier  trug  sich  selber 
auf."  Unzählige  Male  wird  in  Märchen,  Sage  und  Dichtung  vom 
Gold,  das  ja  durch  seine  Farbe  und  seinen  Glanz  an  die  Sonne 
erinnert,  in  übertreibender  Weise  gesagt,  daß  es  wie  ein  Licht, 
ein  irdisches  oder  himmhsches,  leuchte,  daß  Gemächer  davon 
beleuchtet  werden  und  dg),  (dasselbe  gilt  auch  von  Edelsteinen). 
Aber  nach  v.  Schroeder  ,,läßt  uns  das  helle  Gold,  das  die  Be- 
leuchtung besorgt,  an  die  Sonne  oder  den  Mond  denken"  (p.  56); 
d.  h.  es  soll  Sonne  oder  Mond  sein  oder  symbolisieren.  Es  stört 

12* 


166  Referate  und  Rezensionen.     F.  Brugger. 

ihn  nicht,  daß  Agir  nicht  ein  Himmelsgott,  sondern  ein  Meeres- 
gott ist  und  von  seiner  unterseeischen  Wohnung  gerade  die 
beiden  Himmelslichter  ausgeschlossen  sind.  Noch  mehr!  Auch 
„das  sich  selbst  auftragende  Bier  deutet  in  dieselbe  Richtung, 
da  die  großen  HimmelsHchter  freischwebend  sich  darbieten". 
Das  Bier  sei  ein  berauschendes  Getränk,  entspreche  also  dem 
indischen  Soma,  und  das  Soma  ist  nach  v.  Schroeder  der  Mond 
resp.  der  im  Mond  als  einem  Gefäß  enthaltene  Göttertrank. 
Das  selbst  bedienende  Bier  erinnere  aber  auch  an  den  Gral, 
welcher  in  ein  Paar  Versionen  der  Gralromane  automatisch  durch 
die  Luft  schwebt  und  in  einer  Version  automatisch  bei  Tisch 
Speise  spendet.  Es  muß  aber  bemerkt  werden,  daß  in  diesen 
Versionen  der  Gral  bereits  Christi  Blut  enthält,  infolgedessen 
natürlich  göttliche  Kräfte  besitzt.  Wie  vieles  Göttliche  ist  nicht 
automatiscii!  Aber  auch  die  Märchen  kennen  eine  Menge  von 
Zaubergegenständen,  die  sich  kraft  ihres  Zaubers  automatisch 
bewegen.^)  Muß  man  denn  immer  gleich  an  die  durch  die  Luft 
wandelnden  großen  Himmelslichter  denken,  die  zudem  nach  den 
ältesten  mythischen  Vorstellungen  sich  nicht  einmal  frei  be- 
wegten, sondern  geführt  oder  gejagt  wurden  ?  Daß  der  Gral, 
wenn  er  Christi  Blut  enthielt,  nicht  aus  Eisen  oder  Sandstein 
bestand,  ist  begreiflich;  er  bestand  natürlich  aus  dem  kostbarsten 
Metall,  Gold,  oder  aus  Edelsteinen.  Deswegen  braucht  er  aber 
noch  nicht  der  Sonne  oder  dem  Mond  zu  entsprechen! 

Diese  Beispiele  mögen  genügen,  um  von  der  Art  der  Argu- 
mentation V.  Schroeders  eine  Vorstellung  zu  geben.  Wenn  man 
schUeßUch,  trotzdem  die  Hypothese  auf  sehr  schwachen  Füßen 
steht,  als  möglich  zugeben  will,  daß  der  Gral  ursprünglich  Sonne 
oder  Mond  bedeutete,  so  sind  dafür  die  übrigen  Hypothesen 
V.  Schroeders  (z.  B.  die  Erklärung  der  Graldecke  und  des  Fischer- 
königs) so  neblig,  daß  man  sie  nicht  ernst  nehmen  darf.  Einzig 
die  Ansicht,  daß  die  Fruchtbarmachung  des  verwüsteten,  d.  h. 
ausgetrockneten  Gralreiches  durch  den  Gralhelden  auf  einen 
Regenzauber  zurückgeht,  dürfte  sicher  das  Richtige  treffen; 
aber  diese  Ansicht  ist  keineswegs  neu;  und  wenn  auch  das  alt- 
indische  Soma-Opfer  ein  Regenzauber  war,  so  muß  bemerkt 
werden,  daß  Regenzauber  allüberall  auf  der  Erde  vorkommt 
und  nicht  dem  arischen  Volke  eigentümlich  ist.  Es  ist  auch 
bemerkenswert,  daß  v.  Schroeder  die  Züge,  welche  in  der  Gral- 
sage vereinigt  sind,  nicht  etwa  als  in  einer  alt-indischen  Sage 
vereinigt  nachweisen  konnte,  sondern  mühsam  aus  den  ver- 
schiedensten alt-indischen  Denkmälern,  alt-germanischen  Denk- 
mälern, Volksmärchen  und  Volksliedern  zusammentragen  mußte. 


^)  z.  B.  der  Knüppel-aiis-dem  Sack  in  Grimm's  Tischlein-deck- 
dich,  der  allerdings  nach  Verfassers  Ansicht  (p.  68)  dem  Donnerkeil 
des  Indra  und  dem  Hammer  des  Thor  entsprechen  soll;  das  Tischlein- 
deck-dich  sei  der  Mond,  und  der  Esel  die  Sonne. 


Golther,  Wolfgang.  167 

Von  der  Überlieferung  der  Gralsage  scheint  v.  Schroeder 
ebenso  wie  Iselin  nur  aus  zweiter  Hand  Kenntnis  zu  haben; 
er  hielt  sich  an  die  Analysen  Birch-Hirschfelds,  Heinzeis  und 
Wechsslers.  Es  ist  deshalb  vermessen  von  ihm,  Heinzeis  An- 
sicht (übrigens  die  ziemUch  allgemeine  Ansicht),  daß  Perceval 
ursprünglich  der  Gralsage  ferngestanden  habe,  zu  widersprechen. 
Die  Vergleichung  der  Perceval-Gralromane  mit  dem  englischen 
Sir  Perecyvelle  und  andern  altfranzösischen  Romanen,  die  Verf. 
natürhch  unbekannt  sind,  beweist  zur  Evidenz,  daß  die  Gral- 
abenteuer in  den  Percevalromanen  eine  Interpolation  sind.  Auch 
meint  Verf.  die  unter  den  Gelehrten  vom  Fach  allgemein  herr- 
schende und  geradezu  selbstverständliche  Ansicht,  daß  die 
Schwanrittersage  in  Wolframs  und  Gerberts  Percevalroman,  also 
in  der  gemeinsamen  Quelle,  Guiots  Percevalroman,  nur  ein  un- 
ursprünghches  Anhängsel  ist,  einfach  als  unbegründet  hinstellen 
und  annullieren  zu  können.  Er  wollte  eben  sowohl  das  sog. 
Dümmhngsmotiv^)  wie  auch  das  Motiv,  daß  das  Gralreich  ein 
Reich  der  seligen  Abgeschiedenen  sei,  für  die  Vergleichung  mit 
indischen  Sonnenmythen  nutzbar  machen  (die  Ähnlichkeit  wäre 
übrigens  dennoch  schwach  genug).  In  der  wissenschaftlichen 
Literatur  über  die  Gralsage  ist  Verf.  ebenfalls  nicht  hinreichend 
bewandert.  Er  kennt  zwar  sogar  die  1910  erschienenen  Rektorats- 
reden Baists  und  Golthers;  aber  gänzlich  unbekannt  sind  ihm 
z.  B.  die  Schriften  J.  L.  Westons  {The  legend  of  Sir  Perceval 
1906  und  1909)  und  die  in  dieser  Zeitschrift  Bd.  36  besprochene 
Schrift  Nitzes  (1909).  Dieselben  hätten  für  ihn  besonderes 
Interesse  gehabt,  da  jene  beiden  Gelehrten  die  Gralsage  von 
alten,  eventuell  alt-arischen,  Mysterien  ableiten  wollen,  und 
jedenfalls  auch  Verf.  bei  seiner  Hypothese  von  den  alt-arischen 
Wurzeln  der  Gralsage  am  ehesten  an  keltische  Überlieferung 
denken  muß  (vgl.  p.  64). 

E.  Brugger. 


CrOltlier,  Wolf  gang.  Tristan  und  Isolde  in  den  Dichtungen 
des  Mittelalters  und  der  neuen  Zeit.  Leipzig,  Hirzel,  1907; 
in  8°,  465  pages. 

Et  quorum  pars  magna  fui:  cet  hemistiche  virgilien, 
M.  Golther  eüt  pu  ä  bon  droit  le  donner  pour  epigraphe  aux 
pages  qui  servent  d'introduction  ä  son  livre  et  dans  lesquelles 
il  a  retrace  l'effort  de  tout  un  siecle  d'erudition  pour  mettre 
au  jour  les  anciens  romans  relatifs  aux  amours  de  Tristan  et 
d'Iseut,  en  etabUr  la  succession  chronologique  et  la  genealogie, 
en  determiner  les  sources  et  les  Clements  constitutifs.  On  se 
rappelle  ses  brillants  debuts  (Die  Sage  von  Tristan  und  Isolde)., 

2)  „Reinheit,  Keuschheit,  ja  JungfräuHchkeit"  sind  aber  dem 
Gralhelden  erst  in  den  späteren  christianisierten  Versionen  und  infolge 
der  asketischen  Tendenz  der  Verfasser  eigen. 


168  Referate  und  Rezensionen.     Ernesi  Muret. 

en  1887,  et  cette  succession  d'articies,  dont  quelques-uns  ont 
paru  ici  meme,  oü  il  rendait  compte  de  ses  propres  recherches 
et  de  Celles  d'autrui.  Presentement,  c'est  l'histoire  poetique 
tout  entiere  de  Tristan  et  d'Iseut,  depuis  les  temps  les  plus  loin- 
tains  oü  nous  puissions  remonter  jusqu'aux  premieres  annees 
du  vingtieme  siecle,  que  M.  G.  a  entrepris  de  derouler  sous  nos 
yeux,  dans  un  ouvrage  qui  est  l'aboutissement  et  le  couronne- 
ment  des  etudes  poursuivies  par  lui-meme  et  par  ses  emules 
depuis  un  quart  de  siecle. 

En  l'ecrivant,  il  parait  avoir  songe  moins  aux  specialistes 
qu'ä  ce  public  lettre  qui,  faute  de  temps  et  de  competence,  ne- 
glige  ou  ignore  les  travaux  des  philologues  de  profession,  mais 
qui  s'enchante  ä  la  musique  de  Wagner  et  lit  avec  delice  les 
helles  versions  modernes  d'un  Hermann  Kurz,  d'un  Wilhelm 
Herz  ou  d'un  Joseph  Bedier.  A  parier  sans  detour,  je  crains 
fort  que  ce  public  ne  trouve  le  livre  bien  long  et,  par  endroits, 
bien  sec.  En  revanche,  les  philologues,  meme  ceux  qui  se  sont 
specialement  occupes  du  sujet,  s'instruisent  a  le  lire.  On  y  peut 
louer  mainte  page  excellente,  et  particulierement  le  dernier 
chapitre,  oü  l'auteur  a  ete  comme  souleve  au-dessus  de  lui-meme 
par  son  enthousiasme  pour  Richard  Wagner. 

Le  plan  suivi  par  M.  G.  et  les  proportions  attribuees  par 
lui  aux  differentes  parties  ne  satisfont  qu'imparfaitement  aux 
exigences  d'une  composition  bien  ordonnee.  Considerez  le  cha- 
pitre VIII,  Die  Tristandichtungen  der  neueren  Zeit.  Tandis 
que  les  section  4  et  5  s'intitulent  Englische  et  Französische  Tristan- 
dichtungen., rien  n'avertit  le  lecteur  que  les  sections  1,  2  et  3, 
Tristanepen  in  Strophen.,  Erneuerungen  von  Gottfrieds  Tristan 
in  Reimpaaren  et  Tristandramen.,  traitent  exclusivement  de 
poemes  allemands.  Au  paragraphe  6  et  dernier  de  ces  Tristan- 
dichtungen der  neueren  Zeit.,  qui  s'aviserait  d'aller  chercher,  sous 
la  rubrique  Tristanbilder.,  non  seulement  les  oeuvres  d'art  ins- 
pirees  de  la  poesie  et  de  la  musique  modernes,  mais  encore  les 
ivoires  et  les  tapisseries  du  moyen  äge  et  du  XVP  siecle  ?  La 
place  accordee  dans  ce  chapitre  VIII  aux  traducteurs  de  Gott- 
fried me  semble  d'ailleurs  un  peu  disproportionnee,  je  ne  dis 
pas  ä  leur  merite,  mais  ä  leur  importance.  Au  vieux  roman 
allemand  en  prose,  qui  n'est  qu'une  replique  du  poeme  d'Eilhart, 
et  ä  la  mediocre  tragedie  de  Hans  Sachs,  qui  depend  si  etroitement 
de  ce  roman,  quelle  complaisance  ou  quel  caprice  a  valu  les 
honneurs  d'un  chapitre  ä  part  (le  VIP),  si  la  saga  islandaise, 
le  Tristramskwsedhi,  les  chansons  du  Danemark  et  des  iles  Feroe 
ont  trouve  leur  place  naturelle  et  legitime  au  chapitre  IV  (Das 
Gedicht  des  Thomas)  et  si  le  precedent  (Die  Rearbeitungen  des  alten 
Tristanromanes )  englobe  tout  ä  la  fois  Beroul,  Eilhart  d'Oberg, 
Ulrich  de  Türheim,  Henri  de  Freiberg  et  le  grand  roman  frangais 
en  prose  avec  ses  versions  italiennes  ?     Enfin,  convefiait-il  bien 


Golther,  Wolfgang.  169 

de  releguer  les  mentions  galloises  ä  la  suite  du  chapitre  VI  (Die 
Tristannovellen  und  Tristanlais),  dans  un  appendice  dont  la 
place  semblo  avoir  ete  marquee  par  lo  hasard  plutöt  que  par 
un  choix  raisonne  ? 

Le  parti  pris  evident  de  traiter  ces  mentions  galloises,  con- 
trairement  au  sentiment  general,  comme  nulles  et  non  avenues, 
explique  sans  I'excuser  un  tel  desordre,  qui  n'est  point  un  effet 
de  l'art.  Je  ne  puis  m'empecher  de  remarquer  ä  ce  propos  que 
M.  G.  ne  tient  pas  assez  de  compte  des  opinions  adverses,  qu'il 
neglige  parfois  des  objections  considerables  et  que,  lance  sur  une 
piste,  bonne  ou  mauvaise,  il  la  suit  avec  l'ardeur  d'un  bon  cheval 
auquel  on  a  mis  des  oeilleres.  Dans  ses  analyses  et  ses  appre- 
ciations  je  pourrais,  gä  et  lä,  relever  quelques  inexactitudes;  mais 
ce  ne  sont  que  des  vetilles  qui  ne  valent  pas  la  peine  qu'on  s'y 
arrete.  En  depit  des  defauts  que  j'y  ai  notes,  Fouvrage  est  tres 
riebe  d'informations,  tres  solide  et  tres  interessant.  Quoique 
cette  louange  soit  devenue  banale,  je  n'irais  pas  jusqu'a  dire, 
comme  on  Ta  fait,  que  ce  soit  un  «beau  livre»;  mais,  ä  coup  sür, 
c'est  un  bon  livre,  dont  il  faut  savoir  beaucoup  de  gre  ä  l'auteur. 

«M.  Golther,  qui  possede  une  si  copieuse  Information  en  ce 
qui  concerne  FAllemagne,  la  France  et  l'Angleterre,  ne  fait  pour 
ritalie  que  repeter  les  notions  les  plus  banales.»  Ainsi  s'expri- 
mait,  le  29  mars  1910,  M.  Rodolphe  Renier,  parlant  dans  le  Fan- 
fulla  della  Domenica  du  Tristano  novissimo^  le  drame  d'Ettore 
Moschino,  represente  ä  Venise  le  20  fevrier  de  la  meme  annee. 
Le  renouveau  d'interet  et  d'affection  qui  s'est  attache  en  ces 
derniers  temps  ä  la  legende  de  Tristan  a  suscite  et  suscitera 
encore,  esperons-le,  plus  d'une  ceuvre  digne  d'estime  et  d'ad- 
miration.  On  me  permettra  de  signaler  ici  deux  poemes  qui 
ne  sont  parvenus  ni  Tun  ni  l'autre  ä  la  connaissance  de  M.  G. 
et  qui  ont  pour  auteurs  deux  poetes  de  la  Suisse  frangaise,  pre- 
maturement  enleves  ä  notre  affection  et  au  culte  fervent  des 
bonnes  lettres. 

Dans  le  beau  poeme  lyrique  intitule  Tristan  sur  les  eaux, 
que  mon  ami  Henri  Warnery  m'a  fait  Thonneur  de  me  dedier 
et  qu'on  peut  lire  dans  son  recueil  posthume,  Aux  vents  de  la 
vie  (Lausanne  1904),  le  heros  empörte  au  gre  des  vagues  dans 
sa  freie  nacelle,  «le  pelerin  des  ondes  solitaires  », 

Cherche  ä  calmer  son  coeur  sur  la  harpe  bretonne. 

En  vain  il  interroge  sur  la  destinee  humaine  la  mer,  les  vents,  les 
etoiles,  tandis  qu'ä  son  insu  le  flot  le  conduit  vers  «l'ile  verte 
aux  philtres  guerisseurs »,  vers  la  blonde  Iseut,  « la  princesse 
d'amour ».  Dans  les  Pensees  d'automne  d'Henri  Jacottet  (Paris, 
1904),  un  millier  de  vers  redisent  les  principaux  episodes  du 
roman  depuis  le  philtre  jusqu'a  la  mort.  Le  poete  en  a  tres 
librement   use   avec   les   donnees   traditionnelles.     Comme   tant 


170  Referate  und  Rezensionen.     Ernest  Muret. 

d'amants  modernes,  Tristan  et  Tseult,  durant  leur  sejour  dans 
la  foret  du  Morois,  sentent  les  regrets  et  l'ennui  s'insinuer  dans 
leurs  Coeurs  toujours  epris.  S'ils  finissent  par  se  separer,  la  raison 
en  est  plus  claire,  sinon  plus  satisfaisante,  que  dans  les  anciens 
romans:  c'est  que,  pour  de  tels  amants, 

Mieux  vaut  l'adieu  sans  fin  et  sa  peine  cruelle 
Qu'un  lent  döclin  d'amour  plus  amer  que  la  mort, 

Personne,  ä  l'heure  qu'il  est,  ne  met  plus  en  doute  que  les 
grands  romans  du  moyen  äge  sur  Tristan  et  Iseut  ne  derivent 
tous  d'un  poeme  unique,  compose  en  France  ou  en  Angleterre, 
au  plus  tard  vers  le  milieu  du  XII®  siecle.  Mais  Ton  peut 
disputer,  Ton  disputera  sans  doute  encore  longtemps  sur  la  date 
plus  precise,  Tetendue,  le  caractere,  les  sources  proches  ou  loin- 
taines,  le  degre  d'originalite  et  d'unite  de  ce  roman  primitif. 
On  peut  se  demander  si  tous  les  recits  qui  nous  sont  parvenus 
y  etaient  contenus  ou  n'en  sont  que  des  developpements,  comme 
il  plait  ä  M.  G.  de  le  croire,  ou  si  la  tradition  orale  n'aurait  pas 
fourni  quelques  traits,  quelques  episodes,  ä  Thomas,  ä  Beroul 
et  ä  son  continuateur  anonyme,  ä  quelques-  uns  des  lais  et  meme, 
quoique  cela  soit  peu  probable,  au  roman  en  prose.  Dans  un 
memoire  paru  dernierement  dans  les  Romanische  Forschungen^), 
M.  Rudolf  Zenker  nous  a  entr'ouvert  du  cöte  de  l'Orient  des 
perspectives  en  partie  nouvelles,  en  comparant  avec  plus  de 
soin  et  d'attention  qu'on  ne  Tavait  fait  avant  lui  nos  romans 
de  Tristan  et  le  poeme  persan  de  Wis  et  Rämin,  qui  date  du  XI*^ 
siecle.  De  ressemblances  qui  ne  sont  pas  toujours  evidentes 
et  qui  peuvent  etre  quelquefois  fortuites,  on  voudrait  cependant 
qu'il  n'eüt  pas  tire,  concernant  le  rapport  des  plus  anciennes  ver- 
sions  de  la  legende  de  Tristan,  mainte  conclusion  incompatible 
avec  les  donnees  plus  precises  et  plus  süres  qui  resultent  des 
travaux  anterieurs.  On  lui  accordera  difficilement  qu'ä  plusieurs 
reprises  le  tres  original  Thomas  nous  ait  mieux  conserve  les 
donnees  primitives  que  Tensemble  concordant  des  autres  ver- 
sions.  M,  G.  encourt  la  meme  objection,  quand  il  revcndique 
pour  VUr-Tristan  l'episode  du  chien  Petiten!,  quine  se  trouve  que 
dans  la  Version  de  Thomas,  et  qu'il  en  exclut  celui  de  la  folie,  qui 
manque  ä  cette  version. 

En  desaccord  sur  ces  deux  points  avec  M.  Bedier,  M.  G. 
se  separe  egalement  de  son  devancier,  en  accueillant  l'episode  du 
jugement  de  Dieu,  dont  il  nous  est  parvenu  deux  recits  fort  diffe- 
rents,  dans  la  version  de  Thomas  et  la  seconde  partie  du  fragment 
de  Beroul.  Gontrairement  ä  l'opinion  qu'il  a  lui-meme  contribue 
ä  accrediter,  M.  G.  ne  croit  plus  aujourd'hui  que  l'incoherence 
et  les  contradictions  flagrantes  qu'on  remarque  dans  ce  fragment 

^)  Die  Tristansage  und  das  persische  Epos  von  Wis  und  Rämin 
(Romanische  Forschungen,  XXIX,  pp.  321-369). 


Golther,  Wolf  gang.  171 

doivent  nous  empecher  d'y  reconnaitre  Tocuvre  d'un  seul  poete, 
ni  de  faire  usagc  de  la  soconde  aussi  bien  quo  de  la  premiere 
partie  pour  retrouver  le  fil  perdu  du  recit  primitif.  Mais  il  mecon- 
nait  ici  une  distinction  essentielle.  Quand  meme  les  deux  parties 
seraient  d'un  seul  et  meme  auteur  (ce  qui  peut,  ä  la  rigueur, 
se  soutenir),  elles  ne  sont  pas  d'un  seul  jet.  II  saute  aux  yeux 
que  la  seconde  a  du  etre  ajoutee  apres  coup  au  poeme  commence 
sur  un  autre  plan,  ou  interpolee  dans  l'ocuvre  terminee,  en  partant 
de  donnees  et  en  puisant  ä  des  sources  fort  differentes  de  celles 
de  la  premiere.  Si  les  traits  communs  ä  cette  seconde  partie 
et  ä  la  Version  de  Thomas  provenaient  du  roman  primitif,  comment 
se  ferait-il  qu'ils  eussent  ete  effaces  dans  toutes  les  autres  versions  ? 

Parmi  les  temoignages  ä  l'aide  desquels  on  peut  tenter  de 
reconstituer  ce  roman  primitif,  M.  G.  admet,  comme  M.  Bedier, 
les  allusions  contenues  dans  la  Folie  du  manuscrit  de  Berne. 
A  mes  yeux,  il  n'est  pas  douteux  que  le  poeme  de  Berne  ne  soit 
derive  du  roman  de  Beroul.  Dans  l'introduction  que  j'ai  mise 
ä  ce  roman,  j'ai  montre  que  les  rares  divergences  s'expliquent 
Sans  qu'il  y  ait  besoin  de  recourir  ä  l'hypothese  d'un  autre  modele. 
M.  G.  prefere  neanmoins  supposer  l'existence  d'un  poeme  un 
peu  different,  quoique  fort  voisin,  de  celui  de  Beroul;  et  M.  Bedier 
s'est  rallie  ä  ce  point  de  vue  dans  sa  nouvelle  edition  des  deux 
poemes  de  la  Folie  Tristan.  Mais  ni  Tun  ni  l'autre  n'ont  allegue 
de  preuves  en  faveur  de  leur  opinion,  de  laquelle  il  resulterait, 
au  surplus,  qu'ils  ont  eu  tort  de  traiter  Beroul  et  le  poete  du  manus- 
crit de  Berne  comme  deux  temoins  independants  Tun  de  l'autre. 

Moins  nous  supposerons  d'intermediaires  perdus  entre 
l'archetype  et  les  romans  conserves,  plus  nous  serons  persuades, 
avec  M.M.  G.  et  Bedier,  que  cet  archetype  etait  en  frangais, 
non  en  anglais,  comme  Gaston  Paris  inclinait  ä  le  croire.  Gar 
l'etroite  ressemblance  entre  les  vers  d'Eilhart  et  ceux  de  Beroul 
nous  defend  d'admettre  que  ces  deux  poemes  derivent  separement 
d'un  troisieme  ecrit  dans  une  autre  langue  que  le  fran§ais.  Or, 
precisement,  entre  le  roman  primitif  et  ceux  de  Beroul  et  d'Eilhart, 
M.  Bedier  suppose  un  poeme  intermediaire,  dans  lequel  aurait 
ete  introduite  la  malencontreuse  donnee  d'une  duree  limitee 
des  effets  du  hoivre  amoureux.  Mais,  comme  il  n'y  a,  de  son 
propre  aveu,  aucun  autre  trait  qui  paraisse  etre  une  innovation 
commune  ä  ces  deux  versions,  je  m'accorde  avec  M.  Golther^) 
pour  repousser  cette  inutile  hypothese.  Ainsi  la  duree  limitee 
du  philtre  serait  une  donnee  fournie  par  la  source  commune 
et  rejetee  independamment,  pour  des  raisons  faciles  ä  comprendre, 
par  Thomas  et  par  le  roman  en  prose.  Gela  nous  gäte  un  peu 
ce  primitif  roman  de  Tristan  dont  M.  G.  et  M.  Bedier  nous  van- 
tent  ä  l'envi  l'heureuse  invention.   Mais  on  verra  que,  par  ailleurs 

-)  Et  avec  Miss  G.  Schoepperle,  The  love  potion  in  Tristan  and 
Isolt  (Romania,  XXXIX,  pp.  277-296). 


172  Referate  und  Rezensionen.     Ernest  Miiret. 

encore,  la  critique  a  prise  sur  leurs  essais  de  reconstitution  et 
qu'il  faut  en  rabattre  de  leurs  louanges  trop  enthousiastes. 

Ne  serait-ce  pas  bien  plutöt  entre  Eilhart  et  le  roman  en 
prose  qu'entre  Eilhart  et  Beroul  que  nous  pourrions  decouvrir 
une  ressemblance  assez  frappante,  assez  singuliere,  pour  qu'il 
y  eüt  lieu  de  supposer  un  intermediaire  commun  entre  eux  et 
le  poeme  original?  Encore  aujourd'hui,  comme  au  temps  dejä 
lointain  oü  j'etudiais  les  sources  du  poeme  allemand,  le  role  pre- 
ponderant  attribue  dans  ces  deux  versions  ä  Audret  me  parait 
avoir  ete  l'innovation  caracteristique  et  fort  heureuse  d'un  roman- 
cier  (peut-etre  La  Chevre  ?),  dont  l'oeuvre  aurait  ete  traduite 
en  allemand  par  Eilhart  et  plus  tard  mise  en  prose  frangaise^). 
Si,  dans  le  roman  primitif,  Audret  figurait,  du  commencement 
ä  la  fin,  comme  Tennemi  acharne  de  Tristan,  pourquoi  Beroul  lui 
eüt-il  prefere  le  trio  des  barons  anonymes  et  Thomas  successive- 
ment  Meriadoc  et  Cariado  ?  Le  role  insignifiant  joue  par  Audret, 
aux  cötes  de  Godoine,  Denoalen  et  Guenelon,  dans  la  seconde 
partie  du  fragment  parisien,  ne  fait  que  mieux  ressortir  son  ab- 
sence  de  la  premiere  et  n'a  aucune  proportion  avec  la  place  emi- 
nente qu'il  tient  chez  Eilhart  et  dans  le  roman  en  prose. 

II  est  fort  invraisemblable  que,  sans  motif  grave,  des  rema- 
nieurs  se  soient  appliques  ä  gäter,  comme  ä  plaisir,  les  donnees 
de  leur  modele  et,  notamment,  qu'ils  aient  ä  plusieurs  reprises 
congedie  des  personnages  importants  ou  meme  secondaires, 
pour  les  remplacer,  comme  des  acteurs  fatigues,  par  des  doublures. 
C'est  donc  ä  tort,  selon  moi,  que  M.  Bedier  hesite  ä  attribuer  au 
poeme  original  le  role  de  Gymele-Camille  et  que  M.  G.  veut  l'y 
remplacer  par  Brangien;  ä  tort,  pareillement,  que  M.  G.  refuse 
d'admettre  Genes,  Thote  de  Tristan,  comme  son  messager  aupres 
dTseut  et  lui  prefere  Gorvenal.  Qu'est-ce  qui  lui  prouve 
qu'entre  les  nombreuses  variantes  du  «  conte  .  .  .  mult  divers  », 
la  Version  critiquee  par  Thomas  füt  precisement  celle  de  l'arche- 
type  ?  Supposez  d'ailleurs  que,  dans  le  roman  primitif,  l'höte  de 
Tristan  s'appelät,  comme  dans  le  manuscrit  103,  du  nom  de  Genes 
ou  de  quelque  nom  trisyllabe  commen^ant  par  la  lettre  G*), 
et  qu'ä  partir  de  sa  premiere  mention  ce  nom  füt  constamment 
abrege  dans  certaines  copies.  A  l'obscur  messager  l'ecuyer 
Gorvenal  n'aurait-il  pu  etre  inconsciemment  substitue  par  un 
lecteur  ou  un  scribe  distraits,  si  ce  n'est  par  Thomas  lui-meme  ? 

Ainsi  le  roman  primitif  me  semble  avoir  ete  moins  bien 
compose,  moins  logique  et  moins  coherent  que  ne  le  suppose 
M.  Golther,  d'accord  sur  ce  point  avec  M.  Bedier.    Je  crois  que 


^)  Cf.  Romania,  XXVII,  p.  616,  d'oü  il  resulte  que  le  nom  de 
La  Chevre  (ou  Robert  de  Reims)  a  pour  moi  une  tout  autre  valeur 
que  Celle  des  x  et  des  y  du  tableau  g^näalogique  dressö  par  M.  Bedier 
ä  la  p.  309  du  t.  II  de  son  Edition  de  Thomas. 

*)  Cf.  le  Gaviol  d'Ulrich  de  Türheim. 


GoUher,   Wolfgang.  173 

la  premiere  partic  du  fragment  de  Beroul,  dont  tant  de  vers  se 
retrouvent  dans  rallomand  d'Eilhart,  nous  cn  offre  une  replique 
assez  fidele.  II  y  a  une  manifeste  exageration  ä  pretendre,  comme 
M.  Golther,  qu'on  n'y  decouvre  aucun  «trou»,  aucune  trace  de 
soudure  entre  des  recits  auparavant  isoles.  Lui-meme  reconnait 
ce  qu'il  y  a  d'invraisemblable  dans  quelques-unes  des  Situation» 
qui  resultent  du  second  sejour  en  Irlande.  La  Separation  de 
Tristan  et  d'Iseut  exiles,  mais  si  heureux  dans  la  foret  de  Morrois, 
nous  parait  inexplicable,  et  la  duree  limitee  du  philtre  n'est  qu'un 
gauche  expedient  imagine  pour  attenuer  la  contradiction  entre 
cet  episode  et  le  reste  du  poeme.  Le  motif  de  l'epee  placee  entre 
les  deux  amants  endormis  n'est  pas  moins  obscur  et  fait  surgir 
dans  l'esprit  du  lecteur  un  obsedant  pourquoi.  De  ces  obser- 
vations  il  ressort  que  les  emouvantes  peripeties  des  amours  de 
Tristan  et  d'Iseut  ne  sauraient  avoir  ete  inventees  de  toutes 
pieces  par  notre  plus  ancien  romancier,  qu'il  a  subi  et  non  cree 
les  donnees  dont  il  a  tire  un  si  beau  parti. 

Ce  romancier,  dont  la  veritable  physionomie  nous  echappe 
et  dont  il  est  malaise  d'apprecier  la  reelle  originalite,  se  serait-il 
de  lui-meme  avise  de  donner  le  meme  nom  a  Vamie  et  ä  la  femme 
de  Tristan  ?  M.  Bedier,  aussi  bien  que  M.  Golther,  lui  fait  grand 
honneur  d'une  si  heureuse  invention.  Mais  la  communaute  du 
nom  n'est  pas  le  seul  trait  de  ressemblance  entre  les  deux  Iseut. 
Toutes  deux  habitent  un  pays  qui  s'appolle  la  Cornouailles, 
toutes  deux  y  tiennent  un  rang  souverain  ou  quasi-souverain. 
Bien  plus,  une  partie  des  evenements  qui  se  deroulent  en  Bretagne 
et  des  personnages  qui  y  jouent  un  röle  apparaissent  comme 
la  repetition  d'aventures  anterieures  de  Tristan  et  de  quelques- 
uns  des  personnages  meles  ä  ces  aventures.  En  degä  comme 
au  delä  de  la  Manche,  n'est-il  pas  le  liberateur  du  pays,  cheri  du 
prince  et  du  peuple  pour  ses  beaux  exploits  ?  De  meme  qu'il 
a  gagne  la  main  d'Iseut  pour  son  oncle  Marc,  il  aide  son  beau- 
frere  Kaherdin  dans  une  entreprise  amoureuse.  II  est  en  butte, 
ici  ä  la  fleche  empoisonnee  d'un  nain,  lä  aux  embüches  d'un  autre 
nain  et  au  fer  empoisonne  du  Morhout,  comme  en  Irlande  au 
venin  brülant  du  dragon.  Si  ces  concordances  ne  sont  pas  for- 
tuites,  est-ce  que  le  personnage  d'Iseut  aux  blanches  mains  ne 
serait  pas  un  double  de  celui  d'Iseut  la  blonde^)  ? 

Ces  concordances,  ces  repetitions,  au  moins  apparentes, 
s'expliqueraient  de  la  facon  la  plus  satisfaisante,  en  supposant 
que  la  legende  de  Tristan,  teile  que  nous  la  connaissons  par  les 
romans  du  XI F  siecle,  resulte  de  la  combinaison  d'une  version 
insulaire  et  d'une  version  bretonne,  dont  chacune  offrirait  le 
developpement  original  d'un  petit  nombre  de  donnees  anterieures. 


^)  Cf.  Deutschbein,  Studien  zur  Sagengeschichte  Englands  (Cöthen, 
1906),  pp.  173-4. 


174  Referate  und  Rezensionen.     Ernest  Muret. 

L'liypothese  provisoirement  admise,  on  voit  se  degager  de  la 
comparaison  des  deux  groupes  de  recits  les  lineaments  d'un 
etat  plus  archaique  de  la  legende  et  s'accuser  encore  davantage 
les  ressemblances  tant  de  fois  signalees  entre  Tamant  d'Iseut 
et  le  Siegfried  des  Nibelungen.  L'un  et  l'autre  de  ces  tueurs  de 
dragons  sont  en  meme  temps  des  brautjahrer^).  L'epee  Symbole 
et  gardienne  de  chastete  n'est-elle  pas  un  trait  caracteristique 
des  braut  fahrten.,  dans  lequel  nous  verrions,  sous  Vami  de  la  reine, 
reparaitre  le  Tristan  paranymphe?  Entre  le  brautfahrer  et  la 
femme  qu'il  a  conquise  pour  un  roi  qui  est  (ou  qui  deviendra) 
son  proche  parent,  il  y  a  dans  la  «version  insulaire»,  comme  dans 
les  Nibelungen,  une  liaison  d'amour:  avant  d'appartenir  au  mari, 
la  vierge  a  ete  possedee  par  le  brautfahrer;  et  de  cette  donnee 
commune  resultent,  des  deux  parts,  les  consequences  les  plus 
tragiques.  Dans  la  «version  bretonne»  nous  retrouvons  la  Kriem- 
hild  des  Nibelungen,  femme  legitime  du  brautfahrer  et  soeur  du 
prince  dont  il  seconde  vaillamment  les  amours  ;  Tristan,  comme 
Siegfried,  perit  par  la  faute  d'une  des  deux  femmes  dont  il  est 
aime,  et  celle  qu'il  a  conquise,  mais  non  epousee,  le  suit  dans  la 
mort.  Dans  ce  nom  meme  dTseut,  tant  discute  et  toujours 
inexplique,  y  aurait-il  peut-etre  un  echo  de  ceux  de  Kriemhild 
et  de  Brünhild  ? 

Mais,  plus  encore  que  le  tragique  conflit  chante  par  l'epopee 
germanique,  le  denouement  des  amours  de  Tristan  et  dTseut 
rappelle  l'histoire  de  Paris  et  d'CEnone,  dont  le  Grec  Parthenius 
de  Nicee  nous  a  seul  conserve  la  memoire.  Or,  ä  moins  de  supposer 
un  intermediaire  byzantin,  par  quelle  autre  voie  plus  proche, 
sinon  par  des  chants  et  des  contes  repandus  dans  les  lies  Bri- 
tanniques,  ce  recit  qu'on  cherche  en  vain  dans  les  textes  latins 
serait-il  parvenu  jusqu'ä  nos  romanciers  du  XIP  siecle  ?  Nulle 
part,  dans  l'Europe  occidentale,  au  moyen  äge,  ne  se  sont  offertes 
des  conditions  aussi  favorables  ä  sa  divulgation  que  dans  les 
pays  memes  oü  sc  deroulent  la  plupart  des  aventures  des  celebres 
amants.  Nulle  part,  sauf  dans  ITtalie  meridionale,  la  connaissance 
du  grec  ne  s'est  perpetuee  aussi  tard  que  dans  la  Grande  Bre- 
tagne et  en  Irlande.  Aucune  de  nos  langues  vulgaires  n'a  ete 
aussi  prompte  que  l'irlandaise  ä  accueillir  les  grands  Souvenirs  de 
l'antiquite,  transmis  par  la  litterature  latine.  Les  depouilles 
dont  «cette  süperbe  cite  romaine  »  et  «cette  Grece  menteresse  » 
ont  enrichi  les  romans  de  Tristan  ne  sont  pas  toutes  des  trophees 
frangais.  On  se  rappelle  comment  le  nain  espion  perit,  suivant 
Beroul,  pour  avoir  trahi  le  secret  des  oreilles  de  cheval  du  roi 
Marc.  Qui  d'autre  qu'un  narrateur  gallois,  breton  ou  irlandais, 
s'adressant  ä  un  public  de  langue  celtique,  aurait  songe  ä  affubler 
le  roi  Marc  des  ridicules  oreilles  de  Midas,  s'il  n'est  pas  niable  que 


^)  Cf.  Deutschbein,  p.  174. 


Goliher,  Wolfgang.  175 

ce  trait  ne  supposo,  de  part  et  d'autre,  la  connaissance  du  mot 
celtique  marc  ou  march  au  sens  de  «cheval»? 

Dans  CO  recit  de  Beroul,  s'il  manquait  sans  doute  au  roman 
primitif,  il  semble  que  nous  tenions  un  indice  precieux  de 
l'existence  d'une  tradition  orale,  d'oü  pourraient  etre  derives 
d'autres  episodes,  et  notamment  ceux  qui  sont  propres  ä  la  version 
de  Thomas.  Du  memo  coup,  nous  voici  ramenes  ä  la  question  tant 
debattue  de  la  part  qu'il  convient  d'attribuer  aux  nations  celtiques 
dans  la  formation  de  la  legende  de  Tristan  et  de  tout  le  cycle 
breton.  M.  G.  nous  concede  aujourd'hui  que  les  Bretons  in- 
sulaires  sont  fondes  ä  reclamer  pour  eux  le  Tristan  guerrier  et 
chasseur,  le  vainqueur  epique  du  Morhout  dTrlande'^);  mais 
il  persiste  ä  soutenir  que  le  personnage  dTseut  et  tout  le  roman 
d'amour  ont  du  etre  inventes  par  un  poete  fran§ais.  II  y  a  trop 
longtemps  que  j'ai  perdu  la  foi  du  charbonnier  pour  croire  ä  ce 
miracle  d'une  prolem  sine  matre  creatam.  Par  delä  le  «roman 
primitif»,  nous  avons  surpris  quelques-unes  des  influences  qui 
ont  contribue  ä  la  formation  de  la  legende,  entrevu  quelques- 
unes  des  phases  d'un  lent  developpement  progressif,  qui  ne 
saurait  etre  tout  entier  resserre  dans  le  court  laps  de  temps  ecoule 
entre  la  conquete  de  l'Angleterre  par  les  Normands  et  l'apparition 
des  Premiers  romans  frangais  sur  Tristan.  Si,  jusque  dans  ces 
romans  du  XIP  siecle,  on  a  pu  retrouver  des  traits  de  moeurs 
celtiques,  si  parfois  s'y  revele  un  tour  d'imagination  different 
de  I'esprit  frangais,  s'il  est  vrai  que  Tristan  soit  un  Gelte  insulaire 
et  que  toutes  ses  aventures  de  guerre  et  d'amour  aient  leur  theätre 
en  pays  celtique,  meme  l'hypothese  d'un  poeme  anglais  traduit 
en  francais  ne  rendrait  pas  (ce  fut  toujours  l'opinion  de  Gaston 
Paris)  un  compte  satisfaisant  de  ces  elements  etrangers  ä  la  litte- 
rature  et  ä  la  societe  frangaises. 

II  faut  donc,  de  toute  necessite,  que  les  Geltes  aient  dejä 
possede  et  qu'ils  aient  transmis  aux  conteurs  et  aux  Jongleurs 
francais  un  ensemble  de  traditions  et  de  recits,  de  lais  et  de  contes 
en  prose,  embrassant  la  vie  et  la  mort  de  Tristan  et  d'Iseut,  un 
roman,  si  je  puis  ainsi  dire,  ä  l'etat  diffus,  dont  le  souffle  createur 
du  genie  devait  un  jour  tirer  Tun  des  plus  bcaux  poemes  de  l'hu- 
manite.  Dans  ces  lais,  dans  ces  contes  oraux,  qu'est-ce  qui  nous 
empeche  meme  de  supposer  que  dejä  s'affirmät,  par  la  simple 
repetition  et  la  Variation  d'un  motif  predominant,  l'amour  vain- 
queur de  tous  les  obstacles  et  de  toutes  les  contraintes,  l'amour 
plus  fort  que  la  vie  et  que  la  mort,  le  triomphe  de  l'amour  sur 
toutes  les  choses  divines  et  humaines  ?  Quand  il  serait  ineon- 
testablement  prouve  que  le  mariage,  chez  les  Gallois,  füt  «le  plus 


')  Rapprochant  le  Morhout  des  Fomori  de  la  litterature  irlandaise, 
M.  G.  nous  renvoie  ä  un  article  de  M.  Deutschbein  que  je  n'ai  pu  con- 
sulter.  II  oublie  que  j'avais  dejä  fait  ce  rapprochement  au  tome  XVII 
de  la  Romania,  p.  606,  en  rendant  compte  de  son  memoire  de  1887. 


176  Referate  und  Rezensionen.     Wallher  Küchler. 

soluble  de  tous  les  liens»^),  est-ce  qu'aujourd'hui,  malgre  l'adou- 
cissement  des  moeurs  et  toutes  les  facilites  offertes  au  divorce, 
i'adultere  et  ses  tragiques  consequences  ne  sont  pas  demeures 
Tun  des  themes  preferes  de  nos  romanciers  ? 

Les  plus  heiles  oeuvres  de  l'art  et  de  la  litterature,  comme 
les  plus  beaux  arbres  de  nos  forets,  plongent  au  loin  leurs  racines 
dans  le  sol  nourricier.  Issues  du  lent  travail  de  plusieurs  gene- 
rations,  c'est  ä  la  collaboration  inconsciente  du  temps  et  du 
genie,  de  la  collectivite  et  de  l'individu,  qu'elles  doivent  en  partie 
leur  force,  Icur  beaute,  leur  profonde  humanite.  La  creation  poe- 
tique  consiste  moins  ä  «inventer»  des  donnees  et  des  personnages 
nouveaux  qu'ä  les  animer  d'une  vie  plus  intense  et  plus  durable 
que  la  vie  reelle,  de  la  vie  immortelle  de  l'art.  Est-ce  que  les  tra- 
gedies  grecques,  les  contes  de  Boccace,  les  drames  de  Shakespeare, 
les  fables  de  La  Fontaine,  le  Faust  de  Goethe  sont  le  fruit  de 
l'invention  individuelle  ?  Est-ce  que  Wagner  a  « invente »  les 
Nibelungen,  le  Parsifal,  le  Tristan?  Non  seulement  donc  (pour 
conclure  en  des  termes  empruntes  ä  M.  Bedier  cette  discussion 
oü  il  s'est  trouve  sans  cesse  implique  avec  M.  Golther),  non 
seulement  il  ne  «repugne»  nullement»  ä  tout  ce  que  nous  savons 
des  contes  de  Bretagne  et  de  leur  transmission  de  supposer  que 
les  Geltes  aient  possede  jamais»,  sinon  «un  grand  roman  d'amour 
sur  Tristan»,  au  moins  Febauche  de  ce  roman.  Mais  «il  est  con- 
forme  au  contraire  ä  tout  ce  que  nous  savons»  de  la  genese  de 
quelques-unes  des  plus  grandes  oeuvres  de  Tesprit  humain  «de 
croire »  qu'ils  ont  fourni  la  matiere  principale  de  ce  merveilleux 
poeme  d'amour  qui  a  recu  du  genie  fran^ais  la  forme  durable 
sous  laquelle  il  enchantait  le  moyen  äge  et  nous  enchante  encore 
aujourd'hui. 

Ernest  Muret. 


Weelissler,  ESdnard.  Das  Kulturproblem  des  Minnesangs. 
Studien  zur  Vorgeschichte  der  Renaissance.  In  zwei 
Bänden.  Band  I  Minnesang  und  Christentum.  8*^  XII 
-f  502  Seiten.  Halle  a.  S.  Verlag  von  Max  Niemeyer. 
1909. 

Der  ästhetische  Wert,  d.  h.  die  künstlerische  Wahrheit  der 
Dichtung  der  Troubadours  kann  nur  dann  richtig  erkannt  werden, 
wenn  man  sich  über  die  kulturellen  Grundbedingungen,  die 
dieser  Dichtung  zu  ihrer  Entstehung  und  Ausbreitung  verhelfen 
haben,  und  über  das  Wesen  und  die  Schöpferkraft  wenigstens 
der  hervorragendsten   Dichter  einigermaßen  klar  geworden  ist. 


8)  Voycz,  au  tome  XXX  de  la  Rei>ue  Celtique,  pp.  270  ss.,  les 
objections  de  M.  J.  Loth  contre  .cette  opinion  de  M.  Bedier,  qui  a 
trouve  depuis  lors  un  nouveau  champion  dans  Miss  Schoepperle  (Ro- 
mania,  XXXIX,  p.  295,  n.  1). 


Weckssler,  Eduard.  177 

Wenn  es  auch  nicht  die  letzte  Absicht  Wechsslers  war,  eine 
ästhetische  Würdigung  der  Dichtung  des  Minnesangs  zu  geben, 
so  ist  es  doch  sein  Bestreben,  diese  Würdigung  zu  erraöghchen 
durch  die  kulturgeschichtliche  Basis,  die  aufzubauen  er  unter- 
nimmt. Indem  er  zeigt,  welche  Anregungen  die  Welt  und  die 
Zeit,  in  der  sie  atmeten,  den  Sängern  für  ihr  seelisches  Erleben 
boten,  was  sie  ihnen  an  geistiger  Nahrung  gaben,  verhilft  er  uns 
ohne  weiteres  zu  bestimmten  Maßstäben  für  die  Erkenntnis 
der  ästhetischen  Werte  dieser  merkwürdigen  Dichtung.^)  Neben 
diesem  breit  angelegten  Versuche  in  das  ,,  Kulturproblem  des 
Minnesangs"  einzudringen,  kommt  nun  leider  das  Bemühen 
um  die  Erfassung  der  einzelnen  Persönlichkeiten  zu  kurz,  so  daß 
wir  von  dieser  Seite,  aus  dem  analytischen  Studium  der  Hinter- 
lassenschaft der  verschiedenen  Dichter,  so  gut  wie  keine  Förde- 
rung unserer  Auffassung  von  der  ästhetischen  Eigenart  des 
Minnesangs  erfahren. 

Gewiß  war  es  Wechsslers  gutes  Recht,  sich  mehr  in  die  Durch- 
arbeitung der  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auf  alle  Dichter  gleich 
wirkenden,  kulturellen  Bedingungen  zu  vertiefen,  aber  seine 
Ai'beit  würde  bedeutend  gewonnen  und  vielleicht  zu  noch  schärferen 
Ergebnissen  geführt  haben,  wenn  er  die  bedeutsamsten  Dichter- 
gestalten um  ihrer  selbst  willen  studiert,  wenn  er  ihre  individuelle 
Eigenart  in  Beziehung  gesetzt  hätte  zu  den  Formeln,  die  er  aus 
der  umfassenden  Betrachtung  der  gesamten  Masse  der  Über- 
lieferung gewann. 

Sicherlich  ist  die  Idee  dauernder  als  die  PersönUchkeit, 
aber  die  PersönHchkeiten  als  die  Träger  der  Idee,  als  die  uner- 
müdlichen Arbeiter  an  der  Idee,  sie  können  nicht  scharf  genug 
erfaßt  und  herausgearbeitet  werden,  besonders  dann,  wenn  es 
gilt,  ent^^dcklungsgeschichtlich  die  von  ihnen  geschaffenen  Formen 
der  Idee  zur  Anschauung  zu  bringen. 

1)  Zu  Unrecht  fragt  Savj-Lopez  in  seiner  ausführhchen  und  lehr- 
reichen Besprechung  des  Wechsslerschen  Buches  (Zeitschr.  f.  rom. 
Phil.  t.  34  p.  480  ff.)  einmal  mißbilligend,  ob  man  es  in  der  Fragestellung 
Wechsslers  mit  einem  kulturgeschichtlichen  oder  mit  einem  ästhetischen 
Problem  zu  tun  habe.  Es  kann  solchen  Einwänden  gegenüber  nicht  oft 
genug  betont  werden,  daß  für  die  letzte  Beurteilung  von  Kunstwerken 
diese  beiden  Probleme  ohne  weiteres  in  eines  zusammenfließen  müssen. 
Vgl.  auch  H.  Morf,  der  in  seiner  Geschichte  der  romanischen  Literaturen 
nachdrücklich  darauf  hinweist,  daß  das  literarische  Denkmal  für  den 
Kritiker  ein  ästhetisches  und  ein  geschichtliches  Problem  sei  und  fordert, 
daß  der  Kritiker  auch  ,,die  gegenwärtigen  oder  vergangenen  Verhält- 
nisse und  die  geschichtlichen  Abhängigkeiten  studieren  solle,  aus 
deren  Mitte  der  Künstler  und  sein  Werk  sich  erheben.  ,, Historische 
Forschung  und  ästhetische  Würdigung  sollen  sich  in  der  Weise  har- 
monisch verbinden,  daß  diese  sich  auf  der  breiten  Basis  jener  erhebt" 
(Die  Kultur  der  Gegenwart,  Teil  I  Abt.  XI,  1  p.  350).  —  Einen  Anfang, 
die  kulturellen  Grundlagen  der  Troubadourpoesie  festzustellen,  unter- 
nimmt Kinkel  im  Archiv  f.  d.  Studium  der  neueren  Sprachen  t.  122  p. 
333  ff. 


178  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

Wie  eng  die  ästhetische  Erkenntnis  mit  unserem  Verständnis 
der  Dichterpersönlichkeit  und  ihrem  individuellen  Fühlen  und 
Können  einerseits,  sowie  ihrer  Abhängigkeit  von  den  gegebenen 
Kulturverhältnissen  andererseits  zusammenhängt,  erweist  aufs 
Deutüchste  die  einzige  Frage  nach  der  dem  Minnesänge  zugrunde 
liegenden  Realität.  Könnten  wir  diese  Frage  restlos  beant- 
worten, so  hätten  wir  damit  das  entscheidendste  Kriterium  für 
das  Verständnis  dieser  Poesie  gewonnen. 

Auch  Wechssler  wird  immer  wieder  zu  dieser  Frage  hingeführt, 
aber  es  scheint  doch,  als  schlage  er  ihre  grundsätzliche  Bedeutung 
nicht  hoch  genug  an.  Wohl  fragt  er,  entsprang  der  Frauenkult 
der  Minnesänger  ihrer  persönlichen  Überzeugung,  oder  sollte 
er  nur  der  Eitelkeit  verwöhnter  Frauen  dienen  ?  War  er  Liebe 
oder  Schmeichelei  ?  Aber  wenn  er  dann  hinzufügt,  das  könnte 
man  nicht  wissen,  und  man  brauche  diese  Frage  auch  gar  nicht 
zu  stellen,  da  man  sonst  auf  die  aussichtslose  Frage  nach  dem 
biographischen  Gehalt  hingetrieben  würde,  so  geht  er  an  dem 
Problem  vorbei.  Mag  seine  Lösung  auch  noch  so  schwer  sein, 
mag  sie  vielleicht  auch  nie  ganz  gefunden  werden,  bei  Seite  schieben 
darf  man  es  nicht.  Denn  für  die  letzte  Beurteilung  eines  Gedichtes, 
auch  als  eines  rein  künstlerischen  Erzeugnisses,  ist  die  Kenntnis 
der  vvirklichen,  ihm  zugrunde  liegenden  Inspiration  unerläßlich. 
Klingt  mir  aus  den  ekstatischen  Tönen  des  Liedes  nur  die  Stimme 
des  höfischen  Schmeichlers  heraus,  darf  ich  in  den  Liebesbeteue- 
rungen nur  die  raffinierten  Formen  von  Lob  und  Preis  des  um 
materiellen  Lohn  dienenden  Sängers  sehen,  so  ist  das  so  auf- 
gefaßte Lied  nach  kulturhistorischem,  psychologischem  und 
ästhetischem  Gesichtspunkte  ganz  anders  zu  beurteilen  als  das 
aus  Leidenschaft  und  Wahrheit  geborene  Liebeslied. 

Wenn  Wechssler  einmal  der  Überzeugung  Ausdruck  gibt, 
daß  die  besten  Dichter  in  der  Mehrzahl  ihrer  Lieder  Selbsterlebtes 
niedergelegt  hätten,  und  daß  aus  den  persönHchen  Erlebnissen 
einzelner,  dienender  Frauensänger  zuerst  eine  Art  höfischer 
ReUgion  entstanden  sei  (p.  312);  wenn  er  ferner  sagt,  gelebt  haben 
ihren  Frauenkult  nur  ganz  wenige,  die  unleugbare,  poetische 
Unwahrheit  so  vieler  Lieder  ist  nur  die  Folge  davon,  daß  die 
Vielzuvielen  sich  dieser  sublimierten  Erlebnisse  bemächtigen 
wollten  und  als  Nachahmer  aus  dem  Frauenkult  ein  Gewerbe 
machten  (p.  464),  so  betont  er  selbst  nachdrückhch  genug  die 
Bedeutung  des  persönlichen  Elements  für  den  inneren  Gehalt 
und  die  ästhetische  Bedeutung  des  Minnesangs.  Die  Tatsache, 
daß  er  diesem  Elemente  in  seiner  Darstellung  nicht  die  gebührende 
Rücksicht  schenkt,  hängt  letzten  Endes  wohl  mit  seiner  gesamten 
Auffassung  vom  Wesen  des  Minnesangs  und  der  von  ihr  bedingten 
Anlage  seiner  Arbeit  zusammen. 


Weckssler,  Eduard.  179 

Ein  erster  origineller  Zug  in  Wechsslers  Auffassung  vom 
Minnesänge  ist  die  entschiedene  Trennung,  die  er  zwischen  Ritter- 
geist und  Frauenkult  vornimmt.  Es  ist  ein  bis  heute  fast  all- 
gemein geltender  Grundsatz,  daß  der  Kultus  der  Frau  das  \\erk 
der  aus  der  primitiven  Roheit  des  feudalen  Adels  nunmehr  zu 
feinerem  Empfinden  sich  entwickelnden  Ritterschaft  gewesen 
wäre.  Am  Ende  des  11.  Jahrhunderts,  so  stellt  etwa  Wilhelm 
Hertz  den  Vorgang  dar,  rückte  die  gewaltige  Revolution  einer 
neuen  Zeit  alles  Bestehende  aus  den  Fugen,  durchbebte  ein  ver- 
jüngender Pulsschlag  die  abendländische  Welt,  wurden  die 
Gemüter  von  den  Schauern  göttlicher  Begeisterung  gehoben. 
Ebenso  mächtig  vNie  nach  der  rehgiösen,  war  der  Umschlag 
nach  der  we-Itlichen  Seite.  An  Stelle  des  alten  Reckentums 
trat  das  Rittertum,  das  nicht  mehr  in  der  ungefügen,  sondern 
in  der  geiügen  Kraft,  in  geselliger  Bildung  und  feinen  Sitten, 
in  der  selbstverleugnenden  Unterordnung  unter  religiöse  und 
ethische  Grundsätze  das  Ideal  des  guten  Helden  sah.  Begegnete 
man  bisher  dem  sozial  untergeordneten  Weibe  höchstens  mit 
Rücksicht  und  Schonung,  so  erleben  wir  nunmehr  die  freiwillige 
Beugung  der  Kraft  unter  die  Anmut.^) 

Ähnlich  führt  auch  Rostori  aus,  daß  der  von  der  Kirche 
mit  religiösen  Stimmungen  durchsetzte  Rittergeist  die  Ritter 
zu  Soldaten  des  Glaubens  und  der  Gerechtigkeit,  zu  Verteidigern 
der  Schwachen  und  Unterdrückten  gemacht  und  auch  den  Kultus 
der  Frau  geschaffen  habe.  Innerhalb  der  feudalen  Familie, 
als  Gattin,  war  die  Frau  unterdrückt.  Liebe  in  der  Ehe  gab  es 
nicht;  so  habe  denn  der  ritterliche  Sinn  außerhalb  der  Ehe,  im 
Gegensatz  zu  ihr,  der  Frau  seine  Sympathie,  sein  Mitleid  und 
schließlich  seine  Liebe  zugewendet.^)  Ebenso  spricht  Fauriel 
von  dem  ,,enthousiasme  respectueux",  der  sich  während  des 
11.  Jahrhunderts  im  Rittertum  ausgebildet  habe,  das  Prinzip 
selbstlosen  Handelns  geworden  sei  und  nur  außerhalb  der  Ehe 
eine  moralische  Kraft  werden  konnte.*)  Auch  für  Vossler  sind 
die  Ritter  die  Ersten  gewesen,  die  ,,sich  des  schönen  Geschlechts 
annahmen  und  die  Emanzipation  der  Frau  sozusagen  ins  Rollen 
brachten."  ,,In  Südfrankreich  trat  der  ritterliche  Individuahs- 
mus  mit  seinem  Evangelium  von  Kraft  und  Ehre  aus  der  Tiefe 
der  Instinkte  klarer  liervor  ins  Bewußtsein.  Dort  zuerst  hatte 
sich,  teils  aus  fleischlichem  Wohlgefallen  und  Schönheitssinn, 
teils  aus  Großmut  und  Hochherzigkeit  die  männhche  Kraft 
des   schwächeren    Geschlechts    angenommen."^) 


-)  Über  den  ritterlichen  Frauendienst  (Aus  Dichtung  und  Sage,  Vor- 
träge und  Aufsätze  von  Wilhelm  Hertz,  her.  v.  K.  Vollmöller,  1907)  p.  6  ff. 

^)  Histoire  de  la  litterature  provengale,  trad.  par  A.  Martel  (1894) 
p.  41  f. 

^)  Histoire  de  la  poesie  provengale  (Paris  1846)  t.  I  p.  498. 

'•')  Die  göttliche  Komödie  1,  2  p.  486. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVIP.  13 


180  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

Gegen  diese  traditionelle  Auffassung  wendet  sich  Wechssler. 
Es  ist  einer  der  leitenden  Gedanken  seines  Buches,  daß  die  frauen- 
haft-künstlerische Kultur  der  südfranzösischen  Frauenhöfe  in 
Widerstreit  gegen  die  männlich-kriegerische  der  Ritterschaft 
gestanden  habe  und  daß  die  sogenannte  Emanzipation  der  Frau 
keineswegs  von  der  Ritterschaft  ins  Werk  gesetzt  worden  sei. 
Zu  Beginn  wären  cortezia  und  Frauendienst  den  Rittern  fremd 
gewesen,  erst  allmählich  hätten  sie  den  Frauendienst  zu  ihrer 
vornehmsten  Pflicht  erhoben  (p.  215  f.),  aber  immer  sei  die  höfische 
Frauenverehrung  ein  fremdes  Reis  auf  dem  Stamme  ritterhcher 
Lebensart  gebheben.  In  welcher  Weise  und  in  welchem  Umfange 
das  feudale  Element  an  der  Ausbildung  der  Frauenverehrung 
teilgenommen  habe,  diese  Frage  wird  vv^ohl  der  in  Aussicht  ge- 
stellte zweite  Band  des  Näheren  ausführen. 

Wenn  es  nicht  die  Ritterschaft  gewesen  ist,  die  cortezia  und 
Frauenkult  geschaffen  hat,  wer  war  es  denn  ?  Niemand  anders 
als  die  Frau  selbst,  antwortet  Wechssler.  Zweifellos  darf  man 
sich  die  Frau  nicht  als  ein  gänzhch  passives  Wesen  vorstellen, 
das  sich  eben  noch  geduldig  als  eine  untergeordnete  Magd  be- 
handeln ließ  und  nun  ebenso  geduldig  als  erhabene  Herrin  feiern 
läßt.  Sie  hatte  sicher  ihren  vollen  Anteil  an  der  Ausbildung 
des  neuen  höfischen  Sinnes.  Sicher  bildete  sich  wesenthch 
unter  ihrem  Einfluß  jene  Gesamtheit  mondäner  Eigenschaften, 
die  man  unter  dem  Namen  Courtoisie  zusammenfaßt.^)  Sehr 
richtig  bemerkt  Vossler:  ,,Von  der  anderen  Seite  gesehen,  es 
war  den  Künsten  des  Weibes  gelungen,  den  Mann  bei  seinem 
Ehrgeiz  und  seiner  Eitelkeit  zu  fassen  und  seinem  kriegerischen 
Wesen  die  Gesetze  des  Anstandes  zu  diktieren.  Als  vornehme 
Dame  stellte  nun  das  Weib,  dem  die  mittelalterhche  Kirche  den 
Mund  geschlossen  hatte,  den  Geboten  dieser  Kirche  seine  eigenen 
Gebote  gegenüber".'^) 

Also,  die  Frau  hat  mitgeschaffen.  Aber  doch  wohl  kaum 
so  ausschheßhch,  so  stark  und  so  bewußten  Geistes,  wie  Wechssler 
anzunehmen  geneigt  ist.  Seiner  Ansicht  nach  sind  einige  hoch- 
gestellte Frauen  wirkliche  Kulturschöpferinnen  geworden.  Diese 
hätten  ihre  neue  Daseinsauffassung  mit  Bewußtsein  der  kirch- 
lichen und  der  ritterlichen  Weltanschauung  entgegengesetzt. 
Eine  unerhörte,  kaum  glaubliche  Kulturtat  schreibt  eine  solche 
Auffassung  den  fürstlichen  Frauen  zu.  Zu  welch  hoher  innerer 
Selbständigkeit  müßten  sie  fortgeschritten  sein,  ein  wie  helles 
Bewußtsein  von  ihrer  tatsächhchen  Lage  und  einen  wie  klaren 
Blick  für  die  Möglichkeiten  und  Mittel  einer  Besserung  müßten 
sie  besessen  haben,  um  gleichzeitig  gegen  die  Kirche  und  gegen 
Geist  und  Gewohnheit  ihrer  Kaste  in  bewußter  Opposition  sich 

^)  cf.   Jeanroy:   La  Poesie  provengale  au  moyen-äge.     Rev.  des 
deux  Mondes,  1  fevrier  1903  (p.  671). 
')  A.  a.  O.  p.  487. 


Weclissler,   Eduard.  181 

erheben  zu  können!  Unmöglich  war  die  Frau  damals  zu  so 
kühner  und  folgenschwerer  Tat  innerlich  reif  genug. 

Den  Einfluß  der  Frau  auf  das  Kulturleben  ihrer  Zeit  hält 
Wechssler  doshalb  in  Südfrankreich  für  erwiesen,  weil  dort  die 
Töchter  der  Vornehmen  erbberechtigt  und  thronfolgefähig  waren. 
Daher  hätten  sie  im  11.  und  12.  Jahrhundert  eine  große  politische 
Rolle  spielen  können.  Die  Gräfin  Adelheid  von  Carcassone, 
die  Vizgräfin  Ermengard  von  Beziers,  Ermengard  von  Narbonne 
seien  im  12.  Jahrhundert  eine  Art  selbständiger  Herrscherinnen 
gewesen,  denen  von  ihren  Untertanen  eine  gesteigerte  Hoch- 
achtung entgegengebracht  worden  sei.  Auch  Eleonore  von 
Poitiers  wird  von  ihm  in  diesem  Zusammenhang  erwähnt.  Der 
Hofstaat  dieser  Fürstinnen  sei  nicht  mehr  aus  kriegstüchtigen, 
trunkfesten  Männern  gebildet  worden,  sondern  habe  sich  aus 
einem  Kreis  gebildeter  Frauen  und  Mädchen,  aus  gewandten 
Ministerialen  und  Hofbeamten  zusammengesetzt.  Gerade  diese 
Frauenhöfe  seien  Heimstätten  feiner  Geselligkeit,  feiner  Sitte 
und  Bildung  gewesen,  und  sie  hätten  es  sein  können,  da  die  vor- 
nehmen Frauen  ihren  männlichen  Standesgenossen  an  gelehrter 
Bildung  weit  überlegen  gewesen  seien.  Diese  Bildung  aber  sei 
in  jener  Zeit  nicht  mehr  ausschließlich  durch  Kirche  und  Kloster 
vermittelt  worden.  Lehrer  und  Berater  sei  jetzt  der  höfische 
Sänger  geworden.  Neben  den  Kaplan  sei  jetzt  der  Troubadour 
getreten.  Das  Ziel  der  Bildung  sei  die  Vorbereitung  auf  die 
höfische  Welt  gewesen,  die  Frauen  suchten  nicht  nur  Belehrung, 
sondern  auch  Unterhaltung;  sie  bildeten  Geist  und  Geschmack. 

Auf  diese  Weise  sind  die  Frauen  Kulturschöpferinnen  ge- 
worden, haben  sie  ein  Zeitalter  spezifisch  w^eibhcher  Gesittung 
heraufgeführt,  das  nun  auch  eine  frauenhafte  Poesie  gehabt 
habe.  Ihre  weibliche  Anmut,  verbündet  mit  hohem  Rang  und 
geistiger  Würde  habe  die   Kultur  der  Epoche  beherrscht. 

Diese  hohe  Auffassung  von  der  Rolle  der  Fürstin  und  Frau 
in  jener  Zeit  vermag  ich  nicht  zu  teilen.  Von  einem  Beherrschen 
ihrer  Epoche,  sowie  von  der  Herbeiführung  eines  Zeitalters 
spezifisch  weiblicher  Gesittung  kann  keine  Rede  sein.  Die  Zeit 
ist  männlich  geblieben,  blieb  von  den  Anschauungen  der  Männer 
beherrscht.  Die  Minnedichtung  ist  doch  nicht  das  einzige  Er- 
zeugnis des  Jahrhunderts.  Unendlich  viel  andere  Kräfte  und 
Mächte  regen  sich  da.  Von  dem  gesamten  öffentlichen,  wirt- 
schaftlichen, politischen,  wissenschaftlichen  Leben  bleibt  die 
Frau  weiterhin  gänzlich  ausgeschlossen.  Nirgendwo  ist  von 
ihrem  Einfluß  eine  Spur  zu  entdecken,  nur  in  einer  höchst  ex- 
klusiven Gattung  der  Dichtung,  im  höfischen  Minnelied  und 
unter  seiner  Wirkung  im  höfischen  Roman  wird  sie  als  Ideal 
gefeiert.  Nur  im  Ausdruck  der  dichtenden  Liebesverehrung, 
in  der  Sprache  der  Galanterie  wird  sie  auf  ein  hohes  Piedestal 
gestellt.      In    der    Wirklichkeit,    im    tatsächlichen    Liebesleben, 

13* 


182  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Kückler. 

im  sozialen  Gefüge  des  Tages  ist  ihr  sicher  nur  selten  eine  gleich 
erhabene    Stellung  zuerkannt  worden. 

Es  ist  sehr  fraglich  und  müßte  jedenfalls  noch  erst  doku- 
mentarisch bewiesen  werden,  ob  die  vermeintliche  politische 
Macht  jener  namentlich  angeführten  Fürstinnen  ihnen  wirklich 
die  Möglichkeit  zu  kulturschöpferischer  Tätigkeit  geben  konnte. 
Sie  übten  ihre  politische  Macht  doch  nur  nominell  aus,  tatsächlich 
w'aren  es  Männer,  die  für  sie  regierten,  nur  mit  Männerkraft 
und  Mitteln  der  Männergcwalt  konnten  sie  sich  im  Kampf  um 
ihre  Existenz  behaupten.  Von  den  Hölicn  ihrer  politischen 
Maclit  führen  keine  Wege  ins  Land  der  Diclitung. 

Ebensowenig  wie  ihre  politische  Macht  darf  ihre  hervorragend 
tiefe,  gelehrte  Bildung  ins  Treffen  geführt  werden.  Es  sind 
sicher  im  ganzen  Abendlande  nur  einige  vereinzelte  Fälle  ge- 
wesen, daß  fürstliche  Frauen  das  ,, ganze  gelehrte  Wissen  der 
Zeit"  besaßen.  Männerbildung  und  Frauenbildung  in  den  höfisclien 
Kreisen  unterschieden  sich  höchstens  dadurch  voneinander, 
daß  mehr  Frauen  als  Männer  die  elementaren  Kenntnisse  er- 
warben und  daß  wohl  manche  Frauen  etwas  tiefer,  etwa  in  der 
Kunst  des  Lesens  und  Schreibens,  in  elementarische  Wissen- 
schaftlichkeit eindrangen.  Und  w^o  eine  Frau  wirklich  das  „ganze 
gelehrte  Wissen"  besaß,  da  hätte  ihr  diese  Gelehrsamkeit  sicher 
nicht  zur  Inaugurierung  der  Kultur  der  cortezia. verhelfen.  Ihre 
Gelehrsamkeit  hätte  sie  auf  ganz  andere  Ideale  hingewiesen, 
als  die  es  waren,  welche  die  rein  gesellschaftliche,  bei  allem  Glanz 
und  aller  Feinlieit  in  hohem  Grade  äußerliche  Kultur  der  cortozia 
verkörperte.  Die  Gelehrsamkeit  hätte  die  Frau  in  engste  Fühlung 
mit  der  Kirche  gebracht;  denn  ohne  diese  gab  es  kein  gelehrtes 
Wissen.  Die  Bildung  der  cortezia  war  eine  Laienkultur,  und 
wenn  die  Frau  an  ihrer  Schöpfung  Anteil  geliabt  hat,  so  hat  sie 
ihn  gehabt  in  dem  Maße,  wie  sie  in  ihrer  Auffassung  von  Welt 
und  Leben  sich  von  den  Anschauungen  der   Kirche  entfernte. 

Es  war  ohne  Frage  nicht  ihre  gelehrte  Bildung,  welche  die 
Frauen  zu  irgend  welchen  schöpferischen  Neuerungen  trieb, 
sondern  ihr  verfeinertes  Unterhaltungsbedürfnis,  das  z.  T.  von 
Männern  mit  gelehrter  Bildung  befriedigt  wurde,  aber  indem 
diese  ihre  eigentliche  Gelehrsamkeit  beiseite  ließen  und  eine 
Unterhaltungsliteratur  schufen  aus  Stoffen,  die  ihnen  durch 
ihre  gelehrten  Studien  bekannt  geworden  waren.  So  fand  in 
jener  Zeit  eine  Annäherung  zwischen  der  gelehrten  Welt  und  dem 
ungelehrten  Publikum  der  höfischen  Kreise  statt,  indem  beide 
Parteien  sich  auf  halbem  Wege  entgegenkamen. 

Wenn  man  den  Anteil  der  Frau  an  der  Ausbreitung  der 
neuen  höfischen  Kultur  bestimmen  will,  so  darf  man  weder  von 
der  politisch-mächtigen,  noch  von  der  gelehrten  Frau  ausgehen, 
sondern  von  der  Frau  lediglich  als  Weib,  von  der  vornehmen 
Dame,   die  innerhalb  ihrer  Kaste  aufgewachsen  war  und  deren 


Wechssler,   Eduard.  183 

Fühlen  und  Denken  vollständig  teilte.  Ganz  von  selbst 
gewann  diese  Frau  mit  der  Ausbildung  der  Geselligkeit,  die  eben- 
falls eine  ganz  natürliche  Folge  der  gehobenen  Lebensbedingungen 
des  vornehmen  Adels  war,  an  Bedeutung.  In  dem  mehr  und 
mehr  zu  Standesbewußtsein  sich  erhebenden  Adel  entwickelte 
sich  neben  seinem  kriegerischen  Wesen  die  Galanterie  gegen- 
über den  Frauen.  Oder,  sie  war  wohl  schon  lange  in  primitiveren 
Formen  vorhanden  gewesen,  nun  gewöhnte  man  sich  daran,  sie 
als  notwendiger  zu  empfinden,  sie  als  Teil  und  Mittel  der  Er- 
ziehung zu  betrachten.  Und  vor  allen  Dingen,  man  gewöhnte 
sich  daran,  sie  auszusprechen.  Die  Frau  selbst  brauchte  nur  sich 
in  den  Vorzügen  feinerer  Weiblichkeit  zu  geben,  so  war  ihr  die 
Galanterie  der  Männer  sicher,  auch  die  der  Frauenverächter, 
der  rohen  Kriegsmänner;  denn  es  ist  eine  alte  Erfahrung,  daß 
man  keine  große  Achtung  vor  den  geistigen  Eigenschaften  der 
Frau  zu  haben  oder  gar  ihre  Überlegenheit  anzuerkennen  braucht, 
um  ihr  in  den  Formen  des  gesellschaftlichen  Verkehrs  mit  aus- 
gesuchter Höflichkeit  zu  begegnen,  um  in  galantem  Flirt  und  mit 
gew'andter  Schmeichelei  äußere  Huldigungen  zu  erweisen.  Also, 
innerhalb  des  Adels,  ohne  irgend  eine  Opposition  zu  machen 
gegen  männlich-kriegerische  Kultur,  auf  dem  Boden  des  gesell- 
schaftlichen Fortschritts,  den  wir  als  das  vornehmste  Prinzip 
der  damaligen  adeligen  Lebensführung  betrachten  müssen, 
gewann  die  Frau  ihre  neue,  einflußreiche  Stellung.  Sie  hat  die 
Bildung  der  cortezia  mitgeschaffen  im  Bunde  mit  ihren  Standes- 
genossen. 

Es  entspricht  nur  der  starken  Überschätzung  der  weiblichen 
Initiative  bei  der  neuen  Kulturschöpfung,  w-enn  Wechssler  den 
Frauen  auch  bei  der  Entstehung  des  Minnesangs  eine  denkbar 
weitgehende  Mitwirkung  zuerkennen  möchte.  Er  stellt  nämlich 
die  Vermutung  auf,  daß  der  Minnesang  als  literarischer  Ausdruck 
der  erotischen  Hörigkeit  des  Mannes  aus  bewußter  Inspiration 
vornehmer  Frauen  und  gewissermaßen  auf  deren  Wunsch  und 
Befehl  entstanden  sei.  Die  unabhängigen  Fürstinnen  Süd- 
frankreichs hätten  ihre  Freiheit  in  geistreicher  Weise  dazu  benutzt, 
von  den  Dichtern  ihrer  Höfe  die  erotische  Hörigkeit  des  Mannes 
postulieren  zu  lassen.  Und  so  hätten  wahrscheinlich,  zusammen 
mit  einigen  begabten  Dichtern  einige  hervorragende  Frauen 
fürstlichen  Standes  den  Minnesang  recht  eigentlich  geschaffen. 

Es  wird  mir  schwer,  ja,  es  ist  mir  unmöglich,  an  eine  so 
bewußte,  tendenziöse  Schöpfung  des  Minnesangs  zu  glauben. 
Literarische  Strömungen  von  Wert  und  Bedeutung  pflegen  nicht 
auf  W' unsch  oder  Befehl  noch  so  geistreicher  Männer  oder  Frauen, 
nicht  auf  fürstlichen  Wink  zu  erstehen. 

Diejenigen,  die  auf  Frauenbefehl  dichteten,  die  Überlegenheit 
der   Frau   und   die   Hörigkeit   des   Mannes   verkündeten,   waren 


184  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

dienende,  gelehrte  Hofsänger.  Von  ihnen  geht  der  Minnesang 
aus,  nicht  von  den  Rittern.  Diese  Auffassung,  daß  im  Gegensatz 
zu  dem  LiebesHed  der  Ritter  das  Minnehed  ein  Produkt  gelehrter, 
dienender  Hofdichter  gewesen  sei,  ist  ein  zweiter,  wichtiger  Punkt 
des  Wechsslerschen  Buches. 

Die  Frage,  welcher  Stand  das  Minnelied  und  die  Troubadour- 
poesie im  allgemeinen  geschaffen  habe,  ist  bisher  verschieden 
beantwortet  worden.  Diez  war  der  Ansicht,  daß  der  Bänkel- 
sängergesang nicht  mehr  geeignet  gewesen  sei,  die  höheren  Forde- 
rungen der  nach  feineren  poetischen  Genüssen  sich  sehnenden 
Edlen  zu  befriedigen  und  daß  daher  eine  kunstreichere,  gebildetere 
Poesie  aus  dem  Geiste  des  Rittertums  entsprungen  sei.  ,, Offen- 
bar gaben  die  Edlen  den  Anlaß  zu  derselben,  nicht  allein  mittel- 
bar, insofern  es  der  Geist  der  höheren  Gesellschaft  war,  der 
diese  Poesie  hervorgebracht  hat,  sondern  auch  unmittelbar 
durch  das  Anschlagen  der  ersten  Akkorde."  Die  Dienstleute 
der  Edlen  hätten  sich  dann  bald  dieser  neuen  Art  des  Dichtens 
bemächtigt  und  diese  Poesie  zu  einer  Kunst  ausgebildet,  sowie 
zu  einem  Mittel  des  Erwerbes  gemacht.  Sie  seien  teils  dienende 
Ritter  gewesen,  teils  aus  niederer  Ordnung  der  Gesellschaft 
hervorgegangen.^)  Vollkommen  teilt  diese  Ansicht  Stimming, 
wenn  er  in  Gröbers  Grundriß  (II,  2  p.  15)  ausführt,  daß  die  Ange- 
hörigen der  ritterlichen  Stände  sich  so  eifrig  und  erfolgreich  in 
der  Dichtkunst  versuchten,  daß  ihr  Beispiel  auch  auf  die  nicht 
zu  ihrem  Stande  gehörigen  Dichter  wirkte. 

Eine  andere  Auffassung  vertritt  Restori.  Die  mit  der  Ver- 
feinerung des  Adels  aus  Jongleurs  zu  Troubadours  gewordenen 
Sänger  im  Gefolge  der  Herren  hätten  die  volkstümliche  Dichtung, 
indem  sie  sich  dem  kultivierteren  Geschmack  ihrer  Auftrag- 
geber anpaßten,  aristokratisiert.  Da  sie  sich  in  untergeordneter 
Lage  befanden,  so  erklärt  sich  ihr  Respekt  gegenüber  der  Gattin 
des  feudalen  Barons,  der  natürlichen  Herrin  des  Hofes.  Daher 
habe  die  lyrische  Dichtung  der  Provenzalen  von  Anfang  an 
das  so  charakteristische  Gepräge  der  grenzenlosen  Ergebenheit 
gegenüber  der  Herrin,  einen  Zug,  den  dann  die  Ritterschaft 
organisierte  und  in  Regeln  brachte. 

Läßt  Diez  die  Ausbildung  der  von  den  Rittern  geschaffenen 
Poesie  zu  einer  Kunst  das  Werk  der  dienenden,  ritterlichen 
und  nichtritterlichen  Sänger  sein,  so  schreibt  umgekehrt 
Restori  die  weitere  Entwicklung  der  von  berufsmäßigen  Dichtern 
begonnenen  Dichtung  den  ritterlichen  Kreisen  zu. 

Wechssler  nun  schließt  die  Ritter  so  gut  wie  gänzhch  aus. 
Der  Minnesang  ist  ihm  seinem  Wesen  nach  eine  auf  philosophische 
Vertiefung  hinzielende,  gelehrte   Dichtung.      Gerade  im  Anfang 


8)  Die  Poesie  der  Troubadours.    Zweite,  verm.  Auflage  v.  K.Bartsch 
(1883)  p.  14  ff. 


Wechssler,  Eduard.  185 

konnte  sich  am  Minnesänge  nur  beteiligen,  wer  eine  gelehrte 
Bildung  besaß.  Mit  dem  Aufkommen  des  gelehrten  Minnesangs 
wurde  die  ritterliche  Liebespoesie,  deren  Ziel  nicht  in  der  Liebes- 
werbung, sondern  im  Liebesgenuß  lag,  verdrängt,  und  es  bemäch- 
tigten sich  der  neuen  Dichtart  die  vornehmen  Kreise,  für  die  der 
Frauendienst  nur  eine  Maske  war. 

Wechssler  macht  keinen  Versuch,  diese  Frage  der  Ablösung 
der  ritterlichen  Liebesdichtung  durch  den  eigentlichen  Minnesang 
in  methodischer  Untersuchung  zu  behandeln.  Er  sagt  nur  im 
Vorbeigehen,  daß  die  Aneignung  des  höfischen  Frauendienstes 
durch  die  Ritterschaft,  die  Erhebung  dieses  Dienstes  zur  vor- 
nehmsten Pflicht  sich  bereits  zur  Zeit  Wilhelms  IX.  vollzogen 
habe.  Diese  Andeutung  steht  jedoch  im  Widerspruch  zu  der 
Annahme,  nach  der  die  genannten,  nach  Wilhelm  IX.  lebenden 
Fürstinnen  des  12.  Jahrhunderts  die  Kultur  der  cortezia  und  den 
Minnesang  recht  eigentlich  erst  geschaffen  haben  sollen. 

Nach  Wechsslers  Auffassung  hat  das  echte  und  ursprüngliche 
Minnelied  nie  etwas  mit  wirklicher  Liebe  zu  tun  gehabt.  Ihm 
ist  das  echte  Minnelied  seiner  ursprünghchen  und  wesentlichen 
Bestimmung  nach  in  den  meisten  Fällen  ein  politischer  Pane- 
gyrikus  des  berufsmäßig  dienenden  Lobdichters  auf  die  Herrin 
des  Hofes,  und  zwar  in  der  Form  der  persönlichen  Huldigung. 
Die  Dichter  huldigten  der  Fürstin  als  dem  Sproß  eines  feudalen 
Geschlechtes,  nicht  als  Weib,  sondern  als  Gebieterin  des  Landes. 

Schon  Uhland  hat,  indem  er  an  die  Dichtung  der  deutschen 
Ministerialen  dachte,  den  Frauendienst  als  Fortbildung  und 
Vergeistigung  des  angeerbten  Hofdienstes  bezeichnet. 

Aus  dem  Hofdienst  des  dienenden  Sängers  konnte  sich, 
so  folgert  Wechssler,  das  Minnelied  entwickeln,  indem  der  Sänger 
das  Prinzip  der  persönlichen  Neigung,  auf  dem  aller  feudaler 
Dienst  beruhte,  auch  auf  seinen  Dienst  bei  der  Fürstin  übertrug. 
^^'enn  die  Beteuerungen  der  Liebe  und  Treue  den  Minnesang 
erfüllten,  so  geschah  das  gemäß  den  Anschauungen  der  Zeit- 
genossen, die  für  allen  Hof-  und  Kriegsdienst  persönliche  Neigung 
und  Ergebenheit  forderten.  Durch  diese  Übertragung  der  Dienst- 
ergebenheit auf  das  Gebiet  der  Liebe  war  nun,  schließt  Wechssler, 
für  die  Kunst  unendlich  viel  gewonnen;  denn  was  vorher  in 
bloßem  Lob  und  im  allgemeinen  gesprochen  worden  war,  wurde 
nun  von  einem  liebenden  Herzen  lebhaft  gefühlt  und  mit  Leiden- 
schaft geäußert  (p.  153). 

Wenn  der  Vorgang  so  zu  denken  ist,  so  müßte  hier  der  eigent- 
liche Kern  der  Minnepoesie  liegen;  denn  die  Frage  ist  die  ent- 
scheidende: Wie  konnte  innerhalb  des  Dienst-  und  Ergeben- 
heitsverhältnisses, innerhalb  des  bloßen  Lob-  und  Preisliedes 
das  Element  der  Liebe  auftreten,  von  dem  doch  in  ihrer  Gesamt- 
heit die  Minnepoesie  aufs  stäi'kste  durchtränkt  ist.  Wechssler 
gibt   eine  äußerlich  bestechende  Erklärung,  indem  er  sagt,    die 


186  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

Liebe  ergab  sich  dadurch,  daß  man  den  Dienst,  weil  er  eben 
als  auf  persönlicher  Verehrung  beruhend  gedacht  wurde,  ins 
Erotische  umdeutete,  wie  man  umgekehrt  das  innere  Erlebnis 
unter  den  präzisen  Formeln  und  der  anschaulichen  Symbolik 
des  feudalen  Rechtes  darstellte.  Sobald  also  das  Neigungs- 
verhältnis, wie  es  zwischen  senior  und  homo  bestand  oder  bestehen 
sollte,  einen  Hofdichter  und  eine  Fürstin  verband,  war  alles 
weitere  gegeben,  und  niemand  in  diesen  aristokratischen  Kreisen 
konnte  in  den  Liebesbeteuerungen  des  dienenden  Dichters  einen 
Verstoß  gegen  Rechtsbrauch  oder  Etikette  bemerken.^) 

Ist  die  Entwickelung  so  gewesen,  so  ist  klar,  daß  es  sich  von 
Anfang  an  um  ein  fiktives  Liebeswerben  handelte,  mochte  im 
übrigen  die  Versicherung  von  Liebe  und  Treue  des  Dienenden 
aufrichtig  oder  geheuchelt  sein.  Eine  Erwiderung  der  Sänger- 
liebe durch  die  Herrin  war  ausgeschlossen,  sie  konnte  ihm  höchstens 
materiellen  Lohn  gewähren.  Tatsächlich  ist  denn  auch  für 
Wechssler  der  Minnesang  nichts  anderes  als  eine  Lügendichtung. ^'^) 
Den  Sängern  fiel  es  in  der  Regel  nicht  ein,  zu  glauben,  es  könnten 
ihre    Liebesbeteuerungen  ernst  genommen  werden. 

Diese  starke  Betonung  des  höfischen  Dienstverhältnisses 
führt  ganz  folgerichtig  den  Verfasser  zu  dem  Urteil:  ,,Der  feudale 
Hofdienst,  ob  erstrebt  oder  erreicht,  war  dem  Dichter  und  der 


^)  Die  Annäherung  von  feudaler  und  sexueller  Liebe  ist  nach 
Wechssler  nicht  innerhalb  des  Dienst-  und  Lobliedes  neu  entwickelt 
worden,  sondern  zugleich  von  außen  hineingetragen;  und  zwar  seien 
die  hauptsächlichsten  Quellen  Ovid  und  das  Maitanzlied  gewesen. 
Auch  sei  schon  zuvor,  meist  durch  die  Ependichter,  das  feudale  Treu- 
verhältnis ins  Erotische  umgedeutet  worden  (p.  177). 

^^)  Den  Nachweis,  daß  der  Minnesang  seinem  Wesen  nach  eine 
Lügendichtung  ist,  versucht  besonders  das  12.  Kapitel  ,,Der  Liebes- 
wahn" zu  führen.  Die  angegebenen  Gründe  können  aber  kaum  als 
zwingend  angesehen  werden.  So  soll  das  Verbum  cuidar  mit  seinen 
substantivischen  Ableitungen  den  Terminus  für  den  Liebeswahn  der 
Troubadours  geliefert  haben.  Die  Troubadours  seien  sich  der  Aus- 
sichtslosigkeit ihrer  fiktiven  Liebe  bewußt  gewesen  und  hätten  dann 
und  wann  durch  den  scheinbaren  Ernst  ihrer  Beteuerungen  ihre  wahre 
Stimmung  hindurchblicken  lassen.  Cuidar  bedeutet  glauben,  sich 
einbilden  und  drückt  gelegentlich  wohl  auch  gerade  das  Ungewisse 
des  bloßen  Glaubens  und  Meinens  aus.  Keineswegs  aber  liegt  ihm 
stets  die  Vorstellung  eines  eitlen  Wahnes,  eines  leeren  Traumes  zu- 
grunde. Ganz  sicher  nicht,  um  nur  diese  Belege  heranzuziehen,  in 
den  drei  ersten,  auf  Seite  190  angeführten  Beispielen.  Ohne  weiteres 
muß  ausscheiden  die  Stelle  aus  der  bekannten  Romanze  des  Peire 
von  Auvergne: 

Mos  cuidatz  Vens  ni  glatz 

Es  bos  falz:  Ni  estatz 

Nom  pot  far  tortura  Ni  cautz  ni  freidura. 

Wir  haben  es  nämlich  in  diesen  Versen  ganz  und  gar  nicht  mit  der 
fingierten  Liebe  eines  dienenden  Sängers  zu  einer  hohen  Herrin  zu  tun, 
sondern  es  sind  aus  echtem  und  innigem  Liebesgefühl  stammende 
Worte  der  Frau,  Verse  aus  der  Antwort  der  Geliebten  auf  die  Botschaft 
des  Liebenden. 


Wechssler^   Eduard.  187 

Adressatin  das  eigentlich  Reale  dieser  scheinbar  so  weltfremden 
Poesie"  (p.  176).  Gegen  diesen  Satz  empört  sich  in  seiner  Be- 
sprechung Savj-Lopez:  Nein!  Das  eigentlich  Reale  war  für  den 
Troubadour  wie  für  jeden  Dichter  la  propria  intuizione  e  La  sen- 
sibilüä  artistica.  Wenn  auch  Furcht  und  Angst  vor  der  Herrin 
im  Dichter  mächtig  sind,  mit  welchem  Recht  können  wir  sagen, 
daß  solcher  Geisteszustand  aus  der  Unterwürfigkeit  eines  Vasallen 
vor  seiner  Herrin  komme,  anstatt  aus  dem  exaltierten  Kult  der 
Weiblichkeit  oder  der  Liebe  ? 

In  der  Tat,  nichts  zwingt  uns,  die  Ritter  bei  der  Frage  nach 
der  Entstehung  des  Minnesangs  beiseite  zu  schieben.  Gewiß 
mögen  sie  das  Dichten,  auch  das  Dichten  von  Liebesliedern 
von  berufsmäßigen  Dichtern  gelernt  haben.  Aber  mehr  als  die 
Technik  zunächst  vielleicht  nicht.  Wirkliciies  Liebesgefühl 
zu  Frauen  ihres  Standes  siclier  nicht.  Ja,  ohne  sie  möchte  das 
Element  der  Liebe  im  Minnesänge  schwer  zu  erklären  sein.  Es 
ist  nicht  einzusehen,  trotz  der  Wechsslerschen  geistreichen  Er- 
klärung, wie  der  um  materiellen  Lohn  dienende  Sänger,  der 
Unterhaltungskünstler,  das  Lob  der  Herrin  in  die  Sprache  der 
sehnenden  Liebe  hätte  kleiden  können  und  dürfen.  Die  Liebe 
mit  der  Hoffnung  auf  Besitz  —  mag  sie  nocii  so  schwach  sein, 
vorhanden  ist  sie  im  Minnelied,  gespielt  wird  mit  ihr  —  durfte 
nur  der  Ranggleiche  erklären.  Oft  genug  mag  es  im  Leben  vor- 
gekommen sein,  daß  ein  adeliger  Mann  um  die  Liebe  einer  adeligen 
Frau  warb.  Und  es  liegt  nahe,  sich  vorzustellen,  daß  die  an  den 
Ton  höfischer  Etikette  gewohnte  Frau  dem  Werbenden  bei  seinen 
Bemühungen  um  ihre  Gunst  zarte  und  respektvolle  Formen  auf- 
erlegte, daß  sie  nicht  unempfänglich  für  poetische  Huldigungen 
war.  Wenn  Wilhelm  IX.  in  dem  Liede  „Farai  chansoneta  nueva" 
ausspricht : 

Ma  dona  m'assai    em  prueva, 
Quossi  de  quäl  guiza  l'am, 


Auch  die  Verse  Bernhards  von  Ventadour: 

Que  SOS  cors  es  bels  e  bos 

E  blancs  sotz  la  vestidura  - — 

Eu  non  o  die  mas  per  cuida. 
haben  nichts  mit  Liebeswahn  zu  tun.  Der  Dichter  will  nur  sagen, 
daß  er  die  Schönheit  des  Körpers  der  Dame  nicht  aus  eigenster,  in- 
timster Kenntnis  rühme,  sondern  weil  er  sie  sich  so,  wie  er  sie  schildert, 
einbilde.  Ebenso  bedeutet  cudars  in  dem  Giraut  de  Bornelh  entlehnten 
Zitat  nicht  Liebeswahn,  sondern  das  vertrauensvolle  Denken  an  die 
Herrin. 

Schwieriger  ist  es,  jeweils  den  genauen  Sinn  des  von  Wechssler 
zur  Stütze  seiner  Auffassung  herangezogenen  Begriffs  fenher  fest- 
zustellen. Oft  heißt  fenher  sicher  nichts  anderes  als  heucheln,  Ver- 
liebtheit vorgeben.  Aber  nicht  immer.  So  glaube  ich  z.  B.  nicht, 
daß  in  den  Versen 

E  d^iina  chan  e  d'unam  fenh 

E  d'aquelha  Miraval  tenh 


188  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

so  möchte  diese  Wendung  wohl  auf  eine  wirkhch  erfolgte  Auf- 
forderung der  Dame  an  ihren  Liebhaber,  sich  in  poetischer  Form 
über  die  Art  und  Weise  seiner  Liebe  zu  äußern,  hindeuten.  Wir 
hätten,  wenn  diese  Vermutung  richtig  ist,  eine  direkte  Inspiration 
der  Dame,  aber  nicht  zu  dem  Liede  eines  dienenden  Sängers, 
sondern  eines  hochgeborenen,  zu  den  Mächtigsten  der  Erde 
rechnenden  Grafen.  Und  dieser  Graf  beteuert  seine  Liebe  in 
Ausdrücken  der  tiefsten  Ergebenheit,  in  der  untertänigsten 
Vasallensprache.  Muß  er  diese  erst  von  wirkHchen  Vasallen 
erlernt  haben  ?  Konnte  er  nicht  von  seiner  Höhe  herab  das 
Vasallitätsverhältnis  ebenso  gut  als  die  typische  und  sprechendste 
Form  einer  Untertänigkeit  auch  im  Liebesverkehr  betrachten, 
wie  umgekehrt  der  Dienende  aus  seiner  tieferen  Lage  heraus  ? 
War  es  nicht  gerade  eine  besonders  glückliche  Schmeichelei, 
wenn  der,  der  sich  kaum  von  seiner  Vasallitätspflicht  gegenüber 
dem  König  von  Frankreich  bedrückt  fühlte,  der  begehrten  Dame 
gegenüber  sich  als  ergebener  Vasall  beugte  ?  Es  lag  eigentlich 
viel  näher,  daß  der  Unabhängige  zu  solch  einer  Metapher  griff, 
als  der,  der  ohnehin  schon  im  Abhängigkeitsverhältnis  stand. 
Was  hätte  denn  der  Diener  so  sehr  Neues  und  Eindrucksvolles 
gesagt,  wenn  er  sagte,  Herrin,  ich  bin  Euer  ergebenster  Diener  ? 
Wenn  man  die  Lieder  des  Gi^afen  betrachtet,  so  fällt  sogleich 
der  Mangel  an  Einheit  und  Stimmung  in  ihnen  auf.  Zweifellos 
war  der  Graf  dichterisch  begabt,  aber  ebenso  zweifellos  hat  er 
von  den  Jongleurs  in  seinem  Solde  gelernt.  Einzelne  seiner 
Lieder  sind  sicher  Nachahmungen  von  Stücken  aus  dem  Jongleur- 
repertoire, z.  T.  mit  deutlicher  Durchsetzung  des  rücksichtslosen, 

Raimund  von  Miraval  selbst  zugestehen  wollte,  daß  seine  Minne  nur 
erheuchelt  sei.  Se  jenher  bedeutet  hier  tatsächlich  sich  bemühen. 
Wir  haben  es  bei  diesem  Worte,  wie  bei  so  manchen  von  den  Trou- 
badours angewendeten,  nicht  mit  einem  scharf  nach  allen  Seiten  hin 
abgegrenzten  Begriffe  zu  tun,  sondern  mit  dem  sprachlichen  Ausdruck 
einer  sehr  komplizierten  Vorstellung,  deren  Bedeutung  von  Fall  zu 
Fall  in  ihrem  eigentlichen  Wert  erschlossen  werden  muß.  Daß  es 
Minnelieder  gibt,  in  denen  es  sich  nur  um  erheuchelte  Liebe  handelt, 
ist  richtig.  Nur  erscheint  es  fraglich,  ob  man  gerade  solche  Lieder 
heranziehen  darf,  um  aus  ihnen  das  eigentliche  Wesen  des  Minnesangs 
abzuleiten.  Das  echte  Minnelied  tritt  mit  dem  Anspruch  auf,  wahre 
Gefühle  zu  schildern.  D  i  e  Realität,  welche  Biographien  und  razos 
manchen  Liedern  andichten,  liegt  ihnen  zwar  in  der  Regel  nicht  zu- 
grunde, sondern  eine  poetische,  in  der  Phantasie  des  Dichters  lebende 
Wirklichkeit. 

Zum  Beweise,  daß  der  Minnesang  als  Lügendichtung  zu  betrachten 
ist,  kann  auch  nicht  die  auf  S.  197  angeführte  Stelle  aus  der  fingierten 
Tenzone  des  Mönchs  von  Montaudon  mit  dem  Herrgott  herangezogen 
werden: 

Seigner!  eu  tem  que  faillis,  Qu'om  peri  vostr'  amor  e  vos 

S^eu  jatz  coblas  ni  chanzos:  Qui  son  escient  mentis. 

Der  Mönch  spricht  hier  nicht  nur  vom  Minnesang,  sondern  ganz 
allgemein  von  weltlichem  Dichten,  das  von  kirchlichem  Standpunkt 
aus  kaum  etwas  anderes  als  ein  Lügen  ist. 


Wechssler,  Eduard.  189^ 

freischaltenden  Herrenstandpunktes.  Zynisch,  unflätig  und  roh 
sind  diese  Lieder,  wie  es  sicher  viele  der  Darbietungen  waren, 
welche  die  in  allen  Sätteln  gerechten  Jongleurs  auf  Märkten 
so  gut  wie  in  Schlössern  vortrugen.  Neben  diesen  derben  Stücken, 
in  mehreren  Abstufungen,  stehen  die  Lieder,  in  denen  der  Frauen- 
dienst erscheint,  als  Erzeugnis  desselben  Mannes.  Das  hat  nichts 
Seltsames.  Eine  andere  Unterhaltung  führt  der  Baron  unter  dem 
Kriegszelt,  zu  Pferd  und  beim  Becher,  als  in  Gegenwart  der 
Damen,  als  vor  der  Dame,  die  er  um  ihre  Liebe  bittet.  Durch 
das  ganze  Mittelalter  geht  dieser  Doppelton  in  Liebessachen, 
oft  in  den  Werken  ein  und  desselben  Verfassers  hindurch.  Der 
Graf  verfügte  über  den  einen  wie  über  den  anderen  Ton.  War 
er  wirklich  der  Frauenverführer,  als  der  er  gilt,  so  werden  ihm 
auch  die  sanftesten  Töne  verliebter  Huldigung  zu  Gebote  ge- 
standen haben,  so  gut  wie  dem  fahrenden  Sänger,  wie  dem  ge- 
lehrtesten  Troubadour. 

Was  den  Grafen  zu  Liebesliedern  bewegte,  war  die  Liebe, 
war  seine  erregte  Sinnlichkeit.  Er  war  im  Augenblicke  verliebt 
und  wollte  gewinnen.  Seine  Gefühle  mußten  durch  einen  gewissen 
Zwang  hindurch,  durch  einen  Zwang,  den  die  ersehnte  Frau  ihm 
auferlegte,  aus  natürlicher  Zurückhaltung,  Koketterie  und  aus 
den  sich  bildenden  spielerischen,  gesellschaftlichen  Konventionen 
heraus.  Was  beide  antrieb,  war  im  Grunde  nichts  Gemachtes 
und  Unnatürliches,  sondern  war  etwas  allgemein  Menschliches. 
Indem  das  Weib  sich  ungestümem  Verlangen  gegenüber  versagt, 
sich  um  ihre  Gunst  bitten  läßt,  offenbart  sich  um  so  deutlicher 
dem  Werbenden  der  Wert  der  Begehrten,  erkennt  er  ihre  Vorzüge 
und  erdichtet  er  sich  neue  in  seiner  erotisch  erregten  Phantasie. 
Solche  Vorgänge  mögen,  wie  zu  allen  Zeiten,  so  auch  im  Liebes- 
leben und  im  Minnesang  jener  Zeit  sich  ereignet  haben.  Es  soll  nicht 
behauptet  werden,  daß  mit  seinen  Liedern  der  Graf  den  Minne- 
sang geschaffen  hätte,  aber  es  soll  die  Ansicht  vertreten  werden, 
daß  aus  der  allgemein  menschhchen  Wirklichkeit  wahrer  Liebes- 
gefühle, deren  Erfüllung  von  dem  zurückhaltenden  Willen  der 
Frau  abhing,  innerhalb  des  Adels,  ohne  Belehrung  durch  gelehrte 
Sänger  und  ohne  Vorbild  fiktiver  Liebeswerbung  eine  Dichtung 
erstehen  konnte,  die  wie  der  Minnesang  des  12.  Jahrhunderts 
den  Mann  in  freiwilliger  Unterordnung  sich  vor  der  ersehnten 
Frau  beugen  ließ. 

Die  Zeitumstände  waren  damals  der  Frau  günstig.  Es  war 
eine  Zeit,  in  der  Phantasie  und  Gefühl  mächtig  erregt  wurden  ; 
eine  Zeit,  die  den  Menschen  für  die  Schönheiten  und  Wunder 
des  Daseins  empfänglich  zu  machen  begann  und  ihn  zugleich 
mit  Innerlichkeit  erfüllte.  Was  aus  der  reichen  Realität  des 
rein  Menschlichen  und  Sinnlichen  heraus  geboren  worden  war, 
und  in  all  seiner  frohen  Jugendkraft  in  die  Zucht  der  guten 
und  schönen  Sitte  genommen  wurde,  das  wurde  nun  in  seiner 


190  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

weiteren  Entwicklung  durch  die  gedankliche  Arbeit  der  Theorie 
zur  Höhe  des  Ideals  erhoben.  Und  diese  Vollendung  mag  denn 
wohl  das  Werk  anderer  Begabung  sein,  als  sie  der  kriegerische, 
verheb te  und  galante  Ritter  aufzuweisen  hatte.  Nun  mögen  die 
Gelehrten  zu  Worte  kommen,  da  nämlich,  wo  es  sich  um  die 
Ausbildung  oder  auch  Erstarrung  der  Gefühle  zur  Theorie 
handelt. 

Es  darf  in  diesem  Zusammenhange  an  einen  lehrreichen 
Aufsatz  ,,Dolce  stil  novo  e  noel  dig  de  nova  maestria"  von  Gesare 
De  Lollis  erinnert  werden. ^^)  Dort  wird,  nicht  ganz  in  Über- 
einstimmung mit  unseren  Ausführungen,  die  Ansicht  vertreten, 
daß  die  provenzahsche  Poesie  aus  der  bänkelsängerischen  der 
Jongleurs  sich  zur  troubadourmässigen  höfischen  erhoben  habe 
passando  a  traverso  la  scuola.  Das  Schulmäßige,  Intellektuelle, 
Theoretische  erklärt  sich  dadurch,  daß  das  stürmische  Gefühl 
nicht  zu  seinem  Ausdruck  kam,  ohne  erst  zahlreiche  Konzessionen 
an  den  Intellekt  zu  machen.  Die  schulmäßige  Formel  war  etwas 
wie  ein  Geleitbrief  des  persönlichen  Gefühls,  der  diesem  die 
Möglichkeit  gab,  sich  in  jener  disziplinierten  Gleichförmigkeit 
zu  äußern,  die  uns  heute  auffällt.  Auf  diese  Weise  geschah  es, 
daß  die  Troubadours  zuerst  in  die  Liebessprache  die  objektive 
Note  der  philosophischen  Überlegung  einführten  und  so  als  die 
ersten  die  Liebe  in  das  Reich  des  Intellekts  erhoben. 

Wichtig  für  uns  in  dieser  schönen  Erklärung  ist  die  Zurück- 
führung  der  Troubadourpoesie  auf  das  heftig  erregte  Gefühl. 
Im  Gegensatz  zu  De  Lollis,  suchen  wir  es  nicht  ausschließlich 
bei  den  Jongleurs,  sondern  ebensogut  und  mit  demselben  Recht 
bei  den  adeligen  Herren.  Sie  mochten  auch  in  der  Folgezeit  mehr 
bei  dem  Ausdruck  ihrer  spontanen  Gefühle  verharren,  sie  unter- 
warfen sich  schwerer,  wie  jeder  Zucht,  so  auch  der  Disziplin  des 
Gedankens,  unter  ihnen  mochten  wolil  aucli  manche  sein,  denen 
Zittern  und  Zagen,  geduldiges  Dienen  um  ein  Weib  unwürdig 
eines  edlen  Barons  erschien,  aber  in  unvereinbarem  Widerspruch 
zu  ihrem  Herrensinn  steht  die  aus  warm-sinnlichen  Liebesgefühl 
geborene  poetische  Liebessprache  nicht,  höchstens  die  intellek- 
tuelle Ausarbeitung  der  gehobenen  Liebesempfindungen  zu 
schulmäßiger  Theorie. 

Wenn  wir  die  Auffassung,  die  Wechssler  von  Ursprung  und 
Entwicklung  des  Minnesangs  entwickelt,  im  Zusammenhang 
betrachten,  so  erhalten  wir  etwa  folgendes  Bild:  Der  Minnesang 
ist,  um  es  noch  einmal  zu  wiederholen,  aus  bewußter  Inspiration 
vornehmer  Frauen,  die  ihre  Macht  und  Freiheit  benutzten,  um 
in  geistreicher  Weise  die  erotische  Hörigkeit  des  Mannes  postulieren 
zu  lassen,  von  dienenden  Hofdichtern  geschaffen  worden.     Und 


")  Studi  medievali  I  (1904)  p.  5  ff. 


Wcchssler.   Eduard.  191 

zwar  gab  außerdem  im  Anfang  die  entscheidende  Anregung 
Ovid.  Aus  Ovid  gewinnt  der  Minnesang  eine  Reihe  von  Vor- 
stellungen, z.  B.  von  der  Liebe  als  Krankheit,  als  Zwang,  Dienst, 
Lob,  Schmeichelei  etc.;  literarische  Anregungen,  die  nach  zeit- 
genössischen Anschauungen  in  neue,  der  Zeit  entsprechende 
Formen  umgesetzt  wurden.  Er  hat  dann  verschiedene  Stufen 
durchlaufen.  Vom  Frauenlob  hat  er  sich  über  Frauendienst 
zu  Frauenkult  und  schließlich  zu  einer  Art  von  höfischer  Religion 
entwickelt.  Oder,  anders  ausgedrückt,  die  dienende  Liebe  des 
feudalen  Sängers  wuchs  aus  der  rechtlichen  Sphäre  in  die  sittliche 
empor,  aus  dem  heiteren  Spiel  wurde  eine  ernste  und  große  An- 
gelegenheit, die  leeren  Formen  füllten  sich  mit  Gehalt.  Indem 
die  Frauen  als  Kulturschöpferinnen  betrachtet  und  dem  Denken 
und  Geschmack  der  Zeitgenossen  entsprechend  als  heihg  gepriesen 
wurden,  erwuchs  aus  dem  feudalen  Frauendienst  die  höfische 
Religion.  Da  für  die  klassische  Ausbildung  des  Minnesangs 
die  Mystik,  der  christliche  Spiritualismus  maßgebend  wurden, 
so  gingen  manche  aus  Ovid  bekannte  rhetorische  Phrasen  in 
mystische  Vorstellungsreihen  über.  Wie  der  religiöse  Mystiker 
mit  ^yillen  mystische  Stimm-ung  und  Ekstase  erzielt,  so  gewöhnte 
sich  der  Berufsdichter  auf  Befehl  der  Herrin  die  Gefühle  herbei- 
zurufen, die  er  schildern  sollte.  War  im  Anfang  —  und  doch 
wohl  auch  während  des  ganzen  Verlaufs  —  die  fiktive  Voraus- 
setzung des  MinneHedes  die  Täuschung,  als  könnte  die  Fürstin 
nach  freiem  W'illen  die  Neigung  ihres  Herzens  versagen  oder 
verschenken,  so  erhebt  sich  diese  Dichtung  zu  der  tiefen  Auf- 
fassung, es  solle  die  demütig  dienende  Sängerliebe  zu  hoch- 
stehenden Frauen  die  Erziehung  und  Bildung  von  Mann  und 
Weib  vollenden. 

Die  leeren  Formen  füllten  sich  mit  Gehalt,  das  ist  der  Charak- 
ter der  Wechsslerschen  Entwicklungslehre. 

Wieder  hat  Wechssler  nicht  den  Versuch  gemacht,  die  von 
ihm  vorgetragene  Ansicht  durch  eine  entwicklungsgeschichtliche 
Darstellung  zu  beweisen.  Wie  aus  Äusserungen  der  Einleitung 
hervorgeht,  hat  er  wohl  mit  Absicht  auf  ein  solches,  ihm  einst- 
weilen noch  unmöglich  erscheinendes  Verfahren  verzichtet.  Doch 
es  ist  ein  gefährUches  Spiel,  großzügige  Entwicklungsreihen  auf- 
zustellen, ohne  daß  ihre  Ordnung  und  Folge  sich  aus  dem  genauen, 
auf  chronologisch-vergleichendem  Studium  aufgebauten  Durch- 
arbeiten des  Materials  zwingend  ergibt. 

Und  wie  steht  es  mit  den  Dichtern  selbst  ?  Was  hat  ihr 
eigenstes  Genie  mit  der  Entwicklung  zu  tun?  Wir  haben  die 
Inspiration  vornehmer  Frauen,  die  entscheidende,  literarische 
Anregung  durch  Ovid,  die  künstliche  Erzeugung  von  mystischen 
Gefühlen  auf  Befehl  der  Herrin.  Wo  bleibt  da  die  eigentliche 
dichterische  Inspiration  ?  Sie  muß  doch  vorhanden  gewesen 
sein.     Auch  Wechssler  erkennt  sie  an.     Nicht  ungeschickt  ver- 


192  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Kiichler. 

bindet  er  die  eigene  Genialität  der  Dichter  mit  der  von  außen 
kommenden  Anregung.  Er  sagt:  „Was  diese  an  hohen  Möglich- 
keiten in  der  eigenen  Brust  einschlössen,  das  erschien  ihrem 
verzückten  Geist  als  Eingebung  der  Geliebten.  Sie  projizierten 
ihre  Genialität  nach  außen,  um  sie  von  dort  als  Inspiration 
zurück  zu  empfangen"  (p.  406).  Eine  sehr  schöne  Vorstellung. 
Sicher  ist  es  möglich,  daß  der  liebende  Dichter,  wie  der  Liebende 
überhaupt,  aus  den  wahren  oder  erträumten  Vollkommenheiten 
der  Geliebten  sich  zu  holen  glaubt,  was  an  Kraft  und  Begeisterung 
ihm  selbst  in  der  Seele  wohnt.  Es  ist  durchaus  möglich,  daß 
so  etwas  bei  den  Troubadours  sich  ereignete.  Aber  wenn  das 
der  Fall  war,  dann  war  dieses  Gefühl  das  Primäre,  dann  war  es 
der  starke,  treibende  Keim,  aus  dem  die  spätere  Blüte  geworden 
ist;  dann  ist  das  wahre,  innere  Erleben,  der  Liebesdrang,  das  Ver- 
langen nach  dem  Ideal,  das  Bedürfnis  nach  Hingabe  von  Dichter- 
naturen die  letzte  Ursache  dieser  so  ganz  auf  dichterisch-exal- 
tierten Gefühlen  begründeten  Dichtung  gewesen.  Dann  ist 
ihre  Glut,  ihr  Enthusiasmus  den  Frauen  ihrer  Zeit  zugute  ge- 
kommen. Und  nicht  diese  haben  geschmeidige  Höflingsnaturen 
zu  geistreichen,  ihrer  Fraueneitelkeit  schmeichelndem  Jhema 
verholfen.  Die  Anregung  durch  Frauen,  mochte  sie  sich  zuweilen 
auch  zu  ganz  bestimmten  Wünschen  verdichten,  war  das  Sekun- 
däre, ebenso  wie  die  Anregung  durch  Ovid. 

Auch  Wechssler  kann  sich  der  Herleitung  der  tiefsten  Werte 
des  Minnesangs  aus  dem  innerlich  Erlebten  nicht  verschließen, 
wenn  er  die  Tat  der  Auflehnung  gegen  die  Weltanschauung  der 
mächtigen  mittelalterlichen  Kirche  aus  dem  Mute  geschehen 
läßt,  der  nur  aus  selbsterlebter  Überzeugung  und  Erfahrung 
der  besseren  Männer  der  höfischen  Kreise  kommen  konnte,  und 
wenn  er  feststellt,  daß  diese  Tat  schon  die  der  ältesten  Trou- 
badours gewesen  sei  (p.  433). 

Warum  hat  er  nicht  versucht,  diese  innere  Wirklichkeit, 
diese  besseren  Männer,  diese  begabten  Dichter  zum  Ausgangs- 
punkt, zu  den  Trägern  der  Entwicklung  zu  machen  ?  Wer  schafft 
denn  in  aller  Welt  alles  Neue,  Eigenartige  und  Große  ?  Doch 
immer  nur  die  Besseren  und  Begabteren,  und  doch  immer  aus 
kräftiger,  wenn  auch  idealer  WirkUchkeit  heraus,  doch  nie  aus 
Konvention,  Fiktion  und  Lüge.  Die  leeren  Formen  füllten  sich 
mit  Gehalt:  eine  solche  Entwicklung  widerspräche  aller  Erfahrung. 
Nie  steht  am  Anfang  eine  leere  Form.  Sondern  es  sucht  sich 
geistiges  Leben  aus  dämmerigen  Anfängen  heraus,  tastend, 
kämpfend,  durch  Hemmungen  hindurch,  nach  Förderung  ver- 
langend, zu  der  Form  hinzuarbeiten,  in  der  es  sich  voll  erschöpfen 
kann,  in  der  all  sein  keimender  Reichtum  zur  Entfaltung,  zum 
wirksamsten  und  schönsten  Ausdruck  gelangen  kann.  Geist  und 
Form  wachsen  in  gemeinsamer  Einheit.  Sind  sie  beide,  als  ein 
Gebilde,  zur  Reife  gelangt,  so  ist  etwas  Unvergängliches  geworden. 


Wechssie f\  Eduard.  193 

Doch  kann  es  wohl  vorkommen,  daß  die  weiter  dichtenden  Epi- 
gonen in  gutem  Glauben  Inhalt  und  Form  in  der  alten,  voll- 
kommenen Einheit  weiterzuführen,  nur  die  äußere  Form  eine 
Zeit  lang  handhaben,  ohne  daß  sie  den  ihr  gemäßen  Gehalt  ihr 
noch  zu  geben  vermöchten. 

So  steht  die  an  Gehalt  leere  Form  jenseits  des  Höhepunktes 
der  Entwicklung,  nie  am  Anfang. 

Da  es  das  Gefühl  der  Liebe  ist,  das  im  Minnesang  eine  so 
ideale  Vertiefung  erfahren  hat,  so  ist  es  nicht  anders  möghch, 
als  daß  dieses  Gefühl  der  Keim  der  zu  philosophischer  Höhe 
sich  erhebenden  Dichtung  gewesen  ist.  Nicht  Lob  und  Dienst, 
nicht  fiktive  Werbung  ohne  Liebe  als  Schmeichelei,  nicht  politisch- 
panegyrische Huldigung  der  Landesfürstin,  sondern  die  Liebe 
von  Mann  zu  Weib.  Es  ist  der  Ruhm  jener  Zeit  als  eine  neue 
Entdeckung  die  beseligende  und  veredelnde  Kraft  der  Liebe 
der  Geschlechter  zueinander  verkündet  zu  haben.  Und  nur 
aus  der  Wirklichkeit  echter  Gefühle  heraus  konnte  man  so  über 
die  Liebe  nachdenken  lernen,  wie  es  im  Minnesänge  der  Fall  war. 

Sollte  wirküch  aus  der  nicht  vorhandenen  Liebe  zu  unnah- 
baren, vornehmsten  Frauen,  noch  dazu  aus  der  von  Wechssler 
angenommenen  tendenziösen  Absicht  heraus,  aus  reiner  Fiktion, 
auf  Grund  künsthch  erregter  Pseudogefühle  eine  Dichtung 
hervorgegangen  sein,  die  Sinnes-  und  Seelenhebe  in  idealste 
Höhe  hebt  ?  Mir  scheint,  die  vorgespiegelte  Liebe  der  unter- 
tänigen Hofdichter,  dieses  raffinierte  Spiel,  konnte  man  über- 
haupt gar  nicht  philosophisch  vertiefen.  Die  Pseudoliebes- 
dichtung  der  dienenden  Sänger  hat  nichts  Veredelndes  und 
Reinigendes,  sondern  im  Gegenteil  etwas  tief  Erniedrigendes. 
Sie  setzt  eine  Stim-mung  voraus,  die  unendlich  weit  entfernt  ist 
von  der  freiwilhgen  Unterordnung  des  Mannes  unter  die  Reinheit 
und  Hoheit  des  von  ihm  in  Wahrheit  geliebten  Weibes. 

Wechsslers  Darstellung  von  der  Stellung  des  dienenden 
Sängers  gegenüber  der  angebeteten  Herrin  gibt  sogar  ein  Bild 
tiefster  Würdelosigkeit  des  Mannes  und  Dichters,  so  daß  es, 
wenn  er  Recht  hat,  unerklärlich  bleiben  müßte,  wie  aus  dieser 
seiner  Niedrigkeit  heraus  so  erhabene  Gedanken  über  die  wahre 
Liebessehgkeit  aufsteigen  konnten. 


Es  ist  klar,  daß  Wechsslers  Auffassung  von  der  Stellung  des 
Sängers  in  der  höfischen  Gesellschaft  und  besonders  der  verehrten 
und  besungenen  Herrin  gegenüber  von  Wichtigkeit  für  seine 
ganze  Auffassung  vom  Minnesänge  ist.  Zunächst  legt  er  dar, 
daß  die  neue,  höhere  Schätzung  der  Persönhchkeit  auch  dem 
fahrenden  Sänger  und  Erzähler  zugute  gekommen  sei.  Der 
Sänger  mit  seiner  höfischen  Kunst  sei  der  geachtete  Genosse 
der  höfischen  Gesellschaft  geworden,  die  hohen  Herren  hätten 
freundschaftUch  mit  ihm  verkehrt,  und  daher  habe  er  auch  von 


194  Referate  und  Rezensionen.      VVaUher  Küchler. 

seiner  eigenen  Person,  seinen  persönlichen  Angelegenheiten 
in  seinen  Liedern  sprechen  können.  Diese  Darstellung  besteht 
sicher  zu  Recht. 

Ganz  besonders  nun  wäre  die  Stellung  des  Sängers  durch 
die  Kulturtat  der  vornehmen  Frauen  gehoben  worden.  Von 
ihnen,  den  fürstlichen  Gesetzgeberinnen  der  cortezia  wurden 
die  Standesunterschiede  aufgelioben.  Die  höfischen  Tugenden 
waren  Verdienst  der  Person,  nicht  der  Familie.  Nicht  mehr 
Adel  der  Geburt  machte  hoffähig,  sondern  Adel  der  Sitten.  Diese 
letzten  Sätze  muß  Wechssler  allerdings  sogleich  wieder  wesenthch 
einschränken  und  zugeben,  daß  man  nur  in  der  Theorie  den  Satz 
vertrat,  höher  als  Geburtsadel,  stehe  der  Adel  der  Bildung.  In 
seiner  Darstellung  aber  spricht  er  ihm  doch  auch  praktische  Be- 
deutung zu,  wenn  er  behauptet,  daß  an  diesen  Höfen,  an  denen 
das  Urteil  gebildeter  Frauen  entschied,  nun  auch  der  Arme  und 
Geringgeborene  (die  Troubadours  waren  zur  größeren  Hälfte 
niederer  Herkunft)  die  persönliche  Achtung  erwarb,  die  bisher 
der  Adel  für  sein  ausschließliches  Vorrecht  gehalten  hatte.  So 
hoch  stehen  nach  Wechsslers  Ansicht  die  Sänger  in  der  Achtung 
der  vornehmsten  Frauen,  daß  sie  ihre  Berater  in  höfischen  Sitten, 
in  ästhetischen  Dingen  waren,  ja,  daß  sie  gerade  an  die  Stelle 
des  Hauskaplans  getreten  w^aren. 

Zu  diesen  Ausführungen  von  Aufhebung  der  Standesunter- 
schiede und  von  der  gehobenen  Stellung  des  die  Herrin  beratenden 
und  besingenden  Sängers  wollen  schlecht  eine  Reihe  von  Be- 
merkungen passen,  welche  gerade  die  Inferiorität  des  dienenden 
Hofdichters  hervorheben.  So  heißt  es  p.  392,  der  dienende 
Frauensänger,  durch  seinen  Beruf  zu  unfreiwilHger  Erniedrigung 
verurteilt,  liatte  oft  zu  leiden  von  dem  Standeshochmut  der 
Vornehmen.  Ohne  Zweifel  war  das  nicht  selten  der  Fall.  Audi 
den  besungenen  Frauen  gegenüber  befand  sich  der  Sänger  nach 
Wechsslers  Annahme  in  einer  eigenartigen  Lage.  ,,Die  Herrin 
stand  in  unerreichbarer  Höhe  vor  dem  Minnesänger  wie  der  Hei- 
land vor  dem  Mystiker"  (p.  251).  ,,Des  Liedes  Lohn  war  der 
Gruß  der  Herrin,  sie  neigte  leis  das  Haupt,  ließ  einen  freundlichen 
Bhck  auf  den  Sänger  gleiten.  Nur  selten  wird  sie  ihn  einer  kurzen 
Ansprache  gewürdigt  haben.  Der  Gruß  bedeutete,  daß  der  Sänger 
sich  in  dem  Kreis  um  die  Herrin  bewegen  durfte,  von  ihr  bemerkt 
wurde ;  denn  Standesunterschied  und  höfische  Lebensart  erlaubten 
nichts  weiter"  (p.  136).  Wechssler  meint,  solch  gnädiges  Neigen 
des  Hauptes  war  genug  der  Anerkennung  für  den,  der  eben  den 
elirlosen  und  rechtlosen  Fahrenden  abgelöst  hatte,  und  er  ließ 
es  an  Dank  dafür  nicht  fehlen.  Ja,  noch  weiter  rückt  er  Herrin 
und  Dichter  voneinander  ab:  Die  Fürstin  kümmerte  sich  meist 
nur  um  das  Lied,  der  Verfasser  empfing  günstigenfalls  ein  freund- 
liches Urteil  und  materiellen  Lohn.  Die  Herrin  schätzte  vielleicht 
den  Dichter,  selten  den  Menschen.    Seine  Person  kam  gemeiniglich 


Wechssler,  Eduard.  195 

nicht  in  Betracht  (p.  183).  Und  noch  erniedrigender  wird  für 
den  Dichter  das  Verhalten  der  Dame.  Ihre  gnädige  Miene,  ihre 
freundlichen  Worte  waren,  wenn  sie  überhaupt  gezeigt  und 
geäußert  wurden,  auch  noch  unaufrichtig  gemeint,  waren 
ein  mentir  cortes,  ein  bei  semblan.  Zu  dieser  eigentümlichen 
Unaufrichtigkeit  wurde  die  Dame  durch  Sinn  und  Zweck 
des  ganzen  Minnesanges  mit  oder  gegen  ihren  Willen  ge- 
nötigt (p.  193). 

Wenn  wirklich  eine  solche  Kluft  zwischen  Herrin  und  Lob- 
dichter bestanden  hätte,  so  ist  nicht  zu  verstehen,  wie  die  Herrin  im 
Verein  mit  so  unendlich  weit  von  ihr  abstehenden  Sängern  den 
Minnesang  überhaupt  hätte  inaugieren  können.  Wie  sollte  sie 
sich  mit  ihm  verständlich  machen,  wenn  die  höfische  Lebensart 
jede  Annäherung  verbot  ?  Wie  konnte  der  Sänger  ihr  Berater 
in  höfischer  Sitte  sein  ?  Wer  machte  überhaupt  die  höfische 
Sitte,  der  außer  und  unten  stehende  Sänger,  oder  die  höfischen 
Kreise  selbst  ?  Das  sind  Fragen,  zwischen  denen  uns  die  inneren 
Widersprüche  in  den  Wechsslerschen  Formulierungen  notge- 
drungen hin  und  her  werfen.  Und  weiter,  wie  sollte  die  Dame, 
die  sich  so  wenig  um  die  Person  kümmerte,  in  ihm  poetische 
Leidenschaft  erregen  oder  wenigstens  ihn  auf  die  Dauer  inspie- 
rieren  können  ? 

Wechssler  scheint  keine  Schwierigkeiten  zu  sehen.  Er 
meint,  der  Sänger  erhielt  äußere  Anregung  durch  Sehen  aus 
der  geziemenden  Entfernung  heraus,  durch  Hörensagen  unter 
Umständen,  und  dann  gab  es  für  ihn  nur  noch  ein  innerliches 
Erleben  seiner  poetischen  Liebe  (p.  219).  Ich  muß  immer  wieder 
fragen,  wie  kamen  die  Menschen  nur  auf  den  kuriosen  und  ganz 
verzwickten  Gedanken,  sie,  die  als  Menschen  ja  kaum  beachtet 
wurden,  diesen  wie  der  Heiland  unnahbaren  Fürstinnen  von 
Liebe  zu  reden,  in  Tönen  irdischer  Liebessehnsucht  von  ihrem 
begehrenden  Herzen  zu  klagen  ?  War  das  die  gegebene,  die  natür- 
lichste Art  der  politischen  Huldigung,  die  sie  finden  konnten  ? 
Fanden  sie  wirklich  irgendwo,  bei  Ovid  oder  einem  anderen 
der  Autoren  irgend  eine  Anregung,  so  zu  singen  ?  Dürfte  man 
unter  solchen  Umständen  wirklich  von  einem  inneren  Erleben 
sprechen,  wo  jede  Wahrheit  der  Gefühle  ausgeschlossen  sein 
mußte  ?  Es  könnte  doch  nur  die  Rede  sein  von  einem  Sichhinein- 
versetzen in  konventionelle  Empfindungen,  von  einem  künstlichen 
Sichhinaufschrauben  in  eine  vorgeschriebene  Ekstase.  Ein 
klägUches  Dichten,  das  auf  niemanden  Eindruck  machen  konnte; 
denn  bei  aller  Wertschätzung  der  Form,  der  Kunst  des  Vers- 
baues und  der  Melodienführung,  die  man  der  höfischen  Gesell- 
schaft zutrauen  darf,  solche  Götzendiener  der  Form  sind  Zuhörer 
und  Zuhörerinnen  doch  sicher  nicht  gewesen,  daß  sie  nur  auf 
die  äußeren  Dinge  geachtet  und  die  Verschrobenheit  der  Gefühle, 
der  ganzen   Situation  nicht  beachtet  hätten. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVIP.  14 


196  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

Woher  sollte  bei  solcher  Lage  der  Dinge  den  Dichtern  die 
Kraft  der  neuen  Weltanschauung  kommen,  kraft  deren  sie  als 
die  „Sprecher  der  Hofkreise"  auftraten? 


Wechssler  ist  ja  doch  der  Meinung,  daß  in  den  Minne- 
liedern ein  tieferer  Gehalt  steckt.  ,,Aus  diesen  Liedern,  die  so 
harmlos  von  Frauenliebe,  Lenz  und  Blumen  zu  singen  scheinen, 
klingen  uns  die  geistigen  Kämpfe  einer  tief  erregten  Zeit  heraus  .  . . 
Um  nichts  kleineres  mühten  sich  die  Sänger  als  der  Menschheits- 
bildung neue  Ziele,  neue  Wege  zu  weisen  ..."  Das  ernstliche 
Ringen  um  eine  Weltanschauung  erfüllte  Dichter  und  PubHkum. 

Nicht  hoch  genug  kann  Wechssler  die  neue,  im  Minnesang 
sich  offenbarende  Auffassung  von  Welt  und  Menschen  preisen. 
Nicht  nur  handelt  es  sich  um  eine  höhere  Schätzung  des  Indi- 
viduums, nicht  nur  um  höhere  Wertschätzung  der  rein  weltlichen 
Tugenden  im  Gegensatz  zu  der  kirchhchen  Weltanschauung, 
nicht  nur  um  das  aufrichtige  Verlangen  nach  Schönheit  der 
Lebensäußerungen,  nach  Erziehung  des  Geschmacks  und  künst- 
lerischer Daseinsfreude,  sondern  hier  ist  ihm  zum  ersten  Male 
der  Sinn  für  große,  edle  Menschlichkeit  überhaupt  erweckt. 
Es  war  das  Neue  und  Große  des  Minnesangs  und  seiner  Kultur, 
daß  hier  zum  ersten  Male  im  Mittelalter  rein  menschliche  Geistes- 
bildung und  weltliche  Humanität  verstanden  und  gewürdigt 
wurde.  Es  war  die  Tat  der  Frauensänger,  daß  sie  aus  dem  tra- 
ditionellen Lob-  und  Pi'eislied  eine  Huldigung  an  das  Vorbild 
der  vornehmen,  frei  wirkenden  Persönlichkeit  entwickelten. 
Der  Typus  des  würdevollen,  Verehrung  fordernden  Menschen 
war  nur  erst  auf  dem  Thron  des  feudalen  Staates  zu  finden,  und 
den  geistigen  Einfluß  und  die  kulturelle  Wirksamkeit  feinge- 
bildeter fürstlicher  Frauen  konnte  man  sich  noch  kaum  anders 
vorstellen,  denn  als  das  übernatürliche  Wunder  einer  gottbe- 
gnadeten HeiHgen  (p.  310). 

Man  möchte  fragen,  wenn  die  Weltanschauung,  der  Sinn 
für  Menschlichkeit  bereits  im  Minnesänge  zu  solcher  Höhe  gedieh, 
was  blieb  dann  der  Renaissance  zu  finden  noch  übrig  ?  Drum 
m.öchte  ich  nicht  so  weit  gehen,  wie  Wechssler  es  tut.  Die  Hul- 
digung an  die  vornehme,  frei  wirkende  Persönlichkeit,  die  Ehr- 
furcht vor  dem  geistigen  Einfluß  und  die  kulturelle  Wirksamkeit 
feingebildeter,  fürstlicher  Frauen  sehe  ich  nicht.  Wie  konnten 
die  Troubadours  das  sehen  und  aussprechen  ?  Welche  Äußerungen 
der  großen  Persönhchkeiten  sahen  sie,  wo  um  sie  herum,  wo  an 
der  eigenen  Person  verspürten  sie  die  geistige  Macht  der  Fürstinnen, 
ihre  kulturellen  Taten  ?  Das  ist  keine  edle  MenschUchkeit,  wenn 
um  klingenden  Lohn  der  dienende  Sänger  im  glänzenden  Saale 
raffinierte  Huldigung  in  der  Form  geheuchelter  Liebeswerbung 
singt,  das  ist  nicht  das  Zeichen  feingebildeter,  von  geistiger 
Macht  erfüllter  Weiblichkeit  sich  ebendort  von  dem  kaum  be- 


Wechssler,  Eduard.  197 

achteten  Sänger  in  untertänigster  Schmeichelei  anhimmeln  zu 
lassen.  Eins  wie  das  andere  ist  für  beide  Teile  entwürdigend. 
Und  so  sehe  ich  nicht,  wie  auf  der  Grundlage  der  Wechsslerschen 
Auffassung  von  Dichter,  Dichtung  und  Publikum  die  große,  neue, 
der  Renaissance  vorgreifende  Weltanschauung  entstehen  konnte. 

Wenn  der  Sänger  die  Herrin  feiert,  so  feiert  er  sie,  auch 
wenn  er  die  reinste  Lauterkeit  seiner  Absichten  beteuert,  stets 
als  das  begehrenswerte  Weib.  Ihre  Schönheit  und  Grazie,  ihr 
gewinnendes  Lächeln  und  ihre  süße  Rede,  ihr  lachendes  Auge 
und  die  reizende  Gestalt,  die  Eleganz  und  Feinheit  ihres  Wesens. 
Nie  ihre  pohtische  Macht,  ihren  kulturfördernden  Einfluß.  Nicht 
die  PersönHchkeit  ist  es,  vor  der  er  sich  beugt,  sondern  das  Weib, 
das  er  hebend  umpfangen  möchte,  auch  wenn  er  seufzend  entsagt 
oder  in  schönen  Worten  das  Glück  der  geistigen  Liebe  preist. 

Wir  wollen  doch  nicht  zu  viel  an  Humanität  in  die  Trou- 
badourdichtung und  an  Sinn  für  Humanität  in  die  ritterliche 
Gesellschaft,  deren  Ideale  in  ihr  niedergelegt  sind,  hineininter- 
pretieren. Wir  haben  hier  eine  Kultur  der  Geselligkeit  vor  uns, 
ein  Hinstreben  zu  höheren  Formen  des  Daseins,  ein  Wohlgefallen 
am  Scliein,  an  Glätte  und  Glanz.  Eine  erste  Form  aristokratisch- 
verfeinerter Kultur  im  abendländischen  Mittelalter.  Nicht  ein 
oberflächhches,  frivoles  Auskosten  der  einer  bevorzugten  Klasse 
gebotenen  Freuden  des  Daseins,  sondern  ein  ernsthaftes  Sich- 
bewegen in  höfischer  Etikette.  Eine  offen  bekannte  Hingabe 
an  die  Lust,  an  die  innere,  frohmachende  Lebenskraft,  aber  mit 
Maß  und  Verstand.  Kein  Verzicht  auf  irgend  welche  irdischen 
Güter,  auch  nicht  auf  die  Leidenschaft,  auf  die  Sünde,  aber 
alles  Begehren  verfeinert,  besänftigt  durch  die  Zurückhaltung, 
die  man  sich  freiwilHg  und  als  gegenseitigen  Zwang  auferlegte. 
Die  gute  Sitte,  der  feine  Ton,  die  elegante  Geste  waren  Gebote, 
die  sich  die  Gesellschaft  gab,  die  den  Menschen  alles  Genießen  nur 
noch  süßer,  alle  Sensationen  zugleich  bewußter  und  pikanter 
machten.  Schon  viel  gewonnen  war  durch  diese  Schulung;  ein 
Aufstieg  der  menschhchen  Natur  aus  den  Banden  der  groben 
Sinnlichkeit  und  der  rohen  Instinkte  war  durch  sie  gewährleistet. 
Es  war  eine  Schulung,  die  sich  der  Adel  auferlegte. 

Als  eine  durch  und  durch  aristokratisch-höfische  Weltan- 
schauung, die  sich  innerhalb  des  Adels  gebildet  hatte  und  nicht 
von  außen  in  ihn  hineingetragen  werden  konnte,  müssen  wir 
das  Ganze  des  Fühlens  und  Denkens  der  vornehmen  Kreise 
Südfrankreichs  im  12.  Jahrhundert  betrachten.  Nicht  eine 
Weltanschauung  edelster  Humanität  war  sie,  aber  sicher  ein 
Fortschritt  auf  dem  Wege  der  kulturellen  Entwicklung  der 
Menschheit.  

Wenn  wir  von  Kulturfortschritt  im  Mittelalter  sprechen,  so 
müssen  wir  ohne  weiteres  nach  dem  Anteil  der  Kirche  an  ihm 

14* 


198  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

fragen;  denn  die  vornehmste  Kulturmacht  im  Mittelalter,  die 
Bedingung  alles  Kulturwandels,  der  Gipfel  aller  Kultur  war  die 
Kirche. 

Auf  den  ersten  Blick  scheint  es,  als  stehe  die  Weltanschauung, 
aus  der  die  Troubadourdichtung  ihre  Ideale  gewinnt,  in  Gegensatz 
zu  der  kirchlichen,  christlich-katholischen  Weltanschauung.  Auch 
Wechssler  betont  ausdrücklich,  daß  die  vornehmen  Frauen, 
welche  die  Kultur  der  cortezia  schufen,  sich,  wie  gegen  Rittergeist, 
so  auch  bewußt  gegen  die  Kirche  wendeten.  Aber  er  schränkt 
dann  doch  die  Originalität  dieser  Laienkultur  sogleich  wieder 
bedeutend  ein,  wenn  er  sich  bemüht,  die  engste  Berührung  der 
Minnesänger  mit  der  christlichen  Weltanschauung  nachzuweisen. 
Der  eigentliche  Kern  seines  Buches  liegt  gerade  in  dem  Versuche 
dieses  Nachweises.  Dabei  laufen  ihm  nun  verschiedene  Wider- 
sprüche unter.  Trotzdem  er  von  der  bewußten  Opposition 
gegen  die  Kirche,  von  der  Emanzipation  der  Sinne  und  des 
Individuums,  vom  frohen  Ergreifen  des  Daseins  in  Schönheits- 
drang gesprochen  hat,  vermag  er  den  inhaltschweren  Satz  aufzu- 
stellen: ,,Der  geistige  Nährboden  dieser  Kultur  war  die  Kirche, 
war  das  Christentum"  (p.  216).  Gelegentlich  der  Erörterungen 
über  den  Frauenkult  schreibt  er:  ,,Noch  betrachtete  man  eine 
geistig  hervorragende,  höfische  Frau  als  eine  Art  Heilige  und  bezog 
damit  ihre  Wirksamkeit  auf  Gott  zurück.  Aber  das  war  im 
Grunde  nur  eine  Anschauungsform,  die  ewigen  Werte,  die  man 
in  ihr  verehrte,  waren  nicht  die  der  Kirche,  sondern  die  der 
cortezia.  Wie  Spiritualismus  und  Mystik  floß  der  Vorstellungs- 
kreis des  Heiligen-Kultus  aus  den  reichen  Betätigungsformen 
christlicher  Rehgiosität,  aber  Geist  und  Ziel  waren  beide  neu. 
Der  von  der  Kirche  geschmähten  Menschheit  und  Menschlichkeit 
wurde  hier  ein  Altar  errichtet. .  aus  eigener  Kraft  war  man  hier 
der  Antike  nahe  gekommen"!  (p.  312).  Hier  wird  also  nur  von 
Anlehnung  an  die  ,, Betätigungsformen  christlicher  Religiosität" 
gesprochen.  Aber  Geist  und  Ziel,  die  ewigen  Werte  seien  neu 
gewesen.  Das  heißt  doch  wohl  nichts  anderes,  als  daß  die  Welt- 
anschauung, denn  sie  hat  es  mit  Geist  und  Ziel  und  Nachdenken 
über  die  neuen  ewigen  Werte  zu  tun,  nicht  die  der  Kirche  war. 
Und  so  ist  es  zum  mindesten  eine  starke  Übertreibung,  zu  sagen, 
der  geistige  Nährboden  dieser  Kultur  war  die  Kirche  und  das 
Christentum. 

Auch  andere  Äußerungen  wollen  nicht  recht  zu  dieser  Formu- 
lierung passen.  So  schreibt  Wechssler  (p.  424):  Die  Kreuzheder 
beweisen  uns  auch,  daß  die  kirchliche  Religion  ilire  Macht  und 
Wirkung  auf  diese  Kreise  tatsächlich  verloren  hatte.  Nur  ein 
äußerliches  Christentum  war  in  den  Gemütern  noch  lebendig 
,, innerlich  war  man  dem  Geiste  dieser  Religion  entfremdet". 
Das  Ergebnis  von  Kapitel  17  lautet  daliin,  daß  zuerst  von  jenen 
südfranzösisclien  Frauenhöfen  eine  Skepsis  gegen  die  herrschende 


Wechssler,  Eduard.  199 

Religion,  eine  Art  Freidenkertum  ausgegangen  sei,  und  daß 
durch  innerliches  Selbsterleben  die  besseren  Männer  der  höfischen 
Kreise  dazu  gelangt  waren,  im  Natürlichen  das  Göttliche  zu 
ahnen  und  der  geschmähten  Natur  ihre  Rechte  wiederzugeben 
(p.  433). 

So  wie  Wechssler  seine  Sätze  formuliert,  stehen  sie  zueinander 
in  Widerspruch.  Doch  liegt  ihnen  wohl  stets  eine  richtige  Über- 
legung zugrunde.  Es  waren  vielleicht  beide,  einander  scheinbar 
widersprechende  Stimmungen  in  den  Menschen  vereinigt.  Viel- 
leicht war  es  bei  ihnen  noch  gar  nicht  zu  einer  bewußten,  ein- 
heitlichen Weltanschauung  gekommen.  Es  war  in  ihnen  die 
religiöse  Vorstellungswelt,  wie  sie  die  Kirche,  die  alltäglich  in 
alle  Gebiete  des  Lebens  ihre  Hand  streckte,  vermittelte,  noch  ganz 
und  kräftig  lebendig  und  zugleich  lebte  in  ihrem  Tun  und  Sehnen 
etwas  Neues,  der  Kirche  Entgegengesetztes,  ihr  Fremdes  und  sie 
eigentlich  Verneinendes.  Diese  Mischung,  die  ihnen  nicht 
klar  wurde,  liegt  für  uns  offen  zu  Tage.  Wechssler  hat  sie 
erkannt,  nur  hat  er  es  versäumt,  die  im  Zeitbewußtsein 
schwankende  Gleichzeitigkeit  dieser  Elemente  genügend  zu 
kennzeichnen. 

Die  eigentliche  Inspiration  zu  der  neuen  Weltanschauung 
und  zu  der  Dichtung  kam  —  das  kann  nicht  scharf  genug  betont 
werden  — ,  nicht  von  der  Kirche.  Wenn  man  sie  beide  zurückführt 
auf  die  Grundgefühle,  aus  denen  sie  hervorgewachsen  sind,  so 
sind  es  die  von  der  Kirche  je  und  je  bekämpften  weltlichen  Ge- 
fühle, auf  die  wir  stoßen.  Die  höfische  Weltanschauung  umfaßt 
das  Menschliche  um  des  Menschlichen  willen,  sie  verlangt  das 
Glück  im  Diesseits  und  schlägt  das  Jenseits  gering  an.  Das 
enthusiastische  Feiern  eines  irdischen  Weibes,  das  Erhöhen  der 
geliebten  Frau  über  alle  anderen  Menschen,  die  Macht,  die  ihr 
verliehen  wird,  Glück  oder  Unglück  zu  bringen,  gut  oder  böse, 
weise  oder  närrisch  zu  machen,  die  Konzentrierung  alles  Denkens 
und  Strebens  auf  sie  —  solches  Dichten  und  Trachten  ist  unkirch- 
lich, ist  unchristhch,  ist  böse,  zieht  von  der  Kirche  ab,  die  Gott 
und  das  Jenseits  als  Ziel  alles  menschhchen  Sinnens  und  Tuns 
aufgestellt  hat.  Man  mag  die  im  Minnesänge  zum  Aus- 
druck kommende  Erhöhung  des  Weibes  eine  Vergöttlichung 
nennen,  in  Wirkhchkeit  ist  sie  eine  Verherrlichung  irdischen 
Wesens,  geboren  aus  der  Sehnsucht  nach  einem  weltlichen 
Ideal. 

Und  nun  ist  es  von  höchstem  Reiz,  zu  sehen,  wie  dieses  rein 
weltliche  Ideal,  indem  es  sich  Formen  sucht,  nicht  auskommt 
ohne  solche  Werte,  deren  Verkündigung  die  eigenste  Angelegen- 
heit der  Kirche  war.  Wie  von  der  Luft,  die  sie  atmeten,  waren 
die  Sänger  von  der  Atmosphäre  des  kirchüchen  Lebens  umgeben. 
Die  Kirche  war  die  Verkündigerin  der  höchsten  Ideale.  Sie  hatte 
in  jahrhundertelanger  Arbeit  einen    Schatz   von   Formeln,   An- 


200  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

schauungen,  Vorschriften  geschaffen,  die  alle  darauf  hinzielten, 
den  Menschen  zu  diesen  Idealen  zu  erziehen,  ihn  vertraut  zu 
machen  mit  dem  Bewußtsein,  alles  im  Leben  in  einem  höheren 
Lichte  zu  sehen.  Es  war  das  Werk  der  Kirche  gewesen,  den 
Menschen  klein  und  niedrig  zu  machen  vor  der  Gottheit,  ihn 
mit  frommen  Schauern  zu  erfüllen  vor  der  unbegreiflichen  Macht, 
deren  Gnade  ihn  zu  höchster  Seligkeit  führen,  deren  Zorn  ihn 
in  tiefste  Verdammnis  stoßen  konnte  nach  diesem  Leben.  Die 
Kirche  hatte  gelehrt,  wie  man  dem  Verehrungswürdigen  sich 
nahen  müsse,  nämlich  demütig  und  zerknirscht,  hoffend  und 
geduldig.  Sie  hatte  das  Verehrungswürdige  so  hoch  wie  möglicli 
und  den  von  ihm  abhängigen  Menschen  so  tief  wie  möglich  ge- 
stellt; und  diese  Gesamtheit  von  Vorstellungen,  dieser  moralische 
Zwang,  dem  sich  bewußt  oder  unbewußt  die  ganze  Menschheit 
damals  unterwarf,  wirkte  auch  auf  die  Sänger  der  Liebe  zu  irdischen 
Frauen.  Und  so  konnte  es  kommen,  daß  sie  in  ihrer  dichte- 
rischen Begeisterung  fühlten  und  dichteten  mit  dem  Herzen  des 
gläubigen  Christen,  daß  ihnen  die  Wellen  mystischer  Erregung 
zuströmten,  daß  sie  die  Sprache  der  kirchlichen  Hymnen  und 
Gebete  redeten  und  anbetend  auf  den  Knien  lagen,  nicht  nur 
wie  der  Vasall  vor  seiner  Herrin,  sondern  auch  wie  der  Christ 
vor  dem   Heiligenbilde. 

So  konnte  es  kommen,  daß  sie,  die  innerhch  mit  der  Kirche 
in  den  meisten  Fällen  nichts  gemein  hatten,  in  der  Schwärmerei 
des  Dichtens  sich  bis  zu  jener  höchsten  Höhe  erhoben,  die  dam.als 
ein  Christ  erklimmen  konnte,  zur  asketischen  Entsagung  und 
Verneinung  irdischer  Freuden.  So  konnten  sie  in  ihren  Gedichten 
gegen  Natur  und  Sinnlichkeit  kämpfen  und,  sich  läuternd  in 
dem  schmerzlichen  Leid  des  Entsagens,  die  höchste  Wonne  er- 
fahren, wie  der  Mönch,  der  in  selbstquälerischer  Kasteiung  die 
Vereinigung  mit  der  Gottheit  erstrebte. 

Aber  all  ihr  mystisches  Erleben  w^ar  eben  nur  ein  dichterisches 
Erleben.  Ihre  Sprache  war  die  poetische  Sprache  der  Verzückung 
des  erregten  Dichters.  Der  Frauenkult  der  Troubadours  war 
Dichtung,  aus  der  Kraft  und  Innigkeit  wahren,  idealisierenden 
Gefühls  heraus. 

Dieses  Gefühl  trifft  zusammen  mit  der  starken,  alle  Kreise 
des  Lebens  und  der  Menschen  durchflutenden  Welle  religiöser 
Mystik  und  gewinnt,  vor  allem  in  seinem  dichterischen  Ausdrucke, 
an  Tiefe,  Glut  und  Wert.  Diesen  Zusammenhang  des  Minne- 
sangs mit  der  Mystik  hat  Wechssler  richtig  gesehen.  Man  darf 
ihm  ohne  weiteres  zustimmen,  wenn  er  feststellt,  daß  ,,das  hoch- 
gesteigerte religiöse  Empfindungsleben  der  damaligen  Zeit  auch 
diese  weltlichen  Dichter  geleitet  und  mannigfach  bereichert 
habe"  (p.  222).  So  allerdings  ist  der  Vorgang  nicht  zu  denken, 
daß  in  bewußter  Weise  die  Dichter  ihnen  von  irgend  woher  ge- 
läufige mystisch-religiöse  Stimmungen  in  ihrer,  irdischen  Idealen 


Wechssler,  Eduard.  201 

zugewandten  Dichtung  verweltlicht  hätten,^^)  sondern  es  ist  eine 
gemeinsame,  im  menschlichen  Wesen  tief  wurzelnde  Stimmung, 
welche  Mystik  und  Minnesang  erzeugt  hat.  Es  ist  nicht  so,  daß 
in  der  Mystik  das  Übersinnliche  vom  Sinnhchen  durchsetzt 
wäre  und  im  Minnesang  umgekehrt  das  Übersinnliche  die  Sinnlich- 
keit durchsetzt  und  durclidrungen  liätte,  wie  Wechssler  meint, 
sondern  dem  Mystiker  wie  dem  Minnesänger  ist  der  schwärme- 
rische Willen  eigen  durch  das  Sinnliche  hindurch  zum  Übersinn- 
lichen, getragen  von  Lust  und  Leid  der  Ekstase,  sich  zu  erheben. 
Die  Mystik  ist  dem  mittelalterlichen  Christen  Voraussetzung 
seiner  Frömmigkeit,  dem  Minnesänger  Voraussetzung  seiner  Liebe, 
Ganz  nahe  trifft  diese  Auffassung  mit  derjenigen  zusammen, 
welche  in  \^'echsslers  Satz  niedergelegt  ist:  ,,Was  diese  Lyrik 
hebt  und  trägt,  sind  nicht  einzelne  Gedanken,  noch  auch  die  Zeit- 
begriffe, das  ist  die  Grundstimmung  mystischer  Gefühlsart 
....  insofern  als  jeder  ekstatischen  Liebeswonne  und  Liebessehn- 
sucht ein  mystisches   Erlebnis  zugrunde  liegt"   (p.   269). 

Vielfältig  sind  die  Seelen-  und  Geisteskräfte  des  Menschen. 
Verschiedene  Zeiten  begünstigen  eine  verschiedene  Ausbildung 
dieser  Kräfte  und  werden  selbst  wieder  durch  sie  begünstigt. 
In  jenen  Zeiten  des  Bernhard  von  Clairvaux,  der  Troubadours 
und  dann  des  frommen  Troubadours,  der  Franz  von  Assisi  hieß, 
war  es  die  Seelenkraft  mystischen  Fühlens  die  vor  anderen 
Kräften  wirksam  gewesen  ist  und  das  innere  Leben  aller  höher 
veranlagten  Menschen  befruchtet  hat.  Darum  stehen  ReUgion 
und  Dichtung,  Wissenschaft  und  Kunst  unter  dem  Zeichen 
der  Mystik. 


1-)  Wie  auch  schon  Morf  in  seiner  Anzeige  des  Buches  (Archiv 
t.  122  p.  468  ff.)  hervorgehoben  hat,  treffen  manche  von  den  Beispielen, 
die  belegen  sollen,  was  im  einzelnen  von  der  christlichen  Vorstellungs- 
welt in  die  Dichtung  übergegangen  ist,  nicht  zu.  So  hat  die  Vorstellung, 
daß  räumliche  Trennung  das  Denken  an  die  Geliebte  nicht  verhindere, 
sicher  nichts  eigentümlich  Christliches  an  sich.  Ebenso  ist  nicht  er- 
sichtlich, warum  das  zum  Gemeingut  aller  Völker  gehörige  Motiv  der 
Umarmung  im  Traume  in  der  DicTitung  der  Troubadours  eine  christ- 
liche Färbung  angenommen  haben  soll.  Sicherlich  stimmt  es  nicht, 
daß  das  aus  Ovid  übernommene  Motiv  des  Sterbens  aus  Liebe  selt- 
sam christianisiert  wurde,  daß  es,  zum  christlichen  Ideal  der  meditatio 
mortis  ausgebildet,  mit  der  Stimmung  tiefer  Schwermut  und  Todes- 
sehnsucht viele  Lieder  der  Besten  erfüllte  (p.  235).  Es  ist  ganz  un- 
möglich, daß  auch  nur  der  geringste  Zusammenhang  zwischen  Ovid 
und  den  cliristlich-fühlenden  Troubadours  in  dieser  Hinsicht  besteht. 
Ebenso  trifft  es  nicht  zu,  daß  das  aus  Ovid  bekannte  Motiv  der 
Schüchternheit  vor  der  Geliebten  von  den  besten  Lyrikern  derart 
gesteigert  wurde,  daß  es  nur  noch  aus  mystischem  Denken  heraus 
verständlich  wird  (p.  260).  Und  so  führt  W.  bei  verschiedenen  Ge- 
legenheiten Beispiele  an,  welche  das  Hinüberfließen  von  Vorstellungen 
aus  der  zeitgenössischen  Mystik  in  traditionelle  Motive  nicht  mystischer 
Art  beweisen  sollen.  Aber  so  handgreiflicher  Art  ist  das  Verhältnis 
von  weltlicher  Dichtung  zu  religiöser  Mystik  und  christlichem  Spiri- 
tualismus nicht. 


202  Referate  und  Rezensionen.     Walther  Küchler. 

Nur  einige  Hauptfragen,  die  für  die  Auffassung  vom  Wesen  des 
provenzalischen  Minnesangs  von  entscheidender  Bedeutung  sind, 
hat  die  Besprechung  erörtert.  Sie  wandte  sich  gegen  die  Aus- 
schließung des  Rittertums  von  der  Kultur  der  cortesia  und  von 
dem  eigenthchen  Minnesang,  gegen  den  allzu  bewußten  und 
überschätzten  Anteil  der  Frau,  gegen  die  Ableitung  des  Minne- 
liedes aus  dem  feudalen  Dienstliede  und  den  dadurch  bedingten 
fiktiven  Charakter  der  ganzen  Poesie,  gegen  die  Auffassung,  als 
hätte  sich  diese  Dichtung  entwickelt  dadurch,  daß  sich  leere 
Formen  mit  Gehalt  füllten. 

Wechssler  hat  seine  These  in  all  ihren  Einzelheiten  durch 
eine  Fülle  von  Zitaten  zu  beweisen  gesucht.  Seine  Arbeit  legt 
Zeugnis  von  umfassender,  gründlicher  Belesenheit  ab.  Niemand 
hat  wohl  die  gesamte  Produktion  des  Minnesangs  so  systematisch 
und  mit  nachdenklichem  Geiste  durchgearbeitet,  wie  er  es  getan 
hat.  Er  ist  zu  ganz  bestimmten  Erkenntnissen  gekommen,  zu 
Erkenntnissen,  die  z.  T.  an  ältere  Auffassungen  sich  anschheßen, 
z.  T.  ganz  neue  Gesichtspunkte  und  neue  Probleme  dem  Forscher 
vorführen.  Mag  auch  die  Kritik  an  noch  so  vielen  Punkten  ein- 
setzen und  manchmal  andere  Auffassungen  vertreten,  so  darf 
sich  doch  der  Kritiker  in  Dankbarkeit  so  mancher  Anregungen, 
so  mancher  Ausblicke  freuen,  die  ihm  dieses  gehaltreiche  Buch 
verschafft  hat. 

Es  wird  noch  vieler  Arbeit  bedürfen,  ehe  wir  Klarheit  über 
die  kulturellen  Verhältnisse  haben,  aus  denen  heraus  die  Dichtung 
des  Minnesangs  erwachsen  ist.  Manche  Legende  wird  noch  zu 
zerstören  sein,  manch  üppiges  Rankenwerk  der  Fabel,  das  sich 
um  Dichter  und  Dichtung  schlingt,  wird  noch  abgeschnitten 
werden  müssen,  bis  die  reine  Wirklichkeit,  wenn  überhaupt  sie 
durchschimmert,  uns  erscheint.  Es  müssen  die  einzelnen  Dichter 
in  höherem  Maße  um  ihrer  selbst  willen  untersucht  werden,  es 
muß  versucht  werden,  durch  das  genaue  Studium  der  Individual- 
Schöpfungen  hindurch  sich  dem  Ganzen  des  Minnesangs  zu 
nähern. ^^)  Wir  werden,  um  zu  dem  Endziele  zu  gelangen,  genauer 
in  das  Verhältnis  von  ritterlichen  und  gelehrten  Troubadours 
hineinsehen,  über  das  Maß  des  Anteils  beider  Kreise  an  der  Aus- 
bildung des  Minnesangs  Aufschluß  gewinnen  müssen,  wie  müssen 
die  Spreu  von  dem  Weizen,  die  Anreger  und  Förderer  von  den 
Nachahmern  und  Nachbetern  noch  besser  sondern  lernen.    Welcher 


1^)  Eine  Musterarbeit,  die  auf  Grund  genauester  und  vorsichtiger 
Forschung  zu  sicheren  Ergebnissen  im  einzelnen  und  für  die  Beurtei- 
lung des  Minnesangs  im  allgemeinen  gelangt,  ist  die  Untersuchung 
von  N.  Zingarelli  ,,Ricerche  sulla  vita  e  le  rime  di  Bernart  de  Vcntadorn"' 
in  Studi  medievali  t.  I  p.  309—393  und  p.  594—611. 

Auch  ästhetische  Würdigungen,  wie  Vossler  eine  von  den  Gedichten 
Wilhelms  IX.  gibt  ('Die  Kunst  des'  ältesten  Trobadors'  in  Miscellanea 
di  studi  in  onore  di  Attilio  Hortis  p.  419—440,  Trieste  1910),  sind 
geeignet,  unser  Verständnis  von  der  Troubadourpoesie  zu  fördern. 


Kleine  Texte  zum  Alexanderroman.  203 

Art  aber  auch  die  Erkenntnis  sein  wird,  das  eine  scheint  mir 
sicher  zu  sein:  der  Kern  der  Minnepoesie,  ihre  Realität  wird  sich 
nicht  als  das  feudale  Dienstveriiältnis  des  dienenden  Hofsängers 
zur  vornehmen,  unnahbaren  Fürstin  herausstellen,  der  ästhetische 
Charakter  des  Minnesangs  wird  sich  nicht  aus  seinem  Wesen  als 
einer  auf  bloßer  Fiktion  aufgebauten  Lügendichtung  bestimmen 
lassen. 

W  ü  r  z  b  u  r  g.  Walther  Küchler. 


Kleine  Texte  zum  Alexanderronian.  Commoni- 
torium  Palladii,  Briefwechsel  zwischen  Alexander  und 
Dindimus,  Brief  Alexanders  über  die  Wunder  Indiens  nach 
der  Bamberger  Handschrift  herausgegeben  von  Friedrich 
P  f  i  s  t  e  r.  Heidelberg,  Carl  Winters  Universitätsbuch- 
handlung. (Sammlung  vulgärlateinischer 
Texte,  herausg.  von  W.  Heraeus  und  H.  M  o  r  f. 
4.  Heft.)    8».    XII  und  41  S.     1,20  Mk. 

Es  ist  freudig  zu  begrüßen,  daß  die  von  Romanisten 
wie  Germanisten  besonders  gepflegte  Alexanderforschung  seit 
jüngster  Zeit  in  ein  neues  Stadium  zu  treten  scheint.  Namentlich 
tun  uns  gute  kritische  Abdrucke  der  nicht  selten  harte  Auf- 
gaben auferledigenden  Quellentexte  not.  Einen  trefflichen  Anfang 
dazu  macht  Pfister  im  vorliegenden  vierten  Hefte  aus  der  sehr 
handlichen  und  in  erster  Linie  für  Seminarübungen  bestimmten 
„Sammlung  vulgärlateinischer  Texte".  Aus  der  berühmten 
Bamberger  Pergamenthandschrift  E  III,  14  (in  Italien  von 
zwei  Schreibern  des  XL  Jhdts.  geschrieben)  bietet  er  uns  zunächst 
vier  gesonderte  Stücke,  die  nur  in  diesem  Kodex  erhalten  sind: 
1.  Commonitorium  Palladii  {„Mens  tua  quae  semper 
amat  discere"),  die  lat.  Übersetzung  eines  griech.  (im  Pseudo- 
kallisthenes  aufgenommenen,  daneben  auch  getrennt  auftreten- 
den) Traktats,  der  mit  ziemlicher  Sicherheit  dem  Verfasser  der 
Historia  Lausiaca,  Palladios  (ca.  363 — 430)  zugeschrieben  wird. 
Es  ist  ein  fabelhafter  Bericht  über  Indien  und  die  Brahmanen, 
in  dem  als  Berichterstatter  der  Erlebnisse  auf  der  Insel  Taprobane 
(=  Ceylon)  ein  M  u  s  a  e  u  s  episcopus  Dulenorum  und  besonders 
quidam  Thebaeus  scholasticus  aufgeführt  sind.  Zuletzt 
wird  als  Quelle  die  „Adriani  istoria  qui  juit  discipulus  Pitti" 
zitiert.  Damit  ist  natürlich  Arrian  gemeint,  der  Schüler  des  Philo- 
sophen Epiktet.  Eine  andere  lat.  Version,  in  mehreren  Hss. 
vorliegend  (von  mir  eingesehen  in  Hs.  Montpellier,  Fac.  de  Med. 
H.  31,  fol.  15c  und  Oxford,  Corpus  Christi  College  82,  fol.  172a, 
die  beide  auch  die  erweiterte  Epitome  des  Valerius  aufweisen),  ist 
vom  Bamberger  Text  unabhängig.  Eine  Neuausgabe  ist  wün- 
schenswert,  da  sie   B  e  r  n  h  a  r  d  y  in  seinen  Analecta  in  Geo- 


204  Referate  und  Rezensionen.     Aljons  Hilka. 

graphos  minores,  Halle  1850,  43  ff.  ganz  unzulänglich  nach  einer 
Pariser  Hs.  bekannt  gemacht  hat. 

2.  Dindimus  über  die  Brahmanen  {,, Alexander 
imperator,  cum  ei  non  sufficeret  imperium  Macedoniae"),  die  lat. 
Übersetzung  eines  Stückes  aus  Psoudokallisthenes,  worin  auf 
einen  homo  pessimus  C  a  1  a  n  u  s  durch  die  Brahmanen  an- 
gespielt wird,  der  den  Griechen  eine  falsche  Vorstellung  von 
ihnen  beigebracht  habe. 

3.  Die  jüngere  GollatioAlcxandri  cumDindimo 
{,,Per  multas  vices  nuniiatum  est  nobis"),  wovon  das  griech. 
Original  verloren  gegangen  ist. 

4.  Epistula  Alexandri  Magni  ad  Aristo- 
telem  de  mirabilibus  Indiae  in  der  jüngeren 
Fassung  {,,Karissi?ne  magister,  quemhaheo  amantissimum  secundum 
matrem  et  sorores  meas").  Die  griech.  Urform  zu  rekonstruieren 
wird  erst  nach  einer  Neuausgabe  der  älteren  Version  (mit  schwie- 
riger Textüberheferung)  möglich  sein.  An  5.  Stelle  druckt 
Pfister  eine  weitere  Form  (Abkürzung)  des  Alexander- 
briefes aus  der  ältesten  (Bamberger)  Fassung  der  sogen. 
Historia  de  preliis  ab. 

Nr.  1 — 4  sind  bereits  von  Kubier  in  den  Roman.  Forsch. 
VI  (1890),  203  ff.  ediert  worden.  Pfisters  Pubhkation  ist  leichter 
zugängHch  und  bedeutet  entschieden  einen  Fortschritt  durch 
das  Eingehen  auf  die  Parallelrezensionen  und  das  griech.  Original 
selbst,  soweit  es  auf  uns  gekommen  ist.  Den  kritischen  Apparat 
möchte  der  Forscher  gern  ausführlicher  vor  sich  liegen  sehen. 
Auch  ist  es  klar,  daß  noch  manche  Punkte  der  Aufklärung  harren, 
solange  nicht  das  ganze  Material  zur  endgültigen  Vergleichung  und 
kritischen  Sichtung  gelangt.  Doch  verspricht  Pfister  in  bereits 
angekündigten  ^.^Untersuchungen  zum  Alexanderroman"  manche 
Wünsche  auch  nach  dieser  Richtung  hin  zu  erfüllen.  Es  ist  schon 
verdienstHch,  daß  diese  Fragen  in  Fluß  gekommen  sind. 

Den  Latinisten  und  Romanisten  interessieren  die  darge- 
botenen Stücke  durch  die  italienische  Latinität  etwa  des  X.  Jahr- 
hunderts, in  die  gelegenthch  auch  Vulgärformen  eingestreut 
sind.  Zum  sorgfältig  durchgearbeiteten  Text  erwähne  ich  im 
Rahmen  dieser  Zeitschrift  lediglich,  daß  für  das  dritte  Stück, 
den  Briefwechsel  Alexanders  mit  dem  Brahmanenkönige  Dindimus, 
noch  weitere  Ausbeute  durch  eine  genauere  Kenntnis  der  Text- 
form in  Aussicht  steht,  wie  sie  uns  in  der  erweiterten  Fassung 
der  Historia  de  preliis  ( J^  u.  J'^  bei  Z  i  n  g  e  r  1  e  ,  S.  220  ff.)  ent- 
gegentritt. Bei  dem  empfindlichen  Mangel  einer  kritischen 
Ausgabe  von  Leos  Historia  —  man  wird  sich  cndUch  aufraffen 
müssen,  das  Lebenswerk  A  u  s  f  e  1  d's  zu  vollenden  und  dem 
seit  einigen  Jahrzehnten  harrenden  Kreise  der  Alexanderforscher 
nicht  länger  vorzuenthalten  —  konnte  auch  Pfister  wenig  Unter- 
stützung finden.     Die   Bamberger  Rezension  folgt  zwar  getreu 


Hilka,  Aljons.  205 

der  älteren  Fassung,  jedoch  kann  man  sich  des  Eindrucks  nicht 
erwehren,  daß  gegenüber  dieser  Gestalt  mit  ihren  vielfachen 
Kürzungen  und  vor  allem  mit  ihrer  geradezu  unlogischen  Störung 
der  ursprünghchen  Reihenfolge  bei  den  Selbstangaben  der  Brah- 
manen  (vgl.  die  Umstellungen  in  Pfisters  Text  12,  7  und  12,  12 
[diese  Begründung  gehört  doch  zu  divitias  11,  31!)  J^  textkritisch 
und  literarisch  einen  höheren  Wert  darstellt.  Die  Brahmanen- 
antworten begegnen  mir  auch  in  der  Historia  orientalis 
(sive  Hierosolymitana)  des  JacobusdeVitriaco, 
dessen  Excerpt  auf  einer  guten  Hs.  von  J^  beruhen  muß.  Dem- 
nach teile  ich  folgende  Abweichungen  von  Pfisters  Text  mit, 
ohne  hier  die   Erweiterungen  berühren  zu  können: 

11,  15  unde  nos  rogando  mandasti —  11,  27  nobis  non  nocent 
—  12,  21  Nullam  cogitationem  super  alium  habemus  —  12,  35 
nullum  vestimentum  in  varios  colores  tinguimus  —  13,  5  De 
factis  nihil  querimur  —  14,  2  solem  rubicundum  in  cursu  suo  — 
14,  26  alios  iuvare  —  14,  36  homo  simih'^  est  Deo  —  14,  37  verbum 
isiud  —  15,  9  sustinebitis  —  15,  21  quomodo  si  steiisset  supra 
cellam  —  15,  23  dicitis  deam  esse  —  15,  36  sustinebitis  —  16,  3 
divident  —  16,  19  He  sunt  —  16,  22  in  isto  saeculo  —  16,  26  Pene 
sunt  plurime  in  inferno,  et  vos  modo  penas  patimini  —  17,  18 
ad  domos  —  17,  21  in  publicum  non  eximus  —  18,  7  Non  tantum 
beneficium. 

Durch  die  genaue  Mitteilung  wertvollen  Materials,  dem 
eine  sehr  dankenswerte  Einleitung  über  den  Alexanderroman, 
für  dessen  Genesis  vier  Gruppen  unterschieden  werden  (Volks- 
sage, Roman,  philosophierende  Tendenzen  und  Apokalypsen), 
vorausgeht,  durch  eine  von  umfassender  Kenntnis  zeugende 
vollständige  BibHographie  hat  sich  Pfister  den  Anspruch  auf 
unsere  Dankbarkeit  erworben.  Seinen  „Untersuchungen  zum 
Alexanderroman"  sowie  seiner  Neuaugabe  des  Bam- 
berger Leo  sehen  wir  mit  besonderem  Interesse  entgegen. 

Breslau.  Alfons  Hilka. 


MiLka,  Alfons.  Das  Lehen  und  die  Sentenzen  des  Philosophen 
Secundus  des  Schweigsamen  in  der  altfranzösischen 
Literatur  nebst  kritischer  Ausgabe  der  lateinischen  Über- 
setzung des  Willelmus  Medicus,  Abtes  von  Saint- Denis. 
Sonderabdruck  aus  dem  88.  Jahresbericht  der  Schlesi- 
schen  Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur.  Breslau 
1910.     G.  P.  Aderholz'  Buchhandlung. 

Die  novellenartige  Geschichte  vom  Philosophen 
Secundus  dem  Schweigsamen  und  seiner  Zusammen- 
kunft müt  dem  Kaiser  Hadrian  in  deraltfranzösischen 
Literatur    hauptsächhch  auf  Grund  von  noch  unveröffent- 


206  Referate  und  Rezensionen.     F.  Rechnitz. 

lichtem  Material  zu  verfolgen,  ist  das  Ziel  der  kurzen,  aber  in- 
haltreichen Abhandlung  von  A.   Hilka. 

Zunächst  handelt  der  Verf.  in  einem  Vorwort  von  der  Ver- 
breitung der  Erzählung  und  von  den  verschiedenen  Theorien 
über  ihre  Herkunft  und  ihren  Ursprung.  Dann  gibt  er  im  ersten 
Kapitel  eine  kritische  Ausgabe  der  lat.  Übersetzung 
des  Willelmus  Medicus  (2.  Hälfte  des  XII.  Jahrb.), 
die  auf  einer  griechischen  Vorlage  beruht  und  auf  welche  un- 
mittelbar oder  mittelbar  alle  altfrz.  Fassungen  oder 
Anspielungen  zurückgehen.  Neben  den  lat.  Text  stellt 
der  Hg.  die  älteste  f  r  z.  Ü  b  e  r  s  e  t  z  u  n  g  (B.  N.  f.  fr.  1553). 
In  einem  weiteren  Abschnitt  bringt  darauf  Hilka  eine  altfrz. 
Übersetzung  der  Bibl.  von  Toulouse  zum  Abdruck,  die 
nicht  auf  Willelmus  Medicus,  sondern  auf  dessen  Bearbeitung 
durch  Vincenz  von  Beauvais  fußt.  Dann  folgt  die 
provisorische  Ausgabe  einer  Episode  des  noch  unver- 
öffentlichten didaktischen  Epos  V Image  du  Monde,  in 
der  Verf.  eine  poetische  Bearbeitung  der  Secundus- Geschichte 
erkannte.  Ein  vierter  Abschnitt  bringt  (nach  einer  Abschrift 
von  G.  Raynaud)  den  kurzen  Auszug  der  Geschichte  im 
Renard  le  Contrejaii  und  stellt  seine  Abhängigkeit  von  der  Tou- 
louser  Fassung  fest.  Die  beiden  letzten  Kapitel  behandeln 
endlich  kurz  das  Secundus-Exempel  im  Miroir  de 
mariage  von  Eustache  Deschamps  und  die  Secundus-Ge- 
schichte  in  der  Chronik  von  Jean  d'Outremeuse,  welche  auf 
die  älteste  frz.  Übersetzung  zurückgeht.  Das  ganze  gewährt 
einen  recht  anschauHchen  Überblick  über  die  Verbreitung  des 
Stoffes  in  der  altfrz.  Literatur  und  löst  somit  glücklich  die  Auf- 
gabe, die  sich  Verf.  gestellt  hat. 

Das  Hauptinteresse  nimmt  natürlich  die  lat.  Fassung  des 
Willelmus  Medicus  und  ihre  älteste  frz.  Übersetzung 
in  Anspruch.  Erstere  liegt  hier  zum  ersten  Male  in  einer  kriti- 
schen Ausgabe  vor,  die  im  wesentHchen  definitiv  sein  dürfte, 
letztere  ist  ebenfalls  sehr  sorgfältig  herausgegeben  und  mit  Fuß- 
noten versehen,  welche  verschiedene  ihrer  Besonderheiten  er- 
läutern. Trotzdem  bleiben  in  dem  frz.  Texte  noch  einige 
zweifelhafte   Stellen  übrig: 

S.  16.  Unter  der  Rubrik  Qu'est  li  so  laus?  best  man  das 
sinnlose  enfremeies  de  mont,  das  ein  lat.  noctis  concertator  (od. 
concultator)  wiedergeben  soll.  Es  wird  wohl  in  enjremeres  de 
nuit  zu  bessern  sein.  —  Ebenda  liest  man  unter  der  Rubrik 
Qu'est  hom?  ein  porteres  de  lumiere  und  ähnlich  S.  18  unter  der 
Rubrik  Qu'est  marinniers?  ein  porteres  de  terre.  Den  beiden 
Stellen  entspricht  im  lat.  Texte  ein  lucis  (resp.  terrae)  desertor, 
weshalb  Hg.  porteres  in  deserteres  zu  ändern  vorschlägt.  Man 
wird  wohl  parteres  de  lumiere  (resp.  de  terre)  zu  lesen  haben.  — 
S.   17.  Unter  der  Rubrik  Qu'est  biautes?  ist  fleurs  matissans 


La  Noble  LeQon.  207 

(lat.  Text:  jlos  marcidus)  beizubehalten.  —  S.  18.  Unter  der 
Rubrik  Qu' est  marin  niers?  liest  man  ein  ostes  de  viande, 
das  einem  lat.  orbis  hospes  entspricht  und  daher  in  osles  de  monde 
zu  bessern  ist.  —  S.  21.  Die  der  lat.  Quid  est  stomachus 
entsprechende  frz.  Rubrik  ist  zu  lesen:  Qu  est  bousnens? 
Cf.  Godefroy  unter  bonnenc  und  A.  Tliomas,  Rom.  XXXIX  p.  205. 
Da  das  seltene  Wort  bisher  nur  in  pikardisch-wallonischen  Texten 
belegt  ist,  wird  man  wohl  annehmen  dürfen,  daß  nicht  nur  der 
Kopist,  sondern  auch  der  Übersetzer  selbst  aus  dieser  Gegend 
stammt.  —  S.  22.  Der  lat.  Rubrik  Quid  est  autumnus? 
entspricht  die  französische  Qu  est  vans?  Der  Hg.  schließt 
daraus,  daß  hier  die  lat.  Vorlage  fälschlich  ventus  statt  autum- 
nus hatte.  Da  aber  der  Schreiber,  und  wohl  schon  der  Über- 
setzer selbst,  streng  e  +  nasal  von  a  +  nasal  scheidet,  so  ist 
wohl  auch  hier  eine  einfache  Besserung  vorzunehmen  und  zu 
lesen:  Qu'est  wa'ins?  Zu  wains  ,, Herbst"  vgl.  kl.  Erec^  Anm. 
zu  V.  3128. 

Hilka  hat  S.  7.  in  treffenden  Worten  die  Geschicklichkeit 
des  frz.  Übersetzers  hervorgehoben,  der  eine  recht  gute  lat. 
Vorlage  hatte.  Vorstehende  Bemerkungen  dürften  wohl  zeigen, 
daß  da,  wo  der  frz.  Text  trotzdem  unverständliches  bietet,  wir 
es  meist  mit  Schreiberversehen  zu  tun  haben. 

Paris.  F.   Rechnitz. 


La  Xoble  liC^on,  des  Vaudois  du  Piemont.  Edition  critique 
avec  introduction  et  glossaire  par  Antonino  de 
Stefano  Docteur  es  lettres.  Paris,  Honore  Champion 
1909.     8».     LXXXI  u.  57  S. 

Die  letzte  Ausgabe  der  viel  umstrittenen  Hauptdichtung 
der  Waldenser  besorgte  1888  der  OrientaUst  E.  Montet.  Sie  gab 
sich  im  Prospekt  als  eine  edition  en  quelque  sorte  definitive  aus, 
doch  wies  W^  Foerster,  der  selbst  eine  kritische  Ausgabe  nahezu 
fertig  hatte,  in  den  Göttinger  Gel.  Anz.  1888  S.  753—803  in 
einer  ausführlichen  Besprechung  nach,  daß  ihr  nichts  weniger 
als  dieses  Prädikat  zukomme.  Foersters  Ausgabe  ist  bisher  nicht 
erschienen.  Deshalb  hat  nunmehr  Antonio  de  Stefano,  ein 
Schüler  E.  Murets  und  E.  Montets,  die  schwierige  Aufgabe  einer 
kritischen  Ausgabe  übernommen.  Leider  stellt  sich  bei  näherer 
Prüfung  wiederum  heraus,  daß  auch  seine  Kräfte  dazu  bei  weitem 
nicht  ausreichten,  wiewohl  er  sich  sichtlich  bemüht  hat,  seiner 
Aufgabe  gerecht  zu  werden. 

Auf  die  Ausführungen  der  Einleitung,  welche  die  Lehre  der 
Waldenser  betreffen  gehe  ich  im  folgenden  nicht  ein,  sondern 
bespreche  nur,  was  direkt  mit  der  Herstellung  des  Textes  zu- 
sammenhängt.    Als  feststehend  betrachte  ich,  daß  das  Gedicht 


208  Referate  und  Rezensionen.     E.   Stengel. 

in  assonierenden  12-Silbnertiraden  abgefaßt  ist,  daß  es  dem 
provenzalischen  Sprachgebiet  angehört  und  uns  nur  in  verjüngter 
und  überarbeiteter  Fassung  überliefert  ist.  Den  bisher  bekannten 
Hss.  in  Genf  (G),  Dublin  (D)  und  Cambridge  (C),  dem  kurzen 
weiteren  Bruchstück  in  Cambridge  (C^)  und  der  verlorenen  Vor- 
lage des  Extrait,  welches  J.  Leger  (L)  1669  veröffentlichte,  ver- 
mochte der  neue  Herausgeber  zwar  eine  weitere  Hs.  in  Zürich  (Z) 
hinzuzufügen,  die  jedoch  für  die  Textkritik  vollkommen  wertlos 
ist,  da  sie  lediglich  aus  L  und  der  editio  princeps  von  S.  Morland 
1658  (M)  im  18.   Jh.  entnommen  ist. 

Foerster  hatte  bereits  eine  Hss. -Klassifikation  aufgestellt, 
die  darauf  hinauslief,  daß  aus  einer  verlorenen  Vorlage  a  sowohl 
G  wie  ß  (die  gemeinsame  Vorlage  von  D  und  y,  der  Vorlage  von 
C  und  C^)  abzuleiten  wären,  daß  aber  C  und  C^  nebenher  auch  aus 
einer  Hs.  geschöpft  haben,  welche  mittelbar  auf  das  Original  selbst 
zurückwies,  a  wäre,  so  meint  er,  bereits  eine  stark  überarbeitete 
Fassung  gewesen,  die  erst  durch  Vermittlung  von  x  auf  das 
Original  zurückging.  Hieraus  ergab  sich  für  Foerster  als  erste 
Aufgabe  die  Rekonstruktion  von  a  und  erst  danach  die  nur 
annähernd  durch  höhere  Kritik  mögliche  Herstellung  des  Origi- 
nals; de  Stefano  lehnt,  ohne  es  zu  sagen,  Foersters  Stammbaum 
ab  und  stellt  einen  selbständigen  auf,  wonach  (unter  Beiseite- 
lassung von  C^)  G  D  aus  einer  verlorenen  Vorlage  a,  C  L  aus 
einer  zv/eiten  b  stammen,  und  a  b  durch  Vermittlung  von  X 
auf  das  Original  zurückweisen  sollen.  Jede  gemeinsame  Lesart 
GC,  DC  oder  G  ö  C,  sowie  G  L,  D  L  oder  G  D  L,  GCL  oder 
D  C  L  müßte  demnach,  soweit  nicht  der  Zufall  dabei  im  Spiele 
war,  bereits  in  x  gestanden  haben.  Er  zählt  S.  XXII  zur  Unter- 
stützung seines  Stammbaumes  einige  Fälle  auf,  in  welchen  a 
oder  b  fehlerhafte  Lesarten  aufweisen  und  S.  XXIII  f.  einige, 
seiner  Meinung  nach  nichts  beweisende,  Gegenfälle,  in  denen  D 
oder  G  mit  b  den  gleichen  Fehler  bietet.  Doch  sind  die  ange- 
führten Fälle  sehr  ungleichwertig. 

Als  Fehler  von  a  w^erden  von  ihm  angeführt:  52  Que  aman 
trop  Vor  e  l' urgent.  Dem  Variantenapparat  nach  bietet  aber  a: 
Li  cal  a.  t.  Vor  e  l'a.  (9  Silben)  gegenüber  dem  ebenfalls  anstößigen 
Halbvers  in  C:  Que  aman  Vor  e  Vargetit,  welchen  de  St.  in  den 
Text  setzt.  Den  Fehlern  von  a  in  54,  58,  69,  70,  249,  355  steht 
nur  eine  korrekte  Lesart  von  C  gegenüber,  während  L  die  Zeilen 
gar  nicht  überliefert.  —  132  Der  Lesart  a:  En  ayrna  (bess.:  Si 
com)  se  po  provar  per  la  sancta  escriptura  wird  der  Vorzug  vor 
der  Lesart  C:  Car  V escriptura  di  e  ben  se  po  provar  zu  geben  sein, 
weil  auch  131  gelautet  haben  wird:  Poi  pecqueron  greoment  a 
la  lei  de  natura  statt:  P.  {Enapres  a)  p.  g.  la  lei  ahandonant  («.  la 
ley  a  [fo  es  C]  la  ley  de  n.  aC).  —  139  überflüssige  Halbzeile 
von  C.  —  157  wird  mit  156  zusammenzuziehen  sein:  E  aguel 
deguessan  creire,   de  tot  lo  cor  servir  oder  besser:   De  tot  lo  cor 


La  Noble  Legon.  209 

degiiesan  aquel  creire  e  servir  gegen:  E  a.  d.  e  amar  e  temer  de  tot  lo 
cor  e  servir  G,  E  (fehlt  C)  a.  d.  c.  e  amar  de  tot  lo  cor  e  servir  entro 
al  dia  de  la  fin  (e.  al  d.  de  la  f.  fehlt  D)  C  D,  E  a.  d.  c.  e  t.  e  servir 
E  amar  de  t.  lo  c.  entro  al  d.  de  la  f.  de  Stef.  —  171  Car  aquilh  (bes. : 
qiiilh)  que  trapassavan  a  läßt  sich  beibehalten  gegen  C.  a.  q. 
peccavan  C.  —  182  qiiella  G  D  gegen  aqiiela  C  kann  bei  der  häufigen 
Vertauschung  beider  Formen  nicht  ins  Gewicht  fallen.  —  262 
ist  überflüssig  und,  wie  ihn  C  überliefert,  fehlerhaft:  Que  vos 
sia  filh  del  vostre  payre  qiies  en  li  cel,  aber  auch  wegen  der  Asso- 
nanz in  de  Stefanos  Fassung:  Q.  v.  s.  f.  d.  p.  local  es  en  li  cel 
anstößig,  da  cel  nicht  wohl  mit  -ent  gebunden  werden  kann, 
auch  nicht,  wie  384,  mit  aquel,  worüber  später.  —  272  Aquesta 
(bess.:  Quest')  es  la  ley  novella  a  ist  unanstößig  'gegenüber  Co  es 
la  n.  lei  C.  —  410.  11  in  b,  die  a  fehlen,  sind  allerdings  schon  der 
sonst  assonanzlosen  Zeile  409  wegen  unentbehrHch.  —  425  Die 
fehlerhafte  Lesart  aquilh  que  devon  esser  (statt:  son  b)  pastor  a 
ist  im  Apparat  weggebheben. 

Als  Fehler  von  b  gibt  de  St.  ausser  10,  27,  366,  384,  412, 
421  (nicht  422)  an:  37  done  statt:  don,  das  aber  im  Apparat  um- 
gekehrt als  Lesart  a  verzeichnet  wird  —  74  Aigo  poe  {poes  L) 
vos  hen  veer  qu'es  eysu  mal  gardä  st.:  Aigo  poen  nos  b.  veir  qu'es 
istä  m.  g.  Beide  Lesarten  scheinen  mir  aber  zulässig.  —  365 
alcun  {moti  L)  en  aquest  temp  present  st.:  alcun  al  t.  p.  Man 
könnte  also  auch  lesen:  moti  en  quest  t.  p.  —  376  die  fehlerhafte 
Lesart  wird  aber  im  Apparat  ausdrücklich  nur  als  Lesart  von  C 
verzeichnet,  ebenso  382,  wo  noch  dazu  dem  Apparat  nach  L  mit 
D  übereinstimmen  soll.  ■ —  420  die  Variante  b  fehlt  im  Apparat. 
—  430  steht  nur  in  C,  nicht  in  L,  ebensowenig  463  (nicht  460) 
und  der  Hinzufügung  von  car  el  geschieht  im  Apparat  keine 
Erwähnung. 

Trotz  dieser  vielfachen  Ungenauigkeiten  in  den  beigebrachten 
Belegen  wird  zuzugeben  sein,  daß  sowohl  für  G  D  eine  gemeinsame 
Vorlage  a,  wie  für  CL  eine  solche  b  anzusetzen  ist. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  mit  Foerster  für  C  eine  zweite  Quelle 
anzunehmen  ist,  so  daß  auch  für  D  C  eine  gemeinsams  Vorlage 
vorauszusetzen  wäre.  De  St.  bestreitet  es,  w^eil  ihm  die  nach- 
stehenden Fälle  nicht  beweiskräftig  scheinen:  14  Per  qo  {Eu- 
pergo  D  b)  deven  mays  (tilge  m.)  temer  —  77  Que  aucis  son  {seo  D, 
lo  sio  b)  fraire  Abel  —  89  covent  {covenent  D  C)  —  119  encar  {en- 
cara  D  C)  —  322  Pois  (P.  li  D  C)  feron  la  cinquena,  380  dion 
{digon  D  b).  Im  Text  aber  steht  die  Schreibart  digon  und  in 
den  Varianten:  dion  G.  Der  Fall  ist  übrigens  ganz  bedeutungs- 
los —  386  s'el  ha  [aure  D  b)  agu  desonor  —  452  po  {po  ben  D  C) 
pensar  entre  si.  Man  würde  de  St.  zustimmen  müssen,  daß  keinem 
dieser  Fälle  eine  genügende  Beweiskraft  beizumessen  ist,  lägen 
nicht  andere  von  ihm  nicht  erwähnte  Fälle  vor,  so  34.  35.  Leichter 
wiegen  die  drei  gemeinsamen  Fehler  für  Gb  auf  S.  XXIV:  213 


210  Referate  und  Rezensionen.     E.   Stengel. 

Noblament  la  saluda  [saliide  G  C)  —  251  combatre  {e.  contra  G  C) 
li  enemic  —  438  nos  coven  esmendar  {smendar  G  C). 

Dafür,  daß  x  die  Vorlage  von  a  b  schon  vielfach  verderbt 
war,  hält  de  St.  nicht  für  nötig,  in  der  Einleitung  Beweise  zu 
erbringen;  die  Tatsache  wird  aber,  wie  aus  dem  Variantenapparat 
hervorgeht,  nicht  zu  bezweifeln  sein. 

Auf  des  Herausgebers  Beweisführung  dafür,  daß  Morlands 
Vorlage  C  gewesen  sei,  gehe  ich,  da  von  geringem  Interesse, 
nicht  ein  und  wende  mich  sogleich  zum  Versbau  des  Textes, 
über  welchen  S.  XXXIV  ff.  gehandelt  wird.  Auch  hier  nimmt 
de  St.  im  Widerspruch  m.it  Foerster  an,  daß  der  Dichter  unter 
seine  12-Silbner  nach  dem  Vorbilde  piemontesischer  Volkslieder 
hier  und  da  Halbverse,  die  mit  den  voraufgehenden  oder  nach- 
folgenden Zeilen  assonieren,  eingestreut  habe.  Die  Zeilen  30, 
52,  78,  273,  320  seien  donnes  par  toutes  les  legons,  zählten  überall 
6  Silben,  assonierten  und  paßten  in  den  Zusammenhang.  Auch 
hier  erheischen  die  Fälle  eine  Einzelnachprüfung:  30  läßt  sich 
leicht  ergänzen:  [Lo  nostre  Salvador]  filh  de  sancta  Maria.  —  52 
Nur  C  bietet  einen  korrekten  Halbvers,  G  D  überliefern  9  Silben, 
die  sehr  wohl  aus  einen  vollständigen  12-Silbner  herstammen 
können.  —  78  wird  besser  mit  79  zusammengezogen  zu  Mas  car 
avia  al  segnor  sa  fe,  non  en  creatiira  (auch  77  wird  ursprünglich 
gelautet  haben:  Que  aucis  son  fraireAbel  sengnul'autra  caison).  — 
273,  320  lassen  sich  entbehren.  —  Auch  253  ist  ein  korrekter 
Halbvers  in  allen  Hss.,  läßt  sich  aber  mit  254  zusammenziehen: 
Not  vengiar,  ma  l  vengiar  laissa  al  rei  celestial.  Hiernach  muß 
es  höchst  bedenklich  erscheinen,  daß  de  St.  8  weitere  Halbverse 
neu  in  seinen  kritischen  Text  eingeführt  hat.  Sie  sind  ausnahmslos 
zu  beseitigen:  34,  35  Plen  de  tota  poestä  E  de  tota  sapiencia  e  de 
tola  bontä  gegen:  P.  de  t.  sapiencia  et  de  t.  poissenga  G,  P.  de  t. 
poisanga  e  de  t.  s.  D  b.  Ich  bessere:  P.  de  t.  poissenga  de  s.  e 
bontä.  Weder  poissenga  noch  sapiencia  würden  in  die  Assonanz 
passen.  Wegen  bontä  vgl.  39.  —  48.  49  Ma  aquel  que  non  fara 
Aigo  que  se  conten  en  aquesta  leigon  gegen:  Ma  a.  q.  n.  jare  qo  que 
se  c.  en  a.  l.  ab.  Ich  bessere:  Quel  q.  n.  fare  go  qu'es  en  quesla  l. 
Die  Form  fara  ist  für  die  N.  L.  nicht  wolil  zulässig,  obwohl  auch 
114  perira  im  Text  steht  und  in  den  Varianten  perera  in  a  verzeich- 
net ist,  freilich  sind  auch  die  Futurformen  auf  e  durch  keine  Asso- 
nanz gesichert.  —  103.  104  Ma  garde  se  un  chascun  non  {que 
non  C)  li  endevegna  aisi  (enaysi  C)  Cant  endevent  {Co/na  D)  a  lor 
gegen:  Ma  g.  se  un  eh.  que  non  entrevegna  Enay  e.  a  lor  G.  Ich 
bessere:  Ma  gardes,  nolh  devegna  enaisi  conia  a  lor  —  139  Otra 
defendement  C,  fehlt  a  und  ist  entbehrlich  —  383 — 85  Ma  fort 
se  conforie  aquel  Que  suffre  pel  segnor  I  car  lo  regne  del  cel  Le  sere 
aparelhä  al  isir  d'aquest  mont  g^gen:  Ma  forment  C,  se  conforta  D, 
Qu'es  persegu  per  la  tetnor  del  segnor  b,  car  lo  r.  de  li  cel  D  b,  Li  s. 
a.  al  partir  d'a.  m.  G.     Ich  bessere:  Mas  forment  se  conforie  que 


La  Noble  Le^oii.  211 

s.  pel  s.  Cur  lo  r.  del  cel  aure  al  issii-  del  nwiit  —  395. 
96  Ma  segont  V escriptiira  el  ha  trop  [rejtarcä  Lacal  comunda  e 
di,  G  D  unterdrücken  comanda  e,  daher  bessere  ich:  Mas  s.  l'e. 
ha  trop  targd  qiie  (d.  li.:  V escriptiira)  di  —  420—22  Et  tiiit  U 
cardenal  e  li  evesque  e  li  abä  Tuit  aqiiist  ensemp  non  hau  tant  de 
poestä  Qii'il  poisan  perdoiiar.  Tilgt  man  die  fehlerhafte  und 
überflüssige  Halbzeile  Tuit  aqiiist  ensemp,  so  verschwindet  der 
Halbvers  422.  —  486.  87  Enant  qu'el  targe  gaire,  Digent  vene 
vos  en  li  beneit  del  mio  paire.  Durch  Tilgung  der  letzten 
Halbzeile  erhalten  wir  einen  mit  482 — 85  assonirenden 
12-Silbner. 

Die  Bemerkungen  des  Herausgebers  über  die  Assonanzen 
sind  ganz  unzureichend.  Sie  beschränken  sich  darauf,  das  Vor- 
herrschen der  männlichen  Assonanzen  und  die  Häufigkeit  des 
Vollreims  zu  konstatieren  und  letztere  dem  Zufall  zuzuschreiben, 
was  ich  nicht  ohne  weiteres  zugebe.  Welche  Wortausgänge  in 
der  überlieferten  Fassung  miteinander  gebunden  werden  und 
welche  dieser  Bindungen  schon  dem  Original  angehörten,  wird 
nirgends  festgestellt.  Aus  dem  Vorstehenden  ergibt  sich  bereits, 
daß  die  Assonanzen  cel:  malfagent  262  und  \aquel  384  aus  dem 
ursprünghchen  Gedichte  entfernt  werden  müssen.  Auch  die 
Angaben  über  die  Ausdehnung  der  Assonanz-Tiraden  konnten 
präziser  gefaßt  werden.  Statt  des  unbestimmten  quelques  unes 
mußten  die  genauen  Ziffern  für  die  2-14  (nicht  2 — ll)-zeiligen 
Laissen  (vgl.  326 — 339)  und  das  starke  Über^^^egen  der  .Assonanz- 
Paare  angeführt  werden.  Das  durchaus  nicht  vermiedene  Tiraden- 
Enjambement  gegenüber  dem  streng  verpönten  Versenjambement 
mußte  hervorgehoben  werden,  ebensowenig  durfte  die  Behandlung 
des  Reihenschlusses  vöUig  mit  Stillschweigen  übergangen 
werden. 

Eine  besonders  sorgfältige  und  kritisch  prüfende  Untersuchung 
endlich  hätten  die  Hiat-  und  EHsions-  (bezw.  Kontraktions-) 
Verhältnisse  des  Textes  erheischt,  weil  von  ihrer  richtigen 
Erkenntnis  eine  befriedigende  Textgestaltung  in  erster  Linie 
abhängig  ist.  De  St.  hat  sich  begnügt,  lediglich  der  Verszahl 
nach  geordnete  Listen  von  Fällen  des  Hiats  und  der  Elision 
(bez.  Kontraktion)  abzudrucken  und  knüpft  daran  nur  die  Be- 
merkungen, daß  die  EHsion  bei  weitem  häufiger  als  der  Hiat 
sei,  sowäe  daß  l'hiatus  est  supprime  par  crase  ä  la  rencontre  de 
deux  voyelles  identiques,  doiit  l'iuie  peiit  aussi  itre  le  premier 
element  d'une  diphtongiie.  Zwischen  den  verschiedenen  Arten 
des  Vokalzusammenstoßes  zN\aschen  Wortausgang  und  Wort- 
anfang (vom  Hiat  im  Innern  der  Worte  handelt  der  Verfasser 
überhaupt  nicht)  wird  gar  nicht  unterschieden  und  ebensowenig 
gefragt,  ob  die  überheferten  Fälle  dem  Dichter  oder  nur  einem 
Überarbeiter  zuzuschreiben  sind.  Einzelne  der  angeführten  Hiat- 
Fälle  sind  sogar  ohne  weiteres  zu  streichen,  w^eil  der  Herausgeber 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVIP.  15 


212  Referate  und  Rezensionen.     E.  Stengel. 

über  die  Silbenzahl  im  Irrtum  ist,  so:  274  Eapelle  li  seo  apöstol,^) 

371  Qu'ilk  persegon  e  aucion,  oder  weil  sie  fehlerhaft  über- 
lieferten   Zeilen    angehören:    44    [nos]    o/a    comendü,     bessere: 

0  [nos]  a    c. ;    vgl.   III  Car  Jeshii  Krist    o  ha  dit  —  62  [AIqoI 

nos  ben  poen  dire  qiie  aqui  /  ac  mal  bocon,  h.  :  Ben  p.  d.  qua.  ac 
Imanjä]  mal  b.  —  449  De  las  tres  [noblas]  leis  que  Dio  done  /  al  mont 
b.:  De  las  t.  l.  q.  D.  \lo  paire]  done  al  mont.  In  andern  Fällen 
ist  der  Hiat  nur  ein  scheinbarer  und  wird  durch  ^^'iedereinsetzung 
eines  auslautend  weggefallenen  f  oder  s,  das  die  Überlieferung 
hier  und  da  auch  noch  bewahrt  hat,  beseitigt,  so  402  Ma  cant 
el  aw[c]  aigo  —  6.  Ben  ha  mil  e  cent  ang  compli[s]  entierament 

—  313  e  li  pe[s]  e  las  mans  —  379  de  li  seo[s]  enemis —  418  Ma  [fo] 

1  io  I  auso  dire  b.:  Mas  [aijpo  dire  aus  io.  Zu  beachten  ist,  daß 
auso  eine  unzulässige  Form  für  Praes.  ind.  1  Sing,  sein  würde, 
und  mas  von  de  St.  selbst  363,  416  in  den  Text  gesetzt  wird. 

Ebenso  schreibe  ich  202  Ma[s]  i  ac  alcuna  gent;  392  Ma\s]  a  la 
fin  se  garde;  348  Ma[s]  aiQo  s'e  trobä;  425  Mas  aigo  devon  far. 
Auch  die  entgegengesetzten  Fälle,  wo  ma  mit  einem  folgenden 
Vokal   syllabisch   vereinigt    zu   sein   scheint,    lassen   sich   leicht 

beseitigen,  so  ist  51  Ma  aigo  es  de  greo  tenir  mit  G  zu  ändern 

in:  Maczo  es  de  g.  t.,  ebenso  221;  22  Ma  (a)quel  que  non  creire, 
ebenso  48,  113;  282  Ma  (b.:  E)  au  vita  e  vestimenta;  123  ma  ilh 
non  pogron  far  tant,  tilge  mit  G  ilh;  230  Ma[s](en)apres  un  petit, 
ebenso  363  (nicht  263,  wie  de  St.  angibt);  365  G:  Ma  encor  s'en 
troba,  C:  31  a  encor a  se  troba,  de  St.:  Ma  encor  en  son  trobä,  b: 
Mas  encar  son  trobä;  360,  373,  387  endlich  tilge  überflüssiges  Ma. 
In  anderen  Fällen  läßt  sich  der  Hiat  durch  Wortumstellung 
beseitigen,  so:  15  Si  la  mort  nos  penre  enchoi  /  o  ben  deman  b.: 
Si  nos  p.  e.  la  m.  ob.  d.\  86  E  ames  Dio  j  al  seo  cor.,  b.:  E  a. 
al  s.  c.  D.\  140  Aici  ha  grant  cisemple  b.:  A.  g.  e.  ha;  151  Dio 
al  seo  pöble  fei  h.  :  al  s.  p.  f.  D. ;  167  Usura  /  e  rapina,  b.  :  E  r.  e  u. 

—  376  que  ame  /  e  te??ia  Xrist,  CL:   que  volha  amar  Dio  e  temer 

Jeshu  Xrist,  b.:  qu'ame  Dio  e  tema  Xrist;  378  Ni  avoutrar  ni  / 
aucire,  b. :  Ni  aucire  ni  avoutrar  —  405  A  seo  /  eifant  comanda, 

h.  mit  GD:  E.  c.  a  (li)  seo  enfant  —  447  E  /  aurian  la  victoria 
b.  E  la  v._  a. ;  oder  durch  Einfügung  einer  oder  einiger  Silben: 

7  Que  fo  [e]scripta  [aque]l'ora  —   158   £"  [qu]'un  chascun  am^ 

—  267  Nengun  non  deo  [ni]  aucire  ni  airar  nenguna  gent  —  307 

Penseron  [a]  lui  aucire  —  324  e  aiga  ensemp  [jo]  mesclä  —  403 

^)  Ich  zitiere  stets  wenigstens  die  ganze  Halbzeile,  während  de  St. 
nur  die  betreffenden  2  Worte,  hier  seo  apostol,  aushebt,  was  zur  Fest- 
stellung des  Tatbestandes  natürlich  nicht  genügt. 


La  Noble  LeQon.  213 

(E)  Pensü  \ben\  entre  si;  vgl.  452  D  C  —  405  A  seo  eifant  co- 

manda,  b.  nach  GD:  E.  c.  a(li)  s.  enfanz  —  445  [e]  Dio  humil- 
ment  servir;  oder  ondlicli  durch  Ersatz  eines  Wortes  durch  ein 
anderes:  186  Un  pöble  era  a  Dio,  b.:  Un  p.  fo  a  D.  —  288  el  lor 
vai  anonciar,  h. :  el  l.  vol  a.  Eine  stärkere  Änderung  ist  der  Über- 
lieferung gemäß  131  erforderlich  (vgl.  oben  die  von  de  St.  für  a 
beigebrachten  Belege)  und  fällt  daher  auch  dieser  Hiatfall  weg. 
Kein  eigentlicher  Hiat  wird  304  bei  rei  Herode  anzunehmen  sein. 
Bedenkt  man,  daß  sonst  im  Gedicht  bei  Vokalzusammen- 
stoß am  Ausgang  und  Anfang  von  Worten  Elision  oder  Kon- 
traktion im  weitesten  Umfange  zu  beobachten  ist,  so  wird  man 
wohl  auch  die  aufgeführten  Hiate  wenigstens  der  Mehrzahl  nach 
dem  Dichter  selbst  nicht  zusprechen  wollen  und  den  vorstehend 
gemachten  Versuch,  sie  zu  beseitigen,  für  berechtigt  anerkennen. 
Nur  hinsichtlich  einer  kleinen  Gruppe  von  Hiaten  möchte  ich 
auf  Unechtheit  nicht  plädieren.  Ich  meine  solche  Fälle,  wo  3  ver- 
schiedenen Silben  angehörige  Vokale  zusammenstoßen.  Hier 
scheinen  mir  nur  die  beiden  ersten  Vokale  zusammenzufließen, 
der  dritte  aber  seine  eigne  syllabische  Geltung  zu  behalten.  Ich  führe 

an:  245  co  que  Dio  ha  /  a/ostä;  376  Que  si  n'i  a  /  alciin  bori]  389 

e  aucire  e  /  avoutrar;  490  Plaga  a  /  aquel  segnor;  oder:  213  cum 
s'apertenia  /  a  lei;  392  qii'el  non  sia  /  enganä,  oder  175  Trenta 
milia  /  e  plus.  Leicht  lassen  sich  einige  entgegengesetzte  Fälle 
beseitigen,  so  242  la  (lei)  velh'  a  autreiä,  411  sia  (a)  just  o  sia 
(a)  fellon,  in  anderen  ist  der  Überlieferung  nach  gar  kein 
Hiat  vorhanden:  231  per  gracia  e  per  etä,  408  lo  quita  o  encor(a) 
per  menz,  452  Car  quel  qu'ha  entendement. 

Auf  eine  Nachprüfung  der  EHsions-  oder  Kontraktionsliste 
de  Stefanos  will  ich  mich  hier  nicht  einlassen,  zumal  das  Ge- 
samtergebnis einer  im  weitesten  Maße  geübten  Elision  oder  Kon- 
traktion dadurch  nicht  verändert  werden  würde.  Die  Behand- 
lung des  Vokalzusammenstoßes  im  Innern  der  Worte  hat  de  St., 
wie  bereits  bemerkt,  ganz  unerörtert  gelassen.  Freilich  sind  die 
Hiatfälle  hier  noch  seltener.  Um  so  mehr  bedurfte  es  aber  der 
Feststellung,  ob  nebeneinander  acension,  condicion,  confusion, 
enpromessions  53  usw.  und  empromesion  181,  pasion  63;  celestial 
163  und  celestial  46  (:),  254  (:),  256;  creon  (1  s.)  68  und  creian 
(2  s.)  119,  306,  347;  antreiä  (2  s.)  242,  bapteiavan  (3  s.)  345  und 
bapteiesan  (4  s.)  238,  paiament  (3  s.)  167;  i>eir  74,  m>  66,  375 
und  veser  241,  299  in  der  Originaldichtung  zuzulassen  seien. 
Ich  habe  Grund,  das  zu  bestreiten. 

Die  gleichen  Mängel  haften  den  wenigen  Bemerkungen  des 
Herausgebers  über  die  Sprache  der  N.  L.  an.  Nirgends  wird  ein 
scharfer  Unterschied  zwischen  den  Schreibformen  der  Über- 
lieferung und  den  Sprachformen  des  Dichters  konsequent  durch- 
geführt.    Hinsiclitlich  des  auslautenden  flexi  vischen  Plural  s  der 

15* 


214     Referate  und  Rezensionen.     Wolfgang  von  Wiirzbach. 

Masculina  wurde  schon  bei  Erörterung  der  Hiatfälle  wahrschein- 
lich gemacht,  daß  sie  der  Dichter  ebensowenig  verstummen  ließ 
wie  die  der  Feminina;  die  gegen  die  ÜberUeferung  und  gegen  die 
altprovenzalische  Grammatik  der  Assonanz  zuliebe  in  Z.  325 
eingeführte  3  s.  des  Perfekts  auf  -a  wird  durch  ein  Partizip  Pcr- 
fekti  zu  ersetzen  sein:  masl'un  i  [es]  retoniä  st.  mus  {ma  G  0) 
un  {l'un  C)  i  retorne  G  D  C,  die  gleichfalls  der  Assonanz  einer 
angeblichen  Halbzeile  wegen  in  Z.  48  eingeführte  3  s.  des  Futurs 
auf  ä:  farä  st.  fare  läßt  sich  zwar  durch  das  im  Innern  von  Z.  114  , 
überlieferte  perira  stützen,  erweist  sich  aber  durch  die  vorstehend 
vorgeschlagene  Beseitigung  der  Halbzeile  als  überflüssig.  Bemerkt 
sei  allerdings,  daß  auch  die  -e-Form  durch  keine  Assonanz  ge- 
sichert wird. 

Nach  allem  Gesagten  erübrigt  es,  sich  in  eine  weitere  Einzel- 
kritik der  angebhchen  kritischen  Textherstellung  de  Stefanos 
einzulassen.  Sie  würde  die  durch  die  voraufgehenden  Dar- 
legungen bereits  ausreichend  begründete  Ansicht,  daß  die  Auf- 
gabe einer  kritischen  Ausgabe  der  N.  L.  noch  immer  ungelöst 
sei,  nur  noch  w^eiter  bestätigen.  Icli  will  nur  noch  bemerken, 
daß  auch  die  Interpunktion  des  Herausgebers  selir  viel  zu  wün- 
schen übrig  läßt,  und  daß  sehr  zum  Schaden  der  Deutlichkeit 
von  der  Verwendung  von  Akzenten  gänzlich  abgesehen  ist. 
Trotz  allem  soll  nicht  verkannt  werden,  daß  die  neue  Ausgabe 
mit  Vorsicht  und  Kritik  verwertet,  zunächst  eine  wirklich  kritische 
Textbearbeitung  ersetzen  kann,  da  die  gesamte  varia  lectio  in 
ihr  mitgeteilt,  in  den  Anmerkungen  in  mancher  Beziehung  wert- 
volles Interpretationsmaterial  zusammengetragen  und  auch  der 
Wortschatz  des  Textes  in  ausreichender  Weise  im  Glossar  zu- 
sammengestellt und  gedeutet  ist. 

E.  Stengel. 


liC  Pilewr,  li.  Medecin  de  Saint-Lazare.  Les  maladies  de 
Venus  dans  V ceuvre  de  FranQois  Villon.  Avec  un  docu- 
ment  nouvellement  interprete  (Extrait  du  Journal  de 
Medecine  de  Paris  N.  24,  Juin  1910,  tire  ä  150  Exom- 
plaires)  Librairie  H.  Champion,  1910.     16  S.     8^. 

Über  den  Zeitpunkt  des  Auftretens  der  venerischen  Krank- 
heiten, speziell  der  Syphilis,  in  Europa  herrschen  bekanntlicii 
in  der  medizinischen  Wissenschaft  zahlreiche  Kontroversen.  Für 
das  Vorhandensein  und  die  Verbreitung,  welche  die  Seuche 
schon  um  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  in  Frankreich  ge- 
funden haben  soll,  hatte  Grüner  in  seiner  Fortsetzung  zum 
Aphrodisiacus  (Jena  1789)  drei  Stellen  aus  Villon  angeführt, 
die  letzte  Strophe  der  Ballade  des  langues  envieuses  (in  unserer 
Ausgabe,  Erlangen  1903,  V.  1447),  die  Strophe  112  des  Testa- 
ment (V.  1210)  und  des  Envoi  der  Ballade  de  Villon  et  de  la  grosse 


Laumonier,   Paul.  215 

Margot  (V.  1622).  Dr.  B  u  r  o  t  hat  diesen  in  seiner  Schrift 
Le  gros  mal  du  moyen-äge  (Paris  1894)  noch  eine  vierte  hinzu- 
gofügi  (in  den  Regret s  de  la  belle  heaulmiere,  V.  482).  Außerdem 
wurde  (von  Dr.  Helme  in  der  Revue  moderne  de  med.  et  de 
Chirurgie,  Sept.  1909)  behauptet,  daß  ViHon  mit  ,,baude"  (V.  1192) 
die  Syphilis  bezeichnet  liabe. 

Der  Verf.  der  vorliegenden  Abhandlung  weist  nun  nach,  daß 
es  sich  hier  durchwegs  um  Irrtümer  handle,  indem  chancre  et 
fiz  (1447),  rongneux  (1208),  mauvaise  ordure  (1213),  paillart  (1622), 
de  mal  entechie  (482)  wohl  auf  Hautkrankheiten  verschiedener 
Art,  nicht  aber  auf  Syphihs  hinweisen,  und  daß  kein  Grund 
vorhanden  sei,  in  dem  Vers  „portant  chiere  hardie  et  baude"  (1192) 
dem  Worte  ,,baude"  eine  andere  Bedeutung  als  ,,kühn"  bei- 
zulegen, zumal  es  in  der  Bedeutung  ,,mal  de  Naples"  erst  um 
1628  vorkommt.  Es  sei  mithin  irrig,  bei  Vi  1 1  o  n  irgendwelche 
Anspielungen  auf  die  Lustseuclie  finden  zu  wollen,  woraus  sich 
weiter  ergebe,  daß  diese  damals  nicht  so  verbreitet  gewesen  sei, 
als  man  angenommen  habe. 

In  einem  Anhang  wird  sodann  ein  angebliches  Zeugnis  für 
das  Vorhandensein  derselben  Krankheit  aus  dem  Jahre  1303 
richtig  gestellt.  In  der  in  Betracht  kommenden  Urkunde  aus 
den  Arcläves  consulaires  de  Moissac,  zitiert  von  Desmazes, 
Curiosites  des  anciennes  j'ustices,  Paris  1867,  S.  121  bedeutet 
mal  gauc  natürlich  nicht  ,,mal  i'enerien"  \\-ie  Desmazes  annahm, 
sondern  ^jnmwaise  joye"  (Unglück). 

W  i  e  n.  Wolfgang  von  Wurzbach. 


T^aiiuionier,  Paul.  Docteur  es  Lettres  Maiire  de  Confe- 
rences de  Langue  et  Litterature  frangaises  ä  TUniversite 
de  Poitiers.  —  Ronsard  poete  lyrique.  Etüde  historique 
et  litteraire  —  Paris.  Librairie  Hachette  et  Cie.  1909. 
—  [P.  807]  Acheve  d'imprimer  le  15  Mai  1909.  —  In-8 
[25  X  16  cm]  de  LI— 806  pp. 

liauinonier,  Paul —   La  vie  de  P.  de  Ronsard  de 

Claude  Einet  (1586).  Edition  critique  avec  introduction 
et  commentaire  historique  et  critique.  —  Paris.  Librairie 
Hacliette  1910.  —  [P.  264]  Acheve  d'imprimer  le 
15  Novembre  1909.  —  In-8  de  XLVIII— 259  pp. 

«Sonnet  ....  G'est  un  sonnet»,  annon^ait  Oronte  dans  le 
Misanthrope  de  Moliere;  Theses  . . , .  Ce  sont  des  Theses  que 
M.  Laumonier  a  soutenues  au  printemps  de  1910  devant  la 
Faculte  des  Lettres  de  TUniversite  de  Paris,  et  qui  lui  ont  valu 
1-e  gTade  de  Docteur  es  lettres,  avec  mention  tres-honorable 
decernee  par  le  jury  compose  de  MM.  Croiset,  Lanson,  Gazier 
et  Chamard. 


216  Referate  und  Rezensionen.     H.   Vaganay. 

Ces  mille  pages,  imprimees  en  caracteres  assez  menus  et 
dans  une  justification  compacte,  sont  le  fruit  d'un  labeur  acharne 
et  qui  a  coüte  plusieurs  annees  de  travail  ä  son  auteur.  Le 
resultat  a-t-il  repondu  ä  Tefiort  et  avons-nous  enfin  cette  oeuvre 
definitive,  qui  nous  permettra  de  voir  Ronsard  tel  qu'il  est,  tel 
que  le  XVP  siecle  Thonora  ?  La  reponse  n'est  point  aiseo  ä 
formuler,  surtout  pour  le  signataire  de  ces  lignes  qui,  autant 
que  qui  que  ce  soit  au  monde,  sgait  les  difficultes  du  probleme,  mais 
il  me  semble  que  M.  Laumonier  s'est  considere  comme  engage 
dans  une  sorte  de  course  au  clocher,  et  que,  desireux  de  devancer 
des  concurrents  possibles,  il  est  parti  trop  tot. 

Laissons  de  cöte  les  pages  oü  M.  L.  nous  donne  son  opinion, 
sur  le  poete  Vandomois,  sur  son  oeuvre,  sur  son  epoque:  c'est 
lä  chose  subjective  que  Ton  peut  admettre,  que  Ton  peut  con- 
tredire  et  avec  d'aussi  bonnes  raisons  en  un  sens  qu'en  l'autre. 
Ronsard  fut-il  aussi  debauche  de  corps  que  de  tele  ?  Le  coour 
fut-il  quelquefois  de  la  partie  ?  Le  poete  fut-il  un  precurseur 
de  l'esprit  moderne  ou  un  plagiaire  de  l'italien  ?  Voilä  tout  autant 
de  questions  que  Ton  peut  debattre  longtemps  encore.  Et  M.  L. 
ne  s'etonnera  point  si  plusieurs  de  ses  arguments  ne  m'ont  point 
convaincu,  notamment  ceux  exposes  au  chapitre  IP  de  la 
Section  II  de  la  deuxieme  partie. 

Mais  M.  L.  m'objectera  que  c'est  lä  precisement  la  partie 
«These»  de  son  travail  et  qu'il  fallait  bien  presenter  aux  juges 
de  la  nouvelle  Sorbonne  autre  chose  que  des  faits.  Et  veritable- 
ment  M.  L.  a  amoncele  la  plupart  des  materiaux  qui  peuvent 
servir  ä  elever  ä  Ronsard  le  monument  digne  de  son  talent  et 
de  sa  renommee.  II  sera  malaise  ä  ceux  qui  viendront  de  dire 
du  nouveau  sur  Ronsard:  ä  propos  des  Ödes.,  l'auteur  nous  offre 
une  veritable  encyclopedie  et  vide  ses  tiroirs  devant  nos  yeux. 
Je  ne  songe  nullement  ä  m'en  plaindre,  mais  j'estime  que  l'im- 
primeur  a  mis  au  titre  un  mot  de  trop:  Ronsard  poete,  sans 
epithete,  tel  serait  le  titre  exact. 

Les  renseignements  abondent  donc  en  ces  pages  denses: 
biographie,  Chronologie,  bibliographie,  topographie,  variantes  de 
texte  se  melent  et  se  confondent  dans  le  texte  et  surtout  dans 
les  notes.  M.  L.,  qui  n'est  pas  toujours  tres  tendre  pour  les 
inexactitudes  de  ses  predecesseurs,  n'a,  pas  plus  qu'eux,  ete  ä 
Tabri  de  ces  erreurs  que  ne  commet  pas  celui  qui  ne  fait  rien. 
Voulant  faire  apprecier  son  labeur  —  et  en  cela  11  a  completemcnt 
raison  —  il  fait  remarquer  la  rarete  des  exemplaires  de  certaines 
editions  de  Ronsard:  il  aurait  ete  plus  exact  d'ajouter:  «dans 
les  bibliotheques  pubUques  de  France»;  M.  L.  ne  semble  pas  se 
douter  de  l'cxistence  d'autres  bibliotheques  privees  tres  riches 
en  ouvrages  du  XVP  siecle  et  fort  accueillantes  au  chercheur. 
—  Les  dates  d'exercice  de  Nie!  le  Riebe  sont  donnees  d'apres 
Silvestre:  l'ouvrage  de  M.  Renouard  n'est-il  pas  plus  recent  et 


Laumo?iier,  Paul.  217 

meilleur  ?  —  La  Bibliotheque  Nationale  de  Paris  peut  posseder 
unc  edition  des  Basia  de  Jean  Second  sous  la  date  1541,  mais 
ce  n'est  sürement  pas  redition  princeps.  La  Monnoie  et  Loraux 
avaient  raison  de  parier  d'une  edition  anterieure.  Et  le  plaisant 
de  Faffaire,  c'est  que  M.  L.  ne  s'est  point  doute  que  cette  edition, 
de  1539,  est  sur  les  rayons  de  la  meme  Bib.  (Y  2900  Res.)  II 
trouvera  cette  edition  decrite  au  t.  VIII,  p.  127  de  la  Bibliographie 
Lyonnaise  de  M.  Baudrier.  —  La  traduction  d'Alberti  par  Jean 
Martin  n'est-elle  pas  posterieure,  publiee  meme  apres  sa  mort, 
a  Celle,  qu'on  lui  attribue  sans  beaucoup  de  raisons  valables,  de 
Vitruve  ?  —  Des  Amoiirs  de  Ronsard,  l'edition  princeps  existe 
au  moins  en  six  exemplaires  et  si  c'est  une  acquisition  coüteuse 
ä  faire,  eile  n'est  nullement  impossible.  II  en  est  de  meme  de 
l'edition  collectivc  de  1578:  si  la  Bibl.  Nat.  ne  l'a  acquise  qu'en 
1903,  d'autres  bibliotheques,  plus  avisees,  la  possedaient  long- 
temps  avant  cette  dato.  —  Imprimer  k  propos  de  Charles  d'Orleans 
«Les  poesies  de  ce  prince  n'existant  alors  [au  XVI®  siecle]  qu'en 
manuscrit  et  n'ayant  pas  ete  imprimees  avant  le  XVI IF  siecle, 
nous  les  avons  laissees  de  cöte»,  c'est  se  montrer  peu  au  fait  des 
recherches  de  M.  Picot  et  de  celles  de  M.  Piaget  (Romania,  t.  XXL 
1892,  p.  580 — 96).  —  Les  connaissances  linguistiques  de  M.  L.  se 
sont  sans  doute  notablement  accrues  depuis  certaine  note  sur 
envis  dans  la  Revue  d'Histoire  Utteraire  de  la  France,  et  pourtant 
il  considere  la  graphie  coing  =  coin  comme  une  faute  d'impression! 
—  A  plusieurs  reprises,  M.  L.  cite  des  pieces  de  Ronsard:  tres- 
bien,  mais  il  nous  avertit  qu'il  a  «quelque  peu  rajeuni  la  ponctua- 
tion  et  rorth[ographe]. . . .  pour  que  le  lecteur  ne  füt  pas  de- 
route, ...»  N'aimerait-on  point  ä  connaitre  les  principes  d'apres 
lesquels  s'est  opere  ce  rajeunissement  ?  Y  a-t-il  meme  une 
ofthographe  francaise  au  XVP  siecle  ?  N'est-ce  point  plutöt  la 
fantaisie  de  rimprimeur  qui  reglait  la  graphie  ?  Et  ä  tout  prendre, 
ne  fallait-il  pas  «rajeunir»  entierement:  pourquoi  uno  note  pour 
expliquer  halesne,  alors  que  la  graphie  alesne  est  du  XVI®  siecle, 
comme  est  aUne  du  XX®  ?  Ou  bien  M.  L.  veut-il  nous  faire 
pressentir  qu'il  va  nous  donner  un  «Ronsard  rajeuni»  tout  comme 
nous  avons  dejä  un  Rabelais  en  frangais  moderne?  II  ne  semble 
pas  aise  de  presenter  la  pensee  de  Ronsard  dans  un  vetement 
du  XX®  siecle. 

M.  Laumonier  s'est  assigne  un  champs  d'etudes  tres  vaste: 
aussi  n'a-t-il  point  toujours  reussi  ä  creuser  un  sillon  bien 
profond.  Ronsard  poete  lyriqne  doit  sans  doute  quelque  chose 
ä  l'enseignement  de  D'Aurat,  de  Muret,  de  Lambin,  mais  quelle 
fut  exactement  leur  influence,  nous  aimerions  ä  le  savoir.  Et 
cette  precision  eüt  peut-etre  amene  M.  L.  ä  se  demander  ce 
que  devint  dans  l'oeuvre  de  Ronsard  la  prophetie  de  Cassandre 
ä  Francion  que  je  lis  ä  la  p.  108  des  Amours  de  1552  (Strophe 
3  de  rOde :  Toute  royaute  qui  dedaigne  n*^  1  de  mon  Index  des 


218  Referate  und  Rezensionen.     Josef  Frank. 

Ödes  de  Ronsard)  II  ne  I'aurait  plus  trouvee  dans  la  Franciade 
actuelle.  mais  il  aurait  sans  doute  rencontre  ailleurs  La  Prophetie 
de  Cassandre  des  fortunes  de  Francus,  prise  du  premier  livre  de 
la  Franciade 

Prince  Troien,  de  qui  des  meinte  annee 

Tay  bien  preucu  la  belle  destinee 

et  cette  longue  piece  de  104  vers  que  publient  Les  Annales 
Flechoises  aurait  fourni  la  matiere  d'une  note  interessante  sur 
les  procedes  de  Ronsard. 

Arretons  lä  ce  compte-rendu  et  terminons  le  par  un  apergu 
de  la  Table  des  matieres.  L'Introduction,  en  cinquante  pages, 
traite  «de  l'invention  de  l'Ode  fran^aise»  —  La  premiere  partie, 
en  295  pages,  expose  la  «genese  et  evolution  de  l'CEuvre  lyrique 
de  Ronsard»  —  La  deuxieme  partie,  en  343  pages,  etudie  les 
«sources  et  originalite  de  R.  poete  lyrique»  —  La  troisieme  partie, 
en  72  pages,  analyse  la  «Rythmique  des  Ödes  et  Chanson  de  Ron- 
sard» —  Une  Conclusion,  en  20  pages,  essaie  de  nous  faire  pene- 
trer  ce  qu'a  voulu  faire  l'auteur.  Je  me  permets  de  protester 
contre  une  phrase  de  cette  conclusion:  M,  Vaganay  a  entrepris 
une  edition  de  Ronsard,  dont  le  premier  volume  consacre  aux 
Amoiirs  de  Cassandre,  a  seul  paru  (Janvier  1910),  dont  le  deuxieme 
volume  renfermant  les  Amoiirs  de  Marie  et  d' Helene,  le  troisieme 
contenant  les  Ödes  paraitront  incessamment,  mais  il  n'a  jamais 
präsente  son  travail  comme  une  edition  critique,  persuade  qu'il 
est  que  le  temps  n'est  point  encore  venu  de  la  realiser.  II  a 
simplem.ent  voulu  fournir  aux  travailleurs  un  texte  loyal,  sans 
rajeunissement  aucun.  II  n'ignore  point  qu'il  a  encore  beaucoup 
ä  apprendre  pour  connaitre  ä  fond  et  le  XVP  siecle  et  Ronsard: 
puissent  les  mille  pages  de  M.  L.  ne  pas  laisser  ä  leurs  lecteurs 
l'impression  qu'il  en  est  tout  de  meme  de  leur  auteur,  malgre 
l'accumulation  de  dates,  de  faits  et  de  bibliographies.  Nous 
sommes  loin  de  la  sobre  erudition  du  Joachim  Du  Bellay  de 
M.  Ghamard  et  du  Bäif  de  M.  Auge-Chiquet,  deux  ouvrages  qui 
furent  aussi  des  theses,  mais  qui  restent  comme  oeuvre  ecrite  et 
coordonnee. 

Lyon.  H.  Vaganay. 


Rock,  Uabert.     Worte    Montaignes.       Mit    einem    Bildnis. 
S.  C.  C.  Bruns'  Verlag.     Minden  in  Westf.,  1910. 

Die  ,,E  i  n  1  e  i  t  u  n  g"  dieses  Buches  ist  im  Verhältnisse  zu 
dessen  Gesamtumfange  sicherlich  zu  lange  geraten  und  wir  hätten 
etwas  mehr  ,, Worte  Montaignes"  zu  hören  gewünscht,  selbst  auf 
die  Gefahr  hin,  daß  uns  dafür  die  Worte  Rocks  etwas  minder 
ausgiebig  zuteil  geworden  wären.  Dies  gilt  um  so  mehr,  als  der 
Verfasser  öfter  die  Fähigkeit  vermissen  läßt,  die  besten  bisher 


Roch,   Uiiherl.  219 

erreichten  Methoden  der  Fachwissenscliai'l  anzuwenden  und  die 
Gesamtheit  der  ermittelten  Ergebnisse  zu  bewältigen.  Die 
neueren,  grundlegenden  Arbeiten  von  S  t  r  o  w  s  k  i  ,  B  r  u  n  e  - 
t  i  e  r  e  und  V  i  1 1  e  y  u.  a.  sind  ihm  (wie  dies  schon  aus  seiner 
auch  sonst  lückenhaften  ,,B  i  b  1  i  o  g  r  a  p  h  i  e"  zu  vermuten  ist) 
ganz  unbekannt  geblieben  und  so  widerfährt  es  ihm  öfter,  daß 
von  ihm  etwas  als  positiv,  dem  Gewirre  der  streitenden  Meinungen 
bereits  entrückt,  vorgetragen  wird,  was  bei  den  einstweilen  noch 
fluktuierenden  Ansichten  der  berufenen  Forscher  noch  niclit  zu 
finaler  Klarheit  herausgearbeitet  ist.  Schlimmer  ist,  daß  man 
manche  tatsächliche  Angabe  von  Bedeutung  von  ihm  übergangen 
sieht  und  daß  neben  den  Ereignissen  die  sie  auslösenden  Motive 
nicht  genug  hervortreten.  Am  schhmmsten  aber  ist,  daß  uns  die 
geistige  Physiognomie  Montaignes  in  dieser  ,, Einleitung"  gründ- 
lich verzeichnet  vorkommt. 

Wir  möchten  dies  Urteil  nur  so  weit  und  in  so  knapper 
Form  begründen,  als  dies  unumgänglich  nötig  ist.  Es  mußte  aus- 
drücklich betont  werden,  daß  die  ,, Essais'  anfänglich  d  u  r  c  h- 
aus  nicht  (wie  man  nach  Rocks  ,, Vorwort"  zu  glauben  be- 
rechtigt wäre)  den  persönlichen  Charakter  der  späteren 
Zeit  an  sich  trugen.  Vielmehr  verfolgte  Montaigne  mit  seinen 
ersten  ,, Essais",  die  sich  von  den  ,,Legons"  Messies  und  der 
„Anthologie"  Breslays  nicht  sehr  unterschieden  und  die  es,  wie 
die  Schriften  Bouaystuaus  und  Jean  de  Courres,  bloß  auf  die 
kompilatorische  Popularisierung  der  Antike  abgesehen  hatten, 
keinen  anderen  Zweck,  als  seine  Lesefrüchte  zu  sammeln.  Die 
spätere,  so  ausgeprägte  Individuahtät  Montaignes  als  Schrift- 
steller ist  hier  kaum  noch  aus  seinem  schüchternen  Flügelprüfen 
zu  erkennen  und  er  selbst  gesteht:  De  mes  premiers  essays  aiicuns 
puent  iin  peii  l'estranger.  —  Der  erste  Hugenottenkrieg  beginnt 
schon  1561.  —  Das  Diktum  Rocks:  ,, Einen  schrofferen  Gegen- 
satz kann  es  nicht  geben  als  zwischen  diesem  stürmischen,  ver- 
brecherischen Zeitalter  und  Montaignes  in  philoso- 
phischer R  u  li  e  verbrachtem  Leben.  Es  ist  ein 
Gegensatz  wie  zwischen  rasendem  Orkan  und  kühlendem  Abend- 
lüftchen, wie  zwischen  feuerspeiendem  Krater  und  gemütlich 
loderndem  Kaminfeuer,"  ist  trotz  seiner  scliwungvollen  Kühnheit 
eine  hohle,  unwahre  Phrase.  Wenn  man  in  Rocks  Büchlein  nur 
einige  Seiten  weiter  blättert,  liest  man  schon:  ,, Tausendmal 
(klagt  Montaigne)  habe  ich  mich  zu  Hause  mit  dem  Gedanken 
schlafen  gelegt,  daß  man  mich  diese  N  a  c  li  t  ver- 
raten   und    totschlagen    werde Das    höchste 

Elend  ist  es,  bis  in  seine  Haushaltung  und  seinen  Hausfrieden 
bedrängt  zu  werden"  usw.  Eine  wx^itere  seltsame  Illustration 
zu  diesem  ,,in  philosophischer  Ruhe  verbrachten  Leben"  Mon- 
taignes bilden  die  folgenden  Tatsachen:  Als  Montaigne  Febr.  1588 
sic!i  nach  Paris  begab,  um  die  Neuherausgabe  seiner  „Essais" 


220  Referate  und  Rezensionen.     Josef  Frank. 

zu  veröffentlichen,  geriet  er  mitten  in  das  wildeste  Treiben  der 
Liga:  er  wurde  zuerst  von  einigen  Freibeutern  auf  der  Straße 
ausgeraubt,  später  bei  der  Rückkehr  von  einem  dem  Könige 
Heinrich  III.  in  Ronen  abgestatteten  Besuche  am  10.  Juli  1588 
als  verdächtig  angehalten  und  in  die  Bastille  geworfen,  aus 
welcher  Haft  er  allerdings  noch  am  selben  Tage  infolge  der  Ver- 
wendung der  Königin-Mutter  entlassen  wurde.  Und  daß  diese 
wechselvollen  Schicksale  an  M.  nicht  herankonnten  und  seinen 
inneren  Seelenfrieden  nicht  erschütterten,  daß  sie  ihn  nicht 
sogar  bis  in  die  arriere-bouiiqiie  seines  Herzens  verfolgten,  die  er 
für  alle  Fälle  freihalten  wollte,  das  glaubt  wohl  auch  Rock  nicht. 

—  Der  V  a  t  e  r  Montaignes  starb  im  Jahre  1568  (und  nicht 
1569).  —  Das  hereditäre  Blasenleiden  Montaignes  ist  bei 
Rock  mit  keinem  Worte  erwähnt  und  doch  war  dieses  nicht  nur 
mitbestimmend  für  die  von  ihm  unternommene  große  Reise  (da 
er  die  Heilkraft  mehrerer  berühmter  Seebäder  an  sich  erproben 
wollte),  sondern  diese  Erkrankung  beeinflußte  in  ganz  außer- 
ordentlicher Weise  sein  ganzes  Seelenleben  und  erklärt  wohl 
auch  am  ungezwungensten  seine  unaufhörliche  Beschäftigung 
mit  Todesgedanken  und  seine  große  Fürsorge  für  eine  Euthanasie. 

—  Bedeutungsvoller  als  der  Umstand,  daß  Montaignes  „Essais" 
1676  auf  den  Index  kamen,  wäre  wohl  die  Erw^ähnung 
der  Tatsache  gewesen,  daß  Montaigne  über  seinem  Werke  schon 
während  seines  Besuches  in  Rom  harte  Anfechtung  zu  erfahren 
hatte,  daß  man  ihm  besonders  seine  wohlwollende  Erwähnung 
des  Julianus  Apostata  und  des  hugenottischen  Dichters  Theodor 
Beza  wie  seine  wiederholte  Anrufung  der  heidnischen  Göttin 
Fortuna  verübelt  hatte  und  daß  er  vom  ,,maitre  du  sacre  palais" 
nur  gegen  das  Versprechen  die  beanstandeten  Stellen  zu  ver- 
bessern, Absolution  erhielt.  Es  war  übrigens  auch  hervorzuheben, 
daß  Montaigne  selbst  in  der  Ewigen  Stadt  ein  nur  geringes  archäo- 
logisches und  künstlerisches  Interesse  bekundete,  daß  er  aber 
desto  eifriger  allen  sitten-  und  kulturgeschichtlichen  Spuren 
nachging.  ■ —  Die  Nachricht,  daß  er  zum  Maire  von  Bordeaux 
gewählt  sei,  erhielt  er  nicht  in  Lucia,  sondern  in  dem  Badeorte 
D  e  1 1  a  V  i  1 1  a.  —  Zu  Heinrich  v.  N  a  v  a  r  r  a  stand 
Montaigne  schon  vor  dem  Regierungsantritte  des  Königs  in  sehr 
innigen  Beziehungen  und  am  19.  Dez.  1584  logierte  sich  der 
Prinz  sogar  bei  ihm  ein.  —  Warum  ist  der  Ausbruch  der 
Pest  in  Bordeaux  während  der  Maireschaft  Montaignes 
und  sein  so  bezeichnendes  Verhalten  während  dieser  Kata- 
strophe ganz  übergangen,  wobei  die  falsche  Annahme  hätte 
bekämpft  werden  müssen,  als  habe  Montaigne  sich  aus  der  von 
der  Pest  ergriffenen  Stadt  feige  geflüchtet?  Er  war  vielmehr 
während  des  Ausbruches  der  Epidemie  nicht  in  seinem  Amtssitze 
und  ist  allerdings  (wie  es  wolil  seine  Pflicht  gewesen  wäre)  nur 
nicht  dahin  zurückgekehrt. 


Rock,  Hubert.  221 

Auch  die  Charaklcristik  von  Montaigncs  philosophischem 
Typus  erscheint  bei  Rock  teils  unzutreffend,  teils  unzulänglich. 
Allerdings  verfiel  er  dabei  nur  in  einen  Fehler  wie  viele  andere 
selbst  hervorragende  Montaigncforscher,  die  sich  damit  abquälten, 
Montaignes  Weltanschauung  in  einem  Systemnelz  der  antiken 
Philosophie  einzufangen  und  auf  festen  Formen  abzuziehen. 
Sie  verkannten,  daß  Montaignes  geistige  Individualität  viel  zu 
proteusartig  und  impressionistisch  sei,  um  in  eine  feste  Kategorie 
gebannt  werden  zu  können.  Sein  Glaube  an  den  ewigen  Fluß 
der  Dinge,  sein  Rausch  des  ewigen  ^^'erdens  und  Seins,  sein 
exces  de  V H eraclUisme  (ein  ^^'ort  Strowskis)  ist  es  ja  gerade, 
der  ihm  das  Festhalten  an  einer  Meinung  in  der  Welt  des 
ewig  bunten  Wechsels  als  Dogmatismus  und  verwerflichen  Fanatis- 
mus erscheinen  ließ.  Im  Gegensatze  zu  Sokrates  und  Plato 
stellt  er  mit  Kratylos  die  Möglichkeit,  durch  Vernunftschlüsse 
und  Induktion  feste  Erkenntnisse  gewinnen  zu  können,  in  Abrede. 
Nur  die  durch  das  Gedächtnis  festgehaltenen  Vorstellungen 
will  er  (allerdings  inkonsequenter  Weise)  als  einen  Ersatz  für 
die  durch  das  Räsonnement  und  die  philosophische  Folgerung 
sich  ergebenden,  trügerischen  Resultate  gelten  lassen.  Nur 
wenn  das  Seiende  und  Unveränderliche  der  göttlichen  Offen- 
barung, wie  sie  sich  in  der  ReUgion  und  in  der  raison  universelle 
kundgibt,  zu  dem  ewig  Werdenden,  der  irreführenden, 
kritisierenden  und  negierenden  raison  individuelle,  herabgelange 
und  sie  erleuchte  und  reguliere,  nur  wenn  der  gesunde  Instinkt 
den  Gang  zur  subjektiven  Willkür  zügle,  könnten  die  ärgsten 
Verirrungen  gemieden  werden.  Montaigne  war  weder  ein  Stoiker, 
noch  ein  Epikuräer,  noch  auf  die  Dauer  ein  Skeptiker  oder  Pyr- 
rhoniker.  Er  war  höchstens  ,,ein  Stoiker  aus  Epikuräismus" 
und  seine  stoische  Episode  diente  ihm  nur  als  erziehliches  Über- 
gangsstadium. Schließlich,  nacli  dem  Bankerott  seiner  früheren 
Philosophie  suchte  er  nur  nach  einem  Mittel  zur  Erlangung 
seines  Seelenfriedens  und  des  inneren  Gleichgewichts.  Er  studierte 
statt  weit  abliegender  pliilosophischer  Probleme  nur  das 
nächste  Thema,  sein  eigenes  Ich.  Und  zur  Gesundung  desselben 
war  ihm  jede  Erlösungstheorie  gleich  willkommen.  Er  wurde 
also  ein  eklektischer  Dilettant,  der  von  den  Denkern  aller 
Zeiten  Anlehen  macht,  um  sein  Leben  erträglich  zu  gestalten. 
Seine  außerordentliche  Wandlungs-  und  Anpassungsfähigkeit 
ermöglichte  ihm  dies  und  seine  ausgezeichnete  geistige  Kon- 
stitution heß  ihn  darüber  seine  Eigenart  nicht  völlig  einbüßen. 
Er  verzichtete  auf  die  Enthüllung  des  ewig  Wahren, 
nicht  aber  darauf,  in  jeder  Lebenslage  das  einzig  Rich- 
tige zu  treffen.  Strowski  sagt  ungefähr  dasselbe  mit  den  Wor- 
ten, die  er  Montaigne  in  den  Mund  legt:  ,,Ich  war  ein  Stoiker, 
dann  ein  Skeptiker,  hierauf  kam  ich  zum  Gleichgewicht  des  ge- 
sunden Menschenverstandes,  dann  war  ich  ein  Mann  der  Tat, 


222  Referate  und  Rezensionen.     Ludwig  Karl. 

endlich  wurde  ich  ein  Dilettant.  Eine  jede  dieser  Phasen  habe 
ich  in  meinem  Buche  ausgedrückt.  Nun  im  Alter  weiß  ich  nicht, 
was  noch  aus  mir  werden  wird."  ,,Er  ist  jetzt  etwas  aus  all  dem 
Vorhergegangenen  geworden,  nachdem  er  sich  von  allen  diesen 
Stadien  losgesagt  hat:  er  ist  Montaigne  geworden  und  liat  sich 
von  den  Übergangsformen  befreit."  Montaigne  haßte  das  so- 
genannte reine  Denken,  die  Beschäftigung  mit  abstrakten  und 
metaphysischen  Dingen  und  war  mehr  ein  praktischer  Lebens- 
künstler als  ein  methodischer  Philosoph. 

\Y  i  e  n  -  H  i  e  t  z  i  n  g.  Josef  Frank. 


l>upiiy,  Ernest.  Alfred  de  Vigny.  Ses  amities,  son  röle 
litteraire.  I.  Les  amities.  Paris,  Societe  frangaise 
d'imprimerie  et  de  librairie  (Ancienne  librairie  Lecene, 
Oudin  et  Cie),  1910.  410  S.  in-8. 
Der  Dichter  Eloa's  ist  in  Deutschland  weder  so  verkannt 
noch  so  unbekannt,  wie  es  Herr  Baldensperger  meint  und  glauben 
lassen  möchte  (s.  Revue  d'Histoire  litteraire  de  France,  XVII, 
1910,  S.  197).  Was  seine  scheinbare  Zurückstellung  in  der  lite- 
rarischen Kritik  betrifft,  so  müssen  zwei  Umstände  in  Betracht 
gezogen  werden:  erstens  ist  es  schwer  von  dem  Leben  und  Cha- 
rakter eines  Dichters  ein  treues  Bild  zu  entwerfen,  der  seine  Brief- 
schaften und  Papiere  testamentarisch  einer  Familie  vermachte, 
die  damit  wie  mit  einem  Hausschatze  umgeht;  zweitens  können 
Werke  schwer  kritisch  behandelt  werden,  die  in  einer  scheinbar 
definitiven  Ausgabe  vorliegen,  woran  eine  wörthche  Befolgung 
des  literarischen  Testam^ents  mit  Geschäftsgeist  gepaart  nichts 
ändern  läßt.  Der  Begründer  der  philosophischen  Dichtung  in 
Frankreicli  hatte  auch  wenig  Beziehungen  zur  deutschen  Lite- 
ratur, obzwar  Anklänge  an  Goethe  und  Schiller,  an  Gessner  nicht 
feldten,  die  Beachtung  verdienen  {Le  Bai  und  Werther,  Le  Malheur 
und  die  Braut  von  Messina,  s.  Esteve,  Byron  et  le  Romantisme 
francais,  Paris,  1907,  S.  367,  A.  1  und  368,  A.  3,  Rev.  d'Hist.  litt. 
XVII,  1910,  S  673).  Wir  lioffen  bald  eine  deutsche  Ausgabe 
oder  Auswahl  seiner  Werke  zu  besitzen,  die  dieselben  dem  großen 
Leserkreise  zugängUcher  machen,  wie  sie  für  England  Baher  be- 
sorgte (London,  1907).  Die  Kritik  wird  sich  mit  dem  Dichter 
auch  eingehender  befassen,  wenn  die  unveröffentlichten  Doku- 
mente erscheinen;  was  bisher  in  Frankreich  über  ihn  geschrieben 
wurde,   kann  oft  nur  mJt  Vorsiclit  benutzt  werden. 

Einer  der  besten  Kenner  der  Romantiker,  Ernest  Dupuy, 
hat  die  neuen  Wege  gebahnt  und  sein  letztes  Buch  ist  die 
Fortsetzung  einer  Anzahl  Abhandlungen,  die  teilweise  selb- 
ständig in  Zeitschriften  erschienen  sind  (s.  Revue  d'Hist.  litt,  de 
la  Fr.  X,  1903,  S.  373—412  und  XI,  1909,  189—219,  Revue  des 
.deux- Mondes  hWl,  1910,  S.  337— 378  und  LIX,  1910,  S.  325—362). 


Diipuy,   Einest.  223 

In  einer  früheren  Veröffentlichung  {La  Jeunesse  des  Romantiques, 
Paris,  1905)  richtete  er  seine  Aufmerksamkeit  auf  Victor  Hugo 
und  A.  de  Vigny,  die  in  ihrer  Jugend  um  die  Volksgunst  mit 
gleichem  Erfolge  buhlten.  Das  neue  Werk  des  Verfassers  ist 
A.  de  Vigny  allein  gewidmet  und  ist  der  erste  Band,  dessen  Folge 
unter  dem  Titel:  L'iiiflueiice  litteraire  erscheinen  wird  und  uns 
mit  der  Plejade  des  romantischen  Sternenhimmels  (Barbier, 
Brizeux,  Busoni,  Leon  de  Wailly  usw.)  bekannt  machen  wird. 
Die  Grundlage  bilden  unveröffentlichte  Briefe,  die  dem  Vf.  zu- 
gänglich gemacht  wurden.  A.  de  Vigny  hat  sie  selbst  geordnet 
und  mit  Randglossen  versehen  (S.  382);  nur  ein  so  genauer  Kenner 
des  Zeitalters  wie  der  Vf.  konnte  in  demselben  alle  geheimen 
Beziehungen  entdecken,  manche  Zeitangaben  genauer  feststellen, 
viele  Charaktere  und  in  erster  Reihe  A.  de  Vigny  selbst  in  ein 
helleres  Licht  stellen. 

Zu  des  Dichters  ersten  Freunden  rechnet  Vf.  mit  Recht 
dessen  Eltern.  Die  Gescliichte  der  Familie  hat  Vf.  schon  früher 
klargelegt  und  die  schwache  Grundlage  des  Adelsstolzes,  der  sich 
in  VEsprit  pur  offenbart,  gezeigt.  Briefe  von  Fremiily  werfen 
einiges  Licht  auf  den  Charakter  des  Vaters  und  der  Mutter,  die 
der  Dichter  selbst  treu  und  mit  dem  Gewährsmann  überein- 
stimmend charakterisierte.  —  Von  den  Schulkameraden  werden 
Xavier  de  Ravignans,  des  späteren  Jesuiten,  und  des  Grafen 
Alfred  d'Orsay,  des  Freundes  der  Lady  Blessington,  Beziehungen 
zum  Dichter  nach  dem  Verlassen  des  Pensionats  Hix  durch 
chronologische  Anführungen  der  Dokumente  behandelt.  Die 
Freundschaft  zu  letzterem  erklärt  es,  daß  A.  de  Vigny  während 
seines  Aufenthaltes  in  England  in  den  Jahren  1838  und  1839 
mit  der  höheren  englischen  Gesellschaftsklasse  im  Gore  House 
bekannt  wurde.  Seit  1825  war  er  mit  einer  Engländerin  ver- 
heiratet, doch  führte  diese  Verbindung  wieder  im  Familienleben 
noch  in  geselliger  Beziehung  zu  einer  innigeren  Bekanntschaft 
mit  dem  englischen  Wesen.  Erst  die  Briefe  des  Grafen  d'Orsay 
erklären  dieselbe.  —  Die  früh  unterbrochene  Offizierslaufbahn 
des  Verfassers  der  Servitude  et  Grandeiir  müüaires  hatte  ihn  nicht 
nur  mit  Erfahrungen  bereichert,  die  die  Grundlage  seiner  späteren 
Weltanschauung  wurden,  sondern  Freundschaften  gestiftet,  die 
sich  im  Kampfe  um  die  romantischen  Ideen  bewährten.  Baron 
Taylor,  der  frühere  Generalstabsoberst  v>'urde  königl.  Intendant 
des  Theätre-Fran^ais  und  durch  die  Aufführung  der  Othello- 
Übersetzung  führte  er  das  romantische  Drama  dem  Siege  ent- 
gegen. France  d'Houdetot  machte  den  spanischen  Kriegszug 
mit  und  mußte  nicht  vor  den  Pyrenäen  Halt  machen  wie  der 
Dichter  des  Trappisten.  Sein  Brief  aus  Sarragossa  mag  die  Sehn- 
sucht nach  dieser  exotischen  Welt  in  seinem  Freunde  noch  ge- 
steigert haben.  Unsere  Kenntnisse  über  A.  de  Vignys  Bezie- 
lumgen  zu  Alphonse  de  Cailleux,  der  als  Direktor  der  Museen 


^24  Referate  und  Rezensionen.     Ludwig  Karl. 

endete,  zu  Dittmer,  dem  Mitarbeiter  des  Globe,  zum  Grafen 
Montcorps,  an  den  der  Dichter  einige  seiner  frühesten  Verse 
richtete,  zu  Guillaume  Pauthier  de  Censay,  der  als  Feldwebel 
die  Bibel  seines  Hauptmannes  im  Tornister  mit  sich  führte  und 
später  sich  als  Orientalist  einen  Namen  erwarb,  werden  wenig 
bereichert.  Mehr  Interesse  bietet  es,  die  Rolle  von  Gaspard  de 
Pons  kennen  zu  lernen.  Er  trat  später  als  Dichter  hervor,  und 
rivalisierte  zweimal  durch  Behandlung  desselben  Stoffes  mit 
Victor  Hugo.  Alfred  de  Vigny  schrieb  eine  wohlwollende  Kritik 
über  sein  Erstlingswerk  Amoiir:  A  Elle  in  der  Muse  Frangaise 
vom  Jahre  1823.  Trotzdem  wurde  G.  de  Pons  neidisch  auf  seine 
früheren  Freunde  und  konnte  dieses  Gefühl  unter  schiefen  Lob- 
sprüchen nicht  verbergen. 

Viele  Dichter  des  Cenacle  sind  eigentlich  verkappte  Klassiker, 
Anhänger  der  literarischen  Bestrebungen  des  18.  Jahrhunderts. 
Zu  diesen  gehören  neben  Gaspard  du  Pons,  Emile  Deschamps 
und  Jules  Lefevre.  Die  literarischen  Beziehungen  kommen  nur 
nebenbei  in  Betracht,  wenn  man  A.  de  Vignys  Freundschaft 
mit  der  Familie  Deschamps  behandelt.  Jacques  war  sein  väter- 
licher Freund  und  ein  Brief  an  ihn  stellt  den  heitern  Greis  lebhaft 
vor  unsere  Augen.  Emile  ist  vielleicht  der  innigste  und  treueste 
Freund  des  Dichters  der  angeblich  nicht  einmal  mit  sich  selbst 
auf  intimerem  Fuße  lebte.  Die  gemeinsam  unternommene  Über- 
setzung von  Romeo  und  Julie  wurde  wegen  des  Dichters  Zögern 
nicht  aufgeführt,  trotzdem  blieb  Emiles  Freundschaft  ungestört 
und  ihm  scheinen  die  geheimen  Fäden  der  Liebe  zur  Dorval 
auch  bekannt  gewesen  zu  sein.  Über  Antonis  Werke  schrieb 
A.  de  Vigny  eine  Kritik  in  \'Avenir\  der  dankbare  Dichter  ver- 
teidigte später  in  Versen  seinen  Freund  gegen  Moloes  Angriffe. 

Hyacinthe  Thibaud  Delatouche  (nicht  Henri)  war  der  Bahn- 
brecher oder  richtiger  der  Wegweiser  der  Romantiker,  denen 
er  in  seinem  Pamphlet  Camaraderie  litteraire  im  Jahre  1825 
den  Fehdehandschuh  hinwarf.  Er  entdeckte  Andre  Chenier 
und  schätzte  sehr  hoch  den  Dichter  der  Dryade.,  der  anfangs 
in  jenes  Fußtapfen  wandelte.  Als  Leiter  des  Mercure  du  X]X^ 
siecle  beabsichtigte  er  über  Cinq-Mars  eine  Kritik  zu  sclireiben, 
die  er  jedoch  Sainte-Beuve  überließ,  weil  er  wegen  einer  Erb- 
schaft nach  Berry  reisen  mußte.  Bei  Nodiers  Begräbnis  be- 
gegnete ihm  A.  de  Vigny  und  diesen  Vorfall  erzählt  sein  Tage- 
buch mit  rührenden  Worten  (S.  204).  In  Nodiers  Salon  ver- 
einten sich  manche  Schriftsteller,  die  nie  Romantiker  waren, 
sondern  halb  oder  ganz  Klassiker.  In  A.  de  Vignys  Leben  spielten 
sie  eine  geringere  oder  bedeutendere  Rolle,  doch  keine  entschei- 
dende. Zu  diesen  zählt  Charles  Nodier,  von  dessen  Freund- 
schaft ein  Brief  über  Cinq-Mars  und  eine  spätere  Antwort  des 
Dichters  an  seine  Tochter  Zeugnis  ablegt.  Ancelot,  der  mit 
seinen   heute   vergessenen   Dramen   einen   Erfolg  erzielte,   lobte 


Diipuy,  Ernest.  225 

die  Sammlung  Poemes  in  den  Annales  de  la  litteratiire  et  des  beaux- 
arts  von  1822.  BrifauL  erhielt  ein  Exemplar  des  Cinq-Mars, 
wovon  sein  Dankbrief  spricht.  Über  die  Beziehungen  zu  Gui- 
raud  berichtete  schon  früher  Cha^avay;  ihre  Korrespondenz 
beschäftigt  sich  mit  der  Wahl  A.  de  Vignys  in  die  Akademie. 
Der  Dichter  klassischer  Tragödien,  vSoumet  begeisterte  sich  auch 
für  Othello  und  bewunderte  die  philosophischen  Gedichte  seines 
jüngeren  Freundes.  Eine  Karte  von  Baour-Lormian  enthält 
eine  bisher  unbekannte  Adresse  A.  de  Vignys ;  über  den  veralteten 
Akademiker  berichtet   das  Tagebuch   vom    Jahre    1842. 

Victor  Hugo  und  A.  de  Vignys  Waffenbündnis  ist  allgemein 
bekannt.  Vf.  hat  zur  Aufklärung  in  seinem  ersten  Buche  tüchtig 
beigesteuert,  in  der  neuen  Behandlung  ergänzt  er  nur  dasselbe 
und  fügt  einige  unedierte  Briefe  der  Gattin  Hugos  an  A.  de 
Vigny  hinzu.  Eine  ungestörte  Freundschaft  verband  den  Dichter 
seit  der  Aufführung  von  Henri  111  (am  11.  Febr.  1829)  bis  zu 
seinem  Tode  mit  dem  älteren  Dumas.  Sie  lösten  einander  in  der 
Liebe  zur  Dorval  ab  und  eine  Antwort  von  Dumas  scheint  einen 
Anflug  von  Eifersucht  bei  A.  de  Vigny  beschwichtigen  zu  wollen. 
In  seinen  Memoires  macht  sich  zwar  der  sinnliche  Romanschrift- 
steller über  die  seraphischen  Gefühle  des  Dichters  lustig,  seine 
aufrichtig  freundliche  Gesinnung  unterliegt  jedoch  keinem 
Zweifel.  Nur  scheinbare  Freundschaft,  die  später  auch  verloren 
ging,  war  das  Verhältnis  von  Lamartine  zum  Verfasser  des  Chatter- 
ton. Man  bewunderte  im  Cenacle  den  Dichter  der  Meditations, 
er  gehörte  jedoch  nie  zu  diesem  Kreise.  Seit  1828  stand  er  fast 
zwanzig  Jahre  hindurch  mit  A.  de  Vigny  in  Verbindung.  Die 
Politik  näherte  beide  einander,  dieselbe  trennte  sie  auch,  als 
sich  A.  de  Vigny  dem  zweiten  Kaiserreich  anschloß.  Lamartine 
richtete  trotzdem  wiederholt  Briefe  an  ihn,  in  denen  er  von  ihm 
Unterstützung  erflehte,  statt  deren  er  nur  eine  verächtliche  Be- 
merkung oder  überhaupt  keine  Antwort  erhielt.  Er  rächte  sich 
durch  zweideutige  Lobesworte  in  seinem  Cours  de  litteratiire. 

Falsche  Freunde  nennt  Vf.  Sainte-Beuve  und  Gustave 
Planche.  Des  ersteren  Benehmen  wurde  oft  gerügt,  zuletzt  von 
Gollet  {Rei^iie  de  Paris  vom  12.  Aug.  und  1.  Sept.  1906).  Vf. 
hebt  hervor,  daß  Selbstsucht  und  Eitelkeit  die  Seele  des  Joseph 
Delorme  bewegten.  Er  trachtete  zwischen  Hugo  und  A.  de 
Vigny  Feindschaft  zu  stiften.  Er  ist  durcli  die  Bemerkung  des 
letzteren  beleidigt,  daß  er  sich  in  seinem  Artikel  über  ihn  {Revue 
des  deux  Mondes  vom  15.  Oktober  1835)  in  einigen  Daten  irrte. 
Noch  mehr  durch  den  Versöhnungsbrief  des  Dichters,  den  er 
in  einem  weiteren  Artikel  totschwieg,  weil  derselbe  die  Entfrem- 
dung ,, literarischem  Klatsch"  zuschrieb.  Über  den  freiwilligen  Ein- 
siedler von  Maine- Giraud  schrieb  er  noch  einmal  nach  dessen  Tode, 
er  ließ  ihm  jedoch  keine  Gerechtigkeit  widerfahren  und  seine  iro- 
nischenBemerkungen  wurden  von  derNachv.elt  nur  zu  oft  wiederholt. 


226  Referate  und  Rezensionen.     Ludwig  Karl. 

Gustave  Planche  hatte  keinen  Grund  den  Dichter  des  Chatter- 
ton zu  befeinden,  er  wäre  ihm  sogar  zu  Dank  verpfUchtet  gewesen, 
nachdem  er  durch  dessen  EmpfehJung  Zutritt  zu  Buloz  Revue 
erhielt.  Er  erbat  des  Dichters  Unterstützung,  als  er  in  seinem 
Größenwahn  nach  einer  Professur  am  College  de  France  strebte. 
A.  de  Vigny  wurde  an  ihm  durch  Eugene  de  Mirecourt  gerächt, 
der  gegen  Planche  ein  Pamphlet  schrieb;  derselbe  wendete  sich 
wieder  an  den  Dichter  und  bat  ihn  zum  Zeugen  im  Prozeß,  den 
er  gegen  seinen  Verleumder  richten  wollte,  jedoch  erinnerte 
jetzt  dieser  ihn  an  das,  wodurch  er  ihm  schulde.  Ein  Tagebuch- 
blatt vom  März  1857  wirft  ein  helleres  Licht  auf  den  erheuchelten 
Zynismus  und  das  unverhehlte  Vordringen  dieses  literarischen 
Emporkömmlings. 

Drei  lautere  Herzen  nennt  Vf.,  Antoine  Fontaney,  Alfred 
de  Musset  und  Theophile  Gautier,  die  als  jüngere  Schriftsteller 
unter  dem  Schutze  Alfred  de  Vignys  standen.  Der  erste  über- 
setzte englische  Dichter  und  wurde  im  Cenacle  wohlwollend 
empfangen.  Mit  dem  Herzog  d'Harcourt  ging  er  nach  Spanien, 
sehnt  sich  aber  in  einem  Briefe  nach  den  literarischen  Abenden 
der  Romantiker.  Nach  seiner  Rückkehr  wurde  er  Mitarbeiter 
der  Revue  des  deux  Mondes.  A.  de  Vigny  stellte  ihn  der  Dorval 
vor  und  diese  Bekanntschaft  wurde  für  sein  Schicksal  entscheidend. 
Er  verliebte  sicli  in  deren  Tochter  Gabrielle,  entführte  sie  nach 
England  und  beide  starben  nach  kurzem  Elend  im  Jahre  1837. 
—  Musset  lernte  A.  de  Vigny  bei  Hugo  kennen.  Er  hat  ihn 
zur  ersten  Vorstellung  seines  Othello  eingeladen  und  sie  wechselten 
einige  Briefe,  schickten  sich  gegenseitig  ihre  Werke  zu.  Im 
Mai  1831  bat  Musset  um  die  Unterstützung  seines  Freundes  für 
Aglae  Lärche  um  derselben  zu  einer  Anstellung  an  einem  Theater 
zu  verhelfen;  sie  wurde  später  Victor  Hugos  Geliebte.  Nach  dem 
Tode  Mussets  wendete  sich  sein  Bruder  an  A.  de  Vigny,  um  durch 
seine  Unterschrift  eine  würdige  Grabstätte  dem  Verstorbenen 
zu  erwirken.  —  Ein  Brief  der  Gräfin  Fontanges  vom  21.  Sept. 
1830  beweist,  daß  Gautier  sich  dankbar  erwies,  als  er  trotz  seiner 
Begeisterung  für  seinen  Meister  Hugo  dessen  Rivalen  hochschätzte 
und  seinem  Gefühle  gelegentlich  der  Neuaufführung  des  Chatterton 
und  in  seinem  Nekrologe  (im  Moniteur  vom  28.  Sept.  1863) 
Ausdruck  gab.  Die  Gräfin  empfahl  dem  Dichter  des  Eloa  das 
ErstHngswerk  Gautiers  und  derselbe  entzog  ihm  wahrscheinUch 
nicht  sein  Empfehlungswort,  das  er  noch  vielen  zukommen  ließ, 
die  der  zweite  Band  behandeln  wird. 

Die  anmutige,  ungezwungene  Form  der  Darstellung,  eine 
aufrichtige  Liebe  zum  Gegenstand,  die  trotzdem  die  Wahrheit 
nicht  verschweigt,  charakterisieren  das  Buch  des  Verfassers. 
Es  ist  kein  einheitliches  Werk,,  wie  eben  Vf.  selbst  bemerkt  (Avant 
propos),  sondern  eine  Reihe  von  Abhandlungen,  in  denen  manch- 
mal   Vv'iederholungen    vorkommen.      Alle    angefülirten     Briefe 


Giiiarcl  Amedee.  111 

sind  in  vollem  Umfange  mitgeteilt,  manchmal  sogar  Gedrucktes, 
was  den  Wert  des  Buches  als  Quellenwerk  hebt.  Möge  nach 
dem  ersten  bald  der  zweite  Band  die  lebenden  Freunde  A.  de 
Vignys  erfreuen.^) 

Budapest,  Ludwig  Karl. 


(vniard  Am^d^e.  Virgile  et  Victor  Hugo.  These  pour  le 
doctorat  es  lettres  pres.  ä  la  Fac.  des  Lettres  de  l'Un. 
de  Paris.     Paris,   Bloud  et  Cie.     1910.     VIII  +  185  S. 

Virgil  spielt  in  der  Poesie  Hugos  eine  außerordentliche 
Rolle  und  nicht  bloß  in  den  Jugendversuchen,  für  die  er  das 
bewunderte  unerreichbare  Vorbild  bedeutet.  Später,  nach  dem 
Staatsstreich,  urteilt  H.  kühler  über  ihn.  Der  Höfling,  der 
geschickt  Augustus  umschmeichelt,  muß  den  Demokraten  und 
Republikaner,  den  Dicliter  der  Chäliments  abstoßen.  «Prenez 
Virgile»  heißt  es  im  Postscriptum  de  ma  vie  «Qu'y  a-t-il  de  plus 
miserable  comme  idee  que  ceci:  Octave  Auguste  admis  parmi 
les  astres  ?. .  Je  hs  ces  vers,  je  subis  cette  forme  et  quel  est  son 
Premier  effet  ?  J'oublie  Auguste,  j'oublie  meme  Virgile;  le 
lache  tyran  et  le  chanteur  lache  s'effacent. . .  II  y  a  deux  hommes 
dans  cet  homme,  un  courtisan  et  un  poete...»  Die  politische 
Stimmung  färbt  auch  ab  auf  das  literarische  Urteil.  Virgil 
vers(  hwindet  aus  den  Listen  der  ganz  großen  Dichter  und  Mensch- 
heitsführer, die  V.  H.  so  gerne  aufstellt.  Aber  er  bleibt  unver- 
gessen und  mit  dem  zunehmenden  Alter  scheint  V.  Hugo  wieder 
zu  seiner  ersten  Liebe  zurückzukehren.  1884  sagt  er  zu  G.Boissier: 
<<I1  y  a  tout  dans  Virgile!» 

Guiard  will  den  Virgil'schen  Einfluß  im  einzelnen  verfolgen, 
offenbar  ohne  zu  \Nässen,  daß  kurz  vorher  schon  Samuel 
Chabertin  einem  Aufsatz:  Un  exemple  d'influence  virgilienne. 
Virgile  et  V  oeiwre  de  V.  Flugo,^)  denselben  Versuch  unternommen. 
Die  beiden  Arbeiten  sind  in  der  Anlage  durchaus  verschieden. 
G.  stellt  das  Verhältnis  Hugos  zu  dem  römischen  Dichter  chrono- 
logisch in  seinen  Entwicklungsperioden  dar.  Ch.  gibt  im  ersten 
umfangreicheren  Teil  eine  reiche  Liste  der  Stellen,  in  denen 
Virgil  zitiert,  übersetzt,  paraphrasiert,  irgendwie  verwertet  oder 
auch  nur  den  Namen  nach  genannt  wird,  und  zieht  dann  seine 
Schlußfolgerungen.  Sein  Index  erlaubt  einen  bequemen  Über- 
bhck,  legt  aber  die  Gefahr  nahe,  ein  schiefes  und  durchaus  über- 
triebenes Bild  vom  Einfluß  Virgils  zu  zeichnen,  den  beide  Ver- 
fasser weit  überschätzen.     Daß  V.   H.,  der  als   Schüler  seinen 

^)  Druckfehler  zu  berichtigen:  S.  27  Journal:  Seite  oder  Jahres- 
angabe fehlt,  S.  89  Mercure  de  France  ler  juin  1809:  Jahreszahl  un- 
richtig, Seite  fehlt,  S.  114  Chaplle  :  1.  Chapelle  etc. 

2)  Annales  de  VUn.  de  Grenoble  1909  Bd.  XXI  673—737  u.  1910 
Bd.  XXII  53—101. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVIP.  16 


228  Referate  und  Rezensionen.  Jean  Acher. 

Virgil  auswendig  kannte,  sich  immer  an  ihn  erinnerte,  das  be- 
weisen die  vielen  Zitate,  die  er  ihm  entnimmt,  um  seine  Prosa 
zu  schmücken  oder  um  sie  als  Titel  oder  als  Motto  über  ein  Ge- 
dicht zu  setzen.  Beweisen  die  vielen  Reminiszenzen,  all  die 
Details,  die  er  sich  zu  eigen  macht,  besonders  einige,  die  er  un- 
ermüdlich immer  wieder  variiert  und  selbst  in  Zusammenhängen 
bringt,  in  denen  sie  niemand  erwarten  würde,  so  das  Bild  der 
scheuen  und  koketten  Galatea,  die  zu  den  Weidenbäumen  flieht 
und  dennoch  gerne  gesehen  werden  möchte: 

fugit  ad  salices  et  se  cupit  ante  videri. 
Aber  was  die  Verfasser  sonst  alles  an  Versen  und  Bildern 
zusammentragen,  die  Reminiszenzen  sein  sollen,  was  über  Virgil 
in  Hugos  Lyrik,  Epik  und  Satire,  selbst  im  Theater,  gesagt  wird, 
bedarf  teilweise  starker  Einschränkungen.  Vor  allem  sieht  man 
nicht  recht,  inwieweit  dadurch  eine  tiefere  Abhängigkeit,  die 
über  bloße  Einzelzitate  und  Einzelerinnerungen  hinausginge,  er- 
wiesen sei.  Am  besten  ist  dieser  Nachweis  noch  für  Hugos  reli- 
gions-philosophisches  Bekenntnisgedicht  Ce  que  du  la  hauche 
d'ombre  geglückt,  das  Chab.  energischer  als  G.  mit  Aeneis  VI 
724  ff.  in  Zusammenhang  bringen  will.  Auch  die  verschiedenen 
Aspekte,  die  Virgil  in  Hugos  Auffassung  erhält,  kommen  bei  ihm 
deutlicher  heraus,  z.  B.  der  «Virgile  polisson»,  der  da  und  dort 
einen  etwas  lebhaften  Vers  decken  soll.  Zum  Widerspruch 
fordert  mehrfach  Guiards  letztes  Kapitel  mit  seinem  weit  aus- 
gesponnenen Vergleich  zwischen  den  beiden  Dichtern  heraus. 
Dagegen  interessiert  im  ersten  die  Analyse  der  Übersetzungen, 
in  denen  V.  H.  geduldig,  häufig  glücklich  mit  dem  Ausdruck 
ringt,  um  Virgils  Schönheiten  sprachlich  und  metrisch  wieder- 
zugeben. Virgil  hat  für  ihn  schon  in  der  Jugend,  ehe  er  ihm 
in  den  30er  Jahren  mehr  v/urde,  nicht  bloß  einen  unerschöpflichen 
Zitatenschatz  bedeutet,  sondern  auch  eine  Schule,  in  der  er  die 
Geheimnisse  seines  Handwerks  lernte.  Das  ist  der  wirkliche 
Einfluß,  den  Virgil  auf  V.  Hugo  ausgeübt  hat.  — 

Bonn.  H.  Heiss, 


Traube,  L<udwig.  Vorlesungen  und  Abhandlungen,  heraus- 
gegeben von  Franz  Boll.  Bd.  II.  Einleitung  in  die 
lateinische  Philologie  des  Mittelalters,  herausgegeben  von 
Paul  Lehmann.  München  191L  C.  H.  Beck'sche 
Verlagsbuchhandlung.     X  +  176  pages  in  8°. 

Ce  deuxieme  volume  de  la  publication  posthume  des  legons 
de  Ludwig  Traube  sera  accueilli  avec  reconnaissance  par  les 
romanistes.  La  plus  grande  partie  du  livre  est  en  effet  consacree 
ä  un  sujet  qui  les  interesse  directement:  la  langue  latine  du 
moyen  äge  (eh.  II;  p.  31  ä  121),    La  chap.  I  s'occupe  de  Tecriture 


Traube^  Ludwig.  229 

latine  au  M.  A.,  le  chap.  III  traito  de  la  connaissanco  de  la  litte- 
rature  antique  au  IM.  A.,  Ic  chap.  IV  enfin  donne  une  esquisse 
de  la  litterature  medievale  latine.  Ce  dernier  ehapitre  s'arrete 
mallieureusement  en  dcga  de  l'epoque  carolingienne:  ni  les  papiers 
de  Traube  ni  les  notes  de  eours  de  ses  eleves  dont  M.  Lehmann 
pouvait  disposer  pour  cette  epoque  ne  se  prctaient  pas  ä  etre 
publies.  La  maladio  qui  minait  Traube  l'obligeait  d'ecourter 
ses  cours,  et  dans  les  dernieres  annees  de  sa  vie,  il  n'a  pu  con- 
sacrer  ä  l'histoire  de  la  litterature  de  Charlemagno  ä  Dante  qu'un 
nombre  de  legons  tout  ä  fait  insuffisant. 

Bien  qu'il  ait  fallu  combiner  plusieurs  cours  de  Traube  pour 
composer  ce  volume  (deux  cours  dTntroduction  et  un  d'Histoire 
de  la  litterature),  il  est  d'une  unite  parfaite.  Le  merite  en  revient 
ä  M.  Paul  Lehmann.  On  ne  saurait  louer  trop  la  maniere  dont 
il  s'est  acquitte  de  sa  difficile  besogne.  Co  tome  II  ne  le  cede 
en  rien  au  tome  I,  et  c'est  le  meilleur  eloge  qu'on  puisse  en  faire 
ä  Tediteur. 

Le  ehapitre  consacre  ä  l'ecriture  est  peut-etre  le  plus  beau 
du  livre.  II  forme  un  complement  precieux  au  cours  de  paleo- 
graphie  publie  au  tome  I  des  Vorlesungen  und  Abhandlungen. 
Traube  y  esquisse  ä  gros  traits  l'histoire  des  etudes  paleographi- 
ques,  insiste  sur  l'unite  de  l'ecriture  au  moyen  äge,  prouve,  contra 
Th.  V.  Sickel  et  ses  eleves,  l'origine  francaise  de  la  minuscule 
carolingienne,  et  termine  cet  expose  par  quelques  mots  sur  le 
regne  de  cette  ecriture  et  son  developpement  ulterieur.  Rien 
n'est  plus  caracteristique  de  la  maniere  de  Traube  que  ce  mor- 
ceau-lä.  Aussi  prends-je  la  liberte  d'attirer  l'attention  des  ro- 
manistes  sur  lui:  par  la  methode  qui  y  est  employee,  par  l'ampleur 
des  conclusions  qui  s'en  degagent,  il  acquiert  une  importance 
qui  depasse  notablement  celle  du  sujet  traite.  C'est  le  propre 
des  etudes  paleographiques  de  Traube  que  de  posseder  cette 
valeur  eminente  d'etre  dos  etudes  d'interet  general,  et  il  est 
vraiment  heureux  que  V Introduciion  ä  la  philologie  latine  du 
M.  A.  debute  par  un  ehapitre  qui  met  si  bien  en  relief  cette 
maitresse  qualite  du  renovateur  des  etudes  medievales. 

Dans  le  ehapitre  sur  la  langue  on  trouve  d'abord  l'etude 
des  trois  elements  quo  Traube  distingue  dans  le  latin  du  moyen 
age:  ecclesiastique,  populaire  et  savant,  ensuite  quelques  ren- 
seignements  sur  la  grammaire  et  des  notions  de  metrique  et  de 
rythmique.  Je  n'insiste  pas  sur  l'interet  de  ces  pages  pour 
nos  etudes;  il  est  evident.  Chaque  paragraphe  se  termine  par 
une  bibliographie  raisonnee,  ce  qui  fait  que  cette  partie  du  livre 
sera  non  seulement  lue,  mais  encore  consultee  ä  chaque  instant 
par  les  romanistes.  C'est  un  guide  precieux,  riebe  en  renseigne- 
ments  de  toute  premiere  valeur,  et  c'est  en  memo  temps  une 
etude  d'ensemble  sur  le  latin  du  moyen  äge,  qui,  si  sommaire 
qu'elle  soit,  ne  reste  jamais  ä  la  surface  des  choses,  mais  penetre 

16* 


230  Referate  und  Rezensionen.     Jean  Achcr. 

au  coeur  meme  du  sujet.  Rien  n'est  plus  suggestif  que  ce  chapitre 
oü  tant  de  problemes  se  trouvent  poses  pour  la  premiere  fois, 
oü  tant  d'autres  sont  eclaires  d'une  maniere  nouvelle. 

Le  chapitre  suivant,  sur  Fhistoire  de  la  tradition  de  la  littera- 
ture  antique  au  moyen  äge,  n'est  pas  moins  interessant.  En 
quelques  pages  rapides  Traube  y  note  les  points  saillants  du 
sujet  et  montre,  par  des  exemples  bien  choisis,  ce  qu'une  etude 
attentive  de  Tecriturc  des  manuscrits  conserves  peut  nous  fournir 
de  renseignements  sur  la  tradition  perdue.  L'importance  de 
l'histoire  de  la  tradition  pour  la  connaissance  du  commerce 
intellectuel  entre  les  differents  centres  d'etudes  au  moyen  ägo 
y  est  egalement  mise  en  relief.  Ce  chapitre  formera  une  bonne 
introduction  au  tome  III  des  Vorlesungen  und  Abhandlungen 
qui  sera  consacre  en  entier  ä  Thistoire  de  la  tradition  de  la  littera- 
ture  antique. 

Le  dernier  chapitre,  qui  traite  de  la  litterature  latine  au 
moyen  äge,  se  compose  en  grande  partie  de  breves  notices  sur 
les  principaux  ecrivains  precarolingiens.  La  plus  longue  et  la 
plus  remarquable  est  celle  qui  est  consacree  ä  Isidore  de  Seville. 
Mais  tout  est  ä  lire  dans  ce  chapitre,  Traube  possedant  l'art  de 
dire  bien  des  choses  avec  peu  de  mots. 

La  lecture  du  livre  est  tres  attachante.  II  est  ecrit  dans 
une  langue  tres  sobre,  mais  d'une  purete  accomplie.  Ce  n'est 
pas  le  moindre  attrait  de  cette  belle  Introduction  qui  est  appelee 
ä  rendre  les  plus  grands  Services  ä  tous  les  medievistes. 

Paris.  Jean  Acher. 

Pron,  Maurice.  Manuel  de  paleographie  latine  et  jranQaise^ 
3^  edition  entierement  refondue,  accompagnee  d'un 
Album  de  24  planches.  Paris,  Alphonse  Picard  et  fils. 
1910.  509  pages  in  8*^  +  24  planches  phototypiques 
in  4°,  cartonnees  ä  part.     Prix  15  fr. 

La  paleographie  occupe  une  place  tres  restreinte  dans  l'en- 
seignement  de  la  philologie  romane.  En  dehors  de  l'Ecole  des 
Chartes,  oü  l'etude  en  est  poussee  tres  loin,  eile  n'est  enseignee 
que  d'une  maniere  assez  rudimentaire.  II  existe,  ä  la  verite, 
dans  la  plupart  des  universites,  des  cours  dits  de  sciences  auxi- 
liaires  de  l'histoire  qui  comportent  des  Conferences  de  paleographie, 
Malheureusement,  ccs  cours,  organises  en  vue  des  etudes  d'histoire 
nationale,  n'ont,  dans  les  pays  non-romans,  qu'une  utilite  restreinte 
pour  les  etudiants  romanistes.  Partout  ou  presque  partout 
la  paleographie  est,  au  surplus,  par  trop  intimement  liee  ä  la 
diplomatique  pour  qu'un  philologue  puisse  s'y  sentir  ä  l'aise. 
On  en  est  reduit  par  force  ä  se  contenter  de  l'enseignement  donne 
au  seminaire  roman.  Cet  enseignement  n'est  pas  systematique, 
et  il  arrive  de  plus  en  plus  frequemment  qu'il  incombe  aux  paleo- 


Proii^  Maurice.  231 

graphes  improvises.  Tout  romaniste  n'est  plus  neccssairement 
paleographe  comme  autrefois.  La  division  du  travail  a  gagne 
la  Philologie:  ä  cote  des  editeurs,  il  y  a  les  grammairicns,  les 
dialectologues,  les  lexicographes,  que  leurs  etudes  ont  un  peu 
eloignes  des  manuscrits,  et  les  Hasards  de  nominations  fönt  que 
parfois  on  ne  trouve  aucun  paleographe  parmi  les  professeurs 
charges  de  l'enseignement  roman  dans  un  etablissement.  A 
cette  difficulte  s'en  ajoute  une  autre.  Faute  de  temps,  on  va 
au  plus  presse,  et  Ton  se  borne  ä  faire  lire  aux  etudiants  les  fac- 
similes  de  mss.  en  langue  vulgaire.  Ce  n'est  qu'exceptionnellement 
qu'on  leur  soumet  des  reproductions  de  mss.  latins.  Or,  il  est 
indispensable  que  l'enseignement  de  la  paleographie  soit  fonde 
sur  l'etude  des  manuscrits  latins.  On  ne  comprend  rien  ä  la 
paleographie  des  mss.  en  langue  vulgaire  si  Ton  n'est  pas  familiarise 
avec  la  paleographie  latine.  Comme  ce  dernier  enseignement 
ne  peut  etre  donne  au  seminaire  roman,  il  faut  que  l'etudiant 
essaie  d'y  suppleer  en  apprenant  seul,  sans  maitre,  la  paleographie 
de  mss.  latins.  II  ne  saurait  choisir  de  meilleur  guide  ä  cet  effet 
que  la  nouvelle  edition  du  Manuel  de  M.  Prou. 

II  existe  des  manuels  plus  savants  ou  plus  complets.  Je 
n'en  connais  pas  de  plus  pratique.  La  plupart  des  paleographies 
sont  oü  des  livres  de  reference  ou  des  exposes  historiques  qui 
ne  peuvent  etre  lus  avec  profit  que  par  ceux  qui  savent  dejä 
dechiffrer  les  principales  ecritures  du  moyen  äge.  M.  Prou  s'a- 
dresse  aux  debutants.  Son  but  est  d'initier  ceux  qui  ne  peuvent 
suivre  des  cours  de  paleographie  ä  l'art  de  dechiffrer  les  manuscrits 
et  chartes  et  de  les  introduire,  chemin  faisant,  ä  l'etude  scientifique 
de  la  paleographie.  Ce  caractere  elementaire  du  livre  en  con- 
stitue  la  grande  utilite  pour  les  etudiants  romanistes. 

La  methode  de  M.  Prou  est  bien  simple.  Vingt-quatre 
planches  hors  texte  contenant  cinquante-quatre  fac-similes 
phototypiques,  de  nombreuses  illustrations  dans  le  texte  et  deux 
dictionnaires  d'abreviations  constituent  la  charpente  du  livre. 
L'expose  est  aussi  concret  que  possible;  le  lecteur  voit  passer 
sous  ses  yeux  tout  dont  on  l'entretient.  II  n'est  renvoye  aux 
recueils  de  fac-similes  ou  aux  manuscrits  que  pour  des  questions 
qui,  comme  p.  ex.  celle  de  l'origine  de  la  minuscule  carolingienne, 
exigeraient  un  nombre  trop  grand  d'images  pour  pouvoir  trouver 
place  dans  un  manuel.  Ce  sont  d'ailleurs,  pour  la  plupart,  des 
questions  theoriques  ou  des  details  secondaires  qui  sont  traites 
ainsi;  les  explications  proprement  dites  se  fönt  toujours  sur  les 
images  du  Manuel. 

Le  plan  du  livre  est  aussi  tout  pratique.  Apres  avoir  donne 
en  tete  du  volume  une  bibliographie  complete  ou  peu  s'en  faut 
des  manuels  et  traites  et  des  recueils  de  fac-similes,  M.  Prou 
fournit  d'abord  des  renseignements  sur  les  materiauxet  instruments 
de  l'ecriture  et  passe  ensuite  ä  l'expose  des  ecritures  precaro- 


232  Referate  und  Rezensionen.     Jean  Acher. 

lingiennes.  La  transition  entre  cette  premiere  partie  et  la  seconde, 
qui  traite  des  ecritures  des  IX^  ä  XVIIP  siecles,  en  distinguant, 
jusqu'ä  la  Renaissance,  dans  chaque  siecle,  Tecriture  des  livres 
de  Tecriture  des  chartes,  est  fournie  par  la  theorie  des  abreviations. 
II  faut  approuver  sans  reserve  M.  Prou  de  n'avoir  pas  rejete, 
suivant  Tusage  commun,  cette  partie  ä  la  fin  du  Manuel:  ex- 
pliquer  ä  un  debutant  la  minuscule  carolingienne  et  son  evolution 
ulterieure  sans  l'avoir  mis  ä  meme  de  resoudre  les  abreviations, 
€'est  lui  interdire  de  lire  les  fac-similes  sur  lesquels  portent  les 
explications. 

Un  chapitre  sur  la  ponctuation,  les  signes  diacritiques  et 
autres,  les  chiffres  et  la  notation  musicale  termine  l'expose  propre- 
ment  dit.  La  fin  du  volume  est  occupee  par  les  repertoires  dont 
je  transcris  les  titres:  Principales  especes  de  mss.,  Dictionnaire 
des  abreviations  (latines  et  frangaises;  il  est  precede  d'une  tres 
utile  note  sur  les  recueils  et  dictionnaires  d'abreviations),  Liste 
chronologique  des  fac-similes  annexes  au  Manuel/)  Index  biblio- 
graphique,  Index  alphabetique  des  principales  matieres.  Ces 
repertoires  sont  precieux.  Le  dictionnaire  des  abreviations 
latines  est  tres  riebe;  il  suffit  completement  ä  l'usage  courant, 
et  dispense  les  etudiants  de  l'acquisition  d'un  ouvrage  special, 
ce  qui  n'est  pas  negligeable  au  point  de  vue  pratique.  L'index 
bibliographique,  dont  l'idee  est  empruntee  ä  Texcellent  Manuel 
de  diplomatique  d'A.  Giry,  evitera  des  pertes  de  temps  ä  tous 
les  travailleurs.  C'est  un  accessoire  qui  meriterait  d'etre  adopte 
par  les  auteurs  de  tous  les  manuels. 

A  partir  du  IX^  siecle,  c'est  surtout  l'ecriture  des  mss.  ecrits 
en  France  qui  est  etudiee.  Au  point  de  vue  romaniste,  c'est 
un  nouvel  avantage  du  Manuel  sur  la  plupart  des  livres  similaires, 


^)  Ces  fac-similes  comprennent,  outre  V  Album  dont  est  accompagnee 
la  presente  edition,  trois  recueils  publies  ä  pari,  mais  faisant  suite  au 
Manuel.  Les  deux  premiers  sont  epuises,  mais  je  dois  mentionner 
ici  le  troisieme.  Publie  en  1904,  chez  Alph.  Picard  et  fils,  sous  le  titre: 
M.  Prou,  Recueil  de  fac-similes  d' ecritures  du  V«  au  XVIII'^  siecle.  .  . 
accompagnee  de  modeles  d'analyses  d'actes  et  de  transcriptions  integrales, 
il  se  compose  de  50  planches  contenant  63  documents.  II  serait  tres 
souhaitable  que  ce  recueil  se  repandit  parmi  les  romanistes.  II  contient 
presque  exclusivement  des  specimens  d'ecritures  frangaises  ä  date  cer- 
taine,  si  mal  representees  chez  Steffens  et  dans  autres  recueils  usuels.  II 
n'est  pas  inutile  d'en  donner  ici  la  nomenclature:  Tite-Live  V«  siecle. 
Prudence  VI''.  Lectionnaire  Gallican  VII«.  Vie  de  saint  Wandrille 
Vllle.  Authentiques  de  reliques  VIII«  siecle.  Bible  (822).  Diplome 
de  Louis  le  Pieux  (832).  Diplome  du  roi  Budes  (893).  Acte  de  dona- 
tion  (931).  Acte  de  donation  (1001).  Collection  de  canons  (1009).  Saint 
Augustin  (vers  1029).  Acte  de  donation  (1034).  Acensements  (1100 
ä  1136).  Actes  divers  (1144,  1163,  1201).  Association  et  echange 
(1205—1227).  Copie  authentique  (1249).  Table  de  saint  Augustin 
(1256).  Charte  de  Vofficialite  de  Soissons  (1258).  Id.  de  Vofficialite 
de  Laon  (1261).  Enquete  (1261).  Charte  de  Ferri  duc  de  Lorraine 
(1263).     Lettres  patentes  de  saint  Louis  (1268).     Registre  d'Alphonse 


-ProM,   Maurice.  233 

oü  ce  sont  au  contraire  les  mss.  d'originc  non-romanc  qui  occu- 
pent  la  premiere  place. 

L'etudiant  qui  aura  etudie  lo  livre  de  M.  Prou  en  ne  negli- 
geant  pas  de  transcrire  les  fac-similes  qui  y  sont  joints,  connaitra 
les  ecritures  usuelles  et  n'eprouvera  pas  de  difficultes  ä  les  lire. 
En  meme  temps  il  s'initiera  aux  principaux  problemes  de  la 
paleographie  et  apprendra  Tetat  actuel  de  la  science  sur  la  plu- 
part  des  questions.  C'est  en  effet  la  grande  originalite  de  cette 
troisieme  edition  du  Manuel  que  d'avoir  su  concilier  tres  heu- 
reusement  un  enscignement  tout  pratique  avec  les  exigences  de 
la  paleographie  historique.  Dans  les  deux  premieres  editions, 
le  cote  scientifique  etait  un  peu  moins  developpe.  En  lui  faisant 
une  part  plus  large  dans  la  nouvelle  edition,  M.  Prou  a  rendu 
un  grand  service  aux  etudes  paleographiques.  Le  principal 
ecueil  de  la  paleographie,  c'est  precisement  d'etre  enseigne  d'une 
maniere  qui  empeche  les  etudiants  de  la  cultiver  scientifiquement. 
II  y  a,  en  effet,  une  Separation  deplorable  entre  la  science  et  la 
pratique:  l'etudiant  apprend  ä  dechiffrer  les  anciennes  ecritures 
et  ä  les  dater  sans  etre  introduit  ä  l'etude  scientifique  de  la  paleo- 
graphie. Une  certaine  habüete  une  fois  acquise  dans  cet  art 
pratique,  il  croit  avoir  termine  son  education  paleographique. 
II  consulte  encore  ä  l'occasion  les  traites,  mais  ne  les  etudie  guere. 
Quant  aux  monographies,  il  en  ignore,  pour  la  plupart,  l'existence. 
Nulle  part  cet  empirisme  n'est  plus  enracine  que  chez  les  roma- 
nistes;  le  Manuel  de  M.  Prou  y  apportera  un  excellent  remede. 

II  serait  peut-etre  desirable  que,  dans  la  prochaine  edition, 
M.  Prou  accentuät  encore  davantage  cette  tendance  de  son  livre. 
II  pourrait,  p.  ex.,  joindre  au  §  1,  qui  traite  de  la  definition  de  la 
paleographie,  une  esquisse  d'histoire  de  la  science  paleographique. 
En  apprenant  comment  sont  nees  et  comment  se  sont  developpees 

de  Poitiers  (1269).  Charte  de  Vechevinage  de  Lille.  Enquete  (1278). 
Notes  breves  de  notaire  (1278).  Amortissement  (1286).  Registre  du 
iresor  (1300).  Arrentements  (1302 — 1303).  Brunetto  Latini  (1310). 
Minute  de  lettres  royaux  et  accord  au  Parlement  (1322 — 1323).  Accords 
au  Parlement  (1324).  Id.  (1367).  Id.  (1382).  Minute  de  lettres 
royaux  (1401).  Accord  au  Parlement  (1401).  Aveu  et  denombrement 
(1436).  Mandement  royal  et  hommage  (1446).  Quittance  et  vente 
(1456 — 1475).  Bail  ä  cens  (i486).  Chronique  de  Monstrelet  (1510). 
Acte  d'echange  (1520).  Registre  de  comptes  (1521).  Notes  breves  de 
notaire  (1536).  Actes  d' hommage  (1548 — 1549).  Lettre  de  Frangois 
de  Guise  (1563).  Logis  des  troupes  ä  la  bataille  de  Jarnac  (1569). 
Aveu  et  denombrement  (1581).  Frais  de  criees  (1620).  Plumitif  du 
Parlement  (1625).  Acte  de  vente  (1650).  Comme  on  le  voit,  ce  sont 
surtout  des  actes,  c'est  ä  dire  des  documents  que  les  etudiants  ro- 
manistes  eprouvent  le  plus  de  difficulte  ä  lire,  qui  sont  publies  ici. 
Les  pieces  en  frangais  y  sont  nombreuses,  il  y  en  aussi  des  proven^ales 
et  une  catalane,  ce  qui  fait  que  ce  recueil  peut  etre  utilise  avec  succes 
dans  les  Conferences  de  seminaire.  Le  prix  en  est  modique:  20  frs. 
La  librairie  fait  en  outre  des  conditions  speciales  aux  etablissements 
qui  prennent  six  exemplaires  ä  la  fois. 


234  Referate  und  Rezensionen.     Jean  Acher. 

ces  etudes,  le  debutant  apprendrait  en  quoi  a  consiste  leur  progres 
et  quelle  est  la  direction  qu'un  Delisle  ou  un  Traube  ont  imprimee 
aux  recherches  sur  les  anciennes  ecritures.  Composee  habile- 
ment,  cette  notice  historique  pourrait  eveiller  chez  plus  d'un 
lecteur  le  goüt  pour  la  recherche  personnelle.  II  faudrait  peut- 
etre  aussi,  en  citant  les  memoires  des  maitres,  insister  sur  l'im- 
portance  qu'ils  ont  eu  pour  le  developpement  de  la  science.  M. 
Prou  a  bien  fait  le  necessaire  pour  les  travaux  de  Traube:  ses 
lecteurs  en  saisiront  parfaitement  la  portee.  Mais  je  crains  qu'ils 
n'aper^oivent  pas  avec  une  nettete  süffisante  ce  que  la  paleo- 
graphie  doit  ä  Leopold  Delisle.  Le  Cabinet  des  Manuscrits  et 
le  Memoire  sur  l'ecole  calligraphique  de  Tours,  pour  ne  parier 
que  de  ces  deux  ouvrages  celebres  entre  tous,  appliquent  des 
methodes  qui  fönt  date  dans  la  paleographie  et  qu'il  ne  serait  pas 
hors  de  propos  de  faire  connaitre  aux  commen^ants.  De  meme, 
il  eüt  ete  utile  de  dire  que  le  Programm  und  Instruktion  der  Diplo- 
maia- Abteilung  de  Th.  v,  Sickel  a  fait  reposer  la  critique  paleo- 
graphique  sur  l'etude  du  ductus  de  Tecriture,  et  que  cette  methode, 
d'un  usage  courant  chez  les  diplomatistes,  pourrait  etre  appliquee 
avec  succes  dans  la  paleographie  des  livres,  oü  eile  n'est  pas 
encore  tres  repandue.  L'importance  du  memoire  de  M.  Wilh. 
Meyer  (de  Spire)  sur  Die  Buchstaben-  Verbindungen  der  sg.  gothischen 
Schrift  n'apparait  pas,  non  plus,  avec  la  clarte  desirable.  II 
n'est  cite  que  deux  fois,  ä  propos  des  liaisons  dans  l'ecriture  du 
Mont-Cassin  et  dans  la  minuscule  gothique:  le  lecteur  pourrait 
etre  tente  de  croire  que  M.  Wilh.  Meyer  s'est  borne  ä  faire  une 
simple  Observation;  il  ne  soup^onnera  sans  doute  pas  que  ce 
memoire  constitue  une  etude  de  portee  generale  oü  une  regle 
calligraphique  tres  importante  est  examinee  avec  toutes  les 
rigueurs  de  la  methode  historique.  On  pouvait,  en  outre, 
emprunter  ä  cette  etude  quelques  indications  sur  l'emploi  de 
Vr  courbe,  du  d  oncial,  du  t»,  et  de  Vy.  II  serait  aussi  souhaitable 
que  M.  Prou  fit  une  place  plus  large  aux  questions  de  provenance. 
L'ecriture  n'a  pas  evolue  partout  de  la  meme  maniere,  et  il  con- 
viendrait  d'attirer  l'attention  des  debutants  lä-dessus.  Le  Manuel 
y  insiste  suffisamment  dans  les  chapitres  consacres  aux  ecritures 
precarolingiennes,  mais  il  n'en  est  plus  de  meme  dans  la  seconde 
partie  du  livre.  II  n'eüt  pourtant  pas  ete  superflu  de  rappeler 
l'observation  de  Schum  sur  les  particularites  de  la  minuscule 
gothique  dans  le  Midi  de  l'Europe  parce  qu'on  les  rencontre 
souvent  dans  les  mss.  d'origine  provengale.  Plusieurs  paleo- 
graphes  ont  note  le  caractere  avance  de  l'evolution  de  l'ecriture 
en  Normandie  (on  plus  generalement  ä  l'Ouest)  au  douzieme 
siecle;  cette  remarque  meritait  d'etre  rapportee.  Les  particula- 
rites de  l'ecriture  anglo-norman'de  etaient  aussi  bonnes  ä  noter. 
La  derniere  Observation  m'amene  ä  faire  une  remarque  sur 
la  place  restreinte  faite  dans  le  Manuel  k  la  paleographie  des 


Proii,  Maurice.  235 

mss.  et  chartes  en  langue  vulgaire.  Ne  convenait-il  pas  d'indiquer 
quand,  dans  quelles  provinces  et  sous  rinfluence  de  quels  bcsoins 
on  aveitcommence  ä  rediger  los  chartes  en  langue  vulgaire  ?  M.  Prou, 
qui  est  un  diplomatiste  remarquablement  informe,  aurait  pu, 
il  me  semble,  reunir  ä  cot  egard  quelques  renseignemonts  destines 
ä  completer  ceux  qu'on  trouve  dans  le  Manuel  de  diplomatique 
de  Giry.2)  II  eüt  ete  bon  aussi  de  raconter  les  debuts  du  livre 
frangais  et  de  dire  quelques  mots  de  conditions  paleographiques 
de  la  formation  de  Torthographe  fran^aise.  L'etude  des  tenta- 
tives  qui  ont  ete  faites  pour  rendre  les  sons  de  la  langue  mater- 
nelle  avec  les  signes  de  I'alphabet  latin  me  semble  ressortir  pour 
le  moins  autant  ä  la  paleographie  qu'ä  la  phonetique.  II  y  avait 
lieu,  semble-t-il,  d'attirer  l'attention  sur  ces  questions  en  etudiant, 
p.  ex.,  les  fonctions  diacritiques  de  la  letre  Ä,  les  hesitations 
entre  ^  ou  c?  et  2  ä  la  fin  des  mots,  les  tentatives  faites  pour  rendre  les 
sons  de  Vn  et  17  mouillees.  Chemin  faisant,  on  aurait  pu  illustrer 
par  quelques  exemples  les  differences  locales  d'orthographe,  en 
faisant  remarquer,  p.  ex.,  que  les  copistes  bourguignons  fönt 
grand  usage  de  TA,  qu'a  Liege  on  rend  /  mouillee  par  Ih,  que 
l'emploi  de  Vx  caracterise  l'orthographe  lorraine.  La  graphie 
anglo-normande  aun  (pour  an)  aurait  pu  servir  d'exemple  d-  la 
determination   de   Tage   de   Tecriture    au   moyen   d'orthographe. 

Selon  l'usage  antique  et  solennel,  M.  Prou  ne  s'occupe 
pas  de  la  paleographie  des  livres  imprimes.  G'est  la  seule  lacune 
de  ce  remarquable  Manuel  qu'on  ne  saurait  trop  recommander 
aux  etudiants  en  philologie  romane. 

Je  termine  par  quelques  observations  de  detail. 

Dans  le  chapitre  preliminaire,  il  ne  serait  pas  hors  de  propos 
de  donner  quelques  indications  sur  les  moyens  de  reproduire 
les  mss.  II  serait  utile  aussi  d'avertir  les  debutants  qu'il  ne  suffit 
pas  d'etudier  les  fac-similes  joints  au  Manuel  ä  l'aide  des  trans- 
criptions  donnees  dans  le  livre,  mais  qu'il  est  indispensable  de 
les  transcrire  soi-meme,  et  qu'apres  avoir  obtenu  une  transcription 
convenable,  il  n'est  pas  mauvais  de  calquer  le  fac-simile  pour 


-)  Me  sera-t-il  permis  d'adresser  ici  ä  M.  Prou  la  priere  de  vouloir 
bien  nous  doter  d'un  recueil  de  fac-similes  des  plus  anciens  documents 
diplomatiques  en  langue  vulgaire?  De  plus  en  plus,  on  se  rend  compte 
de  la  necessite  de  l'etude  directe  des  documents.  C'est  ainsi  que 
M.  Behrens,  p.  ex.,  a  Joint  ä  la  derniere  edition  de  son  Altfrz.  Grammatik 
un  choix  de  chartes  destine  ä  illustrer  les  particularitäs  dialectales  du 
franQais.  On  serait  heureux  de  posseder,  ä  cöte  de  ces  specimens 
imprimes,  de  bons  fac-similes  de  prix  abordable,  et  il  y  a,  je  crois, 
grand  interet  ä  que  ces  reproductions  soient  publiees  par  un  savant 
frangais.  Un  etranger  ne  saurait  atteindre  les  documents  qui  n'ont 
pas  6t6  signales,  et  c'est  precisement  le  cas  oü  se  trouvent  les  plus 
anciennes  chartes  en  langue  vulgaire  de  certaines  provinces.  II  serait 
desirable  que  dans  un  recueil  pareil  les  transcriptions  fussent  accom- 
pagnees  non  seulement  de  remarques  paleographiques,  mais  aussi 
d'explications  diplomatiques  elementaires. 


236  Referate  und  Rezensionen.     Jean  Acher. 

se  bicn  familiariser  avec  toutes  les  particularites  de  l'ecriture 
qu'on  etudie.  —  P.  35.  Est-il  bien  sür  que  le  sulfhydrate  d'ammo- 
niaque  ne  deteriore  pas  les  mss.  ?  J'ai  entendu  dire  qu'apres 
avoir  fait  revivre  Fecriture,  il  contribuait  ä  la  faire  disparaitre 
definitivement.  La  Photographie,  qui  donne  frequemment  des 
epreuves  plus  nettes  que  l'original,  est  en  tout  cas  plus  inoffonsive. 
—  P.  36  A  propos  des  chartes  de  Rouergue  dont  l'encre  est  devenue 
verte,  je  signalerai,  dans  le  ms.  Bibl.  Nat.  lat.  16  738,  planche  1, 
une  Charte  de  Richard  II  de  Normandie  pour  l'abbaye  de  vSaint- 
Wandrille,  dont  l'encre  est  devenue  rouge.  —  P.  60.  II  ne  fallait 
pas  ometre  d'indiquer  que  M.  Chatelain  donne,  dans  VUncialis 
scriptura  (texte)  quelques  indications  pour  determiner  Tage  des 
livres  ecrits  en  onciale.  —  P.  70,  transcription  du  papyrus  de  Ra- 
venne,  ligne  1;  lisez  suscrihsi  au  lieu  de  subscribsi.  —  P.  74.  Le 
fac-simile  destine  ä  illustrer  l'ecriture  semi-onciale  (Le  Cassien 
derobe  par  Libri  ä  Autun  et  reconquis  par  la  Bibliotheque  Natio- 
nale) n'est  pas  choisi  tres  heureusement.  La  lettre  g,  dont  la 
planche  n'offre  qu'un  exemple  {sagum,  1.  9),  n'y  a  pas  la  forme 
caracteristique  de  l'ecriture  semi-onciale:  c'est  un  g  oncial.  A 
tout  le  moins,  il  fallait  en  faire  la  remarque.  —  P.  113.  Le  passage 
terminant  cette  page  est  redige  maladroitement:  il  pourrait 
dünner  ä  croire  que  c'est  au  XIIP  siecle  seulement  qu'on  s'est 
mis  ä  ecrire  en  langue  vulgaire.  La  plume  a  trahi  la  pensee  de 
M.  Prou.  —  P.  118  ä  135  sont  occupees  par  un  chapitre  sur  les 
Notes  tironiennes  du  ä  M.  Jusselin.  Ce  chapitre  est  excellent, 
mais  vu  l'interet  restreint  du  sujet,  il  me  semble  un  peulong.  —  P.  145 
et  146.  Fautes  d'impression  que  je  me  borne  ä  signaler,  les  dif ficultes 
typographiques  m'empechantde  les  corriger:  G,  psentes.  —  P.  148. 
II  fallait  peut-etre  indiquer  que  toutes  les  lettres  qu'on  suscrit 
Sans  rien  abreger  etaient  ä  l'origine  des  lettres  liees;  c'est  la 
forme  des  ligatures  oü  elles  entraient  en  composition  qui  explique 
leur  place  au-dessus  de  la  ligne.  —  P.  153.  Le  point  et  virgule 
fait  en  deux  traits  abrege  la  finale  us  encore  au  XIIP  siecle: 
Registre  de  l'eveque  Conrad  de  Constance  de  1210  (Steffens, 
ed.  fran?.  pl.  89:  seqiientibiis,  1.  10;  conspectibus,  1.  11),  Registre 
du  Cardinal  Hugues  d'Ostie  de  1221  (Steffens,  ed.  fr.  pl.  90: 
Omnibus,  1.  10;  genibus,  1.  12;  militibus,  1.  24),  le  ms.  de  Thomas 
d'Aquin  qu'on  croit  etre  autographe  (Steffens,  ed.  fr.  pl.  95 
rebus  sensibilibus,  col.  2,  1.  28);  Notices  provenant  du  Limousin 
redigees  vers  1200  {Heliogr.  Ec.  des  Chartes  n°®  146  ä  148);  Docu- 
ment  de  l'abbaye  de  S.  Denis  de  1207  (Heliogr.  Ec.  Chartes  n° 
185,  duobus  hominibus);  Gloses  sur  les  Epitres  de  S.  Paul  de 
1225  (Van  den  Ghcyn,  Album  beige  de  paleogr.  pl.  XIII),  Additions 
de  Maurice  de  Neufmoustier  aux  Gestes  des  ev^ques  de  Liege  (Van 
den  Gheyn,  op.  cit.  pl.  XIV),  S.  Augustin  copie  en  1277  par 
Jean  Toussens,  moine  ä  Cambron  (Van  den  Gheyn,  op.  cit.  pl. 
XVI,  tribus,  duabus,  col.  2,  1.  18;  motibus,  col.  2,  1.  27;  habentibus, 


Proii^   Maurice.  237 

col.  2,  1.  28);  Le  ms.  A  du  lapidairc  Evax  fii  un  muH  riche  reis 
du  debut  du  XIIF  sieclc  {Romania  XXVIII,  p.  48,  ox  .ä  la  der- 
niere  ligne);  xMatthiou  de  Paris  {Paleograph.  Society  I  pl.  218, 
plusieurs  exemplcs  ä  la  2^  colonne).  —  Getto  abreviation  est 
parfois  faite  d'un  seul  trait  bien  avant  le  XI^  siecle.  M.  Steffens 
en  a  signale  un  exemple  dans  le  Valere-Maxime  de  Berne  du 
IX^  siecle  (ed.  fr.  pl.  60  b,  col.  2,  1.  1).  —  P.  156,  transcription 
du  dessein,  lisez  ^lernam  (fautc  d'impression).  —  P.  158.  ,,Au 
XII P  siecle,  la  diphtongue  se  a  completement  disparu".  Sauf 
dans  les  mss.  en  langue  vulgaire  oü  eile  se  rencontre  sporadique- 
ment,  cf.  Suchier,  Voyelles  ioniques  p.  35.  —  P.  160.  La  redaction 
du  passage  sur  cum.,  quiim  est  peu  heureuse;  voy.  p.  103  oü  eile 
ne  prete  pas  ä  cette  critique.  —  P.  195.  Meme  Observation  au 
Sujet  de  la  phrase  concernant  1'?  cedille  au  XP  siecle.  La  bonne 
formule  se  trouve  p.  158.  —  P.  201,  Signatures  autographes. 
Un  renvoi  ä  Giry,  Manuel  de  diplomatique  p.  601  ne  serait  pas 
superflu.  —  P.  204.  II  fallait  repeter  ici  l'indication  du  Rouleau 
du  b.  Vital,  donnee  ä  la  p.  30,  et  attirer  derechef  l'attention  du 
lecteur  sur  ce  document  incomparable  pour  l'etude  de  l'ecriture 
ä  la  fin  du  premier  quart  du  XI F  siecle.  —  P.  208.  Je  ne  saisis 
pas  bien  l'utilite  d'uno  analyse  detaillee  d'un  acte  dont  on  ne 
communique  que  le  preambule.  Ailleurs  encore,  j'ai  remarque 
quelques  analyses  un  peu  longues.  Y  aurait-il  la  une  Intention 
de  la  part  de  M.  Prou  ?  L'analyse  d'un  acte  n'est  pas  toujours 
facile,  et  il  n'est  peut-etre  pas  oiseux  de  fournir  aux  debutants 
de  bons  modeles.  Le  moyen  le  plus  simple  consisterait  ä  donner 
en  fac-simile  une  charte  de  Fleuri  et  ä  renvoyer,  en  note,  ä  cer- 
tain  Recueil  des  chartes  de  cette  abbaye,  en  recommandant  aux 
commen^ants  l'etude  des  analyses  qui  y  accompagnent  les  docu- 
ments.  Le  Manuel  et  ses  lecteurs  s'en  trouveraient  bien.  — 
P.  209.  Je  ne  crois  pas  qu'il  soit  exact  de  dire  que  ,, avant  le 
XIIF  siecle,  l'art  de  l'ecriture  etait  essentielloment  monastique." 
La  richesse  de  la  litterature  profane  en  langue  vulgaire  au  XI P 
siecle  et  sa  diffusion  rapide  ä  l'etranger  me  semblent  prouver  le 
contraire.  M.  Prou  fait  aussi  trop  bon  marche  des  ecoles  non- 
monastiques,  tres  florissantes  au  XI P  siecle.  Je  rappeile  enfin 
que  l'officialat  et,  dans  le  Midi,  le  notariat  datent  du  XI P  siecle. 

—  P.  220.  Le  trait  d'union  qui  suit,  ä  la  fin  des  lignes,  le  commen- 
cement  d'un  mot  termine  ä  la  ligne  suivante  n'a  rien  de  notable 
au  XIIP  siecle.  On  le  rencontre  des  le  XP  siecle.  —  P.  282. 
Le  chapitre  sur  les  Accents  appelle  quelques  remarques.  L'o 
exclamatif  n'est  pas  le  seul  monosyllabe  qui  soit  souvent  sur- 
monte  d'un  accent.  La  dissertation  de  Lincke,  dont  certaines 
conclusions  me  paraissent  d'ailleurs  contestables,  est  citee  ä 
un  endroit  du  contexte  oü  l'on  s'attendait  ä  trouver  une  indi- 
cation  sur  les  accents  dans  les  ecritures  irlandaise  et  anglo-saxonne. 

—  En  ce  qui  concerne  les  accents  surmontant  Vi  redouble,  M.  Prou 


238  Referate  und  Rezensionen.     Jean  Aclier. 

en  Signale  la  presence  dans  une  charte,  aujourd'hui  perdue,  de 
Marmoutier  de  1077  et  dans  les  diplömes  de  Louis  VI.  Ces  in- 
dications  sont  precieuses,  mais  auraient  pu  etre  completees  par 
quelques  renseignements  concernant  les  livres.  Voici  le  resultat 
d'une  petite  recherche  que  j'ai  effectuee  sur  les  ii  accentues  tant 
dans  les  livres  que  dans  les  chartes.  Le  premier  exemple  en  est 
fourni  par  le  Catalogue  de  l'abbaye  de  Lobbes  de  1049  {Paleogr. 
Society  I  pl.  61).  Dans  le  dernier  quart  du  XF  siecle,  on  en 
trouve  des  exemples  dans  les  chartes:  ä  la  charte  de  Marmoutier 
citee  par  M.  Prou,  j'en  ajoute  une  autre  de  la  meme  provenance 
ecrite  vers  1092  {Musee  des  Archiv.  Depart.  n^  29)  et  une  charte 
du  9  novombre  1081,  redigee  en  Catalogne  au  nom  d'Arnaldiis 
Ugonis  baiiilus  de  Fontclara  et  Arnaldus  abbas  saticti  Benedicti 
de  Castres,  conservee  dans  le  ms.  Bibl.  Nat.  lat.  nouv.  acq.  2579 
(charte  n^  16),  Au  debut  du  siecle  suivant,  on  en  trouve  des 
exemples  tant  dans  les  livres  que  dans  les  chartes:  Psautier 
quadriparti  de  S.  Martin  de  Tournai  de  1105  (Prou,  Album  accom- 
pagnant  la  presente  ed.  du  Manuel,  pl.  11,  exiit,  Hgne  13);  frag- 
ment  du  Rouleau  d'Hugues  abbe  de  Saint- Amand  de  1107  (eloge 
de  Guarmond,  aliis)  recueilli  dans  le  ms.  Bibl.  Nat.  nouv.  acq. 
lat.  1525;  souscription  autographe  d'Hugues,  abbe  de  S.  Cibard 
apposee  k  une  charte  de  Girard,  eveque  d'Angouieme  du  18  juillet 
1109  {Musee  Arch.  Depart.  n^  30);  le  Saint- Jeröme  de  1114  (Prou, 
Reciieil  de  fac-simile  de  1892,  pl.  I  et  Steffens,  ed.  fr.,  pl.  79a). 
J'ignore  quand  et  par  qui  les  ii  accentues  furent  introduits  ä  la 
chancellerie  de  Louis  VI  que  je  connais  mal.  Je  remarque  toute- 
fois  que  dans  le  diplöme  de  fondation  de  Tabbage  de  S.  Victor  de 
1113  ils  fönt  defaut,  ä  en  juger  par  le  fac-simile  pubhe  dans  V Album 
paleographique  .  .  .  par  la  Societe  de  l'Ecole  des  Chartes  pl.  28, 
bien  qu'on  les  trouve  dejä  dans  le  diplöme  pour  Ste.  Croix  d'Orleans 
de  Tannee  precedente  {Mus.  Arch.  Depart.  n°  31).  Vers  la  fin 
du  premier  quart  du  XI P  siecle,  les  ii  accentues  sont  communs 
ainsi  qu'on  peut  s'en  convaincre  en  parcourant  le  Rouleau  du 
b.  Vital  (ed.  phototyp.  Delisle,  titres  4,  8,  14,  25,  26,  27,  28, 
40  etc.  etc.).  La  Regle  de  S.  Benoit  de  Saint-Gilles  de  1129 
{Paleogr.  Society  I,  pl.  62)  fournit  un  exemple  presque  contem- 
porain  pour  le  Midi.  —  P.  290.  Le  chapitre  sur  la  Notation  musi- 
cale  n'est  pas  tres  heureux.  Au  lieu  de  la  nomenclature  detaillee 
des  neumes,  il  aurait  mieux  valu  donner  quelques  renseignements 
sur  l'interpretation  des  notes  carrees  et  sur  les  notations  mesurees. 
II  est  surprenant  que  dans  la  bibliographie  de  ce  chapitre  on  ne 
mentionne  pas  J.  B.  Beck,  Die  Melodien  der  Troubadours,  cet 
ouvrage  fundamental  pour  l'etude  de  la  notation  carree.  — 
P.  483.  L'index  bibliographique  me  permet  de  constater  un 
singulier  oubli  de  M.  Prou:  le  Manuel,  dedie  ä  la  memoire  de 
L.  Gautier,  a  cache  aux  lecteurs  l'oxistence  de  Vllistoire  de  la 
poesie  liturgique,  qui  contient  une  belle  etude  sur  la  paleographie 


Boiirciez,  E.  239 

des  tropaires.  Je  suis  aussi  surpris  qu'un  ouvrage  de  „paleo- 
graphie  latine  et  francaise"  n'ait  pas  trouve  uno  seulc  occassion 
de  prononcer  le  nom  de  M.  Paul  Meyer.  Le  memoire  sur  Les 
fragments  d'une  paraphrase  proveiiQale  du  Pseiido-Caton  [Romania 
XXV)  n'est  pas  mieux  traite  que  les  autres,  bien  qu'il  debute 
par  une  etude  paleograpliique  de  portee  generale. 

Paris.  Jean  Acher. 

Bourciez,    E.     Elements    de     lingiiistique    romane.       Paris, 
C.  Klincksieck,  1910.     16^  picc-,  pp.  XXI— 697. 

Non  si  potrebbe  negare  a  questo  libro  il  morito  dell'  oppor- 
tunitä.  Manca  infatti  alla  Francia  un  libro  che  s'assomigli 
(a  tacere  della  Einführung  del  Meyer-Lübke,  non  troppo  adatta 
invero  ai  novizi)  ai  preziosi  manualetti  del  Gorra  e  dello  Zauner, 
tanto  chiari,  precisi  e  bene  informati. 

Coi  quali  perö  quello  del  B.  non  ha  comuni  che  il  carattere 
elementare,  e,  ma  in  misuria  e  scelta  differenti,  la  materia.  Questa 
e  coIä  disposta  in  modo  assai  diverso.  Dopo  una  spiegazione 
sui  segni  diacritici  e  convenzionali^)  adoperati  nel  libro  (nel 
quäle  perö  non  e  detto  che  significhino  il  f  X  e  il  rfy  nelle  tra- 
scrizioni  ladine;  §  514b),  si  passa  alla  introduzione,  nella  quäle, 
ponendo  a  base  il  latino,  si  espongono  certi  principi  generali 
della  analisi  e  della  evoluzione  del  linguaggio.  La  materia  stessa 
viene  poi  divisa  in  tre  parti,  delle  quali  la  prima  considera  il 
latino  sopratutto  ne'  suoi  rapporti  col  neo-latino  e  quäle  fönte 
diretta  di  questo;  la  seconda  concerne  la  fase  romanza  primitiva, 
e  la  terza  e  consacrata  alle  lingue  romanze  singolarmente  prese; 
dove  e  da  rilevare  che  al  francese  son  consacrati  due  capitoli, 
il  1*^  (L'ancien  frangais  et  le  proven^al)  e  il  6*^  (Le  fran^ais  moderne). 
La  materia  e  dunque  sbocconcellata  per  il  francese  in  quattro 
parti,  per  gli  altri  linguaggi,  in  tre:  una  spartizione  sulla  quäle 
io  non  avrei  nuUa  a  ridire,  dove  la  sezione  che  s'intitola  "Phase 
romane  primitive"  non  fosse  riuscita  una  vera  olla  podrida  crono- 
logica.  Infatti  il  B.  assegna  a  quella  fase  un  giro  di  secoli  che 
va  dal  5^  al  10^,  e  vi  contempla  quindi  della  materia  che  e  ancora 
latina  insieme  ad  altra  chi  e  giä  schiettamente  romanza,  e  potrebbe 
essere  anteriore  e  sopratutto  posteriore  a  quell'  epoca.  Chi 
guarentisce  al  B.,  p.  es.,  che  gli  ordinali  ladini  in  -avel  (§  220^) 
non  sieno  posteriori  al  sec.  10"? 

L'esposizione  del  B.  e  chiara;  tanto  chiara  da  far  parer 
limpide  e  semphci  delle  quistioni  che  purtroppo  sono  assai  buje 
e  intricate.  D'altra  parte  questo  bisogno  assoluto  di  chiarezza 
a  ogni  costo,  disposato  alla  necessitä  di  condensare  la  materia 

1)  Tra  questi,  e  da  biasimare  l'uso  promiscuo  fatto  dell'  asterisco, 
che  serve  non  solo  per  le  forme  presunte  ma  anche  per  le  forme  che, 
pur  essendo  documentate,  non  sono  del  latino  ciassico. 


240  Referate  und  Rezensionen.     C.  Salvioni. 

in  paragrafi  brevi,  implica  troppo  di  spesso  delle  omissioni  di 
cose  essenziali,  di  quelle  omissioni  che  svisano  interamente  le 
cose.  Chi  paragoni  certi  §§  del  B.  coi  corrispondenti  dellaGrömm. 
del  Meyer-Lübke  o  persino  con  numeri  del  Körting,  troverä  che 
la  materia  degli  uni  e  degli  altri  e  spesso  miseramente  sciupata. 

Poiche  si  capisce  che  il  Meyer-Lübke  e  la  precipua  fönte, 
ne  potrebbe  essere  altrimenti.  Solo,  la  materia  della  poderosa 
opera  del  cattedratico  di  Vienna  il  Bourciez  avrebbe  dovuto 
assimilarsela  meglio;  essa  avrebbe  davuto  divenir  sangue  del 
SUD  sangue.  Invece  di  spesso  e  rimasta  materia  appiccaticcia, 
mal  compresa  e  mal  digerita.  E  anche,  in  fondo,  negligentemente 
sfruttata,  in  quanto  una  lettura  appena  appena  attenta  avrebbe 
fatto  si  che  il  B.  evitasse  errori  madornali,  come  sarebbe  quello 
che  gli  fa  dire  (§  399)  che  l'italiano  non  e  parlato  in  Austria  che 
nella  regione  di  Trieste,  o  quell'  altro  per  cui  il  bolognese 
e  il  romagnuolo  sarebbero  de'  dialetti  centrali,  diversi  dall' 
emiliano. 

Fortunatamente  la  parte  originale  del  B.  non  si  limita  a 
queste  amenitä.  Essa  s'appalesa  in  modo  assai  migliore  nella 
parte  francese,  che  il  B.,  autore  d'un  trattato  di  fonetica  francese, 
meglio  conosce;  nella  frequente  invocazione  del  guascone,  nel 
ricorrere  pure  a  proprie  indagini  sul  latino  volgare  e  medievale, 
indagini  istituite  su  iscrizioni  e  carte.  S'appalesa  anche,  e  in 
ciö  non  vedrei  io  un  pregio,  nel  tenersi  attaccato  alle  idee  del 
Mehl  e  nel  chiamar  quindi  a  testimonio  i  dialetti  italici  pur  lä 
dove  non  occorre  punto;  s'appalesa  soprattutto  nel  tentativo  di 
schizzare  anche  lessicalmente  il  latino-volgare  e  i  singoli  linguaggi 
romanzi.  II  tentativo  non  e  riuscito  ne  poteva  riuscire,  perche 
a  noi  mancano  ancora  troppi  elementi  di  giudizio,  e  perche  il  B. 
ha  proceduto  arbitrariamente  e  ignorando  troppo  di  spesso  anche 
i  pochi  elementi  utili. 

Non  place  nemmeno  il  vago  e  impreciso  modo  con  cui  tal- 
volta  s'accenna  ai  fatti.  L'avverbio  'ordinairement'  M'ordinaire' 
occorre  troppo  frequente.  Con  troppa  frequenza  la  presenza 
d'un  fenomeno  e  enunciata  col  modo  "in  Italia"  'nella  Rezia', 
senza  che  si  riesca  a  capire  se  con  quelle  espressioni  si  voglia 
dire  'in  tutta  Italia'  o  'in  qualche  parte  d'Italia'.  Anche  non 
riesce  sempre  di  capire  se  la  parola  "italiano"  si  riferisca 
all'  insieme  dei  volgari  neo-latini  d'Italia,  o  alla  lingua 
letteraria.2) 

Dirö  infine  che  in  un  libro  di  linguistica  seria  spiace  di 
leggere  dei  giudizi  estetici,  soggettivi  e  quindi  facilmente  fallaci, 
come  quelli  che  si  leggono  al  §  335  (secondo  capoverso) 
o  al  §  548<^- 

2)  Gosi  a  §  408:  "L'it.  n'admet  aueune  consonne  k  la  finale." 
Ma  se  ne'  dial.  gallo-italici  (meho  il  ligure)  e  in  piü  varietä  pugliesi 
cadon  tutte  le  vocali  meno  -a,  e  in  qualche  punto  anche  questa! 


Bourciez,   E.  241 

Seguono  ora  appunti  di  diversa  natura  che  devon  lumeggiare 
le  critiche  che  sulle  generali  si  son  mosse  qui  sopra  al  libro  del 
Bourciez. 

*  *  * 

Pp.  XVII — XXI.  Non  capisco  con  qua!  criterio  sia  messa 
insieme  la  bibhografia.  Data  pure  la  necessitä  d'essere  conciso 
e  di  indicare  solo  ciö  ch'  e  di  capitale  importanza,  riman  sempre 
strano  che  non  vi  figurino  la  Revue  des  langues  romanes,  V Archiv 
di  Herrig,  il  Kritischer  Jahresbericht,  e  la  rivista  del  Monaci  dai 
diversi  titoli  succedutisi  l'uno  all'  altro  {Giornale,  Rivista,  Studi 
di  fil.  romanza,  Studi  romanzi).  Arreca  stupore  che  sotto  'Rheti- 
que'  non  compajano  i  Saggi  ladini,  e  dell'omissione  mal  ci 
compensa  che  VArchivio  glottologico  sia  ricordato  tra  le  riviste 
della  nostra  scienza.  Manca  tra  i  sussidi  rumeni  il  Rumän. 
Elementarbuch  del  Tiktin.  Sotto  'provenzale',  avrei  ricordato 
la  Gramm,  hist.  de  la  langue  des  felibres  del  Koschvvitz,  e  tra  i 
sussidi  per  il  francese  non  andava  omessa  la  Bibliographie  des 
patois  del  Behrens.  I  vocabolari  sono  posti  sistematicamente  al 
bando  e  il  lettore  non  sa  ne  del  Dictionnaire  general  ne  del  Tresor 
del  Mistral.  Nel  corso  del  volume  avvengono  spesso  de'  rimandi 
a  lavori  speciali;  ma  anche  qui,  parmi,  senza  una  norma;  talche 
SU  molte  quistioni  il  lettore  sa  dove  attingere  una  piü  ampia 
informazione,  su  molte  altre  no. 

§  27^-  Un  attento  esame  dei  linguaggi  parlati  condurrebbe 
a  Stabilire  che  i  suoni  'accessori',  come  li  chiama  il  B.,  hanno 
forse  una  importanza  maggiore  che  loro  non  venga  solitamente 
attribuita.  Nel  dial.  deila  valle  Mesolcina  (Grigione  italiano), 
p.  es.,  io  ho  sentito  spesso  e  da  persone  diverse  un-d-r^  un  re, 
el-d-rid  'egli  ride';  altrove  (Leventina)  sem-b-rüinü  son  rovinato. 

§  28.  A  spiegare  *grevis  basta  Tantitetico  levis. 

§  31a.  Credo  anch'  io  al  principio  della  regolaritä  dei  fatti 
flessionali,  e  le  belle  ricerche  del  Jaberg  {Ueber  die  assoziativen 
Erscheinungen  in  der  Verbalflexion  einer  südostfranz.  Dialekt- 
gruppe. Aarau  1906)  non  fanno  che  confortare  questa  convin- 
zione.  Solo,  trattandosi  di  fatti  dello  spirito,  la  prova  e  difficile 
da  fornire. 

§  50c,  L'i  e  Tu  {=  e  e  o)  in  Sicilia,  e  quindi  in  parte  dell'  Italia 
meridionale,  si  puö  provare  che  e  di  data  relativamente  fresca 
(v.  Rendic.  Ist.  lomb.,  1910,  p.  625). 

§  52c.  Contro  la  condizione  del  'groupe  de  consonnes'  parlano 
foutreecc,  il  sen.  /nai^a  prestito  mutua;  anticus,  ecc.  V.  Grand- 
gent §  226. 

§  57a.  Vi  ha  contradizione  tra  questo  e  il  par.  165  dove, 
a  proposito  di  ke  ki  nella  Sardegna,  si  parla  di  regressione,  mentre 
qui  si  parla  di  conservazione. 


242  Referate  und  Rezensionen.     C.  Salvioni. 

§  58c.  Stä  bene  rius  =  rivus.  Ma  anche  qui  devono  avere 
avuto  luogo  conguagli  fin  dal  latino,  poiche  avii  si  continua  in 
Italia  (perö  hol.  Idl  =  *aulu  =  *avulii),  e  lo  si  dovrä  a  ava. 

§  60.  La  quistione  di  quanto  degli  elementi  lessicali  del 
vocabolario  latino  si  conservi  nelle  lingue  neo-latine,  non  e  vicina 
alla  soluzione,  e  una  soluzione  non  s'avrä  in  fondo  mai.  Certo 
e  solo  che  una  gran  parte  di  essi  elementi  e  naufragata.  Ma  non 
e  meno  certo  che  constateremmo  questa  porzione  assai  minore 
dove  avessimo  il  vocabolario  completo  d'ogni  comune  della 
Romania  e  dove  l'indagine  etimologica  avesse  trovato  il  bandolo 
di  migliaja  di  voci  ancora  misteriose.  Un  elenco  circospetto, 
ma  certo  non  completo,  date  pure  le  attuali  nozioni  nostre,  lo 
viene  fornendo  il  Meyer-Lübke  nel  Thesaurus. 

§  61.  Non  tutte  le  voci  che  il  B.  da  per  morte,  lo  sono;  o 
quantomeno,  se  alcune  sono  o  pajon  morte  oggidi,  ebbero  pur 
vita  per  parecchi  secoli  in  etä  romanza.  sidus  si  continuava  nell' 
it.  sido,  come  e  provato  dal  sinonimo  lucchese  sidro.  II  quäl  sidro 
sarä  un  de  verbale  da  quel  verbo  sidrare  (it.  assiderare;  Körting 
8696),  di  cui  v.  Mussafia,  Beitrag  29,  Seifert,  Gloss.  zu  Bon- 
vesin  67;  Arch.  glott.  it.  XII  431.  —  agru  vive  nella  Rumenia, 
e  in  qualche  parte  deir  alta  Italia  (Körting  362,  Arch.  glott. 
I  362,  Puscariu  38).  tuba  si  continua  nell'  it.  merid.  tofa,  corno 
dei  pastori  (Merlo,  Revue  de  dial.  rom.  I  262),  che  al  postutto 
potrebbe  stare  per  *t6i>a^).  Di  lorum  v.  Körting  5696.  Magnus 
e  nel  sa.  mannu.  omnis  nell'  it.  ogni.  oportere  nell'  a.  lomb. 
vertir.  vincire  nel  sa.  avvigni  (Rendic.  Ist.  lomb.,  1909,  pag.  675) 
e  fors'  anche  nell'  it.  avvincere. 

§   62.    Gol   valore    di    'separare'   'scegliere',    'vagliare',    vive 
GERNE RE  in  piü  parti  della  Romania  (Körting  2097,  Puscariu  346) 
gli  si  accompagna  *ex-cernere  Körting  3353. 

§  62b.  Vivono  anche  agnus  (Ktg.  370)  e  culter  (Ktg.  2667; 
friul.  coltri  coltellaccio).  domus  non  e  conservato  solo  in  Sardegna, 
ma  anche  in  Italia  {il  duomo  la  casa  di  Dio,  berg.  ol  dorn  domi- 
cilium,  Lorck,  Altberg.  Sprachdenkm.  140). 

§  63.  Vive  sempre  anche  hebdoma(S)  allato  a  hebdomade 
(Ktg.  4526). 

§  65.  Avrei  citata  la  forma  tradizionale  viioto  piuttosto  del 
fior.  vöto. 

§  69a.  II  campid.  ogheddu,  che  il  B.  ha  forse  dal  Ktg.  6654, 
non  e  punto  ocelllu,  che  avrebbe  dsito  oxeddii,  bensi  il  diminutivo 
di  ogu  occhio.  Tra  le  sostituzioni  con  -ellu,  e  da  rilevare  il  piem. 
orisel  orecchio  sinistro  dell'  aratro  mentre  e  orija  per  l'orecchio 
destro  (v.  Toppino,  Arch.  glott.  XVI  530).  Tracce  del  positivo 
aure  son  del  resto  nell' alta  ItaUa  (Ktg.  1069;  da  öra  anche  a 

^)  Cfr.  tajuto  =  nap.  tavuto  {=  sp.  ataüd)  in  qualche  varietä  meri- 
dionale  (Merlo),  e  certo  non  v'entra  tdcpos;  irp.  corrifo  {—  merid.  e  sie. 
corrivo)  dispetto,  onta,   ira,   puntiglio    (cfr.  l'it.  corrivo  alV    ira),   ecc. 


Bourciez,  E.  243 

Trento),  cosi  come  si  continua  *viclu  vitulu  nell'  it.  vecchio  (anche 
cörso  vecchiu  marinii  foca)  e  nel  sa.  bijii  ecc.  (Guarnerio,  Miscell. 
Ascoli  231—2). 

§  71d.  Si  poteva  tener  conto  dei  verbi  in  *-ccare  iStriquer, 
in  questa  Zst.  XXXVIII,  170,  traquer  Arch.  glott.  XV  107), 
dei  quali  da  ultimo  in  Rend.  Ist.  lomb.  1906,  p.  584,  620. 

§  71e.     Di  täter  ecc,  v.   Studi  romanzi  VI  62  n. 

§  73c.  Anche  a  Venezia  lüni,  märti,  mercore^  venere\  in  Piemonte 
lünes,  mdrtes,  dzoves,  merco^  vener.  Nella  Toscana,  scherzosa- 
mente,  marte,  giove,  mercole,  e  ricordisi  il  proverbio  n^  di  venere 
ne  di  marte  non  si  sposa  ne  si  parte. 

§  77.  Non  e  certo  che  *auca  rappresenti  una  restrizione,  in 
quanto  la  voce  possa  essere  Taggettivo  superstite  di  una  com- 
binazione  a  noi  ignota,  il  determinante  di  qualche  sostantivo. 
—  Quanto  a  saison,  mi  chiedo  da  un  pezzo  se  non  sia  statione 
con  t-t  dissimilati  mediante  la  soppressione  dei  primo,  come 
avviene  nel  c6.  assettd  'astettare'  asp-,  o  nel  sie.  assutari  = 
astutari,  spegnere  (v.  Rendic.  Ist.  lomb.,  1907,  pag.  1106).  A 
STATIONE  pensava  dei  resto,  ma  con  altri  argomenti  come  pare, 
anche  lo  Scheler  (v.  Diez,  Et.  W.  674). 

§  79.  Con  HiBERNUM  [TEMPUS]  fa  il  bei  pajo  aestivum  [Tem- 
PüS]  rappresentato  nel  prov.  estiu  ecc.  (Merlo,  Nomi  d.  stagioni 
e  d.  mesi  31).  Non  aper,  che  di  nessuna  determinazione 
avrebbe  avuto  bisogno,  era  il  determinato  di  singularis,  bensi 
PORCUS.  Ed  e  notevole,  a  tal  proposito,  che  la  combinazione 
intiera  si  continui  ancora  qua  e  lä  (prov.  porc-sanglie,  berg. 
porc  singial,  mant.  porck  singer,  Arch.  glott.  it.  XII  394). 

§  83c.  Puö  bastare  quell'  isolato  inferrire  a  farci  credere 
che  in  offrir  souffrir  si  abbia  offerrire,  ecc.  ?.  La  tradizione  con 
-r-,  riannodantesi  a  ojjero  ecc,  e  ben  altrimenti  forte  com'  e  pro- 
vato  da  proferer  preferer,  dagli  it.  sofferire,  offerire.  h'offerrere 
delle  carte  lucchesi  (Studi  medievali  I  418)  nulla  prova,  come 
nulla  provano  i  sardi  ojferrere  ecc.  Accanto  a  quello  i  docum. 
volgari  lucchesi  offrono  porrere  porre,  torrere  togliere,  ecc,  e 
cosi  la  Sardegna  ha,  insieme  a  ojferrere,  e  morrere  morire,  e  aberrere 
aprire,  ecc.  Siam  sempre  a  degh  sdoppiamenti  sillabici  di  re-re 
(cfr.  gh  analoghi  es.  siciliani,  come  virri.,  =  viriri  vedere,  onde 
poi  i>irriri\  Rendic  Ist.  lomb.,  1907,  pag.  106 In),  che  condu- 
cevano  a  -rre,  coli'  aggiunta  poi  dei  normale  -re ;  onde  offerrere 
si  ragguaglia  non  al  lat.  offerre  ma  a  un  sardo  offerre  ottenuto 
da  offerere. 

§  84.  La  vitalitä  dei  presenti  in  -eo  -io,  e  comprovata  da 
moltissimi  deverbah  {puzza  su  puteo,  foggia  su  fodio,  prüddza  su 
*PRUDio,  valbregagl.  pendza  prato  in  pendio,  su  pendeo,  ecc, 
Revue  de  dialect.  rom.  I  107).  Alcuni  di  questi  son  notevoli  per 
la  loro  diffusione :  cosi  quello  che  mette  a  capo  a  jaceo  (prov.  jatz, 
tose  diaccio  e  agghiaccio  ecc,  Arch.  glott.  X  108,  XII  406,  Meyer- 
Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  17 


244  Referate  und  Rezensionen.     C.  Salvioni. 

Lübke,  Rom.  Gramm.  II  §  398,  dove  son  parecchi  esempi  analoghi, 
tra  cui  notevoli  i  rumeni),  e  quello  che  si  pone  in  relazione  con 
HABEO  cioe  il  prov.  e  aait.  aip  aibo  -a  abito,  contegno. 
qualitä  (Settegast,  Rom.  Forsch.  I  237;  Meyer-Lübke,  Einf.^ 
§  35,  Arch.  glott.  it.  XII  385,  Giorn.  stör.  d.  lett.  it.,  Suppl.  5^, 
168),  per  cui  parmi  quindi  superflua,  la  invocazione  del  celtico. 
E  s'intende,  che  nulla  ci  sforza  a  mandare  con  aip  il  port. 
eiva.  —  Esempi  medievali  di  *cadeo  e  di  *-eunt  in  Studi 
mediev.  I  416,  415. 

§  89.  Non  per  contrazione  e  surto  il  gerundio  in  -indo^ 
bensi  per  una  proporzione  analogica  {-indo:  -Ire  ::  -ändo:  -dre, 
ecc),  e  lo  stesso  dicasi  dell'  imperf.  in  -ibam. 

§  91c.     Anche  *sedui,  Studi  mediev.  I  416. 

§  93b.  Si  potevan  ricordare  anche  i  sincopati  *crettu,  = 
*CRED'TU,  creduto  (sie.  crittu,  gallur.  crettu,  alto-it.  creto^  cr^ta 
credito,  a.  gen.  cretüo  da  crelo  +  crewo,  grig.  cret  -tta  Arch.  glott  I 
99  n),  *SETTU  =  *SED'TU,  oudc  il  lomb.  setäs.,  il  merid.  assettdrese, 
sedersi,  e  altri.     V.  Romania  XXXIX  441. 

§  94a.  FACIES  si  continua  nello  sp.  haz  (port.  face),  a.  astig. 
facz,  it.  centro-mer.  facce  -i  (Zst.  f.  rom.  Phil.  XXIV  507).  E  in 
Italia  abbiamo  anche  belle  tracce  della  conservazione  dell'  -e 
di  -ITIE  (ib.  ib.  504  sgg.,  Revue  de  dialect.  rom.  I  105,  Parodi, 
Arch.  glott.  it.  XVI  116,  336).  Sarebbe  poi  da  ricordare  anche 
il  ven.  -ezzo  (onde  V  it.  pettegolezzo)  di  cui  in  Studi  di  fil.  romanza 
VII  223,  il  cui  genere  non  so  in  quäle  misura  possa  giustificarsi 
coi  masc.  di,  ghiaccio,  madero  (ant.-venez.)  legno,  rum.  carui 
istr.  eher  da  caries  (col  mascoUno  giä  di  data  antica  Puscariu 
293),  lomb.  coröbi,  di  qualche  varietä,  di  fronte  al  generale  corobia 
-l-  COLLUVIES  (Körting  2329),  a  tacere  del  sie.  spezziu  irp.  spiezejo 
pepe,  aroma,  che  e  voce  dotta  e  puö  risentirsi  del  masc.  'pepe* 
(sie.  pipi  peperone,  pepe  indiano). 

§  99d.  Non  con  octoginta  bensi  con  octuaginta  e  da 
paragonarsi  *octanta. 

§  114a.     L'  it.  lo  sono  e  di  costrutto  francese. 

§  152c.  L'  it.  biasimare  e  dall'  a.  franc.  blasmer  (cfr.  1'  a. 
lomb.  biamar  =  blämer)  cosi  come  medesimo  e  dall'  a.  franc. 
*medesme.  Non  prova  dunque  nulla.  E  galücismo  riterrei 
anche  vergogna,  in  considerazione  del  sie.  vri-  virgogna. 

§  153.  Non  tutta  Italia  chiude  regolarmente  in  o  1'  q  seguito 
da  nas.  +  cons.  Cfr.  es.  come  nap.  pQnte,  sie.  ponti  e  contra, 
nap.  cuoncio  sie.  conzii  'concio',  sie.  conca  conca  (v.  Meyer-Lübke  I 
§  184).  —  Non  vedo  la  ragione  perche  la  dittongazione  milanese 
deir  ^'debba  considerarsi  come  storicamente  diversa  dalla  italiana 
o  dalla  francese.  —  "Au  sud,  eile  [la  diphtongaison  de  f  et  Q] 

est inconnue  ä  Vorigine".    A  quäle  origine  ?    Ma  1'  inferire 

una  origine  seriore  dalle  condizioni  siciliane  e  cosa  che  non  a, 
visto  che  il  dittongo,  in  certe  condizioni,  e  tutt'  altro  che  scono- 


Bourciez,  E.  245 

sciuto  in  Sicilia.  —  Condizionata  e  la  dittongazione  non  "dans 
une  partie  de  la  Calabre",  ma  in  tutto  il  Mezzogiorno,  e  e  od  era 
in  tutta  Italia  e  forse  piü  in  lä.  —  Quello  che  avviene  in  una 
parte  della  Calabria  e  questo:  che  vi  si  ha  una  dittongazione 
secondaria,  condizionata  anch'  cssa,  promossa  dall'  -ii  secon- 
dario  da  -ö  {sienlii  sento,  nap.  s(inte)  o  da  -o  {siioru  =  soror). 

§  155.  La  Toscana  non  ha  Ipto  ma  Iqto  voce  dotta.  — 
Circa   al  vocalismo  it.  -meridionale,  v.  l'appunto  al  §  50. 

§  156b.  Ant.  mil.  i'ingi  (1.  -tsi)  venti.  L'  i  in  questa  voce 
•e  di  pressocche  tutta  Italia,  non  esclusa  la  Toscana  (sen.  vinti). 
Onde  r  e  fiorentino  o  di  qualche  angolo  dell'alta  Italia  (v.  le 
mie  Note  lomb.-sicule  num.  189)  sarä  dovuto  a  trenta. 

§  156d.     Col  lion.  avilli  va  il  lomb.  avidza,  e  si  tratterä  di 

*APICULA. 

§  160.     Ne  puoco  ne  altri  suoi  compagni  veneziani  o  alto- 
italiani  (v.  Romania  XXXVI  242n,  245n)  autorizzano  la  norma 
di  au  in  iio.     Si  tratterä  di  adattamenti  o  di  false  ricostruzioni. 
§  165.     V.  l'appunto  al  §  57. 

§  166  (v.  anche  §  514^).  Non  vedo  veramente  perche  si 
possa  dubitare  della  connessione  tra  Gallia  e  Rezia  nel  tratta- 
mento  delle  formule  kac  ga;  e  meno  ancora  come  si  possa  affer- 
mare  che  1'  evoluzione  non  s'e  propagata  nel  Mezzogiorno  della 
Francia  (v.  invece  la  carta  V  del  Suchier,  nel  Grundriss^  e  Meyer- 
Lübke,  Hist.  Gramm,  d.  franz.  Spr.  §  164).  Se  tra  Rezia  e  Gallia 
vi  ha  qualche  divario  nelle  modalitä  del  fonomeno,  e  da  notare 
<;he  delle  differenze  esistono  pure  tra  questa  e  quella  valle  alpina. 
§  171a.  Dove  ha  scovato  il  B.  un  engad.  priega?  —  Nella 
Sardegna,  la  sonorizzazione  delle  sorde  e  di  data  assai  recente 
e  non  ha  trionfato  nemmeno  oggi  in  tutta  l'isola. 

§  173a.  II  -c-  toscano  di  vicino  ecc.  e  cosi  quello  di  bacio 
ecc.  (§  175^)  non  q  is  q  non  e  «:  e  un  mezzo  s.  —  II  -ts-  in  z  e  pure 
di  tutta  l'alta  Italia.  A  Genova  ^,  e  cosi  in  Sardegna,  nel  Cam- 
pidano,  dove  perö  sarä  recente  (v.  l'appunto  al  §  171*). 

§  173^.  L'it.  regina  (di  fronte  al  poetico  reina)  e  voce  dotta 
e  nulla  prova. 

§  174.  -/-  in  r  anche  in  Lombardia,  e  (ma  qui  con  una  diversa 
articolazione  del  r)  in  molta  parte  del  Piemonte. 

§  175b.  In  vergogne  di  fronte  a  verecundia  non  v'  ha  punto 
un  ndy  che  ha  perso  il  suo  d.  Da  ndy  si  e  venuti  a  nds  e  da  qui 
nj,  n.  —  II  prov.  ordi  (alto-it.  ördi)  rispecchia  un  dottrinale 
ordi(o). 

§  175e.  II  franc.  ni  da  my,  non  supporrä  esso  una  fase  inter- 
media mhy^  quella  fase  che  si  vede  ne'  lomb.  Hmbya  scimmia, 
vendembya  vcndemmia  ? 

§  175c.  Sic.  Unniri  non  Senniri.  —  nd  in  nn  {n)  anche  nella 
Ladinia  centrale  (Arch.  glott.  it.  I  359 — 60  n). 

17* 


246  Referate  und  Rezensio?ien.     C,  Salvioni. 

§  180b.  Tra  i  ladini,  abbiamo  /snella  Sopraselva  e  Sottoselva^ 
ii  e  t  (tt)  neir  Engadina,  e  t  nella  region  centrale  e  Orientale, 
Nessuna  traccia  dunque  di  yt.  —  Nella  Italia  superiore,  abbiamo 
t  (tt)  nella  Venezia  e  nell'  Emilia,  yt  nella  Liguria  e  in  una  parte 
del  Piemonte,  tS  nel  rimanente  del  Piemonte  e  in  Lombardia. 

§  183a.  L'Italia  non  ha  punto  sbandito  la  parola  frater, 
come  il  B.  puö  apprendere  dal  Tappolet,  Die  rom.  Verwn.  50  sgg. 
MAGNUS  sopravvive  nella  Sardegna,  come  giä  ho  detto.  mactare 
(o  meglio  *mactiare)  pure  nell'  it.  ammazzare. 

§  183b.  MENSA  vive  anche  in  Italia,  col  valore  per  lo  piü  di 
'madia'.  Cfr.  perö  il  nap.  mesale  tovaglia.  —  In  Ispagna  vive 
irapo  cencio. 

§  183c.  SAXUM  e  conservato  anche  nella  Ladinia  e  nel  Por- 
togallo.  sciREpure  in  Sardegna.  metus  in  Piemonte.  Lis  non  e 
escluso  dair  it.  Ute,  ma  poi  il  lomb.  3t  accenna,  colla  sua  lunga, 
a  lide. 

184.  Della  stessa  base  del  rum.  picior  e  forse  il  lomb.  pe^-ö- 
zampetto,  peduccio,  e.  il  pes-  [pez-]  con  cui  in  Lombardia,  e 
neir  alta  Italia  in  genere,  si  forman  dei  derivati  da  pede  (Studi 
di  fil.  romanza  VII  216n).  II  nap.  pedezzuUo,  piedino,  parrebbe- 
proprio  accennare  a  *pedicj-  o  peditj-  quäle  punto  di  partenza. 
AVIS  vive  in  Sardegna,  come  vi  si  continua  triticum.  —  Per  dicha 
desdicha,  cfr.  anche  gli  it.  detta,  disdetta.  Lo  sp.  pequeno  risuitera 
dal  tema  di  'picc-oW  e  dall'  -innus  di  pisinnus.  afflare  per 
'invenire'  anche  nell'  Italia  meridionale. 

§  185b.  cleta  si  continua  pure  nel  piem.  tha  e  nel  galliz.. 
chedas  "piezas  esteriores  que  entran  en  la  armazon  del  lecho 
del  carro,  6  chedeiras".  rusca  (scoria,  materia  tratta  dalla  prima 
pettinatura  del  lino)  pure  nell'  Italia  merid.  e  in  SiciUa.  Circa 
a  craindre  (ven.  scremir,  gr-),  v.  ciö  che  n'  e  detto  nelle  mie  Bricciclie 
sarde,  num.  15. 

§  185c.  Per  tana  esiterei  a  far  getto  della  base  latina  proposta 
giä  dal  Diez  (Subtana). 

§  185d.  farfecchia,  se  va  con  barba,  sarä  piuttosto  il  pro- 
dotto  di  una  di  quelle  parecchie  assimilazioni  e  dissimilazioni 
successive  cui  vanno  soggette  due  labiah  susseguentisi  a  prin- 
cipio  di  due  sillabe  attigue. 

§  187.  L'it.  löggia  prova  solo  per  la  Francia,  essendo  un 
gallicismo.  Bisognava  invocare  lubbione  e  il  lomb.  iQbja.  — 
Supporrei  gallico  anche  tovaglia. 

§  188c.  Di  giiancia,  v.  Rendic.  Ist.  lomb.,  1903,  pp.  607  sgg. 
—  scojone  non  e  milanese,  ma  c'  e  scufon  ecc,  in  altri  dial.  alto- 
italiani.  Ne  credo  v'abbia  a  vedere  il  germ.  skoh  (v.  Mussafia, 
Beitrag  103). 

§  191b.  Di  Irouble  giä  il  Dict.  gen.  fornisce  la  giusta  spie- 
gazione  (cfr.  mil.  türber,  ven.  torgolo).  II  rapporto  tra  lache 
(tose,  lasco  pigro)  e  lächer  riprodurrä  quello  che  corre  tra  laxus 


Bourciez,   E.  247 

€  LAXARE.  Del  resto  occorrerebbe  indagare  se  anche  in  Francia 
le  formazioni  come  gonfle,  non  sieno  State  prima  participiali 
<Meyer-Lübke  II  §  333). 

§  192c.  -ardo  e  -aldo  son  forse  suffissi  introdotti  in  Italia 
■dalla  Francia. 

§  196.  Caso  vuole  che  l'es.  sie.  pidicuddii  abbia  rispondenze 
in  lutta  Italia  e  anche  fuori  (lion.  pecou);  e  vedine  Zst.  f.  rom. 
Phil.  XXIII  523. 

§  197a.  manidel  minuto,  cioe  'minutolo'  (cfr.  il  lomb.  me- 
näder;  Seifert,  Gloss.  zu  Bonvesin  46),  prova  che  -^ivel  potrebbe 
anche  ragguagliarsi  a  -evolo. 

§  197c.  Veramente  il  suffisso  antelatino  con  cui  s'e  incon- 
trato  il  germ.  -ing-,  non  sonava  -ingu  ma  -incu. 

§  202a.  VETERANUS,  o  meglio  vetranus  (v.  Puscariu  195) 
per  'vecchio'  e  pur  dell'  ant.  veneto,  del  Friuli,  di  Siena,  e  della 
Sicilia.  reus  per  'cattivo'  della  Toscana  {rio)  e  della  Lombardia, 
€  BARBA  per  'mento'  e  ben  diffuso  anche  in  Italia  e  nella  Francia 
meridionale  (v.  la  bella  nota  del  Sepulcri  in  Zst.  f.  rom.  Phil. 
XXXIV  192  sgg.). 

§  202c.  Per  plicare  appl-  arrivare,  cfr.  anche  l'it.  merid.  e 
sie.  chicari,  acchicare.  Sulla  diffusione  di  testa  'capo',  v.  Zauner, 
Namen  d.  Körpert.  19 — 20.  Per  arista  ossicino  del  pesce,  cfr. 
anche  Teng.  araista  raista.  Su  gabata  quäl  base  di  joue  ecc.  ha 
espresso  teste  dei  dubbi  il  Jud  (Herrig's  Arch.  CXXIV  400). 
Per  chenüle^  cfr.  i  lomb.  can,  cagnon^  Sainean,  Zst.  f.  rom.  Phil., 
Beih.  X  20,  e  aggiungi  che  altrove  ad  esprimere  lo  stesso  con- 
cetto  interviene  il  gatto  (ib.,  Beih.  I  33;  mil.  gdta  -tina  ecc). 
Per  la  metafora  rappresentata  da  sp.  Sierra,  prov.  serra,  catena 
di  montagne,  v.  lo  studio  del  compianto  Gabr.  Grasso  Sul  signi- 
jicalo  geogr.  del  nome  "serra"  in  Italia  (Rendic.  Ist.  lomb.,  ann. 
1900).  —  La  evoluzione  semantica  di  foii  io  la  interpreterei  nel 
senso  di  'pieno  d'aria'  'vuoto,  vano'. 

§  202d.  Tra  le  ellissi  notevoli,  sia  qui  ricordata  anche  quella 
offertaci  da  [FABA]  bajana  (aret.  bagiana,  sopras.  higiauna  buccia, 
guscio,  ecc,  Rendic.  Ist.  lomb.,  1899,  pag.  132). 

§  203b.  Piacerebbe  di  sentire  il  parere  del  B.  circa  a  plaire, 
nuire,  rire. 

§  203c.  II  sa.  morrere  e  il  port.  morrer  hanno  la  stessa  ragione 
(v.  qui  indietro  gli  appunti  al  §  83c;  e  Cornu,  Grundriss^  1024), 
ma  storicamente  sono  indipendenti  Tuno  dall'  altro  come  lo 
prova  il  fatto  che  la  forma  sarda  ha  una  numerosa  compagnia. 
Inutile  quindi  di  postulare  un  romanzo  *morrere.  Non  capisco 
poi  la  ragione  del  r  scempio,  ripetuto  altrove,  di  *narere. 

§  204c.  Prima  di  affibbiare  al  Friuli  una  flessione  di  3a  plur. 
in  -int,  il  B.  avrebbe  dovuto  sapere  che  nel  Friuh  dicono  uärfin 
orfano,  zövin  juvenis,  e  che  quindi  -  in  e  la  normale  risposta 
fonetica  e  di  -  an\t]  e  di  -  en[t]. 


248  Referate  und  Rezensionen.     C.  Salvioni. 

§  205d.  La  ritrazion  dell'  accento  nella  1 — 2^  dell'  imperf. 
indic.  pure  in  piü  punti  d'Italia  (Meyer-Lübke,  It.  Gramm. 
§  398;  anche  a  Roma:  cantdmio  -ävio). 

§  208a.  La  spiegazione  dello  sp.  eres  dal  futuro  mi  e  sempre 
parsa  inconcepibile.  Un  diverso  tentativo  di  spiegazione  {eres 
da  *eses^  per  dissimilazione  di  s-s)  l'ho  io  fatto  nelle  Note  lom 
bardo-sicule  num.  158. 

§  208c.  Non  e  vero  che  *volere  sia  scomparso  completamente 
dalla  Sardegna.  II  Campidano  ha  boliri.  —  Anche  in  Lom- 
bardia,   allato  a  pQs,  si  ha  pqdi  *poto. 

§  208e.  Anche  nell'  alta  Italia  e  molto  diffuso  *faco  -  cam 
(lomb.  fcik,  fdga). 

§  209.  *anare  o  *annare  anche  in  parte  dell'  alta  Italia  (lomb. 
andä  e  nd  ecc).  *alare  pure  nel  friul.  lar.  V.  Meyer-Lübke, 
Rom.  Gramm.  II  §  226. 

§  212.  II  tipo  *essuto  e  anche  dell'  a.  valdese,  e  vedine  Arch. 
glott.  it.  XI  298,  Barth,  Laut-  und  Formenlehre  des  Waldensi- 
schen,  pag.  32. 

§  216a.  GLANDINE  anche  in  Italia  (monf.  giandra,  nap.  glian- 
dra,  sie.  agghidnnara.  II  grig.  jom  e  il  normal  succedaneo  di  fame  ; 
c'e  invece  l'irregolare  fom  (bene  spiegato  dal  Meyer-Lübke  I 
§  269;  cfr.  l'identico  trattamento  dell'  e  in  fünina  piem.,  ecc.) 
a  Bormio. 

§  216b.  *sk;cita  anche  nell'  alta  Itahae  ne'  Grigioni.  Aggiungi 

*HEBDOMA. 

§  217b.  ACU  si  conserva  fem.  anche  nell'  ItaUa  merid.  — 
MANU  si  fa  mascolino  ne'  Grigioni,  e  pare  che  di  tal  genere  non 
manchino  esempi  provenzali  e  francesi  (Zauner,  o.  c,  109). 

§  217c.  PULICE  masc.  anche  nell'  alta  Itaha  e  ne'  Ladini. 
LEPORE  masc.  pur  nell'  Itaha  meridionale  (nap.  lepuru,  sie.  lepru). 
GALLE  fem.  in  Lombardia  (tic.  berg.  cdla  la  strada  tagliata  nella 
neve)  e  nella  Venezia.  flore  sempre  feminile  ne'  docum.  medievali 
deir  alta  Itaha,  e  ancor  oggi  in  molti  dial. ;  in  altri,  solo  quando 
assuma  valori  figurati  (Arch.  glott.  it.  XII  404,  XIV  208).  la 
dura  (accanto  a  lu  ciuri)  anche  in  Sicilia.  E.  v.  le  osservazioni 
al  §  368d. 

§  218b.  Per  i  plurali  in  -^ora  nell'  alta  Itaha,  v.  Studi  mediev. 
I  412.  —  Anche  in  Sicilia,  pipi  (nap.  pepe),  marmu  (nap.  mdr- 
molo  e  mdrmore).     Invece  sie.  sürfaru  (nap.  zurfo). 

§  218c.  Non  credo  abbia  mai  esistito  un  nom.  *fulger;  e 
tutte  le  forme  romanze  (compreso  l'ant.  aquil.  fögliori  Meyer- 
Lübke  II,  pag.  V)  ci  riportano  non  a  un  *fulger  ma  un  *fulgere 
(Meyer-Lübke  ib.  §  14).  —  Continuatori  di  CAPUT  -pitis  (v.  Meyer- 
Lübke,  ib.  §  9)  nel  sardo  cdbudu-  ecc.  (Rendic.  Ist.  lomb.,  1909, 
pag.  678),  velletr.  cdpito,  lomb.  cdved,  tralcio,  berg.  cdeda  (e  cdbda) 
lotto  (v.  Arch.  stör.  lomb.  XXXI  369).  E  a  caput  riverrä  pure 
il  merid.  la  capo  (e  la  capa),  il  feminile  parendomi  appunto  meglio 


Bourciez,  E.  249 

spiegabilo  da  un  neutro  (cfr.  nap.  la  mdrmora  marmor)  che  non 
dal  masc.  *capu. 

§  219a.  Per  *communus  (o  meglio  per  *cummönu)  parla, 
colsuoö,  l'eng,  comöne  per  *mollus,  coIsuomo,  I'it.  mQnd.muoddii. 
—  E  strano  poi,  che,  per  non  applicare  i  nostri  segni  al  lat.  vul- 
gare, il  B.  venga  a  postulare  un  grafico  *dulcius  (per  *dulk'us), 
che  da  una  ben  altra  idea. 

§  220a.  II  contare  per  'ventine'  e  proprio  anche  dell'  Itaha 
meridionale ;  dove  certo  non  e  escluso  che  sia  per  Influenza  francese. 

§  221.  mi  ti  si,  forme  toniche  dell'  obliquo,  anche  nell'  alta 
Itaha.  Nella  bassa,  seve,  teve,  Arch.  gl.  IX  59,  Papanti 
461,  464. 

§  223c.  L'emil.  stel  (plur.  fem.;  solo  per  Comacehio  il  Pa- 
panti da  stel  He)  e  tirato  direttamente  su  kel  (Studi  di  fil.  rom. 
VII  197). 

§  225a.  ALIQUID  si  continua  anche  nell'  algo,  i>alk,  alch  della 
Ladinia.  —  La  perifrasi  nescio-QUAlem  ecc.  anche  in  Italia 
(v.  Studi  di  fil.  rom.  VII  235,  Arch.  glott.  it.  XV  438,  Meyer- 
Lübke,  Rom.  Gramm.  II  471,  dove  sono  anche  es.  ladini;  poles. 
soquanti  'alcuni').  —  tam  Magnus  si  continua  nella  Provenza  e 
neir  alta  Italia,  e  non  come  spagnohsmo,  come  lo  prova  la  sua 
frequenze  nella  antiche  carte  (Arch.  glott.  it.  XII  436,  XIV 
215 — 6,  Meyer-Lübke  II  §  571);  e  vi  si  riconnette  tamanto  (Schu- 
chardt,  Zst.  f.  rom.  Phil.  XV  241;  Meyer-Lübke  1.  c).  —  La 
spiegazione  di  tutto  non  regge  di  fronte  alla  circostanza  che  il 
toscano  ignora  l'Umlaut.  —  L'invocazione  dell' arcaico  ningulus 
per  ispiegare  ninguno  (cosi  anche  il  Ktg.  6544)  mi  pare  affatto 
superflua.  —  Le  forme  antico-alto-it.  di  ne-gutta  sono  negota, 
neota  (Seifert,  Gloss.  zu  Bonv.  49,  Arch.  glott.  it.  XII  416),  le 
moderne  negota  nagot  nota;  sopras.  nuot,  engad.  iinguotta. 

§  240.  CRAS  continua  anche  nella  Toscana  {crai)  e  nella 
Sardegna  [cras).  E  a  tal  proposito  potevano  anche  ricordarsi 
i  continuatori  di  nudius  tertius  ne'  Grigioni  e  nell'  Italia  merid. 
(Studi  romanzi  VI  36).  —  La  connessione  poi  dell'  a.  franc.  ades 
coli'  it.  adesso  urta  contro  il  d  scempio  dall'  una  e  dall'  altra 
banda.  AI  franc.  ades  dovrebbe  corrispondere  addesso  (e  a  una 
tal  forma  accenna  1'  alta  Italia  che  ha  sempre  [cfr.  perö  chiogg. 
aessoi]  -d-  pur  lä  dove  un  d  scempio  andrebbe  soppresso  e  dove 
quindiildnonpuögiustificarsi  che  da  dd)^  e  all'  it.  adesso  sp.  adieso 
dovrebbe  corrispondere  franc.  aes,  prov.  azeis.  Tutto  si  com- 
binerebbe  nel  supposto  di  un  accatto  fatto  alla  Francia;  o  in 
quello  che  la  voce  italiana  stia  per  *addesso  e  abbia  scempiato 
il  dd  per  dissimilazione  dall'  altra  geminata.  Per  le  discussioni 
cui  ha  dato  luogo  la  nostra  parola,  v.  Ktg.  183,  Meyer-Lübke  III 
§  490,  Gröber 's  Grundriß2  653  I   n. 

§  241.  Di  avverbi  in  -e  il  B.  stesso  ne  allega  uno  (a  torto 
secondo  me)  al  §  528d.     Esempio  sicuro  e  l'it.  pure,  mentre  il 


250  Referate  und  Rezensionen.     C.  Salvioni. 

puro  -u  deir  Italia  centrale  e  meridionale,  se  non  ^  un  aggettivo, 
par  accennare  a  puro.  Altre  tracce  di  -e,  nella  Sardegna  queste, 
sono  avvertite  in  Rendic.  Ist.  lomb.,  1909,  pag.  674. 

§  241a.  Aggettivi  declinati,  in  funzione  avverbiale,  son 
largamente  usati  nell'  Italia  meridionale;  assai  piü  usati 
che  non  appaja  dagli  es.  siciliani  ricordati  in  Rendic.  cit.,  1908, 
883  sgg.,  (V.  1910,  pag.  635). 

§  241c.  Se  non  nimis,  almeno  nimie  o  nimio  (m-m  per 
assimil.  da  n-m)  si  continua  anche  nel  grig.  memia  ecc,  troppo 
(Ascoli,  Arch.  glott.  VII  579). 

§  242a.  Cfr.  V  it.  sono  passato  a  casa  ü  medico,  'sono  passato 
dal  m-',  ecc.  Dali'  uso  preposizionale  quindi  proclitico  della 
voce  CASA,  si  spiegano  gli  accorciamenti  franc.  chez  (il  casu  delk 
Gl.  di  Cassel  sarä  una  ricostruzione  di  *cas)  e  alto-it.  ca.*)  — 
Ripeto  qui  che  per  me  Tit.  senza  grig.  sainza  (come  lo  prova 
r  ant.  sanza,  conservato  oggidi  ancora  in  qualche  dialetto; 
come  lo  prova  fors'  anche  la  forma  a.  lomb.  senz  Arch.  glott. 
it.  XIV  222n)  e  un  gallicismo.  sine  si  continua  anche  neu'  a. 
sa.  sene  (oggi  chena  e  chenza;  v.  per  il  primo  Meyer-Lübke,  Zst. 
f.  rom.  Phil.  XXV  608;  e  per  il  secondo  si  tratta  di  chena  disposato 
a  senza),  con  i  in  e  per  assimilazione,  compiutasi  nella  proclisi, 
al  secondo  e. 

§  243.  de  inter,  tra,  occorre  in  carte  latine  dell'  alta  Italia; 
e  lo  si  rivede  nel  dentro  di  qualche  documento  medievale  volgare. 

§  244.  In  Lombardia,  e  possibile  anche  un  ciin  savent  'sapen- 
do'. 

§  248a.  Per  il  rinforzo  mediante  gutta  v.  le  osservazioni 
al  §  225a. 

§  249a.     II  si  suona  anche  nella  Rezia. 

§  250a.     Nel  lad.  di  Sopraselva  anche  a  =  et. 

§  250c.  Di  AUT  VERO,  cfr.  le  notevole  riduzioni  fonetiche 
offerteci  dalF  a.  pav.  or  e  forse  dal  grig.  guar  (Zst.  f.  rom.  Phil. 
XXXIV  392). 

§  254a.  QUOMODO  nell'  Italia  meridionale  compare  anche 
nella  forma  di  mu  (Scerbo,  Dial.  calabro,  pag.  53,  Meyer-Lübke  III 
569)  e  di  mi  (cfr.  merid.  comi  all.  a  comu). 

§  268b.     Sono  voci  dotte  anche  i  prov.  ordi  e  somni. 

§  271.  II  Foerster  (Zst.  f.  rom.  Phil.  XXII  511—2)  ö  pro- 
clive  a  porre  il  fenomeno  guascone  di  II  in  t  ecc.  in  relazione  col 
fenomeno  italiano  (§  408  )  di  //  in  d,d. 

§  275b.  La  caduta  del  -r  ne'verbi  avrä  quelle  ragioni  spe- 
ciah che  ha  anche  in  Itaha  (v.  da  ultimo  Rendic.  Ist.  lomb., 
1909,  pp.  821—2). 


*)  Per  l'it.  ca,  si  puö  anche  ricordare  che  esso  e  il  solo  sostantivo 
che  tolleri  l'aggettivo  possessivo  dietro  a  se  (a  ca  mla,  ecc;  ma  la 
mia  cd  piuttosto  che  la  ca  mla). 


Boiirciez,  E.  251 

§  276a.  La  base  che  si  vede  in  estovoir  e  anche  alto-italiana 
(v.  il  mio  DelVant.  dial.  pavese,  gloss.  s.  'stovor').  —  Di  dalh 
(franc.  daille)  v.  Schuchardt,  Zst.  f.  rom.  Phil.  XXVI  115. 

§  280.     Sulla  quistione    di    -on  diminutivo,    v.  Meyer-Lübke 
II  §  458. 

§  283b.  Per  cifoine,  v.  anche  Ktg.  9312,  aggiungendo  il 
grig.  sampuogn  z-  campanaccio  lomb.  zanforna  ribebba.  A 
miralh  corrisponde  in  Lombardia  (Leventina)  mür^'t^. 

§  284a.  Per  maynatge,  cfr.  anche  il  piem.  masnd  'masnada' 
ragazzo. 

§  290.  L'a.  lomb.  senza  sentiam  rende  ben  probabile  che 
nel  pic.  senz  si  continui  sentio.  Per  il  prov.  auch^  cfr.  l'a.  lomb. 
olza  AUDIA-,   olzuo  udito. 

§  305b.  II  prov.  liir  dipenderä  direttamente  dal  sing.  lui. 
La  forma  liir  ricorre  anche  nell'  a.  lombardo  (Bescape)  e  nel  vicen- 
tino  rustico  (luri);  ma  puö  avere  un'  altra  dichiarazione  (v.  Giorn. 
stör.  d.  lett.  it.  XLI  102). 

§  310.  Puö  darsi  che  nel  *plusiores  a  cui  risale  plusieurs 
(aait.  pusor,  pisor,  friul.  plusors),  sia  da  riconoscere  un  rifaci- 
mento  su  plus;  ma  anche  si  puö  pensare  che  concorra  una  in- 
tenzione  dissimilativa  (r — r  in  s — r). 

§  321.  Circa  a  o,  mi  pare  inopportuna  la  invocazione  dell' 
umbro  ote.  MegHo  penserei  a  un  lat.  *öt  parallelo  a  aut  (cfr. 
CODA,  e  Grandgent  §  213). 

§  342.  Non  capisco  cosa  significhi  la  postulazione  di  *coraccio- 
nem  e  *capiccia  per  coragon  e  cabeza.  Per  quest'  ultimo  e  per 
i  suoi  compagni  neo-latini  (Ktg.  1877,  Zauner  20 — 21),  non 
avremo  veramente  bisogno  del  suffisso  -itia  (Meyer-Lübke  II 
§  480,  Zauner  1.  c.)  ma  basterä  (come  del  resto  anche  per  il  lat. 
CAPUTiUM)  -  lu  -  lA  aggiunto  al  tema  capit-.  Quanto  a  coragon, 
esso  si  connetterä,  attraverso  a  un  derivato  *coratiii  e  mediante 
-one  (per  influsso  di  'polmone'  ?),  a  quel  coratum,  polmone,  rive- 
latoci  come  latino  dal  Sabbadini  (v.  le  osservaz.  al  §  472a)  e  che 
si  continua,  quäl  neutro  plurale,  nel  franc.  dial.  coree  cuore  (Zauner 
153)  e  nel  corata  ecc,  polmone,^)  di  cui  lo  stesso  Zauner  156. 
• —  Non  vedo  come  si  possa  combinare  manteca  (col  suo  e  e  col 
suo  c  —  cc)  col  *MANTiCA  postulato  dal.  B.  —  Per  cordero,  estrella, 
buscar,  cfr.  anche  V  it.  cordesco  (Ktg.  2149),  1'  emil.  strella,  l'it. 
biiscare. 

§  343.  Non  ho  modo  di  vedere  se  la  derivazione  di  payo 
da  PELAGius  si  giustifichi  nel  Portogallo  con  qualche  forma  medie- 


^)  Che  qui  perö  la  voce  giä  significhi  'polmone'  ce  ne  assicura  il 
trovarsi  esso  in  compagnia  d'un'  altra  parola  che  giä  dice'  cuore'  (v. 
le  Osservaz.  al  §  472a). 

^)  corata  e,  in  origine,  tutto  ciö  che  sta  intorno  al  cuore,  quindi 
principalmente  i  polmoni.  —  Per  'cor'  chiosa  coratum  anche  un  vechio 
commentatore  del  Folengo. 


252  Referate  und  Rezensionen.     C.  Salvioni. 

vale  0  per  altro.  A  caso  vergine,  mi  chiederei  perö  se  payo  non 
vada  coli'  it.  dial.  pai  contadino,  villano,  il  quäle  alla  sua  volta 
pare  estratto  dal  sinonimo  pain  *pagInu  (per  paganu;  v.  Arch. 
glott.  it.  XVI  459—60). 

§  347b.  Che  esfaitnar,  affamare,  sia  formato  sul  franc. 
faiin  parmi  quantomai  inverisimile.  II  Meyer-Lübke  II,  576 
(e  dietro  a  lui  il  Puscariu  495)  sembrano  attribuire  al  nostro  verbo 
il  valore  di  'diffamare',  valore  che  i  miei  fonti  portoghesi  non 
conoscono,  considerandolo  essi  invece  solo  come  sinonimo  di 
esfomear  affamare.  faminto  (a  tacer  del  dotto  famelico)  mostra 
che  la  tradizione  doUa  forma  *fame  non  deve  essere  scomparsa 
del  tutto  dalPortogallo.  Ecosi  possiam  chiederei  se  per  avventura 
da  un  esjamjar  (come  sarebbe  la  reale  pronuncia  di  un  *esfamear), 
non  si  fosse  venuto  a  esjaimar.  Bisognerebbe  altrimenti  pensare 
a  un  *j  ami  ar  e. 

§  348b.  Poiche  il  B.  ben  sa  (v.  §  248d)  che  -adero  e  la  risultanza 
di  -ATORIUM  non  si  capisce  che  poi,  a  proposito  di  aguadero  (cfr. 
r  it.  ahbeveraiojo).,  parli  di  influenze  di  -arium  su  quello. 

§  350b  (v.  anche  414b).  II  tipo  dotto  pechiblanco,  lo  si  vede 
anche  nell'  it.  pettirosso.  Esso  e  piü  che  mai  florido,  come  si  sa, 
in  Sardegua,  e  anche  nell'  Italia  meridionale.  Ma  si  tratta  sempre 
di  tali  composti  in  cui  il  determinato  e  una  parte  del  corpo  (cfr. 
anche,  col  sostantivo  posposto,  piem.  duribecch  frosone;  ven. 
mozocoa  codimozzo).     Meyer-Lübke  II  §  555. 

§  352a.  Per  cuario  cfr.  il  franc.  quartier.  Circa  all'  evoluzione 
di  posada,  cfr.  1'  a.  lucch.  sposare  prendere  alloggio,  accamparsi, 
Arch.  glott.  it.  XVI  471.  L'evoluzione  di  platica  ci  e  resa  chiara 
dal  franc.  pratiguer  (it.  praticare)  frequentare  delle  persone,  col 
suo  sostantivo  pratique  (it.  prdtica  frequentazione  di  certe  persone; 
trattativa;  persona  che  frequenta  un  negozio).  II  procedimento 
inverso  di  holgar  si  nota  nel  piem.  dmuresse  'dimorare',  venuto 
a  dire  'divertirsi'. 

§  352b.  "L'espagnol  est  particulierement  porte  aux  compa- 
raisons  et  aux  metaphores  de  tous  genres";  "les  metaphores 
sont .  .  .  volontiers  eclatantes  ou  meme  violentes".  Non  piü 
portato  che  qualsiasi  altro  linguaggio  {cometa  cervo  volante, 
anche  a  Milano,  ne  crederei,  visto  il  carattere  avvio  del  confronto, 
che  vi  si  tratti  d'uno  spagnolismo);  e  anche  quanto  allo  spicco 
e  alla  violenza,  metafore  analoghe  a  quelle  che  il  B.  allega  ad 
esempio  ve  n'  ha  a  josa  dappertutto.  Per  desentrahar,  cfr.  senz' 
altro  il  suo  sinonimo  itahano  che  e  sviscerare\  e  quanto  a  estrellar 
crederei  ciie  la  'Stella'  v'entri  di  trasforo  o  per  un  malintcso, 
e  che  il  verbo  dipcnda  da  un  non  piü  vivo  *estrilla  risalente  a 
*stilla  altra  forma  di  astilla  (cfr.  il  moden.  stier  spaccar  la  legna, 
da  Stella  scheggia;  Mussafia,  Beitrag  110 — 11).  Por  gozo,  cfr. 
il  franc.  feu  de  joie,  Tit.  fuoco  d'allegrezza,  falö. 


Bourciez,  E.  253 

§  352c.     Per  marear,  cfr.  Tit.  barcamenare. 

§  368d.  II  fem.  flor  avrä  ragioni  special!;  esso  e  infatti, 
come  abbiamo  visto  nelle  osservazioni  al  §  117c,  anche  italiano. 
Per  dör  e  pure  notevole  clic  la  dolor  s'oda  in  qualclie  dial.  lom- 
bardo  (p.  es.  nclla  Mosolcina)  che  altrimenti  conserva  come  ma- 
scolini  tali  astratti. 

§  372c.  *Nossu  ecc.  non  limitato  all'Iberia,  e  v.  Meyer-Lübke 
II  §  92.  Saranno  forme  accorciate,  come  vuole  il  Meyer-Lübke, 
o  non  vi  avremo  la  traccia  di  un  fenomeno  latino-volgare  di 
str  in  ss}  La  domanda  mi  e  suggerita  dQ\*mossare  mostrare, 
ch'e  ne'  Grigioni  e  in  dial.  italiani,  e  dove  perö  si  potrebbe  pensare 
a  una  riduzione  avvenut.a  prima  nell'  imperativo,  e  quindi,  anche 
li,  a  un  accorciamento. 

§  398.  Non  solo  Napoli  e  Venezia  hanno  avuto  (e  non  solo 
neir  etä  moderna)  uno  sviluppo  letterario,  ma  e  il  siciliano,  il 
romanesco,  il  fiorentino,  il  bolognese,  il  genovese,  il  milanese, 
a  tacere  de'  dial.  minori,  come  il  bergamasco  e  il  pavano.  Nella 
Sicilia,  e  sopralutto  in  Sardegna,  c'e,  accanto  al  dialetto,  una 
lingua  letteraria  locale,  cioe  una  lingua  letteraria  siciliana  risp. 
sarda,  assai  florida. 

§  399.  II  francese  e  adoperato  non  solo  nelle  valli  valdesi, 
ma  anche  e  sopratutto  nella  Valle  d'Aosta.  Tedeschi  sono  anche 
al  Monte  Rosa  e  al  Sempione,  nelle  prov.  di  Verona  e  Vicenza 
e  nel  Friuli;  slavi  pur  nella  Italia  meridionale  adriatica.  Son 
poi  dimenticati,  a  tacere  dei  franco-provenzali  e  dei  valdesi 
deir  Italia  meridionale,  gli  albanesi,  i  greci,  e  i  catalani  di  Alghero 
in  Sardegna.  Omesso  anche  che  Titahano  e  parlato  a  Trento, 
Gorizia,  nelle  cittä  della  costa  dalmata  e  ch'e  la  lingua  della 
cultura  neir  isola  di  Malta. 

§  dOia.  A  Roma,  Napoli,  ecc,  non  dicon  zale  (dove  secondo 
la  grafia  dei  B.  sarebbe  da  intendere  s-  sonoro)  bensi  tsale  (adopero 
ts-  per  farmi  capire),  ma  solo  in  certe  congiunture,  quando  cioe 
preceda  una  liquida  {er  tsale  come  pentsa  pensa,  ecc,  ma  de  sale). 
E  condizionata,  limitata  cioe  alla  intervocalicitä,  e  pure  la  evo- 
luzione  di  Ä  a  X  ^  nella  Toscana  (la  y^asa  ma  in  kasaj. 

§  405  (v.  anche  §  410).  La  inverosimiglianza  che  lattuga, 
riva,  scudo,  strada  ecc.  sieno  voci  importate  dal  nord  risulta 
dalla  natura  stessa  delle  parole  {scudo  potrebb'  cssere  un  galli- 
cismo  come  congedo)^  e  piü  ancora  da  ciö  che  non  si  vede  la  ragione 
storica  di  una  tale  migrazione:  una  migrazione  che  dovrebb' 
essere  poi  numerosissima,  poiche  essa  non  si  sarä  limitata  certo 
a  quelle  parole  che  per  il  loro  aspetto  fonetico  tradirebbero 
senz'  altro  la   loro   provenienza   settentrionale. 

§  406.  Ne  i^  iz  ne  is  dz  s,ono  suoni  complessi.  —  II  B.  sembra 
anche  ignorare  [cfr.  "la  sourde  ts  (ecrite  zz,  z)"  ecc]  che  zz,  cci^ 
ggi  non  rappresentan  delle  mere  grafie,  bensi  delle  vere  e  proprie 


254  Referate  und  Rezensionen.     C.  Salvioni. 

geminate.  Trattandosi  poi  di  c  e  cc  alla  differenza  di  quantitä 
se  n'aggiunge  una  di  qualitä. 

§  407  c.  In  occhio  (okkyo)  non  si  tratte  di  kl  con  l  ridotto 
a  2/,  bensi  della  sparizione  di  /  dal  nesso  kly. 

§  407d.    Perche  si  parla  di  "groupes  romans  kl^  gl  pl  hl"  ? 

§  408.  //  da  dd  anche  nel  nord  della  Toscana:  ho  udito 
casteddu  ecc.   a  Carrara  e  a  Montignoso. 

§  409.  moto  e,  come  lo  prova  Y  <?',  voce  dotta;  ma  in  qualche 
varietä  pugliese  ci  dev'essere  terramütii.  Quanto  a  pianto  (se 
ha  qualche  valore),  sasso,  cfr.  sp.  llanto  prov.  planch  risp.  grig. 
sass  port.  seiäo\  per  letame,  anche  i  Grigioni  hanno  quantomeno 
aldüm.     sciöcco  e  d'incerto  etimo. 

§  409b.  Crede  proprio  il  B.  che,  relativamente  all'  adozione 
di  voci  dotte,  l'italiano  meriti  un  posto  a  parte  dagli  altri  hnguaggi 
neo-latini  ?  Non  lo  dovrebbe  credere,  sopratutto  se  pensa  a  ciö  ch' 
egli  stesso  dice  del  portoghese  (§  344b). 

§  410a.  cävolo  e  voce  dotta.  Neil'  Italia  mer.,  que'  dialetti 
che  posseggon  la  voce  come  popolare  hanno  il  regolare  o  (bar. 
col^).    E  piu  altro  e  problematico  in  questo  paragrafo. 

§  410b.  Perche  il  gergo  e  citato  solo  quäl  fönte  del  vocab. 
italiano  ?     Forse  che  le  altre  lingue  non  vi  ricorrono  ? 

§  411.     Manca  ogni  accenno  ai  germanismi  dell'  italiano. 

§  415.  Di  fracassare,  citato  tra  gli  es.  di  composizione  verbale, 
pare  che  il  B.  pensi  sia  composto  di  fra-  e  cassare  (=  franc.  casser  ?). 
Ma  vorremmo   quantomeno  fracc-. 

§  416b.  Ci  faremo  una  piü  esatta  idea  del  perchö  di  cavallone, 
pensando  al  verbo  accavallarsi,  detto  appunto  delle  onde. 

§  419a.  L'-e  nel  congiuntivo  bergamasco  e  da  -i.  —  Non 
istä  che  il  Mezzogiorno  italiano  abbia  perso  completamente  il 
congiuntivo.  Tracce  abbastanza  notevoli  non  mancano  (vedi, 
p.  es.,  Scerbo,  Dial.  cal.  §  161,  CapozzoH,  Gramm,  del  dial.  nap. 
102  sgg.). 

§  421c.     Poco  usato  il  dittongo  nelle  rizotoniche  di  coprire. 

§  422c.     puole  e  anche  piemontese,   toscano  e  romanesco. 

§  425b.  ei  non  e  una  contrazione  di  ebbi,  bensi  di  avei.  — 
Non  parmi  che  lasincope  in  avrö  ecc.  debba  legittimarci  a  consi- 
derare  tali  futuri  come  "de  formation  ancienne",  cioe,  s'io  bene 
intendo  il  pensiero  del  B.,  piü  antica  che  non  in  metterö.  Le 
condizioni,  in  cui  occorre  la  sincope  (cfr.,  p.  es.,  anche  merro 
'menerö'  in  Dante)  non  sono  ancora  studiate,  ma  le  ragioni  crono- 
logiche  non  crederei  che  vi  entrino. 

§  426.  Poiche  *UTUS  ci  deve  riportare  al  latino,  e  inutile 
la  riserva  del  B.  circa  al  non  aversi  dei  perfetti  in  -ui.  Quando 
nacque  doluto^  aveva  accanto.  a  se  dolui. 

§  428b.  I  plur.  come  fratei  sono  arcaici  e  poetici  nellalingua 
letteraria.  Sono  invece  vivi,  p.  es.,  in  Lombardia,  che  puö  anche 
avere  dei  fem.  sullo  stesso  tipo  {b^j  belli  -e;  sur^la  -r^j). 


Bourciez,   E.  255 

§  429b.  In  che  consiste,  dal  punto  di  vista  della  grammatica 
italiana,  la  irrogolarilä  del  plur.  mogli? 

§  431a.     In  diciotto  non  si  ccla  punto  ac. 

§  432a.  NOS  e  VOS  avranno  perö  ajutato  a  che  ne  n  vi  si 
fissassero  nella  funzione  di  oggetto  atono.  In  ne  e  anzi  mia 
convinzione   che  il   pronome  sia  causa   della  scomparsa   del  d. 

§  434.  sto  e  sta  son  sempre  vi  vi  e  prosperi  anche  nel  nord. 

§  446b.  La  lingua  letteraria  non  declina  fieri  che  nella 
3a  sing,  o  plur.  del  futuro. 

§  446c.     Sic.  aviri  non  dviri. 

§  447b.  andate  pure  sarebbe  tradotto  meglio  per  'marchez 
seulement'. 

§  466.  Sui  rapporti  tra  lessico  rumeno  e  italiano  molto  ci 
sarebbe  da  dire.  Qui  indietro  accennavamo  a  picior  e  pe^o  ecc, 
Ricordiamo  anche  junc  e  pugl.  ^ünghß  'giovenco'.  V.  Romania 
XXXIX  446;  dove  si  potrebbe  del  resto  chiedere  se  allato  a 
quel  *JUNICA,  onde  il  prov.  ^ünego  (Meyer-Lübke  II  §  17),  non 
coesistesse  un  *juncu  -a. 

§  472a.  Nel  testo  antico  illustrato  dal  Sabbadini  in  Studi 
glottol.  II  96,  vi  ha  la  enumerazione  "animam  coratum  [v.  qui 
indietro  le  osservazioni  al  §  342]  hepar",  dove  non  parmi  dubbio 
che  ANIMAM  sia  l'antico  progenitore  del  rum.  inima  cuore.  — 
süflet  par  che  riassuma  in  se  il  lat.  anima  -us    e  il  gr.  av£[xo{. 

§  472b.  scuti  nonseirä'EXC'üTE'RE {cir.V it. riscuotere  riscattare)? 

§  473.  L'infinito  accorciato  sarä  forse  fenomeno  da  non 
istaccarsi  da  quello  di  cui  qui  indietro  nelle  osservazioni  al  §  275b. 
Anche  nel  sardo  campid.,  pare  che  non  s'abbia  piü  la  forma 
accorciata  quando  1'  infinito  venga  a  funzione  sostantiva  (Rendic. 
Ist.  lomb.,  1909,  pag.  822n). 

§  510.  L'espressione  'abati  di  Coira'  (per  'vescovi  di  C) 
parmi  non  corrisponda  a  una  realtä.  —  I  ladini  della  seziono 
centrale  dipendono  dal  Tirolo  solo  in  parte;  gli  altri  dipendona 
da  Trento  e  in  parte  sono  nel  Regno  d'Italia.  —  Sarebbe  forse 
statu  didatticamente  utile  di  ricordare  che  alla  sezione  Orientale 
appartengono  le  cittä  di  Udine  e  Gorizia,  e  che  vi  spettava  un 
giorno   anche  Trieste. 

§  511.  Per  i  lettori  francesi,  cui  il  libro  del  B.  e  in  primo 
luogo  destinato,  sarebbe  stato  acconcio  di  indicare,  a  proposito 
del  piü  antico  testo  ladino,  il  perspicuo  articolo  di  Mario  Roques, 
in  Romania  XXXVII  1197  sgg.  A  proposito  di  poeti  grigioni, 
e  dimenticato  il  maggiore,  cioe  il  Caderas;  e  mi  pare  anche  che 
qui,  o  nella  bibliografia,  poteva  farsi  menzione  della  grande 
crestomazia  del  Decurtins.  —  Un  accenno  alla  letteratura  friu- 
lana  (notisi  che  il  friulano  e  anche  'lingua  letteraria'  nel  pretto 
senso  della  parola),  che  e  assai  importante  ed  ha  un  poeta  come 
lo  Zorutti  e  una  prosatrice  quäle  la  Percoto,  non  sarebbe  stato 
anch'  esso  fuor  di  luogo.     Per  una  prossima  edizione,  potrebbe 


256  Referate  und  Rezensionen.     C.  Salvioni. 

il  B.  valersi  dello  schizzo  del  Gärtner  (Handbuch  d.  rätorom. 
Spr.  u.  Lit.  371  sgg.). 

§  512a.  Paragrafo,  questo,  quanto  mai  infelice  e  che  era 
facile  di  rediger  megHo  solo  tenendo  presente  il  Meyer-Lübke  I 
§  242. 

§  512b.    L'  engad.  pro  non  sarä  da  prau  ma  da  pra  {-ä  in  6). 

§  513c.  II  friul.  iiepit  ne  esiste  ne  potrebbe  esistere.  Si 
hanno  invece  tivid  e  clip.  —  Si  poteva  tener  conto  di  un  es. 
come  r  eng.  percha  il  cui  trattamento  si  combina  cosi  singolar- 
mente  con  quello  del  franc.  perche. 

§  514c.  La  palatalizzazione  (per  ts  dz  l)  ha  luogo  anche  e 
sopratutto  nella  Sopraselva,  e  non  solo  per  la  formola  di,  ma 
pure  per  ti  e  li. 

§  515.  II  Friuli  restituisce  piü  che  non  conservi  il  -d-  pri- 
mario;  ma  vi  sono  esempi  sufficonti  per  dimostrare  che  auch' 
esso  partecipö  un  gicrno  del  generale  ammutolimento.  —  Circa 
a  -/s-,  il  Friuli  offre  2  e  la  region  centrale  parzialmente  dz. 

§  516a.  II  dl  della  sezion  centrale  non  e  per  nulla  antico, 
non  rappresenta  cioe,  come  sembra  ritenere  il  B.,  la  formola 
che  nel  latino  deve  aver  preceduto  a  cl  {*vetliis  in  veclus).  II 
Icentr.  vedl  e  da  *veglo  (cfr.  dlie^a  ecclesia,  dlacia  ghiaccio,  e  tlame 
chiamare,  e  persino  tloza  che  e  dal  tedesco  tirolese  Kloaze  e  il  tliipe 
allegato  dal  B.  stesso  a  §  519  a). 

§  516c.     L'  alterazione  del  s  impuro  e  solo  grigione. 

§  517.  La  sorda  finale  di  kni^  seit  klef  rappresenta  un'  an- 
teriore sonora  assorditasi  perche  divenuta  finale.  Quanto  al  -n 
esso  e  dentale  in  Sopraselva  e  labiale  nell'  Engadina.  Le  ragioni 
di  questa  labiale  le  espone  il  Meyer-Lübke  I  299.  Quanto  alla 
dentale  soprasilvana,  essa  deve  rappresentare  un  ritorno,  come 

10  provano  riinn  (1.  riin  ronco)  tschunn  cinque,  che  devono  essere 
da  *ruri{k]  tschiiri[k]  (cfr.  bäri  =  bari[k],  come  k  m  =  kam[p], 
come  krefi  =  stren[ts],  come  QÖn  =  i^en[t],  nel  dial.  di  Arbedo, 
di  qua  dall'  Alpi). 

§  518.  "mentone"  anche  in  parte  d'  Italia  (v.  Zauner  70), 
e  cosi  füre  H  iilliu  (V.  Arch.  glott.  it.  XVI  487)  e  calendae 
(fior.  calendimaggio). 

§  519b.  Non  capisco  perche  il  friul.  öattf  e  anche  lontat] 
debbano  essere  degli  italianismi.  Questo  degli  italianismi  e  un 
capitolo  assai  importante  anche  ne'  Grigioni;  di  lombardismi 
e  venetismi  e  spesso  parola  ne'  miei  Appunti  ladini  (Zst.  f.  rom. 
Phil.  XXXIV  385  sgg.). 

§  522.  tempesta,  grandine,  e  anche  italiano.  —  E  impossibile 
che  cuogl,  come  vogliono  il  Pult  §  10,  e  il  B.,  rivenga  a  coagulu. 

11  Pallioppi  ha  cuvaigl,  -vagl,  q^cLgl,  tutte  forme  che  si  radducono 
alla  famigUa  dell'  it.  copiglio  -viglio  (Zst.  f.  rom.  Phil.  XXII 
472);  c  andrä  ricercato  il  motivo  dell'  o  della  forma  di  Sent.  — 
Ch'  io  mi  sappia,  mistat  e  limitato  ai  Grigioni. 


Boiirciez,   E.  257 

§  523a.    I  porf.  in  -et  corrispondono  a  *stetui  non  a   dedi. 

§  523b.  Non  vedo  porclie  il  futuro  veh  far  debba  il  suo 
trionfo  al  ted.  ich  werde  tun. 

§  524a.  E  una  illusione  che  nol  Friuli  la  conjugazione  in 
-ire  abbia  soprafatto  persino  quella  in  -are.  L'  -i  si  spiegherä 
come  in  Lombardia  dal  pronome  di  la  persona  e  in  ogni  modo 
nulla  dice;  -is  e  -if]  sono  i  prodotti  fonetici  normali  di  -as  e  -an[t]. 
Quanto  a  -irj,  esso  ha  ragioni  speeiali  (v.  Meyer-Lübke  II,  pag. 
164). 

§  524b.    Del  cong.  in  -ia,  v.  Rendic.  Ist.  lomb.,  1906,  pag.  574. 

§  526.  Fa  specie  che,  in  un  libro  francese,  s'adottino  per 
le  valli  ladine  della  sezion  centrale  i  nomi  tedeschi  anzi  che 
i  ladini  o  gl'  italiani,  e  si  scriva  Nonsberg,  Greden.  Forse  la  cosa 
sarebbe  stata  diversa  so  il  B.  invece  di  affidarsi  a  un  fönte  tedesco, 
stimabile  certo,  fosse  risalito  al  primo  e  vero  fönte,  cioe  all'  Ascoli. 
Qui  (Arch.  glott.  it.  I  517)  il  B.  avrebbe  appreso  che  le  tracce 
di  -i  nel  friulano  sono  ben  piü  ch'egli  non  creda. 

§  526b.  Veramente  non  si  potrebbe  dire  che  nella  regione 
propriamente  ladina  le  tracce  delle  declinazioni  -o  -onis,  -a  -anis 
siano  numerose  (alle  note,  aggiungi  mamma  plur.  -mmauns  nel 
Biveroni).  Sono  assai  piü  abbondanti  ne'  contermini  territori 
della  Lombardia  (v.   Romania  XXXV  207—8). 

§  527c.     Nel  Friuli  c'e,  come  articolo,  lii  e  il. 

§  528a.  Cb.e  il  tipo  sintattico  mia  part  roba  sia  dovuto  a 
un'  influenza  germanica,  lo  escluderei.  Infatti  il  tipo  ritorna 
nella  Leventina,  alle  falde  meridionali  del  Gottardo,  in  un  paese 
cioe  immune  affatto,  —  dove  si  astragga  da  qualche  dozzina 
di  vocaboli  —  da  influenze  germaniche. 

§  530.  Credo  poco  anciie  alle  influenze  germaniche  delle 
quali  e  parola  in  queste  paragrafo. 

§  531.  legnar  mal  tradotto  per  'delier'  invece  che  per  'de- 
viner'. 

§  533.  Si  poteva  ricordare  anche  I'eng.  bricha  ch'  e  come 
una  fusione  di  'bucca'  e  di  'briciola'  (cfr.  il  lomb.  brisa,  che  a 
Bologna  e  adoperato  quäl  rinforzo  della  negazione). 

§  548.  Anche  in  Lombardia  pectus  (p^ts)  s'e  ridotto  a  dire 
le  mammelle  delle  bestie  lattifere. 

§  549.  Direi  tousser  (cfr.  anche  il  nap.  tossare)  un  denominale 
da  toux. 

§  550d.  Per  avverbi  abbarbicatisi  alla  forma  verbale, 
V.  anche  Studi  di  fil.  rom.  MI  212. 

§  553.  Credo  che  nemmeno  per  il  francese,  si  possa  sostenere 
una  differenza,  dipendente  da  maggiore  o  minore  etä,  tra  viendrai 
e  partirai.     V.  le  Osservaz.  al  §  425b. 

§  554b.  Aggiungi  pätre.  Che  poi  alla  conservazione  del 
nominativo  abbia  contribuito  la  funzione  vocativo  puö  darsi 
per  qualcuno  di  tali  nomi,  cosi  per  sceur,  sire.    Ma  piü  che  quella 


258  Referate  und  Rezensionen.     Emil  Levy. 

avrä  servito  per  tutti  la  funzione  nominativa,  assai  piü  frequente 
per  tali  nomi,  aventi  un'  accezione  personale,  che  non  per  altri. 


II  libro  si  chiude  con  un  indice  analitico  dei  fatti  principali. 
Forse  un  indice  lessicale,  sul  tipo  di  quello  che  accompagna  la 
edizione  francese  del  Meyer-Lübke,  avrebbe  servito  meglio  allo 
scopo  di  trovare  ciöche  si  cercain  un  libro,  dove  la  stessa  materia 
si  presenta  disseminata  su  due  o  tre  capitoli. 

Milan 0.  C.  Salvioni. 


Meyer,  Paul.  Documents  linguisüques  du  Midi  de  la  France 
recueiUis  et  publies  avec  glossaires  et  cartes.  Paris  1909,  Honore 
Champion. 

Wir  erhalten  hier  den  ersten  Band  eines  Werkes,  das, 
wenn  es  vollendet  sein  wird,  zudem  Wichtigsten  und  Wertvollsten 
gehören  wird,  das  auf  dem  Gebiet  des  Provenzalischen  veröffent- 
licht worden  ist:  eine  Auswahl  von  Texten  aus  sämtlichen  (etwa 
dreißig)  Departements  Südfrankreichs,  versehen  mit  einer  reichen 
Fülle  von  Anmerkungen  jeglicher  Art,  mit  gründlichen  Glossaren, 
Mitteilungen  über  die  Zusammensetzung  und  Bildung  der  De- 
partements, über  die  Archive,  denen  die  Urkunden  entstammen, 
zuweilen  auch  mit  eingehenderen  sprachlichen  Untersuchungen. 
Der  hohe  Wert  einer  solchen  Publikation  liegt  auf  der  Hand ; 
der  Grammatiker,  der  Lexikograph,  der  Kulturhistoriker  werden 
in  ihr  vielseitigste  Anregung  und  Belehrung  finden.  Zu  bedauern 
ist  nur,  daß  die  Texte  nach  Departements  und  diese  wieder 
alphabetisch  geordnet  sind;  dem  energischen  Einspruch,  den 
Morf  in  Herrigs  Archiv  123,  497  dagegen  erhoben  hat,  wird  man 
nur  beipflichten  können. 

Das  Werk  wird  wenigstens  acht  Bände  umfassen;  der  vor- 
liegende erste  enthält  die  Departements  Ain,  Basses-Alpes, 
Hautes-Alpes,  Alpes-Maritimes,  der  zweite  wird  Ardeche,  Ariege, 
Aude  und  vielleicht  Aveyron  bringen.  Das  gewaltige  Material 
selbst  zu  bearbeiten,  das  Ganze  selbst  zu  schönem  Ende  zu  führen, 
wird  dem  Altmeister  unter  den  Provenzalisten  nacli  menschlichem 
Ermessen  leider  nicht  gewährt  sein,  aber  schon  für  das,  was  er 
uns  jetzt  gibt,  gebührt  ihm  herzlichster  Dank.  Von  ganzem 
Herzen  wird  man  die  in  der  Vorrede  geäußerte  Hoffnung  teilen, 
daß  eifrige  und  tüchtige  Mitarbeiter  und  Nachfolger  das  Werk 
fördern  und  einst  fortsetzen  und  beenden  werden.  Der  schöne 
Beitrag  Philipons,  der  das  Departement  Ain  behandelt,  läßt 
die    Erfüllung   dieser    Hoffnung   als    wahrscheinlich    erscheinen. 

Es  sei  mir  gestattet,  ein  paar  unbedeutende  Bemerkungen 
zu  den  Texten  hier  mitzuteilen.  S.  211  §  106  u.  113.  Tom 
und  chapa  finden  sich  auch  mehrfach  in  Fönte  de  six  cloches 


Meyer,   Paul.  259 

ä  Montagnac  (Bulletin  arclieologique  1907  S.  92  ff.);  der  Heraus- 
geber Vidal  erklärt  im  Glossar  torn  „instrumcnt  pour  monter 
las  cloches  au  clocher",  capa  ,,partie  du  moule  en  terre  qui  recouvre 
la  fausse  cloche  et  forme  avec  le  noyau  les  deux  murailles  entre 
lesquelles  se  fige  le  metal  en  fusion".  —  S.  255  Z.  6  v.  u.  Korr. 
stan  statt  ston.  —  S.  260  Z.  3  v.  u.  Korr.  deu  statt  de  und  setze 
Komma  nach  acordi;  vgl.  S.  261  Z.  8  ff.  —  S.  261  Z.  3  v.  u.  Korr. 
elegida  statt  elegissa.  —  S.  263  Amkg.  1.  Desistir  stellt  bei  Rayn. 
VI,  22.  —  S.  265  Z.  22.  Korr.  pode  stett  poj/e?  -  S.  271  Z.  3  und 
17  ist  doch  wohl  las  vor  überlas  zu  ergänzen.  —  S.  272  Z.  31. 
Tilge  das  Komma  nach  Calendas.  —  S.  275  Z.  11  Korr.  convengan. 
—  S.  286  Amkg.  1.  Wegen  metre  en  hostages  vgl.  ostatge  6),  Suppl. 
Wb.  V,  544.  —  S.  321  Z.  3.  Was  die  genaue  Bedeutung  von 
sench  (dos  senchs  guarnis  de  corda  et  pollyons)  ist,  vermag  ich 
auch  nicht  zu  sagen;  man  vgl.  aber  den  letzten  Beleg  bei  Godefroy 
s.  V.  poulion :  ung  baudrier  garni  de  deux  poulions,  und  Comptes 
de  Riscle  S.  188  Z.  20:  Item  perhuna  balesta  que  crompe  e  huna 
polheya,  scaleta  e  sinta.  —  S.  321  Z.  12  Polueys.  Kor.  polieyas? 
Vgl.  poleja,  Spl.  Wb.  VI,  429.  —  S.  325  Amkg.  2.  Galiot  findet  sich 
auch  sonst,  vgl.  Spl.  Wb.  IV,  25.  —  S.  340  Z.  21  Kor.  statuit, 
wie  auch  S.  341  Z.  27  steht.  —  S.  340  Amkg.  2.  Es  ist  gewiß 
aiise  zu  ändern.  —  S.  347  Z.  18  Perferit.  Kor.  perufrit,  vgl. 
S.  345  Z.  23  ?  —  S.  350  Amkg.  6.  Lieiira  ist  nicht  ,,allivrement", 
sondern  ,, Zuschlag,  Versteigerung".  —  S.  371  Amkg.  10.  Garrot 
ist  eine  Art  Armbrust,  nicht  ,,trait  d'arbalete",  vgl.  Spl.  Wb. 
IV,  74.  —  S.  392  Amkg.  5.  Lardiera  ist  Spl.  Wb.  IV,  323  mehrfach 
belegt.  —  S.  394  Z.  20.  Kor.  peijra.  —  S.  394  Z.  21.  Ist  ein  nede 
,,nettoyage"  zulässig?  Kor.  nede/ar?  —  S.  396  Z.  8  ist  ni  tracten 
vor  mal  zu  ergänzen,  vgl.  ibid.  Z.  1.  —  S.  397  Z.  7  ist  doch  wohl 
tot  statt  iotz  zu  ändern.  —  S.  399  Ajjanagi  ,,travail".  Die  Be- 
deutung paßt  nicht  an  der  angeführten  Stelle,  S.  381  Z.  6: 
Item  que  tota  persona  que  sia  artista,  menestrayl  e  logatier  .  . 
de  lurs  gassanagi  o  affannagi  pagon  ...  VIII.  den.  per  lieura. 
Es  ist  „Lohn"  zu  deuten,  vgl.  An.  du  Midi  5,  106  u.  22,  56  und 
Cout.  Guizerix  §  52.  —  S.  405  b  Dramas.  Kor.  S.  238  Z.  20  statt 
241-'^.  —  S.  408a  Gipier  ist  ,,plätrier"  nicht  ,,ma5on";  güon  ,,jeton" 
ist  mir  unklar;  granataria  kann  S.  249  Z.  21  doch  kaum  ,,grenier" 
bedeuten.  —  S.  413b  Recapte  ,,rachat,  rancon".  Nein,  es  liegt 
auch  S.  357  Z.  10  die  Redensart  donar  r.  vor,  die  S.  503  Am.  3 
richtig  erklärt  wird.  —  S.  413b  Reformadors.  Kor.  S.  276  Z.  10 
statt  278.  —  S.  432  1.  Z.  Kor.  joves.  —  S.  491  Am.  5.  Es  wird  nur 
Non  vor  antra  zu  ergänzen  sein;  vgl.  S.  496  Z.  8und  S.  629  Z.  15.  — 
S.  518Amkg.  4.  Rastelarin  ,,  Que losideyam^^eZtorlobarridel dich 
senhor  entro  a  la  mayson  de  Juez  Veyrier"  ist  nicht  ,,crepir", 
sondern  ,,mit  rasteis  versehen".  Rastel  ist  ein  Befestigungswerk 
der  Mauern,  aber  welcher  Art,  ob  Palissade,  Gitterwerk,  Flecht- 
werk, vermag  ich  nicht  zu  sagen;  vgl.:  Item.,  bengoc  Petit 
Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII».  18 


260  Referate  und  Rezensionen.     Emil  Levy. 

Johan  .  .  a  nos  mandar  .  .  que  nos  fessam  bon  gucyt  e  metossam 
los,  arestetz  perlo  mur,  Comptes  Montreal  (Gers)  S.  29  §  28;  seguen 
se  los  viladges  qui  son  tengutz  de  venir  au  goeyt  et  far  los  arastegs 
en  las  muralhes  de  la  ciutat  d'Oloron  .  .  :  Busieg  .  .  .  XXV 
canes,  Ogeu.  .  .  XXVIII  canes,  Art.  bearn.  S.  153  Z.  29.  — 
S.  518  §  11  u.  S.  519  §  15.  Cascun  sera  kann  bleiben  und  braucht 
nicht  in  cascuna  s.  geändert  zu  werden.  Lo  sera  steht  auch  S.  279 
Z.  27;  Prov.  Ined.  S.  264  V.  33  al  sera  (:  vera),  wo  aber  weibl. 
Geschlecht  möglich  ist,  vgl.  ibid.  S.  XVIII;  lo  sera  steht  im 
Kindheitsevang.  ed.  Huber  1270  in  der  Hs.,  während  der  Heraus- 
geberin las.  ändert,  und  las.  best  auch  Rayn.  V,  206.  Vgl.  ferner 
Tobler,  Herrigs  Arch.  110,  466,  und  Chabaneau,  Revue  des  Igs. 
rom.  45,  22,  zu  Flamenca^  3232,  und  Wehowski,  Die  Sprache  der 
Vida  de  la  benaurada  sancta  Doucelina  S.  72  §  123.  —  S.  627 
Z.  1.  Korr.  tengut  statt  atengut,  pilhara  statt  pilhona  und  er- 
gänze e  vor  lo  Z.  2.  —  S.  638a.  Calugas,  pour  ianugas?  Nein, 
denn  Labernia  verzeichnet  caluch  ,,especie  de  pex  de  mar  y  de 
riu".  —  S.  645  Maladia  ,,maladie,  mais  le  sens  demande  plutöt 
maladrerie".  Das  Wort  findet  sich  zweimal  auf  S.  492,  Z.  16 
und  28,  an  der  zweiten  Stelle  =  ,, Krankheit",  an  der  ersten  sicher 
=  ,, Krankenhaus  für  Aussätzige",  eine  Bedeutung,  die  ja  mehr- 
fach belegt  ist,  vgl.  malautia  2),  Spl.  Wb.  V,  52.  —  S.  649b  Regar- 
dadors.  Lies  504  statt  501,  und  627  statt  626;  reyregach  lies 
518  statt  548.  —  S.  652b  Ublada  „oblade".  Oder  ^  hiblada 
„vergadelle"  S.  626  §  1  ? 

Freiburg  i.  Br.  Emil  Levy. 

Millardet,  Oeorges.  Recueil  de  textes  des  anciens  dialecies 
landais,  Paris,  1910.  Honore  Champion.  LXVIII 
+  340  Seiten.     4^. 

Die  hier  zum  ersten  Male  mitgeteilten  Texte  aus  Mont-de- 
Marsan,  Roquefort,  Villeneuve,  Saint-Sever,  Tartas,  Albret  und 
Umgegend,  die  von  der  Mitte  des  13.  bis  zum  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts reichen,  haben  in  Herrn  M.  einen  kundigen  und  sorg- 
fältigen Herausgeber  gefunden.  Den  Texten  geht  eine  dankens- 
werte, Formenlehre  und  Syntax  behandelnde  Einleitung  voraus, 
den  Beschluß  des  Bandes  macht  ein  Glossar,  das  diejenigen  Wörter 
enthält,  die  im  Dictionnaire  bearnais  von  Lespy  und  Raymond 
nicht  verzeichnet  sind.  Zur  Erklärung  schwieriger  Stellen  hat 
auch  J.  Ducamin  mancherlei  beigetragen. 

Der  Herausgeber  hat  die  Überlieferung  möglichst  getreu  be- 
wahrt und  sich  in  der  Vornahme  von  Änderungen  die  größte  Zurück- 
haltung auferlegt.  Mich  will  dünken,  er  sei  darin  an  manchen  Stellen 
zu  weit  gegangen.  So  heißt  es  in  der  Einleitung  §21 :  ,,ab  losse  con- 
tracte  en  ab'  iisf  ?)'\  unter  Hinweis  auf :  eri  presence  demy  notari  public 
ab'  US  testimonis  dejus  scriuptz  S.  221  Z.  8  v.  u.    Das  ist  doch 


Millardet,  Georges.  261 

gewiß  nicht  zuzulassen;  wie  zu  ändern  ist,  zeigt  S.  159  Z.  9,  wo 
e  deus  sieht.  —  In  demselben  Paragraphen  wird  den  für  deus 
(de  los)  S.  111  Z.  12,  pe  für  per  S.  119  vi.  Z.  (pe  vener)  ange- 
führt; die  Änderung  hätte  ruhig  in  den  Text  gesetzt  werden 
dürfen;  und  wenn  §  49,  wo  1519  statt  1259  zu  lesen  ist,  zu  dem 
Infinitiv  portnre  S.  148  Z.  12  die  Bemerkung  gemaclit  wird: 
„exemple  iiniqiie  ä  corriger?",  so  wird  man  die  Frage  ruhig  be- 
jalien  dürfen.  —  §  96  wird  ein  abueran  (S.  61  Z.  22)  als  3.  Pers. 
Plur.  Futuri  von  aber  angeführt.  Es  wird  abieran,  Fut.  von 
abier  (avenir),  zu  ändern  sein.  —  In  demselben  Paragraphen  s.  v. 
deuer  wird  als  3.  Sine.  Praes.  deiit  (S.  189  1.  Z.)  zitiert.  Cor.  deue, 
wie  S.  190  Z.  2.  —  §  98.  Lo  rey  Anglaterra  ist  nicht  möglich;  es  ist 
S.  184  Z.  12  d'A.  zu  ändern,  wie  auch  S.  191  Z.  4  steht.  Auch 
per  nom  tutor  ist  nicht  zulässig.  In  Peys  de  Borrelhan  .  .  per  sin 
e  cuma  (Text  cum  a)  tutor  e  p  er  nom  tutor  de  Johan  .  .  , 
son  nabot  iS.  199  Z.  12)  ist  entweder  per  nom  de  tutor  zu  ändern 
oder  vielleicht  besser  noch  das  zweite  tutor  zu  streichen ;  vgl.  nom 
8)  und  9),  Suppl.  Wb.  V,  408—409.  —  §  102.  Substantivische  Ver- 
wendung eines  Adjectivs  soll  vorliegen  in  Rennncia  . .  a  la  exception 
d'engan  per  inmensitat  e  per  desagradable  S.  23  Z.  2.  Es 
ist  desagradabletat  zu  ändern,  wie  auch  S.  21  Z.  12  steht.  —  §  118. 
Die  in  Appel  Chr.^  Glos,  hervorgehobene  Verwendung  von  autre  zur 
pleonastischen  Bezeichnung  einer  Gegenüberstellung  soll  an 
folgenden  zwei  Stellen  vorliegen :  totes  .  .  las  arrendes,  proffeytz, 
emolumentz  e  autr  e  s  pertas  quenhs  que  sien  e  son  de  la  dite 
abbadesse  e  sors  deu  dit  combent  S.  29  Z.  10;  es  ist  aber  m.  E. 
percas  ,, Erwerb  Einnahme"  zu  ändern;  vgl.  percatz  2),  Suppl. 
Wb.  VI,  230.  Ferner  in:  Ab  aquetz  que  .  .  abem  podut  trobar  tant 
per  escripture  ansiane  que  aut  e  s  bons  homis  desus  nomiatz, 
abem  metut  per  memori .  .  S.  116  Z.  14.  Ich  denke,  es  ist  antix  zu 
ändern,  vgl.  ibid.  Z.  9  cum  a  cause  de  so  ayam  sercat .  .  registes  .  . 
ansians  (Texi-anz)  et  ayxi  beinh  jeyte  .  .  information  ab  prohomis 
et  antix  de  la  diite  viele.  —  §  137.  Eine  Präposition  soll  adjec- 
tivisch  gebraucht  sein  in  Item  prometo  .  .  de  far  laudar  totes  e 
sengles  las  causes  s  u  s  a  las  gens  de  la  diite  viele  en  cosselh  comun 
S.  108  Z.  6.  Es  liegt  keine  Präposition,  sondern  ein  Adverb  vor, 
die  Stelle  wäre  also  zu  den  §  142  angeführten  zu  setzen;  aber  hier 
wie  dort  ist  m.  E.  zu  korrigieren.  S.  108  Z.  6  ist  diites  zu  ergänzen, 
da  das  Wort  in  dieser  Urkunde,  so  viel  ich  sehe,  stets  ausgeschrieben 
ist.  An  der  §  142  zitierten  Stelle  deus  au  a  nt  z  lors  porxcs  S.  91 
Z.  13  ist,  meine  ich,  auantz  verlesen  oder  verschrieben  für  auantd. 
d.  h.  auant  diiz,  da  in  dieser  Urkunde  dit  fast  immer  zu  d. 
abgekürzt  ist,  und  das  Adverb  auant,  nicht  auantz,  lautet,  vgl. 
S.  91  Z.  18,  21  u.  vi.  Z.  Es  wäre  auch  in  Erwägung  zu  ziehen, 
ob  lors  bleiben  kann  oder  besser  getilgt  wird,  vgl.  S.  90  Z.  17  u. 
1.  Z.,  S.  91  Z.  3,  S.  92  Z.  5.  In  Forni  lo  d  au  ant  jorn  deu  dit 
nies  S.  140  Z.  3  wird  in  gleicher  Weise  zu  ändern  sein;  gewöhnlich 

18* 


262  Referate  und  Rezensionen.     Emil  Levy. 

steht  in  dieser  Urkunde  nur  lo  d.  jorn.  Endlich  in  Sien  tengutz 
de  balhar  cascunh  la  im  deu  pes  daiiant  S.  111  Z.  12  ist  la 
un  deuis]  pes  d'a  u  ant   zu  schreiben. 

Abgesehen  von  den  besprochenen  Stellen,  die  m.  E.  zu 
irrigen  Aufstellungen  in  der  Einleitung  geführt  haben,  scheinen 
mir  noch  die  folgenden  einer  Änderung  zu  bedürfen,  an  denen 
z.  T.  Druckfehler  vorliegen.  S.  3  Z.  4  v.  u.  Schreibe  feit  certans 
statt  feit-certans. —  S.  9  Z.  4  soluiidz  statt  solundz.  —  S.  21  vi.  Z. 
Deaiaciuar  e  anoitar  e  acabanar  de  dies  e  de  noytz  totz  los 
diits  bestiars.  Cor.  aiacinar,  und  ebenso  S.  22  Z.  14;  vgl.  jazilha 
und  jazina,  Suppl.  Wb.  IV,  256.  —  S.  32  Z.  17.    Tilge  e  vor  egregi, 

—  S.  47  Z.  5  V.  u.  Kor.  daazed  statt  danzed.  Der  Hrsgbr.  will 
dauzed  allerdings  nicht  gelten  lassen.  Er  bemerkt  im  Glossar: 
„Plusieurs  editeurs  de  textes  gascons  transcrivent  ce  mot  par 
un  u:  dauzed  et  dans  le  bordelais  dauded.  Mais  la  lecture  par 
une  nasale  nous  parait  indispensable,  vu  le  rapprochement  du 
vfr.  dansei  et  du  fr.  dame^  vidame  etc."  Daß  es  sich  aber  in  dau- 
nicht  nur  um  eine  Schreibweise  moderner  Herausgeber  handelt, 
beweist  der  Name  Daudet.  Vgl.  auch  das  von  Thomas,  Romania 
39,  396,  Bemerkte.  —  S.  53  Z.  13  Per  j  uu  stitutio  n  e  bision 
de   quera.     Kor.   inspection;  vgl.    S.  24  Z.  23  und  S.  29  vi.  Z. 

—  S.  54  Z.  15  Que  .  .  bos  agen  a  reportar  e  responer  de  la  bertat .  . 
E  deu  r  e  p  0  n  e  resposta  que  .  .  feran  .  .  .  Kor.  report.  —  S.  66 
Z.  2  Desagrabletad,  kein  Druckfehler,  da  im  Glossar  angeführt, 
ist  eine  unmögliche  Form.  Kor.  desagradabletat.  —  S.  70  Z.  1 
Kor.  empeinament  statt  empeiament.  —  S.  70  Z.  16  Kor.  enfreu- 
lides  statt  enfreuliges.  —  S.  70  1.  Z.  Kor.  naise  statt  nasse.  —  S.  74 
1.  Z.  Kor.  tees  oder  teis  statt  tecs.  —  S.  76  Z.  15  u.  18.  Das  hand- 
schriftliche digmßgß  ist  nicht  in  digmenge  en  aufzulösen,  sondern 
es  ist  digmengen  zu  schreiben;  vgl.  dimenge.,  Suppl.  Wb.,  II,  242  b. 
Ebenso  S.  108  Z.  23.  —  S.  77  Z.  17  Entro  au  poy  qui  es  sus  lo  diit 
camin  de  Sancte-Quiterie,  a  g  an  de  l'ostau  de  B.  Escat  und  S.  82 
Z.  16  au\  poy  que  es  a  g  an  de  l'ostau  de  W.  Escat.  Zur  ersten 
Stelle  die  Anmerkung:  ,,Voir  au  glossaire  ce  mot  qui  signifie 
,,maintenant",  Le  sens  est:  Jusqu'au  mamelon  qui  est  sur  le 
chemin  de  S.  Q.,  [mamelon]  qui  appartient  maintenant  ä  la 
maison  de  B.  E."  Das  halte  ich  für  unannehmbar.  Zur  zweiten 
Stelle  findet  sich  die  Variante  a  gau  de.,  und  das  scheint  mir  das 
Richtige,  nämlich  agau  (=  egal)  de;  vgl.  ibid.  S.  81  Z.  15:  Entro 
a  la  come  que  es  denant  l'ostau  de  Vimolere.  —  S.  80  Z.  1  Sabeben. 
Schreibe  sabe  ben?  —   S.   92  Z.    14.   Kor.   eternal  statt  eternel. 

—  S.  107  Z.  17  Kor.  tales  statt  cales,  trotz  der  Anmkg. :  ,,sic;  on 
ne  peut  lire  tales" .  Wegen  tales  enmendan  vgl.  Livre  noir  Dax 
S.  141  §  649  und  Glossar.  —  S.  111  1.  Z.  Ergänze  e  vor  soluer. 

—  S.  116  Z.  8  Kor.  ansians  statt  ansianz;  die  Hs.  hat  ausiant.  — - 
S.  117  Z.  6  Kor.  prestiere  statt  prestiele.  —  S.  118  Z.  23  Kor.  tenque 
statt  tengue  „Schleihe".     Das    bei   Rayn.    und    Lespy  fehlende 


Millardct,  Georges.  263 

Wort  findet  sich  noch  Dict.  inst.  Rouorgue  S.  352a  Z.  12  v.  u. 
(tenca)  und  Cour  temp.  Avignon  S.  112  §  8  u.  9  (tencha).  — 
S.  119  Z.  6  u.  8  und  S.  122  Z.  7,  10,  19.  Une  coartan.  Ein  weib- 
liches coartan  ist  nicht  möglich;  kor.  coariau.  —  S.  121  Z.  17. 
Item  carqiie  de  sere,  qui  h  o  er  e  portere  a  beiier  au  diu  marcat  et 
se  pausere  siis  tauler,  pagui  II  morl.  Das  Glossar  deutet  „bouviere" 
mit  dem  Zusatz  ,,Le  feminin  surprend".  Ducamin  schlägt 
deshalb  ebendort  vor  boer  e  portere  zu  lesen  ,,avec  Ve  qui  se  met 
facultativement  devant  un  verbe  commengant  par  consonne". 
Das  ist  mir  nicht  klar.  Aber  masc.  oder  femin.,  das  Substantiv 
paßt  überhaupt  nicht.  Ist  nicht  biere  [ni's]  portere  zu  ändern? 
Vgl.  Tot  car  de  sau  qui  biera  per  bener  S.118  Z.  12.  —  S.  125 
Z.  3  V.  u.  Ergänze  no  vor  es  und  ere  vor  per.  —  S.  126  Z.  16. 
Benh  ist  nicht  be-nh  (siehe  die  Anmerkung  von  Ducamin)  zu 
schreiben;  vgl.  beinh  S.  116  Z.  8,  beyn  S.  157  Z.  13  u.  S.  158  Z.  19, 
benh  S.  166  Z.  7,  arenh  {=  ren)  S.  74  Z.  17,  cascunh  S.  111  Z.  10 
und  12.  —  S.  161  Z.  10  Kor.  tote  arre,  vgl.  S.  189  Z.  18  u.  S.  192 
Z.  11.  —  S.  196  Z.  11  u.  16.  Schreibe  li  deit  dizador  statt  li  deit- 
dizador  ,,die  genannten  Schiedsrichter".  —  S.  203  Z.  13.  Kor. 
emperauant  statt  emproauant.  Der  Hinweis  im  Glossar  auf 
Godefroy  emprof  ist  nicht  am  Platze. 

Glossar.  Eine  Reihe  von  Wörtern  wie  aiaciuar,  agan, 
beere  usw.  sind  im  Vorhergehenden  schon  besprochen.  Ferner 
wäre  noch  Folgendes  zu  bemerken.  Abiader.  In  Conegude 
cauze  sie  aus  presentz  e  aus  abiaders  qui  la  prezent  carte 
beiran  S.  3  Z.  18  bedeutet  a.  doch  nicht  ,,descendants", 
sondern  ,,die  später,  in  Zukunft  Lebenden".  —  Adgetar. 
Der  Hinweis  auf  adietar  Suppl.  Wb.  I,  20  ist  nicht  am  Platze. 

—  Afocar.  In  Degun  d'aquetz  qui  affoqueren  la  diite  justici 
S.  126  Z.  5  genügt  ,,accompagner"  nicht;  es  ist  ,,sich  ansehen, 
beiwohnen"  zu  deuten,  vgl.  las  gens  qui  bau  a  la  justici  beder 
ibid.  Z.  15.  —  Agreire.  Der  Hinweis  auf  agrier  im  Suppl.  V^h. 
und  agrer  bei  Lespy  könnte  den  Anschein  erwecken,  als  ob  das 
Wort  sonst  nicht  belegt  sei ;  es  ist  aber  bei  Rayn.  II,  35  verzeichnet. 

—  Bladar  ,,ble  sur  pied  (ou,  suivant  les  pays,  autres  cereales)"; 
richtiger  Ducamin  S.  107  Anm.  2  ,,champ  de  ble".  Das  Wort 
findet  sich  noch  in:  E  si  augus  intrava  de  nueyt  en  vinha  o  en 
ort  ni  en  prat  oen  bladar...  Cout.  du  Gers  S.  188  Z.  13;  ferner 
Li  vre  noir  Dax  Glos.  —  Conduar.  Selbst  wenn  man  in  Cascuns. . 
conduedors  de  boeus,  saumes  o  autes  bestiars  passans. .  per  lo  diit 
pont,  conduan  et  menan  las  susdiites  causes,  sien..  francz 
de  tot  pontatge  S.  124  vi.  Z.  nicht  in  conduen  ändert,  sondern 
analogische  Neubildung  oder  französischen  Einfluß  annimmt, 
darf  man  doch  aus  conduan  keinen  Infinitiv  conduar  erschließen. 

—  Confrontadementz  und  consiguadament.  Beleg:  Marqueze 
de  Barte. .  a  venut. .  a  n'Arnaut  de  Garere. .  tot  aqued  mey  catot 
e  pesse  de  tere. .   que  a. .  en  lo  teratori  de  Gausad. .  confron- 


264  Referate  und  Rezensionen.     Theodor  Kalepky. 

tadementz  e  consiguadement  lo  camin  public.,  per 
dues  partz  e  l'ariu  de  la  Mole. .  per  autre  part  ela. .  hinke  de  Stephen 
de  Gontaut  d'autre  part  S.  84  Z.  5  und  6.  Confrontade?nentz,  das 
„en  confrontationavec"  gedeutet  wird,  ist  „anstoßend,  angrenzend 
an";  consiguadement^  das  ,,ä  la  suite  de,  en  suivant"  bedeuten 
soll,  kann  nichts  mit  segre  zu  tun  haben.  Es  ist  consignadament 
zu  lesen  und  ,, begrenzt  durch"  zu  deuten,  vgl.  Godefroy  con- 
signer.  —  Emparedor  S.  158  Z.  4  ist  nicht  ,,celui  qui  s'empare", 
sondern  ,, einer  der  Anspruch  auf  etwas  erhebt,  der  etwas  streitig 
macht",  vgl.  emparador  2),  Suppl.  Wb.  II,  375.  —  Estable  S.  172 
11  ist  nicht  substantivisch  gebraucht;  es  ist  ein  Komma  zwischen 
fermes  und  estables  zu  setzen. 

Freiburg  i.  B.  Emil  Levy. 


liöisetli,  C  Notes  de  syntaxe  frangalse.  Christiania,  1910. 
En  commission  chez  Jacob  Dybwad.  (Sonderabdruck 
aus  den  Videnskabs-Selskabets  Skrifter.  II.  Hist.- 
Filos.  Klasse  1910.     No.  4). 

Es  sind  —  bis  auf  wenige  Ausnahmen  —  ,, Notizen"  im 
wahrsten  Sinne  des  Wortes,  die  der  Herr  Verfasser  unter  obigem 
Titel  den  Fachgenossen  vorlegt,  gelegentliche  Aufzeichnungen 
von  Wahrnehmungen,  Beobachtungen,  kritischen  Gedanken, 
Beispielen  zur  Erhärtung  eigener,  Abwehr  fremder  Ansichten 
über  alle  möglichen,  gemeinhin  unter  dem  Sammelnamen  ,,  Syntax" 
rubrizierten  Punkte,  ganz  interessant  und  unterhaltsam,  manch- 
mal sogar  lehrreich  zu  lesen  —  aber,  ob  solche  Art  der  Pubhkation, 
solche  Darbietung  syntaktischer  ,,  Schnitzel"  für  die  gramma- 
tische Erforschung  des  Französischen  als  wirklich  ersprießlich, 
als  förderlich  bezeichnet  werden  kann,  das  ist  eine  Frage,  die 
ich  denn  doch  nicht  ohne  weiteres  zu  bejaiien  mich  entschließen 
kann.  Ich  will  gar  nicht  erst  lange  bei  der  Erwägung  verweilen, 
ob  die  Diskussion  der  stilistischen  Eigenart  eines  Aus- 
drucks, also  die  Frage,  welcher  Stilklasse  —  style  solennel, 
litteraire,  familier,  vulgaire  etc.  —  er  zuzuweisen  sei  (worüber 
Ch.  Bally  ein  prächtiges,  auch  in  dieser  Zeitschr.  XXXVI,  154  ff. 
angezeigtes  Büchlein,  Traite  de  stylistique  frangaise  geschrieben) 
die  Syntax  überhaupt  etwas  angehe,  ob  z.  B.  isolierte 
Bemerkungen  von  der  Art  der  folgenden  hier  an  ihrer  Stelle  sind: 
«Nu!»  pronom,  dit  M.  Rodhe  (Essais,  I,  43^,  appartient  au  style 
ecrit  tres  solennel.  C'esl  trop  dire;  «style  litteraire»  suffit  (p.  11).  Oder: 
(Mit  bczug  auf  C'est  ä  vous  de  und  ä  parier)  Littre  a  certainement 
eu  raison  de  supprimer  pour  ces  deux  tournures  la  distinction 
de  sens  qu'on  avait  voulu  etablir,  d  savoir  que  «de  parier»  indiquerait 
le  tour  de  rdle,  et  «ä  parier»  la  convenance  generale  (=  il  vous  appar- 
tient de)  —  meist  wird  übrigens  umgekehrt  für  ,,es  ist  die  Reihe 


Löseth,  E.  265 

an  jem."  der  Infinitiv  mit  ä  verlangt,  so  auch  von  Plattner,  den 
unser  Verfasser  hier  (merkwürdiger  Weise  ohne  jeden  kritischen 
Zusatz)  zitiert  —  Toiites  les  deiix  signijient  la  meme  chose;  seule- 
ment  la  seconde  est  du  langage  plus  eleve,  plus  correct,  comm.e  disent 
volontiers  les  FranQais\  la  premiere,  qui  aussi  nous  epargne  un 
hiatus  est  propre  ä  la  langue  courante  (p.  15).  —  Oder:  «//  y  a 
longtemps  que  je  ne  vous  ai  i>u>>  est  du  style  eleve,  elegant^  ordinaire- 
ment  on  ajoute  pas  (p.  16)  —  wobei  der  Kernpunkt  der  Sache 
völlig  außer  Acht  gelassen  ist  (vgl.  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XVIII 
p.  170  ff.  besonders  p.  173).  —  Oder  (Mit  bezug  auf  Sätze  wie 
On  ne  sait  ce  que  Von  doit  le  plus  admirer,  ou  de  la  perfection  du 
travail  ou  du  bon  ejjet):  Cela  est  du  style  litteraire  ou  eleve\  la  langue 
courante  dirait  «ou  la  perfection  du  travail  ou  le  bon  ejjet»  (p.  10). 
—  Oder:  L'ellipse  du  pronom  personnel  sujet,  jrequente  en  ancien 
jran^ais,  l'est  aussi  de  nos  jours,  et  non  seulement  dans  la  langue 
enjantine,  populaire  ou  negligee.  On  dit  couramment:  Faut  aller 
au  Credit  Lyonnais^  sur  les  boulevards.  Connaissez?  (p.  5).  —  Ich 
würde  gegen  derartige  ,, stilistische"  Charakterisierungen  oder 
Wertungen  auch  in  syntaktischen  Pubhkationen  nichts  einzu- 
wenden haben  (da  ja,  wie  wiederholt,  z.  B.  XXXV  H.  2  u.  4 
S.  10  ff.  dieser  Zeitschr.  gezeigt  worden,  der  Begriff  der  Syntax 
recht  problematischer  Art  ist)  —  wenn  sie  sich  als  gelegentliche 
Zusätze,  gleichsam  als  Rand-  und  Abschlußbemerkungen  zu 
wirklich  grammatischen  Erörterungen  einstellten.  Hat  doch 
auch  ein  Gelehrter  von  dem  Scharfblick  und  der  Gründlichkeit 
A.  Toblers  gelegentlich  einmal  einen  rein  lexikalisch-stilistischen 
Artikel,  wie  den  über  Par  exemple  {Verm.  Beitr.  IV,  91  ff.)  unter 
der  Flagge  eines  Beitrags  zur  französischen  Grammatik 
in  die  wissenschaftHche  Welt  hinaussegeln  lassen,  nachdem  er 
noch  in  der  II.  Reihe  der  genannten  Sammlung  den  Artikel 
^.1  Verblümter  Ausdruck  und  Wortspiel  in  altjranzösischer  Rede" 
wohlweislich  als  einen,  ,,der  mit  Syntax  nichts  zu  tun  habe", 
in  den  Anhang  verwiesen  hat.  Aber  nul  in  einer  ,, syntaktischen" 
Arbeit  zur  Sprache  zu  bringen  und  nichts  weiter  darüber  zu  sagen, 
als  daß  es  nicht  (wie  Rohde  behauptet)  dem  ,,sehr  feierhchen", 
sondern  nur  dem  „Uterarischen"  Stil  angehört,  das  scheint  mir 
denn  doch  eine  zu  weit  gehende  Außerachtlassung  der,  obzwar 
wenig  berechtigten,  so  doch  nun  einmal  gültigen  und  anerkannten 
Systematik  zu  sein.  Außerdem:  Besteht  denn  überhaupt  die 
MögHchkeit  in  solchen  mehr  oder  weniger  subtilen  Stilfragen  zu 
einer  Einigung  zu  gelangen,  oder  in  strittigen  Fällen  —  und  in 
allen  hier  erwähnten  hat  Verfasser  es  mit  abweichenden  Ansichten 
höchst  beachtenswerter  Fachgenossen  zu  tun  —  eine  halbwegs 
sichere  Entscheidung  herbeizuführen,  zumal  die  meisten  hervor- 
ragenden Schriftsteller  in  all  solchen  Dingen  ihre  Eigenart  haben 
und  auch  zeitgenössische  Autoren  untereinander  ein  vielfach 
recht   widerspruchsvolles  Verfahren    zeigen  ?      Fast    belustigend 


266  Referate  und  Rezensionen.     Theodor  Kalepky. 

wirkt  es,  gegenüber  der  p.  11  gemachten  Mitteilung:  A  en  croire 
M.  Rodhe  {Essais,  III,  27),  «pas  um  ne  s'emploie  plus  aujourd'hui; 
il  veut  «aucun»  dans  cet  exemple:  «d'Anville  connaissait  l'Egypte 
mieux  que  pas  un  Egyptien»  bei  J.  Haas,  Neufranzösische  Syntax 
p.  424  zu  lesen:  ,,Zum  Ersatz  für  das  wenig  volkstüm- 
liche aucun  wird  häufig  pas  un  verwendet  mit  dem  Beispiel: 
Dans  pas  uns  de  ses  pieces,  il  ne  se  trouve  d' Altesse  und  dem  Zusatz, 
daß  diese  Ausdrucksweise  besonders  beliebt  nach  Vergleichen 
sei.  Die  hierzu  gegebenen  Beispiele  zeigen  in  der  Mehrzahl 
pas  un  (une)  mit  einem  Substantiv,  was  wiederum  im  Wider- 
streit mit  der  Meinung  unseres  Verfassers  steht,  der  (im  Gegensatz 
zu  der  oben  zitierten  Ansicht  Rodhe's)  sagt:  Je  ferai  observer 
que,  du  moins,  «pas  un»  t  o  ut  s  e  ul  se  dit  tres  bien:  II  connatt 
Qa  comme  pas  un.  Doch  genug  von  diesen,  wie  mir  scheint,  nicht 
nur  nicht  in  die  Syntax  hineingehörigen,  sondern  auch  der  Mehr- 
zahl nach  unfruchtbar  verlaufenden  Kontroversen  über  den  sti- 
listischen Wert  und  Charakter  grammatischer  Wörter  und  Wen- 
dungen. Die  Syntax  hat  es,  nach  der  nun  einmal  herrschenden 
Anschauungsweise,  mit  den  Beziehungen  der  Elemente  der  Rede, 
sei  es  zueinander,  sei  es  zu  dem  in  ihr  zum  Ausdruck  kommenden 
Gedankeninhalt  zu  tun.  Da  hätte  dann  mehr  als  einer  der  vorhin 
erwähnten  Punkte  eine  wirklich  syntaktische  Erörterung  ganz 
wohl  vertragen.  Nicht  nur,  z.  B.  die  Frage  der  Setzung  bezhw. 
Weglassung  des  pas  in  II  y  a  longtemps  que  je  ne  vous  ai  (pas) 
vu  —  bezügUch  deren  an  der  angezogenen  Stelle  der  Ztschr.  f. 
rom.  Phil,  gezeigt  worden  ist,  daß  zwischen  drei  bestimmt  ge- 
sonderten Gruppen  von  Fällen  zu  scheiden  ist:  1)  solchen,  wo  es 
sich  um  die  Kennzeichnung  des  Ausgangspunktes  durch  ein  be- 
stimmtes einmaliges  Sein  oder  Geschehen  handelt  und  daher 
jede  Negation  (auch  bei  einem  ,, Tempus  der  vollendeten  Hand- 
lung") ausgeschlossen  ist,  z.  B.  II  y  a  longtemps  qu'il  nous  a  quittes, 
2)  solchen,  wo  der  Ausgangspunkt  der  zeithchen  Berechnung 
durch  ein  negatives  Sein  oder  Geschehen  bestimmt  wird, 
also  auch  stets  pas,  point  (natülich  nur  soweit  nicht  sonstige 
Regeln  dem  entgegenstehen,  z.  B.  bei  personne,  rien  oder  bei 
oser,  cesser  usw.)  zu  setzen  ist,  z.  B.  II  y  a  longtemps  qu'il  n'a  pas 
tenu  sa  promesse,  3)  Fällen,  in  denen  der  Nebensatz  mit  que  eben- 
sowohl als  Kennzeichnung  des  Ausgangspunktes  (,,von  dem 
Augenblick  an")  wie  auch  als  Angabe  der  Ausfüllung  der  ver- 
strichenen Dauer  (,, während  welcher  Zeit")  aufgefaßt,  ,, emp- 
funden" werden,  also  sowohl  positiv  wie  negativ  ausgedrückt 
werden  kann,  wie  z.  B.  in  ,,Es  ist  lange  her,  daß  ich  Sie  (nicht) 
gesehen  habe:  a)  ..  von  dem  Augenbück  an,  da  ich  Sie  (zum 
letzten  Male)  gesehen  habe,  b)  es  ist  eine  lange  Zeit,  daß,  d.  h. 
während  welcher,  ich  Sie  nicht  gesehen  habe,  und  wo  die  Un- 
sicherheit, das  Schwanken  in  der  Gedankenbildung  wie  in  zahl- 
losen anderen  Fällen,  eine  Mischform^^der  Rede  gezeitigt  hat: 


Löseth,  E.  267 

11  y  a  longtemps  qiie  je  ne  voiis  ai  vii.  Wenn  nun  Verfasser  über 
diesen  (dritten)  Fall  weiter  nichts  zu  sagen  weiß,  als  daß  die 
Weglassung  des  pas  „gewählter,  eleganter  Stil  (style  üeve,  Üegant) 
sei,  daß  man  bei  gewöhnlicher  Rede  pas  hinzufüge,  so  zeigt  sich 
hier  mit  besonderer  Deutlichkeit  das  Unzulängliche  seiner  frag- 
mentarischen, zusammenhangslosen,  zerhackten,  die  Erscheinungen 
nur  obenhin  streifenden,  und  in  ihrer  Buntscheckigkeit  an  die 
Entleerung  von  Zettelkästchen  erinnernden  Art  der  Vorführung 
,, syntaktischer"  ( ?)  Probleme.  Da  er  seiner  apodiktischen 
Stil-Charakterisierung  hier  keine  weiteren  Belege  beifügt,  so  ist 
man  nicht  einmal  in  der  Lage  mit  Sicherheit  zu  entscheiden, 
ob  sie  sich  nicht  irrigerweise  —  ganz  abgesehen  von  Beispielen 
der  zweiten  Gruppe,  wo  pas  (point)  unerläßlich  —  auf  solche 
Beispiele  der  dritten  Gruppe  gründet,  in  denen  ,,der  Sprechende 
eine  entschieden  negative  Vorstellung  im  Sinne  hat,  deren  Gegen- 
satzes zu  der  ihr  gegenüberstehenden  positiven  er  sich  deutlich 
bewußt  ist"  (Zschr.  f.  rom.  Phil.  XVIIl  p.  173),  wo  also  aus  ganz 
besonderen  Gründen  die  Negationsverstärkung  immer  eintritt. 
Wer  einem  guten  Freunde  aus  seinem  langen  Fernbleiben  einen 
Vorwurf  machen  oder  bei  einem  unerwarteten  Wiedersehen 
lebhafte  Freude  ausdrücken  will,  der  wird  sicher  ausrufen  11  y  a 
longtemps  qiie  je  ne  voiis  ai  pas  vii !  Ob  aber  jemand,  der  einen 
unwillkommenen  Besucher,  von  dem  er  sich  für  immer  erlöst 
glaubte,  wieder  auftauchen  sieht,  nicht  —  mit  einer  gewissen 
Reserve  —  sagen  wird:  11  y  a  longtemps  qiie  je  ne  vous  ai  vu, 
auch  ohne  daß  seine  Ausdrucksweise  dadurch  Anspruch  auf 
eines  der  beiden  Epitheta  eleve,  elegant  erhält  ?  Vielleicht  miß- 
brauchen sprachHch  Ungebildete  oder  Nachlässige,  in  Ver- 
kennung oder  Vernachlässigung  solcher  feinen  Nuancen,  jene 
Ergänzungswörter  der  Negation,  bringen  sie  dadurch  in  Miß- 
kredit und  bewirken  «/^a/-  ei'ocation»,  wie  Ch.  Bally  sagen  würde, 
daß  der  Verzicht  darauf  den  Eindruck  feinerer  Redeweise  macht. 
Aber  alles  das  kann  nur  m_it  Hülfe  eines  reichlichen  Beispiel- 
materials auf  Grund  genauer,  eindringender  Prüfung  und  Ver- 
gleichung  mit  einiger  Sicherheit  festgestellt  werden  und  darum 
kann  ich  es  nicht  bilHgen,  wenn  Verfasser,  auf  beides  verzichtend, 
sich  und  seine  Leser  mit  jener  kurzen,  ebenso  vagen,  wie  un- 
bewiesenen  Behauptung  abfindet. 

Und  auch  die  de-Frage  in  dem  dilemmatischen  Satze  0}i 
ne  sait  ce  que  Von  doit  le  plus  admirer,  oii  d  ela  perfection  du  travail 
QU  du  hon  effet  ist  mit  der  apodiktischen  Erklärung,  daß  solche 
Ausdrucksweise  ,, literarisch"  oder  ,, gewählt"  (eleve)  sei,  nicht 
abgetan.  Noch  wichtiger  als  die  stilistische  Taxierung,  die  doch 
mehr  oder  weniger  subjektiv  bleiben  muß,  erscheint  mir  für 
die  Syntax  die  Feststellung,  oder  —  falls  diese  nicht  gelingen 
sollte  —  die  gründliche  Untersuchung  des  Ursprungs  sowie  des 
genauen   sprachlich-  logischen   Wertes    dieses    de.      Hat    es 


268  Referate  und  Rezensionen.     Theodor  Kalepky. 

wirklich,  wie  z.  B.  Lücking,  Franz.  Gramm.  §  252  Anm.  oder 
Plattner,  Ausführt.  Gramm,  d.  frz.  Spr.  I  §  348  Anm.  2  behaupten, 
seinen  Grund  nur  in  einer ,, Attraktion"  (,,aus  dem  öfter  zugefügten, 
meist  aber  fehlenden  des  deux"  Plattner^)  ?  Sollte  eine  so  eminent 
logische  Sprache  wie  es  die  französische  anerkanntermaßen  ist, 
sich  wirklich  Jahrhunderte  lang  von  einer  der  Logik  so  zuwider- 
laufenden Ausdrucksform  in  Bann  schlagen  lassen  ?  Gewiß 
gilt  auch  von  ihr  das  Horazische  Quandoque  bonus  dormiiat  Homerus, 
gewiß  finden  sich  auch  bei  ihr  Wendungen,  in  denen  Sprach- 
und  Gedankenform  nicht  in  vollem  Einklänge  stehen  (wie  z.  B. 
in  den  bekannten:  Ce  n'est  pas  moi  qui  a  i  dit  cela)  aber  so  mit 
einem  Wort  ist  die  Sache  denn  doch  nicht  abzutun,  und  sicher 
ist,  daß  es  außer  dem  uns  hier  beschäftigenden  Falle  noch  manchen 
anderen  gibt,  in  dem  —  nicht  das  de  —  wohl  aber  das  ou  eine 
etwas  befremdende  Gebrauchsweise  zeigt  (vgl.  Lui  ou  moi  a  v  o  n  s 
tori).  Vielleicht  finde  ich  bald  einmal  Zeit,  den  Sachverhalt 
eingehender  zu  prüfen.  Den  Wunsch  dazu  hege  ich  schon  lange. 
Und  Verfasser  wird  mir  nun  nachfühlen,  was  für  eine  Ent- 
täuschung er  mir  —  und  wohl  auch  anderen  —  dadurch  bereitet 
hat,  daß  er  in  seiner  ,, syntaktischen"  Publikation  einen  so  inter- 
essanten Punkt  ,, anschneidet",  ohne  irgend  etwas  anderes  über 
ihn  beizubringen  als  eine  vage^)  ,, stilistische"  Wertung,  die  von 
jedem  beliebigen,  der  nicht  recht  daran  glauben  mag,  so  ziemUch 
ohne  Risiko  mit  demselben  Nachdruck  angefochten  werden 
kann,  mit  dem  er  selber  sie  hier  aufstellt. 

Konnte  ich  mich  bei  den  vorstehend  besprochenen  Punkten 
nicht  recht  mit  der  Art  der  Behandlung  befreunden,  der  nach- 
drückUch  entgegenzutreten  mir  im  vitalen  Interesse  ersprieß- 
licher syntaktischer  Forschung  als  Pflicht  erschien,  so  hätte  ich 

1)  Sollte  dieser,  wie  unser  Verfasser  behauptet,  im  3.  Teile,  2.  Heft 
(seiner  Ausführl.  Grammat.)  p.  142  die  beiden  de  wirklich  als  ,, un- 
erläßlich" bezeichnen?  Ich  habe  das  genannte  Heft  nicht  in  Händen 
und  fühle  mich,  nachdem  ich  am  3.  Heft  des  2.  Teils  (,,Das  Verbum 
in  syntaktischer  Hinsicht")  gesehen,  daß  diese  Ergänzungshefte  nur 
lose  aneinandergereihte  Zusätze,  ganz  nach  der  Art  der  uns  hier  be- 
schäftigenden (obendrein  ohne  Index!)  enthalten,  kaum  versucht, 
sie  anzuschaffen,  bevor  ihr  Verfasser  sich  dazu  entschließt,  sie  mit  dem 
1.  Teile,  dem  Hauptteile,  zu  einem  einheitlichen  Ganzen  zu  verarbeiten. 
So  viel  aber  ist  sicher,  daß  Plattner  im  1.  Teil  S.  379  dieses  de  als 
,,pleonastisch"  und  ausdrücklich  als  ,, nicht  erforderlich"  bezeichnet. 

2)  Da  ich  einmal  von  ,, vager"  stilistischer  Wertung  spreche,  so 
möchte  ich,  ohne  viel  Zeit  und  Raum  dabei  zu  verschwenden,  auch 
noch  auf  die  unbefriedigende  Art  der  Aburteilung  jener  schon  er- 
wähnten Subjektsunterdrückung  Faut  aller  au  Credit  Lyonnais  . . .  Con- 
naissez?  (p.  11)  hinweisen,  von  der  Verf.  sagt,  daß  sie  nicht  nur  der 
langue  eni'antine,  populaire  ou  nögligöe,  sondern  auch  der  langue 
courante  {,,on  dit  courammcnt" .  .  . )  angehöre.  Sind  langage  neglige 
und  langage  courant  wirklich  Gegensätze?  Alles  hängt  doch  vom 
persönlichen  Verhältnis  der  Sprechenden  zueinander  ab!  Ein  ,,Kann 
sein"  zu  einem  guten  Freunde  gesagt,  ist  völlig  korrekt.  Zu  einem 
Vorgesetzten  ist  es  entschieden  nachlässige  Ausdrucksweise. 


Löseth,  E.  269 

den  beiden  nunmehr  zu  envähncnden  „Bemerkungen"  den 
Vorwurf  des  Müßigen,  des  Überflüssigen  zu  machen.  Erstens: 
In  II  est  aime  comrne  il  merite  de  l'Hre  ist,  wie  Verfasser  (p.  6) 
richtig  bemerkt,  durch  le  auf  ein  vorangehendes  Participium 
perfecti  verwiesen;  in  Voiis  avez  une  matiie  indecente  de  crier, 
ta  mere  ei  toi!  Voiis  l'äes,  mal  elevees^  toutes  les  deux  (aus  Bern- 
stein, La  rafale  II,  4)  dagegen  nimmt,  wie  Verfasser  ebenfalls 
richtig  feststellt,  das  V  (=  le)  vor  Hes  das  nachfolgende  mal 
üevees  vorweg  (,,=  poiir  mal  elevees^  voiis  l'kes"  fügt  er  erläuternd, 
aber,  wie  mir  scheint,  unnötig  hinzu).  Ich  hätte  wohl  gern  noch 
den  vorhergehenden  Satz  oder  gar  die  vorhergehenden  Sätze 
gekannt,  um  ganz  sicher  zu  sein,  daß  das  le  sich  unter  keinen 
Umständen  auf  ein  vorangehendes,  dem  mal  elevees  vielleicht 
synonymes  Wort  bezieht.  Aber  wenn  ich  dem  Verfasser,  da  er  es 
nun  einmal  so  hingestellt,  auch  gern  glauben  will,  daß  hier  ein 
Fall  echter  Prolepsis  vorliegt,  so  scheint  mir  der  Umstand,  daß 
das  Vorweggenommene  gerade  ein  participe  passe  ist,  ohne  jede 
Bedeutung,  und  die  Aufstellung  der  Regel:  Dans  le  langage 
familier,  le  participe  peut  suivre  ce«le»  unbedingt  überflüssig. 
Es  ist  doch  klar,  daß  jedes  beliebige  Wort,  das  zur  Qualifizierung 
geeignet  ist,  ganz  ebenso  durch  le  vorweggenommen  werden 
kann  —  Substantiv,  Adjektiv,  Numerale  (z.  B.  erster,  zweiter) 
sogar  Adverbien  (wie  ,,fort",  ,,fern"  usw.).  Ja,  im  Grunde  ist 
solche  Vorwegnahme  des  Prädikatsworts  nur  ein  Spezialfall 
jener  großen  Gruppe  proleptischer  Ausdrucksweisen,  bei  denen 
durch  ein  unbetontes  Pronomen  personale  oder  durch  en  und  y 
ein  Vorstellungsglied  übereilt  als  dem  Geiste  des  Zuhörers  schon 
gegenwärtig  hingestellt  wird,  das  der  Sprechende  bei  besserer 
Überlegung  nachträglich  doch  als  ausdrücklicherer  Kennzeichnung 
für  bedürftig  erachtet,  und  daher  noch  einmal  durch  ein  Wort 
oder  einen  ganzen  Satz  ausdrückt,  kurz,  jenes  in  allen  Sprachen 
anzutreffenden  Verfahrens,  von  dem  fürs  Neufranzösische  ein- 
gehend Haas  Neufranz.  Syntax  pp.  461 — 464  (allerdings  nur 
mit  Berücksichtigung  des  Personalpronomens  und  en  z.  B.  // 
est  /d,  ton  bon  portrait  oder  Tu  en  as  da  courage,  so  daß  ich  in  der 
Besprechung  des  Werkes  —  XXXVI,  6  p.  169  dieser  Zeitschrift  — 
ein  Beispiel  mit  y:  Elle  y  pensait  toiijours  ä  ce  eher  pays. . .  hin- 
zuzufügen für  nötig  hielt^)  sowie  —  mit  ausschließlicher  Berück- 


^)  Seine  Formuherung  (§  401):  ,,Wenn  das  hervorgehobene  Wort 
erst  nachträghch,  nachdem  'die  Gesamtvorstellung  gegliedert  ist, 
intensiver  dem  Sprechenden  zum  Bewußtsein  kommt,  so  wird  das 
Korrelat  der  betreffenden  Vorstellung  am  Ende  des  Satzes  wiederholt" 
erscheint  mir  allerdings  nicht  glücklich.  Sie  wird  dem  psychischen 
Tatbestande  insofern  nicht  gerecht,  als  nicht  das  betr.  ,,Wort" 
dem  Sprechenden  erst  nachträglich  intensiver  zum  Bewußtsein  kommt, 
sondern  nur  das  Bedürfnis  genauerer  Bezeichnung 
gegenüber  seinem  Zuhörer,  dem  ein  il  oder  en  oder  y 
doch  vielleicht  unverständlich  oder  mehrdeutig  sein  könnte. 


270  Referate  und  Rezensionen.     Theodor  Kalepky. 

sichtigung  der  en-FäWe  und  ihrer  Besonderheiten  —  A.  Tobler  in 
seinen  Vermischten  Beiträgen  (III.  Reihe,  Artikels)*)  gehandelthat. 
Zweitens  erscheint  mir  überflüssig  der  aus  7  Zeilen  bestehende 
Absatz  (p.  10),  welcher  mit  den  Worten  beginnt:  Le  peuple  dit 
«c'est-i(l)  que. . .  ?»  pour  «est-ce  que. . .  ?»,  und  verschiedene,  der 
langue  enjantine  et  familiere  entnommene  Belege  für  solches 
c'est-i  bringt.  Bekanntlich  handelt  es  sich  hierbei  keineswegs 
speziell  um  einen  vulgären  Ersatz  von  est-ce  que,  sondern  um 
das  bei  dem  ungebildeten  Volke  —  und  allen  denen,  die  seine 
Sprechweise  aus  irgend  einem  Grunde  nachzuahmen  für  gut 
befinden  —  anzutreffende  Verfahren,  den  fragenden  Sinn,  nament- 
lich in  sogenannten  Entscheidungsfragen  (d.  h.  solchen  Frage- 
sätzen, die  kein  Fragewort  enthalten)  unter  Beibehaltung  der 
Konstruktion  des  Aussagesatzes  durch  Anfügung  der  Partikel 
ti  (entstanden  aus  t-il,  und  auch  t'y,  nach  einem  t  sogar  bloß  y 
geschrieben)  an  das  Verbum  auszudrücken,  wovon  sowohl  Haas 
a.  a.  0.  p.  439  (j'ai  t'y  hesoin  d'une  autorisation  ?)  als  auch  Siede 
in  seinen  ^^Syntaktischen  Eigentümlichkeiten  usw."  p.  35  (letzterer 
unter  Angabe  der  darauf  bezüglichen  Literatur)  eingehend  ge- 
handelt haben.  Völlig  gleicher  Art  scheint  mir  auch  die  un- 
mittelbar vorher  (p.  9  unten)  neben  dem  ganz  korrekten  Qui 
diable  cela  peut-il  etre?  zur  Sprache  gebrachte  Fragekonstruktion: 
Qui  ce  peut-il  kre?  zu  sein,  in  der  Verfasser  —  doch  wohl  un- 
nötigerweise —  einen  Versuch,  zur  Vermeidung  des  unüblichen 
(aber  doch  grammatisch  durchaus  einwandfreien!)  Qui  peut-ce 
itre?  sehen  möchte.  Sicher  ist,  daß  für  Pourquoi  ce  serait-il 
dröle?  oder  Ce  sera-t-il  Fritz?  etc.  irgend  ein  äußerer  Anlaß 
zur  Wahl  solcher  Ausdrucksweise  nicht  vorliegt,  da  Pourquoi 
serait-ce  dröle?  Sera-ce  Fritz?  doch  in  jeder  Hinsicht  unbedenklich 
wären.  Sind  aber  die  ursprünglich  nur  vulgären  Fragekonstruk- 
tionen mit  dem  mysteriösen  ti  erst  einmal  Gemeingut  der  Kinder- 
und  der  famihären  Sprache  geworden,  dann  können  sie  auch 
leicht  —  mit  der  etwas  sorgfältigeren  Sprech-  und  Schreibw^eise 
<^-t-ih  in  die  gute  Sprache  eindringen.  —  In  den  mit  den  vorigen 
unmittelbar  zusammengestellten  Sätzen  Qui  ga  est  venu?  Quand 
Qa  m'enUverez-vous?  etc.,  vermag  ich  nichts  anderes  zu  sehen 
als  ,, Bestimmungsfragen"  (vgl.  vorher  die  Erklärung  der  ,, Ent- 
scheidungsfragen), deren  Fragewörtern  als  Hinweis  auf  den 
besonderen  Tatbestand  des  einzelnen  Falles  das  neutrale  Demon- 
strativpronomen QU  angefügt  ist,  etwa  wie  im  Deutschen  —  aller- 
dings nur  bei  fehlendem  Verb  —  ,,Wann  das  ?"  ,,Wie  das"  ? 
gesagt  wird.    Vielleicht  liegt  solcher  pleonastischen  Einschaltung 


^)  Auf  die  —  stereotyp  gewordene  —  pleonastische  Setzung  eines 
en  in  Fällen  wie:  En  voilä  une  ideel' usw.  möchte  ich  auch  die  Wendung 
von  dem  Typ  C'en  est  honteux.  —  //  en  etait  rasant  usw.  zurückführen, 
in  deren  en  Verfasser  (p.  8)  nur  ein  Mittel  zur  Verstärkung  der  Aus- 
sage sieht,  dem  er  die  Bedeutung  von  tout  ä  fait  beilegen  möchte. 


Löseth,  E.  271 

von  pa  letzten  Endes  eine  Abart  der  oben  eingehend  erörterten 
proleptischen  Ausdrucksweiso  zugrunde.  Im  Hinblick  auf  die 
bevorstehende  und  dem  Bewußtsein  vorschwebende  Mitnahme 
fragt  die  Sprecherin  zunächst:  QuandQa?  um  dann  sofort  —  zur 
Beseitigung  jedes  Zweifels  oder  Mißverständnisses,  ähnlich, 
wie  es  bei  Tu  en  as  du  courage !  oder  En  voilä  une  idee  I  der  Fall 
war  —  mit  einem  verbalen  Ergänzungsausdruck  (m'enUverez- 
vous})  die  Frage  zu  vervollständigen  und  zum  Abschluß  zu  bringen. 
Etwas  eingehender  hat  Verfasser  die  Frage  der  Setzung 
bezw.  NichtSetzung  des  auf  Vorhergehendes  zurückweisenden 
neutralen  le  in  angefügten  oder  eingeschobenen  Wendungen 
wie  comme  vous  (le)  dües,  faites,  etes,  etc.,  aussi  grand  que  vous 
(V )  äes,  etc.,  si  vous  (le)  voulez,  etc.,  i(e  l)  espere  behandelt. 
Man  wird  ihm  hier  beistimmen  können,  wenn  er  (gemäß  seiner 
Vorliebe  für  derartige  stilistische  Abschätzungen)  seine  Ansicht 
dahin  ausspricht,  daß  la  presence  de  ce  «le»  dorine  au  discours 
tantöt  quelque  chose  de  plus  litteraire,  tantöl  quelque  chose  de  plus 
piUoresque  ou  d'insistant  ou  de  circonstancie  und  dans  beaucoup 
de  cas  le  choix  dependra  du  goüt  ou  de  l'oreille  du  sujet  parlant 
ou  de  l'ecrwain.  Auch  daß  der  Wunsch  die  Art  und  Weise  zu 
betonen  (d'insisier  sur  la  maniere  d'agir,  le  procede)  unter  Um- 
ständen zur  Setzung  des  le  führen  kann  (z.  B.  Je  devrais  vous 
meüre  ä  la  porte  pour  vous  apprendre  ä  me  parier  comme  vous 
le  faites),  ist  zweifellos  richtig.  Mir  scheint,  Verfasser  hätte  gut 
getan,  von  vornherein  zwischen  den  beiden  Arten  des  comme 
(ainsi  que)  zu  scheiden,  von  denen  die  eine  zum  Ausdruck  wirk- 
licher Gleichheit  der  Art  und  Weise  oder  des  Grades  dient 
(wie  in  dem  eben  erwähnten  Falle),  die  andere  hingegen  lediglich 
Gemäßheit,  materielle  Übereinstimmung  zwischen  der 
Wirklichkeit  und  einer  geistigen  Konzeption  derselben  (II  est 
arrive  hier,  comme  je  (le)  crois  oder  comme  on  (V )  a  predit)  aus- 
drückt, zwei  Gebrauchsweisen  von  comme,  die  sich  vereinigt 
finden  in  der  bekannten  Stelle  der  Femmes  savantes  von  Moliere 
(III,  2):  Je  n'ai  point  encor  vu  d'hommes,  comme  (=  ä  ce  que) 
je  crois,  Mais  j'ai  vu  des  clochers  (sc.  dans  la  lune)  tout  comme 
(=^  de  la  mime  fagon)  je  vous  vois.  Und  dann  hätte  er  ganz 
wohl  sagen  können,  daß  das  erstere,  das  comme  der  Gleichheit 
der  Art  und  Weise,  auf  le  weniger  leicht  verzichtet,  als  das  letztere, 
das  der  bloßen  Gemäßheit.  Doch  wird  man  gut  tun,  mit  Vor- 
sicht zu  Werke  zu  gehen  und  von  der  Aufstellung  bestimmter, 
das  le  strikt  fordernder  oder  verwerfender  Regeln  lieber  ganz 
abzusehen.  Wenn  Verfasser  z.  B.  in  dem  Satze  Si  les  choses 
se  passent  comme  il  le  dit  das  le  für  unerläßlich  erklärt,  so  lange 
es  sich  um  Feststellung  der  iVi't  und  Weise  handelt,  und  behauptet, 
daß  comme  il  dit  hier  dit-il  bedeuten  würde,  so  stehen  dem  die 
beiden  folgenden  Sätze  aus  A.  France,  Le  livre  de  mon  ami  ent- 
gegen, wo  es  p.  106  heißt:  Je  la  (=  lapension  pour  l'enjant)  choi- 


272  Referate  und  Rezensionen.      Theodor  Kalepky. 

sirai  comme  vous  diies  (=  ,, genau  so,  wie  du  wünschest")  und  p.  8 
iine  jolie  grcwure  en  couleur  qui  representait,  comme  je  l'ai  su 
depuis,  Virginie  .  .  .^)  Auffällig  in  äußerer  Beziehung  darf  er- 
scheinen einmal,  daß  Verfasser  bei  der  ganzen  hier  kurz  be- 
sprochenen Erörterung  nur  le  berücksichtigt  und  nicht  auch 
gleich  die  ganz  analog  behandelten  unbetonten  Adverbien  en  und  y 
herangezogen  hat  (comme  on  peut  s'en  assurer  oder  comme  je 
m'y  attendais)  —  daß  ihn  die  Überschrift  Pronoms  personnels 
davon  nicht  zurückgehalten  hat,  beweist  die  ein  wenig  später 
(p.  6  ff.),  noch  in  demselben  Abschnitt  gegebene  Erörterung 
von  en  als  Ersatz  vorhergenannter  Substantiva  bei  Zahlwörtern, 
nicht  determinierten  Adjektiven,  unbestimmten  Fürwörtern®)  — 
sodann,  daß  diese  ganze  sich  auf  Setzung  bezhw.  Nichtsetzung 
von  le  beziehende  Betrachtung  räumlich  getrennt  von  der  p.  5 
gegebenen  Erörterung  der  Ellipse  des  Akkusativs  des  persön- 
lichen Fürworts  vorgenommen  worden  ist,  mit  der  sie  doch 
nicht  nur  den  Gegenstand  gemeinsam  hat,  sondern  auch  in 
ihrem  Ergebnis,  in  der  Feststellung  der  Unmöglichkeit  der  Auf- 
stellung bindender  Regeln  (wenigstens,  wenn  man  von  Fällen 
wie  J'ai  fait  pour  le  mieiix  absieht,  wo  faire  nicht  mehr  ein  tran- 
sitives Verb  ist,  sondern  die  Bedeutung ,,  verfahren"  hat,  wie  proceder, 
en  user)  Berührungspunkte  hat.  Daß  mir,  um  auch  über  diesen 
Abschnitt  kurz  etwas  zu  sagen,  die  ganze  Betrachtungsweise 
schwere  Bedenken  einflößt,  das  zu  hören,  wird  kaum  jemand 
überraschen.  Wohin  soll  es  führen,  wenn  man  —  nicht  nur  bei 
dem  eben  erwähnten  faire  —  sondern  noch  in  zahllosen  anderen 


s)  Auch  Plattner  bringt  es,  trotz  seiner  gediegenen  Kenntnis 
des  P'ranzösischen,  fertig,  a.  a.  O.  I  p.  256  die  gewagte  Behauptung 
aufzustellen,  daß  ,,im  eingeschobenen  Satz  le  unentbehrlich  wird, 
wenn  com?ne,  ainsi  que  fehlen,  z.  B.  Le  succes,  on  le  i'oit,  n'etait  rien 
moins  qu'assure."  Dabei  begegnet  man  nicht  nur  in  der  Unterhaltung 
oder  in  ungezwungenen  Briefen  auf  Schritt  und  Tritt  einem  einge- 
schobenen je  pense,  j'espere  (ohne  le),  sondern  kann  es  ohne  Mühe 
auch  in  ,, literarischem"  Französisch  nachweisen,  z.  B.  On  reconnaitra, 
fespere,  dans  ma  prose  les  membres  epars  du  poete  disperse,  A.  France 
a.  a.  O.  p.  117  oder:  On  est  faite  d'un  air,  je  pense,  ä  pouvoir  dire  que.  . 
Meliere  Femmes  sav.  II,  4  usw. 

^)  Eine  Erörterung,  die  materiell  Zutreffendes  bietet,  aber  in 
der  Formulierung  des  Sachverhalts  zu  wünschen  übrig  läßt,  nicht 
nur  zu  Beginn,  in  der  einleitenden  Bemerkung,  wo  es  (zu  verschwommen) 
heißt:  Le  pronom  adverbial  en.  .  .  s'emploie  dans  lesphrases  d  o  n  t 
le  sens  est  partitif  (!)  avec  les  adjectifs  non  accompagnes  de 
Varticle  defini,  etc.,  sondern  auch  bei  der  Erläuterung  der  Fälle  ohne 
en,  z.  B.  Je  garde  ce  cheval,  et  je  vous  cede  Vautre,  wo  der  einfache  und 
ohne  weiteres  erkennbare  Tatbestand,  daß  bei  einem  durch  den  be- 
stimmten Artikel  als  ,, bekannt"  (vgl.  Gröber,  Grundriß  I,  274)  be- 
zeichneten Seienden  der  Hinweis  auf  die  Gruppe,  zu  der  es  gehört, 
überflüssig  ist,  wenig  zutreffend  in  folgendem  Satze  seinen  Ausdruck 
gefunden:  En  effet,  «en»  qui  doit  suggerer  ici  Videe  d'une  quantite  in- 
determinee  et  divisible,  s'allierait  mal  avec  un  mot  gouvernant  determine 
et  cense  desisner  un  tout  non  divise. 


Löseth,  E.  273 

Fällen  wie  z.  B.  J'ai  trouve.  lljaiii  croire,  Ellipse  des  pronominalen 
Objekts  annimmt  ?  Was  für  ein  Recht  haben  wir,  von  der  Sprache 
Setzung  eines  le  (oder  qiielque  chose  usw.)  d  a  zu  fordern,  wo 
sich  im  Gedankenbilde  eine  Objektsvorstellung  gar  nicht  findet, 
und  ihr  aus  der  Nichtsetzung  den  Vorwurf  der  Unvollständigkeit 
zu  machen  ?  Wünscht  ja  doch  Verfasser  selbst,  daß  Plattner  I, 
255  seiner  auf  den  gleichen  Punkt  bezüglichen  Darlegung  die 
Bemerkung  hinzugefügt  hätte,  daß  l'absence  du  pronom  tient 
ä  ce  qiie  celui  qiii  parle  pense  ä  l'action  exprimee  par  le  verbe,  bien 
plus  qu'au  regime  (p.  5).  Hätte  er  statt  bien  plus  qu'au  regirtie 
nur  lieber  gleich  seulertient,  exclusivement  gesagt,  dann  wäre  der 
Sachverhalt  richtig  zum  Ausdruck  gebracht,  aber  damit  auch 
zugleich  die  Nichtberechtigung  der  Ansetzung  einer  Ellipse 
deutlich  vor  Augen  geführt  worden.  Nun,  ich  brauche  hier  auf 
die  schwierige  Ellipsenfrage  um  so  weniger  einzugehen,  als  ich 
ihre  eindringendere  Erörterung  schon  vor  ziemlich  langer  Zeit 
(vgl.  Zeitschr.  f.  rom.  Phil.  XXXI  p.  468  Anm.  1)  in  Aussicht 
gestellt  habe  und  so  bald  wie  möglich  in  Angriff  zu  nehmen 
gedenke.  Nur  möchte  ich  noch  hinsichtlich  solcher,  lediglich 
auf  flüchtigen  Gehörseindrücken  beruhender  Belege  wie  Regardez 
comme  il  tient !  (entendu  dire  par  une  bonne  parlant  d'un  enfant 
qui  joue  avec  un  petit  fusil)  zu  äußerster  Vorsicht  mahnen.  Kann 
das  le  hinter  il  nicht  überhört  worden  sein  ?  Ähnlich  wie  Deut- 
schen in  der  Unterhaltung  mit  Engländern  der  /-Laut  hinter 
/  leicht  entgeht,  so  daß  sie  statt  l'll  come  to-morrow  ein  präsen- 
tisches */  come  to-morrow  zu  hören  glauben. 

Von  den  sonstigen  etwas  eingehender  erörterten  (nicht  bloß 
—  wie  leider  so  viele  andere  —  nur  flüchtig  gestreiften)  Punkten 
scheint  mir  besonders  beachtenswert  die  p.  10  gegebene  Be- 
sprechung von  tous  deux  [trois  etc.)  und  tous  les  deux  {trois  etc.) 
bei  der  Verfasser  sich  auf  Grund  sorgsamer  Prüfung  und  unter 
reichlicher  Darbietung  von  Beispielen  zu  der  Ansicht  bekennt, 
daß  il  semble  que  l'addition  de  l'article  . . .'  tout  en  etant  emphatique 
(wie  Littre  behauptet),  seri>e  en  outre,  du  moins  dans  un  grand 
nombre  de  cas,  ä  mettre  en  relief  chacun  des  deux  etres  separement, 
d  faire  ressortir  leur  individualite,  tandis  que^  par  «tous  deux>>  ils 
sont  reunis  en  bloc  et  sans  distinction  aucune.  Ich  gedenke  auch 
diesen  Fall  gelegentlich  einer  eingehenderen  Untersuchung  zu 
unterziehen  und  beschränke  mich  daher  an  dieser  Stelle  auf  die 
Aufwerfung  der  Frage,  ob  Verfasser  mit  den  Ausdrücken  sepa- 
rement  und  faire  ressortir  leur  individualite  nicht  doch  zu  weit 
geht.  Ist  es,  wie  ich  mit  Gröber  (vgl.  d.  a.  0.)  glaube,  die  Funktion 
des  bestimmten  Artikels,  Seiende  als  b  e  k  a  n  n  t  e  zu  bezeichnen, 
auf  sie  als  solche  hinzuweisen,  von  denen  bereits  ein  Bild  in  der 
Vorstellung  des  Hörers  vorhanden  sei,  dann  kann  er,  in  unserem 
Falle,  zwar  ganz  wohl  die  Wirkung  haben  de  mettre  en  relief  les 
deux  etres.,  aber  nicht  chacun  separement.,  wozu  eben  andere  Aus- 


274  Referate  und  Rezensionen.     Theodor  Kalepky. 

drücke  dienen,  z.  B.  Vun  et  Vautre,  oder  chacun  de  son  (bezw. 
leur)  cöte.  So  ist  es  mir  denn  zwar  wahrscheinlich,  daß  sich  bei 
genauerem  Zusehen  doch  eine  etwas  andere  Unterscheidung  heraus- 
stellen wird,  als  die  vom  Verfasser  dargebotene,  aber  in  jedem 
Falle  ist  es  mir  eine  um  so  angenehmere  Rezensentenpflicht,  hier 
die  Gründhchkeit,  mit  der  Verfasser  zu  Werke  gegangen,  die 
Sorgfalt,  mit  der  er  die  zahlreich  beigebrachten  (freilich  manch- 
mal zu  sehr  aus  dem  Zusammenhang  gelösten)  Beispiele  prüft, 
lobend  anzuerkennen,  je  weniger  ich  an  anderen  Stellen  aus 
meiner  Mißbilligung  seiner  flüchtig  streifenden  oder  sich  gar  mit 
bloß  stilistischen  Bemerkungen  begnügenden  Betrachtungsart 
ein  Hehl  machen  zu  dürfen  glaubte. 

Auch  die  giieZ-Frage,  der  Plattner,  wie  auch  unser  Verfasser 
angibt  (I  p.  206  und  379),  eine  ziemlich  eingehende  Besprechung 
widmet,  ist  p.  8  in  interessanter  Weise  erörtert  und  durch  ver- 
schiedene Beispiele  illustriert.  In  zutreffender  Weise  scheidet 
Verfasser  aus  der  Reihe  der  Fälle  eines  ,, substantivischen"  quel 
die  beiden  Sätze :  Et  de  qiielles  violences  te  plains-tu  ?  De  quelles  ? 
und  A  quel  titre?  Quel?  aus,  da  hier  das  isolierte  quel(-les)  ledig- 
lich die  Wiederholung  eines  vorher  in  Verbindung  mit  einem 
Substantiv  gebrauchten  darstellt.  In  der  Tat  läßt  sich  in  solcher 
Weise  jedes  unselbständige  Wort  selbständig  gebrauchen.  So 
habe  ich  mir  für  das  doch  sicher  unbetonte  il  und  on  gelegentlich 
folgende  Fälle  isolierten  Auftretens  notiert:  II  me  kante,  c'est 
fou,  mais  c'est  ainsi.  —  Qui?  11?  Maupassant,  Les  soeurs  Rondoli 
117.  —  A  peine  entre,  il  lui  donna  un  baiser.  —  Qui?  II?  demanda 
George.  P.  Bourget,  Cruelle  enigme  121.  Und  ebenso  (nur  «Qui? 
il?f>  geschrieben)  id.,  Andre  CorneHs  258.  —  On  me  proposa  un 
j'our  de  me  faire  inviter  aux  soirees  d' Augustine.  —  Qui?  On?  — 
«Ow»  parbleu!  Vous  le  voyez  d'ici:  Veiernel  On  qui  ressemble  ä 
tout  le  monde  ...  A.  Daudet,  Trente  ans  de  Paris  47.  —  Aber  es 
finden  sich  doch  zahlreiche  Beispiele  sicheren  substantivischen 
Gebrauchs  von  quel,  wie:  Toutes  les  qualites  du  genie  frangais 
sont  lä.  —  Quelles?,  so  daß  es  wunder  nehmen  muß,  wenn  Plattner, 
der  davon  selbst  eine  Anzahl  aufführt,  trotzdem  sagt  (I,  p.  205  f.), 
,,der  Hauptunterschied  zwischen  quel  und  lequel  ist,  daß  ersteres 
adjektivisch,  letzteres  substantivisch  ist."  Wertvoller  erscheint 
mir  der  p.  205  Anm.  3  gebrachte  Hinweis  auf  die  ziemhch  analoge 
Sachlage  im  Englischen,  an  die  ich,  noch  bevor  ich  die  genannte 
Stelle  Plattners  zu  Gesicht  bekommen,  auch  wiederholt  habe 
denken  müssen:  Qui?—who?  Lequel ?=  which ?  und  quel  = 
what?  welclies  letzteres  enghsche  Wort  allerdings,  wenn  es  nicht 
prädikativisch  in  Verbindung  mit  to  be  auftritt  (What  are  these 
books?),  wohl  immer  sein  Beziehungssubstantiv  zu  sich  nimmt 
(Here  are  some  books.  —  What  books?  und  nicht  what?  allein, 
vielleicht  weil  dies  ja  bekannthch  auch  die  Bedeutung  des  lat. 
quid  hat).     Die   Bezugnahme  aufs  Englische  scheint  mir  auch 


LöseLh,  E.  275 

für  die  Eruierung  des  Unterscliiedes  zwischen  quel  und  lequel 
(auf  die  Plattner  mit  Littre  verzichten  zu  wollen  scheint)'^), 
einen  nützlichen  Fingerzeig  zu  bieten.  Nehmen  wir  die  von 
Robert  {Gr.  fr.  201)  gegebene,  von  unserem  Verfasser  —  wie 
mir  scheint,  mit  Unreclit  —  beanstandete  Erläuterung  der  Ver- 
wendungsweise von  quel,  daß  es  nämlich  stehe  quand  il  s'agit 
de  preciser  la  qualite,  dann  läßt  sich  sagen:  quel  verlangt  Be- 
stimmung, Kennzeichnung  der  Qualitäten,  lequel  Bestimmung, 
Angabe,  Nennung  der  Seienden  selbst.^)  Wer  also  auf  die  Aus- 
sage Toutes  les  qualites  du  genie  frangais  soiit  lä  fragt  Quelles? 
möchte  zunächst  eine  Charakterisierung  derselben  haben:  ,,Was 
sind  denn  das  für  Qualitäten  ?  Welcher  Art  ?  Wie  beschaffen 
sind  sie  ?"  Dabei  verschlägt  es  denn  auch  nichts,  daß  der  Ant- 
wortende, ohne  sich  um  eine  solche  Nuance  zu  kümmern,  oder 
weil  ihre  Berücksichtigung  ihm  die  Beantwortung  erschweren 
würde,  gleich  die  Namen  angibt,  d.  h.  so  erwidert,  als  hätte 
sein  Interlocuteur  Lesquelles?  gefragt  (=  ,,Nenn  sie  mir"): 
l'unite,  la  mesure,  la  proportion,  la  sagesse  (Plattner  p.  379).^) 

Doch  ich  sehe  mit  leisem  Erschrecken,  zu  welchem  Umfange 
meine  Besprechung  bereits  angeschwollen  ist.  Um  nun  dem 
Leser  —  denn  das  scheint  mir  Rezensentenpflicht  —  wenigstens 
Kenntnis  von  den  verschiedenen  Punkten  zu  geben  (40  auf 
18  Seiten!),  die  Verfasser  in  seiner  Publikation  überhaupt  zur 
Sprache  bringt,  werde  ich  mich  für  alles  übrige  mit  bloßer  Auf- 
zählung und  ganz  kurzer  Charakterisierung  begnügen. 

An  eingehenderen  Erörterungen  finden  sich  in  unserer  Schrift 
noch:  erstens  (p.  9)  eine  Untersuchung  der  Fragekonstruktionen 
von  dem  Typus:  Et  eile  (la  biblioiheque )  rouvre  quand?  (hier  mit 
dem  —  aber  erst  in  den  Additions  (p.  18)  dargebotenen  —  Ergeb- 
nis, daß  derselbe  seine  eigentümliche  Wortstellung  der  Anti- 
zipierung der  Form  der  Antwort   verdankt:    Elle  rouvre   d  teile 


'^)  ,,Man  sieht  hieraus",  sagt  er  p.  206  nach  einer  Aufzählung 
von  fünf  nach  seiner  Meinung  verschiedenen  Gebrauchsarten,  ,,wie 
sehr  Littre  recht  hat,  wenn  er  quel  als  eines  der  dunkelsten,  vieldeutigsten 
(?)  Wörter  der  französischen  Sprache  bezeichnet".  Ich  glaube,  daß 
das  zu  viel  gesagt  ist.     Vgl.  das  Folgende. 

^)  Noch  klarer  wäre  vielleicht  die  Formulierung:  quel  verlangt 
Angabe  der  Qualität  lequel  Feststellung  der  Identität  (im  polizeilichen 
Sinne),  wozu  es  mir  denn  auch  ganz  gut  zu  stimmen  scheint,  daß 
quel  nicht  vor  einer  Bestimmung  mit  partitivem  de  steht. 

^)  Muß  man  übrigens  bei  dem  hier  erörterten  quel  nicht  unwill- 
kürlich an  chaque  denken  in  Fällen  wie  Ces  livres  coütent  5  francs  chaque, 
das  mit  solchem  Gebrauch  auch  aus  seiner  ursprünglich  rein  adjek- 
tivischen Sphäre  herausgetreten  ist?  Ob  Plattner  sein  strenges  Urteil: 
,, Chaque  (statt  chacun)  ist  in  diesem  Falle  ein  sehr  gewöhnlicher  Fehler, 
den  auch  Littre  (Definition  von  duc  im  Supplement)  begangen  hat" 
(p.  394)  noch  länger  aufrecht  zu  erhalten  gesonnen  ist  ?  Wenn  ja, 
dann  möchte  ich  ihn  um  seine  Definition  für  das,  was  ,, Fehler"  ist, 
bitten. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII».  19 


276  Referate  und  Rezensionen.     Theodor  Kalepky. 

epoque)^^)  sowie  von  demjenigen:  Pourquoi  tu  es  mechante  ?  Com- 
hien  ga  vaut?  Comment  ga  va?  etc.  (wofür  nach  einigen  anderen 
nicht  haltbaren  Vermutungen  in  den  Additions  als  plausibelste 
Erklärung  die  gegeben  wird,  daß  darin  indirekte  Fragesätze, 
abhängig  von  einem  unausgesprochenen  Verbum  des  Sagens, 
Fragens  zu  sehen  seien).  Sodann  (p.  13  f.)  die  Untersuchung 
einer  Anzahl  Sätze,  in  denen  sich  ein  ,, auffälliger",  d.  h.  mit  den 
landläufigen  Regeln  der  Grammatiken  anscheinend  nicht  recht 
vereinbarer  Modus  findet.  Wenn  Verfasser  dabei  mit  einem 
Subjonctif  potentiel  (z.  B.  in  dem  Satze:  Notre  langue  allait  avoir 
enfin  un  poete  lyrique  dont  la  vie  et  les  oeuvres  ne  f  u  s  s  ent  pas 
deux  choses  distinctes  . . .  Demogeot)  operieren  möchte  und  an 
verschiedenen  Fällen  des  Subjonctif  Anstoß  zu  nehmen  geneigt 
ist  —  wie  weiterhin  an  mehreren  auffälligen  des  Indicatif  —  so 
muß  ich  demgegenüber  eine  Forderung  wiederholen,  die  ich  schon 
vor  Jahren  anläßlich  einer  polemischen  Besprechung  von  A.  Toblers 
Versuch  einer  Erklärung  des  Subjonctifs  in  Un  des  bons  diners 
que  j'aie  faits,  den  er  auf ,, numerische  Nichtbestimmtheit"  zurück- 
führen wollte,  (vgl.  Verm.  Beitr.  II,  Artikel  2)  aufstellte,  (vgl.  Ztschr. 
f.  rom.  Phil.  XVIII,  166  Anm.),  nämlich  die  Forderung,  daß  jede 
Beanstandung  oder  Beurteilung  eines  Einzelfalles  von  Subjonctif 
gegründet  werden  müsse  auf  eine  Definition  des  Wesens,  des 
eigentlichen  Sinnes  dieses  Modus.  Da  werden  dann  mit  einem 
Schlage  solche  Unterabteilungen  wie  conjunctivus  potentialis, 
die,  wie  es  scheint,  der  Schuljugend  beim  Lateinlernen  ganz  gute 
Dienste  tun,  bei  der  wissenschaftlichen  Betrachtung  völlig  über- 
flüssig. ,,Das  und  das  ist  die  Bedeutung  des  Konjunktivs;  die 
Vorstellungsweise  des  vorliegenden  Falles  ist  dementsprechend, 
also  ist  dieser  Modus  hier  am  Platze"  —  so  ungefähr,  scheint 
mir,  hätte  die  Erklärung  vor  sich  zu  gehen.  Und  ich  gestehe, 
daß,  wenn  ich  (statt  der  üblichen  Regeln,  die  die  Grammatiken, 
dem  Bedürfnis  der  Schüler  und  Anfänger  entsprechend,  auf- 
stellen) auf  die  Wesensdefinition  des  Konjunktivs  und  des  Indi- 
kativs zurückgreife  und  etwa  sage:  ,,Der  Indikativ  ist  der  Modus 
ausdrücklicher  Konstatierung  der  Reahtät,  der  Konjunktiv  der- 
jenige der  Ignorierung  (d.  h.  der  Beiseitelassung,  Außeracht- 
setzung)  des  Realitätsmoments"  (vgl.  Ztschr.  f.  rom.  Phil.  XVIII, 
165),  kein  einziger  der  vom  Verfasser  erwähnten  Sätze  hinsicht- 
lich des  Modus  irgend  welche  Schwierigkeit  bietet. ^i)  — 


^'^)  Hier  wäre  an  das  englische  When  s  ha  II  you  go  ?  (statt  zu 
erwartenden  will  you)  zu  erinnern,  bei  dem  das  shall  der  Antwort 
sich  schon  geltend  macht. 

")  S.  14  ist  ein  Druckfehler  zu  berichtigen,  so  ziemlich  der  einzige 
von  Belang:  Es  muß  gleich  zu  Anfang  der  ersten  Zeile  U indicatif 
(statt  Le  subjonctif)  heißen.  Höchstens  wäre  noch  das  fehlende  se 
S.  15  letzte  Zeile  anzuführen,  da  es  heißen  muß  s  e  casser  le  nez  ä  ootre 
parte. 


Löselh,  E.  217 

Drittens  bespricht  Verfasser  recht  eingehend  p.  16  ff.  das 
Verfahren  der  Sprache  bei  der  Verbindung  von  pas  oder  plus 
mit  Adverbien  wie  mSme,  seiilement,  vraiment  usw.  und  erörtert 
die  Verschiedenheit  des  Sinnes,  die  sich  bei  diesen  Verbindungen 
aus  der  Verschiedenheit  der  Stellung  der  Elemente  zueinander 
ergibt,  und  zwar  im  ganzen  zutreffend,  höchstens  daß  mir 
gelegentlich  das  Operieren  mit  Intensitätsabschätzungen  («pas 
meine,  plus  mim€>>,  etc.  sont  plus  forts  et  ont  plus  de  poids  et  de 
gravite  gue  «m^me  pas,  nüme  plus»)  statt  ausschließlich  mit  der 
solideren  Bedeutungsfeststellung,  Bedenken  einflößt. 

Von  den  hier  noch  nicht  erwähnten  kürzeren  „Notizen"  sei 
zunächst  eine  Anzahl  kleiner  Berichtigungen  oder  Ergänzungen, 
teils  zu  den  üblichen  Angaben  der  Grammatiken,  teils  zu  sonstigen 
Aufstellungen    einzelner    Fachgenossen    aufgezählt:    Auch    heute 
findet  sich  (im  Gegensatz  zu  der  Angabe  von  Haas,  Nfr.  Synt. 
p.    185),   wenigstens  in  der   Schriftsprache,   die   Wendung    (en) 
avoir  assez  de  ,, einer  Sache  überdrüssig  sein"  ohne  en  z.  B.  Si  tu 
as  assez  de  moi,  il  ij  a  le  divorce,   Brieux  (Ist  übrigens  Theater- 
dialog  Schriftsprache  ?)   (p.  8).   —  Das  Interrogativum  lequel  in 
sächlichem  Sinne  ist  noch  nicht,  wie  Darmesteter-Sudre  {Cours, 
p.  89)  behaupten,  veraltet,  z.  B.  «^  noel»  ou  «d  la  noel».     Lequel 
il  faut  dire  (heißt  es  in  einem  Index)  (p.  9).  —  Tant  que  zu  einem 
Infinitiv  mit   ä  wird   als  bemerkenswert  bezeichnet,   z.   B.   tant 
qua  parier  de  fabliaux;  dies  zunächst  (unrichtig!)  durch  si  tant 
est  qu'on  parle  de  oder  ä  tant  faire  que  de  parier  de  erläutert  und 
erst  in  den  Additions  (p.   18)  durch  den  Hinweis  auf  tant  qu'ä 
moi  =  quant  ä  moi  in  das  richtige  Licht  gerückt  (p.  12).  —  Une 
soixante  de  chevaux  in  Bernstein,  La  rajale  1,8  —  mit  Recht  als 
Druckfehler  für  soixantaine  bezeichnet  (Fragezeichen  entbehrlich!) 
(p.  12).  —  Sätze  wie  Commandez  le  diner,  mit  der  Antwort:  Ils 
auront  du  vin  deiestable,  je  connais  le  pays  stehen  nur  scheinbar 
im  Widerspruch  zu  Cledats  Aufstellung,  daß  das  ,, vermutende" 
Futur  von  Hilfsverben  immer  —  erläuternd  oder  bestätigend  — 
auf   etwas   vorher   Geäußertes   zurückweist.      Verfasser   löst   die 
Schwierigkeit    durch    Einschaltung    des    Verbindungsglieds:    Je 
crains  leur  diner,  ils  auront  ...  (p.  12).  —  Im  Gegensatz  zu  Pfeiffer, 
der  in  seiner   Dissertation   ,,Die   Umschreibung  des    Verbums  im 
Französischen"  (Göttingen   1909)  p.  38  die  Ersetzung  einer  ein- 
fachen Verbform  durch  äre  mit  dem  Participium  präsentis  nur 
bis  ins  XVIII.    Jahrh.  nachweist,  glaubt  Verf.  derartigen  Aus- 
drucksweisen noch  im  XIX.  Jahrh.  begegnet  zu  sein.     Doch  hat 
er  nur  ein   „sicheres"  Beispiel  zur  Hand:  Tenez,  je  jurerais  qu'ä 
l'heure  oü  nous  parlons,  il  est  dejä  trottant  par  les  sentiers  pour 
venir  se  casser  le  nez  ä  votre  parte  Sandeau,  Mlle  de  la  Seigl.  I,  5, 
wozu  er  in  Klammern  „engl,  he  is  trotting"  fügt.    Aber  auch  diese 
Stelle  —  bei  der  zweiten  nimmt  Verfasser  selbst  einen  Druck- 
fehler (poussant  statt  poussait)  als  möglich  an  —  ist  kein  sicherer 

19* 


278  Referate  und  Rezensionen.     Theodor  Kalepky. 

Beleg  für  seine  Behauptung,  da  trottant  ganz  wohl  nur  modale 
Bestimmung  zu  il  est  par  les  sentiers  sein  kann.  Wem  fällt  dabei 
nicht  unwillkürlich  Dantes  «Mi  ritrovai  per  una  selva  oscura» 
ein  ?  Aber  auch  französisch  läßt  sich  6tre  par  =  ,,in  einer  Gegend 
sein"  belegen.  So  heißt  es  bei  Zola,  Paris  580:  «Vous  savez 
qu'on  vient  de  jeter  une  bombe  dans  le  cafe  de  l' Univers,  sur  le 
boulevard. .  .>>  Alors,  il  conia  qu'il  etait  par  lä  justement,  qu'il 
avait  entendii  Vexplosion,  etc....  Pfeiffer  scheint  also  im  Recht 
zu  sein  (p.  15  f.).  —  Schließlich  noch  (p.  16)  Hinweis  auf  eine  in 
der  Umgangssprache  zutage  tretende,  aber  noch  zu  keinem 
geregelten  Verfahren  verdichtete  Abneigung  gegen  die  weibliche 
Form  der  Participia  perfecti  der  Verben  auf  -aindre,  -eindre  und 
-oindre,  zurückgeführt  auf  das  Zusammenfallen  einzelner  von 
ihnen  mit  Substantiven  (z.  B.  la  crainte,  la  plainte).  Bourciez 
{Rev.  crit.  1902)  würde  la  chandelle  qua  j'ai  eteinte  hinnehmen, 
dagegen  nicht  la  voiture  que  j'ai  rejointe,  sondern  nur  la  c.  qiie 
j'ai  re Joint  sagen. 

Von  den  zur  Vervollständigung  dieser  kurzen  Übersicht  noch 
aufzuzählenden  Punkten,  die  Verfasser  ,, anschneidet",  bedürfen 
verschiedene  unbedingt  noch  eingehenderer  Untersuchung  und 
reicherer  Beispielsammlung.  So  der  «Constructions  relatives^ 
familieres»  überschriebene,  aus  nur  drei  Zeilen  bestehende  Ab- 
schnitt (p.  10),  der  außer  la  moitie  quid  (=  de  ce  qu'il  y  a  ici) 
nur  die  Wendung  enthält:  Qa  dependait  comme  ga  tournerait. 
Verfasser  bemerkt  dazu  erklärend:  «coi7itne»  =  de  la  manidre  dont\ 
ou  «comme»  est  interrogatif  =  comment.  In  der  Tat  habe  ich 
gelegentlich  in  solcher  Verbindung  comment  angetroffen.  So  bei 
Maupassant,  Yvette  38:  Qa  depend  aussi  comment  on  se  Uve  (,,das 
hängt  auch  davon  ab,  wie  man  aufsteht").  Doch  welches  weite 
Feld  eröffnet  sich  da  für  weitere  Beobachtung  und  Sammlung 
von  Beispielen!  Einige  hierher  gehörige  Fälle  hat  A.  Toblcr  im 
3.  Artikel  der  leider  nur  begonnenen  5.  Reihe  seiner  Verm.  Beitr, 
(Sitzungsber.  der  kgl.  preuß.  Ak.  d.  Wiss.  1909)  unter  dem  Titel 
,, Präpositionen  vor  Umstandssätzen"  erörtert  {pour  quand..,  de 
quand..u.  ähnl.).  Und  auch  Fälle  wie:  Vous  rappelez-vous, 
quand  nous  parlions  de  l'amour,  toutes  les  deux?  (M.  Prevost, 
Pierre  et  Therese  17)  würden  hierher  gehören,  sofern  hier  nicht 
indirekte  Frage  vorliegt,  sondern  der  Gedanke  ausgedrückt  werden 
soll:  „Erinnern  Sie  sich  noch  unserer  früheren  Gespräche  über 
Liebe  ?"  d.  h.  ,, dessen,  was  wir  sagten,  wenn  wir  früher  über 
L.  sprachen  ?"  — 

Für  die  „Erstaunen,  manchmal  gemischt  mit  Zweifel"  aus- 
drückende Wendung  vous  m'en  direz  tanti  (p.  11),  die  Verfasser 
durch  pas  possible !  erläutert  und  für  die  er  die  vollständige 
Form  in  (A.  Dumas  pere,  Le  laird  de  Dumbiky  I,  3)  Monsieur, 
vous  m'en  direz  tant  que  je  ne  vous  croirai  plus  zu  finden  glaubt 
(was  ich  aber  mehr  für  eine  scherzhafte  Weiterbildung  halten 


Löselh,  E.  279 

möchte),  und  zu  der  ihm  die  — Conditionnel  aufweisende  —  Form: 
vous  en  diriez  tant  (bei  Alexandre,  Les  mots  qui  restent,  182)  eine 
«Itere  Ausdrucksweise  zu  sein  scheint  (die  Verfasser  zu:  que 
vous  ni'en  persuaderiez  vervollständigen  will)  —  möchte  ich  auf 
die  Mögliclikeit  der  Ergänzung  durch  que  je  ne  voiis  croirai(s) 
pas  hinweisen  in  dem  Sinne:  ich  werde  (würde)  es  Ihnen  doch 
nicht  glauben  (vgl.  Je  le  pourrai(s),  que  je  ne  le  ferai(s)  pas). 
Doch  läßt  sich  auch  dieser  Fall  erst  durch  weitere  und  eindrin- 
gendere Untersuchung  erledigen.  —  Solche  Nachprüfung  gedenke 
ich  gelegentlich  selber  vorzunehmen  für  die  p.  12  beanstandeten 
Fälle  der  Satzung  von  que  (statt  de)  nach  plus  und  moins  vor 
Zahlbestimmungen  (une  question  encore^  mais  pas  plus  qu'une  .  . 
oder  il  est  plus  que  huit  heures)  (die  mir  nur  scheinbar  Ausnahmen, 
nur  bei  ungenauer  Formulierung  der,,  Regel"  dieser  widersprechend 
zu  sein  scheinen),  sowie  für  die  sehr  schwierige,  p.  14  f.  kurz, 
allzukurz,  erörterte  Frage  nach  der  wahren  Natur  der  heutzutage 
nebeneinander  bestehenden  Ausdrucksweisen  //  fait  boii  vivre, 
de  vivre  und  ä  vivre.  — 

Bezüglich  der  —  übrigens  von  Tobler  (F.  B.  III,  140)  doch 
offen  gelassenen  —  Frage,  ob  autant  dire  besser  durch  valoir 
oder  durch  Hre  ergänzt  werde,  vermag  ich  in  der  Beibringung 
von  Sätzen  mit  autant  que  und  Subjonctif  z.  B.  la  route  de  Chaillot 
est  tout  ä  fait  deserte:  autant  que  vous  all  i  e  z  vous  promener 
dans  la  jorit  de  Bondy  (p.  15)  ein  durchschlagendes  Argument 
zugunsten  von  valoir  doch  nicht  zu  sehen,  da  nach  *autant  est 
que  der  Subjonctif  ebenso  stehen  müßte  wie  nach  autant  vaut 
que.  Aber  ich  neige,  in  Übereinstimmung  mit  dem  Verfasser, 
auch  der  Ergänzung  mittels  valoir  zu,  da  sich  ja  oft  genug  ein 
ausdrückliches  il  vaut  dire  findet.  So  z.  B.  Pierre!  il  a  vingt- 
neuf  mois,  madame.  —  //  i^alait  autant  dire  deux  ans  et  demi .  . 
(,,Es  hätte  ebensogut  zwei  ein  halb  Jahr  heißen  können")  A. 
France,  Le  livre  de  m.  a.  240.  —  Die  Setzung  von  /e,  la,  les  als 
Prädikatspronomina,  mit  Beziehung  auf  bestimmte  Seiende 
(Tant  que  tu  seras  nia  femme  pour  tout  le  monde,  tu  l  a  seras  aussi 
pour  moi  u.  ähnl.)  bedurfte  sicher  keines  besonderen  Nachweises 
mehr,  noch  auch  der  Motivierung:  «Le»  au  Heu  de  «la»  serait  par 
trop  maigre.  Sie  ist  seit  langem  feststehende  Regel  (vgl.  Lücking, 
Frz.  Gr.  §  210,  Plattner  I  §  307  u.  a.).  Freilich  fehlt  ihre  Er- 
wähnung in  Haas,  Nfrz.  Syntax  §  169,  wo  nur  noch  von  le  die 
Rede  ist,  das  ,,in  bezug  auf  ein  Prädikatsnomen"  stehe,  ,, gleich- 
gültig, ob  dieses  ein  Maskuhnum  oder  Femininum,  ob  es  Einzahl 
oder  Plural  ist"  (vgl.  die  Rezension  Bd.  XXXVI,  H.  6,  p.  168 
dieser  Ztschr.).  —  Schließlich  —  das  ist  dann  aber  auch  der 
aller  letzte  Punkt  —  wäre  der  p.  6  versuchten  Anzweiflung 
von  Rodhes  Behauptung,  daß  üui  quinzieme»  (statt  mvec  quatorze 
compagnons)  eine  veraltete  Wendung  sei  —  unter  Berufung  auf 
Elle  troisidme,  eile  se  disputait  le  coeur  de  B.  avec  une  lady  (aus 


280  Referate  und  Rezensionen.     D.   Behrens. 

einem  modernen  Werke  über  Byron)  —  entgegenzuhalten,  daß  hier 
das  Elle  troisieme  doch  wohl  nicht  Elle  avec  deux  compagnes, 
sondern  Elle  etant  troisieme  dans  ce  groiipe  d'amis  (etwa  „sie  als 
dritte  im  Bunde")  bedeutet. 

Schlachtensee.  Theodor  Kalepky. 


1.  Odin,  ItOuise.  Glossaire  du  patois  de  Blonay.  Preface  de 
Ernest  Muret.  Public  avec  l'appui  de  la  Gon- 
federation  et  de  la  Commission  du  Glossaire  des  patois 
de  la  Suisse  romande.  Lausanne,  Georges  Bridel  &  Cie. 
Editeurs  1910.  XII,  714  S.  8«.  Prix:  12  fr.  [Memoires 
et  Documents  publies  par  la  Societe  d'histoire  de  la 
Suisse  romande]. 

S.  Boillot,  F".  Le  patois  de  la  commune  de  La  Grand'  Combe 
( Doubs).  Ouvrage  illustre  de  63  gravures  et  de  2  cartes. 
Paris,  Librairie  ancienne  Honore  Champion.  1910. 
L,    394  S.     8°.     Prix:  15  fr. 

3.  l<ecoiiile,  Cli.    Le  parier  dolois.    Etüde  et  Glossaire  des 

Patois  compares  de  l'arrondissement  de  Saint-Malo  suivi 
d'un  releve  des  locutions  et  dictons  populaires.  Paris, 
Honore  Champion,  1910.  241  S.  8«.  Prix:  5  fr. 
[Contribution  ä  l'etude  des  Litteratures  orales]. 

4.  Ravanat,  Albert.     Dictionnaire  du  patois  des  environs 

deCrenoble.     Grenoble,  Jules  Key,  1911.     199  S.  Gr.  8». 

5.  ]>aire,    Le  Pero.     DicHonnaire  picard  gaulois  et  frangois. 

Contenant   aussi  les  mots  gaulois   approchants   le   plus 
du   dialecte   de   la   Picardie   avec  leur  signification   en 
frauQois.     Ouvrage  indispensablement  necessaire  ä  tous 
ceux  qui,  par  necessite,  par  etude,  par  plaisir  ou  par 
etat,  se  trouvent  dans  le  cas  de   dechiffrer  les  archives. 
Mis  en  ordre,  complete  et  public  d'apres  le  manuscrit 
autographe  p.  A.  L  e  d  i  e  u.    Paris,  H.  Champion,  1911. 
LVII,  166  S.     8». 
1«  Nicht  nur  unter  den  hier  verzeichneten,  sondern  unter 
den  überhaupt  bis  jetzt  veröffentlichten  Mundartwörterbüchern 
des  gallo-romanischen  Sprachgebietes  nimmt  dasjenige  Louise 
O  d  i  n's  einen  wichtigen  Platz  ein.     Als  „le  plus  grand  evenement 
dans  le  domaine  de  nos  etudes  speciales"  wird  es  von  der  Redaktion 
des  Glossaire  des  patois  de  la  Suisse  Romande  in  ihrem  12.  Jahres- 
bericht bezeichnet.     Das  darin  in  sorgfältiger  phonetischer  Um- 
schrift mitgeteilte,  überaus  reichhaltige  Sprachmaterial,  das  auf 
dem   engbegrenzten    Gebiet   der   Gemeinde   Blonay  im    Kanton 
Vaud  gesammelt  und   der  Umgangssprache   direkt  entnommen 
wurde,  ist  für  linguistische  wie  für  volkskundliche  Studien  in  der 


Odin,  Louise.  281 

Tat  von  außerordentlichem  Wert.  Leider  sollte  die  Verfasserin, 
Mutter  des  als  Professor  in  Sophia  früh  verstorbenen  Romanisten 
Alfred  Odin,  das  Erscheinen  des  Werkes  nicht  mehr  erleben. 
Sie  starb  am  29.  Januar  1909,  nachdem  die  Drucklegung  des 
Glossaire  nahezu  beendet  war.  Über  ihre  schweren  Lebens- 
schicksale sowie  über  Entstehung  und  Veröffentlichung  ihres  jetzt 
vorliegenden  Lebenswerkes  unterrichtet  Ernest  Muret  im  Vor- 
wort in  sehr  sympathischer  Weise. 

3.  Recht  wertvoll  ist  auch  F.  Boillot's  Buch  über  die  Mund- 
art von  La  Grand'  Combe  im  Departement  Doubs.  Wie  in 
L.  Odin's  Glossaire  wird  hier  ein  der  Umgangssprache  direkt 
entnommenes  Sprachmaterial  in  sorgfältiger  phonetischer  Um- 
schrift mitgeteilt  und  gehört  wie  dort  einem  genau  bestimmten, 
geographisch  eng  begrenzten  Bezirk  an,  über  den  zwei  Karten 
detaillierte  Auskunft  geben.  Den  Inhalt  bilden  außer  einer  zu 
breit  angelegten  und  zu  allgemein  gehaltenen  Einleitung  (p.  I — L) 
Bemerkungen  zur  Formenlehre  und  Syntax  (p.  1 — 39),  für  die 
Rabiet's  bekannte  Studie  über  das  Patois  von  Bourberain  als 
Vorbild  diente,  ein  durch  63  gute  Abbildungen  illustriertes 
Vocabulaire  (p.  40 — 312),  das,  ohne  auf  Vollständigkeit  Anspruch 
zu  machen,  ein  reichhaltiges  Material  bietet,  mehrere  nach  Be- 
griffskategorien angeordnete  Wörterverzeichnisse  (p.  313 — 349), 
eine  sehr  willkommene  Wiedergabe  der  im  Atlas  Linguistique 
enthaltenen  Wörter  und  Redensarten  in  der  Lautform  der  be- 
handelten Mundart  und  einige  Textproben  in  phonetischer 
Transskription. 

3.  Den  Hauptinhalt  des  Buches  von  Lecomte  bildet  ein 
Glossaire  der  Mundart  von  Dol  im  Arrondissement  St.  Malo, 
Departement  Ille-et-Vilaine.  Voran  geht  eine  kurze  grammatische 
Einleitung  (p.  1 — 32:  Essai  de  Classification  des  mots.  Remarques 
sur  les  lettres.  Morphologie  et  Syntaxe).  Den  Schluß  bildet 
ein  Anhang  (p.  221 — 241)  enthaltend:  Locutions  vicieuses,  Ex- 
pressions populaires  et  Locutions  proverbiales,  Adages  et  Compa- 
raisons,  Proverbes  et  Dictons  usw.  Das  Material  wurde,  wie 
Verf.  im  Vorwort  bemerkt,  der  gesprochenen  Sprache  entnommen, 
,,scupuleusement  verifie  et  transcrit  sans  retouche."  Leider 
wird  der  Wert  dieses  Materials  für  uns  dadurch  sehr  verringert, 
daß  Verf.  dasselbe,  statt  sich  eines  rationellen  Transkriptions- 
verfahrens zu  bedienen,  in  der  Orthographie  der  Schriftsprache 
wiedergibt.  Wo  Verf.  auf  sprachgeschichtliche  Fragen  eingeht, 
geschieht  es  in  ganz  unwissenschaftlicher  W'eise,  indem  er  den 
Sprachstand  der  Mundart  rein  äußerlich  mit  demjenigen  der 
Schriftsprache  vergleicht. 

4.  Das  nach  dem  Tode  seines  Verfassers,  Ravanat,  von 
Emile  Robert  herausgegebene  Dictionnaire  du  patois  des  environs 
de  Grenohle  liegt  in   eleganter  Ausstattung  vor.      R.   hat   aus- 


282  Referate  und  Rezensionen.     W.  Haape. 

drücklich  darauf  verzichtet,  ein  „gelehrtes"  Buch  zu  schreiben. 
Er  bemerkt  im  Vorwort:  ,,^7  est  bien  entendu  qu'il  ne  s'agit  pas 
ici  de  faire  oeuvre  d'erudition,  mais  seulement  ceuvre  utile,  patrio- 
tique  m&me. . .  Mon  but,  c'est  de  preserver  tout  d'abord  le  mot  patois 
d'une  perte  irreparable  et  pour  cela  de  le  recueillir  pieusement 
comme  un  veritable  document  historique  pendant  qu'il  est  temps 
encore,  ensuite,  si  faire  se  peut,  de  l'intercaler  pratiquement  dans 
un  membre  de  phrase  qui  puisse  en  fixer  ä  tout  jamais  la  veritable 
signification."  Es  werden  dementsprechend  Belege  aus  der 
Literatur  der  Mundart  für  die  Mehrzahl  der  aufgeführten  Wörter 
mitgeteilt.  Die  graphische  Wiedergabe  der  letzteren  erfolgte 
nach  „besonderen  Regeln",  die  leider  nicht  näher  dargelegt 
werden.  So  bleibt  es  beispielsweise  unverständlich,  weshalb 
neben  bo  (boeuf)  als  besonderes  Wort  gleichbedeutendes  bd,  wes- 
halb neben  bisi  (,,le  vent  du  Nord,  celui  qui  nous  apporte  le  beau 
temps")  als  besonderes  Wort  bizi  (,,la  bise,  le  vent  en  general, 
mais  surtout  le  vent  du  Nord")  verzeichnet  wird.  Was  die  An- 
ordnung des  Materials  angeht,  so  wirkt  besonders  störend,  daß 
die  Formen  des  Verbums  bald  unter  dem  zugehörigen  Infinitiv, 
bald  jede  für  sich,  in  der  Reihenfolge  des  Alphabets  erscheinen. 
5.  Fast  ausschließlich  noch  für  die  Geschichte  der  Lexiko- 
graphie von  Interesse  ist  das  von  Alcius  Ledieu  aus  dem  Nachlaß 
des  Coelestinerpaters  Daire  (1713 — 1792)  veröffentHchte  alt- 
und  mittelfranzösische  Dictionnaire  Picard,  Gaulois  et  FranQois, 
welches  an  das  von  L.  Favre  1875  ff.  herausgegebene  sehr  viel 
umfassendere  Wörterbuch  La  Curne  de  Sainte-Palaye's  erinnert. 
Ausschließhch  der  den  Buchstaben  A  umfassende  Teil  hat  eine 
eingehendere  Behandlung  erfahren,  von  B  ab  gibt  Verf.  nur  noch 
eine  trockene  Aufzählung  von  Wörtern  mit  Angabe  der  Bedeutung 
und  mit  vereinzelten  Belegen,  resp.  Hinweisen.  Über  Daires 
Leben  und  seine  zahlreichen  Werke  handelt  Ledieu  eingehend 
in  einer  53  Seiten  umfassenden  Einleitung.  Gründe  der  Pietät 
bestimmten  ihn  das  vorliegende  Wörterbuch  vollständig  zum 
Abdruck  zu  bringen,  obwohl  ihm  G.  Paris  den  einsichtsvollen 
Rat  erteilt  hatte,  nur  die  bei  La  Curne  de  Sainte-Palaye  und  bei 
Godefroy  fehlenden  Wörter  zu  veröffentlichen.  Letztere  irgend- 
wie besonders  kenntlich  zu  machen,  hätte  sich  auch  so  empfohlen. 

D.  Behrens. 


BeriLhardt,  F.  W.  Auswahl  aus  Alfred  de  Musset.  Mit  bio- 
graphischer Einleitung,  Anmerkungen  und  einem  Bildnis. 
Berlin,  Weidmann,  1910.  135  S.  und  24  S.  Anmerkungen. 
Preis  1  Mk.  60  Pfg. 

Eine  Schulausgabe,  die  auch  für  die  Privatlektüre  Erwachsener 
bestimmt  und  in  etwas  größerem  Maßstab  angelegt  ist  als  die  in  Band 
XXXV  dieser  Ztschr.  (J.  1909)  angezeigte  Schulausgabe  von  Wers- 
hoven  (A.  de  Musset  pages  choisies).     Sie  umfaßt  1.  Poesie  lyrique  — 


Bernhardt,  F.  W.  283 

Venise,  Jmpromptu,  Tristesse,  A  mon  ami  Alfred  T.,  Rappelle- toi, 
Derniers  vers  de  Musset,  ferner  Bruchstücke  aus  den  Nuits,  der  lettre 
ä  Lamartine,  Souvenir,  Mi-carenie,  Silvia  — -  2.  Prose  —  un  souper 
chez  Mlle  Rachel,  Pauline  Garcia  et  Rachel  Felix,  Le  Poete  aus  Le  Poetle 
et  le  Prosateur,  histoire  d'un  merle  blanc.  —  3.  Theätre.  Fantasio.  II 
faut  qu'une  porte  soit  ouverte  ou  ferniee.  Man  darf  das  hübsch  ausge- 
staltete Büchlein  willkommen  heißen  als  Beitrac:  zur  Einführung  in 
die  Musset'sche  Poesie  und  zur  Erleichterung  des  Verständnisses 
derselben.  Die  Stücke  sind  gut  gewählt;  sie  sind  für  Mussets  dich- 
terische Eigenart  bezeichnend.  Nur  das  Stück  Le  poete  ist  vielleicht 
für  den  Zweck  des  Buchs  weniger  geeignet;  es  gibt  eine  allzu  sub- 
jektive, einseitige,  durch  augenblickliche  Stimmung  beeinflußte  Schil- 
derung des  poete,  des  Dichters  „qui  parle  en  rimes'\  im  Gegensatz  zum 
Prosaiker,  also  auch  zum  Romandichter  und  zum  Verfasser  von  Prosa- 
Dramen. 

Die  Einleitung  (22  S.)  ist  eingehend  und  mit  Wärme  geschrieben 
und  gibt  ein  gutes  Bild  von  dem  Lebensgang  und  den  Werken  des 
Dichters.  Einige  nicht  sehr  wesentliche  Bemerkungen  seien  mir 
der  Genauigkeit  wegen  gestattet:  S.  3  heißt  es,  die  Preisschrift, 
die  Musset  als  Schüler  gefertigt,  habe  gehandelt  „de  Vorigine  de  nos 
sentiments".  Die  Arbeit  —  abgedruckt  in  der  neuen  Ausgabe  von 
Bire  —  war  in  lateinischer  Sprache  geschrieben;  das  Thema  lautete: 
Quaenam  sint  judiciorum  motiva?     An  cuncta  ad  unum  possint  reduci? 

S.  12.  Die  beiden  Gedichte  Une  boune  fortune  und  Lucie  möchte 
ich  nicht  als  ,, mäßige"  Erzeugnisse  des  Dichters  bezeichnen. 

S.  14.  Die  nuit  venitienne  wurde  am  1.  Dezember  1830,  nicht 
1831,    aufgeführt. 

S.  19.  Die  Äußerung  von  H.  Heine,  daß  Musset  so  unbekannt 
sei  wie  ein  chinesischer  Dichter,  wird  von  Mme  Jaubert  aus  dem  Jahre 
1835  (nicht  1839)  berichtet. 

S.  20.  Die  Artikel  über  Jean  Paul  im  Temps  sind  nicht  als  Teil 
der  Revue  fantastique,  sondern  für  sich  unter  dem  Titel  Pensees  de 
Jean  Paul  erschienen.  Poesie  1  y  r  i  q  u  e.  Impromptu  S.  31  Z.  6. 
Ecouter  s  a  n  s  son  coeur  Druckfehler  für  d  a  n  s  son  cceur. 

Zu  den  Anmerkungen:  S.  6La  chaumiere  incendiee:  Der 
Landmann  sieht  nicht  nach  seiner  Rückkehr  sein  Hab  und  Gut  in 
Flammen  aufgehen,  sondern  er  sieht  bei  seiner  Heimkehr  die  Zer- 
störung schon  vollendet. 

S.  9.  Rappelle-toi  ist  nicht  zu  einer  Mozart-Arie  gedichtet,  son- 
dern einem  deutschen  Liede,  verfaßt  von  Max  von  Knebel,  komponiert 
angeblich  von  Mozart,  in  Wirklichkeit  von  L.  Schneider,  nach- 
gedichtet (vergl.  den  vom  Herausgeber  angeführten  Aufsatz  des 
Unterzeichneten  in  dieser  Ztschr.  Bd.  34,  1). 

S.  13  Z.  233.  Uinvasion:  „Der  Einfall  der  Verbündeten  1805." 
Die  Jahreszahl  ist  offenbar  ein  Druckfehler  für  1814. 

S.  14  Z.  374.  Percgrinations  cruelles:  Da  die  histoire  d'un  merle 
blanc  schon  1842  geschrieben  wurde,  kann  hier  die  Verbannung 
Victor  Hugos  vom  Jahre  1851  bis  zum  Sturz  Napoleons  IIL  nicht 
gemeint  sein. 

S.  16  Z.  735.  Oh!  que  mon  genie  füt  une  perle  et  que  tu  fusses  Cleo- 
pätre!  Nach  der  Anmerkung  hätte  Kleopatra  dem  Antonius  eine 
Perle  in  Essig  aufgelöst  zu  trinken  gegeben.  Ich  kenne  die  Anekdote 
in  der  Gestalt,  daß  Kleopatra  selbst  die  Perle  trinkt;  so  ist  die  An- 
spielung verständlich,   andernfalls  nicht. 

In  „Fantasio''  (S.  108  Z.  948)  sagt  der  Held  des  Lustspiels:  der 
Zufall  hat  dem  einfältigen  Prinzen  von  Mantua  eine  Krone  auf  den 
Kopf  fallen  lassen  „comme  Vaigle  d' Eschyle  sa  tortue".  Es  ist  eine 
Anspielung  auf  die  Sage,  wonach  Aeschylus  durch  eine  Schildkröte, 


284  Referate  und  Rezensionen.     August  Sturnijels. 

ihm  die  auf  das  Haupt  fiel,  seinen  Tod  fand.     In  einer  Schulausgabe 
wäre  wohl  eine  Erläuterung  der  Anspielung  ani  Platze  gewesen. 

Den  Anmerkungen  sind  einige  metrische  Übersetzungen  Musset- 
scher  Gedichte  beigefügt.  Es  ist  gewiß  nichts  dagegen  zu  erinnern, 
wenn  den  Schülern  gute  Übertragungen  vorgeführt  werden,  die  den 
Geist  des  Dichters  getreu  und  mit  dichterischem  Schwung  wieder- 
geben. Die  mitgeteilten  Übertragungen  entsprechen  aber  nicht  durch- 
weg diesen  Erfordernissen.  Mussets  Lyrik  ist  überhaupt  sehr  schwer 
zu  übersetzen,  namentlich  die  kleinen  Gedichte  mit  den  leichtbewegten 
kurzen  Verszeilen.  Auch  Freiligrath,  dem  wir  so  treffliche  Über- 
setzungen verdanken,  hat  mit  Musset  nicht  viel  Glück  gehabt.  Man 
vergleiche  z.  B.  das  Gedicht  Vcnise  mit  der  (im  Buche  mitgeteilten) 
Freiligrath'schen   Übersetzung: 

Dans   Venise  la  rouge 

Pas  un  bateau  qui  bouge 

Pas  un  pecheur  dans  Ceau, 
Pas  un  falot  pp. 

Venedig  stolz  von  Blicken, 

Kein  Roß  auf  deinen  Brücken, 

Kein  Fischer  am  Gestad, 

Kein  Licht  am  Pfad  etc. 

(Hahn  übersetzt  weit  besser: 

Nun  gleiten  durch  das  rote 
Venedig  keine  Boote  — 
Kein  Fischer  rings  und  kei 
Laternenschein.) 
In  dem  weiter  folgenden  ,Jmpro7nptu"  (Qu'est-ce  que  la  poesie)  — 
übertragen  von  Hahn  —  ist 

Chasser  tont  souvenir  et  fixer  la  pensee 
übersetzt: 

Erinn'rung  flie  h'n  und  ihren  Geist  gestalten. 
(Wie  dies  zu  machen  wäre,  ist  mir  unklar.)  Der  Sinn  des  Verses  dürfte 
sein:  jede  Erinnerung,  die  ablenken  könnte,  verbannen  und  die  Ge- 
danken sammeln,  konzentrieren. 

Aimer  le  vrai,  le  beau,  chcrcher  leur  hannonie, 
Ecouter  dans  son  cceur  Vecho  de  son  genie: 
Des  Wahr'  imd  Schönen  Harmonie  beschwören, 
Im  tiefsten  Herzen  Geisterstimmen  hören. 
N  icht  Geisterstimmen  hört  der  Dichter,  sondern  die  Stimme  seines 
G  eistes. 

W.  Haape. 


Ein  neues  Lesebuch  für  den  französischen  Sprach- 
unterricht. 

Herrig,  li.     La     France    Litteraire.     Edition    abr^g^e.     Morceaux 
choisis  des  grands  öcrivains  frangais  du    17e  au  20e  siecle 
par    Eugene    Pariselle.      Braunschweig,    G.    Wester- 
mann.    Preis  geb.   3,50  Mk. 
Da  die  große  Ausgabe  des  bekannten  Lesebuchs  La  France  Litte- 
raire von  Herrig-Burguy-Tendering    in  der  Tat  zu  um- 
fangreich ist,  als  daß  sie  in  den  drei  oberen  Klassen  unserer  höheren 
Schulen  entsprechend  ausgenutzt  werden  kann,  so  hat  sich  der  Verlag 
zur  Herausgabe  einer  neuen  kürzeren  Ausgabe  entschlossen.    Die  Be- 
zeichnung derselben  als  Edition  abregee  kann  die  Vorstellung  erwecken, 
daß  es  sich  um  einen  bloßen  Auszug  aus  der  großen  Ausgabe  handle. 


Zwei  neue  Realienbücher.  285 

Dem  ist  jedoch  nicht  so,  da  nur  ein  kleiner  Teil  der  Texte  eine  Kürzung 
gestattete  und  die  meisten  Stücke  durch  neue  ersetzt  werden  mußten. 
Daß  bei  dieser  Auswahl,  die  das  neunzehnte  Jahrhundert  mit  Recht 
bevorzugte,  stets  sehr  geschickt  verfahren  wurde,  können  wir  bei 
aller  Anerkennung  des  Geleisteten  nicht  zugeben.  Die  schönen,  be- 
sonders für  die  Schule  und  Erziehung  geltenden  Grundsatze  »multum, 
non  multa«  und  »qui  trop  embrasse  mal  etreint«  wurden  nicht  immer 
im  Auge  behalten.  Vollständig  wegfallen  konnten  Malherbe,  La 
Rochefoucauld,  Le  Sage,  Buffon,  Bernardin  de  Saint-Pierre,  Thierry, 
G.  Sand,  Th.  Gautier.  Mit  der  gekürzten  Wiedergabe  je  eines  Dramas 
yon  Corneille  (le  Cid),  Moliere  (les  Femmes  Savantes)  und  Racine 
(Athalie)  kann  man  einverstanden  sein;  jedoch  wird  zur  vollständigen 
Lektüre  je  eines  weiteren  Dramas  der  klassischen  Periode  daneben 
keine  Zeit  bleiben.  —  Fr.  Copp^e  hätten  wir  lieber  durch  la  Greve  des 
Forgerons  oder  la  Veillee  vertreten  gesehen. 

Der  durchaus  französisch  abgefaßte  Kommentar  gibt  in  aller 
Kürze  die  Biographien  der  vertretenen  Schriftsteller  nebst  Würdigung 
ihrer  literarischen  Bedeutung  und  ferner  die  zur  Vorbereitung  der 
Texte  nötigen  historischen,  geographischen  und  sprachlichen  Hinweise. 
Erläuterungen  ästhetisch-kritischer  Natur  sind  dem  Lehrer  überlassen. 
—  Beachtenswert  ist  dann  noch  die  äußere  Ausstattung  dieses  Lese- 
buchs: es  sind  ihm  16  schöne  Abbildungen  von  berühmten  Pariser 
Bauwerken  und  französischen  Landschaften,  ein  Plan  von  Paris  und 
eine  Karte  der  Departements  in  Buntdruck  beigegeben. 

Zwei  neue  Realienbücher  für  das  Studium  des 
Französischen. 

1.  Bornecqne,  H.,  et  Böttgers,  B.     La  France  d" Aujourd'hui. 

Avec  101  illustrations  et  4  cartes  ou  plans.  Prix  4  Mk.  Wien, 
F.  Tempsky  und  Leipzig,  G.  Frey  tag,   1910.  —  258  Seiten. 

2.  Cr^tin,  P.  M.     La   France,    Passe,    Present,    Avenir.      Ouvrage 

presentant  un  tableau  de  l'evolution  historique,  litteraire, 
artistique  de  la  France,  de  sa  Situation  politique,  adminis- 
trative, demographique,  materielle,  morale,  intellectuelle, 
militaire,  economique,  etc.,  et  quelques  considerations  sur 
son  avenir.  Avec  10  graphiques,  2  cartes  et  un  plan.  1910, 
Leipzig  et  Berlin,  B.  G.  Teubner.  —  184  S.     Preis  2,40  Mk. 

Diese  beiden  Bücher  behandeln  etwa  dieselben  Stoffe;  jedoch  sind 
Auswahl,  Art  und  Sprache  der  Darstellung  oft  sehr  verschieden  und 
zwar  besonders  mit  Rücksicht  auf  die  Kreise,  für  die  sie  bestimmt. 
Bornecque  richtet  sich  besonders  an  die  oberen  Klassen  unserer  höheren 
Lehranstalten,  wie  der  Verfasser  in  der  Vorrede  bekennt;  doch  wird 
das  Buch  trotz  der  Schönheit  seiner  Ausstattung  da  viel  weniger 
Anklang  finden  als  bei  den  ,, reiferen  Personen,  die  das  heutige  Frank- 
reich gut  kennen  lernen  wollen"  und  deren  Berücksichtigung  den  Ver- 
fasser in  erster  Linie  geleitet.  Von  der  Verwendung  in  unseren  Ober- 
klassen kann  schon  deshalb  nicht  die  Rede  sein,  weil  die  gründliche 
Behandlung  bestimmter  Werke  der  französischen  Literatur  keine 
Zeit  zur  entsprechenden  Ausnutzung  einer  solchen  Realienkunde  übrig 
läßt,  dann  weil  diese  in  der  Auswahl  und  sprachlichen  Behandlung 
gewisser  Stoffe  (Organisation  judiciaire,  Venseignement,  armee  et  marine, 
finances,  le  mouvement  litteraire,  r Institut  u.  a.)  weit  über  das  in  höheren 
Schulen  Faßbare  und  Erreichbare  hinausgeht.  —  Der  historische  Ab- 
schnitt führt  in  großen  Zügen  von  Ludwig  XIV.  bis  1907.  Der  geogra- 
phische Abschnitt  verweilt  besonders  eingehend  bei  Paris.  In  dem 
Teil   „Organisation  de    la  France''  wird  besonders  der  Unterricht  auf 


286  Referate  und  Rezensionen.     Augiisl.  Sturmjels. 

allen  Stufen  behandelt.  ,.La  France  litteraire,''  in  theälre,  roman, 
critique  und  poesie  eingeteilt,  führt  die  bedeutendsten  Schriftsteller 
seit  1880  in  der  abstrakten,  oft  verschwommenen  Ausdrucksweise  der 
neueren  französischen  Kritik  und  Literarhistoriker  vor.  —  Dann 
folgen  les  beaux-arts  depuis  1880  und  V Institut.  —  Der  letzte  Abschnitt, 
la  vie  et  les  mceurs  frangaises  betitelt,  umfaßt  die  Kapitel  chemins  de 
fer,  la  vie  materielle  (les  repas),  la  vie  intellectuelle  (journaux,  revues, 
cours,  theätrc),  le  caractere  franr.ais  und  les  fete.t.  Angenehm  aufge- 
fallen ist  uns  dabei  besonders  die  Offenherzigkeit,  der  Freimut,  mit 
dem  der  französische  Nationalcharakter  unter  steten  positiven  Hin- 
weisen auf  geschichtliche  Ereignisse  beurteilt  ist.  —  Ein  Anhang 
orientiert  über  Übungskurse  für  fremde  Studenten,  den  Postdienst 
und  die  Abfassung  von  Briefen. 

Das  Buch  kann  allen  denen  empfohlen  werden,  die,  auf  positive, 
durch  Studium,  Lektüre,  Reisen  und  Erfahrungen  erworbene  Kennt- 
nisse gestützt,  einen  Überblick  über  die  Geschichte,  die  Geographie, 
die  Verfassung,  die  Wehrkraft,  Kunst  und  Literatur,  das  Bildungs- 
wesen und  das  Alltagsleben  des  heutigen  Frankreich  genießen  wollen. 
—  Wenn  jedoch  der  Verfasser  seinen  Lesern  gleichzeitig  die  Gelegen- 
heit geben  wollte,  ,,de  connaitre  la  langue  usuelle,  teile  que  Vecrivent 
aujourdliui  les  FranQois  cultives",  so  hat  ihn  diese  Absicht  oft  zu  Satz- 
konstruktionen verleitet,  die  die  Feile  des  klaren  französischen  Stiles 
vermissen   lassen. 

Das  Buch  von  C  r  e  t  i  n  ist  für  Handels-  undGewerbeschulenbestimmt. 
In  seinen  Abschnitten  über  die  Geographie,  den  Boden,  die  Bevölkerung, 
die  Erzeugnisse,  Handel,  Gewerbe  und  Kolonien  gibt  es  deshalb  ein 
reicheres  Material,  meistens  in  Verbindung  mit  statistischen  Angaben. 
Die  historischen  Abschnitte  über  die  politische  Geschichte  sowie  über 
die  Literatur  und  Kunst  gehen  im  Gegensatz  zu  den  betreffenden 
Kapiteln  bei  Bornecque  auf  die  Anfänge  der  Entwicklung  zurück.  — 
Im  Anschluß  an  die  Besprechung  der  jetzigen  wirtschaftlichen  und 
politischen  Lage  Frankreichs  und  der  Gefahren,  die  es  in  Gestalt  der 
Entvölkerung  und  des  Alkoholismus  bedrohen,  eröffnet  der  Verfasser 
Ausblicke  auf  die  Zukunft,  die  da  wahrscheinlich  zu  einer  Union  Europas, 
zunächst  wenigstens  auf  wirtschaftlichem  Gebiete,  führen  werde.  — 
Eine  Schilderung  von  Paris  schließt  das  Buch  ab.  —  Das  Ganze  ist  in 
dem  Ausdruck  des  konzisen  wissenschaftlichen,  allerdings  oft  auch 
trockenen  Stils  gehalten,  leider  aber  durch  eine  unverzeihlich  große 
Anzahl  von  Druckfehlern  entstellt. 

Kiene,  Paul,  Gymnasialprofessor  a.  D.,  Pasing  bei  München, 
Der  unheilvolle  Konflikt.  Zur  Reform  des  französischen  Sprach- 
unterrichts. München,  Verlag  der  ärztlichen  Rundschau 
Otto  Gmelin,   1910.  —  73   S.     Preis   1,40  Mk. 

Der  Verfasser  geht  von  der  Tatsache  aus,  daß  am  bayerischen 
humanistischen  Gymnasium  der  französische  Unterricht  erst  in  Unter- 
sekunda beginnt  und  sich  in  Sekunda  mit  3,  in  Prima  mit  2  Stunden 
begnügen  muß,  während  alle  anderen  deutschen  Staaten  ihn  schon  in 
Quarta  beginnen  lassen  und  z.  B.  Preußen  ihn  in  Sekunda  und  Prima 
mit  je  3  Wochenstunden  ausgestattet  hat.  In  der  Schlußprüfung 
der  Progymnasien,  nach  Ablauf  der  Untersekunda,  also  nach  etwa 
100  Stunden  Französisch,  wird  für  dieses  Fach  eine  Hinübersetzung 
verlangt,  deren  deutscher  Text  im  Auftrag  der  obersten  Schulbehörde 
von  einem  Herrn  für  alle  Anstalten  bestimmt  wird.  ,,An  15  der  Pro- 
gymnasien hat  das  Französische  irgend  ein  klassischer  Philologe,  der 
seit  Verlassen  des  Gymnasiums  nie  eine  Prüfung  aus  dem  Fach  ablegte, 
nie  einen  Nachweis  über  leidlich  richtige  Aussprache  erbrachte."  Seit 
1901   verlangt    ein    neues  Lehrprogramm   für  die  schriftliche  Reife- 


Kiene,    Paul.  287 

Prüfung  der  humanistischen  Vollgymnasien  die  Übersetzung  eines 
französischen  Prosatextes  von  mäßiger  Schwierigkeit  in  das  Deutsche 
und  die  Übersetzung  eines  „stilistisch  einfachen"  Textes  in  erzählender 
Form  in  das  Französische.  Von  vielen  Neusprachlern  ist  nun  dringend 
für  die  Prima  eine  3.,  für  die  Untersekunda  eine  4.  französische  Stunde 
verlangt  worden.  Diesen  Tatsachen  und  Wünschen  gegenüber  nimmt 
nun  der  Verfasser  Stellung  in  seinen  allzu  breitspurigen  und  oft  unklaren 
Ausführungen.  Das  Ergebnis  dieser  ziemlich  dispositionslosen  Aus- 
führungen ist  etwa  das  folgende:  man  kann  sich  mit  den  3,  bezw.  2 
Stunden  in  Sekunda,  bezw.  Prima  begnügen;  doch  müssen  starke 
Untersekunden  während  der  ersten  (also  Winter-)  Monate  für  das 
Französische  geteilt  werden;  gruppenweise  Lautschulung  in  halben 
Nebenstunden  während  der  ersten  5  bis  6  Monate  legt  den  Grund  zu 
guter  Aussprache  für  die  ganze  Schulzeit;  der  Unterricht  darf  nur 
von  Herren  gegeben  werden,  deren  Aussprache  richtig  ist.  Von  Laut 
zu  Laut,  von  Wort  zu  Wort  schreitend,  geht  der  Unterricht  zum  Zahl- 
wort, Hauptwort,  Zeitwort;  ,, geschrieben  wird  nie;  das  gedruckte 
Wortbild  haben  die  Schüler  stets  vor  Augen."  Die  erste  schriftliche 
Erprobung,  aus  einzelnen  Worten  und  Wortverbindungen  bestehend 
und  nur  1/4  Stunde  während,  findet  nicht  vor  dem  3.  Monat  des  Anfangs- 
unterrichts statt.  ,,Nach  der  ersten  Probearbeit  geht  es  zu  neuen  Worten, 
kurzen  Sätzen,  welche  die  Schüler  allmählich  so  sprechen  sollen,  daß 
einsichtige  Franzosen  ihre  Freude  daran  haben  sollen."  Mit  Recht  ver- 
Vvirft  der  Verf.  für  die  erste  Zeit  alle  Übersetzung  aus  dem  Deutschen; 
,,sie  wäre  gleichbedeutend  mit  Verzicht  auf  gute  Aussprache."  — 
,,Von  der  Beendigung  des  Sätzelernens  an  dient  die  ganze  Zeit,  dienen 
in  Prima  beide  Wochenstunden  der  Lektüre  und  ihrer  Verarbeitung." 
Also:  ,, Lautschulung  bis  zur  Vollkommenheit,  durch  Sätzelernen 
zum  Schriftsteller."  Was  die  schriftlichen  Arbeiten  in  Prima  anlangt, 
so  sind  es  Hinübersetzungen  von  Stellen  der  Prosalektüre,  vom  Lehrer 
mit  Rücksicht  auf  vorher  bezeichnete  grammatische  Abschnitte  ge- 
formt und  mit  eigenartigen,  vorher  mündlich  geübten  Wendungen 
ausgestattet.  Mit  dem  größten  Optimismus  spricht  der  Verf.  von  den 
guten  Folgen  seiner  Behandlung,  die  ja  wohl  möglich  sind,  wenn  der 
Lehrer  die  geeignete  ,, Persönlichkeit"  ist,  auf  die  es  nach  S.  24  mehr 
ankommt  als  auf  die  ,, Methode":  ,, schiefe  Körperhaltung,  Kurzsichtig- 
keit, schlechte  Schrift  befördert  dieser  Arbeitsplan  nicht;  Schüler 
und  Lehrer  verausgaben  ihre  Arbeitslust  nicht  mit  der  Fertigung  und 
Verbesserung  schriftlicher  Hausaufgaben;  Neigung  zur  Unredlichkeit 
entsteht  nicht;  nach  jahrelanger  Vernachlässigung  erleichtert  diese 
Methode  im  späteren  Leben  eine  wieder  aufgenommene  Beschäftigung 
mit  dem  Französischen".  Kiene  ist  von  der  Leistungsfähigkeit  seiner 
persönlichen  ]\Iethode  so  sehr  überzeugt,  daß  er  die  von  Fachkollegen 
verlangte  3.  Primastunde  ablehnt,  und  zwar  in  demselben  Atem,  in 
dem  er  das  Dictee  eines  französischen,  von  München  gesandten  Textes 
als  Bestandteil  der  schriftlichen  Reifeprüfung  zurückweist.  Die  Be- 
gründung hierfür  ist  sehr  drollig:  ,,Wenn  der  Lehrer  des  Französischen 
krank  ist,  wer  liest  dann  das  Diktat  vor?  Ein  Fachkollege,  der  anders 
spricht,  dessen  Aussprache  den  Schülern  fremd  ist?"  Diese  naiven 
Fragen  lassen  durchblicken,  daß  der  Verf.  seine  gute  Aussprache  sogar 
bei  Fachkollegen  selten  zu  finden  glaubt,  während  doch  eine  richtige 
Aussprache  als  etwas  Festes,  Unabänderliches  mindestens  bei  Neu- 
sprachlern vorauszusetzen  ist  und  demnach  eine  gegenseitige  Ver- 
tretung die  Schüler  nicht  sofort  aus  dem  Konzept  bringen  darf.  —  Un- 
verständlich ist  mir  auch  der  Eifer  geblieben,  mit  dem  der  Verf.  gegen 
die  für  die  Untersekunda  der  Gymnasien  verlangte  4.  Stunde  kämpft. 
Oder  ist  dabei  engherziger  bayerischer  Partikularismus  im  Spiel,  der 
vor  ,, blinder  Nachahmung  württembergischer,  preußischer  Verhält- 
nisse" (S.  33)  warnen  zu  müssen  glaubt  ?    Diesen  Verdacht  legt  besonders 


288  Referate  und  Rezensionen.    August  Sturmfels. 

das  auf  S.  43  Gesagte  nahe:  „Der  aus  dem  deutschen  Norden  er- 
tönende Ruf  nach  Herabsetzung  der  Stundenzahl  der  Neusprachler 
zwingt  zur  Annahme,  daß  es  an  großen  preußischen  Schulen  um  die 
Aussprache  der  Schüler  nicht  gut  bestellt  ist.  Der  herrliche  Rat  der 
Lehrpläne,  einen  Teil  dessen,  was  früher  der  schriftlichen  Hausarbeit 
zufiel,  bei  richtiger  methodischer  Behandlung  in  die  Schule  zu  ver- 
legen, scheint  noch  himmelweit  davon  entfernt  zu  sein,  dort,  wo  er 
auf  dem  Papier  steht,  auch  zu  leben.  Daß  an  preußischen  Anstalten 
die  Lautschulung  im  argen  liegt,  wird  offen  zugegeben."  —  Wie  wäre 
diese  auch  möglich,  wo  doch  Kiene,  der  Erfinder  der  ,, Zauberwirkung 
der  Lautschulung"  (S.  41)  bisher  bescheiden  nur  in  IBayern  gewirkt 
und  von  seiner  alle  Rätsel  lösenden  Methode  geschwiegen  hat? 

Mit  Freuden  können  wir  dem  Verfasser  zustimmen,  wenn  er 
die  Gleichheit  derselben  schriftlichen  Maturitätsaufgabe  für  alle 
Schulen  des  Landes  ,,ohne  stilistische  Schwierigkeiten"  bekämpft, 
die  Möglichkeit  der  Einfügung  eines  realgymnasialen  Unterbaus  in 
das  Gymnasium,  bezw.  Progymnasium  befürwortet  und  im  Interesse 
einer  guten  französischen  Lautschulung  die  Verwendung  von  Neu- 
sprachlern auch  für  den  Lateinunterricht  der  Progymnasien  verlangt. 

Buckeley,  Joseph.  Prüf ungs- Aufgaben  für  das  Lehramt  der 
neueren  Sprachen  in  Bayern.  Nürnberg,  Karl  Koch  1910. 
L  Teil:  Übersetzungen  in  die  fremden  Sprachen.  98  Seiten; 
geheftet  1,50  Mk.  —  IL  Teil:  Diktate  und  Übersetzungen 
aus  den  fremden  Sprachen.     117   Seiten,  geh.   1,50  Mk. 

Der  Titel  vorliegender  Sammlung  ist  falsch  und  kann  irre  führen; 
der  erste  Teil  enthält  nicht  etwa  französische  oder  englische  Texte, 
sondern  die  deutschen  Texte  der  seit  1873  in  Bayern  gestellten 
Prüfungsarbeiten  für  das  Französische  und  Englische.  Diese  Texte 
tragen  den  Charakter  geschichtlicher  und  literaturgeschichtlicher 
Darstellung  und  sind  zum  Teil  Lessing,  Ranke,  Treitschke,  Schiller, 
Weber,  Stacke,  Gervinus,  Bismarcks  Gedanken  und  Erinnerungen 
entnommen,  zum  Teil  wohl  von  den  prüfenden  Professoren  zusammen- 
gestellt. Da  sie  in  Wortschatz  und  Satzbau  die  Schwierigkeiten  bieten, 
die  in  der  Prüfung  für  das  Lehramt  der  neueren  Sprachen  im  allge- 
meinen auf  Deutschlands  Hochschulen  bewältigt  werden  müssen, 
so  kann  diese  Sammlung  wohl  auch  nichtbayerischen  Kandidaten  zur 
Vorbereitung   empfohlen   werden. 

Der  zweite  Teil  enthält  die  von  1873  bis  1909  gegebenen  franzö 
sischen  und  englischen  Texte,  Abschnitte  aus  Taine,  Lamartine,  Sainte- 
Beuve,  Faguet,  Thiers,  bezw.  Thackeray,  Macaulay,  Hallam,  Turner, 
Carlyle,  Ruskin,  Freeman,  Bulwer  u.  a.  Auch  viele  Gedichte  sind 
vertreten,  so  Feuilles  d'Automne  von  Victor  Hugo,  le  Livre  blanc  von 
Brizeux,  Lucie  von  A.  de  Musset,  Satire  VI  von  Boileau,  le  fils  de 
Louis  XI  von  F.  Coppee,  Azay  von  A.  Theuriet,  Juin  von  Sully-Prud- 
homme,  bezw.  Milton's  Paradise  Lost,  To  a  Sky-Lark  von  Shelley, 
Elegy  written  in  a  country  churchyard  von  Th.  Gray,  Childe  Harold's 
Pilgrimage  von  Byron,  the  Seasons  von  J.  Thomson,  Evnngeline  von 
Longfellow,  Ulysses  von  Tennyson  u.  a.  —  Außerdem  hat  Buckeley 
noch  die  von  1894  bis  1909  gestellten  allgemeinen  Themen  der  deutschen 
und  fremdsprachlichen  Aufsätze  hinzugefügt.  Den  Lesern  dieser 
Zeitschrift  dürften  einige  Titel  französischer  Aufsätze  nicht  unin- 
teressant sein:  les  commencements  de  la  poesie  dramatique  en  France, 
Quel  profit  estimez-vous  avoir  tire  de  vos  etudes  faites  ä  V Universitc .^  — 
Quels  avantages  la  connaissance  de  la  langue  frangaise  nous  procure-t-elle  ? 
—  La  France  et  V Allemagne  (comparaison),  description  de  la  vie  d^etu- 
diant  en  Allemagne  (lettre  ä  un  ami  en  France),  influence  du  fournalisme 
dans  la  societe  moderne. 


Neue  französische  Lehrbücher.  289 

Auch  dieser  Teil  der  Sammlung  sei  Kandidaten  für  das  Lehramt 
der  neueren  Sprachen  warm  empfohlen! 

Neue  französische  Lehrbücher. 

1.  Fetter.  J.  und  Ullrich.  K..  la  France  et  les  Frangais.  Lehrgang 
der  französ.  Sprache  für  Mädchenlyzeen  und  verwandte  Lehr- 
anstalten. L  T  e  i  1  :  mit  9  Abbildungen  und  einer  farbigen 
Karte  von  Frankreich.  4.  umgearbeitete  Auflage;  Preis 
geb.  1  K.  40  h.  119  S.  Wien,  1909,  A.  Pichlers  Ww.  u.  Sohn. 
—  2.  T  e  i  1  :  4.  umgearb.  Auflage,  Preis  geb.  2  K.  178  S. 
ebenda. 

2,  Fetter,  J.  und  nirich.  K.,  la  France  et  les  Fran^ais.  Lehrgang 

der  franz.  Sprache  für  Realschulen.  2.  T  e  i  1  =  13.  Auflage 
des  IL  Teils  des  Lehrgangs  der  franz.  Sprache.  Mit  10  Ab- 
bildungen und  einer  farbis;en  Karte  von  Frankreich.  Preis 
geb.  1  K.  80  h.     170  S.    Wien  1910,  ebenda. 

3.  Rossmanii,   Ph.    und    Schmidt,   F.      Lehrbuch   der   iranzös. 

Sprache  auf  Grundlage  der  Anschauung.  1.  Teil,  Aus- 
gabe B.  XII -f  403  S.  Preis  geb.  3,50  Mk.  Bielefeld 
u,   Leipzig,    1909,   Velhagen    &    Klasing. 

4.  dasselbe:  Ausgabe  C:  für  höhere  Mädchenschulen,  in  3  Bänden, 

bearbeitet  nach  den  Bestimmungen  vom  12.  Dezember  1908: 

1.  Band  -  Klasse  7:  IV  +  104  S.  Preis  1,25  Mk.  1909, 
ebenda. 

2.  Band=  Klasse   6   u.    5:   VIIM-  324   S.     Preis   3   Mk. 

1909,  ebenda. 

3.  Band-  Klasse  4,  3,  2,  1:  X  ^  299  S.     Preis  2,80  Mk. 

1910,  ebenda. 

5,  Haberlands  Unterrichtsbriefe  für  das  Selbststudium   lebender  Fremd- 

sprachen mit  der  Aussprachebezeichnung  des  Weltlautschrift- 
vereins. Französisch  von  H.Michaelis  u.  P.  P  a  s  s  y. 
Kursus  IL  Brief  21—40.  =  Seite  430—940.  Preis  15  Mk. 
—  E.  Haberland,  Leipzig. 

1.  Was  in  Band  XXVII,   S.  207  ff.  dieser  Ztschr.  über  Fetter- 
Alschers   französ.   Übungs-  und   Lesebuch   für  Mädchenlyzeen  gesagt 
worden  ist,  gilt  im  allgemeinen  auch  von  dieser  neuen  Gestalt  des  Buches. 
In  die  Lautlehre  sind  grammatische  Angaben  über  Geschlecht,  Plural- 
bildung  und    Deklination    der    Substantive    verwoben.      Mit   großem 
Geschick  werden  die  Konjugation  von  avoir,  etre  und  donner  und  die 
Grammatik  der  Pronomina  und  Adjektiva  vermittelt.     Die  Regeln 
werden  mit  Recht  in  beiden  Sprachen  gegeben.     Lesestückchen  und 
Wortschatz,  dem  Gedanken-  und  Interessenkreis  des  entsprechenden 
Alters  angepaßt,  zeugen  von  dem  pädagogischen  Geschick  der  Ver- 
fasser.     Die  Mitteilungen   über   la  France  et  les   Frangais   S.    77 — 80 
bahnen  das  Interesse  und  Verständnis  für  das  fremde  Land  und  Volk 
an.    Auch  die  Auswahl  der  Lesestückchen,  Gedichte  und  laeder  S.  81 
bis  91  ist  anzuerkennen.     Beanstanden  möchte  ich  nur  die  Angabe 
der  doch  immer  noch  selteneren  Formen  des  bons  parents,  du  bon  pain, 
de  la  bonne  viande  S.  67,  die  Wahl  des  Wortes  medius  statt  doigt  du 
milieu  S.  60  und  die  Verwendung  des  phonetischen  Zeichens  w  statt  f 
zur  Bezeichnung  des  Konsonanten  in  i>in.    An  Druckfehlern  verzeichne 
ich  S.  24,  Z.  6  v.  u.  ces  banc,  S.  56,  Z.  1  v.  u.  Genetiv,  S.  60  Mitte  lui- 
saut  statt  luisant. 


290  Referate  und  Rezensionen.    August  Sturmjels. 

2.  Dieser  zweite  Teil  erweitert  die  Grammatik  im  Anschluß  an 
gut  gewählte  Lesestückchen,  deren  Form  und  Inhalt  in  geschickt  ge- 
stellten Fragen  und  Aufgaben  verarbeitet  wird.  Die  Angaben  über 
la  France  et  les  Frangais  werden  dem  Alter  entsprechend  erweitert. 
Wie  in  Teil  1  ist  auch  hier  auf  Deutsche  ins  Französische  zu  über- 
setzende Übungsstücke  verzichtet  worden,  was  vielleicht  die  Anhänger 
der  sogen,  alten  Methode  abhalten  wird,  diesen  Teil  für  ihren  Unter- 
richt zu  wählen.  Zu  billigen  ist  besonders  die  Zusammenstellung  der 
Verben  in  allen  Formen  und  die  Hinzufügung  eines  vocahulaire  alpha- 
betique. 

3.  Auch  in  dieser  neuen  Gestalt  wird  das  seit  18  Jahren  rühmlichst 
bekannte  Lehrbuch  allen  denen  willkommen  sein,  die  als  Freunde 
natürlicher  Spracherlernung  von  der  Anschauung  und  damit  von  den 
Sachen  ausgehen  wollen  und  die  fremde  Sprache  nicht  durch  Über- 
setzung aus  der  Muttersprache,  sondern  aus  und  an  ihr  selbst  erwerben 
lassen.  Allen  exercices  sind  methodische  Übungen  beigegeben,  so  daß 
das  Stellen  der  Aufgaben  noch  mehr  vereinfacht  und  die  häusliche 
Überwachung  der  Aufgaben  und  Wiederholungen  erleichtert  worden 
ist.  Sprachlich  schwierigere  Abschnitte  sind  ausgeschieden  oder  dem 
Grundsatz  des  Fortschreitens  vom  Leichteren  zum  Schwereren  ent- 
sprechend an  spätere  Stelle  versetzt  worden,  so  das  Kapitel  vom 
Teilungsartikel,  vom  reflexiven  Verb  u.  a.  Das  Kapitel  ,, Lautschrift" 
hat  eine  ganz  andere  Gestalt  erhalten,  indem  nun  exercices  1 — 7  voll- 
ständig in  phonetischer  Fassung  mit  entsprechender  Belehrung  und 
Grammatik  getrennt  gegeben  und  die  übrigen  phonetischen  Texte 
ohne  das  Gegenstück  der  üblichen  Orthographie  zusammengestellt 
sind.  Unter  den  historischen  Ab.schnitten  ist  Charlemagne  et  le  pelit 
Roland  nach  Pussy  neu  aufgenommen,  dagegen  la  retraite  de  Russie 
par  V.  Hugo  gestrichen  worden.  Neu  hinzugekommen  sind  ferner 
proverbes,  enigmes  und  locutions  de  classe,  sowie  ein  besonderes  Wörter- 
verzeichnis zu  den  Lektionen  1 — 49. 

4.  Das  erste  Bändchen  der  Ausgabe  für  höhere  Mädchen- 
schulen deckt  sich  zunächst  mit  dem  Anfang  der  eben  besprochenen 
Ausgabe,  von  der  es  exercices  1 — 28  unverändert  wiedergibt.  Dann 
enthält  es  für  die  Anfangsstufe  geeignete  Gedichte:  la  fete  de  maman, 
le  Noel  des  bergers,  le  sapin,  les  cadeaux  du  jour  de  Van  und  die  Lieder 
Quand  trois  poules,  fai  passe  par  la  porte  de  Sl.  Denis,  A  Paris,  le  som- 
meil  de  Venjant,  le  hon  camarade.  Der  grammatische  Abschnitt  umfaßt 
natürlich  nur  Lautlehre  und  Konjugationstabelle.  —  Das  zweite 
Bändchen  gibt  unverändert  alle  übrigen  exercices,  die  lectures  choisies, 
enigmes,  chansons,  Grammatik  und  das  alphabetische  Wörterverzeichnis 
der  Ausgabe  B.  Eine  besondere  Präparation  ist  nur  für  Lektion  1—21 
gegeben.  Von  den  Gedichten  konnten  Nr.  1 — 4,  von  den  Liedern  Nr.  3, 
4,  5,  7,  10  wegbleiben,  da  sie  schon  im  Bändchen  des  Anfangsjahres 
(Klasse  7)  enthalten  sind.  —  Das  dritte  Bändchen,  für  die  vier  oberen 
Klassen  der  Mädchenschulen  bestimmt,  deckt  sich  vollständig  mit 
dem  mir  eben  in  5.  Auflage  (1908)  vorliegenden  IL  Teil  des  Lehrbuchs. 
Die  23  Exercices  geben  geschichtliche  Stoffe,  Beschreibungen,  Dialoge, 
Novellistisches  und  Technisches  und  damit  den  Wortschatz  der  ver- 
schiedenen Gebiete  sprachlichen  Ausdrucks.  Da  die  Texte  mit  ge- 
ringen Änderungen  französischen  Schriftstellern  entnommen  sind, 
so  tragen  sie  ein  französisches  Gepräge.  An  jedes  der  Lesestücke 
schließen  sich  stilistische,  grammatische  und  lexikologische  Übungen 
in  fremder  Sprache.  Deutsche  Stücke,  bezw.  Einzelsätze  sind,  dem 
Prinzip  der  von  Roßmann-Schmidt  befolgten  sogenannten  Reform- 
methode entsprechend,  nur  in  geringer  Zahl  gegeben.  Die  Grammatik, 
in  deutscher  Sprache  verfaßt,  gibt  die  Regeln  klar  und  knapp  und 
genügt  durchaus  den  Bedürfnissen  aller  höheren  Schulen.  —  Als  recht 


Neue  französische  Lehrbücher.  291 

praktische,  den  wirklichen  Bedürfnissen  des  Lebens  entsprechende  Bei- 
gabe ist  die  kleine  Sammlung  von  Musterbriefen  nebst  Anleitung  zum 
Briefschreiben  zu  bezeichnen.  - —  Das  Vocabulaire  ist  der  Anlage  des 
Buches  und  dem  Prinzip  der  Methode  getreu,  einsprachig  gehalten: 
die  Worterklärungen  sind  französisch  gegeben,  in  vielen  Fällen  durch 
Anschauungsbilder  unterstützt.  In  der  Erkenntnis  jedoch,  da(3  die 
französische  Umschreibung  den  Begriff  gar  oft  nicht  klarstellt  —  man 
veTgle\cA\e  unv  etreindre  =  serrer  fortement  und  serrer  =  presser,  etreindre, 
—  haben  die  Verfasser  sich  zu  zwei  Zugeständnissen  im  Sinne  der 
alten  Methode  bequemt:  oft  ist  die  deutsche  Übersetzung  zugefügt, 
wie  z.  B.  bei  acier,  epinard,  marmotte,  fönte,  geriet,  resine,  seuil;  außer- 
dem haben  sie  ..für  besondere  Bedürfnisse"  ein  französisch-deutsches 
Wörterbuch  in  besonderer  Ausgabe  veröffentlicht.  Dieses  Entgegen- 
kommen ist  um  so  mehr  zu  begrüßen,  als  nun  das  Buch  mit  gutem 
Gewissen  auch  den  Vertretern  der  vermittelnden  Methode  als  eines 
der  besten  Lehrmittel  warm  empfohlen  werden  kann. 

5.  Der  zweite  Kursus  der  französischen  Unterrichtsbriefe  kann 
als  die  würdige  Fortsetzung  des  Buches  bezeichnet  werden,  das  wir 
in  Band  XXXII,  S.  217  ff.  dieser  Zeitschr.  in  durchaus  günstigem 
Sinne  besprechen  konnten.  Er  umfaßt  in  abermals  zwanzig  Briefen 
gut  ausgewählte,  charakteristische  Proben  aus  den  Werken  der  be- 
deutendsten Schriftsteller  der  drei  letzten  Jahrhunderte.  Mit  Recht 
ist  der  rückwärtsschreitende  Gang  gewählt  worden,  da  die  Schrift- 
steller des  18.  und  besonders  des  17.  Jahrhunderts  wegen  der  Schwierig- 
keit und  teilweise  veralteten  Form  der  Ausdrucksweise  dem  Verständnis 
schwerer  zugänglich  sind  als  die  der  neueren  Zeit.  Von  den  Haupt- 
vertretern der  neueren  Literatur,  von  A.  Daudet,  Mistral,  Zola,  Coppee, 
Sully-Prudhomme  und  den  großen  Lyrikern  der  zweiten  Hälfte  des 
19.  Jahrhunderts  wird  der  Lernende  zu  V.  Hugo,  Musset,  G.  Sand, 
Beranger,  Lamartine,  Chateaubriand  und  den  großen  Historikern 
des  19.  Jahrhunderts  geführt,  um  dann  die  Größen  des  18.  Jahr- 
hunderts (Mirabeau,  Montesquieu,  Rousseau,  Voltaire,  Diderot)  und 
die  großen  Prosaiker  und  Dichter  der  Zeit  Ludwigs  XIV.  kennen  zu 
lernen.  Wenn  zuletzt  noch  Proben  aus  Descartes,  Pascal  und  aus 
der  Literatur  des  16.  Jahrhunderts  gegeben  sind,  so  vermögen  wir 
darin  keinen  Vorzug  zu  erblicken ;  der  Raum  wäre  besser  der  Literatur 
des  18.  und  19.  Jahrhunderts  gewidmet  worden,  deren  große  Vertreter 
bei  der  zu  weit  gehenden  Berücksichtigung  von  Männern  zweiten 
Ranges  oft  mit  zu  spärlichen  Proben  abgetan  werden  mußten.  Die 
Texterläuterung  ist  fast  durchaus  in  französischem  Gewände  gegeben, 
schwierigere  Partien  vereinzelt  in  deutscher  Übersetzung.  — ■  Aus  den 
konkreten  Beispielen  dieser  Texte  werden,  geschickt  auf  die  zwanzig 
Briefe  verteilt,  die  wichtigsten  Regeln  der  Grammatik  abstrahiert. 
Die  Übungen  im  freien  und  schriftlichen  Gebrauch  bestehen  in  Um- 
formungen des  Gelesenen  u.  dergl.,  z.  B.  Auflösung  in  Fragen  und 
Antworten,  Übertragung  in  phonetische  Schrift,  Bildung  ähnlicher 
Sätze  nach  grammatischen  Gesichtspunkten.  An  deutschen  Stücken 
zur  Übersetzung  in  das  Französische  sind  nur  drei  kleine  gegeben: 
viel  zu  wenig,  als  daß  die  Grammatik  gründlich  befestigt  werden 
könnte. 

An  weiteren  französischen  Texten  außer  den  im  Vordergrund 
stehenden  Proben  der  genannten  Schriftsteller  folgen  in  jedem  Brief 
die  Biographie  des  betreffenden  Autors  und  Abschnitte  einer  Voyage 
en  France,  die  nach  Paris  und  Versailles,  an  das  Meer,  in  die  Pyrenäen, 
nach  Toulouse,  Marseille  und  Lyon  führt.  Dabei  sind,  im  Gegensatz 
zu  dem  Verfahren  des  ersten  Kursus,  die  phonetische  und  die  ortho- 
graphische Form  getrennt,  d.  h.  auf  zwei  aufeinanderfolgende  Briefe 
verteilt:  der  Lernende  soll  die  Sprechform  nach  gründlicher  Durch- 
arbeitung selbständig  in  die  Rechtschreibform  übertragen,  um  beim 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  20 


292  Referate  and  Rezensionen.    August  Slurmjels. 

jeweilig  nächsten  Brief  seine  eigene  Arbeit  mit  der  Druckvorlage  zu 
vergleichen.  In  der  Tat  kann  in  dieser  Übung  ein  guter  Ersatz  für 
das  im  Klassenunterricht  zu  pflegende  Diktat  gesehen  werden. 

Als  besondere  äußere  Zierde  und  Empfehlung  dieses  2.  Kursus 
nennen  Avir  zum  Schluß  noch  die  wohlgelungenen  Porträts  der  Haupt- 
vertreter der  franzö.sischen  Literatur  je  auf  der  ersten  Seite  eines 
jeden  Briefes. 


Der  Meine  Toussaint-Langenscheidt.  Mit  Angabe  der  Aussprache  nach 
dem  phonet.  System  der  Methode  T.-h.-Französisch.  Zur 
schnellsten  Aneignung  der  Umgangssprache  durch  Selbst- 
imterricht  von  A.  Gornay.  Berlin-Schöneberg,  Langen- 
scheidtsche  Verlagsbuchhandlung.  CCGXX  +  220  -f  284  S. 
IG».     Preis  geb.  3  Mk. 

Die  wichtigsten  Teile  dieses  Buches  sind  1.  die  genaue  Erklärung 
der  Aussprachezeichen,  2.  die  Grammatik,  3.  neunundzwanzig  Ge- 
spräche über  alle  Gebiete  des  heutigen  Lebens,  4.  ein  deutsch-französ. 
imd  5.  ein  küi'zeres  französ.-deutsches  Wörterbuch. 

Die  Aussprache  ist  überaus  gewissenhaft  behandelt  und  nach 
dem  System  Toussaint-Langenscheidt  bezeichnet.  Bei  einer  großen 
Anzahl  von  Stichproben  in  allen  Teilen  des  Buches  habe  ich  auch 
kein  einziges  Versehen  entdeckt.  Ein  kurzes  Gedicht,  von  dem  Ver- 
fasser des  Buches  stammend,  enthält  alle  vokalischen  und  konsonan- 
tischen Laute.  Besonderen  Dank  verdient  die  drei  Seiten  umfassende 
Zusammenstellung  ähnlich  lautender  und  von  x\nfängern  leicht  ver- 
wechselter Wörter  mit  stimmhaften,  bezw.  stimmlosen  Konsonanten 
(gueux  queue,  vont  fönt,  gant  camp  u.  ä.).  —  Sehr  eingehend  ist  die 
Grammatik;  sie  gibt  sogar  sehr  häufig  des  Guten  zu  viel,  wie  z.  B.  im 
Kapitel  der  Pluralbildung,  bei  der  Aufzählung  der  Adjektive  auf  -al 
ohne  männlichen  Plural,  bei  der  Konkordanz,  der  Moduslehre.  Wäre 
hier  mit  Rücksicht  auf  das  praktische  Bedürfnis  gekürzt  worden, 
so  hätte  man  Raum  gewonnen  für  eine  übersichtlichere  Anordnung, 
z.  B.  der  Zahlwörter  S.  CIX,  der  unregelmäßig  gebildeten  weiblichen 
Substantiva  S.  CLXVII  {ahbe  abbesse,  canard  cane,  dindon  dinde  u.  ä.), 
der  verneinenden  Adverbien  CCCIII  (ne-pas,  ne-personne  etc.).  Un- 
praktisch ist  die  Verwendung  dicker  und  großer  Buchstaben  neben 
dünnen  und  kleinen  im  selben  Wortkörper,  z.  B.  bei  der  Darstellung 
der  unregelmäßigen  Verben.  Der  Lernende  gewinnt  kein  klares  Bild; 
die  Auffassung  wird  ihm  viel  mehr  erschwert  als  erleichtert.  —  Die 
Gespräche  führen  alle  Gebiete  des  heutigen  Lebens  vor:  Eisenbahn, 
Hotel,  Restaurant,  Theater,  Postwesen,  Arzt,  Schneider,  Optiker, 
Buchhändler,  Sport,  Obstladen  usw.  Jedesmal  stehen  der  ortho- 
graphische französische  Text,  die  phonetische  Umschrift  und  die  wört- 
liche deutsche  Übersetzung  übereinander;  die  gute  deutsche  Form 
folgt  nach,  leider  in  sehr  kleinem.  Druck.  Damit  jeder  sein  eigener 
Lehrer  werden  kann,  hat  der  Verlag  den  Unterricht  an  der  Hand 
dieser  Gespräche  in  Verbindung  mit  dem  Grammophon  ermöglicht, 
indem  dabei  die  Stimme  des  vorsprechenden  Franzosen  durch  die 
mittels  des  Schallwellenträgers  erzeugte  Grammophonstimme  ersetzt 
wird.  —  Von  den  zwei  Wörterbüchern  ist  das  deutsch-französische 
viel  umfangreicher:  es  unterscheidet  ziemlich  vollständig  die  Syno- 
nvma  (vgl.  Zug),  gibt  sachliche  Auskunft  über  französische  Verhält- 
nisse (z.  B.  die  Feiertage  S.  27,  das  Parlament  S.  106,  Pferderennen 
S.  109,  Polizei  S.  113,  Restaurant  S.  122,  Heerwesen  S.  147,  Speisen, 
Krankheiten,  Sprachunterricht,  Unterrichtswesen,  Zeitungen,  Ge- 
tränke) und  gibt  viele  sprachliche  Zusammenstellungen,  z.  B.  Namen 


Delauncy,  Augusle.  293 

von  Flüssen,  Getränken,  Inseln,  Kleidungsstücken,  Ländern  und 
Völkern,  Meeren,  Körperteilen,  von  musikalischen,  photographischen 
und  anderen  Ausdrücken,  Speisen,  Ausdrücken  des  Theaterlebens  u.  f.  s. 

Darmstadt.  August  Sturmfels. 


Delauney.  Aaguste.  Französische  Aufsatzlehrc.     Leipzig,  Zechel, 
1909.     40  S.  (0,90  Mk.). 

Dieses  für  den  Schüler  bestimmte  Büchlein  eines  französischen 
Verfassers,  der  seine  Sprache  schon  seit  Jahren  an  einer  deutschen 
Schule  lehrt,  faßt  in  Kürze  noch  einmal  alles  zusammen,  was  aus  dem 
grammatischen  Pensum  der  vorhergehenden  Jahre  für  den  französischen 
Satzbau  des  aufsatzschreibenden  Schülers  von  Wichtigkeit  ist.  Die 
Wiedergabe  einiger  häufiger  Germanismen  und  Gallizismen  in  der 
anderen  Sprache  und  die  Regeln  über  den  französischen  Satzanfang 
sind  besonders  beachtlich.  Die  drei  wesentlichsten  Eigenschaften 
des  französischen  Stils:  Kürze,  Klarheit  und  Lebendigkeit  werden 
entwickelt  und  durch  sechs  auch  inhaltlich  interessante  Musteraufsätze 
veranschaulicht. 

Dresden.  Wolfgang  Martinl 


Boewe,  Heinrich  et  Delaiiney,  Auguste.     Manuel  de  lec- 
tures  courantes.     Leipzig,   Dürr,    1910.      116  S.      1,40  Mk. 

Ein  Deutscher  und  ein  Franzose,  die  beide  schon  jahrelang 
die  französische  Sprache  in  Deutschland  lehren,  veröffentlichen  hier 
62  französische  Lesestücke,  die  sehr  geschickt  die  wichtigsten  Gebiete  des 
häuslichen  und  öffentlichen  Lebens  in  Stadt  und  Land  umfassen,  und  so 
in  ansprechender  Form  einen  nach  allen  Seiten  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  vollständigen  praktischen  Wortschatz  in  seiner  natürlichen 
Anwendung  im  Leben  vermitteln.  Der  Anhang  liefert  ein  besonderes 
Wörterverzeichnis  für  jedes  Stück.  Die  Verfasser  bestimmen  das 
Buch  zunächst  für  die  höheren  Klassen  der  deutschen  ,, Bürger-, 
Mittel-  und  Realschulen".  Man  kann  es  aber  auch  jeder  anderen 
Schulgattung  empfehlen,  und  es  wird  jedem  französisch  Lernenden, 
insbesondere  dem,  der  nach  Frankreich  reisen  will,  eine  willkommene 
Unterstützung  bieten.  Ob  er  sich  zum  Frühstück  oder  zum  Mittag- 
essen an  den  Tisch  setzt,  ob  er  auf  der  Post  oder  im  Laden  eine  Be- 
sorgung zu  machen  hat,  ob  er  ins  Theater  oder  auf  den  Jahrmarkt, 
zum  Arzt  oder  auf  die  Polizei,  auf  die  Jagd  oder  auf  den  Fischfang 
geht,  stets  wird  er  in  diesem  Buche  eine  kleine  Schilderung  oder  Er- 
zählung finden,  die  alle  notwendigen  Ausdrücke  im  Zusammenhange 
verwendet.  Eine  Reise  nach  Paris,  Rundgänge  durch  Paris  und  andere 
den  Verfassern  bekannte  Städte,  ein  Landaufenthalt,  eine  Feuers- 
brunst, französische  Feste  etc.  werden  geschildert.  Auch  ,,la  semaine 
aviatique"  darf  heutzutage  nicht  fehlen.  Die  Anordnung  der  Stücke 
schreitet  vom  Einfachen  zum  Sch\vierigeren  fort,  zwingt  aber  dem 
Lehrer  keine  bestimmte  Reihenfolge  auf.  Auch  das  Wörterverzeichnis 
nimmt   durch   häufige   Wiederholung   auf   diese    Freiheit   Rücksicht. 

Dresden.  Wolfgang  Martini. 


Pfohl,  Ernst.  Neues  Wörterbuch  der  französischen  und  deutschen 
Sprache  für  den  Schul-  und  Handgebrauch.  2  Teile:  Franz. - 
Dtsch.  und  Dtsch.-Franz.  XII  u.  620  S.  u.  542  S.  in  einem 
Leinenband  geb.   7   Mk.     Leipzig,   F.  A.   Brockhaus,    1911. 

20* 


294  Referate  und  Rezensionen.    C.  Th.  Lion. 

Die  Abfassung  des  neuen  Wörterbuchs  von  Pfohl  kommt  in  der 
Tat  einem  Bedürfnis  entgegen,  insofern  es  eine  Menge  neu  geprägter, 
wichtiger  Wörter,  die  im  täglichen  Leben  und  Verkehr  vorkommen, 
und  viele  moderne  Redensarten,  die  sich  bisher  in  keinem  Wörterbuch 
finden,  aufgenommen  hat.  Durch  zweckmäßige  Kürzungen  ist  es 
möglich  geworden,  das  Wörterbuch  reichhaltiger  zu  gestalten,  ohne 
den  Umfang  über  das  durch  seine  Bestimmung  gebotene  Maß  hinaus 
zu  vergrößern. 

Ob  ein  Wörterbuch  gut  ist,  d.  h.  dem  Nachschlagenden  die  nötige 
Auskunft  bietet,  läßt  sich  nur  bei  seinem  Gebrauche  erkennen.  Ich 
habe  es  bei  dem  Lesen  von  Octave  Feuillet,  Le  jownal  d'une  femme 
(Paris,  Calmann-Levy)  geprüft  bei  Wörtern  und  Wendungen,  deren 
Bekanntschaft  ich  bei  einem  schon  ziemlich  sprachkundigen  Leser 
bezweifeln  zu  müssen  glaubte,  und  dabei  gefunden,  daß  es  nur  in 
folgenden  Fällen  zu  wünschen  übrig  ließ.^) 

Bei  Feuillet  a.  a.  O.  p.  17  findet  sich  .  .  .  tendant  vers  eile  son  joli 
visage  et  ses  deux  josseties.  —  Vraiment  ?  Voyez-vous  cela  ?  dit  ma 
grand'mere,  ardez  le  beau  museaul  Unter  arder,  ardre  mußte  bemerkt 
werden,  ,,s.  auch  ardez''',  damit  man  nicht  für  ardez  le  beau  museau, 
das  auf  Moliere  Depit  am.  4,  4,  7  zurückzuführen  ist,  auf  Abwege  gerät. 

—  Octave  Feuillet  p.  24:  une  perruche  feu.  jeu  in  der  Bedeutung 
„feuerfarben'"  fehlt  in  allen  Wörterbüchern,  die  mir  zur  Hand  sind, 
z.  B.  auch  im  Petit  Larousse  illustre.  —  Für  passer  une  inspection 
p.  31  fehlt  unter  passer  die  Bedeutung  ,, durchmachen,  vornehmen, 
anstellen."  —  Zu  A  vol  d'oiseau,  comment  les  trouves-tu?  p.  34  reicht 
das  Wb.  unter  oiseau  mit  „ä  vol  d'oiseau  in  gerader  Richtung"  nicht 
aus.  Sachs  gibt  für  ä  vol  d'oiseau  aus  der  Vogelperspektive,  das  er 
für  besser  erklärt  als  ä  vue  d' oiseau  (bei  Pfohl:  aus  der  Vogelschau). 
p.  40  findet  sich  der  Plural  Urre-neuves  (Neufundländer.)  Pfohl:  pl. 
=  sg.  —  p.  49:  en  banne  fortune  (in  guter  Stimmung,  dgl.)  avec  moi- 
meme  fehlt  in  jedem  Wörterbuche.  —  p.  56:  Venvers  de  ses  merites: 
unter  envers  wäre   ,, Kehrseite   [Gegenteil   Widerspiel]"  nachzutragen. 

—  p.  56:  dans  cette  honnete  moyenne:  unter  moyenne  wäre  statt  ,, Durch- 
schnittszahl" ,,Durchschnitt(szahl)"  zu  setzen.  —  p.  61:  d't-paisses 
moustaches    en    her  s  e    fehlt  noch  überall. 

Man  sieht,  es  sind  nur  Kleinigkeiten  und  wenige  Fälle,  die  neben 
den  zahlreichen  Stellen,  wo  das  Wb.  recht  befriedigende  Auskunft 
gab,  nicht  in  Betracht  kommen,  und  ich  bin  zu  dem  Ergebnis  gelangt, 
daß  ich  das  Wb.  von  Prof.  Pfohl  für  den  Schul-  und  Handgebrauch 
wegen  der  erstrebten  guten  Eigenschaften,  die  es  in  der  Tat  besitzt, 
wegen  seiner  Handlichkeit  und  seines  klaren  gut  leserlichen  Druckes, 
sowie  wegen  seines  biligen  Preises  (die  Seite  kostet  0,6  Pf.)  angelegent- 
lich empfehlen  zu  können  glaube.  Die  Ableitung  der  Wörter  ist  nicht 
angegeben;  damit  ist  viel  Raum  gespart,  und  es  ist  schließlich  wohl 
zu  billigen,  daß  der  Verfasser  davon  Abstand  genommen  hat,  da  der 
gewöhnliche  Leser,  dem  es  nur  um  das  Verständnis  des  Inhalts  zu  tun 
ist,  sich  meist  nicht  darum  kümmert  und  der  Schüler  von  dem  Lehrer, 
wenn  dieser  es  für  nötig  hält,  die  Belehrung  darüber  erhalten  kann. 

1)  o  r  t  m  u  n  d.  C.   Th.  Lion. 

^)  Die  Wahl  des  Buches  erklärt  sich  durch  den  Umstand,  daß  ich 
zufällig  damit  beschäftigt  war,  es  zu  lesen,  ist  aber  dadurch  gerecht- 
fertigt, daß  es  in  mustergültigem,  modernem  Französisch  geschrieben 
ist  und  sein  Verfasser  mit  seinem  Roman  d'un  jeune  homme  pauvre 
bereits  für   Schullektüre  herangezogen  worden  ist. 


Miszelle. 


Einige  merkwürdige  Beispiele 
von   Kompoisitions    Übertragiuagen.      Corneille, 
Racine.    I^a  Fontaine   und   L<ionardo    da  Tinci. 

Wenn  man  sich  die  Meisterwerke  der  Kunst  betrachtet,  dann  wird 
einem  nicht  immer  gleich  in  die  Augen  springen,  wie  der  Künstler 
bei  der  Anlage  seiner  Arbeit  verfahren  ist.  Alles  scheint  uns  um  so 
natürlicher  und  selbstverständlicher,  je  einfacher  das  gewählte  Motiv 
behandelt  ist.  Aber  eben  in  dieser  ,, selbstverständlichen"  Einfachheit 
liegt  ein  Hauptmoment  des  künstlerischen  Schaffens,  in  der  Berechnung 
nämlich  auf  jene  Wirkung  hin,  die  sich  nicht  eingestellt  haben  würde, 
wenn  der  Vorgang,  nehmen  wir  einmal  einen  historischen  wie  die 
Krönung  Wilhelm  I.  in  Königsberg,  von  Menzel,  selbst  im  allergünstig- 
sten  Moment  photographisch  aufgenommen  worden  wäre.  Das 
Materielle  an  und  für  sich,  so  wichtig  es  unter  Umständen  auch  sein 
mag,  wird,  sobald  es  in  das  Gebiet  der  Kunst  eintritt,  sich  doch  immer 
ihren  Forderungen  und  Voraussetzungen  fügen  müssen,  und  das,  was 
dem  Historiker  außerordentlich  wichtig  erscheint,  mag  für  den  Künstler 
oft  unbequem,  ja  für  die  Entfaltung  seiner  Kunst  manchmal  geradezu 
hinderlich  sein.  Der  Maler  will  eben  einen  malerischen  Gedanken 
entwickeln,  der  Architekt  einen  räumlichen  und  der  Bildhauer  einen 
plastischen.  Ein  jeder  sieht  deshalb  den  Vorgang  von  einer  ganz 
anderen  Seite  an  und  ist  deshalb  auch  bemüht,  ihn  auf  seine  Art  sich 
gefügig  zu  machen.  Es  muß  also  komponiert,  d.  h.  geschoben  und 
gerückt,  ergänzt  oder  beschnitten,  oft  auch  gänzlich  umgeformt  und 
neugeschaffen  werden,  um  die  Kunst,  die  für  die  betreffende  Dar- 
stellung die  passendste  ist,  auch  in  dem  ihr  eigenen  Wesen  zum 
Ausdruck  zu  bringen.  Jede  Kunst  trägt  also  ihre  Bedingungen  in 
sich,  auch  hinsichtlich  der  Regeln  ihrer  Komposition. 

Es  hat  nun  Zeiten  gegeben,  wo  man  diese  Kompositionskunst, 
z.  T.  in  Weiterverfolgung  der  Raphaelschen  Praxis,  arg  überschätzt 
hat,  so  daß  die  eigentliche  Aufgabe  der  betreffenden  Kunst  darüber 
vergessen  worden  ist.  Bezüglich  der  Malerei  brauche  ich  nur  an  unsere 
verflossene  Kartonaera  zu  erinnern  und,  um  ein  Beispiel  anzuführen, 
an  die  unkünstlerisch  bunten  Kompositionskunststücke  Wilhelm  von 
Kaulbachs  an  den  Wänden  des  Treppenhauses  im  Alten  Berliner 
Museum.  Sie  und  andere  ,, Kompositionen"  haben  diese  Art  Kunst 
arg  in  Mißkredit  gebracht,  und  die  Moderne  tut  sich  etwas  darauf 
zugute,  daß  sie,  wie  sie  sagt,  nicht  komponiert,  sondern  nur  bemüht 
ist,  einen  Ausschnitt  aus  der  Natur  zu  geben.  Dieser  soll  allerdings 
individualistisch  geschaut,  oder,  um  mich  der  Zolaschen  Formel  z» 
bedienen,  durch  ein  Temperament  gesehen  werden.  —  Aber  gerade 
das  Aufsuchen  eines  solchen  Ausschnittes,  das  Herausfinden  der  Stelle, 
wo  dem  Baum  oben  die  Krone  abgeschnitten  werden  muß,  oder  den 
Figuren  unten  die  Beine,  beweist  eine  ganz  raffinierte  Kompositions- 
kunst. 


296  Miszelle. 

Ohne  Komponieren  geht  es  nun  einmal  nicht.  Das  gilt  für  den 
Architeken  und  Bildhauer  ebenso,  wie  für  den  Maler  und  nicht  minder 
für  den  Dichter.  Schon  die  Verteilung  des  dramatischen  Stoffes  auf 
die  üblichen  fünf  Akte  setzt  diese  Kunst  voraus  und  bestände  sie  nur 
in  der  Führung  der  Handlung  über  Exposition  und  Steigerung  zur 
Höhe  und  von  dort  abwärts  zum  Rückschlag  und  zur  Katastrophe, 
die  Handlung  muß  daraufhin  gezwungen,  d.  h.  komponiert  werden. 
Solche  Komposition  ist  aber  natürlich  und  dem  Verlauf  der  Handlung 
angemessen.  Sie  wird  auch  sofort  als  richtig  empfunden  und  im  Falle 
einer  unbegründeten  Abweichung  vermißt.  Das  liegt  im  Gefühl, 
entspricht  also  der  Forderung  der  Aufnahmestelle  für  diese  Kunst. 

Es  gibt  nun  aber  auch  Fälle,  wo  gewisse  Kompositionsarten  dem 
vorliegenden  Gegenstande  nicht  angemessen  sind,  wo  die  betreffenden 
Künstler  sich  an  Muster  gehalten  haben,  die  für  ihre  Kunst  nicht 
passen.  Also  Kompositions  Übertragungen  von  einer 
Kunst  au  f_  die  andere.  Im  folgenden  wollen  wir  einige  Bei- 
spiele solcher  Übertragungen  aus  dem  Gebiete  der  französischen  Lite- 
ratur des  XVII.  Jahrhunderts  anführen  und  dann  den  Versuch  machen, 
ihre  im  Gebiet  der  darstellenden  Kunst  liegende  Quelle  nachzuweisen. i) 

Corneille. 

Von  allen  Stücken  Corneilles  bietet  vielleicht  sein  C  i  n  n  a  in 
der  dritten  Szene  des  ersten  Aktes,  wo  der  Titelheld 
seiner  BrautEmilia  den  Bericht  über  dieVerschworenen- 
Versammlung  abstattet,  das  auffälligste  Beispiel  einer  eigen- 
artigen Kompositionskunst.  Nehmen  wir  die  ganze  Szene,  so  läßt  sie 
vor  und  hinter  dem  eigentlichen  Bericht,  deutlich  von  ihm  abgetrennt, 
Einleitung  und  Schluß  erkennen.  Die  Einleitung  enthält  die 
besorgte  Frage  Emiliens,  ob  die  Verschwörer  einig  wären  (in  kleinere 
Abschnitte  zerlegt:  4+8  +  4  Verse),  der  Schluß  ihren  ermuti- 
genden Zuspruch  und  ihre  Mahnung  an  den  Bräutigam,  vorsichtig 
zu  sein  (19  Verse).  Was  dazwischen  steht  (104  Verse)  bildet  in 
ununterbrochener  Folge  Ginnas  Schilderung  jener  oben  er- 
wähnten Versammlung.  Sehen  wir  uns  die  Art  an,  wie  diese  feurige 
Tirade  komponiert  worden  ist. 

Ihr  erstes  Kennzeichen  ist,  daß  sie  mit  einer  Anrede  an  Emilien 
beginnt  und  auch  mit  einer  solchen  schließt.    Oben: 

Plüt  aux  dieux  que  vous-meme  eussiez  vu  de  quel  zele 

Cette  troupe  entreprend  une  action  si  belle!  (V.  158.) 

unten: 

Voilä,  belle  Emilie,  ä  quel  point  nous  en  sommes,  (V.  249) 
bis : 

Mourant  pour  vous  servir,  tout  me  semblera  doux  . . .  (V.  260.) 
Aber  auch  die  Mitte  des  Berichtes  ist  durch  eine  Anrede  an  Emilien 
ausgezeichnet: 

Vous  dirai-je  les  noms  de  ces  grands  personnages. ...        (V.  205.) 

. pourrais-je  vous  dire  ä  quelle  impatience, . . 

Ces  indignes  tr6pas,  quoique  mal  figur^s, 

Ont  porte  les  esprits  de  tous  nos  conjur^s?  (V.  212.) 

^)  Verf.  ist  auf  diese  Frage  im  Verlauf  seiner  Studien  über  die 
Kunst  des  XVII.  Jh.  gekommen,  von  denen  er  bisher  2  Bände  als 
Beiträge  zur  Geschichte  des  französischen  Dramas  (Corneille,  Halle, 
S.  Niemeyer,  1905,  und  Racine,  ebenda,  1909)  veröffentlicht  hat. 
Vorliegende  Arbeit  wäre  also  in  gewisser  Hinsicht  als  eine  Ergänzung 
jener  beiden  Beiträge  anzusehen. 


Miszelle.  297 

Diese  Anreden  bilden  also  gewissermaßen  den  Rahmen  um  den 
Bericht,  liefern  aber  auch  einen  scharf  fixierten  Mittelpunkt;  denn 
die  mittlere  Anrede  (V.  205 — 212)  hält  sich  in  gleichen  Abständen 
von  den  beiden  äußeren.  Es  sind  von  ihr  aus  genau  48  Verse  bis  zum 
Anfang  des  Berichtes  (V.  153)  und  ebensoviel  bis  zu  seinem  Ende 
(V.  260).  Durch  diese  Rahmenstücke  mit  ihrem  Mittelpunkt  wird  der 
Bericht  in  zwei  große  Abschnitte  zerlegt,  von  denen  jeder  einzelne 
seinem  Inhalt  nach  wieder  in  zwei  Teile  zerfällt,  und  diese  Teile  ent- 
sprechen einander  symmetrisch.  Zuerst  wird  nämlich  von  den 
Verschwörern  gehandelt  (V.  159 — 168).  Von  ihrer  Wut  bei 
bloßer  Erwähnung  des  kaiserlichen  Namens  und  von  der  Mission,  zu 
der  sie  berufen  sind  (4+6  Verse),  dann  folgt  die  Hetzrede 
gegen  Augustus  (V.  169 — 204):  Was  hat  dieser  Mann  nicht 
alles  getan!  (4  V.V.):  An  den  Vätern  der  Verschworenen  (4  V.V.), 
in  den  Bürgerkriegen  (12V.V.),  als  Triumvir  (4V.V.).  In  die  Familien 
\va\  er  den  Mord  getragen!  (12  V.V.). 

Das  steht  vor  der  Mitte  mit  ihrer  Anrede  an  Emilien. 
Hinter  i  h  r  folgt  nun,  in  Korrespondenz  zum  letzten  Abschnitt 
vor  ihr,  der  Mordplan  gegen  Augustus  (V.  213 — 240): 
Die  Umstände  sind  günstig;  denn  er  verdankt  seine  Macht  nur  der 
Gewalt  (8  V.V.).  Er  steht  allein  (4  V.V.),  kein  Rächer  ist  zu  fürchten 
(4  V.V.).  Morgen  soll  er  fallen,  beim  Opfer  auf  dem  Kapitol!  (4  V.V.). 
Ich  führe  den  ersten  Streich  (4  V.V.),  zeigt  Ihr  Euch  auch  als  Römer! 
(4  V.V.). 

Indem  nun  folgenden  letzten  Abschnitt  (V.  241 — 248) 
kommt  der  Dichter  wieder  auf  die  Verschworenen  zurück, 
von  denen  er  ausging.  Ihr  Eifer  wird  gerühmt  (4  V.V.),  die  Rollen 
werden  verteilt  (4  V.V.). 

Die  Ordnung  ist  musterhaft,  der  Plan  wohl  ausgeklügelt.  In  der 
Mitte  Emilie,  die  auch  die  innerste  Triebkraft  der  Verschwörung  ist. 
Ihr  zunächst,  rechts  und  links,  der  von  ihr  bedrohte  Kaiser  und  dieser 
wieder  von  beiden  Seiten  durch  die  Verschwörer  eingeschlossen!  An 
ein  Entrinnen  ist  also  nicht  zu  denken.  Da  aber  alles,  w'as  geschieht, 
nicht  Cinnas,  sondern  einzig  und  allein  Emiliens  Werk  ist,  so  steht 
sie  nicht  nur  am  Anfang  und  Ende  des  Berichtes  und  in  seiner  Mitte, 
sondern  auch  noch  am  Anfang  und  Ende  der  ganzen  Szene.  Ihre 
Bedeutung  ist  also  fünffach  unterstrichen. 

Der  Bericht  über  die  Verschworenen-Versammlung  hat  demnach 
folgende  Werkstattform : 

Anrede  an  Emilien. 
F'lüt  aux  dieux  que  vous-meme  eussiez  vu  de  quel  zele 
Cette  troupe  entreprend  une  acüon  si  belle! 

a)    D  i  e  V  e  r  s  c  h  w  ö  r  e  r. 

Au  seul  nom  de  Cesar,  d' Auguste,  et  d'empereur, 
Vous  eussiez  vu  leurs  yeux  s'enflammer  de  fureur,  160 

Et  dans  un  meme  instant,  par  un  effet  contraire, 
Leur  front  pälir  d'horreur  et  rougir  de  colere. 

«Amis,  leur  ai-je  dit,  voici  le  jour  heureux 
«Qui  doit  conclure  enfin  nos  desseins  genereux: 
«Le  ciel  entre  nos  mains  a  mis  le  sort  de  Rome,  165 

«Et  son  salut  depend  de  la  perte  d'un  homme, 
«Si  Ton  doit  le  nom  d'homme  ä  qui  n'a  rien  d'humain, 
«A  ce  tigre  altere  de  tout  le  sang  romain. 

b)    Die  Hetzrede  gegen  Augustus. 
«Combien  pour  le  röpandre  a-t-il  forme  de  brigues! 
«Combien  de  fois  change  de  partis  et  de  ligues,  170 


298  Miszelle. 

«Tantöt  ami  d'Antoine,  et  tantot  ennemi, 
«Et  Jamals  insolent  ni  cruel  ä  demi!» 

La,  par  un  long  recit  de  toutes  les  miseres 
Que  durant  notre  enfance  ont  endure  nos  peres, 
Renouvelant  leur  haine  avec  leur  souvenir,  175 

Je  redouble  en  leurs  cceurs  l'ardeur  de  le  punir. 

Je  leur  fais  des  tableaux  de  ces  tristes  batailles 
Oü  Rome  par  ses  mains  dechirait  ses  entrailles...  etc. 

J'ajoute  ä  ces  tableaux  la  peinture  effroyable 
De  leur  concorde  impie,  affreuse,  inexorable,  190 

Funeste  aux  gens  de  bien,  aux  riches,  au  senat. 
Et  pour  tout  dire  enfin,  de  leur  triumvirat; 

Mais  je  ne  trouve  point  de  couleurs  assez  noires 
Pour  en  representer  les  tragiques  histoires. 
Je  les  peins  dans  le  meurtre  ä  Ten  vi  triomphants,  195 

Rome  entiere  noyee  au  sang  de  ses  enfants: 
Les  uns  assassines  dans  les  places  publiques, 
Les  autres  dans  le  sein  de  leurs  dieux  domestiques. . .  etc. 

c)    Anrede  an  Emilien. 

Vous  dirai-je  les  noms  de  ces  grands  personnages  205 

Dont  j'ai  depeint  les  morts  pour  aigrir  les  courages, 
De  ces  fameux  proscrits,  ces  demi-dieux  mortels, 
Qu'on  a  sacrifies  jusque  sur  les  autels? 

Mais  pourrais-je  vous  dire  ä  quelle  impatience, 
A  quels  fremissements,  ä  quelle  violence,  210 

Ces  indignes  trepas,  quoique  mal  figures, 
Ont  porte  les  esprits  de  tous  nos  conjures? 

b)    Der  Mordplan  gegen  August  us. 
Je  n'ai  point  perdu  temps,  et  voyant  leur  colere 
Au  point  de  ne  rien  craindre,  en  etat  de  tout  faire, 
J'ajoute  en  peu  de  mots:  «Toutes  ces  cruautes. .  .  etc.         215 

«Sont  les  degres  sanglants  dont  Auguste  a  fait  choix 

«Pour  monter  dans  le  tröne  et  nous  donner  des  lois.  220 

«Mais  nous  pouvons  changer  un  destin  si  funeste,-) 
«Puisque  de  trois  tyrans  c'est  le  seul  qui  nous  reste, 
«Et  que  juste  une  fois,  il  s'est  prive  d'appui, 
«Perdant,  pour  regner  seul,  deux  mechants  comme  lui. 

«Lui  niort,  nous  n'avons  point  de  vengeur  ni  de  maitre;  225 
«Avec  la  liberte  Rome  s'en  va  renaitre, 
«Et  nous  meriterons  le  nom  de  vrais  Romains, 
«Si  le  joug  qui  l'accable  est  brise  par  nos  mains. 

«Prenons  l'occasion  tandis  qu'elle  est  propice: 
«Demain  au  Capitole  il  fait  un  sacrifice;  230 

«Qu'il  en  soit  la  victime,  et  iaisons  en  ces  lieux 

^)  Von  hier  ab  haben  wir  zugleich  ein  gutes  Beispiel  der  quatraia- 
artigen  Komposition,  der  sich  Corneille  und  auch  Racine  mit  Vorliebe 
im  Dialog  bedienten.  Die  Vorgänge  werden  nämlich  nicht  gleich- 
mäßig oder  in  größeren  oder  kleineren  unregelmäßigen  Abschnitten 
heruntererzählt,  sondern,  wie  Verf.  a.  a.  O.  nachgewiesen  hat,  iu 
strophenartigen  Abschnitten  zu  je  vier  Versen,  die  inhaltlich  zusammen- 
gefaßt werden  können.  Die  1782  Verse  von  Corneilles  Horace  z.  B. 
enthalten  62  Prozent  solcher  strophisch  zusammenfaßbaren  Glieder. 
Racines  erstes  Stück,  die  Thebaide,  zählt  deren  12  Prozent,  sein  zweites, 
der  Alexander,  dessen  ganzer  erster  Akt  auf  diese  Weise  zerlegbar 
ist,  15  etc. 


Miszelle.  299 

«Justice  ä  tout  le  mondc.  ä  la  face  des  dieux: 

«La  presque  pour  sa  suile  il  n'a  que  notre  troupe; 

«C'est  de  ma  main  qu'il  prend  et  l'encens  et  la  coupe; 

«Et  je  veux  pour  signal  que  cetle  meme  main  2.'?i) 

«Lui  donne,  au  lieu  d'encens,  d'un  poignard  dans  le  sein. 
«Ainsi  d'uu  coup  mortel  la  victime  irappee 

«Fera  voir  si  je  suis  du  sang  du  grand  Pompee; 

«Faites  voir  apres  moi  si  vous  vous  souvenez 

«Des  illustres  aieux  de  qui  vous  etes  nes.>^  240 

a)    D  i  e  V  e  r  s  c  h  w  ö  r  e  r. 

A  peine  ai-je  acheve,  que  chacun  renouvelle, 
Par  un  noble  serment,  le  voeu  d'etre  l'idele: 
L'occasion  leur  plait;  mais  chacun  veut  pour  soi 
L'honneur  du  premiei'  coup,  que  j'ai  clioisi  pour  moi. 

La  raison  regle  eni'in  l'ardeur  qui  les  empörte:  245 

Maxime  et  la  moitie  s'assurent  de  la  porte; 
L'autre  moitie  nie  suit,  et  doit  l'environner, 
Prete  au  moindre  signal  que  je  voudrai  donner. 

Anrede  an  Emilien. 

Voilä,  belle  Eniilie,  ä  quel  point  nous  en  sommes. 
Demain  j'attends  la  haine  ou  la  faveur  des  hommes,  250 

Le  nom  de  parricide  ou  de  liberateur, 
Cesar  celui  de  prince  ou  d'un  usurpateur. 

Du  succes  qu'on  obtient  contre  la  tyrannie 
Depend  ou  notre  gloire  ou  notre  ignominie; 
Et  le  peuple,  inegal  ä  l'endroit  des  tyrans,  255 

b'il  les  deteste  morts,  les  adore  vivants. 

Pour  moi,  soit  que  le  ciel  me  soit  dur  ou  propice, 
Qu'il  m'eleve  ä  la  gloire  ou  me  livre  au  supplice, 
Que  Rome  se  declare  ou  pour  ou  contre  nous, 
Mourant  pour  vous  servir,  tout  me  semblera  doux.  2G0 

Diese  fünfteilige  Gliederung  nach  dem  Schema  abcba  ist  von 
Corneille  oft  beliebt  worden,  besonders  in  seinen  Horatiern  und  im 
angeführten  Bande  über  Corneille  hat  Verf.  gezeigt,  daß  der  Meister 
nicht  nur  einzelne  Szenen,  strophische  Partien  und  monologartige 
Abschnitte  auf  diese  Weise  komponiert,  sondern  auch  ganze  Stücke 
schematisch  gezwungen  hat.  So  sind  in  den  Horatiern  einer  äußeren 
Zahlensymmetrie  zuliebe  die  inneren  Zusammenhänge  bei  der  Akt- 
abgrenzung auseinandergerissen  worden  und  im  Cinna,  wo  sich  die 
Szenen  der  fünf  Akte  ihrer  Anzahl  nach  symmetrisch  nicht  entsprechen, 
tun  es  die  in  den  Akten  behandelten  Themen  um  so  schärfer.  Es 
behandelt  nämlich  der  erste  Akt  die  Verschwörung,  der  letzte  die 
Verzeihung  derselben  (Grausamkeit  und  Milde  des  Augustus).  Der 
zweite  Akt  die  Hindernisse,  die  dem  Komplott  durch  die  Großmut 
des  Kaisers,  der  vierte  Akt  die  Hindernisse,  welche  ihr  durch  den 
Verrat  des  Maxismus  drohen.  In  der  Mitte  aber,  im  dritten  Akt, 
liaben  wir  das  Siegel  Corneillescher  Kunst,  den  Konflikt.  Wie  sym- 
metrisch er  wieder  behandelt  ist,  zeigt  der  große  Monolog  Cinnas, 
der  seinerseits  wieder  genau  in  der  Mitte  dieses  Aktes  steht! 

Nehmen  wir  jetzt  ein  Beispiel  aus  Racines  Tragödien. 

Kaciue. 

Racine  hat  zwar  schon  in  seiner  Berenice  vom  Jahre  1670  bei 
der  Anordnung  der  Etappen,  durch  die  er  seinen  Kaiser  Titus  zum 
Handeln  treibt,  gezeigt,  daß  ihm  eine  symmetrische  Kompositionsweise 
nicht  fremd  war  (s.  a.  a.  O.  S.  82/3),  aber  dennoch  ist  die  widergleiche 


300  Miszelle. 

Anlage  dort  so  versteckt,  daß  man  nicht  sicher  sein  kann,  ob  sie  vom 
Dichter  mit  voller  Absichtlichkeit  in  dieser  Weise  gefügt  wurde,  wozu 
noch  kommt,  daß  bis  zur  Phädra  (1677)  sich  keine  weitere  Spur  dieser 
Kompositionsart  zeigt.  Erst  in  diesem  Stücke  kommt  sie,  nach- 
weislich nach  erneutem  Studium  der  Horatier  Corneilles  wieder  zum 
Vorschein  und  zwar  so  unverkennbar,  daß  es  den  Anschein  hat,  als 
sei  sie  hier  erst  von  Racine  an  seinem  Vorbilde  entdeckt  worden. 
Auch  in  den  auf  die  Phädra  folgenden  beiden  letzten  Stücken  Racines, 
der  Esther  und  der  Athalie,  ist  sie  auffallend  befolgt  worden.  Als 
Probe  mag  hier  nur  ein  kleiner  Abschnitt  aus  der  Athalie,  der  reifsten 
und  letzten  dramatischen  Schöpfung  Racines  folgen: 

Die    Kriegs  rede     des    Oberpriesters    Joad    vor 
den    Priestern    und    Leviten    (IV,  3  V.  1325—1372). 

Es  handelt  sich  um  die  Szene,  wo  Joad,  nach  seiner  Huldigung  vor 
dem  Knaben  Joas  als  seinem  König  (IV,  2),  ihn  den  Ältesten  des 
Volkes  als  den  ,,heritier  veritable  des  rois  de  Juda"  (V.  1310)  vor- 
stellt. Er  tut  es  mit  folgenden  Stichworten:  Hier  ist  Euer  König, 
Jezabel  will  ihn  morden;  helft  ihm  zu  seinem  Recht!  (V.  1326 — 1336). 

Damit  ist  die  Aufforderung,  den  König  zur  Anerkennung  zu 
bringen,  in  diesem  Abschnitt  deutlich  ausgesprochen.  Vv^odurcii 
das  einzig  und  allein  geschehen  kann,  zeigt  der  Schlußteil  dieser  Rede 
von  V.  1360  ab,  der  sich  abermals  mit  Joas  beschäftigt:  Scheut  Euch 
nicht,  gottloses  Blut  zu  vergießen.  Nehmt  Euch  dabei  Eure  Voi'- 
fahren  zum  Muster;  schwört,  Euer  Leben  Eurem  König  zu  weihen! 

Anfang  und  Ende  stehen  also  inhaltlich  in  engster  Beziehung. 
Ebenso  aber  auch  die  beiden  inneren,  um  die  Mitte  herumliegenden 
Teile.  Sie  handeln  von  den  Gefahren  bei  diesem  Unternehmen,  aber 
auch  von  den  nicht  ungünstigen  Aussichten  dabei.  Beide  Male  ist 
zuerst  von  den  Bundesgenossen  die  Rede,  oben  von  denen  der  gottlosen 
Königin,  unten  von  denen  der  Gläubigen;  danach  beide  Male  vom 
Beistande  Gottes.  Diese  Teile  sind  also  ebenfalls  inhaltlich  symmetrisch 
aufeinander  bezogen. 

In  der  Mitte  endlich,  dem  kürzesten  Teile,  wird  die  Parole  zum 
Kampf  ausgegeben:  Laßt  uns  Joas  zum  König  proklamieren,  Gott 
anrufen  und  Athalja  in  ihrem  Palast  angreifen! 

Da  die  beiden  äußeren  Teile  12,  resp.  13  Verse  enthalten,  die  beiden 

inneren  je  neun,  die  Mitte  aber  nur  fünf,  so  finden  wir  hier  Corneilles 

Schema  auch  in  der  so  oft  von  ihm  angewandten  Zahlensymmetrie 

ziemlich  genau  befolgt.  Die  Disposition  des  Abschnittes  ergibt  demnach : 

a)  Befreit  den  König! 

Joad: 1325 

Voilä  donc  votre  roi,  votre  unique  esperance. 

J'ai  pris  soin  jusqu'ici  de  vous  le  conserver: 

Ministres  du  Seigneur,  c'est  ä  vous  d'achever. 
Bientöt  de  Jezabel  la  fille  meurtriere, 

Instruite  que  Joas  voit  encor  la  lumiere,  1330 

Dans  l'horreur  du  tombeau  viendra  le  replonger. 

D^jä,  sans  le  connaitre,  eile  veut  l'egorger. 

Pretres  saints,  c'est  ä  vous  de  prevenir  sa  rage. 

11  faut  finir  des  Juifs  le  honteux  esclavage, 

Venger  vos  princes  morts,  relever  votre  loi,  1335 

Et  faire  aux  deux  tribus  reconnaitre  leur  roi. 
b)  Der    Kampf    ist   gefährlich,    aber    nicht    aus- 
sichtslos. 
L'entreprise,  sans  doute,  est  grande  et  p6rilleuse. 

J'attaque  sur  son  tröne  une  reine  orgueilleuse, 


Qui  voit  sous  ses  drapeaux  marcher  un  camp  nombreux 
De  hardis  6trangers,  d'infideles  H6breux. 


1340 


MiszelU.  301 

Mais  ma  force  est  au  Dieu  dont  Tinteret  me  guide. 
Songez  qu'en  cet  enfant  tout  Israel  reside. 
Dejä  ce  Dieu  vengeur  commence  ä  la  troiibler, 
Dejä  trompant  ses  soins.  j'ai  su  vous  rassembler. 
Elle  nous  croit  ici  sans  armes,  sans  defense.  1345 

c)  Der  Kriegsplan. 
Couronnons.  proclamons  Joas  en  diligence. 
De  lä,  du  nouveau  prinoe  intrepides  soldats, 
Marchons,  en  invoquant  Tarbitre  des  combat«; 
Et  reveillant  la  foi  dans  les  coeurs  endormie, 
Jusque  dans  son  palais  cherchons  notre  ennemie.  1350 

b)  Gute  Aussichten  für  den  Kampf. 

Et  quels  cceurs  si  plonges  dans  un  lache  sommeil, 
Nous  vovant  avancer  dans  ce  saint  appareil. 
Ne  s'empresseront  pas  ä  sui^Te  notre  exemple? 

Un  roi  que  Dieu  lui-meme  a  noiirri  dans  son  temple. 
Le  successeur  d'Aaron  de  ses  pretres  suivi,  1355 

Conduisant  au  combat  les  enfants  de  Levi, 
Et.  dans  ces  memes  mains  des  peuples  reverees, 
Les  armes  au  Seigneur  par  David  consacrees? 
Dieu  sur  ses  ennemis  repandra  sa  terreur. 

ai    Kämpft,  lebt  und  sterbt  für  Euren  König! 

Dans  Tinfidele  sang  baignez-vous  sans  horreur;  1360 

Frappez  et  Tyriens,  et  meme  Israelites. 
Xe  descendez-vous  pas  de  ces  fameux  levites 
Qui  lorsqu'au  dieu  du  Nil  le  volage  Israel 
Rendit  dans  le  desert  un  culte  criminel. 

De  leurs  plus  chers  parents  saintement  homicides.  1365 

Gonsacrerent  leurs  mains  dans  le  sang  des  perfides. 
Et  par  ce  noble  exploit  vous  acquirent  Thonneur 
D'etre  seuls  employes  aux  autels  du  Seigneur? 

Mais  je  vois  que  dejä  vous  brülez  de  me  suivre. 
Jurez  donc,  avant  tout,  sur  cet  auguste  livre.  1370 

A  ce  roi  que  le  ciel  vous  redonne  aujourd'hui. 
De  vivre.  de  combattre.  et  de  mourir  poiu"  lui. 

Eine  eben  so  interessante  Probe  liefert  die  Anordnung  der 
fünfChöre  in  derEsther.  Diese  Lieder,  die  mit  ihrem  Inhalt 
den  der  zu  ihnen  gehörigen  Akte  begleiten,  lassen  ihre  symmetrische 
-\nlage  rein  äußerlich  schon  daran  erkennen,  daß  auf  den  ersten  und 
letzten  Akt  je  zwei  Chöre  kommen,  auf  den  zweiten  und  mittleren 
;ü)er  nur  einer.  Auch  hierin  könnte  man  einen  Beleg  für  das  Prinzip 
der  schwachen  Mitte  erkennen,  die  dieser  fünfteiligen  Komposition 
meist  eigen  ist.  In  diesem  mittleren  Akt  erfolgt  die  Krisis  der  Handlung 
und  so  begleitet  sie  auch  sein  einziges  Chorlied  (II,  S)  mit  der  bangen 
Frage:  Wer  wird  siegen,  der  Fromme  oder  der  Gottlose?  Um  diese 
Kernfrage  dreht  sich  nämlich  der  Inhalt  des  kleinen,  dreiaktigen 
Dramas. 

Von  den  äußeren  Chören  enthält  nun  der  erste  (I.  2)  das 
Klagelied  über  das  Unglück  Zions,  der  fünfte 
und  1  e  t  z  t  e  (III.  9't  d  e  n  T  r  i um  p  h  g  e  s  a  n g  über  ihr  Glück. 
Das  unterjochte  und  das  befreite  Jerusalem  sind  also  ihre  sich  ent- 
sprechenden Themen.     Das  ist  ohne  weiteres  deutlich. 

Die  beiden  inneren  Chöre,  der  zweite  und  vierte  (I,  5 
and  III,  3),  bringen  Apostrophen  der  Bedrückten, 
erstens  an  ihren  Gott,  zweitens  an  ihren  Bedrücker,  das  heißt  also 


302  Miszelle. 

an  den  Herrscher  des  Himmels  und  an  den  der 
Erde:  Dulde  nicht,  o  Gott,  daß  Israel  stirbt,  fleht  oben  (L  5)  der 
Chor;  die  Gefahr  drängt,  hilf  der  Ehre  Deines  Namens!  Und  unten 
(III,  3)  in  gleicher  Weise,  mit  gleicher  Betonung  der  Dringlichkeit 
und  der  himmlischen  und  irdischen  Macht,  vor  der  die  Völker  zittern 
sollen:  Dulde  nicht,  o  Ahasveros,  daß  die  Unschuld  leidet,  die  Gefahr 
drängt,  laß  Dir  die  Ehre  Deines  Namens  nicht  durch  einen  Betrüger 
beflecken! 

Einige  nähere  Hinweise  mögen  das  deutlich  machen:  Im  zweiten 
Chorlied  stehen  obenan  die  ,,mortelles  alarmes"  wegen  des  bevor- 
stehenden Mordfestes  (V.  297  ff.)-  Das  vierte  aber  beginnt  mit  der 
Schilderung  Amans,  eben  des  Mannes,  der  jenes  Mordfest  veranstalten 
will.    (V.  934  ff.)    Der  zweite  Chor  fährt  dann  fort: 

Le  dieu  que  nous  servons  .  .  .  ne  souffrira  pas 
Qu'on  egorge  ainsi  Tinnocence.     (V.  336  ff.) 
und  dementsprechend  der  vierte: 

.  .  .  un  roi  sage  et  qui  halt  l'injustice  .  . 
Ne  souffre  point  que  le  pauvre  gemisse 
La  veuve  en  sa  defense  espere 
De  l'orphehn  il  est  le  pere  etc.     (V.  991  ff.) 
Es  handelt  sich  also  um  die  beiden  Gewaltigen,  die  helfen  sollen. 
Und  im  letzten  Teile  des  zweiten  Chores  die  Bitte:   Kehre  Dich  zu 
uns  Gott;  denn 

Tu  vois  nos  pressants  dangers: 
Donne  ä  ton  nom  !a  victoire; 
Ne  souffre  point  que  ta  gloire 
Passe  ä  des  dieux  etrangers.     (V.  359  ff.) 
Im  vierten  aber:  Kehre  Dich  ab,  mächtiger  König, 

Detourne,  roi  puissant,  detourne  tes     oreilles 
De  tout  conseil  barbare  et  mensonger. 
Gefahr  ist  im  Anzüge: 

II  est  temps  que  tu  t'eveilles: 
Dans  le  sang  innocent  ta  main  va  se  plongcr 
Pendant  que  tu  someilles. 
....  puisse  ä  Jamals  contre  tes  ennemis 
Le  bruit  de  ta  valeur  te  servir  de  barriere!      (V.  999ff.| 
Zum   Schluß  endlich  im  zuzeiten  Chor: 

Arme-toi,  viens  nous  döfendre... 
Que  les  mechants  aprennent  aujourd'hui 
A  creindre  ta  colere:| 

Qu'ils  soient  comme  la  poudre  et  la  paille  legere 
Que  le  vent  chasse  devant  lui.     (V.  363  ff.) 
Und  im  vierten  dementsprechend: 

Que  de  ton  bras  la  force  les  renverse 
Que  de  ton  nom  la  terreur  les  disperse; 
Que  tous  leur  camp  nombreux  soit  devant  tes  soldats 
Comme  d'enfants  une  troupe  inutile.     (V.  1010  ff.) 
Bemerken   wir   nur   noch,   daß   beide   Chöre   auch   in   ihren  Ab- 
messungen annähernd  gleich  sind:   Der  zweite  hat  nämlich  80,  der 
vierte  84  Verse. 

Daß  Chorlieder  auf  solche  Art  komponiert  wurden,  mag  begreif- 
lich sein,  ja  man  könnte  es  vermuten,  weniger  aber,  daß  das  auch 
bei  den  Fabeln  seines  Freundes  der  Fall  ist,  nämlich  bei 

TtSL  I'ontaiiic. 

Auch  bei  ihm  findet  sich  merkwürdigerweise  jenes  eigenartige 
Kompositions- Schema  und  zwar  gleich  im  ersten  Buche  seiner  Fabeln. 


Miszdle.  303 

Wir  greifen  zwei  Beispiele  heraus,  die  sich  in  fast  allen  französischen 
Elementarbüchern  abgedruckt  finden:  Le  Loup  et  le  Chien  (I,  5)  und 
Le  Chene  et  le  Roseau  (I,  22). 

In  der  Fabel:  Le  Loup  et  le  Chien  haben_  wir  ein  Zwiegespräch 
zwischen  dem  Wolf  und  dem  Hunde.  Not  und  Überfluß  sind  einander 
drastisch  gegenübergestellt.  Die  Verführung  für  den  armen  Teufel 
von  Wolf  ist  groß  und  gipfelt  in  der  Aufforderung  des  Hundes:  „Suivez- 
moi!"  und  in  seiner  Lockung:  „Vous  aurez  un  bien  meilleur  destin." 
Dieser  Vers  (21)  nimmt  genau  die  Mitte  der  aus  42  Versen  bestellenden 
Fabel  ein.  —  Die  Not  aber  lebt  in  Freiheit,  während  dem  Wohlleben 
Sklaverei  beschieden  ist.  Sind  also  oben  den  unsicheren  Vagabonden 
die  in  behäbiger  Rulie  lebenden  Haustiere  entgegengesetzt,  so  unten 
«lie  servilen  Diener  den  freien  Herren.  Alles  das  knapp  und  präzis, 
alles  auf  große  Gegensätze  gearbeitet,  wie  die  Themen  bei  Corneille 
und  Racine  auch. 

Die  Hauptdisposition  ist  demnach:  1.  D  e  r  N  e  i  d  d  e  r  A  r  ni  u  t 
(20  V.V. ).  2.  Die  Aufforderung  zur  Umkehr  und 
zum  Wohlleben  (1  V.).  3.  Die  Bedingungen  des 
Tausches  (20  V.V.).  Symmetrie  also  rechts  und  links  bei  äußer- 
lich ganz  schwacher,  aber  innerlich  höchst  bedeutungsvoller  Mitte; 
denn  sie  enthält  in  einem  einzigen  Verse  alles  das,  worauf  es  bei  der 
ganzen  Geschichte  ankommt. 

Aber  auch  die  von  uns  bei  Corneille  und  Racine  nachgewiesene 
Fünfteilung  ist  hier  unschwer  zu  erkennen.  Die  Einleitung,  als 
Exposition  des  Dichters  genommen,  faßt  12  Verse.  Sie  enthält  die 
Beschreibung  der  beiden  Tiere.  Darauf  folgt  die  Aufforderung 
des  Hundes  an  den  Wolf,  sein  Geschick  zu  ändern  in  8  Versen. 
Sie  wird  in  dem  folgenden  mittleren  und  21.  Verse  mit  dem  Hin- 
weis auf  das  bessere  Leben,  das  ihn  erwartet,  schärfer 
formuliert. —  Genau  dieselbe  Anordnung,  nur  in  umgekehrter  Reihen- 
folge der  inhaltlichen  Argumente,  findet  sich  im  zweiten  Hauptteil 
von  Vers  22  ab,  noch  dazu  bei  gleicher  Verszahl  der  beiden  Unter- 
abteilungen. Es  folgen  nämlich  abermals  8  Verse  mit  den  Bedin- 
gungen, die  der  Hund  dem  Wolf  auf  seine  Frage,  was  man  tun 
müsse,  um  ein  besseres  Leben  zu  haben  gibt  und  dann  zum  Schluß 
wieder  12  Verse,  wie  im  Anfang,  in  denen  in  dialogischer  Fassung 
die  Bedenken  des  Wolfes  auseinandergesetzt  werden. 

Das  Ganze  zeigt  demnach  das  Schema  12  -f  8  -f  1  -J-  8  +  12  Verse. 
Wer  aber  noch  weiter  gehen  und  auch  die  kleinsten  Abschnitte  zählen 
wollte,  die  sich  inhaltlich  in  Stichworten  aussondern  lassen,  der  würde 
finden,  daß  über  der  Mitte  ebensoviel  Teilchen  stehen,  wie  unter  ihr; 
nämlich  je  acht.  Sie  sind  in  dem  hier  folgenden  Text  links  durch 
kleine  Zahlen  bezeichnet. 

a)    L  e  L  o  u  p  e  t  1  e  G  h  i  e  n. 

1  Un  loup  n'avait  que  les  os  et  la  peau, 

Tant  les  chiens  faisaient  bonne  garde; 

2  Ce  loup  rencontre  un  dogue  aussi  puissant  que  beau, 
Gras,  poli,  qui  s'etait  fourvoye  par  megarde. 

3  L'attaquer,  le  mettre  en  quartiers,  5 
Sire  loup  l'eüt  fait  volontiers; 

4  Mais  il  fallait  livrer  bataille, 
Et  le  mätin  etait  de  taille 
A  se  defendre  hardiment. 

5  Le  loup  donc  l'aborde  humblement,  10 
Entre  en  propos,  et  lui  fait  compliment 

Sur  son  embonpoint,  qu'il  admire. 


304  Miszelle. 

b)    L  e  C  h  i  e  n. 

6  «11  ne  tiendra  qu'ä  vous,  beau  sire, 
D'etre  aussi  gras  que  moi,  lui  repartit  le  chien; 

7  Quittez  les  bois,  vous  ferez  bien:  15 
Vos  pareils  y  sont  miserables, 

Gancres,  heres  et  pauvres  diables, 
Dont  la  condition  est  de  mourir  de  faim. 

8  Gar  quoi!  rien  d'assure,  point  de  franche  lippee; 

Tout  ä  la  pointe  de  l'epee.  20 

c)    LaSommation. 
Suivez-moi,  vous  aurez  un  bien  meilleur  destin.» 

b)    L  e  G  h  i  e  n. 

1  Le  loup  reprit:  «Que  me"  faudra-t-il  faire?» 

2  —  «Presque  rien,»  dit  le  chien:  «donner  la  chasse  aux  gens 

Portant  bätons,  et  mendiants; 

3  Flatter  ceux  du  logis,  ä  son  maitre  complaire:  25 

Moyennant  quoi  votre  salaire 
Sera  force  reliefs  de  toutes  les  fagons, 
Os  de  poulets,  os  de  pigeons, 
Sans  parier  de  mainte  caresse.» 

a)    L  e  L  0  u  p  e  t  1  e  C  h  i  e  n. 

4  Le  loup  dejä  se  forge  une  felicite  30 

Qui  le  fait  pleurer  de  tendresse. 

5  Chemin  faisant,  il  vit  le  cou  du  chien  pele. 

6  «Qu' est  cela?»  lui  dit-il.  —  «Rien.»  —  «Quoi!  rien.»  —  <>Peu 

de  chose.» 
—  «Mais  encor?»  —  Le  collier  dont  je  suis  attache 
De  ce  que  vous  voyez  est  peut-etre  la  cause.»  35 

7  —  «Attache!»  dit  le  loup;  «vous  ne  courez  donc  pas 

Oü  vous  voulez?»  —  «Pas  toujours;  mais  qu'importe  ?» 
—  11  importe  si  bien,  que  de  tous  vos  repas 

Je  ne  veux  en  aucune  sorte, 
Et  ne  voudrais  pas  meme  ä  ce  prix  un  tresor.»  40 

8  Gela  dit,  maitre  Loup  s'enfuit  et  court  encor. 

Die  andere  Fabel, 

Le  Gliene  et  le  Roseau 
(I,  22)  ist  das  Pendant  zu  der  eben  behandelten  vom  Wolf  und  vom 
Hunde.  Auch  hier  handelt  es  sich  um  die  in  ruhiger  Sicherheit  Leben- 
den gegenüber  den  gefährdeten  ,, armen  Teufeln".  Der  feste  Baum 
spricht  dem  schwanken  Gras  gegenüber  in  demselben  hochmütigen 
Ton,  wie  der  satte  und  in  Sicherheit  lebende  Hund  zum  hungrig  um- 
herschweifenden Wolf.  Offenbar  ist  sein  Los  ebensowenig  zu  beneiden 
wie  das  des  Schilfes.  Hier  aber  mißgönnt  das  Rohr  der  Eiche  ihr 
stolzes  Aussehen  und  ihre  Stärke  keineswegs.  Es  vertraut  seiner 
geschmeidigen  Natur  und  weiß  sich  für  gewisse  Katastrophen  außer 
Gefahr.  Auch  hier  hebt  der  Starke  an  und  auch  hier  steht  das, 
worauf  aller  Nachdruck  liegt,  in  der  Mitte,  der  Hinweis  nämlich  auf 
das  unfreundliche  Geschick:  La  nature  envers  vous  me  semble  bien 
injuste  (V.  17).  Wie  in  der  ersten  Fabel  liegt  in  dieser  Mitte  die 
Quintessenz  des  Ganzen,  die  abermals  nur  die  verstärkte  Wieder- 
holung einer  ersten  Aiifforderung  resp.  Beschuldigung  ist.  Gerade 
dadurch  aber  gewinnt  sie  an  Nachdruck  und  Bedeutung.  Oben  beim 
Wolf  das  Quittez  les  bois,  vous  ferez  bien  (V.  15)  wiederholt  und  ver- 
stärkt durch  die  Einladung  und  Verheißung:  Suivez-moi,  vous  aurez 
un  bien  meilleur  destin,  und  hier,  bei  der  Eiche,  das  Vous  avez  bien 
sujet  d'accuser  la  nature  schärfer  als  Vorwurf  ausgesprochen:  La  nature 
envers  vous  me  semble  bien  injuste  (V.  17). 


Miszclk.  305 

Sehen  wir  uns  jetzt  die  P'abel  auf  ihre  Komposition  hin  näher  an. 
Trennen  wir  den  Eingangsvers: 

Le  chien  un  jour  dit  au  roseau 
als  Auftakt  ab,  so  erhalten  wir  1  -4-  (15  +  1  +  15)  Verse.    Der  Absatz 
über  der  Mitte  enthält  die  Anrede  der  Eiche,  der  unter  der 
Mitte   die  Antwort   des   Schilfes   mit  ihrer  Rechtfertigung. 
Also  Vorwurf  und  Rechtfertigung  stehen  sich  gegenüber.    Im  einzelnen 
aber  ist  eine  weitergehende  symmetrische  Gliederung  um   die  Mitte 
herum  deutlich.     In  fünf  Versen  wird  die  demütige  Kopfhaltung  des 
Grases  gegenüber  der  stolz  aufrechten  des  Baumes  bemängelt: 
Vous  avez  bien  sujet  d'accuser  la  natuie, 
Un  roitelet  pour  vous  est  un  pesant  fardeau; 
Le  moindre  vent  qui  d'aventure 
Fait  rider  la  face  de  l'eau, 
Vous  oblige  ä  baisser  la  tete. 
In  weiteren  vier  Versen  der  Stolz  der  Eiche  im  Sturm  betont: 
Cependant  que  mon  front,  au  Caucase  parail, 
Non  content  d'arreter  les  rayons  du  soleil, 

Brave  l'effort  de  la  tempete. 
Tout  vous  est  aquilon,  tout  me  semble  zephyr. 
Im  dritten  Teil,  dem  nächsten  der  Mitte,  spielt  sich  der  Starke  als 
Freund  und  Gönner  des  Schwachen  auf: 

Encor  si  vous  naissiez  ä  l'abri  du  feuillage 
Dont  je  couvre  le  voisinage, 
Vous  n'auriez  pas  tant  ä  souffrir; 
Je  vous  döfendrais  de  l'orage: 
Mais  vous  naissez  le  plus  souvent 
Sur  les  humides  bords  des  royaumes  du  vent. 
Darauf  folgt  die  kurze  Mitte  mit  dem  Vorwurf  gegen  die  ungerechte 
Natur : 

La  nature  envers  vous  me  semble  bien  injuste. 

Und  nach  der  Mitte,  an  das  letzte  Argument  zuerst  anknüpfend,  be- 
gegnet das  Schilf  der  Erwähnung  des  Windes  mit  Aufwand  der  gleichen 
Vers  zahl: 

«Votre  compassion»,  lui  repondit  l'arbuste, 
«Part  d'un  bon  natui'el;  mais  quittez  ce  souci: 
Les  vents  me  sont  moins  qu'ä  vous  redoutables; 
Je  plie,  et  ne  romps  pas.     Vous  avez  jusqu'ici 

Contre  leurs  coups  epouvantables 
Resiste,  sans  courber  le  dos.     Mais  attendons  la  fin.-> 
Dabei  dankt  es  zugleich  für  die  ihm  in  Aussicht  gestellte  hohe  Pro- 
tektion:   «Quittez  ce  souci»,  ich  helfe  mir  selber;  «Je  plie,  et  ne  romps 
pas.»     Der  Sturm  aber,   von  dem  die  Eiche  im  zweiten  Teil  sprach, 
tritt  unten  in  dem  ihm  gegenüberliegenden  vierten  tatsächlich  ein: 
Comme  il  disait  ces  mots. 
Du  bout  de  l'horizon  accourt  avec  furie 

Le  plus  terrible  des  enfants 
Que  le  nord  eüt  portes  jusque-lä  dans  ses  flaues. 
Also  gleichfalls  vier  Verse,  und  wie  anfangs  fünf  Verse  die  erste  Anrede 
ausmachten,  so  wird  jetzt  unten  mit  ebensovielen  Versen  geschlossen. 
Mit  stolz  erhobenem  Haupt  fing  oben  der  Baum  an  und  liegt  unten 
mit  gen  Himmel  gestreckten  Wurzeln  gestürzt  am  Boden: 
L'arbre  tient  bon;  le  roseau  plie. 
Le  vent  redouble  ses  efforts 
Et  fait  si  bien  qu'il  deracine 


306  Miszelk. 

Celui  de  qui  la  lete  au  ciel  elait  voisine 
Et  dont  les  pieds  touchaient  ä  l'empire  des  morts. 
Die  Anlage  zeigt  also  1  + (5 +  4  + 6) +  1  + (6 +  4  + 5)  Verse. 
Dabei  haben  wir  nur  Vers  24  der  Ausgaben:  «Mais  attendons  la  fin». 
Comme  il  disait  ces  mots  in  seine  beiden  selbständigen  Teile  zerlegt 
und  den  zweiten  zum  nächsten  Abschnitt  gezogen,  zu  dem  er  organisch 
gehört. 

Es  wäre  interessant,  die  ursprünglich  handschriftliche  Fassung 
festzustellen.  Aber  selbst  wenn  hier  beide  Teile  nebeneinander  stünden, 
würde  das  nichts  gegen  die  streng  symmetrische  Komposition  der 
Fabel  beweisen.  In  all  solchen  Fällen,  wo  es  sich  um  Analysen  von 
Kunstwerken  handelt,  kann  es  nie  auf  Silbenstechereien  ankommen; 
denn  auch  bei  offenbar  komponierter  Anlage  wird  der  Künstler  doch 
eher  bemüht  sein,  das  Schema  zu  verschleiern,  als  es  wie  ein  Baugerüst 
nackt  und  offen  hinzustellen. 

Diese  beiden  Beispiele  mögen  für  La  Fontaine  genügen.  In  wel- 
chem Umfang  diese  Kompositionsart  von  unserem  Fabeldichter  ange- 
wandt worden  ist,  hat  Verfasser  nicht  untersucht.  Es  genügte  ihm 
nachgewiesen  zu  haben,  daß  auch  die  didaktische  Poesie  des  XVII.  Jh. 
mit  dem  Schema  Corneilles  arbeitete. 

Daß  nun  La  Fontaine  dieses  Schema  von  seinem  Freunde  Racine 
überkommen  hätte,  ist  unwahrscheinlich;  denn  1668  erschien  bereits 
das  erste  Buch  der  Fabeln,  dem  beide  oben  behandelten  Muster  ent- 
nommen sind  und  erst  1677  brachte  Racine  seine  Phädra  auf  die  Bühne. 
In  diesem  Stück  aber  zeigte  er  zum  ersten  Male  eine  eingehende  Kennt- 
nis dieser  Form.  Wie  wir  im  Bande  über  Racine  nachgewiesen  haben, 
erfolgte  die  Auffindung  derselben  erst  auf  wiederholtes  und  eingehendes 
Studium  von  Corneilles  Horace.  In  diesem  Stück  war  der  Vater  der  fran- 
zösischen Tragödie  besonders  eifrig  bemüht,  jenes  fünfteilige  Schema  an- 
zuwenden. La  Fontaine  könnte  es  aber  direkt  von  Corneille  über- 
nommen haben  wobei  dann  freilich  auffällig  wäre,  daß  La  Fontaine  mit 
seinem  Freunde  Racine  nicht  darüber  gesprochen  haben  sollte. 

Kommen  wir  jetzt  zum  Schlüssel  dieser  eigenartigen  Kompo- 
sitionsform, die  in  der  Poesie  deshalb  unverständlich  ist,  weil  sie  durch 
das  Organ,  mit  dem  diese  Kunst  zu  rechnen  hat,  mit  dem  Ohre  nämlich, 
nicht  wahrgenommen  werden  kann.  Wir  glauben  nicht  fehlzugehen, 
wenn  wir  ihn  in  den  Schöpfungen  der  italienischen  Renaissance  suchen, 
die  in  ihrem  eigentlichen  Wesen  und  in  ihren  Wirkungen  noch  lange 
nicht  genug  erforscht  ist.  Die  Beziehungen  des  französischen  Klassi- 
zismus zu  ihr  sind  außerordentlich  reich  und  Lionardo  da  Vincis  Ver- 
pflanzung auf  französischen  Boden,  in  dem  er  auch  seine  letzte  Ruhe- 
statt fand,  beweist  genug  für  eine  enge  Wechselwirkung. 

Ijionardo  da  Vinci. 

Lionardo  da  Vincis  berühmtestes  Werk  ist  sein  heiliges  Abend- 
mahl im  Refektorium  des  Klosters  bei  Santa  Maria  delle  Gracie  in 
Mailand,  jenes  unsterbliche  Wandgemälde  der  Hochrenaissance  oder 
besser  noch  des  bereits  beginnenden  Barocks,  um  dessen  Rettung  vor 
dem  Untergang  Italien  jetzt  so  eifrig  bemüht  ist.  Dieses  Bild  nun 
wirkt  wie  eine  Illustration  der  von  uns  oben  behandelten  Kompositions- 
form. 

Christus,  die  Hauptperson,  dessen  Wort:  ,, Einer  unter  Euch  wird 
mich  verraten",  die  noch  soeben  in  ruhiger  Unterhaltung  begriffene  Tisch- 
gesellschaft in  laute  Aufregung  versetzt  hat,  nimmt  genau  die  Mitte  des 
Bildes  ein  und  zwar  mit  dem  kleinsten  Raum.  Es  hat  deshalb  den  Anschein, 
als  ob  an  dieser  Stelle  das  Ganze  in  zwei  Hälften  auseinander  gerissen 
wäre.  Diese  Absonderung  Christi,  hauptsächlich  von  der  linken  Bild- 
hälfte, auf  der  der  Verräter  sitzt,  wird  durch  den  Fensterbalken  der  Wand 


Miszelle.  307 

des  Hintergrundes,  der,  nach  einem  treffenden  Ausdruck  Wölfflins^) 
wie  ein  Gasurstrich  wirkt,  noch  auffälliger  gemacht.  Wie  stark  die 
Brüchigkeit  gerade  an  der  Hauptstelle  dieser  Komposition  empfunden 
worden  ist,  hat  keiner  deutlicher  gezeigt  als  Rembrandt,  der  in  seinen 
Skizzen  nach  Lionardo  nichts  eiligeres  zu  tun  hatte,  als  dieser,  wie 
ihm  schien,  von  Lionardo  vernachlässigten  Mitte  erst  einmal  die  ihr 
zukommende  Fülle  zu  verschaffen.  Er  setzt  seinen  Christus  unter  einen 
reichen  Baldachin  und  zog  die  bei  Lionardo  voneinander  abgesonderten 
Gruppen  malerisch  zusammen,  um  auf  diese  Weise  mehr  Flufj  in  die 
Handlung  zu  bringen.  Daß  dieser  Fluß  beim  Meisler  der  Hochrenaissance 
in  der  durchgehenden,  leidenschaftlich  bewegten  Linie  lag,  die  die 
aufgeregt  sprechenden  Hände  in  großer  Welle  verbindet,  übersah  der 
Holländer.  Für  den  Italiener  liegt  aber  gerade  hierin  ein  Haupt- 
charakteristikum  seiner  Kunst. 

Die  Jünger  hatte  Lionardo  nun  so  verteilt,  daß  rechts  und  links 
vom  Meister  je  zwei  Gruppen  von  drei  Aposteln  zusammensitzen 
und,  um  diese  Gruppen  scharf  voneinander  abzugrenzen,  hat  er  sie 
in  Ovale,  den  Herrn  und  Meister  aber  in  ein  Dreieck  hineinkomponiert. 
Die  Unruhe  und  der  Aufruhr  in  den  Gruppen  konnte,  im  Gegensatz 
zu  der  in  der  Mitte  herrschenden  Ruhe,  nicht  besser  symbolisiert 
werden  als  durch  diese  mathematischen  Zeichen:  das  unwandelbare 
Dreieck  und  die  vier  leicht  beweglichen  Ovale!  Eine  weitere  Symmetrie 
liegt  nun  darin,  daß  die  beiden  Gruppen  in  nächster  Nähe  des 
Heilandes  die  geschlosseneren  sind,  die  beiden  äußeren  aber,  an 
den  Tichecken  sitzenden,  die  mehr  offenen.  Das  Schema  des  Bildes 
könnte  demnach  etwa  durch  folgende  Form  veranschaulicht  werden: 


(.)/\(.) 


Daß  es  sich  bei  den  französischen  Klassizisten  um  eine  Entlehnung 
dieses  Schemas  handelt,  ist  mehr  wie  wahrscheinlich.  Lionardos  Werk, 
dessen  Ruhm  die  Stecher  des  XVI L  Jhs.  in  alle  Lande  verbreitet 
hatten,  und  von  dem  Abbildungen  überall  vorhanden  waren,  hat, 
unserer  Meinung  nach,  hier  geradezu  als  Vorlage  gedient.  Man  ver- 
gleiche nur:  Die  Fünf  zahl  der  Glieder,  ihre  symmetrische  Gruppierung 
um  eine  äußerlich  schwache  Mitte  herum,  ihre  deutliche  Abgrenzung 
voneinander,  ja  auch  die  Betonung  der  äußeren  Abschlüsse,  die  bei 
Lionardo  durch  die  geknotet  herabhängenden  Tischtuchenden  gegeben 
sind,  (sie  wirken  zusammen  mit  der  Haltung  der  Eckfiguren  wie  Aus- 
rufezeichen hinter  dem  von  Christus  gesprochenem  Satz),  all  das 
findet  sich  ebenso  deutlich  auch  bei  Corneille,  Racine  und  La  Fontaine. 
Die  symmetrische  Entsprechung  der  Gruppen,  die  bei  Lionardo  durch 
die  zeichnerische  Form  deutlich  gemacht  wurde,  fand  bei  unseren 
Dichtern  in  der  inhaltlichen  Entsprechung  der  sich  gegenüberliegenden 
Abschnitte  oder  Akte  ihren  Ausdruck,  und  das,  was  bei  dem  Maler 
die  Hände  in  durchgehender  Linie  so  beredt  verkünden,  das  berichtet 
beim  Dichter  die  durchgehende  Handlung.  Überall  also  Überein- 
stimmung. 

Die  bei  Lionardo  in  die  Augen  springende  Klarheit  der  Disposition, 
die  mathematisch-architektonische  Anlage  des  Ganzen  hat  es  offenbar 
den  mathematisch  geschulten  und  deshalb  gerade  der  italienischen 
Renaissance  und  Lionardo  verwandten  Franzosen  am  meisten  angetan. 
Nur  eins  übersahen  sie:  den  Umstand  nämlich,  daß  die  von  ihnen  ent- 
lehnte Kompositionsform  eigentlich  nichts  mit  ihrer  Kunst  zu  tun 
hat.     Beim  Italiener  ist  alles  für  das  Auge  berechnet,  für  den  Sinn 


^)    Wölfflin,    Die    klassische    Kunst,     Eine    Einführung    in    die 
Italienische  Renaissance.     München,  Bruckmann,  1899.     S.  26  ff . 

Ztochr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVII'.  21 


308  Miszelle. 

also,  für  welchen  die  Malerei  fast  ausschließlich  schafft.  Die  zwei- 
dimensionale Anlage  überwiegt  deshalb  und  läßt  die  räumlichen  An- 
deutungen nur  als  Fortsetzung  des  Refektoriums  erscheinen  auf  dessen 
hinterer  Wand  das  Bild  aufgetragen  wurde.  Deshalb  ist  auch  die 
Plazierung  der  Tischgesellschaft  in  einer  Weise  vorgenommen,  wie 
sie  in  Wirklichkeit  nimmer  stattfinden  könnte.  Elf  Personen  würden 
an  der  einen  besetzten  Längsseite  des  Tisches  keinen  Platz  haben. 
Aber,  wie  schon  gesagt,  Lionardo  kam  alles  auf  die  Übersichtlichkeit 
an.  Davon  kann  aber  in  einem  poetischen  Werke  nimmermehr  die 
Rede  sein.  Diese  Kunst  wendet  sich  an  das  Gefühl  durch  einen  ganz 
anderen  Sinn.  Dichtungen  sollen  vor  allem  rezitiert  und  gehört  werden, 
nicht  aber  angeschaut,  wie  die  Werke  der  Malerei.  Bei  einer  Auf- 
führung auf  der  Bühne  il  e»',  wo  der  Geist  vorwiegend  mit  der  Erfassung 
der  dramatischen  oder  laufenden  Handlung  beschäftigt  ist,  oder  auch 
beim  Lesen  oder  Anhören  eines  Gedichtes  etc.  findet  sich  keine  Zeit, 
solche  Kompositionskunststücke  wahrzunehm.en.  Bei  der  I^ektüre 
einer  kurzen  Fabel  könnte  man,  wegen  ihrer  oft  bildmäßigen  Behand- 
lung schon  eher  dazu  kommen  sie  "u  1  eme^^ken,  wesensfremd  bleiben 
sie  aber  auch  ihr.  Das  erklärt  auch  den  Umstand,  daß  sie  bis  jetzt 
noch  nicht  entdeckt  worden  sind.  Goethes  Wort:  ,,Den  Stoff  sieht 
jedermann  vor  sich,  den  Gehalt  findet  nur  der,  der  etwa  dazu  zu  tun 
hat,  und  die  Form  ist  ein  Geheimnis  der  meisten",  bewahrheitet  sich 
hier  am  deutlichsten.  So  hat  Voltaire  gegen  eine  ganze  Anzahl  von 
Ausdrucksweisen  bei  Corneille  polemisiert,  die  sich  im  Hinblick  auf 
seine  symmetrische  Komposition  sofort  als  wohlüberlegt  erweisen 
(s.  8.  a.'  O.  S.  232/33). 

Rembrandts  Korrektur  Lionardos  führt  uns  aber  noch  weiter. 
Sie  zeigt  uns,  daß  auch  das  Schema  Lionardos  nicht  der  an  der 
Wand  des  Refektoriums  von  Santa  Maria  geübten  Kunst  wesens- 
gleich ist.  Rembrandt  war  einzig  und  allein  Maler,  und  wußte  ganz 
genau,  was  seiner  Kunst  frommt,  Lionardo  aber  war  auch  noch 
und  vielleicht  noch  mehr,  Mathematiker  und  Architekt,  und  gerade 
der  Architekt,  der  Mann  von  Lineal  und  Zirkel,  kommt  bei  seiner 
Komposition  zum  Vorschein.  Ihr  Schema  ist  der  Architektur  der 
italienischen  Renaissance  entlehnt  und  hat  offenbar  die  symmetrische 
Anlage  der  Kuppel  über  gleichseitig  lateinischem  Kreuz  zum  Vorbild. 

Daß  Lionardo  der  Mitte,  die  beim  zentral-symmetrischen  Kuppel- 
bau räumlich  doch  das  Hauptstück  bildet,  eine  ihrer  inneren  Bedeutung 
entgegengesetzte  Ausdehnung  gab,  ist  wohl  als  eine  Geistreichigkeit 
zu  erklären,  die  gerade  bei  Lionardo  nicht  wundernimmt,  in  einem 
Gemälde  aber  doch  wenig  angebracht  erscheint.  Lionardo  dachte 
zu  viel,  auch  noch  während  der  Arbeit  und  das  ist  ihm  bei  seinei  Schöp- 
fungen immer  etwas  hinderlich  gev  esen. 

Was  wirModernen  nun  aber  spezifisch  malerisch  nennen  und  von  der 
Malerei  in  erster  Linie  verlangen,  kannte  die  Renaissance  noch  ebenso 
wenig,  wie  die  franzosischen  Klassizisten  die  eigentlich  dramatische 
Handlung.  In  dieser  Hinsicht  ist  vielleicht  Corneilles  Horace  die  einzig 
kunstgerechte  Tragödie  des  XVII.  Jhs.  Man  tauschte  sich  eben  über 
das  Wesen  seiner  Kunst,  wofür  nichts  lehrreicher  ist,  als  die  ,, Examens" 
Corneilles  zu  seinen  Stücken,  die  in  ihren  Prinzipien  der  in  den  Stücken 
selbst  geübten  Praxis  auf  keine  Weise  entsprechen.  Er  wollte  es  aber 
den  Gelehrten  gerecht  gemacht  haben  und  konnte  doch  den  Künstler 
in  sich  nicht  unterdrücken.  Racine  litt  unter  gleichem  Zwiespalt 
und  deshal)  av  r  seine  Künstlerlaufbahn  oft  recht  dornenvoll.  Nur 
La  Fontaine  erscheint  als  der  sorglos  heilere  Liebling  der  Musen,  gleich 
wie  Rafael  unter  den  Malern. 

Corneille  handelte  Themen  ab,  disputierte  über  Salonfragen, 
wie  im  Cid,  und  konnte  dabei  nach  Herzenslust  komponieren;  Racine 
aber  experimentierte  im  Sinne  von  seelischen  Belastungsproben  und 


Miszelle.  309 

konnte  deshalb  mit  einem  Kompositions  Schema  nicht  viel  anfangen, 
aber  er  traute  seinem  dichterischen  Genius  nicht  immer  und  ließ 
sich  zuletzt  von  solchen  Spielereien  blenden.  Die  Auflassung  vom 
Drama  als  einem  Architekturwerk  hat  dabei  einen  großen  Anteil  ge- 
habt. Für  La  Fontaine  endlich  war  es  nicht  schwer,  es  ihnen  in  solcher 
Kunst  gleich  zu  tun.  Seine  Stoffe  waren  hierfür  plastisch  genug  und 
in  der  Form  Aveniger  verbindlich,  als  die  dramatischen.  So  hat  er  in 
der  Fabel  1.  e  L  o  u  p  et  l'A  g  n  e  a  u  (I,  10)  dem  Wolf  10  Verse  ge- 
geben, dem  Lamm  ebenfalls  10,  während  er  selbst  mit  neun  Versen  so 
beteiligt  ist,  daß  er  mit  seinen  Worten  das  Ganze  rahmenartig  umfaßt. 
Die  übrigen  Dialogpartien  sind  symmetrisch  angeordnet,  der  Wolf 
redet  in  der  Mitte  und  am  Anfang  und  Ende;  das  Lamm  in  den 
beiden  dazwischen  liegenden  Partien. 

Ohne  die  oben  nachgewiesene  Kompositionsform  wäre  das  alles 
bedeutungslos  und  Tüftelei,  mit  ihr  aber  nicht. 

Halle  a.  S.  G.  Steinweg. 


21* 


Novitätenverzeichnis. 

(Abgeschlossen  am  1.  Mai  1911.) 


1.  Bibliographie  und  Handschrlftenkunde. 

Maignien,  E.  Catalogue  des  livres  et  manuscrits  du  fonds  dauphinois 
de  la  Bibliotheque  municipale  de  Grenoble.  T.  2.  2e  partie.  Gre- 
noble,  impr.  AUier  freres.     1910.     In-8,  VII-232  p. 

Delpy,  A.  Essai  d'une  bibliographie  speciale  des  livres  perdiis,  ignor^s 
ou  connus  ä  I'etat  d'exemplaire  unique.  2e  volume.  Lettre  H  ä 
Lettre  P.    Paris,  A.  Durel,  1911.     Grand  in-8,  179  p. 

Lasteyrie,  R.  de  et  A.  Vidier.  Bibliographie  annuelle  des  travaux 
historiques  et  archeologiques  publies  par  les  societes  savantes  de  la 
France,  dressee  sous  les  auspices  du  ministere  de  l'instruction 
publique.     1906—1907.     Paris,  E.  Leroux,  1909.     In-4,  269  p. 

Lefevre,  E.  Catalogue  general  de  la  librairie  provengale.  Annöe  1910. 
Marseille,  P.  Ruat,  1911.     15  S.     8».     Pr.  1  fr. 

Tempel,  H.  Bibliographie  1907  [Supplementheft  XXXII  der  Zs.  f. 
roman.  Philologie]. 

Omont,  H.  Nouvelles  Acquisitions  du  departement  des  manuscrits  de 
la  Bibliotheque  nationale  pendant  les  annees  1909 — 1910.  Inven- 
taire  sommaire.  Paris,  E.  Leroux,  1911.  In-8,  68  p.  [Tirage  ä 
part  de  la  Bibliotheque  de  l'Ecole  deschartes.    Annee  1911,  p.  5 — 56]. 

3.  ^Enzyklopädie,  Sammelwerke,  Gelehrtengeseliiclite. 

Bericht  üb.  die  Verhandlungen  der  XIV.  Tagung  des  allgemeinen  deut- 
schen Neuphilologen-Verbandes  (A.  D.  N.  V.)  in  Zürich  vom  16.  bis 
19.  V.  1910.  Hrsg.  vom  Vorstande  des  allgemeinen  deutschen  Neu- 
philologen-Verbandes. IV,  174  S.  Gr.  8**.  Hannover,  C.  Mever, 
1911.     3  Mk. 

Casopis  pro  Moderni  Filologia  Vydäva  Klub  Modernich  Filologu. 
Roenik  I.  Sesit  1.  Redaktoi'-i:  Jan  Mächal,  Josef  Janko,  Pr.  Mir. 
Haskovec.  V  Praze  1911.  Näkladem  Klubu  modernich  filologu. 
Tiskem  Edvarda  Leschingra  v  Praze. 

Glossaire  des  patois  de  la  Suisse  romande.  Douzieme  rapport  annuel 
de  la  rödaction  1910.  Neuchätel.  Imprimerie  Attinger  freres  1911. 
16  S.     8». 

Rei>.  des  etudes  rabelaisiennes  VIII,  4  [Sommaire.  L'Ecriture  sainte  et 
la  littörature  scripturaire  dans  l'oeuvre  de  Rabelais,  par  Jean 
Plattard.  P.  257.  —  Rabelais,  et  la  legende  de  saint  Martin,  par 
Gustave  Cohen  (avec  une  planche).  P.  331.  —  Jean  Thenaud  et 
Rabelais,  par  Lazare  Sainean.  P.  350.  —  Saint  Guodegrin,  par 
Henri  Clouzot.  P.  361.  —  Quelques  vocables  prö-rabelaisiens,  par 
H.  Vaganay.    P.  364.  —  Comples-Rendus.    P.  366:  V.-L.  Bourrilly. 


Novitätenverzeichnis.  311 

Lettres  ecrites  d'Italie  par  Frangois  Rabelais  (döcembre  1535- 
levrier  1536)  (J.  Plattard).  —  P.  367:  Alfred  Richard.  Un  diplo- 
mate  poitevin  du  XVle  siecle.  Charles  de  Danzay,  ambassadeur 
de  France  en  Danemark  (Henri  Clouzot).  —  P.  369:  Maurice  La- 
combe.  Essai  sur  la  coutume  poitevine  du  mariage  au  döbut  du 
XVe  siecle,  d'apres  le  vieux  «Coustumier  du  Poictou»,  1417  (H.  C). 
—  P.  349:  Paul  Laumonier.  Tableau  chronologique  des  (Euvres 
de  Ronsard,  suivi  de  poesies  non  recueillies  et  d'une  table  alpha- 
betique  (J.  Plattard).  —  P.  370:  Gustave  Macon.  Chantilly  et  le 
Musee  Conde  (J.  B.).  —  Chronique.  P.  372-382.  —  Table  des  Ma- 
tteres. P.  383.  —  Fac-simile:  La  messe  de  saint  Martin.  Le  miracle 
des  manches.  Le  diable  au  volet  ecoutant  le  caquet  des  femmes. 
P.  332. 
Sprachen,  die  neueren.  Zeitschrift  f.  d.  neusprachL  Unterricht.  1910. 
Ergänzungsbd.  Festschrift,  Wilhelm  Vietor  zum  25.  XIL  1910  dar- 
gebracht V.  F.  Brie,  K.  D.  Bülbring,  A.  Eichler,  W.  Franz,  O.  Hoff- 
mann, F.  Holthausen,  O.  Jespersen,  F.  Kluge,  E.  Koeppel,  K.  Luick, 
E.  A.  Meyer,  P.  Passy,  O.  Ritter,  J.  Schipper,  H.  Schneegans, 
A.  Schröer,  L.  L.  Schücking,  Th.  Siebs,  E.  Stengel,  A.  Thumb, 
J.  van  Herp,  H.  Varnhagen,  E.  Wechssler.  IV,  333  S.  m.  Fig.  u. 
1  Taf.     Gr.  8«.     Marburg,  N.  G.  Elwerts  Verl.,  1910.     7  Mk. 

Daire.  —  Notice  biographique  sur  le  Pere  Daire;  par  Alcius  Ledieu. 
Abbeville,  impr.  Lafosse,  1911.  Grand  in-8,  LIII  p.  (vgl.  oben 
p.  280). 

3.  Sprachgeschichte,  Oraniiuatik,  licxikog^raphie. 

Damm,  O.  Der  deutsch-französische  Jargon  in  der  schönen  französi- 
schen Literatur.  I.  Kapitel:  Verstöße  gegen  die  Aussprache  der 
Konsonanten.     Diss.  Berlin  1910.     80  S.     8«. 

Tockert,  J.  Romanische  Lehnwörter  in  der  luxemburgischen  Mundart. 
Etymologisch-kulturhistorische  Beiträge  zum  luxemburgischen  Wör- 
terbuch.    Luxemburg  1910.     20  S.     4^. 


Vossler,    K.      Zur    Entstehungsgeschichte    der   französischen    Schrift- 
sprache [In:  Germ.-roman.  Monatsschrift  III]. 


Adler,  H.    Die  lautliche  und  begriffliche  Entwickelung  der  französischen 

Verba  des  Infinitivausgangs  Vokal  +  y  -\-  er.     Kieler  Dissertation 

1911. 
Lude,  W.    Die  lautliche  und  begriffliche  Entwickelung  der  lateinischen 

Verba  intensiva   und  frequentativa  (iterativa)  im  Französischen. 

Kieler  Dissert.   1911. 
Passy,   P.     Quelques  specimens  de  Vieux  Frangais  avec  la  pronon- 

ciation  reconstituee  et  transcrite  phonetiquement  [In:  Festschrift 

für  W.  Vietor,  s.  oben  Neuere  Spr.}. 
Philipon,  E.     Les  parlers  du  duche  de  Bourgogne  aux  Xllle  et  XlVe 

siecles  [In:  Romania  XXXIX,  476—531]. 
Schuchardt,  H.      Zum  Nasaleinschub    [In:  Zs.  f.  rom.    Phil.    XXXV 

71—92]. 
Stimming,  A.     Über  das  anglonormanische  dl,  dn,  altfranz.  sl,  sn  [In: 

Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXV,  93—96]. 
Sostmann,   C.     Der  Formenbau  des  Nomens  und  Verbums  in  dem 

Fragment  von  Gormont  et  Isembart,  nebst  einem  etymologischen 

Wörterverzeichnisse.     Kieler  Dissert.  1910. 


Behrens,  D.     Franz.  rotengle  [In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXV,    2.  S.  231]. 
—  saunee  [In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXV,  2.  S.  231]. 


312  Novitätenverzeichnis. 

Constant,  L.  ei  A.  Thomas.  Miscere  en  ancien  frangais  [In:  Romania 

XXXIX,  580]. 
Ettmayer,  K.     Tose,  carena  [In:  Wörter  und  Sachen  II,  2]. 
Faral,  E.    «Leire»  dans  une  chanson  franQaise  [In:  Romania  XXXIX, 

582]. 
Gillieron,  J.  et  M.  Roques.     Etudes  de  philologie  linguistique,  mots 

en  collision:  Le  coq  et  le  chat.  —  Epi  et  äpine  [In:  Rev.  de  phil. 

frane.  et  de  litter.  XXIV,  4]. 
Jackson,  H.  und  H.  Mutschmann.   'Bozzimacu'  [In:  Mod.  Lang.  Review 

VI,  1.    S.  96]. 
Jud,   J.     Sprachgeographische   Untersuchen.     VI.   Frz.    son    'Kleie'. 

[In:  Arch.  f.  n.  Spr.  126  1/2]. 
Langlois,  Ch.-V.     Anc.  franf.  pichar  [In:  Romania  XXXIX,  581]. 
Meyer-Lühke,  W .     Franz.  creme.  —  Archiater  und  medicus  in  Frank- 
reich [In:  Arch.  f.  n.  Spr.  126  1/2]. 
Nicollet,  F.  N.     Histoire,  Origine  et  Etymologie  du  mot  braca,  braga, 

braj'a,  braie  [In:  Annales  de  Provence.    Janvier-fevrier  1911.    S.  24 

bis  38  (ä  suivre)]. 
Nyrop,   Kr.     Degradation  du  sens  des  mots  [Academie  Royale  des 

Sciences  et  des  lettres  de  Danemark.    Extrait  du  Bulletin  de  l'Annee 

1910  Nr.  6]. 
Salvioni,  C.    Miscellanea  etimologica  e  lessicale  [In:  Romania  XXXIX, 

433—475]. 
Weekley,  E.     A  propos  de  l'anc.  frang.  escomos,  escoymous  [In:  Ro- 
mania XXXIX,  584]. 


Bieringer,    E.      Der   mittel-   und   neufranzösische   direkte   Fragesatz. 

Diss.  Göttingen.     1910.     130  S.     8«. 
Cledat,   L.     Nomenclature   grammaticale   [In:    Rev.    de   Phil,    frang. 

XXIV,  4.     S.  314—316]. 
—  L'imparfait  du  subjonctif,  temps  defectif  [In:  Rev.  de  phil.  frang. 

et  de  litter.  XXIV,  4]. 
Dittmar,  A.     Syntaktische  Grundfragen.     [Wissenschaftliche  Beigabe 

zum   Jahresbericht  der  Fürsten-  und   Landesschule   St.  Augustin 

zu  Grimma  1911]     Grimma  1911.     71  S.     4P. 
Knickerbocker,  W.  S.     Ellipsis  in  Old  French.    Submitted  in  partial 

fulfilment   of  the  requirement  for  the  degree  of  Doctor  of  Philo- 

sophy,    in     the    Faculty    of    Philosophy,     Columbia    University. 

New  York  1911. 
Körte,  J.     Die  beziehungslosen  Relativsätze  im  Französischen.     Diss. 

Göttingen  1910.     XV,  166  S.     8». 
Koopmann,  W.     Die  Inversion  des  Subjekts  im  Französischen.     Diss. 

Göttingen  1910.     X,  109  S.     80. 
Schreinecke,  W.     Die  Entwickelung  des  Modus  im  indirekten  Frage- 
satze des  Französischen.    Diss.  Göttingen  1910.    XVIII,  52  S.    8". 


Durand  la  Calade,  J.  de.  Notes  sur  les  Rues  d'Aix  aux  XlVe  et  XV« 
siecles  (suite)  [In:  Annales  de  Provence.  Janv.-f6vr.  1911.  S.  39  bis 
48]. 

Gensollen,  O.  Etymologie  du  nom  de  lieu  «AI  Manarre»  [In:  Annales 
de  Provence  VII,  6]. 

Kremers,  J.  Beiträge  zur  Erforschung  der  französischen  Familien- 
namen.    Münster.     Diss.  1910. 

Zachrisson,  R.  E.  A  Contribution  to  the  study  of  Anglo-Norman 
nfluence  on  English  place-names.  Lund,  Gleerup.  Kr.  3,75  [Lunds 
Universitets-Arsskrift.  N.  F.     Afd.  1.  IV,  3]. 


Novilätenverzeichnis.  313 

Hauser,  H.  Un  document  sur  la  röforme  orthographique  de  Louis 
Maigret  [In:  Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  Fr.  XVIII,  1]. 

Meyer,  E.  A.  Untersuchungen  über  Lautbildung.  Experimental- 
phonetische  Untersuchungen  über  die  Vokalbildung  im  Deutschen, 
Holländischen,  Englischen,  Schwedischen,  Norwegischen,  Fran- 
zösischen und  Italienischen.  Mit  1  Tal'el  in  Lichtdruck  und  42  Text- 
figuren. Marburg,  N.  G.  Elwert,  19U.  83  S.  8«,  [Aus:  Fest- 
schrift Wilhelm  Victor]. 

Scerba,  L.     Notes  de  phonetique  gönörale  [In:  M6m.  Ling.   XVI,  4]. 
Victor,  W.    Einheitliche  Aussprachebezeichnung  [In:  Neuere  Sprachen 
XVIII,  9]. 

Daire.  —  Dictionnaire  picard  gaulois  et  frangois  contenant  aussi  les 
mots  gaulois  approchants  le  plus  du  dialecte  de  la  Picardie  avec 
leur  signification  en  Frangois  par  le  Pere  Daire.  Ouvrage  indis- 
pensablement  necessaire  ä  tous  ceux  qui,  par  nöcessite,  par  ötude, 
par  plaisir  ou  par  etat,  se  trouvent  dans  le  cas  de  dechiffrer  les 
archives.  Mis  en  ordre,  completö  et  publie  d'apres  le  manuscrit 
autographe  par  Alcius  Ledieu.  Paris,  H.  Champion,  lOlL  LVII, 
166  S.     8». 

Pfohl,  E.  Neues  Wörterbuch  der  französischen  und  deutschen  Sprache 
für  den  Schul-  und  Handgebrauch.  2  Teile  in  1  Bde.  XII,  620 
und  542  S.     8».     Leipzig,  F.  A.  Brockhaus.     1911.     geb.   7  Mk. 

4.  Metrik,  iStiligtik,  Poetik,  Khetorik. 

Elster,  Ernst.  Prinzipien  der  Literaturwissenschaft.  2  Bde.  Stilistik. 
VII,  311  S.)  gr.  8».     Halle,  M.  Niemeyer.     1911.     8  Mk. 

5.  Moderne  Dialekte  nnd  Tolksknnde. 

Braconnier,  P.  Causerie  grammaticale:  Variation  locale  du  frangais; 
Longs  mots;  Vieilles  langues  [In:  Annales  des  Basses-Alpes.  Sie 
annee,   1910.     P.  265—283.     355—368.]. 

Hingre.  Vocabulaire  complet  du  patois  de  la  Bresse  (suite)  [In : 
Bull,  de  la  soc.  philomatique  vosgienne.  35"^e  annöe.  1909 — 1910. 
Saint-Di6  1910. 

Horning,  A.    Zum  Glossar  von  Belmont  [In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXV,  2]. 

Hrkal,  Ed.  Grammaire  historique  du  patois  picard  de  Demuin  (suite) 
[In:  Rev.  de  Phil,  frang.  et  de  litter.  XXIV,  4]. 

Kervarec,  H.  Le  parier  frangais  de  Quimper  [In :  Annales  de  Bre- 
tagne Juillet  1910]. 

Armanac  de  la  Gascougno,  pour  1911.  (14e  annee.)  Auch,  impr.  L.  Co- 
charaux.     1911.     In-16,  79  p.  20  cent. 

Armanac  de  Louzero,  per  loü  be  Ion  de  Diöu  1911.  (57«  annado  del 
Fölibrige),  marco  las  fieros,  las  festos,  las  lunos,  las  sesous,  I.  o.  de 
contes,  de  prouverbis,  de  chansous,  de  fargos,  per  fa  passa  lou 
temps  al  brabe  mounde  de  nostre  pays.  Alende,  impr.  C.  Pauc. 
1911.     In-16,  64  p.  25  cent. 

Armanac  nicart,  pour  1911.    Nice,  J.  Eynaudi,  ^dit.  1911.     In-8,  103  p. 

Dialogue  facetieux,  d'un  Gentil-homme  Frangois  se  complaignant 
de  l'amour  et  d'un  Berger,  qui  le  trouvant  dans  un  Bocage  le  re- 
conforta,  parlant  ä  luy  en  son  patois.  Le  tout  fort  plaisant.  Publik 
par  G.  Thiriot  [In:  Jahrb.  der  Gesellschaft  für  lothring.  Gesch. 
und  Altertumskunde.     XXI,  2.     1910]. 

Eynaudi,  J.  Mise  Pounchoun,  coumedia  nigarda  en  un  ate  e  en  prosa. 
Letra  prefaga  de  Jöuse  Giordan.  Illustrations  originales  de  Paul 
Trachel.     Nice,  S.  Eseoffier.     1910.     In-8  55  p. 


314  Novitätenverzeichnis. 

Gras,  F.    L'Eiretage  de  l'ouncle  Bagnöu,  coumedi  en  tres  ate.    Avignon. 
J.  Roumanille.     1911.     In-16,  56  p. 

Heren,  E.  Morceaux  choisis  de  patois  picard  des  XVIle  et  XVIIIe 
siecles.  Conference  faite  ä  la  seance  des  Rosati  picards,  du  21  mars 
1904.    In-16,  25  p.  [Conferences  des  Rosati  picards,  Amiens,  XLV]. 

Mistral,  F.  Mireio,  poema  provenpal.  Traducgao  portugueza  com  o 
texto  provenfal  auctorisada  pelo  autor  de  F.  R.  Gomes  Jor.  Paris, 
H    Garnier.     1910.     In-18  jösus,  492  p.  avec  musique  et  portrait. 

Reille,  J.  Li  BenuranQo!  pouemo.  Vaison  (Vaucluse),  impr.  G.  Roux. 
1910.     Petit  in-8,  17  p.  50  cent. 


Chants  et  Chansons  populaires  recueillis  et  classes  par  Achille  Millien, 

avec  les  airs  notes  par  J.  G.  Penavaire.    T.  3:  Chansons  anecdotiques 

(suite).    Paris,  E.  Leroux.    1910.    In-8,  VIII-239  p.  15  fr.  [Littera- 

ture  orale  et  Traditions  du  Nivernais  (Morvan,  Bazois,  Amognes, 

Puisaye,  etc.)]. 
Colson,  O.    Les  Petes  paroissiales :  Les  «Jeux  populaires»  [In:  Wallonia. 

Novembre  1910]. 
Contes  populaires  sur  les  Ogres  recueillis  ä  Blida  et  traduits  p.  J.  Des- 

parmet.     2  Bd.  18^.     10  fr.     Paris,  Leroux  [Collection  de  Contes 

et  Chansons  populaires  t.  XXXV.  XXXVI]. 
Merle,   R.     Die   Tierwelt  im   deutschen  und   franz.    Sprichwort     [In: 

Festschrift  zum  600jähr.  Jubiläum  des  Gymnasiums  zu  Liegnitz]. 
Mouzin,   A.     Deux  legendes  d'Höracles  en  Provence  [In:   Memoires 

de  l'Academie  de  Vaucluse,  2e  serie,  t.  X  (1900),  S.  81—84]. 
Sebillot,  P.    Y.    La  Bretagne  pittoresque  et  lögendaire.    Paris,  H.  Da- 

ragon.     3  fr.  50. 

6.  Lilteraturgeschichte. 

a)  Gesamtdarstellungen. 

Brandes,  G.  Jeanne  d'Arc  in  Dichtung  und  Geschichte.  [In:  Neue 
Jahrbücher  1911.     I.     S.   186—207]. 

Claretie,  L.  Historia  de  la  literatura  francesa  (900—1900).  Version 
castellana  por  Miguel  de  Toro  y  Gomez.  Tomo  segundo:  Desde  el 
siglo  XVIII  hasta  fines  del  XIX.  Paris,  P.  Ollendorff.  1911. 
In-8,  1211  p. 

Faivre,  J .  Histoire  de  la  litterature  frangaise  et  Analyse  des  auteurs. 
Paris,  G.  Beauchesne  et  Cie.     1910.     Petit  in-8,  684  p. 

Lecureux,  L.  Une  legende  d'origine  iconographique.  La  Legende 
d'Avenieres.  Contribution  k  l'ötude  des  procedes  de  formation 
des  legendes.  Paris,  H.  Champion.  1910.  In-8,  10  p.  [Extrait 
du  «Moyen  äge».     2e  serie.     T.  14  (juillet-aoüt  1910]. 

Meyer,  Richard  M.  Tannhäuser  und  die  Tannhäusersage  [In:  Zs.  d. 
Vereins  f.  Volkskunde  XXI,  1]. 


Benary,  W.    Über  die  Verknüpfungen  einiger  französischer  Epen  und 

die  Stellung  des  Doon  de  Laroche  [In:  Roman.  Forsch.  XXXI,  1]. 
Beneke,  A.     Das  Repertoir  und  die  Quellen  der  französischen  Farce. 

Jenenser  Dissert.  1910.     107  S.    8". 
Bruce,  J.  D.    Some  proper  names  in  Layamon's  Brut  not  represented 

in  Wace  or  Geoffrey  of  Monmouth  [In:  Mod.  Lang.  Notes.    March 

1911]. 
Brun,  A.    Les  Troubadours  d'apres  quelques  livres  recents.    Avignon, 

F.  S^guin,  1910.    In-8,  16  p.  [Extrait  des  «Memoires  de  l'Academie 

de  Vaucluse»,  1910]. 
Burchardt,    A.     Beiträge   zur   Kenntnis  der   französ.    Gesellschaft  in 

der  2.  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts,  auf  Grund  der  Werke  Rutebeufs, 


NovitäLetwerzeichnis.  315 

des  Roman  de  la  Rose,  des  Renart  le  Nouvel  und  des  Couronne- 
ment  Renart.     Diss.  Leipzig  1910.     85  S.  8». 

Debenedetti  Santore.  Gli  studi  provenzaii  in  Italia  nel  Cinquecento. 
Torino,  E.  Loescher.     (Olivero  e  C).     1911.     VIII,  304.     L.  10. 

Erfurth,  P.  Die  Schlachtschilderungen  in  den  älteren  Chansons  de 
Geste.     Hallenser  Dissert.   1911. 

Heyl,  C.  Die  Theorie  der  Minne  in  den  ältesten  Minneromanen  Frank- 
reichs.    Dissert.     Marburg,  A.  Ebel. 

Klein,  A.  Die  altfranzösischen  Minnefragen.  Ein  Beitrag  zur  Ge- 
schichte des  Streitgedichts  und  der  Minnehöfe  (Teildruck).  Mar- 
burger Diss.  1910  [Die  vollständige  Arbeit  erscheint  als  Heft  I 
der  Marburger  Beiträge  zur  romanischen  Philologie.  Herausgb. 
von  E.  Wechssler]. 

Lefranc,  A.  La  civilisation  intellectuelle  en  France  ä  l'epoque  de  la 
Renaissance:  L'independance  intellectuelle  au  Moyen-Age  [In: 
Revue  de  cours  et  Conferences  XIX,  2]. 

—  La  fin  du  Moyen-Age.  La  Renaissance  du  XlVe  siecle  [In:  Rev. 
des  cours  et  confer.  XIX,  3]. 

—  Le  XVe  siecle:  civilisation  et  litterature  [In:  Revue  des  cours  et 
Conferences  XIX,  4]. 

Liebermann,  F.,  Der  Name  Arthur  [Im  Arch.  f.  n.  Spr.  126^/2]. 
Neubert,  Fr.     Die  volkstümlichen  Anschauungen  über  Physiognomik 

in  Frankreich  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters  [In:  Rom.  Forsch. 

XXIX,    2]   (Auch   Münchener   Dissertation.      Vgl.    unten   p.   320 

L.  Jordan). 
Novati,  F.     Rapports  litteraires  de  l'Italie  et  de  la  France  au  Xle 

siecle  [In:  Comptes  rendus  des  seances  de  l'Academie  des  inscrip- 

tions  et  belles-lettres  1910]. 
Reinhold,  J.     Über  die  verschiedenen  Fassungen  der  Bertasage  [In: 

Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXV,  1]. 
Sommer-Tolomei,  Elv.     La  leggenda  di  Tristano  in  Italia  [In:  Rivista 

d'Italia  XIII,  7]. 
Stefanooic,    S.       Die    Crescentia-Florence-Sage     [In:     Rom.     Forsch. 

XXIX,  2]. 
van  Gennep,  A.     Legendes  populaires  et  Chansons  de  geste  en  Savoie. 

Paris,  bureau  de   la  «Revue  des  Idees'>,  26,  rue  de  Conde.     1910. 

In-8,  44  p.  [Extrait  de  la  «Revue  des  Idees»  du  15  novembre  1910]. 
Young,  K.    Phillippe  de  Mezieres  Dramatic  Office  for  the  presentation 

of  the  Virgin  [In:  Publications  of  the  Mod.  Lang.  Assoc.  of  America 

XXVI,   1]. 
Zenker,   R.     Die  Tristansage  und   das  persische  Epos  von  Wis  und 

Rämin  [In:  Rom.  Forsch.  XXIX,  2]. 


Bernard,  G.  Le  Cid  espagnol  et  le  Cid  frangais.  Essai  de  critique  et 
d'analyse  litteraire.  Lille,  impr.  Lefebvre-Ducrocq,  1910.  In-16, 
35  p.  [L'Imitation  espagnole  en  France.    I]. 

Berthelot,  R.  Un  romantisme  utilitaire.  Etüde  sur  le  mouvement 
pragmatiste.  Le  pragmatisme  chez  Nietzsche  et  chez  Poincare. 
Paris,  F.  Alcan.     7  fr.  50. 

Blanck,  K.  Der  französische  Einfluß  im  zweiten  Teil  von  Gottscheds 
Critischer  Dichtkunst.     Diss.  München  1910.     149  S.     8». 

Bled,  V.  du.  La  societe  frangaise  du  XVI^  siecle  au  XXe  siecle.  Vllle 
sörie:  XVIIle  et  XIXe  siecles.  La  comedie  de  societe.  Le  Monde 
de  I'Emigration.     Paris,  Perrin  &  Cie.     3  fr.  50. 

Chevalier,  Adrien.  Etudes  litteraires.  Maurice  Barres.  —  Paul  Bourget. 
—  Maurice  Donnay.  —  Anatole  France.  —  Paul  Hervieu.  —  Louis 
le  Cardonnel.  —  Henri  Heine.     Paris,  E.  Sansot.     3  fr.  50. 


316  No  V  (täten  ver  zeich  n  is. 

Chol,  J.  et  R.  Delhier.  Histoire  des  lettres  frangaises  de  Belgique 
depuis  le  moj'en  äge  jusqu'ä  nos  jours.  Preface  de  Paul  Adam. 
Charleroi,  impr.  D.  Hallet,   1910.     XII,  605  S.     4».     5  fr. 

Collins,  J.  Ch.  Voltaire,  Montesquieu  et  Rousseau  en  Angleterre. 
Traduit  de  l'Anglais  p.  P.  Deseille.    Paris,  Hachette  et  Cie.   3  fr.  50. 

Fagniez,  G.  La  femme  et  la  societe  fran^aise  depuis  la  premiere  moitie 
du  XVIle  siecle  —  Le  Mariage  [In:  Rev.  des  Deux  Mondes  ler  janv. 
1911]. 

Gaubert,  Ernest.  Figures  francaises.  Rivarol.  —  Fromentin.  —  Fran- 
?ois  Copp(^e.  —  Emmanuel  Signoret.  —  Charles  Gu6'in.  —  Maurice 
Barres.    Paris.    Nouvelle  librairie  nationale.    X,  240S.    Iß''.  3  fr.  50. 

Gazier,  A.  Le  theätre  de  Florian,  Andrieux,  Colin  d'Harleville,  Fabre 
d'Eglantine  [In:  Rev.  des  cours  et  Conferences  XIX,  4]. 

Gerold,  Th.,  Zum  'genre  troubadour'  um  1780  [Im  Arch.  f.  n.  Spr.  126V2- 

Hansen,  Ch.  Frauenbildung  im  17.  Jahrhundert  in  Frankreich  nach 
den  Briefen  von  Mme  de  Sevigne.    Diss.  Heidelberg  1910.   66  S.    8^. 

Hazard,  P.  La  Revolution  frangaise  et  les  lettres  italiennes.  Essai 
sur  l'influence  frangaise  en  Italie  de  1789  ä  1815.  Paris,  Hachette. 
8».     Fr.   10. 

Hervier,  M.  Les  Ecrivains  frangais  juges  par  leurs  contemporains. 
Jugements  recueillis,  commentes,  completes  ou  rectifies.  I.  Le 
XVle  et  XVIle  siecle.  Paris,  P.  Delaplane,  1911.  In-16,  VIII, 
676  p.     4  fr.  50. 

Humblot,  M.  L'edition  littöraire  au  XIXe  siecle.  18  S.  8"  [Supple- 
ment ä  la  Bibliographie  de  la  France,  n°  11.     17  mars  1911]. 

Kohler,  E.  Entwicklung  des  biblischen  Dramas  des  XVI.  Jahrh. 
in  Frankreich  unter  dem  Einfluß  der  literarischen  Renaissance, 
bewegung  XIV,  69  S.  8*^.  [Münchener  Beiträge  zur  rom.  u.  engl- 
Phil.    52.  Heft]. 

Lachevre,  Fr.  Disciples  et  successeurs  de  Thöophile  de  Viau.  La 
vie  et  les  po^sies  libertines  inedites  de  Des  Barreaux  (1599 — 1673) 
—  Saint-Pavin  (1595—1670).  Paris,  H.Champion,  1911.  XIV^ 
541   S.     8".     10  frcs.  [Le  libertinage  au  XVI  le  siecle]. 

Ledere,  T.  Les  femmes  de  theätre  du  XVIIJe  siecle.  Paris, 
H.  Piazza.    200  fr. 

Lefranc,  A.  Les  romans  du  XVe  siecle  [In:  Rev.  des  cours  et  Con- 
ferences XIX,  5]. 

—  Les  Romans  et  les  Farces  du  XVe  siecle  [In:  Rev.  des  cours  et 
Conferences  XIX,  7]. 

—  Les  poetes  du  XVe  siecle.  Les  Humanistes.  L'imprimerie  [In: 
Rev.  des  cours  et  Conferences  XIX,  8]. 

—  Origines  de  l'imprimerie.  Savants  et  Lettres  au  XVe  siecle.  Robert 
Gaguin  [In:  Rev.  des  cours  et  Conferences  XIX,  9]. 

—  La  Renaissance  aux  Pays-Bas.  Erasme.  Les  grands  Rhetoriqueurs 
[In:  Revue  des  cours  et  Conferences  XIX,  11]. 

Levrault,  L.     La  Critique  litteraire  (Evolution  du  genre).     Paris,  P. 

Delaplane,  1910.  In-18,  138  p.  75  cent  [Les  Genres  litteraires]. 
Maury,  L.  Les  origines  du  romantisme  [In:  Revue  bleue:  18  fevr.  1911]. 
Morel,  L.     La  fortune  de  'Werther'  en  France  dans  la  pot^sie  et  le 

roman  (1778—1816)  [In:  Archiv  f.  n.  Sprachen  CXXV,  347—372]. 
Retinger,  J.  H.     Histoire  de  la  litterature  frangaise,  du  romantisme 

ä  nos  jours.     Paris,  B.  Grasset,  1911.     In-16,  .323  p.     3  fr.  50. 
Rigal,  E.    De  Jodelle  ä  Moliere.    Tragedie.    Comedie.    Tragi-Comedie. 

Paris,  Hachette  et  Cie.     3  fr.  50. 
Schomann,  Emilie.     Französische  Utopisten  des  18.  Jahrhunderts  und 

ihr  Frauenidoal.     Dissert.   Greifswald   1911. 
Stenger,  Gilbert.     Grandes  dames  du  XIXe  siecle.    Ghronique  du  temps 

de  la  restauration.     La  Duchesse  d'Angouleme.  —  La  Duchesse 


Novitätenverzeichn  is.  317 

de  Berry.  —  La  Marquise  de  Castries.  —  La  Duchesse  de  Duras. 

—  La  Princesse  de  la  Tremoille.  —  La  Duchesse  de  Raguse.  —  La 
Marquise  de  Montcalm.  —  Mme  de  Remusat.  —  La  Duchesse 
d'Abrantes.  —  La  Princesse  de  Foix.  —  La  Duchesse  de  Broglie. 

—  La  Comtesse  du  Cayla.  —  La  Duchesse  de  Dino.  Paris,  Perrin 
et  Cie.     5  fr. 

Stroloke,  F.  Das  Tönende  in  der  Natur  bei  den  französischen  Ro- 
mantikern. Königsberger  Dissert.  1911  [Die  vollständige  Arbeit 
erscheint  in  Bd.  XXXI  der  Romanischen  Forschungen]. 

b)  Einzelne  Autoren. 

Antoine  de  la  Säle.  —  A.  Lefranc.  La  civilisation  intellectuelle  en 
France  ä  l'epoque  de  la  Renaissance.  Le  Petit  Jehan  de  Saintr6 
[In:  Revue  des  cours  et  Conferences  XIX,  6]. 

Arene,   Paul.     Von  Lorenz  Petry.     Tübinger  Dissertation  1910. 

Augier.  — G.  Le  Bidois.  Em.ile  Augier  moraliste  [In:  Le  Correspondant 
10  janv.  1911]. 

—  Emile  Augier  et  la  Comedie  sociale  p.  H.  Gaillard  de  Champris. 
Paris,  B.   Grasset.    6  fr. 

Balzac  ignore  p.  le  Docteur  Cabanes  2iönie  ed.  Paris,  Albin  Michel. 
3  fr.  50. 

—  A.  Bettelheim.  Balzac  -  Studien  2  [In:  Deutsche  Rundschau 
XXXVII,  2]. 

—  L.  Tailhade.  Quelques  notes  sur  Balzac  [In:  Mercure  de  France 
16  janv.  1911]. 

—  P.  Musso.    II  Beranger  e  il  Brofferio  [In:  Rivista  d'Italia  XIII,  5]. 
Boileau  et  son  temps  p.  A.  Gazier  [In:  Rev.  des  cours  et  Conferences 

XIX,  8]. 

—  A.  Gazier.  Boileau  poete  satirique  [In:  Revue  des  cours  et  Con- 
ferences XIX,  5]. 

—  A.  Gazier.  La  vie  de  Boileau  [In:  Rev.  des  cours  et  Conferences 
XIX,  9.  11]. 

Bonjour,  C,  als  Sittenschilderer  seiner  Zeit  von  E.  Bauer.     Dissert. 

Heidelberg  1910.     154  S.     8». 
Bossuet.  —  Martine  Bemusat.     Un  converti  de  Bossuet  [In:  Rev.  de 

Paris  XVIII,  4]. 
Charles   d'Orleans.    —   H.    N.    Mac  Cracken.      An    English    Friend  of 

Charles  of  Orleans  [In:   Publ.   of  Mod.   Lang.  Assoc.   of  America 

XXVI,  1]. 
Chevreau.  —  G.  Boissiere.     Urbain  Chevreau.     1613 — 1701.     Sa  vie  et 

ses.   Oeuvres.      Niort,    Clouzot.      Dissertation    Poitiers.      X,    XX, 

508  S.     8". 
Daudet.  —  H.  Willert  Thackerav  und  Daudet   [In  :  Arch.  f.  n.  Spr. 

126  ly. 
Delille.  —  F.   Baldensperger.     L'Emigration  de   Jacques   Delille   [In: 

Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  Fr.  XVIII,  1]. 
Des  Barreaux.     S.  oben  p.  316  Lachevre. 
Faui'el,  Henri,  sa  vie,  son  oeuvre,  l'homme  ,le  savant,  l'ecrivain,  l'homme 

politique;  par  Amedee  Coignet  et  Georges  Ackain.     Paris,  P.  Rosier, 

1911.     In-18,  35  p.     1  fr. 
Fenelon.  —  Lettres  ä  M.  Jules  Lemaitre  sur  la  valeur,  pour  une  nation, 

de  «rUnite  d'esprit»,  ä  propos  de  ses  Conferences  sur  Fenelon;  par 

L.  Gilard.     Paris,  Fischbacher,   1911.     In-16,  59  p. 

—  Fenelon  et  l'Education  attrayante;  par  Gabriel  Compayre.  Paris, 
P.  Delaplane,  1910.    In-18,  107  p.    90  cent  [Les  Grands  Educateurs]. 

—  Fenelon  (etude  d'äme);  par  l'abbe  Sanvert.  Paris,  G.  Amat,  1911. 
In-8,  304  p.     6  fr.  [Voix  canadiennes]. 


318  Novitätenverzeichnis. 

Flaubert  ä  Chenonceaux  p.  R.  Marüneau  [In:  Mercure  de  France 
ler  Mars  1911]. 

—  E.  Bovet.  Le  realisme  de  Flaubert  [In:  Revue  d'Hist.  litter  de  la 
France  XVIII,   1]. 

Gobineau  et  sa  femme  p.    T.  de   Visan  [In:   Le   Journal  des  Debats 

10  janv.   1911]. 
Hugo,   V.  —  Marradi.     La  pietä  sociale  nel  romanzo:  Victor  Hugo  e 

Leone  Tolstoi.     S.  Miniato,  tip.  V.  Bongi  e  figli,  1910.     8".     24  S. 

—  La  Philosophie  de  Victor  Hugo  (1854 — 1859)  et  Deux  Mythes  de 
la  Legende  des  siecles.  Le  Satyre.  Pleine  mer.  Plein  ciel;  par 
Paul  Berret.     Paris,  H.  Paulin  et  Cie.,  1910.     In-8,  144  p. 

R.  Pichon.     Virgile  et  Victor  Hugo  [In:  Rev.  d.  deux  mondes 

15  mars  1911]  (In  Veranlassung  der  Arbeiten  Chabert's  und  Guiard's 
über  das  gleiche  Thema.     Vgl.  oben  p.  227). 

Lamartine  et  Elvire  d'apres  de  nouveaux  documents  p.  L.  Seche  [In: 
Mercure  de  France  ler  fevrier  1911]  (Vgl.  auch  Annales  Romantiques 
VIII,  1]. 

—  P.  de  Lacretelle.  Les  origines  maternelles  de  Lamartine  [In:  Mercure 
de  France.     16  fevrier  1911]. 

—  Pierre  de  Lacretelle.  Les  origines  et  la  jeunesse  de  Lamartine. 
1790—1812.    Paris,  Hachette  et  Cie.     3  fr.  50. 

Lamennais.  —  A.  Rebellian.     Une  amitie  feminine  de  Lamennais  [In: 

Mercure  de  France  ler  fevrier  1911]. 
La  Rochefoucauld.  —  G.  Tinivelle.    La  Rochefoucauld  e  le  sue  massime. 

Studio  storico-critico.     Sondrio.     160  S.     8^. 
Loti,   P.,  sein  Wesen  aus  seinen  Werken  von  G.  Goyeri.     Marburger 

Dissertation  1910. 
Martial  d" Auvergue.  —  A.   Thomas.     Le  pere  de  Martial  d'Auvergne 

[In:  Romania  XXXIX,  586]. 
Maupassant.   —    Souvenirs   sur    Guy    de   Maupassant;    par    Frangois 

(Tassart),  son  valet  de  chambre  (1883 — 1893).    Paris,  Plon-Nourrit 

et  Cie.,  1911.     In-16,  321  p.     3  fr.  50. 

—  Fr.  Tassart.  La  mort  de  Guy  de  Maupassant  [In:  Rev.  des  deux 
Mondes  ler  mars  1911]. 

Moliere.  —  D.  H.  Miles.  The  influence  of  Moliere  on  Restoration 
Comedy.  New  York,  The  Columbia  University  Press.  IX,  272  S. 
8°  [Columbia  University  Studies  in  ComparatiVe  Literature]. 

—  Moliere  p.  M.  Donnay.     Paris,  A.  Fayard.     3  fr.  50. 

—  S.  oben  p.  316  Rigal. 

Montaigne  inconnu;  par  E.  Courbet.     Paris,  H.  Leclerc,   1910.     In-8, 

16  p.  [Extrait  du  «Bulletin  du  bibliophile»]. 
Montesquieu.     S.  oben  p.  316  Collins. 

Murger.  —  Le  cinquantenaire  d'Henry  Murger;  Son  Excellence  Gustave 
Colline,  Souvenirs  personnels,  par  Leon  Seche  [In:  Annales  Ro- 
mantiques VIII,  1]. 

—  Henry  Murger  p.   Jules  Claretie  [In:   Le  Temps.    20  janv.   1911]. 
Musset  et  l'esprit  allemand  [In:  Annales  Romantiques  VIII,  1.    S.  60 

bis  64]. 

—  Michelet  inspirateur  de  Musset  p.  J.  Giraud  [In:  Revue  bleue  1910]. 

—  Alfred  de  Musset  au  Maine;  par  le  marquis  de  Beauchesne.  Mamers, 
impr.  Fleury,  1911.  In-8,  23  p.  [Extrait  de  la  «Revue  historique 
et  archöoiogique  du  Maine»,  t.  68,  1910]. 

—  H.  Harbeck.  Alfred  de  Musset  [In:  Zeitung  f.  Lit.,  Kunst  und 
Wissenschaft.     Beil.  d.  Hamb.  Korrespondenten  22]. 

Pascal  als  Erotiker  von  P.  Sakmann  [In :  Arch.   f.   n.  Spr.  126  ^2]- 
Prudhomme,  Sully,  von  N.  Hohbach  [In:  Neuere  Sprachen  XVIII,  9]. 

—  W.  Brangsch.  Philosophie  und  Dichtung  bei  Sully  Prudhomme. 
Greifswalder  Dissertation  1911. 


Novitätenverzeichnis.  319 

Quinault.  —  E.  Richter.  Philippe  Quinault,  sein  Leben,  seine  Tragödie, 
seine  Bedeutung  für  das  Theater  Frankreichs  und  des  Auslandes. 
Diss.  Leipzig  1910.     151   S.     8°. 

Racine.  —  Les  deux  Racine  de  M.  Faguet.  R^ponse  de  M.  Masson- 
Forestier  [In:  Revue  des  deux  mondes.     ler  f^vrier  1911]. 

Regnier,  H.  de,  p.  G.  Jean-Aubry  [In:  Mercure  de  France  16  f6vr.  1911]. 

Rimband  chez  les  Parnassiens:  Sa  liaison  avec  Verlaine  p.  P.  Berrichon 
[In:  Mercure  de  France  ler  mars  1911]. 

Rousseau,  Jean-Baptiste  röfugiö  en  Suisse,  en  Autriche  et  aux  Pays- 
Bas  (1710 — 1741)  d'apres  les  documents  diplomatiques  inedits  et 
sa  propre  correspondance;  par  Hyrvoix  de  Landosle.  Paris,  Plon- 
Nourrit  et  Cie.,  1911.  In-8,  87  p-  [Extrait  de  la  «Revue  d'histoire 
diplomatique»]. 

—  Rousseau  contre  Helvötius  p.  P.-M.  Masson  [In:  Rev.  d'Hist. 
littär.  de  la  France  XVIII,  1]. 

—  G.  Gran.  Jean-  Jacques  Rousseau  [Det  nittende  aarhundredes 
tilblivelse.  L]  Christiania,  H.  Aschehong  &Co.  (W.  Nygaard).  Kr.  5. 

—  S.  oben  p.  316  Collins. 

Saint-Gelais.  —  C.   Rutz-Rees.     A  note  on   Saint-Gelais  and   Bembo 

[In:  The  Romanic  Review  I,  4]. 
Saint-Pavin.  —  S.  oben  p.  316  Lachevre. 
Sand,  G.  —  A.   Vovard.     Le  colonel  Dudevant,  beau-pere  de  George 

Sand  [In:  Feuilles  d'Histoire  ler  mars  1911]. 
Scarron.  —  Scarroniana.    Von  Joseph  Frank  (Schluß)  [In:  Archiv  f.  n. 

Sprachen  CXXV,  S.  330—346]. 
Stael,  Mme  de.  —  Maria  Teresa  Porta.     Madame  de  Stael  e  l'Italia. 

Firenze,  Ferrante  Gonnelli  1910. 
d'Urfe,  Honore,  dans  ses  rapports  avec  la  Bresse  et  le  Bugey,  d'apres 

les  archives  de  Chäteaumorand  (Loire),  de  Leran  (Ariege),  etc.,  et 

les  travaux  de  M.  le  chanoine  O.  C.  Reure  sur:  La  Vie  et  les  ffiuvres 

de  Honore  d'Urfe;  par  Edmond  Chapoy.    Bourg,  impr.  du  «Courrier 

de  l'Ain»,   18,  rue  Lalande.     In-8,  23  p.  avec  grav.  et  fac-simil6 

d'autographe. 
Verlaine.  —  L.  Maury.    Humilis  et  Verlaine  [In :  Revue  bleue.  4.  f^vrier 

1911]. 

—  Ch.  Morice.  Discours  prononce  au  banquet  des  Amis  de  Paul 
Verlaine.    Plaquette  in-12.     Paris,  L.  Vanier.     1  fr. 

Vigny,  Alfred  de.  —  O.  G.  Harlander.  Alfred  de  Vigny's  pessimistische 
Weltanschauung.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Romantizismus 
in  Frankreich.  Münchener  Dissert.  \I,  89  S.  8"  [Auch  in  Rom. 
Forsch.  XXIX]. 

Villon  ä  Metz  p.  G.  Thiriot  [In:  Le  Pays  Lorrain  et  le  Pays  Messin 
20  janv.   1911]. 

Voltaire.  —  Chardonchamp,  G.  La  Familie  de  Voltaire.  Les  Arouet. 
Avec  un  tableau  genealogique  et  des  blasons.  Paris,  H.  Champion, 
1911.  In-8,  71  p.  2  fr.  50  [Extrait  de  la  «Correspondance  historique 
et  archeologique».     Annees  1909—1910]. 

—  L'Affaire  Sirven.  Etüde  historique  d'apres  les  documents  origi- 
naux;  par  Elie  Galland,  Avec  une  lettre  de  M.  Emile  Faguet. 
Mazamet,  impr.  V.  Carayol ;  en  vente  chez  l'auteur.  1910.  In-8, 
XI-549  p.  avec  grav.,  autographe  et  carte.     6  fr. 

—  F.  Caussy.  La  Mission  diplomatique  de  Voltaire  [In:  La  Grande 
Revue.     10  fevr.   1911]. 

■ —  S.  oben  p.  316   Collins. 

7.  Ausgaben,   Srlänterungsschrlften,   Übersetzungen, 

Lewis,  Charles  B.  La  lyre  d'amour.  An  anthology  of  French  love 
poems  from  the  earliest  times  down  to  1866,  selected  and  anno- 


320  Novitätenverzeichnis. 

tated.      With    a    photogravure    frontispice.      Chatto  &    Windus. 
London  1911.     5  sh. 


Hammond,  E.  P.  Latin  texts  of  the  Dance  of  Death  [In:  Mod.  Phil. 
VIII,  3]. 

Hill,  R.  T.  Two  Old  French  lyrics  hitherto  unpublished  [In:  Mod. 
Lang.  Notes  XXVI,  2]. 

Jordan,  L.  Physiognomische  Abhandlungen  [In:  Rom.  Forsch. 
XXIX,  2]. 

Meyer,  P.  Notice  du  ms.  Egerton  735  du  Musee  Britannique  (premier 
article)  [In:   Romania   XXXIX,  532—569]. 

Petersen,  Holger.  Deux  chansons  pieuses  inconnues  (Dublin,  Trinity 
College,  ms.     D.  4.  18)  [In:  Neuphilol.  Mitteilungen  1911.    Nr.  1)'2]. 

Pillet,  A.  Beiträge  zur  Kritik  der  ältesten  Troubadours.  Sonder- 
abdruck aus  dem  89.  Jahresbericht  der  Schlesischen  Gesellschalt 
für  vaterl.  Kultur.  Sitzung  der  Sektion  für  neuere  Philologie  vom 
23.  Februar  1911.  Breslau  1911.  G.  P.  Aderholz  Buchhandlung. 
19  S.  8"  (I.  Eine  neue  Form  eines  Liedes  des  Grafen  von  Poitiers. 
II.  Binnenreim  bei  Cercamon  und  Marcabru.  III.  Zum  Texte  von 
Marcabrus  Gedichten). 


Albertet  de  Sisteron.  —  G.  Bertoni.    Un  componimento  inedito  di  Albertet 

de  Sisteron  [In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXV,  2]. 
Aldebrandin  de  Sienne.  —  Le  Regime  de  corps  de  Maitre  Aldebrandin 

de  Sienne.     Texte  frangais  du  Xllle  siecle  pubiie  pour  la  premiere 

fois,  d'apres  les  manuscrits  de  la  Bibliotheque  nationale  et  de  la 

Bibliotheque   de   l'Arsenal,    par    les   docteurs   Louis   Landouzy   et 

Roger  Pepin.     Avec  variantes,  glossaire  et  reproduction  de  minia- 

tures.     Pi'eface  de  M.  Antoine  Thomas.    Paris,  H.  Champion,  1911. 

In-8,  LXXVIII,  265  p. 
Alexis.  —  L.  Brandin.     Vie  de  St.  Alexis,  Strophe  CXI,  2  [In:  Mod. 

Lang.  Review  VI,  1.     S.  98—100]. 
Antoine  de  la  Säle.  —  O.  Grojean.     Un  nouveau  manuscrit  d'Antoine 

de  la  Säle  [Extrait  de  l'Annuaire  1910  des  Bibliophiles  et  Iconophiles 

de  Belgique]. 
Arnaut  de  Carcasses.  —  G.  Bertoni.    Nota  sulla  ,,Novella  del  Pappagallo" 

[In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXV,   104  f.]. 
Arnaut,  Daniel.  —  R.  Lavand.     Eclaircissements  sur  la  vie  et  l'oeuvre 

d'Arnaut  Daniel  [In:  Annales  du  Midi.     Janv.  1911]. 
Aspremont.  —  /.  Mayer.     Weitere  Beiträge  zur  Chanson  d'Aspremont 

(Quellen,  Textproben).     Diss.   Greifswald  1910.     51  S.     8». 
Aucassin  et  Nicolette,   XXI,   5 — 8.     By  L.   Brandin  [In:   Mod.   Lang. 

Review  VI,  1.     S.  100—102]. 
Austorc  de  Segret,  Le  sirventes  d',  p.  C.  Fahre  (fin)  [In:  Annales  du 

Midi.     Janvier  1911]. 
Bail  en  langue  d'oc  de  travaux  pour  l'eglise  de  Calvisson  (1482),  pubiie 

par  Edouard  Bondurand.    Nimes,  impr.  A.  Chastanier,  1911.     In-8, 

15  p.  [Extrait  des  «Memoires  de  l'Academie  de  Nimes»  de  I'annee 

1910]. 
Benoit  de  Ste  Maure.  —  K.  Basler.     Konrads  von  Würzburg  ,, Trojani- 
scher Krieg"  und  Benoits  de  Ste  Maure  ,, Roman  de  Troie".    Diss. 

Berlin  1910.     134  S.     8». 
Berte  aux  grans  pies.     S.  oben  p.  315  Reinhold. 
Boeve  von  Hantone.  —  Fritz  Oeckel.     Ort  und  Zeit  der  Entstehung  der 

Fassung    II    des   festländischen    Boeve   von    Hantone.      Göttinger 

Dissertatiou  1911.     VIII,  88  S.     8». 


Novitätenverzeichnis.  321 

Brendan.  —  Das  anglonormannische  Gedicht  von  Brendan  als  Quelle 

einer  lateinischen  Prosafassung,  von  E.  Pfitzner.     Hallenser  Diss 

1910  [Aus:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXV,  1]. 
Cercamon.     S.  oben  p.  320  Pillet. 
Une  Chanson  en  l'honneur  du  glossateur  Martin  et  de  son  fils  Guillaume 

p.  Jean  Acher.     Palermo,  Stab.  tip.  ditta  L.  Gaipa  1910  [Estratto 

dagli  'Studi  in  onore  di  Biagio  Brugi']. 
Chants   royaux   et   Tableaux  de   la  confrörie    du    Puy  Notre-Dame 

d'Amiens  reproduits   en   1517,   pour   Louise   de  Savoie,  duchesse 

d'Angouleme   (Bibliotheque  nationale,   ms.    fran^ais,    145),  publi^s 

par  Georges  Durand,  A.  Picard  et  fils.   1911.   In-fol.,    XI  p.  et  47 

planches.     [Memoires   de   la   Society   des  antiquaires  de   Picardie.] 
Chevalerie  Vivien,  facsimile  phototypes  of  the  Sancti  Bertini  manuscript 

of  the  Bibliotheque  Municipale  of  Boulogne-sur-Mer  with  an  intro- 

duction  and  notes  by  Raymond  Weeks.    Published  by  the  University 

of  Missouri  1909  [The  University  of  Missouri  Studies  ed.  by  W.  G. 

Brown.     1  Literary  and  linguistic  series]. 
Chevalier  au  Cygne.  —  M.  Einstein.     Beiträge  zur  Überlieferung  des 

Chevalier  au  Cygne  und  der  Enfances  Godefroi.  Diss.  Bern.  43  S.  8**. 
Chrestien.  —  E.  Pr.  Hammond.     A  note  on  borrowing  from  Chretien 

de  Troyes  [In:  Mod.  Lang.  Notes.     March  1911]. 
—  Edens,  R.     Erec-Geraint.     Der  Chretien'sche  Versroman  und  das 

wälsche  Mabinogi.    Rostocker  Dissertation.    Gekrönte  Preisschrift. 

Rostock  1910.     IX,   148  S.     8». 
Covenant  Vivian.  —  Willy  Schulz.      Der   Covenant  Vivian    und  der 

gegenwärtige  Stand  der  Forschung.     Progr.   der   Kgl.   Realschule 

in  Wollstein  1911. 
Deschamp.  —  J.  L.  Lowes.     Chaucer  and  the  Miroir  de  Mariage  II 

[In:  Modern  Philol.  VIII,  3]. 
Doon  de  Laroche.  —  S.  oben  p.  314  Benary. 
Eneas.  —  B.  Fairly.     Die  Eneide  Heinrichs    von   Veldeke   und  der 

Roman  d'Eneas.     Eine  vergleichende  Untersuchung.     Diss.   Jena 

1910.     91  S. 
Enfances  Guillaume.  —  H.  Theuring.    Die  Prosafassung  der  ,, Enfances 

Guillaume".     Diss.   Halle  1910.     73  S.     8». 
Enfances  Godefroi.     S.  oben  Chevalier  au  Cygne. 
Eustache   von   Kent.   —  H.   Schneegans.     Üljer   die    Interpolation   des 

'Fuerre  de  Gadres'  im  altfranzös.    Roman  des  Eustache  von  Kent 

[In:   Festschr.   für  W.  Vietor.      S.   oben  p.   311  Neuere  Sprachen]. 
Foucon  de  Candie.  —  R.  Weeks.     A  mention  of  the  Return  of  King 

Arthur  in  Foucon  de  Candie  [In:  The  Romanic  Review  I,  4]. 
Garin  le  Loherain.  —  E.  Stengel.    Ein  neues  Bruchstück  Z'^  der  Chanson 

von  Garin  le  Loherain  [In:  Festschr.  f.  Vietor.  S.  oben  p.  311  Neuere 

Sprachen]. 
Geoffrey  of  Monmouth.     S.  oben  p.  314  Bruce. 
Gormont  et  Isembart.     S.  oben  p.  311  Sostmann. 
Hue  de  Rotelande.  —  W.  Hahn.     Der  Wortschatz  des  Dichters  Hue 

de  Rotelande.     Greifswalder  Dissertation   1910. 
Jehan  de  le  Mote.  —  E.  Hoepffner.     Die  Balladen  des  Dichters  Jehan 

de  le  Mote  [In:  Zs.  f.  rom.  Phil.  XXXV,  2]. 
Lanfranc  Cigala.  —  G.  Bertoni.     Su  Lanfranc  Cigala  282,  20  [In:  Zs. 

f.  rom.  Phil.  XXXV,  103  f.]. 
Ä  Liturgical  Play  of  Joseph  and  his  brethren  p.  by  K.    Young  [In: 

Mod.  Lang.  Notes  XXVI,  2]. 
Marcabru.  S.  oben  p.  320  Pillet. 
Marie  de  France.  —  T.  P.  Gross.    The  Celtic  origin  of  the  lay  of  Yonec 

[In:  Revue  Celtique  XXXI,  4]. 


322  Novüäienverzeiclinis. 

Mistere  de  la  conception.  —  E.  Franke.  Untersuchungen  über  Le 
Mistere  de  la  conception  et  nativite  de  la  glorieuse  vierge  Marie 
avecques  le  mariage  d'icelle  la  nativite  passion  resurrection  et 
ascension  de  nostre  sauver  et  redempteur  Jesucrist  jou^e  a  Paris 
l'an  de  grace  mil  cinq  cens  et  sept.    Diss.  Greifswald  1910.    68  S.  8". 

Mystere  de  Saint  Clement.  —  F.  Tinius.  Studien  über  das  Mvstere 
de  Saint  Clement.    Diss.  Greifswald  1910.    88  S.    8». 

The  Oak  Book  of  Southampton  of  c.  A.  D.  1300.  Transcribed  and 
edited  from  the  unique  MS.  in  the  Audit  House,  with  Translation, 
Introduction,  Notes,  etc.  by  P.  Studer,  M.  A.  . .  Vol.  I,  including 
the  Anglo-French  ordinances  of  the  Ancient  Guild  Merchant  of 
Southampton.  Southampton:  Cox  Sharland.  1910  [Publi- 
cations  of  the  Southampton  Record  Society.  General  Editor: 
Professor  F.  J.  C.  Hearnshaw,  M.  A.,  LL.  D.]. 

Ogier.  —  B.  Cerf.  The  Franco-Italian  Chevalerie  Ogier  II  [In:  Mod. 
Philol.  VIII,  3]. 

Philomena.  —  Lucy  M.  Gay.  Notes  on  De  Boer's  edition  of  Philomena 
[In:  Mod.  Lang.  Notes  March  1911]. 

Rambertino  Buvalelli.  —  O.  Schultz-Gora.  Zu  Bertoni's  Ausgabe  des 
Rambertino    Buvalelli   [In:   Zs.    f.    rom.    Phil.    XXXV,   99—102]. 

Raimbaut  von  Vaqueiras.  —  R.  Zenker  und  Kurt  Lewent.  Nochmals 
Raimbaut  von  Vaqueiras  und  der  Kaiser  von  Konstantinopel 
[In:  Arch.  f.  n.  Sprachen  CXXV,  404—410]. 

—  Nie.  Zingarelli.  Engles  nelle  rime  di  Rambaldo  di  Vaqueiras. 
22  S.  8''.  1900 [Aus :  Miscellanea  di  studi  critici  in  onore  di  V.  Gresciui.], 

Sainte  Marguerite.  —  An  Italien  Version  of  the  Legend  of  St.  Margaret. 
By  C.  Foligno  [In:  Mod.  Lang.  Review  VI,  1]. 

Das  Seerecht  von  Oleron  nach  der  Handschrift  Paris,  Bibliotheque  de 
l'Arsenal  no  2570.  D  plomatischer  Abdruck  mit  Einleitung, 
ergänzendem  Glossar  und  einer  Handschriftprobe  von  Dr.  jur. 
Heinrich  Ludwig  Zeller.  Berlin,  in  Kommission  bei  R.  L.  Prager. 
Pr.  1,50  Mk.  [Sammlung  älterer  Seerechtsquellen,  Heft  6]. 

Tristan.      S.  oben  p.   315  Zenker. 

Troie,  Roman  de.  —  G.  Bertoni.  Un  frammento  di  una  versione  per- 
duta  del  Roman  de  Troie  [In:  Romania  XXXIX,  570—579]. 

Vita  Sancti  Honorati,  herausgegeben  nach  drei  Handschriften  von 
B.  Munke.  Hallenser  Diss.  1911  [Erscheint  vollständig  als  31.  Bei- 
heft zur  Zs.  f.  rom.  Phil.]. 

Vivien.     S.  oben  321  Chevalerie. 

Wace.     S.  oben  p.  314  Bruce. 

Wilhelm  von  Poitiers.     S.  oben  p.  320  Pillet. 


Anthologie  des  ecrivains  franpais.  Poesie  (XVIIIe  siecle),  publice, 
sous  la  direction  de  Gauthier-Ferrieres.  31  portraits  dont  4  hors 
texte,  30  autographes.     Paris,  Larousse.     Petit  in-8,   152  p.   1  fr. 

Anthologie  des  ecrivains  frangais.  Prose  (XVIIIe  siecle),  publice  sous 
la  direction  de  Gauthier-Ferrieres.  30  portraits,  dont  4  hors  texte, 
26  autographes.     Paris,  Larousse.     Petit  in-8,  160  p.  1  fr. 

Bibliotheca  romanica.  kl.  8^.  Straßburg,  J.  H.  E.  Heitz.  —  117.  118. 
Bibliotheque  fran?aise.  Saint-Pierre,  Bernardin  de:  Paul  et  Vir- 
ginie.  162  S.  1910.  —  119.  Bibliotheque  fran^aise.  Moliere: 
Th^ätre.     Le  Tartuffe.     106  S.     1910. 

Les  Poetes  du  Terroir  du  XVe  siecle  au  XXe  siecle,  Textes  choisis  ac- 
compagnös  de  Notices  biographiques,  d'une  Bibliographie  et  de 
Cartes  des  anciens  Pays  de  France  par  Ad.  van  Bever.  Tome  III: 
Languedoc  et  Comte  de  Foix.  —  Lorraine.  —  Lyonnais.  —  Niver- 
nais.  —  Normandie.    Paris,  Ch.  Delagrave.    3  fr.  50. 


Novitätenverzeichnis.  323 

Andrieux.     S.  oben  p.  316  Gazier. 

Barhey  d'Aurevilly,  J.  Les  Diaboliques.  Compositions  et  gravure  ori- 
ginale de  Lobel-Riche.     Paris,  A.  Romagnol,  1910.     In-4,  X-327  p. 

Baudelaire.  —  Nadar.  Charles  Baudelaire  intime.  Le  poete  vierge. 
Deposition.  Documents.  Notes.  Anecdotes.  Correspondance. 
Autographes  et  Dessins.  Le  Gonade.  La  Fin.  Paris,  Auguste 
Blaizot.     15  fr. 

Beaumarchais.  —  A.  Gazier.  Le  thöätre  de  Beaumarchais  [In:  Revue 
des  cours  et  Conferences  XIX,  2.  3]. 

Brossette.     S.  oben  p.  319  J.-B.  Rousseau. 

Chateaubriand.  —  E.  Herpin.  Les  Tiroirs  de  Chateaubriand  [In: 
Mercure  de  France.     16  mars  1911]. 

—  inedit  p.  P.  Dubois  [In:  Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  France  XVIII,  1]. 

—  G.  Charlier.  A  propos  du  Manuscrit  des  ,,Natchez"  [In:  Rev. 
d'Hist.  litter.  de  la  P>ance  XVIII,  1]. 

—  V.  Giraud.  Sur  Chateaubriand  traducteur  de  Milton  [In:  Rev. 
d'Hist.  litter.  de  la  France  XVIII,  1]. 

—  Le  Genie  du  christianisme.  Paris,  Hachette  et  Cie.  1910.  In-16, 
IV-655  p.  3  fr.  50. 

—  Anatole  Le  Braz.  Sur  la  Correspondance  de  Chateaubriand  relative 
ä  son  tombeau  [In:  Rev.  d'Hist.  littör.  de  la  France  XVIII,  1]. 

Colin  d'Harleville.     S.  oben  p.  316  Gazier. 

Fahre  d' Eglantine.  —  S.  oben  p.  316  Gazier. 

Flauhert.     Sur  la  derniere  edition  de  Par  les  Champs  et  les  Greves, 

de   G.   Flaubert,   p.   Rene  Descharmes  [In:   Annales  Romantiques 

VIII,   1]. 

—  Une  lettre  inedite  de  Gustave  Flaubert  [In:  Annales  Romantiques 
VIII,  1]. 

—  ffiuvres  de  jeunesse  inedites,  de  Gustave  Flaubert.  II,  1839 — 1842. 
CEuvres  diverses.  Novembre.  Paris,  L.  Conard,  1910.  In-8, 
287  p.  8  fr.  [Appendice  aux  oeuvres  completes  de  Gustave  Flaubert]. 

—  ffiuvres  de  jeunesse  inedites.  III,  1845 — 1846.  L'Education 
sentimentale  (version  de  1845).  Paris,  L.  Conard.  1910.  In-8, 
371  p.  8  fr.  [Appendice  aux  oeuvres  completes]. 

—  CEuvres  completes.  Correspondance.  2e  serie  (1850 — 1854). 
Paris,  L.  Conard.     1910.     In-8,  460  p.  8  fr. 

—  CEuvres  completes.  L'Education  sentimentale.  Histoire  d'un  jeune 
homme.     Paris,  L.  Conard,  1910.     In-8,  708  p.     8  fr. 

Florian.  —  S.  oben  p.  316  Gazier. 

—  Lettres  inedites  de  Florian  [In:  Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  France 
XVIII,  1]. 

Guerin.  —  Comte  de  Colleville.  Un  cahier  inedit  du  Journal  d'Eugenie 
de  Guerin  [In:  Mercure  de  France  16  fevrier  1911]. 

Hugo.  —  Le  Moyen  Age  dans  la  legende  des  siecles  et  les  Sources  de 
Victor  Hugo;  par  Paul  Berret.  Paris,  H.  Paulin  et  Cie.  In-8, 
447  p.     10  fr. 

—  E.  Blemonl.  Le  reliquat  des  ,,Chätiments"  [In:  Annales  Roman- 
tiques VIII,  1.     S.  49—53]. 

Lamartine.  —  Une  poesie  inedite  de  Lamartine  [In:  Annales  Roman- 
tiques VIII,  1.     S.  48  f.]. 

—  Variantes  et  Corrections  inedites  des  ,,Harmonies"  de  Lamartine 
[In:  Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  France  XVIII,  1]. 

—  G.  Allais.  Les  ,,Harmonies"  de  Lamartine  et  le  manuscrit  de  la 
ville  d'Angers  [In:  Rev.  des  cours  et  Conferences  XIX,  3]. 

—  CEuvres  choisies;  par  Rene  Waltz.  Poesie.  Paris,  Hachette  et  Cie., 
1910.     In-16,  LXIV-319  p.     3  fr.  50. 

—  Nouvelles  Meditations  poetiques.  Compositions  de  H.  Guinier, 
gravees  ä  l'eau-forte  par  C.  Coppier.  Paris;  Soci^te  des  amis  des 
livres.     1910.     In-8,   182  p. 

Ztschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XXXVir.  22 


324  Novitätenverzeichnis. 

Lamartine  —  CEuvres.  Voyage  en  Orient.  T.  ler.  Paris,  Hachette 
et  Cie.,  1910.     In-16,  490  p.     3  fr.  50. 

—  Le  Manuscrit  de  ma  mere,  avec  commentaires,  prologue  et  epilogue. 
Paris,  Hachette  et  Cie.,  1911.  In-16,  XI-322  p.  3  fr.  50  [Cette 
Edition  est  publice  par  les  soins  de  la  Societe  proprietaire  des  ceuvres 
de  M.  de  Lamartine]. 

Latouche,  H.  de.  —  Un  Roman  politique  sous  la  Restauration:  Clement 

XIV  et  Carlo  Bertinazzi,  de  Henri  de  Latouche,  par  Georges  Vrancken 

[In:  Annales  Romantiques  VIII,  1]. 
Leconte  de  Lisle.     Contes  en  prose  (impressions  de  jeunesse).     Preface 

de  Jean  Dornis.     Paris,  Societe  normande  du  livre  illustr^.     1910. 

In-8,  XXIV-221  p.,  portrait  grave  au  burin  par  J.  A.  Corabeuf, 

d'apres  un  dessin  au  crayon  de   Jobbe-Duval.     Ornements  typo- 

graphiques  de  Malatesta  gravis  sur  cuivre  par  Maccard  et  tires  en 

taille-douce  par  Wittmann. 
Lesage.  —  Le  Realisme  pittoresque  chez  Lesage  et  ses  prödecesseurs 

immediats;   par  Irene  Galli.     Grenoble,  impr.  Allier  freres,    1910. 

In-8,  72  p. 
Marcellus,   Comte  de.  —  Lettres  inödites  du  Comte  de  Marcellus  ä 

M.   Henri   de  Bonald   (suite)   [In:   Annales  Romantiques  VIII,    1 

(ä  suivre)]. 
Marivaux.  —  Theätre  choisi.    Paris,  J.  Gillequin  et  Cie.     In-16,  233  p. 

[Tous  les  chefs-d' Oeuvre  de  la  littörature  fran^aise]. 
Marot.     (Euvres  de  Clement  Marot.     Paris,  J.  Gillequin  et  Cie.    In-16, 

184  p.  [Tous  les  chefs-d' ceuvre  de  la  litterature  frangaise]. 
Merimee,   P.     Lettres  ä  Estäbanez  Calderon.     Paris,   editions  de  la 

«Revue  politique   et  litteraire»   («Revue  Bleue»)   et  de   la  «Revue 
scientifique»,  41  bis,  rue  de  Chäteaudun.    1910.    In-8,  30  p.  [Extrai 
de  la  «Revue   politique  et  litteraire»   («Revue   Bleue»)   des   12  et 
19  novembre  1910]. 
Moliere.  —   P.   Martin.      La   ceremonie   turque   du   ,, Bourgeois   gen- 
tilhomme"  [In:  Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  France  XVIII,  1]. 

—  H.  Hartmann.  Die  literarische  Satire  bei  Moliere.  Tübinger 
Dissertation  1910. 

—  Moliere' s  sämtliche  Werke  übersetzt  von  Margarete  Beutler,  Hein- 
rich Conrad,  Friedrich  Freksa,  Reinhard  Koester  und  Eugen  Neres- 
heimer,  herausgegeben  von  E.  Neresheimer.  München,  G.  Müller. 
6  Bde.  ä  5  Mk.  (Im  Erscheinen). 

Montaigne.  —  Les  editions  des  ,,essais"  de  Montaigne:  Le  texte  de  la 
,,Vulgata"  [In :  Ac.  des  Inscript.  et  Beiles-  Lettres-  Comptes  Rendus 
1910.     Bulletin  de  döcembre.     P.  765—768]. 

—  Essais,  precedes  d'une  lettre  ä  M.  Villemain  sur  l'eloge  de  Mon- 
taigne; par  M.  Christian.  T.  ler.  Paris,  Hachette  et  Cie.,  1911. 
In-16,  XII-385  p.     1   fr.  25  [Les  Principaux  Ecrivains  frangais]. 

Musset,  Alfr.  de.  Liebesbriefe  an  Aimee  d'Alton  (Madame  Paul  de 
Musset).  Mit  ungedr.  Gedichten  1837 — 1848.  Einleitung  u.  An- 
merkgn.   v.   L^on   Sech6.     Übertr.   v.  Auguste  Förster.     7.  Aufl. 

185  S.  m.   Titelbild,     kl.  8».     Berlin,  H.   Seemann  Nachf.,   1911. 
2  Mk. 

—  Une  nuit  de  Musset;  par  Charles  de  Bussy.  Lettre-pr6face  de  M. 
Jules  Claretie.     Paris,  P.  Commaille,  1910.     In-16,  70  p.    2  fr.  50. 

Perrault.  —  Les  Contes  de  Perrault.  Dessins  par  Gustave  Dorö.  Pre- 
face par  P.  J.  Stahl.    Paris,  J.  Hetzel.     In-fol.,  XXV-132  p.    26  fr. 

—  Contes.  Images  de  Georges  Delaw.  Preface  de  Mme  Edmond 
Rostand.     Paris,  A.  Sporck,  1910.     Petit  in-4,  68  p. 

Babelais.  (Euvres.  T.  2,  t.  3  et  dernier:  Pantagruel.  Corbeil,  impr. 
Cret6.  Paris,  J.  Gillequin  et  Cie.  2  vol.  in-16.  T.  2,  247  p.; 
t.  3,  211  p.  [Tous  les  chefs-d' oeuvre  de  la  litterature  frauQaise]. 


Novitätenverzeichnis.  325 

Rabelais.  —  Rabelais  en  fran^ais  moderne;  par  J.  A.  Soulacroix, ]>recM6 
de  l'opinion  de  M.  Emile  Faguet.  Illustrations  par  F.  Jobbe-Duva 
et  R.  de  La  Nöziere.  T.  ler,  2,  3,  4,  5,  6.  Paris,  Libr.  universelle, 
20,  rue  Saint-Marc.  6  vol.  in-16.  T.  ler,  280  p.;  t.  2,  272  p.;  t.  3, 
276  p.;  t.  4,  275  p.;  t.  5,  280  p.;  t.  6,  272  p.  avec  grav.  Chaque 
volume,  75  cent. 

Renan,  E.  ä  Victor  Cousin  p.  P.  B.  [In:  Rev.  d'Hist.  litter.  de  la  France 
XVIII,   1]. 

Ronsard.  Poemes.  Paris,  J.  Gillequin  et  Cie.  In-16,  133  p.  [Tous 
les  chefs-d'ceuvre  de  la  litt(^rature  frangaise]. 

Rousseau,  J.-B.  —  Correspondance  de  Jean-Baptiste  Rousseau  et  de 
Brossette.  Publiee  d'apres  les  originaux,  avec  une  introduction, 
des  notes  et  un  index  par  P.  Bonnejon.  T.  1.  1715 — 1729.  Paris, 
Ed.  Cornely  et  Cie.  [Soc.  des  textes  frang.  modernes]. 

Rousseau,  J.  J.  ffiuvres.  Le  Devin  du  village.  Lettres  ecrites  de 
la  montagne.  Dialogues.  Les  Reveries  d'un  promeneur  solitaire. 
Paris,  Garnier  freres,  1910.     In-18  jösus,  627  p.     3  fr. 

Sainte-Beuve,   Lettres  inedites  de  [In:   La   Revue   l^r  janvier    1911]. 

—  J.  Lemaitre.  Les  Peches  de  Sainte-Beuve  [In:  Revue  hebdoma- 
daire.     28  janv.  1911]. 

Sales,  Saint  Frangois  de.  QEuvres.  Edition  complete  d'apres  les 
autographes  et  les  editions  originales,  enrichie  de  nombreuses 
pieces  inedites.  Dediee  ä  S.  S.  L4on  XIII  et  honoree  de  deux  brefs 
pontificaux.  Publiee  sous  les  auspices  de  Monseigneur  l'eveque 
d'Annecy,  par  les  soins  de  religieuses  de  la  Visitation  du  premier 
monastere  d'Annecy.  T.  16:  Lettres.  Vol.  6.  Lyon,  E.  Vitte.  Paris, 
libr.  de  la  meme  maison.  1910.  In-8,  XII-486  p.  et  fac-simile 
d'autographe.     8  fr. 

Senancourt,  E.  de.  Reverie  sur  la  nature  primitive  de  l'homme.  Edition 
critique  p.  J.  Maerlant.  T.  1.  Paris,  Ed.  Cornely  et  Cie.,  1910 
[Soc.  des  textes  frang.  modernes]. 

Sevigne,  Mme  de.  —  S.  oben  p.  316  Hansen. 

Stendhal.  Journal  d'Italie  p.  p.  P.  Arbelet.  Paris,  Calmann-Levv. 
3  fr.  50. 

Verlaine,  Paul.  Vers.  (Edite  par  Georges  A.  Tournoux.)  198  S.  gr.  8*^. 
Leipzig,  E.  Rowohlt,  1910.     Geb.  12  Mk. 

Villon,  F.  CEuvres,  publiees  avec  preface,  notices,  notes  et  glossaire; 
par  Paul  Lacroix.  Paris,  E.  Flammarion.  In-18  Jesus,  368  p. 
95  cent  [Les  Meilleurs  Auteurs  classiques  frangais  et  etrangers]. 

Voltaire,  ffiuvres  completes.  T.  19:  Dictionnaire  philosophique  (suite 
et  fin).  Paris,  Hachette  et  Cie.,  1911.  In-16,  463  p.  1  fr.  25  [Les 
principaux  ecrivains  frangais]. 

—  A.  Lelioux.  Le  dernier  descendant  de  Calas  et  la  Convention 
[In:  Bulletin  de  la  Soc.  de  l'Hist.  du  Protestantisme  Frangais. 
Janvier-fevrier  1911]. 

8.  Geschichte  and  Theorie  des  Unterrichts. 

Ellinger,  Joh.  Über  die  Vorteile  der  in  der  III.  und  IV.  Klasse  der 
Realschule  durchgeführten  Ausgleichung  der  französischen  Stunden 
[In:  Zs.  i.  d.  Realschuhv.  XXXVI,  1]. 

Gregoire,  Ant.  Conseils  pratiques  sur  l'emploi  des  machines  parlantes 
dans  l'enseignement  des  langues  Vivantes  [In:  Rev.  de  Instruction 
publique  en  Belgique  No.  6  (1910)]. 

Hammer,  W.  A.  Zur  Verwendung  der  Sprechmaschine  [In:  Zs.  f.  d. 
Realschuhv.  XXXVI,  1.     S.  1—7]. 

Hasl,  Die  Prüfungsordnung  für  das  Lehramt  der  humanistischen  und 
realistischen  Mittelschulen  Bayerns  nach  dem  Entwurf  des  König- 
lichen Staatsministeriums  [In:  Zs.  f.  franz.  u.  engl.  Unterr.  X,  1]. 

22* 


326  Novitätenverzeichnis. 

Herp,  J.  van.  Die  Reform  des  neusprachlichen  Unterrichts  in  Belgien 
[In:  Festschr.  für  Vietor.     S.  oben  p.  311  Neuere  Sprachen]. 

Jordan,  R.  Zur  Behandlung  der  Frage  nach  den  drei  dramatischen 
Einheiten  auf  der  Mittelstufe  der  Gymnasien  [Lehrproben  und 
Lehrgänge  1911.     2.  Heft]. 

Middel,  Jos.  Wie  erlerne  ich  durch  Selbststudium  fremde  Sprachen 
rasch  und  gründlich.  Erprobte  Ratschläge  u.  ausfuhr!.  Besprechg 
der  in  Frage  komm.  Hilfsmittel.  56  S.  S».  Stuttgart,  E.  Leupoldt, 
1911.     80  Pf.  »      >  1-        , 

Parmentier,  A.  Le  Theätre  en  France  depuis  le  debut  du  XVIe  siecle 
jusqu'ä  la  Revolution.  Paris,  G.  Vitry,  edit.  de  diapositives,  1910. 
Petit  in-8,  20  p.  [Enseignement  par  les  projections  lumineuses. 
Notices  redigees  sous  le  patronage  de  la  commission  des  vues  instituee 
pres  du  Musee  pedagogique]. 

Reuland,  M.  L'imagination  et  les  möthodes  scolaires.  Progr.  Echter- 
nach  1910.     61   S.     4°. 

Schröer.  Die  künstlerische  Seite  der  Anschauungsbilder  [In:  Zs.  f. 
franz.  u.  engl.  Unterricht  X,  1.     S.  35 — 42]. 

Strohmeyer.  Bericht  über  einen  Erlaß  des  französischen  Unterrichts- 
ministeriums zur  Vereinfachung  und  Vereinheitlichung  der  gram- 
matischen Termini  in  der  Schule  [In:  Zs.  f.  franz.  u.  engl.  Unter- 
richt X,   1]. 

Ulmer.  Metrik  in  der  Schule?  [In:  Zs.  f.  franz.  u.  engl.  Unterricht  X,  1 
(Schluß  folgt)]. 

Unterricht  und  Sprechmaschine.  Mitteilungen  üb.  die  Verwendg.  der 
Sprechmaschine  als  Unterrichtsmittel.  Neue  Folge  v.  ,,Sprachen- 
erlerng.  u.  Sprechmaschine".  Hrsg.:  Vict.  A.  Reko.  3.  Jahrg.  1911. 
6Nrn.  (Nr.  1  16  S.)  gr.  8».  Stuttgart,  W.  Violet.  1,20  Mk.  Bisher 
u.  d.  T.:  Spracherlernung  u.  Sprechmaschine. 

9.  Liehrmittel  für  den  französischen  Unterricht. 

a)  Grammatiken,  Übungsbücher  etc. 

Bechtel,  Adf.  Französisches  Sprech-  u.  Lesebuch.  Mittelstufe.  Für  die 
3.  u.  4.  Klasse.  5.,  der  ,,Verordng.  des  Ministers  f.  Kultus  u.  Unter- 
richt vom  8.  IV.  1909,  Z.  14.  741",  entsprech.  Aufl.  Mit  6  Bildern 
u.  1  (färb.)  Karte  v.  Frankreich.  VIII,  225  S.  8^.  Wien,  Manz, 
1911.     2,50  Mk. 

Beck,  Christoph.  Französische  Stilübungen  nebst  Diktat-  u.  Lesestoffen 
f.  höhere  Lehranstalten.  IL  Tl.  3  Abtlgn.  8°.  Nürnberg,  F.  Korn, 
1910.  Jeder  Bd.  1,40  Mk.  1.  Abtlg.  Klasse  VII.  (XII,  84  S.)  — 
2.  Abtlg.  Klasse  VIII.  (IV,  72  S.)  —  3.  Abtlg.  Klasse  IX.  (IV,  96  S.) 
Den  I.  Teil  bildet  die  französische  Stillehre. 

Bergmann,  Martha.  Idiomes.  [Gallicismes-Germanismes.]  Sprach- 
eigenheiten (die  jeder  lernen  kann  u.  muß).  (Französisch-Deutsch.) 
1.  Tl.    55  S.    8».    Magdeburg,  K.  Peters,  1910.    Geb.  1  Mk. 

Berlitz:  Methode.  4  tableaux.  Je  92  x  112,5  cm.  Farbdr.  Berlin, 
S.  Cronbach,  1911.     10  Mk. 

Bize,  Louis  u.  Wern.  Flury.  Cours  gradue  de  la  langue  frangaise  ä 
l'usage  des  ecoles  moyennes  de  langue  allemande.  Grammaire- 
exercices-lecture.  VII,  322  S.  8".  Zürich,  Schulthess  &  Co.,  1911. 
Geb.  3  Mk. 

Böddeker,  K.,  H.  Bornecque,  R.  Erzgraeber.  Übungsbuch  f.  höhere 
Mädchenschulen  u.  Studienanstalten.  (Böddeker-Bornecque-Erz- 
graeber:  Französisches  Unterrichtswerk.)  III.  Tl.:  Klasse  II  u.  I. 
der  höheren  Mädchenschule  (bezw.  Illa — I  der  Studienanstalt). 
137  S.  m.  3  färb.  Karten  u.  1  Plan.  8».  Leipzig,  G.  Freytag,  1911. 
Geb.  2  Mk. 


Novitätenverzeichnis.  327 

Boerner,  O.  u.  R.  Dinkler.  Oberstufe  zum  Lehr-  u.  Lesebuch  der  fran- 
zösisclien  Sprache.  Mit  besond.  Berücksicht.  der  Ubgn.  im  mündL 
w.  schriftl.  freien  Gebrauch  der  Sprache,  f.  Mittelschulen  hrsg. 
(Boerners  französ.  Unterrichtswerk.  [Boerner-Dinkler  f.  Mittel- 
schulen 3.])  V,  247  S.  m.  12  Abbildgn.,  1  Vollbild  u.  2  Taf.  8». 
Leipzig,  B.   G.  Teubner,   191 L     Geb.  2,C0  Mk. 

Brunot  et  Bony.  Methode  de  langue  fran^aise.  3e  livre,  Maitre,  destine 
au  cours  moyen  (preparation  au  certificat  d'etudes  primaires  ele- 
mentaires)  et  au  cours  superieur.  Grammaire  d'apres  la  methode 
d'observation.  Analyse  de  la  forme  et  analyse  du  sens.  Enseigne- 
ment  systematique  du  vocabulaire.  Lecture.  Recitation.  Texte 
des  grands  ecrivains.  Methode  de  composition  fran^.oise:  Directions 
et  Exercices.  Nombreux  exercices  en  textes  suivis.  Paris,  A.  Colin, 
1911.  Petit  in-8  ä  2  col.,  XVIII-419  p.  3  fr.  50  [Enseignement 
primaire  elementaire]. 

Enkel,  H.,  Th.  Klähr  u.  H.  Steinen.  Lehrbuch  der  französischen 
Sprache  f.  Bürgerschulen  (Knaben-  u.  Mädchenklassen).  I.  Teil 
16.  völlig  umgearb.  Aufl.  v.  Frdr.  Hoffmann.  Bilder  v.  Elisab. 
Voigt.     VII,  161  S.     80.     Dresden,  A.  Huhle,  1911.     1,50  Mk. 

Foulche-Delbosc,  R.  et  A.  R.  Gongalves-Vianna.  —  Resumo  de  gram- 
matica  francesa.  Paris,  Aillaud,  Alves  et  Cie.  Petit  in-8,  205  p. 
[Ensino  secundario  official]. 

Gaßmeyer,  M.  u.  A.  Wagner.  Französische  Hausübungen  (m.  Schlüssel). 
I.  Regelmäßige  Formenlehre.  VIII,  92  u.  67  S.  gr.  8".  Leipzig, 
Dr.  Seele  &  Co.,   1911.     1,60  Mk. 

Kittkewitz,  Geo.  L'apprenti.  Französisches  Lehrbuch  f.  Handels-, 
Gewerbe-  u.  kaufmänn.  Fortbildungsschulen.  Ausg.  B.  in  1  Tle. 
Mit  2  färb.  Karten  u.  2  Stadtplänen  im  Text.  2.,  verb.  Aufl.  252  S. 
8».     Leipzig,  F.  Hirt  &  Sohn,  1910.     Geb.  2,50  Mk. 

Kiinghardt,  H.  u.  M.  de  Fourmestraux.  Französische  Intonations- 
übungen. Für  Lehrer  u.  Studierende.  Texte  u.  Intonationsbilder 
m.  Einleitg.  u.  Anmerkgn.  VII,  114  u.  35  S.  8».  Cöthen,  O. 
Schulze  Verl.,   1911.     Geb.  3,80  Mk. 

Manger,  Karl.  Hilfsbüchlein  f.  den  französischen  Llnterricht.  Übungs- 
stücke zum  Übersetzen  aus  dem  Deutschen  ins  Französische,  nebst 
Präparation,  kleine  Synonymik,  petit  questionnaire  grammatical 
suivi  des  reponses.  3.  u.  4.,  durchgeseh.  u.  verm.  Aufl.  IV,  135  S. 
kl.  8».     Nürnberg,  C.  Koch,  1911.     1  Mk. 

Myard,  J.  et  L.  Meneret.  Grammaire  et  Composition  frangaise.  Paris, 
C.  Delagrave.  In-18,  331  p.  3  fr.  [Bibliotheque  des  ecoles  prati- 
ques  de  commerce  et  d'industric]. 

Oliver,  George  A.  S.  Unterrichtsbriefe  zur  Erlernung  fremder  Sprachen 
unter  Benutzung  humoristischer  Texte.  Französisch.  (System 
Oliver.  Brieflicher  Sprach-  u.  Sprech-Unterricht  f.  das  Selbst- 
studium Erwachsener.)  Neue  Aufl.  20  Briefe  m.  3  Beilagen. 
484,  47,  20  u.  II,  41  S.  Lex.  8^.  Berlin-Schöneberg,  Mentor-Verlag, 
1911.     In  Mappe  20  Mk.;  einzelne  Briefe  1  Mk. 

Orell  FüssWs  Bildersaal  f.  den  Sprachenunterricht.  Kommentar  zum 
8.  Heft.  Aufsätze  f.  den  Unterricht  in  der  französ.  Sprache  v. 
G.  Egli.  Fragensammlung  u.  ausgeführte  Beispiele  in  französ. 
Sprache  v.  Gh.  Alb.  Rosse.  2.  Aufl.  119  S.  m.  Abbildgn.  8». 
Zürich,  Art.  Institut  Orell  Füssli,  1910.     2  Mk. 

—  dasselbe.  Collection  d'images  destin(^e  ä  l'enseignement  des  langues. 
Commentaire  du  7^  cahier.  Sujets  de  redactions  pour  l'enseigne- 
ment de  la  langue  maternelle,  par  instituteur  second  G.  Egli. 
Questionnaires  et  exemples  de  redaction  en  langue  frangaise  par 
Gh.- Alb.  Rosse.     119  S.  m.  Abbildgn.     8«.    Ebd.  1910.     2  Mk. 

Ozenfant,  E.  Exercices  de  grammaire  fran^aise.  Cours  elementaire. 
Livre  du  maitre.     Paris,  C.  Delagrave.     In-18  Jesus,  514  p.  5  fr. 


328  Novitätenverzeichnis. 

[Cours  de  grammaire  frangaise  publie  sous  la  direction  de  Leopold 
Sudre]. 

Stefan,  AI.  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  f.  Realgymnasien  u. 
verwandte  Lehranstalten.  IL  Tl.  (Für  die  5.,  6.,  7.  u.  8.  Klasse.) 
Mit  1  (färb.)  Karte  v.  Frankreich  u.  1  (färb.)  Plan  v.  Paris.  VIII, 
203  S.    8».    Wien,  K.  Graeser  &  Co.,  1910.     Geb.  2,50  Mk. 

Sudre,  L.  et  P.  Laurent.  Exercices  de  grammaire  frangaise.  Cours 
moyen.  Livre  du  maitre.  Paris,  C.  Delagrave,  1910.  In-18  Jesus, 
VI-'616  p.  5  fr.  50  [Cours  de  grammaire  frangaise,  publiee  sous  la 
direction  de  Leopold  Sudre]. 

Tafel,  synoptische,  der  französischen  Konjugation.  Regelmäßige 
Verben.  Unregelmäßige  Modus-Zeiten.  Übereinstimmung  der 
Zeiten.  Regeln  des  Participiums.  51,5  x  60  cm.  Leipzig,  Neu- 
markt 36,  A.  Gascard,   1910.     30  Pf. 

Werner,  Alex.  Gymnastique  du  vocabulaire  frangais.  (Französisch- 
deutsches Wörterverzeichnis.)  Hilfsbuch  zum  Gebrauch  für  die 
oberen  Klassen  der  Mittelschulen.  220  S.  8".  Wien,  F.  Tempsky, 
1911.     Geb.  2,60  Mk. 

b)  Literaturgeschichte,  Realien,  Schulausgaben,  Lesebücher. 

Fleury,  C.  Recueil  de  compositions  litteraires  ä  l'usage  des  candidats 
au  baccalaureat.  Sections  A.  B.  C.  D.  Cent  d(^veloppements  de 
Sujets  donnes  aux  examens  du  baccalaureat,  de  1905  ä  1910.  Paris, 
J.  de  Gigord,  1911.     In-18  Jesus,  VII-530  p. 

Huleux,  E.  La  Vie  litteraire  ä  l'^cole.  Lecture,  Recitation,  Redaction. 
Cours  moyen  (l^r  annee).  Choix  de  120  textes  expliques  et  analyses, 
en  vue  de  la  preparation  k  la  composition  frangaise.  Ouvrage 
illustre  de  30  tableaux  d'art.  Paris,  Aleide  Picard.  In-18,  351  p. 
Cartonnö,  1  fr.  35  [Cours  regulier  de  langue  frangaise.  Collection 
Edouard  Petit]. 

Martini,  W.  u.  A.  Delanney.  Elements  de  litterature  frangaise,  suivis 
des  regles  essentielles  sur  la  versification.  VI,  50  S.  8".  Leipzig, 
H.   Schmidt.     Geb.  90  Pf. 

Brenner,  Charles.  Morceaux  choisies  des  auteurs  frangais  ä  l'usage 
des  ecoles  et  de  l'enseignement  particulier.  VIII,  150  S.  8**.  Wien, 
Mor.  Stern,  1911.     Geb.  2  Mk. 


C otogne  p.  F.  Le  Bourgeois.  Avec  huit  gravures  hors  texte.  Paul 
Neubner,  Editeur  Cologne. 

Daudet,  Atphonse.  Aventures  prodigieuses  de  Tartarin  de  Tarascon. 
Für  den  Schulgebrauch  hrsg.  v.  Dr.  Otto  H.  Brandt.  125  S.  8". 
Leipzig,  G.  Freytag.  —  Wien,  F.  Tempsky,  1911.     Geb.  1,20  Mk. 

Diesterweg's  neusprachliche  Reformausgaben,  hrsg.  v.  Prof.  Dr.  Max 
Frdr.  Mann.  8*'.  Frankfurt  a.  M.,  M.  Diesterweg.  22.  Thiers, 
Adolphe.  Extraits  historiques.  Annotes  par  Prof.  Dr.  Louis  Andrö. 
XIX,  64  u.  56  S.  1911.  Geb.  1,60  Mk.  24.  Maupassant,  Guy  de. 
La  guerre  franco-allemande.  Annotee  par  Prof  f.  Ch.  Robert-Dumas 
et  Dr.  Max  Frdr.  Mann.  Seule  ^d.  autoris^e  pour  les  pavs  de  langue 
allemande.     VII,  75  u.  36  S.     1911.     Geb.  1,40  Mk. 

Gerhard's  französische  Schulausgaben,  kl.  8°.  Leipzig,  R.  Gerhard. 
Nr.  26.  Collection  de  contes  et  nouvelles.  Tome  II.  Auteurs  mo- 
dernes. 2me  partie.  Für  den  Schulgebrauch  zusammengestellt  und 
erklärt  v.  A.  Mühlan.  I.  Tl.:  Preface.  Notices  biographiques  et 
litteraires.  Text.  Anmerkungen.  VI,  145  S.  m.  2  Bildnissen.  1910. 
Geb.  1,60  Mk.;  2.  Tl.:  Wörterbuch.     32  S.     40  Pf. 

Gratacap,  M.  Les  mömoires  frangais  du  XlXme  siede.  Morceaux 
choisis.     Recueillis  et  annotes  ä  l'usage  des  classes.     I.  L'histoire. 


Noviiätenverzeichnis.  329 

181  S.  8».  Wien,  F.  Tempsky.  —  Leipzig,  G.  Freytag,  1911. 
Geb.  1,70  Mk. 

Guizot,  F.  Hisloire  de  la  civilisation  en  Europe.  Für  den  Schul- 
gebrauch hrsg.  V.  Edm.  Köcher.  135  S.  S*'.  Leipzig,  G.  Freytag. 
—  Wien,  F.  Tempsky,  1911.     Geb.  1,50  Mk. 

Kühn,  K.  La  France  et  les  Fran^ais.  Ausg.  B.  Mit  40  lUustr.,  3  (ein- 
gedr.)  Kartenskizzen,  1  (färb.)  Plan  v.  Paris,  1  (färb.)  Karte  der 
Umgebg.  V.  Paris  u.  1  (färb.)  Karte  v.  Frankreich.  XX,  320  S. 
8«.     Bielefeld,  Velhogen  &  Klasing,  1910.     Geb.  3,20  Mk. 

—  R.  Diehl  \\.  W.  Schwarzhaupt.  P'ranzösisches  Lesebuch  für  Mittel- 
schulen. Mit  10  Illustr.,  1  (färb.)  Plan  v.  Paris,  1  (färb.)  Karte 
der  Umgebg.  v.  Paris  u.  1  (färb.)  Karte  v.  Frankreich.  XI,  194  S. 
8».     Bielefeld,  Velhagen  &  Klasing,  1910.     Geb.  2  Mk. 

La  Fontaine.  Fahles.  Edition  annotee  ä  l'usage  de  la  jeunesse;  par 
L.  Rollin.  Illustrations  de  Hadamar  et  Dösaudrö.  Paris,  E.  Guerin, 
1910.     In-18,  288  p. 

La  literature  par  les  textes.  Collection  p.  p.  H.  Matthey  et  P.  Roches 
Helbing  und  Lichtenhahn,  Bäle.  Vol.  1:  Montesquieu,  Voltaire, 
Rousseau.  149  p.  fr.  1.80.  Vol.  2 :  Les  grand  poetes  romantiques. 
Lamartine,  Hugo,  Musset,  Vigny,  Gautier.     190  p.     fr.  2.40. 

Perthes'  Schulausgaben  englischer  und  französischer  Schriftsteller. 
Neue  Aufl.  Ausg.  B.  Mit  französ.  Anmerkgn.  8**.  Gotha,  F.  A. 
Perthes.  Nr.  40  B.  Sandeau,  Jules.  Mademoiselle  de  la  Seigliere. 
Comedie.  (1851).  Edition  precedee  de  notices  biographiques  et 
historiques  et  accompagnee  de  notes  par  K.  Engelke.  2.  ed. 
VIII,    123   S.     1910.     Geb.  1,60  Mk.;  Wörterbuch,    15  S.     20  Pf. 

Sammlung  englischer  und  französischer  Autoren.  Hrsg.  v.  Frz.  Eigl  u. 
Rieh.  Lederer.  kl.  8°.  Troppau,  Buchholz  &  Diebel.  Merimee, 
Prosper.  Nouvelles.  Inhalt:  Mateo  Falcone,  Tamango.  IV,  51  S. 
1910.  25  Pf.  3.  Heft.  Maupassant,  Guy  de.  Contes.  Inhalt:  La 
parure.     La  mere  sauvage.    Le  parapluie.     IV,  40  S.     1911.    20  Pf. 

Schulbibliothek,  französische  und  englische.  Hrsg.  v.  Otto  E.  A.  Dick- 
mann. Reihe  A:  Prosa.  8^.  Leipzig,  Renger.  165.  Bd.  Sand, 
George.  La  mare  au  diable.  Im  Auszuge  für  den  Schulgebrauch 
bearb.  v.  Karl  Roos.  VI,  69  S.  1911.  Geb.  1  Mk.  166.  Bd. 
Hanotaux,  Gabr.  Le  gouvernement  de  M.  Thiers  et  la  liberation 
du  territoire.  Auswahl  aus  ,,Histoire  de  la  France  contemporaine". 
Für  den  Schulgebrauch  erklärt  v.  Beruh.  Völcker.  Alleinberechtigte 
Ausg.     X,  117  S.     1911.     Geb.  1,30  Mk. 

Schulbibliothek,  französische  und  englische.  Hrsg.  v.  Otto  E.  Dick- 
mann. Reihe  A:  Wörterbücher.  8*^.  Leipzig,  Renger.  164  Bd. 
Pressense,  Mad.  E.  Rosa.   Bearb.  v.  E.  Kluth.    29  S.     1910.    30  Pf. 

Stange,  A.  Auswahl  französischer  und  englischer  Gedichte  zum  Ge- 
brauch an  Realschulen.  5.  Aufl.  94  S.  8".  Minden,  J.  C.  C. 
Bruns,  1911.     Geb.  1  Mk. 

Velhagen  <^  Klasing's  Sammlung  französischer  und  englischer  Schul- 
ausgaben. Reform-Ausg.  m.  fremdsprachl.  Anmerkgn.  kl.  8". 
Bielefeld,  Velhagen  &  Klasing.  Nr.  22.  Daudet,  Alphonse.  Le 
petit  chose.  Extraits  et  commentaire  ä  l'usage  des  classes.  Nou- 
velle  ed.  reformee  par  //.  Fr.  Haastert  et  Gaston  Dansac.  VI,  143 
und  47  S.     1911.     Geb.  1,10  Mk. 


Druckfehlerberichtigung;. 


Im  Aufsatz:  ,, Neuere  Arbeiten  über  George  Sand''\  Heft  2/4 
S.  60,  Z.  6  und  7  von  oben  muß  es  heißen,  statt  Friedrich  August  I. 
von  Sachsen:  Friedrich  August  II. 


3 


PC 
2003 
Z5 
Bd.  37 


Zeitschrift  für  französische 
Sprache  und  Literatur 


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